der Rechtsruck in vielen EU-Staaten dominierte gestern die politischen Debatten – der Schrecken über die Wahlsiege des Rassemblement National, der FPÖ oder der zweite Platz für die AfD ist vielen Politikern und Beobachtern in die Glieder gefahren. Und doch: Die Europawahl hat für relativ klare Verhältnisse gesorgt. Nicht in Paris, Wien oder Berlin, wohl aber in Brüssel.
Die EVP ist die eindeutige Siegerin dieser Wahl, das erkennen auch Sozialdemokraten und Liberale an. Sie wollen nun zügig mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über eine Fortsetzung des bisherigen Bündnisses verhandeln. Allzu forsche Forderungen formulieren können sie wohl kaum angesichts der neuen Stärke der Christdemokraten. Auch die Grünen dürften bald in die Gespräche eingebunden werden. Ohne sie haben die drei Mitglieder der bisherigen “Ursula-Koalition” ein etwas dünnes Polster von 39 Sitzen.
Auch den Staats- und Regierungschefs gibt das Wahlergebnis wenig Anlass, den Anspruch von Wahlsiegerin Ursula von der Leyen auf eine zweite Amtszeit infrage zu stellen. Diplomaten halten es für realistisch, dass sie sich schon beim informellen Abendessen am kommenden Montag auf ein Personalpaket einigen können.
Die zweitplatzierten Sozialdemokraten könnten demnach den Präsidenten des Europäischen Rates stellen; klarer Favorit ist der frühere Ministerpräsident Portugals, António Costa. Die drittplatzierten Liberalen würden dann die Außenbeauftragte stellen, wohl in Person der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Die EVP könnte in diesem Szenario noch die Spitze des Europaparlaments besetzen, und zwar in Person von Amtsinhaberin Roberta Metsola.
So weit, so übersichtlich. Wenn nicht doch noch die nationalen Turbulenzen diese Ordnung durcheinanderwirbeln: In Brüssel und Berlin jedenfalls wird sorgenvoll nach Paris geblickt, wo Emmanuel Macron mit den Neuwahlen der Nationalversammlung ein Vabanquespiel spielt. Womöglich wolle sich der Präsident im anstehenden Wahlkampf nicht angreifbar machen durch seine Unterstützung für von der Leyen, so die Sorge. Damit aber würde Frankreichs Präsident die Neuaufstellung der EU auf Monate lähmen.
Der lettische Kommissionsvizepräsident sprach am Montag nach den Europawahlen mit Table.Briefings. Die lettische EVP-Liste, die er anführte, erreichte den höchsten Stimmenanteil im Land. Am gestrigen Montagabend nominierte die lettische Premierministerin Evika Siliņa den erfahrenen EU-Kommissar für ein weiteres Mandat. Aktuell hält Dombrovskis sich für die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin auf.
Herr Dombrovskis, was ist Ihre erste Reaktion nach den gestrigen Europawahlen?
Die erste Schlussfolgerung ist, dass die pro-europäischen, zentristischen politischen Kräfte weiterhin eine Mehrheit im Europäischen Parlament haben werden. Die EVP wird weiterhin die größte und einflussreichste Kraft in der EU sein. So werden wir in der Lage sein, die Herausforderungen anzugehen, die wir im nächsten politischen Zyklus bewältigen müssen – die Stärkung der europäischen Sicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft.
Sie gehen heute nach Berlin zur Ukraine-Wiederaufbaukonferenz. Was erwarten Sie sich von dieser Konferenz?
Die Wiederaufbaukonferenz ist ein wichtiger Schritt für den Wiederaufbau der Ukraine, der uns hilft, die Arbeit zu koordinieren. Natürlich hoffe ich, dass es Ankündigungen vonseiten der EU geben wird, die ich jetzt noch nicht verraten kann. Aber neben dieser öffentlichen Unterstützung ist es wichtig, auch private Investitionen und die Beteiligung des Privatsektors am Wiederaufbau der Ukraine sicherzustellen. Deshalb begrüßen wir, dass auf dem Wiederaufbauforum internationale Unternehmen und Investoren mit ukrainischen Unternehmen und auch mit Vertretern der Regionen und Kommunen zusammenkommen werden, um über private Investitionen in der Ukraine zu diskutieren.
Bei den G7 gibt es eine Diskussion zu den eingefrorenen russischen Vermögenswerten. Die USA schlagen vor, die Gewinne aus diesen Vermögenswerten als Garantie zu nutzen, um ein viel größeres Darlehen für die Ukraine zu ermöglichen, anstatt die Gewinne direkt für die Ukraine zu verwenden, wie es der EU-Rat vorgeschlagen hat. Was halten Sie von dem Vorschlag?
Wir sind offen für eine Diskussion über das Konzept, diesen Finanzierungsfluss zu nutzen, um der Ukraine ein wesentlich größeres Darlehen zu gewähren.Über die genauen Modalitäten, ob es sich exakt um den Vorschlag der USA handelt oder um eine Art kooperativen Ansatz, bei dem die internationale Gemeinschaft dieses Darlehen auf der Grundlage der Hebelwirkung dieser Mittel bereitstellt, wird noch diskutiert. Aber konzeptionell stehen wir dieser Idee positiv gegenüber.
Was ist das Problem bei den Modalitäten?
Ein Thema, das in diesem Zusammenhang wichtig ist, sind Zusicherungen, dass diese russischen Vermögenswerte als Grundlage für diese ganze Hebeloperation eingefroren bleiben. Einerseits gibt es den G7-Beschluss, der besagt, dass die russischen Vermögenswerte so lange blockiert bleiben sollen, wie Russland der Ukraine keine Reparationen für den von ihm verursachten Schaden gezahlt hat. Das wird in dieser Hinsicht helfen. Andererseits sieht das EU-Sanktionssystem aber eine regelmäßige Erneuerung dieses Beschlusses vor. Eine wichtige Frage ist also, wie man eine langfristige Sicherheit für diese Operation erreichen kann.
Wann wird die Kommission ihre vorläufige Entscheidung zu den Elektroauto-Zöllen bekannt geben?
Wir arbeiten derzeit daran, und man kann davon ausgehen, dass es bald so weit ist. Ein genaues Datum kann ich nicht nennen, aber es wird kommen.
Wie bestimmen Sie, wie hoch dieser Zoll sein soll?
Nun, es ist eine faktenbasierte Untersuchung. Ausschlaggebend für die Höhe der Zölle ist also der Umfang der anfechtbaren Subventionen. Es hängt auch davon ab, inwieweit die Unternehmen bei dieser Untersuchung mitarbeiten. Im Allgemeinen ist es jedoch besser, wenn die Unternehmen bei dieser Untersuchung mitarbeiten, da wir andernfalls Vermutungen anstellen, die für die nicht kooperierenden Unternehmen möglicherweise nicht von Vorteil sind.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit chinesischen Herstellern?
Nun, ich würde sagen, es gab ein unterschiedliches Maß an Kooperationsbereitschaft seitens chinesischer Unternehmen (lacht).
Können Sie das ausführen?
Mit einigen war die Zusammenarbeit recht gut, mit anderen weniger gut.
Und wenn Sie jetzt von chinesischen Herstellern sprechen, meinen Sie dann chinesische Marken oder auch europäische Marken, die in China produzieren lassen?
Letztendlich wird es Auswirkungen auf alle chinesischen Ausfuhren in die EU haben. Aber konkret geht es uns vor allem um einige chinesische Marken.
Haben Sie auch mit deutschen Autoherstellern gesprochen?
Wir stehen natürlich mit den Mitgliedstaaten in Kontakt zu diesen Themen. In Deutschland gehen die Meinungen über diese Untersuchung ein wenig auseinander. Aber wir halten es für wichtig, dass wir diese Untersuchung abschließen, denn Tatsache ist, dass China seine Elektrofahrzeugindustrie subventioniert und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Das Ziel dieser Untersuchung besteht also nicht darin, protektionistische Zölle zu erheben und chinesische Hersteller komplett zu verbieten, sondern darin, den unfairen Vorteil zu beseitigen, den chinesische Hersteller durch Subventionen haben.
China bereitet schon jetzt einige Gegenmaßnahmen für den Fall vor, dass die EU diese Zölle erhebt. Wie kann die Kommission darauf reagieren? Planen Sie bereits voraus?
Das bleibt abzuwarten. Aber es ist erwähnenswert, dass die USA zum Beispiel vor kurzem Zölle von 100 Prozent auf chinesische Elektrofahrzeuge erhoben haben. Die Türkei hat ihre Zölle erheblich erhöht. Der EU-Markt ist also derzeit der größte Markt, der chinesischen Herstellern offensteht. Und wir sehen, dass der Marktanteil der chinesischen Hersteller sehr schnell wächst. Unter diesem Gesichtspunkt stellt dies natürlich auch eine Gefahr für die europäische Industrie dar. Und wenn wir nicht reagieren, wird es nur noch schlimmer werden.
Nach allem, was man hört, scheinen die chinesischen Autos von sehr guter Qualität zu sein. Wie muss die EU ihre Herangehensweise an die Industriepolitik ändern, damit die Europäer vielleicht das nächste Mal die besten Autos haben?
Zunächst einmal würde ich sagen, dass die EU viele sehr starke Automobilhersteller hat, die auch eine starke Wettbewerbsposition haben. Gleichzeitig muss man aber auch zugeben, dass die europäischen Automobilhersteller relativ langsam in Richtung Elektromobilität unterwegs waren. Und China ist jetzt vielleicht einen Schritt weiter. Es gibt also einen gewissen Nachholbedarf. Es geht uns aber nicht darum, unsere Industrie vor dem Wettbewerb zu schützen, sondern nur darum, den unlauteren Wettbewerb auszugleichen.
Die EU-Wirtschaft hinkt den USA hinterher. Das sehen wir in vielen verschiedenen Statistiken. Die Industrie ist sehr besorgt. Was muss die nächste Kommission anders machen als die jetzige?
Zunächst einmal muss man sagen, dass sich die europäische Wirtschaft trotz sehr komplizierter Umstände als widerstandsfähig erweist. Aber es stimmt auch, dass es neben den Herausforderungen, mit denen wir im Moment durch den Krieg mit Russland konfrontiert sind, auch langfristige strukturelle Herausforderungen gibt, die wir angehen müssen, wie das relativ geringe Produktivitätswachstum in der EU im Vergleich zu den USA oder China, die Bevölkerungsalterung und die relativ hohen Energiepreise. Daher müssen wir der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft große Aufmerksamkeit schenken. Wie Sie wissen, hat die Europäische Kommission eine Initiative zur Verringerung des Administrationsaufwands um 25 Prozent vorgelegt. Es ist wichtig, dass diese Verpflichtung eingehalten wird.
Wann können wir mit einem Vorschlag zur Verringerung des Bürokratieaufwands rechnen?
Nun, die Europäische Kommission hat bereits mit der Arbeit an diesen Vorschlägen begonnen. Wir haben auch eine Aufforderung zur Einreichung von Beweisen veröffentlicht, in der wir verschiedene Interessengruppen bitten, uns Beweise für übermäßigen oder unnötigen bürokratischen Aufwand zu liefern, damit wir sehen können, wo genau wir den Verwaltungsaufwand verringern können. Natürlich ist es wichtig, dass sich dies auch in unseren politischen Prioritäten für die nächste Kommission widerspiegelt und dass die Interessengruppen, insbesondere die Wirtschaft, anhaltenden Druck ausüben, damit dies auch tatsächlich umgesetzt wird.
Wird es einen solchen Vorschlag noch vor Jahresende geben?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist es für mich schwierig, den Entscheidungen der nächsten Europäischen Kommission vorzugreifen. Aber deshalb betone ich, dass es wichtig ist, dass sich die Initiative in den politischen Prioritäten der nächsten Kommission widerspiegelt und dass es eine Kontinuität dieser Initiative von dieser Kommission zur nächsten Kommission gibt.
Deutschland prägt die EU-Wirtschaft stark, doch hier läuft es besonders schlecht. Was sollte Deutschland anders machen?
Was die deutsche Wirtschaft anbelangt, so sehen wir auch starke Seiten, einschließlich eines widerstandsfähigen Arbeitsmarktes. Ein Bereich, in dem eine Verstärkung notwendig sein wird, sind die Investitionen, denn was die öffentlichen Investitionen angeht, könnte Deutschland tatsächlich mehr tun. Und das würde sowohl die deutsche Wirtschaft als auch die europäische Wirtschaft insgesamt unterstützen.
Wenn Deutschland also mehr Geld ausgibt, würde das seine Wirtschaft und die europäische Wirtschaft ankurbeln und wahrscheinlich auch den Druck auf andere, stärker verschuldete EU-Länder verringern. Wie versuchen Sie, den Deutschen diese Idee zu verkaufen?
Wie Sie wissen, koordinieren wir all diese Fragen im Rahmen des Europäischen Semesters. Und wir haben Deutschland stets empfohlen, seine öffentlichen Investitionen zu erhöhen. Ein wichtiges Element ist meines Erachtens, dass wir uns vor Kurzem auf einen neuen EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung geeinigt haben. Dieser Rahmen gibt den Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei der Festlegung ihres finanzpolitischen Anpassungspfads und mehr Möglichkeiten zur Korrektur dieses Anpassungspfads, wenn ein Land Reformen und Investitionen im Einklang mit den europäischen Prioritäten durchführt. Daher ermutigen wir natürlich auch Deutschland, diese Möglichkeiten zu nutzen.
Nach dem klaren Wahlsieg der EVP wollen sich die Partner der bisherigen Von-der-Leyen-Kommission schnell zusammenraufen und über eine Neuauflage der informellen Zusammenarbeit verhandeln. Sozialisten (S&D) und Liberale (Renew) hatten bereits am Wahlabend Ursula von der Leyen zu ihrem Erfolg gratuliert und sich zum Spitzenkandidatenprinzip bekannt. Am heutigen Dienstag treffen sich erstmals die Chefs der bisherigen Fraktionen und loten aus, ob die Wahl der Kommissionspräsidentin bereits am 18. oder 19. Juli in Straßburg stattfinden kann.
Der SPD-Abgeordnete Matthias Ecke betont im Hinblick auf Verhandlungen: “Wenn dem keine sachlichen Fragen entgegenstehen, sollten wir das sehr schnell angehen.” Es gebe eine Erwartungshaltung an die Handlungsfähigkeit der europäischen Politik, sagte er bei einer Veranstaltung von Table.Briefings, Europäischer Bewegung Deutschland und der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens beim Bund. “Und es gibt nach den ersten Erkenntnissen auch Mehrheiten, die das ermöglichen.”
Auch FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann mahnt eine Zusammenarbeit der pro-europäischen Parteien an. “Wir müssen das hinbekommen”, sagte sie auf der gleichen Veranstaltung. Die nationalistischen Kräfte müssten unbedingt weiter ausgegrenzt werden. “Es gibt nicht ein bisschen rechts und ein bisschen mehr rechts. Ich warne davor, mit denen zusammenzuarbeiten.”
CDU-Chef Friedrich Merz verbat sich Redeverbote: “Die Wahlverlierer haben uns keine Bedingungen zu diktieren, mit wem wir sprechen dürfen oder nicht sprechen.” EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen will erst einmal mit Sozialisten und Liberalen verhandeln. Die “Reihenfolge” sei sehr klar, zunächst werde man Gespräche mit S&D und Renew beginnen. “Das ist der erste Schritt”, sagte sie. Sie deutete aber zugleich an, auch mit den Grünen reden zu wollen. “Daraus können weitere Schritte folgen.” Bei der Wahl der Kommissionspräsidentin muss wieder mit Abweichlern aus den Reihen von EVP, S&D und Renew gerechnet werden.
Die EVP kommt nach der Sitzprojektion des Europaparlaments auf 186 Sitze, S&D liegt bei 135 Sitzen, die Liberalen bei 79. Zusammen kommen die drei Fraktionen der Von-der-Leyen-Koalition auf 400 Sitze. 361 Stimmen sind für die Wahl der Kommissionspräsidentin nötig. Daher hat die informelle Koalition keine komfortable Mehrheit.
Die Grünen büßen 19 Mandate ein und kommen nur noch auf 53 Sitze. Im vorigen Parlament waren die Grünen viertstärkste Fraktion, nun liegen sie nur noch auf Platz sechs. Die Linke verliert einen Sitz und hat nur noch 36 Abgeordnete. Die konservative EKR-Fraktion steigert die Zahl der Sitze von 69 auf 73. Die rechtsradikale ID-Fraktion legt von 49 auf 58 Sitze zu. Die Fraktionslosen kommen auf 45 Abgeordnete. Dazu zählen etwa die Fidesz- und die AfD-Abgeordneten. Ein hochrangiger Fidesz-Funktionär kündigte an, dass die Delegation sich der EKR anschließen wolle. Außerdem gibt es 55 neue Abgeordnete, die keiner Fraktion des bisherigen Parlaments angehören, etwa die BSW-Abgeordneten aus Deutschland.
Bis zur ersten Sitzungswoche in Straßburg (16. bis 19. Juli) könnte sich das Mehrheitsverhältnis noch ändern. Die Fraktionen versuchen Parteien, die neu ins Europaparlament eingezogen sind, als Mitglieder zu gewinnen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass neue Fraktionen entstehen oder Fraktionen zerfallen. Eine Fraktion muss mindestens 23 Mitglieder haben, die aus sieben oder mehr Mitgliedstaaten kommen.
Der “Transfermarkt” zwischen den Fraktionen im Europaparlament ist eins der spannendsten Rituale in den Wochen nach einer Europawahl. Mit 45 Fraktionslosen und 55 neu gewählten, bisher ebenfalls ungebundenen Abgeordneten gibt es diesmal besonders viel Spielraum für Verhandlungen.
In den 186 Sitzen, die den Christdemokraten in der Sitzprojektion des Europäischen Parlaments zugeschrieben werden, sind bereits zwölf Abgeordnete enthalten, die nicht von EVP-Mitgliedsparteien kommen und bislang noch nicht zur Fraktion zählten: drei Abgeordnete aus den Niederlanden von Bauern- und Bürgerbewegung (BBB) und Neuem Gesellschaftsvertrag (Dirk Gotink), der lettische Abgeordnete Reinis Pozņaks (United List), Abgeordnete der liberalen Allianz aus Dänemark sowie sieben ungarische Abgeordnete der Partei Tisza von Péter Magyar.
Diese Parteien hatten der EVP bereits vorab signalisiert, dass sie Mitglied in der Fraktion werden wollen. Manfred Weber wird weitere Parteien in den nächsten Tagen umwerben, wenn deren neu gewählte Abgeordneten erstmals nach Brüssel kommen. Spekuliert wird über Zugewinne aus der EKR: je drei belgische Abgeordnete der N-VA sowie der tschechischen ODS könnten sich anschließen.
Bis zum Wahltag hatte die EVP den Mitgliedsparteien aus Spanien und Belgien zugesichert, keine Abwerbeaktion zu starten. ODS und N-VA wollen nicht mit Viktor Orbáns Fidesz in einer Fraktion sein. Allerdings haben die EVP-Mitgliedsparteien ein Vetorecht. Sollte also der Fidesz bei der EKR andocken, wäre ein Übertritt von N-VA und ODS umso wahrscheinlicher und die EKR könnte mit 192 Sitzen in die erste Sitzungswoche und die Verhandlungen um Ausschussvorsitze gehen.
Bei den europäischen Sozialdemokraten zeichnet sich ein neues Kräfteverhältnis ab. Die italienische Delegation hat Stand Montagnachmittag die spanischen Sozialisten als stärkste nationale Gruppierung abgelöst. Der Partito Democratico von Elly Schlein hat demnach 21 Sitze, die PSOE von Pedro Sánchez 20. Wenn die Fraktion am 25. Juni ihre neue Führung wählt, muss der neue Vorsitzende zwar nicht zwingend aus der stärksten Delegation kommen. Allerdings wird ausgerechnet den Italienern Unzufriedenheit mit der bisherigen Führung der Spanierin Iratxe García Pérez nachgesagt.
Ein möglicher Konkurrent um den Fraktionsvorsitz ist Nicola Zingaretti. Der ehemalige PD-Chef zog 2004 schon einmal ins Europäische Parlament ein und war bis 2022 Regionalpräsident von Latium und damit einem deutschen Ministerpräsidenten vergleichbar. Nach seiner Wiederkehr nach Straßburg dürfte er kaum auf den hinteren Bänken Platz nehmen wollen.
García Pérez hatte früher Ambitionen auf die Parlamentspräsidentschaft erkennen lassen. Ob sie oder Katarina Barley für die zweite Hälfte der Legislatur nominiert werden, müssen die Parteivorsitzenden von SPD und PSOE untereinander ausmachen.
Eine Wiederaufnahme der beiden sozialistischen Parteien aus der Slowakei in die PSE und die S&D-Fraktion ist bisher nicht erkennbar. Smer und Hlas haben zwar den Wiedereinzug ins Straßburger Parlament mit zusammen sechs Abgeordneten geschafft, allerdings koalieren sie in Bratislava immer noch mit der rechtsextremen SNS.
Nach der schweren Niederlage der Spitzenkandidatin von Renew, Valérie Hayer, ist fraglich, ob sie weiterhin den Vorsitz der Fraktion übernehmen wird. Dies deutet ein hochrangiger Renew-Vertreter an. Hayer sagte am Montag, dass sie den Vorsitz der Renew-Gruppe behalten wolle. Sie weist darauf hin, dass die französische Delegation von Renew trotz der Verluste weiterhin die größte ist.
Doch wie die französische Quelle sagte, sind die niederländischen Liberalen unzufrieden. Hayer hatte angekündigt, dass diese wegen ihres Bündnisses mit den Rechtsextremen in der neuen niederländischen Regierung aus der Fraktion ausgeschlossen werden könnten. “Wir werden diese Woche informelle und offene Gespräche mit der VVD führen”, sagte Hayer.
Sie betonte, dass die Renew-Fraktion bei der Koalitionsbildung “eine zentristische und zentrale Partei” bleibe. Derzeit spreche sie mit der Volt-Fraktion und anderen zentristischen politischen Gruppierungen, die gute Ergebnisse erzielt hätten. In erster Linie handelt es sich dabei um die portugiesische Iniciativa Liberal und die slowakische Progresívne Slovensko.
Sollte Volt tatsächlich zu Renew wechseln, würde die Grünen-Fraktion weiter schrumpfen. Unklar ist, ob sie anderweitig Zuwachs verbuchen könnte. Ein mögliches neues Mitglied könnte die italienische Fünf-Sterne-Bewegung sein. Allerdings scheint diese auch Gespräche mit dem BSW zu führen. Ansonsten schielt man bei den Grünen offenbar auch auf einzelne fraktionslose Abgeordnete sowie mögliche MEPs aus der Linken-Fraktion, sollte BSW dort eintreten und dadurch andere Abgeordnete oder Parteien zum Austritt bewegen.
Personelle Konsequenzen scheint die Wahlschlappe der Grünen auf europäischer Ebene noch nicht zu haben. Spitzenkandidatin Terry Reintke will wieder Fraktionschefin werden. Ob auch Co-Spitzenkandidat Bas Eickhout antritt, werde er erst im Laufe der Woche entscheiden, sagte er zu Table.Briefings.
In der konservativen Fraktion ist die Frage, ob der Fidesz von Viktor Orbán um Aufnahme bittet. Die polnische PiS hatte sich für die Aufnahme der bislang fraktionslosen Ungarn starkgemacht. Im Gegenzug würden aber wohl die tschechische ODS und die belgische N-VA die Fraktion verlassen. Am Montag gab es noch keine Signale, was Orbán plant, der bei den Europawahlen einen Dämpfer bekommen hat.
Mit einem Ergebnis von knapp 16 Prozent bei der Europawahl, die Alice Weidel als “Riesenerfolg” wertet, zieht die AfD “gelassen und selbstbewusst” in Verhandlungen über ihre künftige Fraktionszugehörigkeit, wie die Co-Parteichefin am Montag verkündete. Sie gratulierte der “Schwesterpartei” FPÖ. Dass die Rechtsextremen aus Österreich als Partner in Brüssel infrage kommen könnten, vernahm Table.Briefings am Wahlabend auch aus hohen Parteikreisen in Sachsen, wo die AfD fast ein Drittel der Stimmen holte.
Alleingänge der AfD-Delegation in Brüssel könnten künftig seltener werden als in der vergangenen Legislaturperiode. Schon beim Listenparteitag in Magdeburg wussten führende Parteikreise bestimmte Kandidaturen zu verhindern. Mit dem Ausschluss von Maximilian Krah und der Wahl von René Aust als Delegationsführer manifestiert die Parteispitze ihre Kontrolle auf die Brüsseler Abgeordneten. Von einer größeren Nähe zur Parteiführung sprach auch Aust am Montag.
Dass Petr Bystron anders als Krah trotz ähnlicher Vorwürfe Teil der AfD-Delegation bleiben darf, begründete Aust damit, dass Bystron sehr konkret dargelegt habe, was er gegen die Anschuldigungen unternehme – er nannte etwa eidesstattliche Versicherungen und Unterlassungsklagen. Krah beklagte seinen Ausschluss als falschen Schritt.
Das BSW will sich mit ihrem guten Wahlergebnis, das ihr sechs Sitze im Parlament beschert, nicht einer bestehenden Fraktion anschließen, sondern eine neue gründen. Die Gespräche dazu laufen – streng vertraulich. “Jetzt, wo klar ist, wer wie viele Sitze hat, werden die Gespräche intensiviert”, sagt Spitzenkandidat Thomas Geisel Table.Briefings. Er sei “verhalten optimistisch”, dass es gelinge. Denn die Hürden sind hoch: 23 Abgeordnete aus sieben Ländern müssten sich für den europaskeptischen, linkspopulistischen Kurs zusammenschließen.
Am nächsten liegt als Partner die Fünf-Sterne-Bewegung mit neun Sitzen; die Gespräche mit der italienischen Partei führt Spitzenkandidat Fabio De Masi schon länger. Co-Parteichefin Sahra Wagenknecht hatte in der Vergangenheit angedeutet, dass auch mit La France insoumise gesprochen werde. Rein inhaltlich gibt es auch Überschneidungen mit der linksnationalen Smer des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico.
Hinzu kommt eine Reihe kleiner linker Parteien wie die griechische Plefsi Eleftherias, die Separatisten-Partei Junts aus Spanien sowie aus Portugal das grün-kommunistische Bündnis CDU. Dass sich die neue Partei BSW einer bestehenden Koalition anschließt, dürfte ohnehin schwierig werden – die Überschneidungen sind zu gering. Gespräche mit der europäischen Linken habe es noch nicht gegeben, hieß es am Montag in Brüssel. Am Ende bleibe aber immer noch die Fraktionslosigkeit als “Fallback-Option”, sagt Geisel. Markus Grabitz, Manuel Berkel, Lukas Scheid, Claire Stam, Franziska Klemenz, Alina Leimbach, Vera Weidenbach
Seit Sonntag ist klar: Klimaschutz ist derzeit kein zündendes Wahlkampfthema mehr. Nachdem die Grünen bei der sogenannten “Klimawahl” 2019 vor allem aufgrund ihres Profils als Klimaschutzpartei noch ein Rekordergebnis erzielt hatten, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Wahlschlappe nun ebenfalls ein Votum über Klimapolitik war. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass das neue Europaparlament Klimaschutz blockiert und ihn sogar rückgängig macht?
Es sei “keine tektonische Verschiebung nach ganz rechts“, stellt Linda Kalcher fest. Die geschäftsführende Direktorin des Brüsseler Think-Tanks Strategic Perspectives glaubt nicht, dass Rechtsextreme in den nächsten fünf Jahren mehr Macht haben werden. Sie hätten zwar zugelegt, aber die voraussichtliche Mehrheit um die Wahlgewinnerin EVP werde kaum mit ihnen zusammenarbeiten wollen.
Ähnlich schätzen die Experten des europäischen Ablegers des Climate Action Network (CAN Europe) die Lage ein. Auch die neue Mehrheit habe die Macht, den Green Deal weiterzuführen, erklärten sie am Montag. Sven Harmeling, Leiter Klimapolitik bei CAN Europe, sieht zudem “keine Grundlage, die Europawahlen als Votum gegen die Klimapolitik zu bezeichnen.”
Das Ergebnis sei zudem nicht in allen Mitgliedsstaaten gleich ausgefallen: Zwar habe es in vielen Ländern eine Verschiebung der Stimmen nach rechts gegeben. Aber in anderen, insbesondere in Skandinavien, hätten Parteien mit einer engagierten Klimapolitik Sitze hinzugewonnen. “Eine große Mehrheit der Menschen befürwortet weiterhin eine starke Klimapolitik, und in der Wirtschaft gibt es viele Akteure, die wissen: Sie wollen und müssen investieren.“
Die Wahlgewinnerin, amtierende und voraussichtlich auch nächste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte am Montag deutlich, dass sie den Green Deal nicht rückgängig machen wolle. Schon im EVP-Wahlprogramm habe ihre Partei klargemacht, dass man alles tun werde, um den Klimawandel zu bekämpfen. Es komme jetzt eine “sehr wichtige Phase der Implementierung”. Dafür würden bereits Gespräche mit Industrie und Landwirtschaft geführt, so von der Leyen. Es gehe darum, herauszufinden, wie man helfen könne, dass diese ihre Klimaziele auch erreichen.
Auch in anderen Ländern und Fraktionen herrscht Einigkeit, dass der Green Deal nicht abgewählt wurde. Krzysztof Bolesta, Polens Staatssekretär für Klimafragen und Mitglied der europäischen Renew-Parteienfamilie, sagte zu Reuters, neue Maßnahmen würden schwieriger zu verabschieden sein. “Aber ein Rückschritt ist sehr unwahrscheinlich.”
Zwar hat sich die EVP noch nicht dazu geäußert, ob sie neben den Sozialisten und Liberalen auch noch mit einer dritten Fraktion Gespräche über eine Zusammenarbeit führen wird. Aber Kalcher glaubt, wenn die EVP weiter Klimaschutz machen will, seien die Grünen die bessere Wahl anstatt der Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Die klimapolitischen Aufgaben der nächsten EU-Kommission seien zudem andere, als die der letzten. Bei vielen neuen Initiativen der nächsten Kommission gehe es um die Stärkung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit und der Energiesicherheit. Sie trügen möglicherweise nicht das Label “Klimaambitionen”, reduzierten aber die Emissionen und erfüllten den Green Deal.
Kritik am Label “Green Deal” kam am Montagmorgen vom ehemaligen bulgarischen Umweltminister Julian Popov. Die Verbindung des Wortes “Green” zu einer politischen Partei habe zu einem Kommunikationsproblem geführt und sei mitverantwortlich für die Ablehnung von Klimapolitik. Kalcher geht daher davon aus, dass sich die Sprache ändert, aber die tatsächlichen Maßnahmen gleich bleiben. Mit Alexandra Endres und Till Hoppe
Nachdem Präsident Emmanuel Macron angekündigt hat, die Nationalversammlung aufzulösen, herrscht Fassungslosigkeit in Frankreich. Politikerinnen und Politiker sind frustriert darüber, dass sie nicht in der Lage sind, einen ordnungsgemäßen Wahlkampf zu führen. “Wir haben nicht die Zeit, alle unsere Kandidaten zu nominieren; wir haben nicht einmal die Zeit, Poster und Flugblätter zu drucken“, beklagt sich ein französischer Parlamentarier. Der erste Wahlgang findet am 30. Juni statt, der zweite am 7. Juli.
Viele kritisierten die Entscheidung des französischen Präsidenten als “übereilt” und “voreilig”. Das Bild, das in Frankreich am häufigsten gezeichnet wird, ist das eines Präsidenten, der mit dem Feuer spielt und den Rassemblement National an den Rand der Macht bringt.
Der politische Einfluss der rechtsextremen Partei, die von Marine Le Pen und Jordan Bardella angeführt wird, war noch nie so groß, sowohl in Frankreich als auch in Europa. Von den 81 französischen Abgeordneten im Europäischen Parlament entsendet der Rassemblement National 30 Abgeordnete ins Europäische Parlament.
Damit stellt er nicht nur die größte Delegation innerhalb der französischen Abgeordneten, sondern auch eine der größten Delegationen im Europäischen Parlament insgesamt: Der Rassemblement National hat nun genauso viele Europaabgeordnete wie die deutsche Delegation der EVP, die ebenfalls aus 30 Abgeordneten besteht. Der Rassemblement National wolle dieses politische Gewicht nutzen, um unter anderem den Vorsitz des Agrarausschusses im Europäischen Parlament anzustreben, berichtet ein französischer EU-Beobachter.
Auf europäischer Ebene hat Emmanuel Macrons Ankündigung die größten Auswirkungen auf die Ratsebene. Die Neuwahlen schwächten die Stimme Frankreichs in einer wichtigen Phase der Verhandlungen über die Topjobs und die Festlegung des künftigen Fahrplans der Europäischen Kommission, sagt Neil Makaroff, Direktor des Brüsseler Think-Tanks Strategic Perspectives. Dies bestätigt auch eine diplomatische Stimme aus Frankreich: “Die Nachricht von den vorgezogenen Wahlen kommt mitten in den Verhandlungen über die Topjobs, und wir werden nicht dabei sein.”
Der Verlust des französischen Einflusses geht Hand in Hand mit dem Verlust des deutschen Einflusses. “Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wird nach dem schwachen Abschneiden der Sozialdemokraten bei diesen Wahlen nicht mehr den gleichen Einfluss im Rat haben”, sagt Makaroff.
Seiner Meinung nach sind die beiden europäischen Führer, die gestärkt aus den Wahlen hervorgehen, die Italienerin Giorgia Meloni und der polnische Premierminister Donald Tusk. Im Rat werde Donald Tusk die Verhandlungen für die EVP führen, sagt Neil Makaroff. “Und er wird die polnische Präsidentschaft auf seinem Radar haben, sie beginnt im Januar 2025.”
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und CDU-Chef Friedrich Merz wollten sich nicht zu Macrons Entscheidung äußern. In Berlin löst das Manöver des Präsidenten Kopfschütteln aus. Der Präsident wird als zunehmend erratisch agierend wahrgenommen, seine Ministerpräsidenten und Berater wechseln in immer kürzeren Abständen. Macron gehe nicht nur innenpolitisch ein hohes Risiko ein, heißt es. Er gefährde womöglich auch die schnelle Klärung der anstehenden Personalentscheidungen auf EU-Ebene.
Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, spricht von einem “Hochrisikospiel” Macrons. Womöglich werde es in wenigen Wochen auch in Frankreich eine Rechtsaußenmehrheit im nationalen Parlament geben. “Und das überschattet ein Stück weit dieses Signal von ‘Die Mitte hält’, das eigentlich von diesen Europawahlen ausgehen könnte”, sagte er bei einer Veranstaltung von Table.Briefings, Europäischer Bewegung Deutschland und der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens beim Bund.
Johannes Lindner, Direktor des Jacques Delors Centre an der Berliner Hertie School, sieht ein doppeltes Kalkül Macrons: “Er weiß, wenn er das jetzt laufen gelassen hätte, wäre er noch mehr eine lame duck, sowohl in der eigenen Partei als auch in der Öffentlichkeit.” Macron glaube daran, den RN schlagen zu können. Sollte der RN die Parlamentswahlen gewinnen, hoffe Macron, die Partei in der Regierung in den drei Jahren bis zur Präsidentschaftswahl entzaubern zu können. “Auch das ist hoch risikoreich”, warnt Lindner.
12.06.-13.06.2023, Essen/online
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DIHK, Seminar Grüner Wasserstoff aus Kläranlagen – Brasilien zeigt, wie es geht
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) stellt die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie vor, die im Rahmen der Exportinitiative Umweltschutz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz entstanden ist. INFOS & ANMELDUNG
Wer ist Sibylle Berg? Trotz einer 84-minütigen Doku über die Deutsch-Schweizerin, zahlreichen Kolumnen und Büchern von ihr – so ganz weiß man es nicht. Die Autorin bleibt ungreifbar, irgendwo zwischen Kunstfigur und vollem Ernst. Ernst etwa, wenn sie die miserablen Zustände in der Pflege und gar im Kapitalismus ganz generell kritisiert. Derart böse, dass es doch nur ein Scherz sein kann. Oder?
Sicher ist: Vielen im Kulturbetrieb gilt sie als Kultfigur. Und jetzt weiß man immerhin eine Sache mehr über Berg: Sie wird Abgeordnete im Europäischen Parlament. Die deutsche Kleinstpartei Die Partei hat es bei den Wahlen zum zehnten Europaparlament erneut geschafft, zwei Sitze zu erringen – und einer davon geht an Berg.
Ihr Programm? Das ist wie so oft bei Kandidaten der Partei bunt gemischt: “1er-Abitur und Bentley-Cabrios für alle”, forderte Berg in einer “Volkssprechstunde”. Aber sie kann auch hier ernst: für Pazifismus, gegen Waffenlieferungen, Stopp der Überwachung – das sind ihre Themen. Auf X schrieb sie als Reaktion auf ihre Wahl ins Europaparlament: “Vielen Dank! Zu zweit werden wir jetzt den Überwachungsfaschismus gütig beenden! Jede Hilfe ist willkommen.”
Bereits 2018 etwa versuchte sie ein Schweizer Gesetz zu stoppen, das es erlaubt, Arbeitslose und Krankenversicherte bei Verdacht auf Leistungsmissbrauch durch Detektive observieren zu lassen. Sie scheiterte. Der Kampf gegen Überwachung hat Berg in der Vergangenheit aber nicht nur Freunde beschert. In der Schweiz gehörte sie dem linken Komitee “Geimpfte gegen das Covid-Gesetz” an, das sich gegen den Einsatz eines Corona-Impfzertifikats, etwa für den Zugang zu Kultureinrichtungen, einsetzte.
Der “Welt” sagte Berg: “Meine Kandidatur ist keine Kunst, keine Performance, ich meine das ernst.” Jetzt also echt Bentley-Cabrios für alle? Oder doch nur ein Antrag zur Abschaffung des Kapitalismus? Alina Leimbach
der Rechtsruck in vielen EU-Staaten dominierte gestern die politischen Debatten – der Schrecken über die Wahlsiege des Rassemblement National, der FPÖ oder der zweite Platz für die AfD ist vielen Politikern und Beobachtern in die Glieder gefahren. Und doch: Die Europawahl hat für relativ klare Verhältnisse gesorgt. Nicht in Paris, Wien oder Berlin, wohl aber in Brüssel.
Die EVP ist die eindeutige Siegerin dieser Wahl, das erkennen auch Sozialdemokraten und Liberale an. Sie wollen nun zügig mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über eine Fortsetzung des bisherigen Bündnisses verhandeln. Allzu forsche Forderungen formulieren können sie wohl kaum angesichts der neuen Stärke der Christdemokraten. Auch die Grünen dürften bald in die Gespräche eingebunden werden. Ohne sie haben die drei Mitglieder der bisherigen “Ursula-Koalition” ein etwas dünnes Polster von 39 Sitzen.
Auch den Staats- und Regierungschefs gibt das Wahlergebnis wenig Anlass, den Anspruch von Wahlsiegerin Ursula von der Leyen auf eine zweite Amtszeit infrage zu stellen. Diplomaten halten es für realistisch, dass sie sich schon beim informellen Abendessen am kommenden Montag auf ein Personalpaket einigen können.
Die zweitplatzierten Sozialdemokraten könnten demnach den Präsidenten des Europäischen Rates stellen; klarer Favorit ist der frühere Ministerpräsident Portugals, António Costa. Die drittplatzierten Liberalen würden dann die Außenbeauftragte stellen, wohl in Person der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Die EVP könnte in diesem Szenario noch die Spitze des Europaparlaments besetzen, und zwar in Person von Amtsinhaberin Roberta Metsola.
So weit, so übersichtlich. Wenn nicht doch noch die nationalen Turbulenzen diese Ordnung durcheinanderwirbeln: In Brüssel und Berlin jedenfalls wird sorgenvoll nach Paris geblickt, wo Emmanuel Macron mit den Neuwahlen der Nationalversammlung ein Vabanquespiel spielt. Womöglich wolle sich der Präsident im anstehenden Wahlkampf nicht angreifbar machen durch seine Unterstützung für von der Leyen, so die Sorge. Damit aber würde Frankreichs Präsident die Neuaufstellung der EU auf Monate lähmen.
Der lettische Kommissionsvizepräsident sprach am Montag nach den Europawahlen mit Table.Briefings. Die lettische EVP-Liste, die er anführte, erreichte den höchsten Stimmenanteil im Land. Am gestrigen Montagabend nominierte die lettische Premierministerin Evika Siliņa den erfahrenen EU-Kommissar für ein weiteres Mandat. Aktuell hält Dombrovskis sich für die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin auf.
Herr Dombrovskis, was ist Ihre erste Reaktion nach den gestrigen Europawahlen?
Die erste Schlussfolgerung ist, dass die pro-europäischen, zentristischen politischen Kräfte weiterhin eine Mehrheit im Europäischen Parlament haben werden. Die EVP wird weiterhin die größte und einflussreichste Kraft in der EU sein. So werden wir in der Lage sein, die Herausforderungen anzugehen, die wir im nächsten politischen Zyklus bewältigen müssen – die Stärkung der europäischen Sicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft.
Sie gehen heute nach Berlin zur Ukraine-Wiederaufbaukonferenz. Was erwarten Sie sich von dieser Konferenz?
Die Wiederaufbaukonferenz ist ein wichtiger Schritt für den Wiederaufbau der Ukraine, der uns hilft, die Arbeit zu koordinieren. Natürlich hoffe ich, dass es Ankündigungen vonseiten der EU geben wird, die ich jetzt noch nicht verraten kann. Aber neben dieser öffentlichen Unterstützung ist es wichtig, auch private Investitionen und die Beteiligung des Privatsektors am Wiederaufbau der Ukraine sicherzustellen. Deshalb begrüßen wir, dass auf dem Wiederaufbauforum internationale Unternehmen und Investoren mit ukrainischen Unternehmen und auch mit Vertretern der Regionen und Kommunen zusammenkommen werden, um über private Investitionen in der Ukraine zu diskutieren.
Bei den G7 gibt es eine Diskussion zu den eingefrorenen russischen Vermögenswerten. Die USA schlagen vor, die Gewinne aus diesen Vermögenswerten als Garantie zu nutzen, um ein viel größeres Darlehen für die Ukraine zu ermöglichen, anstatt die Gewinne direkt für die Ukraine zu verwenden, wie es der EU-Rat vorgeschlagen hat. Was halten Sie von dem Vorschlag?
Wir sind offen für eine Diskussion über das Konzept, diesen Finanzierungsfluss zu nutzen, um der Ukraine ein wesentlich größeres Darlehen zu gewähren.Über die genauen Modalitäten, ob es sich exakt um den Vorschlag der USA handelt oder um eine Art kooperativen Ansatz, bei dem die internationale Gemeinschaft dieses Darlehen auf der Grundlage der Hebelwirkung dieser Mittel bereitstellt, wird noch diskutiert. Aber konzeptionell stehen wir dieser Idee positiv gegenüber.
Was ist das Problem bei den Modalitäten?
Ein Thema, das in diesem Zusammenhang wichtig ist, sind Zusicherungen, dass diese russischen Vermögenswerte als Grundlage für diese ganze Hebeloperation eingefroren bleiben. Einerseits gibt es den G7-Beschluss, der besagt, dass die russischen Vermögenswerte so lange blockiert bleiben sollen, wie Russland der Ukraine keine Reparationen für den von ihm verursachten Schaden gezahlt hat. Das wird in dieser Hinsicht helfen. Andererseits sieht das EU-Sanktionssystem aber eine regelmäßige Erneuerung dieses Beschlusses vor. Eine wichtige Frage ist also, wie man eine langfristige Sicherheit für diese Operation erreichen kann.
Wann wird die Kommission ihre vorläufige Entscheidung zu den Elektroauto-Zöllen bekannt geben?
Wir arbeiten derzeit daran, und man kann davon ausgehen, dass es bald so weit ist. Ein genaues Datum kann ich nicht nennen, aber es wird kommen.
Wie bestimmen Sie, wie hoch dieser Zoll sein soll?
Nun, es ist eine faktenbasierte Untersuchung. Ausschlaggebend für die Höhe der Zölle ist also der Umfang der anfechtbaren Subventionen. Es hängt auch davon ab, inwieweit die Unternehmen bei dieser Untersuchung mitarbeiten. Im Allgemeinen ist es jedoch besser, wenn die Unternehmen bei dieser Untersuchung mitarbeiten, da wir andernfalls Vermutungen anstellen, die für die nicht kooperierenden Unternehmen möglicherweise nicht von Vorteil sind.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit chinesischen Herstellern?
Nun, ich würde sagen, es gab ein unterschiedliches Maß an Kooperationsbereitschaft seitens chinesischer Unternehmen (lacht).
Können Sie das ausführen?
Mit einigen war die Zusammenarbeit recht gut, mit anderen weniger gut.
Und wenn Sie jetzt von chinesischen Herstellern sprechen, meinen Sie dann chinesische Marken oder auch europäische Marken, die in China produzieren lassen?
Letztendlich wird es Auswirkungen auf alle chinesischen Ausfuhren in die EU haben. Aber konkret geht es uns vor allem um einige chinesische Marken.
Haben Sie auch mit deutschen Autoherstellern gesprochen?
Wir stehen natürlich mit den Mitgliedstaaten in Kontakt zu diesen Themen. In Deutschland gehen die Meinungen über diese Untersuchung ein wenig auseinander. Aber wir halten es für wichtig, dass wir diese Untersuchung abschließen, denn Tatsache ist, dass China seine Elektrofahrzeugindustrie subventioniert und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Das Ziel dieser Untersuchung besteht also nicht darin, protektionistische Zölle zu erheben und chinesische Hersteller komplett zu verbieten, sondern darin, den unfairen Vorteil zu beseitigen, den chinesische Hersteller durch Subventionen haben.
China bereitet schon jetzt einige Gegenmaßnahmen für den Fall vor, dass die EU diese Zölle erhebt. Wie kann die Kommission darauf reagieren? Planen Sie bereits voraus?
Das bleibt abzuwarten. Aber es ist erwähnenswert, dass die USA zum Beispiel vor kurzem Zölle von 100 Prozent auf chinesische Elektrofahrzeuge erhoben haben. Die Türkei hat ihre Zölle erheblich erhöht. Der EU-Markt ist also derzeit der größte Markt, der chinesischen Herstellern offensteht. Und wir sehen, dass der Marktanteil der chinesischen Hersteller sehr schnell wächst. Unter diesem Gesichtspunkt stellt dies natürlich auch eine Gefahr für die europäische Industrie dar. Und wenn wir nicht reagieren, wird es nur noch schlimmer werden.
Nach allem, was man hört, scheinen die chinesischen Autos von sehr guter Qualität zu sein. Wie muss die EU ihre Herangehensweise an die Industriepolitik ändern, damit die Europäer vielleicht das nächste Mal die besten Autos haben?
Zunächst einmal würde ich sagen, dass die EU viele sehr starke Automobilhersteller hat, die auch eine starke Wettbewerbsposition haben. Gleichzeitig muss man aber auch zugeben, dass die europäischen Automobilhersteller relativ langsam in Richtung Elektromobilität unterwegs waren. Und China ist jetzt vielleicht einen Schritt weiter. Es gibt also einen gewissen Nachholbedarf. Es geht uns aber nicht darum, unsere Industrie vor dem Wettbewerb zu schützen, sondern nur darum, den unlauteren Wettbewerb auszugleichen.
Die EU-Wirtschaft hinkt den USA hinterher. Das sehen wir in vielen verschiedenen Statistiken. Die Industrie ist sehr besorgt. Was muss die nächste Kommission anders machen als die jetzige?
Zunächst einmal muss man sagen, dass sich die europäische Wirtschaft trotz sehr komplizierter Umstände als widerstandsfähig erweist. Aber es stimmt auch, dass es neben den Herausforderungen, mit denen wir im Moment durch den Krieg mit Russland konfrontiert sind, auch langfristige strukturelle Herausforderungen gibt, die wir angehen müssen, wie das relativ geringe Produktivitätswachstum in der EU im Vergleich zu den USA oder China, die Bevölkerungsalterung und die relativ hohen Energiepreise. Daher müssen wir der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft große Aufmerksamkeit schenken. Wie Sie wissen, hat die Europäische Kommission eine Initiative zur Verringerung des Administrationsaufwands um 25 Prozent vorgelegt. Es ist wichtig, dass diese Verpflichtung eingehalten wird.
Wann können wir mit einem Vorschlag zur Verringerung des Bürokratieaufwands rechnen?
Nun, die Europäische Kommission hat bereits mit der Arbeit an diesen Vorschlägen begonnen. Wir haben auch eine Aufforderung zur Einreichung von Beweisen veröffentlicht, in der wir verschiedene Interessengruppen bitten, uns Beweise für übermäßigen oder unnötigen bürokratischen Aufwand zu liefern, damit wir sehen können, wo genau wir den Verwaltungsaufwand verringern können. Natürlich ist es wichtig, dass sich dies auch in unseren politischen Prioritäten für die nächste Kommission widerspiegelt und dass die Interessengruppen, insbesondere die Wirtschaft, anhaltenden Druck ausüben, damit dies auch tatsächlich umgesetzt wird.
Wird es einen solchen Vorschlag noch vor Jahresende geben?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist es für mich schwierig, den Entscheidungen der nächsten Europäischen Kommission vorzugreifen. Aber deshalb betone ich, dass es wichtig ist, dass sich die Initiative in den politischen Prioritäten der nächsten Kommission widerspiegelt und dass es eine Kontinuität dieser Initiative von dieser Kommission zur nächsten Kommission gibt.
Deutschland prägt die EU-Wirtschaft stark, doch hier läuft es besonders schlecht. Was sollte Deutschland anders machen?
Was die deutsche Wirtschaft anbelangt, so sehen wir auch starke Seiten, einschließlich eines widerstandsfähigen Arbeitsmarktes. Ein Bereich, in dem eine Verstärkung notwendig sein wird, sind die Investitionen, denn was die öffentlichen Investitionen angeht, könnte Deutschland tatsächlich mehr tun. Und das würde sowohl die deutsche Wirtschaft als auch die europäische Wirtschaft insgesamt unterstützen.
Wenn Deutschland also mehr Geld ausgibt, würde das seine Wirtschaft und die europäische Wirtschaft ankurbeln und wahrscheinlich auch den Druck auf andere, stärker verschuldete EU-Länder verringern. Wie versuchen Sie, den Deutschen diese Idee zu verkaufen?
Wie Sie wissen, koordinieren wir all diese Fragen im Rahmen des Europäischen Semesters. Und wir haben Deutschland stets empfohlen, seine öffentlichen Investitionen zu erhöhen. Ein wichtiges Element ist meines Erachtens, dass wir uns vor Kurzem auf einen neuen EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung geeinigt haben. Dieser Rahmen gibt den Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei der Festlegung ihres finanzpolitischen Anpassungspfads und mehr Möglichkeiten zur Korrektur dieses Anpassungspfads, wenn ein Land Reformen und Investitionen im Einklang mit den europäischen Prioritäten durchführt. Daher ermutigen wir natürlich auch Deutschland, diese Möglichkeiten zu nutzen.
Nach dem klaren Wahlsieg der EVP wollen sich die Partner der bisherigen Von-der-Leyen-Kommission schnell zusammenraufen und über eine Neuauflage der informellen Zusammenarbeit verhandeln. Sozialisten (S&D) und Liberale (Renew) hatten bereits am Wahlabend Ursula von der Leyen zu ihrem Erfolg gratuliert und sich zum Spitzenkandidatenprinzip bekannt. Am heutigen Dienstag treffen sich erstmals die Chefs der bisherigen Fraktionen und loten aus, ob die Wahl der Kommissionspräsidentin bereits am 18. oder 19. Juli in Straßburg stattfinden kann.
Der SPD-Abgeordnete Matthias Ecke betont im Hinblick auf Verhandlungen: “Wenn dem keine sachlichen Fragen entgegenstehen, sollten wir das sehr schnell angehen.” Es gebe eine Erwartungshaltung an die Handlungsfähigkeit der europäischen Politik, sagte er bei einer Veranstaltung von Table.Briefings, Europäischer Bewegung Deutschland und der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens beim Bund. “Und es gibt nach den ersten Erkenntnissen auch Mehrheiten, die das ermöglichen.”
Auch FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann mahnt eine Zusammenarbeit der pro-europäischen Parteien an. “Wir müssen das hinbekommen”, sagte sie auf der gleichen Veranstaltung. Die nationalistischen Kräfte müssten unbedingt weiter ausgegrenzt werden. “Es gibt nicht ein bisschen rechts und ein bisschen mehr rechts. Ich warne davor, mit denen zusammenzuarbeiten.”
CDU-Chef Friedrich Merz verbat sich Redeverbote: “Die Wahlverlierer haben uns keine Bedingungen zu diktieren, mit wem wir sprechen dürfen oder nicht sprechen.” EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen will erst einmal mit Sozialisten und Liberalen verhandeln. Die “Reihenfolge” sei sehr klar, zunächst werde man Gespräche mit S&D und Renew beginnen. “Das ist der erste Schritt”, sagte sie. Sie deutete aber zugleich an, auch mit den Grünen reden zu wollen. “Daraus können weitere Schritte folgen.” Bei der Wahl der Kommissionspräsidentin muss wieder mit Abweichlern aus den Reihen von EVP, S&D und Renew gerechnet werden.
Die EVP kommt nach der Sitzprojektion des Europaparlaments auf 186 Sitze, S&D liegt bei 135 Sitzen, die Liberalen bei 79. Zusammen kommen die drei Fraktionen der Von-der-Leyen-Koalition auf 400 Sitze. 361 Stimmen sind für die Wahl der Kommissionspräsidentin nötig. Daher hat die informelle Koalition keine komfortable Mehrheit.
Die Grünen büßen 19 Mandate ein und kommen nur noch auf 53 Sitze. Im vorigen Parlament waren die Grünen viertstärkste Fraktion, nun liegen sie nur noch auf Platz sechs. Die Linke verliert einen Sitz und hat nur noch 36 Abgeordnete. Die konservative EKR-Fraktion steigert die Zahl der Sitze von 69 auf 73. Die rechtsradikale ID-Fraktion legt von 49 auf 58 Sitze zu. Die Fraktionslosen kommen auf 45 Abgeordnete. Dazu zählen etwa die Fidesz- und die AfD-Abgeordneten. Ein hochrangiger Fidesz-Funktionär kündigte an, dass die Delegation sich der EKR anschließen wolle. Außerdem gibt es 55 neue Abgeordnete, die keiner Fraktion des bisherigen Parlaments angehören, etwa die BSW-Abgeordneten aus Deutschland.
Bis zur ersten Sitzungswoche in Straßburg (16. bis 19. Juli) könnte sich das Mehrheitsverhältnis noch ändern. Die Fraktionen versuchen Parteien, die neu ins Europaparlament eingezogen sind, als Mitglieder zu gewinnen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass neue Fraktionen entstehen oder Fraktionen zerfallen. Eine Fraktion muss mindestens 23 Mitglieder haben, die aus sieben oder mehr Mitgliedstaaten kommen.
Der “Transfermarkt” zwischen den Fraktionen im Europaparlament ist eins der spannendsten Rituale in den Wochen nach einer Europawahl. Mit 45 Fraktionslosen und 55 neu gewählten, bisher ebenfalls ungebundenen Abgeordneten gibt es diesmal besonders viel Spielraum für Verhandlungen.
In den 186 Sitzen, die den Christdemokraten in der Sitzprojektion des Europäischen Parlaments zugeschrieben werden, sind bereits zwölf Abgeordnete enthalten, die nicht von EVP-Mitgliedsparteien kommen und bislang noch nicht zur Fraktion zählten: drei Abgeordnete aus den Niederlanden von Bauern- und Bürgerbewegung (BBB) und Neuem Gesellschaftsvertrag (Dirk Gotink), der lettische Abgeordnete Reinis Pozņaks (United List), Abgeordnete der liberalen Allianz aus Dänemark sowie sieben ungarische Abgeordnete der Partei Tisza von Péter Magyar.
Diese Parteien hatten der EVP bereits vorab signalisiert, dass sie Mitglied in der Fraktion werden wollen. Manfred Weber wird weitere Parteien in den nächsten Tagen umwerben, wenn deren neu gewählte Abgeordneten erstmals nach Brüssel kommen. Spekuliert wird über Zugewinne aus der EKR: je drei belgische Abgeordnete der N-VA sowie der tschechischen ODS könnten sich anschließen.
Bis zum Wahltag hatte die EVP den Mitgliedsparteien aus Spanien und Belgien zugesichert, keine Abwerbeaktion zu starten. ODS und N-VA wollen nicht mit Viktor Orbáns Fidesz in einer Fraktion sein. Allerdings haben die EVP-Mitgliedsparteien ein Vetorecht. Sollte also der Fidesz bei der EKR andocken, wäre ein Übertritt von N-VA und ODS umso wahrscheinlicher und die EKR könnte mit 192 Sitzen in die erste Sitzungswoche und die Verhandlungen um Ausschussvorsitze gehen.
Bei den europäischen Sozialdemokraten zeichnet sich ein neues Kräfteverhältnis ab. Die italienische Delegation hat Stand Montagnachmittag die spanischen Sozialisten als stärkste nationale Gruppierung abgelöst. Der Partito Democratico von Elly Schlein hat demnach 21 Sitze, die PSOE von Pedro Sánchez 20. Wenn die Fraktion am 25. Juni ihre neue Führung wählt, muss der neue Vorsitzende zwar nicht zwingend aus der stärksten Delegation kommen. Allerdings wird ausgerechnet den Italienern Unzufriedenheit mit der bisherigen Führung der Spanierin Iratxe García Pérez nachgesagt.
Ein möglicher Konkurrent um den Fraktionsvorsitz ist Nicola Zingaretti. Der ehemalige PD-Chef zog 2004 schon einmal ins Europäische Parlament ein und war bis 2022 Regionalpräsident von Latium und damit einem deutschen Ministerpräsidenten vergleichbar. Nach seiner Wiederkehr nach Straßburg dürfte er kaum auf den hinteren Bänken Platz nehmen wollen.
García Pérez hatte früher Ambitionen auf die Parlamentspräsidentschaft erkennen lassen. Ob sie oder Katarina Barley für die zweite Hälfte der Legislatur nominiert werden, müssen die Parteivorsitzenden von SPD und PSOE untereinander ausmachen.
Eine Wiederaufnahme der beiden sozialistischen Parteien aus der Slowakei in die PSE und die S&D-Fraktion ist bisher nicht erkennbar. Smer und Hlas haben zwar den Wiedereinzug ins Straßburger Parlament mit zusammen sechs Abgeordneten geschafft, allerdings koalieren sie in Bratislava immer noch mit der rechtsextremen SNS.
Nach der schweren Niederlage der Spitzenkandidatin von Renew, Valérie Hayer, ist fraglich, ob sie weiterhin den Vorsitz der Fraktion übernehmen wird. Dies deutet ein hochrangiger Renew-Vertreter an. Hayer sagte am Montag, dass sie den Vorsitz der Renew-Gruppe behalten wolle. Sie weist darauf hin, dass die französische Delegation von Renew trotz der Verluste weiterhin die größte ist.
Doch wie die französische Quelle sagte, sind die niederländischen Liberalen unzufrieden. Hayer hatte angekündigt, dass diese wegen ihres Bündnisses mit den Rechtsextremen in der neuen niederländischen Regierung aus der Fraktion ausgeschlossen werden könnten. “Wir werden diese Woche informelle und offene Gespräche mit der VVD führen”, sagte Hayer.
Sie betonte, dass die Renew-Fraktion bei der Koalitionsbildung “eine zentristische und zentrale Partei” bleibe. Derzeit spreche sie mit der Volt-Fraktion und anderen zentristischen politischen Gruppierungen, die gute Ergebnisse erzielt hätten. In erster Linie handelt es sich dabei um die portugiesische Iniciativa Liberal und die slowakische Progresívne Slovensko.
Sollte Volt tatsächlich zu Renew wechseln, würde die Grünen-Fraktion weiter schrumpfen. Unklar ist, ob sie anderweitig Zuwachs verbuchen könnte. Ein mögliches neues Mitglied könnte die italienische Fünf-Sterne-Bewegung sein. Allerdings scheint diese auch Gespräche mit dem BSW zu führen. Ansonsten schielt man bei den Grünen offenbar auch auf einzelne fraktionslose Abgeordnete sowie mögliche MEPs aus der Linken-Fraktion, sollte BSW dort eintreten und dadurch andere Abgeordnete oder Parteien zum Austritt bewegen.
Personelle Konsequenzen scheint die Wahlschlappe der Grünen auf europäischer Ebene noch nicht zu haben. Spitzenkandidatin Terry Reintke will wieder Fraktionschefin werden. Ob auch Co-Spitzenkandidat Bas Eickhout antritt, werde er erst im Laufe der Woche entscheiden, sagte er zu Table.Briefings.
In der konservativen Fraktion ist die Frage, ob der Fidesz von Viktor Orbán um Aufnahme bittet. Die polnische PiS hatte sich für die Aufnahme der bislang fraktionslosen Ungarn starkgemacht. Im Gegenzug würden aber wohl die tschechische ODS und die belgische N-VA die Fraktion verlassen. Am Montag gab es noch keine Signale, was Orbán plant, der bei den Europawahlen einen Dämpfer bekommen hat.
Mit einem Ergebnis von knapp 16 Prozent bei der Europawahl, die Alice Weidel als “Riesenerfolg” wertet, zieht die AfD “gelassen und selbstbewusst” in Verhandlungen über ihre künftige Fraktionszugehörigkeit, wie die Co-Parteichefin am Montag verkündete. Sie gratulierte der “Schwesterpartei” FPÖ. Dass die Rechtsextremen aus Österreich als Partner in Brüssel infrage kommen könnten, vernahm Table.Briefings am Wahlabend auch aus hohen Parteikreisen in Sachsen, wo die AfD fast ein Drittel der Stimmen holte.
Alleingänge der AfD-Delegation in Brüssel könnten künftig seltener werden als in der vergangenen Legislaturperiode. Schon beim Listenparteitag in Magdeburg wussten führende Parteikreise bestimmte Kandidaturen zu verhindern. Mit dem Ausschluss von Maximilian Krah und der Wahl von René Aust als Delegationsführer manifestiert die Parteispitze ihre Kontrolle auf die Brüsseler Abgeordneten. Von einer größeren Nähe zur Parteiführung sprach auch Aust am Montag.
Dass Petr Bystron anders als Krah trotz ähnlicher Vorwürfe Teil der AfD-Delegation bleiben darf, begründete Aust damit, dass Bystron sehr konkret dargelegt habe, was er gegen die Anschuldigungen unternehme – er nannte etwa eidesstattliche Versicherungen und Unterlassungsklagen. Krah beklagte seinen Ausschluss als falschen Schritt.
Das BSW will sich mit ihrem guten Wahlergebnis, das ihr sechs Sitze im Parlament beschert, nicht einer bestehenden Fraktion anschließen, sondern eine neue gründen. Die Gespräche dazu laufen – streng vertraulich. “Jetzt, wo klar ist, wer wie viele Sitze hat, werden die Gespräche intensiviert”, sagt Spitzenkandidat Thomas Geisel Table.Briefings. Er sei “verhalten optimistisch”, dass es gelinge. Denn die Hürden sind hoch: 23 Abgeordnete aus sieben Ländern müssten sich für den europaskeptischen, linkspopulistischen Kurs zusammenschließen.
Am nächsten liegt als Partner die Fünf-Sterne-Bewegung mit neun Sitzen; die Gespräche mit der italienischen Partei führt Spitzenkandidat Fabio De Masi schon länger. Co-Parteichefin Sahra Wagenknecht hatte in der Vergangenheit angedeutet, dass auch mit La France insoumise gesprochen werde. Rein inhaltlich gibt es auch Überschneidungen mit der linksnationalen Smer des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico.
Hinzu kommt eine Reihe kleiner linker Parteien wie die griechische Plefsi Eleftherias, die Separatisten-Partei Junts aus Spanien sowie aus Portugal das grün-kommunistische Bündnis CDU. Dass sich die neue Partei BSW einer bestehenden Koalition anschließt, dürfte ohnehin schwierig werden – die Überschneidungen sind zu gering. Gespräche mit der europäischen Linken habe es noch nicht gegeben, hieß es am Montag in Brüssel. Am Ende bleibe aber immer noch die Fraktionslosigkeit als “Fallback-Option”, sagt Geisel. Markus Grabitz, Manuel Berkel, Lukas Scheid, Claire Stam, Franziska Klemenz, Alina Leimbach, Vera Weidenbach
Seit Sonntag ist klar: Klimaschutz ist derzeit kein zündendes Wahlkampfthema mehr. Nachdem die Grünen bei der sogenannten “Klimawahl” 2019 vor allem aufgrund ihres Profils als Klimaschutzpartei noch ein Rekordergebnis erzielt hatten, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Wahlschlappe nun ebenfalls ein Votum über Klimapolitik war. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass das neue Europaparlament Klimaschutz blockiert und ihn sogar rückgängig macht?
Es sei “keine tektonische Verschiebung nach ganz rechts“, stellt Linda Kalcher fest. Die geschäftsführende Direktorin des Brüsseler Think-Tanks Strategic Perspectives glaubt nicht, dass Rechtsextreme in den nächsten fünf Jahren mehr Macht haben werden. Sie hätten zwar zugelegt, aber die voraussichtliche Mehrheit um die Wahlgewinnerin EVP werde kaum mit ihnen zusammenarbeiten wollen.
Ähnlich schätzen die Experten des europäischen Ablegers des Climate Action Network (CAN Europe) die Lage ein. Auch die neue Mehrheit habe die Macht, den Green Deal weiterzuführen, erklärten sie am Montag. Sven Harmeling, Leiter Klimapolitik bei CAN Europe, sieht zudem “keine Grundlage, die Europawahlen als Votum gegen die Klimapolitik zu bezeichnen.”
Das Ergebnis sei zudem nicht in allen Mitgliedsstaaten gleich ausgefallen: Zwar habe es in vielen Ländern eine Verschiebung der Stimmen nach rechts gegeben. Aber in anderen, insbesondere in Skandinavien, hätten Parteien mit einer engagierten Klimapolitik Sitze hinzugewonnen. “Eine große Mehrheit der Menschen befürwortet weiterhin eine starke Klimapolitik, und in der Wirtschaft gibt es viele Akteure, die wissen: Sie wollen und müssen investieren.“
Die Wahlgewinnerin, amtierende und voraussichtlich auch nächste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte am Montag deutlich, dass sie den Green Deal nicht rückgängig machen wolle. Schon im EVP-Wahlprogramm habe ihre Partei klargemacht, dass man alles tun werde, um den Klimawandel zu bekämpfen. Es komme jetzt eine “sehr wichtige Phase der Implementierung”. Dafür würden bereits Gespräche mit Industrie und Landwirtschaft geführt, so von der Leyen. Es gehe darum, herauszufinden, wie man helfen könne, dass diese ihre Klimaziele auch erreichen.
Auch in anderen Ländern und Fraktionen herrscht Einigkeit, dass der Green Deal nicht abgewählt wurde. Krzysztof Bolesta, Polens Staatssekretär für Klimafragen und Mitglied der europäischen Renew-Parteienfamilie, sagte zu Reuters, neue Maßnahmen würden schwieriger zu verabschieden sein. “Aber ein Rückschritt ist sehr unwahrscheinlich.”
Zwar hat sich die EVP noch nicht dazu geäußert, ob sie neben den Sozialisten und Liberalen auch noch mit einer dritten Fraktion Gespräche über eine Zusammenarbeit führen wird. Aber Kalcher glaubt, wenn die EVP weiter Klimaschutz machen will, seien die Grünen die bessere Wahl anstatt der Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Die klimapolitischen Aufgaben der nächsten EU-Kommission seien zudem andere, als die der letzten. Bei vielen neuen Initiativen der nächsten Kommission gehe es um die Stärkung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit und der Energiesicherheit. Sie trügen möglicherweise nicht das Label “Klimaambitionen”, reduzierten aber die Emissionen und erfüllten den Green Deal.
Kritik am Label “Green Deal” kam am Montagmorgen vom ehemaligen bulgarischen Umweltminister Julian Popov. Die Verbindung des Wortes “Green” zu einer politischen Partei habe zu einem Kommunikationsproblem geführt und sei mitverantwortlich für die Ablehnung von Klimapolitik. Kalcher geht daher davon aus, dass sich die Sprache ändert, aber die tatsächlichen Maßnahmen gleich bleiben. Mit Alexandra Endres und Till Hoppe
Nachdem Präsident Emmanuel Macron angekündigt hat, die Nationalversammlung aufzulösen, herrscht Fassungslosigkeit in Frankreich. Politikerinnen und Politiker sind frustriert darüber, dass sie nicht in der Lage sind, einen ordnungsgemäßen Wahlkampf zu führen. “Wir haben nicht die Zeit, alle unsere Kandidaten zu nominieren; wir haben nicht einmal die Zeit, Poster und Flugblätter zu drucken“, beklagt sich ein französischer Parlamentarier. Der erste Wahlgang findet am 30. Juni statt, der zweite am 7. Juli.
Viele kritisierten die Entscheidung des französischen Präsidenten als “übereilt” und “voreilig”. Das Bild, das in Frankreich am häufigsten gezeichnet wird, ist das eines Präsidenten, der mit dem Feuer spielt und den Rassemblement National an den Rand der Macht bringt.
Der politische Einfluss der rechtsextremen Partei, die von Marine Le Pen und Jordan Bardella angeführt wird, war noch nie so groß, sowohl in Frankreich als auch in Europa. Von den 81 französischen Abgeordneten im Europäischen Parlament entsendet der Rassemblement National 30 Abgeordnete ins Europäische Parlament.
Damit stellt er nicht nur die größte Delegation innerhalb der französischen Abgeordneten, sondern auch eine der größten Delegationen im Europäischen Parlament insgesamt: Der Rassemblement National hat nun genauso viele Europaabgeordnete wie die deutsche Delegation der EVP, die ebenfalls aus 30 Abgeordneten besteht. Der Rassemblement National wolle dieses politische Gewicht nutzen, um unter anderem den Vorsitz des Agrarausschusses im Europäischen Parlament anzustreben, berichtet ein französischer EU-Beobachter.
Auf europäischer Ebene hat Emmanuel Macrons Ankündigung die größten Auswirkungen auf die Ratsebene. Die Neuwahlen schwächten die Stimme Frankreichs in einer wichtigen Phase der Verhandlungen über die Topjobs und die Festlegung des künftigen Fahrplans der Europäischen Kommission, sagt Neil Makaroff, Direktor des Brüsseler Think-Tanks Strategic Perspectives. Dies bestätigt auch eine diplomatische Stimme aus Frankreich: “Die Nachricht von den vorgezogenen Wahlen kommt mitten in den Verhandlungen über die Topjobs, und wir werden nicht dabei sein.”
Der Verlust des französischen Einflusses geht Hand in Hand mit dem Verlust des deutschen Einflusses. “Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wird nach dem schwachen Abschneiden der Sozialdemokraten bei diesen Wahlen nicht mehr den gleichen Einfluss im Rat haben”, sagt Makaroff.
Seiner Meinung nach sind die beiden europäischen Führer, die gestärkt aus den Wahlen hervorgehen, die Italienerin Giorgia Meloni und der polnische Premierminister Donald Tusk. Im Rat werde Donald Tusk die Verhandlungen für die EVP führen, sagt Neil Makaroff. “Und er wird die polnische Präsidentschaft auf seinem Radar haben, sie beginnt im Januar 2025.”
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und CDU-Chef Friedrich Merz wollten sich nicht zu Macrons Entscheidung äußern. In Berlin löst das Manöver des Präsidenten Kopfschütteln aus. Der Präsident wird als zunehmend erratisch agierend wahrgenommen, seine Ministerpräsidenten und Berater wechseln in immer kürzeren Abständen. Macron gehe nicht nur innenpolitisch ein hohes Risiko ein, heißt es. Er gefährde womöglich auch die schnelle Klärung der anstehenden Personalentscheidungen auf EU-Ebene.
Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, spricht von einem “Hochrisikospiel” Macrons. Womöglich werde es in wenigen Wochen auch in Frankreich eine Rechtsaußenmehrheit im nationalen Parlament geben. “Und das überschattet ein Stück weit dieses Signal von ‘Die Mitte hält’, das eigentlich von diesen Europawahlen ausgehen könnte”, sagte er bei einer Veranstaltung von Table.Briefings, Europäischer Bewegung Deutschland und der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens beim Bund.
Johannes Lindner, Direktor des Jacques Delors Centre an der Berliner Hertie School, sieht ein doppeltes Kalkül Macrons: “Er weiß, wenn er das jetzt laufen gelassen hätte, wäre er noch mehr eine lame duck, sowohl in der eigenen Partei als auch in der Öffentlichkeit.” Macron glaube daran, den RN schlagen zu können. Sollte der RN die Parlamentswahlen gewinnen, hoffe Macron, die Partei in der Regierung in den drei Jahren bis zur Präsidentschaftswahl entzaubern zu können. “Auch das ist hoch risikoreich”, warnt Lindner.
12.06.-13.06.2023, Essen/online
“Handelsblatt”, Konferenz Wasserstoff-Gipfel 2024
Die “Handelsblatt”-Konferenz beschäftigt sich mit der Herausforderung, sowohl die Energiewende voranzutreiben als auch den Klimawandel einzudämmen. INFOS & ANMELDUNG
12.06.2024 – 12:30-14:00 Uhr, online
EPSO, Seminar Karriere in der EU
Das Europäische Amt für Personalauswahl (EPSO) informiert über EU-Einstiegsmöglichkeiten und EU-Auswahlverfahren. INFOS & ANMELDUNG
12.06.2024 – 14:00-16:30 Uhr, online
HBS, Seminar Europe after the EP 2024 elections
The Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) discusses the results of the European Election. INFOS & REGISTRATION
12.06.2024 – 16:00-18:00 Uhr, Manduria (Italien)
TCA, Conference Harnessing AI Risk Pre-Summit
The Trustless Computing Association (TCA) discusses ways to ensure that the power and wealth generated by AI is shared equitably. INFOS & REGISTRATION
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EBBW, Podiumsdiskussion Europa hat gewählt: Perspektiven aus Brüssel und Berlin
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Die Handwerkskammer (HWK) stellt Anwendungsmöglichkeiten der Kreislaufwirtschaft beim Bauen und Sanieren vor. INFOS & ANMELDUNG
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13.06.2024 – 15:00-16:00 Uhr, online
DIHK, Seminar Grüner Wasserstoff aus Kläranlagen – Brasilien zeigt, wie es geht
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) stellt die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie vor, die im Rahmen der Exportinitiative Umweltschutz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz entstanden ist. INFOS & ANMELDUNG
Wer ist Sibylle Berg? Trotz einer 84-minütigen Doku über die Deutsch-Schweizerin, zahlreichen Kolumnen und Büchern von ihr – so ganz weiß man es nicht. Die Autorin bleibt ungreifbar, irgendwo zwischen Kunstfigur und vollem Ernst. Ernst etwa, wenn sie die miserablen Zustände in der Pflege und gar im Kapitalismus ganz generell kritisiert. Derart böse, dass es doch nur ein Scherz sein kann. Oder?
Sicher ist: Vielen im Kulturbetrieb gilt sie als Kultfigur. Und jetzt weiß man immerhin eine Sache mehr über Berg: Sie wird Abgeordnete im Europäischen Parlament. Die deutsche Kleinstpartei Die Partei hat es bei den Wahlen zum zehnten Europaparlament erneut geschafft, zwei Sitze zu erringen – und einer davon geht an Berg.
Ihr Programm? Das ist wie so oft bei Kandidaten der Partei bunt gemischt: “1er-Abitur und Bentley-Cabrios für alle”, forderte Berg in einer “Volkssprechstunde”. Aber sie kann auch hier ernst: für Pazifismus, gegen Waffenlieferungen, Stopp der Überwachung – das sind ihre Themen. Auf X schrieb sie als Reaktion auf ihre Wahl ins Europaparlament: “Vielen Dank! Zu zweit werden wir jetzt den Überwachungsfaschismus gütig beenden! Jede Hilfe ist willkommen.”
Bereits 2018 etwa versuchte sie ein Schweizer Gesetz zu stoppen, das es erlaubt, Arbeitslose und Krankenversicherte bei Verdacht auf Leistungsmissbrauch durch Detektive observieren zu lassen. Sie scheiterte. Der Kampf gegen Überwachung hat Berg in der Vergangenheit aber nicht nur Freunde beschert. In der Schweiz gehörte sie dem linken Komitee “Geimpfte gegen das Covid-Gesetz” an, das sich gegen den Einsatz eines Corona-Impfzertifikats, etwa für den Zugang zu Kultureinrichtungen, einsetzte.
Der “Welt” sagte Berg: “Meine Kandidatur ist keine Kunst, keine Performance, ich meine das ernst.” Jetzt also echt Bentley-Cabrios für alle? Oder doch nur ein Antrag zur Abschaffung des Kapitalismus? Alina Leimbach