Table.Briefing: Europe

Einfluss aus dem Ausland + ESG-Ratings + Metalle

Liebe Leserin, lieber Leser,

eine politische Karriere ist oft eine immense Belastung für das Privatleben. So auch beim Europaabgeordneten Ismail Ertug, der nun die Reißleine zieht. Der Verkehrspolitiker wird zum 2. Juli sein Mandat für die SPD-Gruppe niederlegen – aus familiären Gründen, wie er Table.Media sagte. Bereits vergangene Woche hatte Ertug aus diesem Grund sämtliche Social-Media-Accounts dichtgemacht.

Das Mandat übernimmt Thomas Rudner aus Regensburg. Innerhalb der SPD ein politisch “noch recht unbeschriebenes Blatt” und ein überzeugter Europäer, sagt Ertug über seinen Nachfolger. Rudner war bis 2021 Leiter des deutsch-tschechischen Jugendaustauschprojekts Tandem und ist Fachmann für die deutsch-israelische Zusammenarbeit. Er soll am Tag nach Ertugs Amtsniederlegung offiziell ernannt werden.

Bevor Ertug aus der Politik ausscheidet, hat er noch eine offene Baustelle: Eines der vier von der Bundesregierung geförderten Wasserstoff-Zentren liegt in Pfeffenhausen – in Ertugs Wahlkreis. Die Bestätigung der Fördersumme von 20 Millionen Euro durch die EU-Kommission steht noch aus. Eigentlich hätte die Generaldirektion Wettbewerb die Freigabe heute herausgeben sollen.

Nun will Ertug in seinem letzten Monat als EU-Parlamentarier Druck auf Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und die Generaldirektion machen, die Förderung so schnell wie möglich freizugeben.

Ihr
Lukas Knigge
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Analyse

Ausländische Einflussnahme: Von der Leyen macht Druck

Selten hält die Kommission ein Gesetzesprojekt so unter Verschluss wie das Paket zur Verteidigung der Demokratie, das sie am 7. Juni vorstellen will. Bisher dringen kaum Informationen aus dem Berlaymont.

Das sorgt für ein gewisses Misstrauen, insbesondere bei der Zivilgesellschaft. Besonders kontrovers: Die geplante Richtlinie über die Finanzierung von Interessenvertretern (“interest representation services” lautet der Begriff, den die Kommission verwendet). Vertreter der Zivilgesellschaft befürchten eine Richtlinie nach dem Vorbild des NRO-Berichts des CDU-Europaabgeordneten Markus Pieper, welcher 2017 gekippt wurde – oder nach Vorbild des amerikanischen Foreign Agent Act. In einem gemeinsamen Statement warnten vor drei Wochen rund 200 NROs vor einem Gesetz, das den Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft begrenzen könnte.

Kommission will vier Initiativen vorlegen

Es ist nicht klar, inwiefern das Paket der Kommission diese Warnungen berücksichtigt. Lediglich die Einholung von Erkenntnissen (Call for Evidence), die von Februar bis April lief, bietet einen Einblick. Demnach will die Kommission im Juni vier Initiativen vorlegen:

  • eine Richtlinie zur Einführung gemeinsamer Transparenz- und Rechenschaftsstandards für Interessensvertretungsdienste, die von außerhalb der EU geleitet oder bezahlt werden;
  • eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten bezüglich der verdeckten Einmischung von Drittstaaten;
  • eine Empfehlung zu sicheren und resilienten Wahlprozessen und den bevorstehenden Wahlen;
  • eine weitere Empfehlung zum Bürger-Engagement, um ein sicheres Umfeld für die Zivilgesellschaft zu schaffen.

Europawahlen als Aufhänger

Der Call for Evidence verortet das Paket im Kontext der kommenden Europawahlen. Die Kommission befürchtet, wie schon 2019, das Risiko “verdeckter ausländischer Einflussnahme in Wahlangelegenheiten”. Dafür kommt das Paket aber zu spät, denn bis zu den Europawahlen wird keine Richtlinie in nationales Recht umgewandelt sein. 

Das geplante Gesetz zu den Interessensvertretungsdiensten dürfte vor allem eine Antwort auf den Skandal um Schmiergeldzahlungen durch Katar und Marokko sein. So will die Kommission nach eigener Aussage vorgehen gegen “Organisationen mit Sitz in der EU, die als Vertreter ausländischer Staaten fungieren”. Das lässt vermuten, dass es der Kommission sehr wohl um eine Gesetzgebung im Sinne des US-amerikanischen Foreign Agent Act geht, sich der Verdacht der Zivilgesellschaft also bestätigt.

Ein solches Gesetz würde sich mit den Forderungen der EVP als Konsequenz aus Katar-Gate decken. “Wir brauchen ein europäisches Äquivalent zum US Foreign Agents Registration Act (FARA). Es darf nicht vorkommen, dass Drittstaaten und Kriminelle NGOs als Tarnorganisationen dazu nutzen, um verschleiert Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen”, forderte beispielsweise die CDU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier im Februar.

Kommission steht nicht hinter dem Gesetz

Laut Informationen von Table.Media treibt die Kommissionspräsidentin persönlich die Richtlinie voran. “Wir müssen uns besser vor schädlichen Einflüssen schützen”, versprach sie auch anlässlich ihrer Rede zur Lage der Union. Ihre Kommissare sind von der Initiative allerdings wenig begeistert. Insbesondere Věra Jourová soll sich geweigert haben, das Dossier zu übernehmen und es Didier Reynders zugeschoben haben. Mittlerweile soll sich auch das EEAS um Josep Borrell kritisch zu der geplanten Richtlinie geäußert haben.

Besonders auffällig ist, dass die Kommission keine Folgenabschätzung vorsieht, wie sie eigentlich im Rahmen der besseren Rechtssetzung (better regulation) Pflicht ist. Stattdessen erwähnt die Kommission im Call for Evidence eine analytische Arbeitsunterlage (staff working document). Allerdings ist diese nach Table.Media-Informationen noch nicht finalisiert.

Wir haben nicht genug Zeit. Und wir haben nicht genug Daten, um festzustellen, wie groß das Problem der Einflussnahme von Drittstaaten auf NGOs ist. Wir wissen bloß: Das Problem ist ernst und wir sollten nicht naiv sein”, sagte Jourová kürzlich. Der Zeitaspekt lässt sich wohl einerseits durch die anstehenden Europawahlen, wie auch durch die kommenden Ratspräsidentschaften erklären: Im Sommer 2024 übernimmt Ungarn, danach Polen den Ratsvorsitz.

“Gefährliche Ermessensfreiheit” für Mitgliedstaaten

Andreea Nastase, die an der Universität Maastricht zu EU-Politik und Lobbying forscht, sieht im geplanten Gesetz eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der EU. Denn Brüssel habe ähnliche Gesetze bisher immer scharf kritisiert. “Die Kommission schießt sich ins eigene Knie.”

2017 öffnete die Kommission beispielsweise ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn aufgrund eines ähnlichen Gesetzes zur Transparenz von Organisationen, die ausländische Finanzierungen erhalten. Der EuGH urteilte 2021, dass das Gesetz nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei, da es sowohl gegen den freien Kapitalverkehr als auch gegen die Grundrechte verstoße, insbesondere das Recht auf Vereinigungsfreiheit.

Genau dieses Risiko sehen Abgeordnete auch bei der geplanten Richtlinie. In einem Brief forderten vor allem die Grünen, aber auch MEPs von Renew und S&D die Kommission auf, den Vorschlag zu überdenken und zumindest eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Ein solches Gesetz, insbesondere in Form einer Richtlinie, ließe Mitgliedstaaten eine “gefährliche Ermessensfreiheit”. Der Brief sei als Warnschuss gedacht, sagt Sergey Lagodinsky (Grüne) zu Table.Media. “Wir wollen die Gefahr ausländischer Einflussnahme nicht verniedlichen. Aber es geht hier schließlich um Grundrechte.”

USA als zweitgrößter Geldgeber

In Abwesenheit einer Folgenabschätzung bleibt derweil unklar, wie groß das Problem einer ausländischen Einflussnahme auf NROs und andere Interessenvertreter tatsächlich ist. Eine Recherche von Follow The Money zu den NROs des EU-Transparenzregisters zeigte auf, dass das meiste Geld an NROs aus dem EU-Budget kommt. Gleich dahinter kommen die USA, Deutschland und die Niederlande.

Zu den größten US-amerikanischen Geldgebern gehören philanthropische Organisationen wie die Bill & Melinda Gates Foundation und die Open Society Foundation von George Soros. Es sind Erkenntnisse, die insbesondere Verschwörungstheoretikern und Machthabern wie Viktor Orbán in die Hände spielen könnten.  

Präzisionen zum geplanten Paket gab es zuletzt von der Kommissionsberaterin zur äußeren Einflussnahme, Ivana Karásková. Die geplante Richtlinie habe nichts mit dem amerikanischen Foreign Agents Act oder ähnlichen Gesetzen gemein, beruhigte sie im Gespräch mit “Politico”. Die Richtlinie wolle nationale Transparenzregister harmonisieren, in die sich Lobbyisten – etwa Verbände, NROs und Beratungsfirmen eintragen. Sanktionen seien keine vorgesehen. Auch wolle man Organisationen keineswegs als “ausländische Agenten” stigmatisieren.

Transparenzregister existiert bereits

Karásková arbeitet allerdings nicht aktiv an dem geplanten Gesetz, das Dossier liegt bei der Generaldirektion für Justiz und Verbraucher (DG Just). Gleichzeitig lasse eine Richtlinie Mitgliedstaaten immer einen gewissen Spielraum bei der Auslegung von EU-Gesetzen, betont auch die Lobbyexpertin Andreea Nastase. “Ein solches Gesetz nützt Regimen, die gewisse Organisationen diskriminieren wollen.”

Für Nastase ergibt der Harmonisierungsansatz wenig Sinn. “Wir haben bereits ein europäisches Transparenzregister. Wieso verbessern wir nicht das System, das wir haben? Die Kommission verfehlt hier wieder einmal eine Chance, die Probleme wirklich anzugehen.

Die größte Gefahr, die von ausländischer Einflussnahme ausgehe, seien gezielte Desinformationskampagnen und korrumpierte demokratische Prozesse. Die Ursache von Katar-Gate liege nicht bei problematischen NGOs, sondern bei korrupten Politikern und Kommissionsbeamten. “Hier scheint aber der politische Wille zu fehlen, um zu handeln”, sagt die Politikwissenschaftlerin.

  • Europapolitik
  • Europawahlen 2024
  • Ungarn

“Im ESG-Ratingprozess werden Äpfel und Birnen addiert”

Thierry Philipponnat ist Mitgründer der NGO Finance Watch in Brüssel und deren Chefökonom.

Herr Philipponnat, ESG-Ratings bewerten die Leistung eines Unternehmens in den Bereichen Umwelt (E), Soziales (S) und Unternehmensführung (G). Worin besteht Ihre Kritik?

ESG-Investitionen haben zwei Dimensionen: Es gibt die finanzielle Materialität, also die Risikoperspektive von außen nach innen (“outside-in”). Sie beschreibt die finanziellen Auswirkungen äußerer Risiken wie der Umwelt oder sozialer Probleme auf das Unternehmen. Und dann gibt es die Impact-Materialität, also die Auswirkungen eines Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft (“inside-out”). Hinter dem Begriff ESG-Investment stecken also zwei sehr unterschiedliche Dimensionen, was in Ordnung ist – solange wir genau wissen, welches von beiden Zielen wir mit der Investition erreichen wollen.

Und an dieser Stelle mangelt es den Ratings an Aussagekraft?

Es gibt noch ein weiteres Problem: Die drei Bereiche E, S und G sind von Natur aus sehr unterschiedlich. Wenn ich also ein ESG-Rating sehe, sagt mir das nicht ganz klar, ob es sich auf E bezieht, auf S oder auf G. Tatsächlich befasst es sich nämlich mit allen dreien und fasst dies zu einer synthetischen Bewertung zusammen.

Was genau ist daran problematisch?

Im Grunde sagt die Bewertung nichts aus, oder nur sehr wenig. Nehmen wir den Fall eines Unternehmens, das sehr gute soziale Praktiken und eine gute Unternehmensführung vorweist, also seine Mitarbeiter gut behandelt und so weiter – aber schreckliche Auswirkungen auf die Umwelt hat. Es erhält also eine gute Bewertung für S und G, und eine negative Bewertung für E. Dabei kommt dann ein durchschnittlich gutes Rating heraus. Und so finden Sie dann Unternehmen mit sehr negativen Auswirkungen auf die Umwelt in ESG-Portfolios. Auch das kann ein Durchschnittsbürger nicht auf den ersten Blick erkennen, es sei denn, er gräbt sich tief in die Materie hinein.

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht fordern Sie, die unterschiedlichen Bereiche der Ratings voneinander zu trennen. Was bedeutet das?

Wir schlagen etwas sehr Einfaches und Logisches vor: Anbieter von ESG-Ratings erledigen ihre Arbeit ohnehin für jeden einzelnen Bereich. Deshalb sollen sie ein separates Rating für E, S und G sowie jeweils für Impact- und finanzielle Materialität anbieten. Als Nutzer werde ich diese Bewertungen dann richtig verwenden können, mit einer klaren Vorstellung davon, welche Themen ich mit meiner Investition adressiere.

Die Nachhaltigkeitsratingagentur Morningstar Sustainalytics reagierte auf diesen Vorschlag mit dem Einwand, die direkten Nutzerinnen und Nutzer von ESG-Ratings seien keine Kleinanleger, sondern erfahrene professionelle Anleger. Diese würden verstehen, dass verschiedene Anbieter unterschiedliche Bewertungen liefern, und diese Vielfalt schätzen.

Das Problem mit den heutigen ESG-Ratings ist nicht ihre Vielfalt. Vielfalt ist willkommen, solange Klarheit darüber besteht, was bewertet wird und wie es bewertet wird. Das Problem eines ESG-Ratingprozesses, der E, S und G in ihren Dimensionen der finanziellen Materialität und der Impact-Materialität zusammenfasst, besteht darin, dass er Verwirrung stiftet, indem er Äpfel und Birnen addiert – und dass er einen unbegründeten Anschein von Strenge erweckt, der der gesunden Entwicklung von ESG-Investitionen abträglich ist.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass am Ende der Kette das Geld den Kleinanlegern gehört, auch wenn es von professionellen Anlegern verwaltet wird, und dass, wenn die Kleinanleger das Vertrauen verlieren, das gesamte ESG-Investing zusammenbrechen wird.

Am 13. Juni will die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf vorstellen, um ESG-Ratings und deren Anbieter zu regulieren. Neben der Intransparenz und der fehlenden Überwachung des Marktes ist einer Ihrer Kritikpunkte die bestehenden Interessenskonflikte der Ratingagenturen. Worin bestehen diese?

Ich gehe davon aus, dass die schwierigste Debatte jene über die Trennung von Beratungsgeschäft und Ratinggeschäft sein wird. Wenn ein Anbieter von ESG-Ratings Beratungsdienstleistungen an ein Unternehmen verkauft, sollte der Ratinganbieter nicht auch noch das Unternehmen bewerten. Sonst gibt er am Ende eine Bewertung über ein Unternehmen ab, von dem er Geld erhält.

Was schlagen Sie vor?

Unsere Vorschläge sind hier von den Regeln für Kreditratingagenturen inspiriert. Wir sind der Meinung, dass die Regeln, die die EU für Kreditratingagenturen in Bezug auf Interessenkonflikte verabschiedet hat, auch für ESG-Ratingagenturen weitgehend ausreichen werden. Das würde auch die Einführung erleichtern.

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News

Getreide aus der Ukraine: Uneinigkeit über Importbegrenzung

Die Europäische Union muss nach Ansicht von Agrarkommissar Janusz Wojciechowski Getreideimporte aus der Ukraine länger einschränken. Er vertrat die Position, dass die umstrittenen Handelsbeschränkungen am besten bis zum Ende des Jahres verlängert werden sollten, mindestens aber bis Ende Oktober, wie aus einem Abschlussstatement des Polen am Dienstagabend nach einem Treffen der EU-Landwirtschaftsministerinnen und -minister hervorging. Er begründete dies damit, dass deutlich mehr ukrainisches Getreide in die EU – vor allem in Länder wie Polen, Ungarn, und Rumänien – gelange und dort zum Schaden der dortigen Bauern den Markt verzerre.

Wojciechowski stellt sich damit gegen die Meinung von EU-Staaten wie Deutschland. Auch der ukrainische Agrarminister Mykola Solski hatte sich am Dienstag in Brüssel klar gegen die Maßnahmen ausgesprochen. Russland habe versucht, die Beschränkungen für sich zu nutzen, sagte er. So sei der Handel über das sogenannte Schwarzmeerabkommen einige Tage nach den Beschränkungen deutlich schwieriger geworden. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges ist der für die Ukraine wichtige Handel über das Schwarze Meer stark eingeschränkt.

Entsolidarisierung durch Grenzschließungen

Konkret geht es bei den EU-Beschränkungen darum, dass bis zum 5. Juni Weizen, Mais, Rapssamen und Sonnenblumen aus der Ukraine in Bulgarien, Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei nicht mehr frei gehandelt werden dürfen. Ziel ist es, dass weniger Getreide dort verbleibt und mehr in andere EU-Staaten und auf den Weltmarkt gelangt.

Grenzschließungen für Produkte vertrügen sich nicht mit Solidarität mit der Ukraine, sagte Bundesagrarminister Cem Özdemir am Dienstag. “Das zahlt ein bei Herrn Putin, das ist direkte Entsolidarisierung mit der Ukraine”, sagte der Grünen-Politiker mit Blick auf Einschränkungen, die einige EU-Länder zuvor eigenständig erlassen hatten.

Zustimmung kommt auch von anderen EU-Ländern. Die von der EU-Kommission Anfang Mai beschlossenen Maßnahmen seien nicht abgesprochen gewesen und sorgten für ernsthafte Bedenken, heißt es in einem vor knapp drei Wochen bekannt gewordenen Schreiben. Dieses wurde von Deutschland, aber auch anderen großen EU-Staaten wie Frankreich und Spanien sowie zahlreichen weiteren Ländern unterzeichnet.

Özdemir will Getreidehandel zur Chefsache machen

Özdemir forderte die EU-Kommission zudem auf, den Ausbau von Handelswegen zwischen der Ukraine und der EU zur Chefsache machen. “Dabei geht es ganz zentral darum, dass die Erpressbarkeit der Ukraine durch das Schwarzmeerabkommen endlich ein Ende finden muss”, sagte der Grünen-Politiker vor dem Treffen am Dienstag. Mitte des Monats, erst kurz vor Auslaufen des Abkommens zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer, haben sich Russland und die Ukraine auf eine Verlängerung geeinigt.

“Solange Putin und jemand Vergleichbares in Moskau an der Macht ist, ist das Schwarze Meer nicht sicher”, sagte Özdemir. Es sei jetzt wichtig, dass jemand die Führung in der Frage alternativer Exportrouten übernehme. Die Kommission müsse den Mitgliedstaaten helfen, das Problem zu lösen. “Ich erwarte, dass sie sich dieses Themas annimmt, es zur Chefsache erklärt”, forderte er. dpa/luk

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Jourová: Reformen in Ungarn reichen noch nicht

Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová hat Ungarns Fortschritte bei rechtsstaatlichen Reformen gelobt. Die beschlossenen Änderungen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz seien “ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung”, sagte Jourová nach dem Treffen des Allgemeinen Rats in Brüssel. Auch bei der Bekämpfung von Korruption und Interessenkonflikten seien Fortschritte zu beobachten, aber “es gibt noch Arbeit zu tun”.

Die EU-Kommission hält wegen grassierender Korruption, Vetternwirtschaft und anderer rechtsstaatlicher Missstände seit Monaten Milliarden aus dem EU-Budget und der Corona-Aufbaufazilität für Ungarn zurück.

Am Dienstag diskutierten die Europaminister der 27 Mitgliedstaaten über die Entwicklungen in Ungarn und Polen, gegen die seit Längerem bereits Artikel-7-Verfahren laufen. Mit Blick auf das polnische Justizsystem sprach Jourová von “weiterhin ernsthafter Besorgnis”. tho

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EU und USA besorgt über neues Gesetz in Polen

Die EU-Kommission und das US-Außenministerium haben sich besorgt über ein neues Gesetz in Polen geäußert, das bestimmte Personen ohne gerichtliches Verfahren von öffentlichen Ämtern ausschließen lässt. Die EU-Kommission werde nicht zögern, Maßnahmen dagegen zu ergreifen, sagte Justizkommissar Didier Reynders am Dienstag in Brüssel. “Es ist unmöglich, einem solchen System zuzustimmen.”

Das US-Außenministerium erklärte am Montagabend, das Gesetz könne dazu missbraucht werden, in freie und faire Wahlen in Polen zu intervenieren.

Die regierende euroskeptische und nationalistische PiS-Partei hatte das Gesetz durchgesetzt, offenbar auch mit Blick auf die im Oktober oder November anstehende Parlamentswahl. Eine neu eingesetzte Kommission soll danach den Zeitraum von 2007 bis 2022 darauf hin untersuchen, welche Personen unter russischer Einflussnahme gehandelt haben könnten. In einem solchen Fall würde die Sicherheitsüberprüfung negativ ausfallen, was zum Ausschluss von öffentlichen Ämtern führen würde. Einspruch vor Gericht gegen eine solche Entscheidung wäre nicht möglich.

Opposition könnte blockiert werden

Regierungskritiker sehen darin den Vorsatz der PiS, Oppositionspolitiker wie den früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk von einer Machtübernahme auszuschließen, sollte die regierende Partei die Wahl verlieren. Auch der juristische Dienst des polnischen Parlaments hat sich dieserart geäußert.

“Wir teilen die Sorgen vieler Beobachter, dass dieses Gesetz zur Schaffung einer Kommission, die russischen Einfluss untersuchen soll, dazu genutzt werden könnte, Kandidaturen oppositioneller Politiker ohne ordnungsgemäßes Verfahren zu blockieren”, teilte das US-Außenministerium mit.

Polen steht ohnehin in der Kritik der EU-Kommission wegen des Umgangs der Regierung mit der Justiz und den Medien. Die Regierung in Warschau weist den Vorwurf von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zurück. rtr

  • Europapolitik
  • Polen
  • Rechtsstaatlichkeit

Presseschau

EU beruft dringendes Treffen zwischen Serbien und Kosovo ein EURACTIV
NATO verstärkt KFOR-Schutztruppe im Kosovo TAGESSCHAU
EU-Ministerrat: Ungarn und Polen auf Prüfstand in Sachen Rechtsstaatlichkeit EURONEWS
Rechtsstaatlichkeitsbedenken: Deutschland meldet Zweifel an ungarischer EU-Ratspräsidentschaft 2024 an TAGESSPIEGEL
Neues EU-Gesetz macht Rüstungsindustrie nervös EURACTIV
EU-Ethikgremium wird wohl ein zahnloser Tiger EURACTIV
Justizminister Buschmann begrüßt Start von Einheitlichem EU-Patentgericht YAHOONEWS
Vor Gipfel: EU stockt Hilfen für Moldau auf fast 300 Millionen Euro auf DEUTSCHLANDFUNK
Frankreichs Kehrtwende bei der EU-Erweiterung: Macrons Drang nach Osten FAZ
France to open first electric car battery factory in bid to catch up with China EURONEWS
EU-Antwort auf Chinas “Seidenstraße”: Global Gateway-Initiative nimmt Gestalt an FR
EU-Bericht: Christliche Präsenz in Jerusalem zunehmend bedroht FAZ
Starke Trockenheit: EU-Südländer schlagen in Brüssel Alarm EURONEWS
Pedro Sánchez’ Wahlspektakel könnte Spaniens großen EU-Moment trüben EURONEWS
Drei EU-Staaten fordern strengere Regeln für Privatjets HANDELSZEITUNG
Flüge zwischen Moskau und Tiflis belasten Georgiens EU-Kandidatenstatus EURACTIV
EU-Kommission erwartet mehr Engpassmanagement bei der Bahn DVZ
EU bereitet neue Öko-Pläne vor: Viele Produkte werden dadurch verboten MERKUR
Getreide aus der Ukraine: EU-Kommissar für längere Importbegrenzung ARIVA
Bier: Flaschen in Gefahr? Brauer gegen EU auf den Barrikaden MORGENPOST
Sam Altman rudert zurück: OpenAI will EU doch nicht verlassen COMPUTERWOCHE
Italien plant Staatsfonds für KI-Start-ups HANDELSBLATT
EU doubles firefighting fleet in preparation for climate change impacts REUTERS

Standpunkt

Recycelte Metalle gehören in den Rohstoffclub

Von Kilian Schwaiger und Murat Bayram
Kilian Schwaiger (links) ist Geschäftsführer beim Verband Deutscher Metallhändler und Recycler (VDM). Murat Bayram ist Geschäftsführer bei der EMR European Metal Recycling GmbH.

Wenn es nach der EU und den USA geht, soll ein Rohstoffclub westliche Staaten und rohstoffreiche Länder Asiens, Lateinamerikas und Afrikas zusammenbringen, um Rohstoffpartnerschaften auf Augenhöhe zu ermöglichen. Diskutiert wird, ob Regierungen im gegenseitigen Handel mit Bodenschätzen auf Exportbeschränkungen oder Zölle verzichten und ob gemeinsame Umwelt- und Arbeitsschutzstandards für Minen oder Hüttenwerke festgelegt werden können. Kurz: Die gegenseitige Anerkennung soll im Sinne des internationalen Handels vorangetrieben werden.

Metallschrott als Schlüssel für grüne Leitmärkte

Bei dieser Diskussion muss der Metallschrotthandel berücksichtigt werden. Der Handel mit aufbereiteten Metallen ist ein integraler Bestandteil für die Etablierung grüner Leitmärkte, da der Einsatz von Recyclingmaterial eine notwendige Voraussetzung für die Herstellung grüner Produkte ist. Durch den Einsatz von recycelten Metallen wie Aluminium, Kupfer oder Stahl werden Energie und Treibhausgasemissionen eingespart und der Verbrauch von Erzen reduziert.

Dabei ist es wichtig zu betonen, dass ein fairer und freier Handel mit Schrotten nicht nur den Industrieländern vorbehalten sein sollte. Schwellenländer haben das gleiche Recht auf Zugang zu aufbereiteten Metallen. Dieser Zugang ermöglicht es ihnen, eine eigene nachhaltige Industrie aufzubauen und die Vorteile des Recyclings für ihre Wirtschaft und Umwelt zu nutzen.

Auf der Tagung der Material Recycling Association of India betonte der indische Stahlminister, dass Indien als zweitgrößter Stahlproduzent der Welt ein verantwortungsbewusster Stahlproduzent werden wolle und daher mit einem steigenden Schrotteinsatz rechne. Das Material bezieht Indien unter anderem aus den USA und der EU.

Je mehr Kapazitäten, desto mehr Recycling

Damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Handel auf Augenhöhe bedeutet, dass wir Rohstoffe immer dorthin liefern, wo sie gebraucht werden. Für bestimmte Qualitäten von Stahlschrott ist die Türkei ein wichtiger Absatzmarkt, für gewisse Legierungen von Aluminiumschrott Indien, für Nickelschrott die USA. Umgekehrt sind Länder wie Indien wichtige Exporteure von Ferrolegierungen in die EU, die wir hier für die Stahlproduktion benötigen.

Der Handel mit Metallen ist keine Einbahnstraße. Wenn wir Rohstoffe aus dem globalen Süden importieren wollen, dann müssen wir auch Rohstoffe dorthin exportieren. “Close the Loop” heißt eben nicht “Close the Market”. Insbesondere dann nicht, wenn hierzulande die notwendigen Verarbeitungskapazitäten fehlen, um alle aufbereiteten Metalle einzusetzen. Die Formel für eine internationale Kreislaufwirtschaft ist einfach: Je mehr Kapazitäten, desto mehr Recycling.

Handelsbarrieren abbauen

Wir sind heute schon acht Milliarden Menschen auf der Erde. Wenn wir allen ein gewisses Maß an Wohlstand ermöglichen wollen, müssen wir Länder wie Indien, Pakistan, Malaysia oder Thailand in unsere Handelsstrukturen einbeziehen. Das bedeutet, dass wir gemeinsame Umwelt- und Arbeitsstandards anerkennen und damit Import- und Exportbeschränkungen minimieren. Die derzeit diskutierte EU-Abfallverbringungsverordnung erhöht die Handelsbarrieren für Metallschrott, was der Verband Deutscher Metallhändler und Recycler bereits im Jahr 2021 kritisierte.

Umso wichtiger ist es, dass zukünftige Rohstoffclubs die internationalen Märkte der Metallrecyclingwirtschaft berücksichtigen und den gegenseitigen Marktzugang erhalten und fördern. Metallschrotte gehören “in da Club”.

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  • Rohstoffe

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    eine politische Karriere ist oft eine immense Belastung für das Privatleben. So auch beim Europaabgeordneten Ismail Ertug, der nun die Reißleine zieht. Der Verkehrspolitiker wird zum 2. Juli sein Mandat für die SPD-Gruppe niederlegen – aus familiären Gründen, wie er Table.Media sagte. Bereits vergangene Woche hatte Ertug aus diesem Grund sämtliche Social-Media-Accounts dichtgemacht.

    Das Mandat übernimmt Thomas Rudner aus Regensburg. Innerhalb der SPD ein politisch “noch recht unbeschriebenes Blatt” und ein überzeugter Europäer, sagt Ertug über seinen Nachfolger. Rudner war bis 2021 Leiter des deutsch-tschechischen Jugendaustauschprojekts Tandem und ist Fachmann für die deutsch-israelische Zusammenarbeit. Er soll am Tag nach Ertugs Amtsniederlegung offiziell ernannt werden.

    Bevor Ertug aus der Politik ausscheidet, hat er noch eine offene Baustelle: Eines der vier von der Bundesregierung geförderten Wasserstoff-Zentren liegt in Pfeffenhausen – in Ertugs Wahlkreis. Die Bestätigung der Fördersumme von 20 Millionen Euro durch die EU-Kommission steht noch aus. Eigentlich hätte die Generaldirektion Wettbewerb die Freigabe heute herausgeben sollen.

    Nun will Ertug in seinem letzten Monat als EU-Parlamentarier Druck auf Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und die Generaldirektion machen, die Förderung so schnell wie möglich freizugeben.

    Ihr
    Lukas Knigge
    Bild von Lukas  Knigge

    Analyse

    Ausländische Einflussnahme: Von der Leyen macht Druck

    Selten hält die Kommission ein Gesetzesprojekt so unter Verschluss wie das Paket zur Verteidigung der Demokratie, das sie am 7. Juni vorstellen will. Bisher dringen kaum Informationen aus dem Berlaymont.

    Das sorgt für ein gewisses Misstrauen, insbesondere bei der Zivilgesellschaft. Besonders kontrovers: Die geplante Richtlinie über die Finanzierung von Interessenvertretern (“interest representation services” lautet der Begriff, den die Kommission verwendet). Vertreter der Zivilgesellschaft befürchten eine Richtlinie nach dem Vorbild des NRO-Berichts des CDU-Europaabgeordneten Markus Pieper, welcher 2017 gekippt wurde – oder nach Vorbild des amerikanischen Foreign Agent Act. In einem gemeinsamen Statement warnten vor drei Wochen rund 200 NROs vor einem Gesetz, das den Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft begrenzen könnte.

    Kommission will vier Initiativen vorlegen

    Es ist nicht klar, inwiefern das Paket der Kommission diese Warnungen berücksichtigt. Lediglich die Einholung von Erkenntnissen (Call for Evidence), die von Februar bis April lief, bietet einen Einblick. Demnach will die Kommission im Juni vier Initiativen vorlegen:

    • eine Richtlinie zur Einführung gemeinsamer Transparenz- und Rechenschaftsstandards für Interessensvertretungsdienste, die von außerhalb der EU geleitet oder bezahlt werden;
    • eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten bezüglich der verdeckten Einmischung von Drittstaaten;
    • eine Empfehlung zu sicheren und resilienten Wahlprozessen und den bevorstehenden Wahlen;
    • eine weitere Empfehlung zum Bürger-Engagement, um ein sicheres Umfeld für die Zivilgesellschaft zu schaffen.

    Europawahlen als Aufhänger

    Der Call for Evidence verortet das Paket im Kontext der kommenden Europawahlen. Die Kommission befürchtet, wie schon 2019, das Risiko “verdeckter ausländischer Einflussnahme in Wahlangelegenheiten”. Dafür kommt das Paket aber zu spät, denn bis zu den Europawahlen wird keine Richtlinie in nationales Recht umgewandelt sein. 

    Das geplante Gesetz zu den Interessensvertretungsdiensten dürfte vor allem eine Antwort auf den Skandal um Schmiergeldzahlungen durch Katar und Marokko sein. So will die Kommission nach eigener Aussage vorgehen gegen “Organisationen mit Sitz in der EU, die als Vertreter ausländischer Staaten fungieren”. Das lässt vermuten, dass es der Kommission sehr wohl um eine Gesetzgebung im Sinne des US-amerikanischen Foreign Agent Act geht, sich der Verdacht der Zivilgesellschaft also bestätigt.

    Ein solches Gesetz würde sich mit den Forderungen der EVP als Konsequenz aus Katar-Gate decken. “Wir brauchen ein europäisches Äquivalent zum US Foreign Agents Registration Act (FARA). Es darf nicht vorkommen, dass Drittstaaten und Kriminelle NGOs als Tarnorganisationen dazu nutzen, um verschleiert Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen”, forderte beispielsweise die CDU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier im Februar.

    Kommission steht nicht hinter dem Gesetz

    Laut Informationen von Table.Media treibt die Kommissionspräsidentin persönlich die Richtlinie voran. “Wir müssen uns besser vor schädlichen Einflüssen schützen”, versprach sie auch anlässlich ihrer Rede zur Lage der Union. Ihre Kommissare sind von der Initiative allerdings wenig begeistert. Insbesondere Věra Jourová soll sich geweigert haben, das Dossier zu übernehmen und es Didier Reynders zugeschoben haben. Mittlerweile soll sich auch das EEAS um Josep Borrell kritisch zu der geplanten Richtlinie geäußert haben.

    Besonders auffällig ist, dass die Kommission keine Folgenabschätzung vorsieht, wie sie eigentlich im Rahmen der besseren Rechtssetzung (better regulation) Pflicht ist. Stattdessen erwähnt die Kommission im Call for Evidence eine analytische Arbeitsunterlage (staff working document). Allerdings ist diese nach Table.Media-Informationen noch nicht finalisiert.

    Wir haben nicht genug Zeit. Und wir haben nicht genug Daten, um festzustellen, wie groß das Problem der Einflussnahme von Drittstaaten auf NGOs ist. Wir wissen bloß: Das Problem ist ernst und wir sollten nicht naiv sein”, sagte Jourová kürzlich. Der Zeitaspekt lässt sich wohl einerseits durch die anstehenden Europawahlen, wie auch durch die kommenden Ratspräsidentschaften erklären: Im Sommer 2024 übernimmt Ungarn, danach Polen den Ratsvorsitz.

    “Gefährliche Ermessensfreiheit” für Mitgliedstaaten

    Andreea Nastase, die an der Universität Maastricht zu EU-Politik und Lobbying forscht, sieht im geplanten Gesetz eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der EU. Denn Brüssel habe ähnliche Gesetze bisher immer scharf kritisiert. “Die Kommission schießt sich ins eigene Knie.”

    2017 öffnete die Kommission beispielsweise ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn aufgrund eines ähnlichen Gesetzes zur Transparenz von Organisationen, die ausländische Finanzierungen erhalten. Der EuGH urteilte 2021, dass das Gesetz nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei, da es sowohl gegen den freien Kapitalverkehr als auch gegen die Grundrechte verstoße, insbesondere das Recht auf Vereinigungsfreiheit.

    Genau dieses Risiko sehen Abgeordnete auch bei der geplanten Richtlinie. In einem Brief forderten vor allem die Grünen, aber auch MEPs von Renew und S&D die Kommission auf, den Vorschlag zu überdenken und zumindest eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Ein solches Gesetz, insbesondere in Form einer Richtlinie, ließe Mitgliedstaaten eine “gefährliche Ermessensfreiheit”. Der Brief sei als Warnschuss gedacht, sagt Sergey Lagodinsky (Grüne) zu Table.Media. “Wir wollen die Gefahr ausländischer Einflussnahme nicht verniedlichen. Aber es geht hier schließlich um Grundrechte.”

    USA als zweitgrößter Geldgeber

    In Abwesenheit einer Folgenabschätzung bleibt derweil unklar, wie groß das Problem einer ausländischen Einflussnahme auf NROs und andere Interessenvertreter tatsächlich ist. Eine Recherche von Follow The Money zu den NROs des EU-Transparenzregisters zeigte auf, dass das meiste Geld an NROs aus dem EU-Budget kommt. Gleich dahinter kommen die USA, Deutschland und die Niederlande.

    Zu den größten US-amerikanischen Geldgebern gehören philanthropische Organisationen wie die Bill & Melinda Gates Foundation und die Open Society Foundation von George Soros. Es sind Erkenntnisse, die insbesondere Verschwörungstheoretikern und Machthabern wie Viktor Orbán in die Hände spielen könnten.  

    Präzisionen zum geplanten Paket gab es zuletzt von der Kommissionsberaterin zur äußeren Einflussnahme, Ivana Karásková. Die geplante Richtlinie habe nichts mit dem amerikanischen Foreign Agents Act oder ähnlichen Gesetzen gemein, beruhigte sie im Gespräch mit “Politico”. Die Richtlinie wolle nationale Transparenzregister harmonisieren, in die sich Lobbyisten – etwa Verbände, NROs und Beratungsfirmen eintragen. Sanktionen seien keine vorgesehen. Auch wolle man Organisationen keineswegs als “ausländische Agenten” stigmatisieren.

    Transparenzregister existiert bereits

    Karásková arbeitet allerdings nicht aktiv an dem geplanten Gesetz, das Dossier liegt bei der Generaldirektion für Justiz und Verbraucher (DG Just). Gleichzeitig lasse eine Richtlinie Mitgliedstaaten immer einen gewissen Spielraum bei der Auslegung von EU-Gesetzen, betont auch die Lobbyexpertin Andreea Nastase. “Ein solches Gesetz nützt Regimen, die gewisse Organisationen diskriminieren wollen.”

    Für Nastase ergibt der Harmonisierungsansatz wenig Sinn. “Wir haben bereits ein europäisches Transparenzregister. Wieso verbessern wir nicht das System, das wir haben? Die Kommission verfehlt hier wieder einmal eine Chance, die Probleme wirklich anzugehen.

    Die größte Gefahr, die von ausländischer Einflussnahme ausgehe, seien gezielte Desinformationskampagnen und korrumpierte demokratische Prozesse. Die Ursache von Katar-Gate liege nicht bei problematischen NGOs, sondern bei korrupten Politikern und Kommissionsbeamten. “Hier scheint aber der politische Wille zu fehlen, um zu handeln”, sagt die Politikwissenschaftlerin.

    • Europapolitik
    • Europawahlen 2024
    • Ungarn

    “Im ESG-Ratingprozess werden Äpfel und Birnen addiert”

    Thierry Philipponnat ist Mitgründer der NGO Finance Watch in Brüssel und deren Chefökonom.

    Herr Philipponnat, ESG-Ratings bewerten die Leistung eines Unternehmens in den Bereichen Umwelt (E), Soziales (S) und Unternehmensführung (G). Worin besteht Ihre Kritik?

    ESG-Investitionen haben zwei Dimensionen: Es gibt die finanzielle Materialität, also die Risikoperspektive von außen nach innen (“outside-in”). Sie beschreibt die finanziellen Auswirkungen äußerer Risiken wie der Umwelt oder sozialer Probleme auf das Unternehmen. Und dann gibt es die Impact-Materialität, also die Auswirkungen eines Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft (“inside-out”). Hinter dem Begriff ESG-Investment stecken also zwei sehr unterschiedliche Dimensionen, was in Ordnung ist – solange wir genau wissen, welches von beiden Zielen wir mit der Investition erreichen wollen.

    Und an dieser Stelle mangelt es den Ratings an Aussagekraft?

    Es gibt noch ein weiteres Problem: Die drei Bereiche E, S und G sind von Natur aus sehr unterschiedlich. Wenn ich also ein ESG-Rating sehe, sagt mir das nicht ganz klar, ob es sich auf E bezieht, auf S oder auf G. Tatsächlich befasst es sich nämlich mit allen dreien und fasst dies zu einer synthetischen Bewertung zusammen.

    Was genau ist daran problematisch?

    Im Grunde sagt die Bewertung nichts aus, oder nur sehr wenig. Nehmen wir den Fall eines Unternehmens, das sehr gute soziale Praktiken und eine gute Unternehmensführung vorweist, also seine Mitarbeiter gut behandelt und so weiter – aber schreckliche Auswirkungen auf die Umwelt hat. Es erhält also eine gute Bewertung für S und G, und eine negative Bewertung für E. Dabei kommt dann ein durchschnittlich gutes Rating heraus. Und so finden Sie dann Unternehmen mit sehr negativen Auswirkungen auf die Umwelt in ESG-Portfolios. Auch das kann ein Durchschnittsbürger nicht auf den ersten Blick erkennen, es sei denn, er gräbt sich tief in die Materie hinein.

    In einem kürzlich veröffentlichten Bericht fordern Sie, die unterschiedlichen Bereiche der Ratings voneinander zu trennen. Was bedeutet das?

    Wir schlagen etwas sehr Einfaches und Logisches vor: Anbieter von ESG-Ratings erledigen ihre Arbeit ohnehin für jeden einzelnen Bereich. Deshalb sollen sie ein separates Rating für E, S und G sowie jeweils für Impact- und finanzielle Materialität anbieten. Als Nutzer werde ich diese Bewertungen dann richtig verwenden können, mit einer klaren Vorstellung davon, welche Themen ich mit meiner Investition adressiere.

    Die Nachhaltigkeitsratingagentur Morningstar Sustainalytics reagierte auf diesen Vorschlag mit dem Einwand, die direkten Nutzerinnen und Nutzer von ESG-Ratings seien keine Kleinanleger, sondern erfahrene professionelle Anleger. Diese würden verstehen, dass verschiedene Anbieter unterschiedliche Bewertungen liefern, und diese Vielfalt schätzen.

    Das Problem mit den heutigen ESG-Ratings ist nicht ihre Vielfalt. Vielfalt ist willkommen, solange Klarheit darüber besteht, was bewertet wird und wie es bewertet wird. Das Problem eines ESG-Ratingprozesses, der E, S und G in ihren Dimensionen der finanziellen Materialität und der Impact-Materialität zusammenfasst, besteht darin, dass er Verwirrung stiftet, indem er Äpfel und Birnen addiert – und dass er einen unbegründeten Anschein von Strenge erweckt, der der gesunden Entwicklung von ESG-Investitionen abträglich ist.

    Wir dürfen auch nicht vergessen, dass am Ende der Kette das Geld den Kleinanlegern gehört, auch wenn es von professionellen Anlegern verwaltet wird, und dass, wenn die Kleinanleger das Vertrauen verlieren, das gesamte ESG-Investing zusammenbrechen wird.

    Am 13. Juni will die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf vorstellen, um ESG-Ratings und deren Anbieter zu regulieren. Neben der Intransparenz und der fehlenden Überwachung des Marktes ist einer Ihrer Kritikpunkte die bestehenden Interessenskonflikte der Ratingagenturen. Worin bestehen diese?

    Ich gehe davon aus, dass die schwierigste Debatte jene über die Trennung von Beratungsgeschäft und Ratinggeschäft sein wird. Wenn ein Anbieter von ESG-Ratings Beratungsdienstleistungen an ein Unternehmen verkauft, sollte der Ratinganbieter nicht auch noch das Unternehmen bewerten. Sonst gibt er am Ende eine Bewertung über ein Unternehmen ab, von dem er Geld erhält.

    Was schlagen Sie vor?

    Unsere Vorschläge sind hier von den Regeln für Kreditratingagenturen inspiriert. Wir sind der Meinung, dass die Regeln, die die EU für Kreditratingagenturen in Bezug auf Interessenkonflikte verabschiedet hat, auch für ESG-Ratingagenturen weitgehend ausreichen werden. Das würde auch die Einführung erleichtern.

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    News

    Getreide aus der Ukraine: Uneinigkeit über Importbegrenzung

    Die Europäische Union muss nach Ansicht von Agrarkommissar Janusz Wojciechowski Getreideimporte aus der Ukraine länger einschränken. Er vertrat die Position, dass die umstrittenen Handelsbeschränkungen am besten bis zum Ende des Jahres verlängert werden sollten, mindestens aber bis Ende Oktober, wie aus einem Abschlussstatement des Polen am Dienstagabend nach einem Treffen der EU-Landwirtschaftsministerinnen und -minister hervorging. Er begründete dies damit, dass deutlich mehr ukrainisches Getreide in die EU – vor allem in Länder wie Polen, Ungarn, und Rumänien – gelange und dort zum Schaden der dortigen Bauern den Markt verzerre.

    Wojciechowski stellt sich damit gegen die Meinung von EU-Staaten wie Deutschland. Auch der ukrainische Agrarminister Mykola Solski hatte sich am Dienstag in Brüssel klar gegen die Maßnahmen ausgesprochen. Russland habe versucht, die Beschränkungen für sich zu nutzen, sagte er. So sei der Handel über das sogenannte Schwarzmeerabkommen einige Tage nach den Beschränkungen deutlich schwieriger geworden. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges ist der für die Ukraine wichtige Handel über das Schwarze Meer stark eingeschränkt.

    Entsolidarisierung durch Grenzschließungen

    Konkret geht es bei den EU-Beschränkungen darum, dass bis zum 5. Juni Weizen, Mais, Rapssamen und Sonnenblumen aus der Ukraine in Bulgarien, Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei nicht mehr frei gehandelt werden dürfen. Ziel ist es, dass weniger Getreide dort verbleibt und mehr in andere EU-Staaten und auf den Weltmarkt gelangt.

    Grenzschließungen für Produkte vertrügen sich nicht mit Solidarität mit der Ukraine, sagte Bundesagrarminister Cem Özdemir am Dienstag. “Das zahlt ein bei Herrn Putin, das ist direkte Entsolidarisierung mit der Ukraine”, sagte der Grünen-Politiker mit Blick auf Einschränkungen, die einige EU-Länder zuvor eigenständig erlassen hatten.

    Zustimmung kommt auch von anderen EU-Ländern. Die von der EU-Kommission Anfang Mai beschlossenen Maßnahmen seien nicht abgesprochen gewesen und sorgten für ernsthafte Bedenken, heißt es in einem vor knapp drei Wochen bekannt gewordenen Schreiben. Dieses wurde von Deutschland, aber auch anderen großen EU-Staaten wie Frankreich und Spanien sowie zahlreichen weiteren Ländern unterzeichnet.

    Özdemir will Getreidehandel zur Chefsache machen

    Özdemir forderte die EU-Kommission zudem auf, den Ausbau von Handelswegen zwischen der Ukraine und der EU zur Chefsache machen. “Dabei geht es ganz zentral darum, dass die Erpressbarkeit der Ukraine durch das Schwarzmeerabkommen endlich ein Ende finden muss”, sagte der Grünen-Politiker vor dem Treffen am Dienstag. Mitte des Monats, erst kurz vor Auslaufen des Abkommens zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer, haben sich Russland und die Ukraine auf eine Verlängerung geeinigt.

    “Solange Putin und jemand Vergleichbares in Moskau an der Macht ist, ist das Schwarze Meer nicht sicher”, sagte Özdemir. Es sei jetzt wichtig, dass jemand die Führung in der Frage alternativer Exportrouten übernehme. Die Kommission müsse den Mitgliedstaaten helfen, das Problem zu lösen. “Ich erwarte, dass sie sich dieses Themas annimmt, es zur Chefsache erklärt”, forderte er. dpa/luk

    • Agrarpolitik
    • Handelspolitik
    • Klima & Umwelt

    Jourová: Reformen in Ungarn reichen noch nicht

    Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová hat Ungarns Fortschritte bei rechtsstaatlichen Reformen gelobt. Die beschlossenen Änderungen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz seien “ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung”, sagte Jourová nach dem Treffen des Allgemeinen Rats in Brüssel. Auch bei der Bekämpfung von Korruption und Interessenkonflikten seien Fortschritte zu beobachten, aber “es gibt noch Arbeit zu tun”.

    Die EU-Kommission hält wegen grassierender Korruption, Vetternwirtschaft und anderer rechtsstaatlicher Missstände seit Monaten Milliarden aus dem EU-Budget und der Corona-Aufbaufazilität für Ungarn zurück.

    Am Dienstag diskutierten die Europaminister der 27 Mitgliedstaaten über die Entwicklungen in Ungarn und Polen, gegen die seit Längerem bereits Artikel-7-Verfahren laufen. Mit Blick auf das polnische Justizsystem sprach Jourová von “weiterhin ernsthafter Besorgnis”. tho

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    EU und USA besorgt über neues Gesetz in Polen

    Die EU-Kommission und das US-Außenministerium haben sich besorgt über ein neues Gesetz in Polen geäußert, das bestimmte Personen ohne gerichtliches Verfahren von öffentlichen Ämtern ausschließen lässt. Die EU-Kommission werde nicht zögern, Maßnahmen dagegen zu ergreifen, sagte Justizkommissar Didier Reynders am Dienstag in Brüssel. “Es ist unmöglich, einem solchen System zuzustimmen.”

    Das US-Außenministerium erklärte am Montagabend, das Gesetz könne dazu missbraucht werden, in freie und faire Wahlen in Polen zu intervenieren.

    Die regierende euroskeptische und nationalistische PiS-Partei hatte das Gesetz durchgesetzt, offenbar auch mit Blick auf die im Oktober oder November anstehende Parlamentswahl. Eine neu eingesetzte Kommission soll danach den Zeitraum von 2007 bis 2022 darauf hin untersuchen, welche Personen unter russischer Einflussnahme gehandelt haben könnten. In einem solchen Fall würde die Sicherheitsüberprüfung negativ ausfallen, was zum Ausschluss von öffentlichen Ämtern führen würde. Einspruch vor Gericht gegen eine solche Entscheidung wäre nicht möglich.

    Opposition könnte blockiert werden

    Regierungskritiker sehen darin den Vorsatz der PiS, Oppositionspolitiker wie den früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk von einer Machtübernahme auszuschließen, sollte die regierende Partei die Wahl verlieren. Auch der juristische Dienst des polnischen Parlaments hat sich dieserart geäußert.

    “Wir teilen die Sorgen vieler Beobachter, dass dieses Gesetz zur Schaffung einer Kommission, die russischen Einfluss untersuchen soll, dazu genutzt werden könnte, Kandidaturen oppositioneller Politiker ohne ordnungsgemäßes Verfahren zu blockieren”, teilte das US-Außenministerium mit.

    Polen steht ohnehin in der Kritik der EU-Kommission wegen des Umgangs der Regierung mit der Justiz und den Medien. Die Regierung in Warschau weist den Vorwurf von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zurück. rtr

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    Presseschau

    EU beruft dringendes Treffen zwischen Serbien und Kosovo ein EURACTIV
    NATO verstärkt KFOR-Schutztruppe im Kosovo TAGESSCHAU
    EU-Ministerrat: Ungarn und Polen auf Prüfstand in Sachen Rechtsstaatlichkeit EURONEWS
    Rechtsstaatlichkeitsbedenken: Deutschland meldet Zweifel an ungarischer EU-Ratspräsidentschaft 2024 an TAGESSPIEGEL
    Neues EU-Gesetz macht Rüstungsindustrie nervös EURACTIV
    EU-Ethikgremium wird wohl ein zahnloser Tiger EURACTIV
    Justizminister Buschmann begrüßt Start von Einheitlichem EU-Patentgericht YAHOONEWS
    Vor Gipfel: EU stockt Hilfen für Moldau auf fast 300 Millionen Euro auf DEUTSCHLANDFUNK
    Frankreichs Kehrtwende bei der EU-Erweiterung: Macrons Drang nach Osten FAZ
    France to open first electric car battery factory in bid to catch up with China EURONEWS
    EU-Antwort auf Chinas “Seidenstraße”: Global Gateway-Initiative nimmt Gestalt an FR
    EU-Bericht: Christliche Präsenz in Jerusalem zunehmend bedroht FAZ
    Starke Trockenheit: EU-Südländer schlagen in Brüssel Alarm EURONEWS
    Pedro Sánchez’ Wahlspektakel könnte Spaniens großen EU-Moment trüben EURONEWS
    Drei EU-Staaten fordern strengere Regeln für Privatjets HANDELSZEITUNG
    Flüge zwischen Moskau und Tiflis belasten Georgiens EU-Kandidatenstatus EURACTIV
    EU-Kommission erwartet mehr Engpassmanagement bei der Bahn DVZ
    EU bereitet neue Öko-Pläne vor: Viele Produkte werden dadurch verboten MERKUR
    Getreide aus der Ukraine: EU-Kommissar für längere Importbegrenzung ARIVA
    Bier: Flaschen in Gefahr? Brauer gegen EU auf den Barrikaden MORGENPOST
    Sam Altman rudert zurück: OpenAI will EU doch nicht verlassen COMPUTERWOCHE
    Italien plant Staatsfonds für KI-Start-ups HANDELSBLATT
    EU doubles firefighting fleet in preparation for climate change impacts REUTERS

    Standpunkt

    Recycelte Metalle gehören in den Rohstoffclub

    Von Kilian Schwaiger und Murat Bayram
    Kilian Schwaiger (links) ist Geschäftsführer beim Verband Deutscher Metallhändler und Recycler (VDM). Murat Bayram ist Geschäftsführer bei der EMR European Metal Recycling GmbH.

    Wenn es nach der EU und den USA geht, soll ein Rohstoffclub westliche Staaten und rohstoffreiche Länder Asiens, Lateinamerikas und Afrikas zusammenbringen, um Rohstoffpartnerschaften auf Augenhöhe zu ermöglichen. Diskutiert wird, ob Regierungen im gegenseitigen Handel mit Bodenschätzen auf Exportbeschränkungen oder Zölle verzichten und ob gemeinsame Umwelt- und Arbeitsschutzstandards für Minen oder Hüttenwerke festgelegt werden können. Kurz: Die gegenseitige Anerkennung soll im Sinne des internationalen Handels vorangetrieben werden.

    Metallschrott als Schlüssel für grüne Leitmärkte

    Bei dieser Diskussion muss der Metallschrotthandel berücksichtigt werden. Der Handel mit aufbereiteten Metallen ist ein integraler Bestandteil für die Etablierung grüner Leitmärkte, da der Einsatz von Recyclingmaterial eine notwendige Voraussetzung für die Herstellung grüner Produkte ist. Durch den Einsatz von recycelten Metallen wie Aluminium, Kupfer oder Stahl werden Energie und Treibhausgasemissionen eingespart und der Verbrauch von Erzen reduziert.

    Dabei ist es wichtig zu betonen, dass ein fairer und freier Handel mit Schrotten nicht nur den Industrieländern vorbehalten sein sollte. Schwellenländer haben das gleiche Recht auf Zugang zu aufbereiteten Metallen. Dieser Zugang ermöglicht es ihnen, eine eigene nachhaltige Industrie aufzubauen und die Vorteile des Recyclings für ihre Wirtschaft und Umwelt zu nutzen.

    Auf der Tagung der Material Recycling Association of India betonte der indische Stahlminister, dass Indien als zweitgrößter Stahlproduzent der Welt ein verantwortungsbewusster Stahlproduzent werden wolle und daher mit einem steigenden Schrotteinsatz rechne. Das Material bezieht Indien unter anderem aus den USA und der EU.

    Je mehr Kapazitäten, desto mehr Recycling

    Damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Handel auf Augenhöhe bedeutet, dass wir Rohstoffe immer dorthin liefern, wo sie gebraucht werden. Für bestimmte Qualitäten von Stahlschrott ist die Türkei ein wichtiger Absatzmarkt, für gewisse Legierungen von Aluminiumschrott Indien, für Nickelschrott die USA. Umgekehrt sind Länder wie Indien wichtige Exporteure von Ferrolegierungen in die EU, die wir hier für die Stahlproduktion benötigen.

    Der Handel mit Metallen ist keine Einbahnstraße. Wenn wir Rohstoffe aus dem globalen Süden importieren wollen, dann müssen wir auch Rohstoffe dorthin exportieren. “Close the Loop” heißt eben nicht “Close the Market”. Insbesondere dann nicht, wenn hierzulande die notwendigen Verarbeitungskapazitäten fehlen, um alle aufbereiteten Metalle einzusetzen. Die Formel für eine internationale Kreislaufwirtschaft ist einfach: Je mehr Kapazitäten, desto mehr Recycling.

    Handelsbarrieren abbauen

    Wir sind heute schon acht Milliarden Menschen auf der Erde. Wenn wir allen ein gewisses Maß an Wohlstand ermöglichen wollen, müssen wir Länder wie Indien, Pakistan, Malaysia oder Thailand in unsere Handelsstrukturen einbeziehen. Das bedeutet, dass wir gemeinsame Umwelt- und Arbeitsstandards anerkennen und damit Import- und Exportbeschränkungen minimieren. Die derzeit diskutierte EU-Abfallverbringungsverordnung erhöht die Handelsbarrieren für Metallschrott, was der Verband Deutscher Metallhändler und Recycler bereits im Jahr 2021 kritisierte.

    Umso wichtiger ist es, dass zukünftige Rohstoffclubs die internationalen Märkte der Metallrecyclingwirtschaft berücksichtigen und den gegenseitigen Marktzugang erhalten und fördern. Metallschrotte gehören “in da Club”.

    • Klima & Umwelt
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    Europe.Table Redaktion

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