Bundeskanzler Olaf Scholz will offenbar den Schwung des neuen Jahres nutzen: In einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht er sich für einen verstärkten Einsatz für europäische Wettbewerbsfähigkeit und den Abbau von Bürokratie aus. Es gehe nun darum, strategische Abhängigkeiten abzubauen und europäische Unternehmen gezielt zu unterstützen, heißt es in dem Brief.
Scholz listet eine Reihe von Punkten auf, zu denen er sich “schnelles, zielgerichtetes Handeln” der Kommission wünscht. Ganz oben auf seiner Liste: Weniger Bürokratie und Berichtspflichten für die Unternehmen. Es gelte, eine “pragmatische Balance” zu finden aus Zielen, die der europäischen Wirtschaft dienen, und jenen des Klima- und Umweltschutzes. “Wo geplante Vorhaben der Wettbewerbsfähigkeit schaden, müssen diese zurückgestellt oder auch ganz zurückgenommen werden”, schreibt er. Das gelte etwa für die Vorgaben für grünen Wasserstoff, die zu streng seien.
Der Kanzler kritisiert zudem zu hohe Belastungen durch die Nachhaltigkeitsrichtlinie (CSRD), die EU-Taxonomie sowie die Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). So fordert er eine Verschiebung der in der CSRD vorgesehenen Berichtspflicht um zwei Jahre und eine Anhebung der Schwellenwerte bei der Höhe des Umsatzes und der Anzahl an Beschäftigen.
Im Vorfeld des strategischen Dialogs zur Zukunft der Autoindustrie, den von der Leyen leiten wird, macht Scholz Vorschläge für die Automobilwirtschaft. Um die E-Mobilität zu fördern, wünscht er sich eine Initiative der Kommission für einen europaweiten “E-Auto-Kaufanreiz”. Auch zu den Zöllen für in China produzierte E-Autos äußert er sich in dem Brief. Hier sei es wichtig, in den Gesprächen mit Peking über eine Rücknahme der europäischen Zölle zu einem “einvernehmlichen Ergebnis” zu gelangen.
Für die energieintensive Industrie wünscht sich Scholz ebenfalls Unterstützung: Er betont die Bedeutung der deutschen und europäischen Stahlindustrie, für die er unter anderem ein Konzept für einen Leitmarkt für grünen Stahl fordert. Der Förderrahmen für den Umstieg auf eine klimafreundliche Stahlproduktion solle “pragmatischer und flexibler” gestaltet sein, vorläufig solle der Einsatz von Erdgas und blauem Wasserstoff möglich sein.
Kritisch äußert sich Scholz zum CO₂-Grenzausgleich CBAM, der “die internationale Wettbewerbsfähigkeit der eigenen energieintensiven Industrie auf dem Weltmarkt außer Acht lässt”. Hier brauche es eine Exporterstattung sowie ebenfalls weniger Bürokratie.
Starten Sie gut in das erste Wochenende des Jahres!
Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar kandidieren zwei von 96 deutschen Europaabgeordneten für den Bundestag. Außerdem bewerben sich zwei Mitarbeiter von deutschen Abgeordneten für den Einzug in den Bundestag. Einer der beiden Abgeordneten und die beiden Mitarbeiter haben Chancen, ins nationale Parlament einzuziehen.
Einigermaßen sicher ist, dass der Rechtsradikale Maximilian Krah das Europaparlament verlässt und in den Bundestag wechselt. Der 47-Jährige, Europaabgeordneter seit 2019, kandidiert in Sachsen für ein AfD-Direktmandat im Wahlkreis Chemnitz Umland – Erzgebirgskreis II. 2021 hatte die AfD den Wahlkreis Chemnitz Umland mit 28,9 Prozent der Stimmen gewonnen.
Nach der Europawahl wurde Krah aus der AfD-Delegation ausgeschlossen. Zuvor hatte er Verbrechen der SS relativiert. Für Marine Le Pen vom Rassemblement national war dies der Anlass, die AfD aus der rechtsradikalen europäischen Parteienfamilie zu werfen. Ihm wird zudem vorgeworfen, von prorussischen Kräften Bestechungsgelder angenommen und einem Assistenten Zugang zum Europaparlament verschafft zu haben, der ein Spion für China gewesen sei.
Krah dürfte sich von einem Einzug in den Bundestag erhoffen, aus der politischen Isolation im eigenen Lager herauszukommen. Von 15 neu gewählten AfD-Europaabgeordneten hatten am Tag nach der Europawahl acht für seinen Ausschluss und vier dagegen gestimmt. Drei Abgeordnete hatten sich enthalten.
Ebenfalls für den Bundestag kandidiert der Europaabgeordnete Damian Boeselager. Der 36-Jährige hatte 2017 mit Mitstreitern die Partei Volt gegründet, die sich als paneuropäisch bezeichnet, und war 2019 erstmals und als einziger Volt-Vertreter ins Europaparlament eingezogen. Dafür reichte ein Anteil von 0,7 Prozent der abgegebenen Stimmen in Deutschland. Er schloss sich der Grünen-Fraktion im Europaparlament an. 2024 gelang ihm bei den Europawahlen erneut der Einzug ins Europaparlament. Diesmal eroberten neben ihm vier weitere Volt-Politiker einen Sitz im Straßburger Parlament. Die Volt-Delegation schloss sich erneut der Grünen-Fraktion an.
Boeselager erhofft sich von seiner Kandidatur, den Durchbruch für die junge Partei bei nationalen Wahlen in Deutschland zu erringen. Bislang ist Volt nur in den nationalen Parlamenten von Zypern und den Niederlanden vertreten. “Für Volt sehe ich die Chance, in ein weiteres nationales Parlament einzuziehen”, sagte er Table.Briefings. Er wolle Wähler in einem Spektrum zwischen Ampel und Union ansprechen, die sich eine “neue, moderate, faktenbasierte Politik in der Mitte” erhofften. Damit zielt er darauf ab, insbesondere den Grünen Wähler abzunehmen, die enttäuscht sind über die Bilanz der grünen Beteiligung an der Bundesregierung.
In den Umfragen der Meinungsforschungsinstitute zur Bundestagswahl taucht Volt bisher nicht auf. Dies heißt, dass die Partei dabei auf einen Stimmenanteil von weniger als drei Prozent kommt und damit weit davon entfernt ist, bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.
Boeselager hat das Ziel, dass Volt in den verbleibenden Wochen in den Umfragen auf “3 Prozent plus” kommt: “Das wäre dann das Signal an unsere Sympathisanten, dass der Einzug in den Bundestag zu schaffen ist. Dann schießen wir hoch auf sieben Prozent.” Sollte das Konzept nicht aufgehen und Volt an der Sperrklausel scheitern, werde er seinen Sitz im Europaparlament behalten, wo er Vize im Wirtschaftsausschuss ist.
Johannes Volkmann, der das Büro des CDU-Europaabgeordneten Sven Simon seit 2020 leitet, bewirbt sich im hessischen Wahlkreis Lahn-Dill um ein Direktmandat. 2021 hatte die SPD den Wahlkreis mit drei Prozent Vorsprung vor der CDU geholt. Angesichts der Umfrageergebnisse und weil er persönlich bereits hohe Popularitätswerte erzielt, werden Volkmann gute Chancen eingeräumt, in den Bundestag einzuziehen.
Der 28-jährige Enkel von Helmut Kohl ist Mitglied im erweiterten CDU-Bundesvorstand. “Ich würde mich gern im Bundestag für eine Neuausrichtung der China-Politik einsetzen”, sagte Volkmann Table.Briefings. Falls er den Einzug in den Bundestag schaffe, werde er als Neueinsteiger aber keine Forderungen stellen. Volkmann hat einen Master in China-Studien gemacht und einen Bachelor in Politologie und Soziologie.
Helena Wolf, Wahlkreismitarbeiterin des Europaabgeordneten Udo Bullmann, kandidiert für die hessische SPD in Offenbach für den Bundestag. Sie hat bereits zwei Jahre als Assistentin im Bundestag gearbeitet. Die 27-Jährige hat Maschinenbau studiert und ist Fraktionschefin im Offenbacher Stadtrat. 2021 hatte die CDU den Wahlkreis mit einem Vorsprung von 1,4 Prozentpunkten vor der SPD geholt. Wolf zu Table.Briefings: “Ich würde mich im Bundestag gern für eine solide Finanzierung der Kommunen starkmachen.” Außerdem sei für sie eine stabile Wirtschaft und Verteilungsgerechtigkeit wichtig.
Russland will neue ausländische Investoren ins Land locken – mit besonderen Sicherheitsgarantien, dass sie ihr Kapital jederzeit in unbegrenzter Höhe abziehen können. Das kann aktuell kein Unternehmen, das vor Februar 2022 im Land war.
Der Auftritt von Vizefinanzminister Alexey Mojsew bei der Vorstellung der Pläne im Dezember erinnerte an die berühmte Gier-Szene aus dem Film Wall Street von 1987. Mojsew sagte: “Wir glauben, dass es keine Fantasie ist, dass ausländische Investoren auf den russischen Markt kommen können. Wir und alle, die schon lange auf dem Finanzmarkt tätig sind, wissen genau, dass die Gier trotz allem über alles andere triumphiert.”
Russland braucht Geld. Der Krieg gegen die Ukraine verschlingt gewaltige Ressourcen. 2025 werden es nach Darstellung des Verteidigungsministers Andrej Beloussow 6,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts sein, oder 32,5 Prozent des gesamten Staatshaushalts. Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik geht sogar von sieben bis acht Prozent des BIP aus. Dabei sollten diese Ausgaben nach alten Plänen aus dem Jahr 2023 sinken.
Das Finanzministerium und die russische Zentralbank bereiten nun ein Gesetz vor, das künftigen ausländischen Investoren besondere Sicherheiten garantiert. Ob sich die Hoffnung erfüllt, dass frisches Kapital ins Land kommt, ist fraglich. Sollten westliche Finanzinvestoren tatsächlich trotz Sanktionen Geld nach Russland leiten, ist es kaum vorstellbar, dass westliche Staaten diesen Geschäften tatenlos zusehen werden.
Nach wie vor sind aber mehr als die Hälfte aller ausländischen Unternehmen in Russland tätig, auch viele deutsche. Wie viele genau von den 3.651 deutschen Firmen, die im Februar 2022 noch im Land waren, geblieben sind, lässt sich kaum ermitteln. Sie verstoßen nicht gegen Sanktionen. Sie haben sich – trotz moralischer Fragen – dazu entschlossen, auf dem Markt zu bleiben. Und jetzt ist das Gehen bürokratisch schwieriger und ökonomisch besonders nachteilig. Inzwischen, so sagen es zwei deutsche Gesprächspartner, die in Moskau sind, ist es nicht möglich, ohne herbe Verluste rauszugehen. “Man verkauft nicht mehr – man verschenkt”, sagte einer, der sich regelmäßig mit deutschen Managern und Unternehmen in Russland unterhält.
2024 hat Russland aus den Exit-Geschäften westlicher Unternehmen ein Plus von umgerechnet mehr als 1,4 Milliarden Euro erzielt. Laut kremltreuen Medien ist es das Eineinhalbfache der Erlöse von 2023. Ende 2024 überstiegen die Einnahmen aus dieser Quelle die Pläne für dieses Jahr um zehn Prozent. Sogenannte freiwillige Abgaben und erzwungene Rabatte sorgen dafür, dass ein Unternehmen beim Verkauf seines Russlandgeschäfts mindestens 95 Prozent des Wertes verliert. Faktisch aber legt es sogar noch drauf. Denn der erzwungene Rabatt muss auf den Wert des Unternehmens gegeben werden, den ein staatlich bestellter Gutachter festlegt. Und der schätzt den Wert nicht nach den Regeln des Marktes.
Das Geld, das westliche Unternehmen in Russland verdienen, können sie nur in sehr kleinen Tranchen ins Ausland überweisen. Die Gewinne verbleiben also im Land. Die Unternehmen könnten das Geld vor Ort investieren, doch tun es nicht, wie das etwa der Chef der Metro Group Steffen Greubel im Handelsblatt erklärt hatte. Das Geld wird also bei russischen Banken geparkt. Die Gewinne westlicher Unternehmen in Russland helfen also dem Staatsbudget (durch Steuern) und dem Finanzsektor (durch die Liquidität).
Sowohl Russland als auch ausländische Unternehmen stecken am Ende des dritten Kriegsjahres in einem Dilemma: Russland verdient zwar an jedem Exit-Geschäft, doch es verliert auch Know-how und langfristige Einnahmen aus verschiedenen Steuern, wie Gewinn-, Umsatz-, Einkommens- und Mehrwertsteuern. Jedes ausländische Unternehmen, das geht, verliert wiederum Technik, den Wert des Unternehmens und langfristig einen lukrativen Markt.
Nach Aussagen eines Deutschen, der in Russland die Exitprozesse beobachtet, und nach Darstellung der kremltreuen Zeitung Iswestija werden derzeit kaum noch Ausstiegsverfahren abgeschlossen. Offenbar will der Kreml gar nicht, dass die Ausländer gehen. Der deutsche Gesprächspartner in Moskau sagt zudem, dass bei ausländischen Unternehmen der “große Schock vorbei” sei, man hätte sich angepasst.
Außerdem, so der zweite Gesprächspartner, hätten die Behörden offenbar verstanden, dass es besser sei, wenn die Fabriken in den Händen der Eigentümer verblieben. Und schließlich seien die Gewinne und Werte dieser ausländischen Unternehmen auch Verhandlungsmasse, wenn Moskau die Beziehungen mit dem Westen regulieren wolle.
Das Motto der polnischen Ratspräsidentschaft, die Ministerpräsident Donald Tusk am 1. Januar angetreten hat, lautet: “Sicherheit, Europa!” Das sind keine leeren Worthülsen – unter Tusk hat Polen seine Verteidigungsausgaben in 2024 auf 4,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesteigert – und plant mit 4,7 Prozent des BIP im laufenden Jahr.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine warnt Tusk eindringlich vor einem möglichen 3. Weltkrieg. Er will deswegen gemeinsam mit den EU-Partnern die europäische Verteidigung stärken, die Rüstungsproduktion wieder hochfahren und die Unterstützung für die Ukraine langfristig sichern. Um diese Ausgaben zu finanzieren, schlägt Tusk eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme vor – die Sicherheitslage sei zu ernst, sagt er, um bis zum nächsten EU-Haushalt warten zu können.
Zu seinem Verständnis von Sicherheit gehört aber viel mehr: Tusk will die Außengrenzen der EU stärken und die illegale Migration einschränken. Warschau wird seine Ratspräsidentschaft nutzen, um die EU davon zu überzeugen, die Grenz- und Verteidigungsanlagen (Ostschild) an der Grenze zu Russland und Belarus mitzufinanzieren. In der Ostsee setzt sich Tusk für gemeinsame Luft- und See-Patrouillen der Nato-Staaten ein, um den russischen Sabotageakten entgegenzuwirken.
Vor einer Woche wurde das Energie-Seekabel Estlink 2 zwischen Finnland und Estland von einem aus Russland kommenden Schiff absichtlich beschädigt. Polen will die EU-Sanktionen gegen Russland weiter verschärfen, insbesondere die “Schattenflotte” lahmlegen, die das russische Erdöl transportiert.
Nach Vorstellung von Tusk müsste Europa die Zusammenarbeit intensivieren, um gegen die Desinformation und hybride Kriegsführung durch Russland besser gewappnet zu sein. Vor allem die Datensicherheit müsste dringend verbessert werden. Polen will sich auch für Reformen einsetzen, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt zu gewährleisten. In Warschau zweifelt man, ob die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz das Ausmaß der Bedrohung durch Russland wirklich verstanden hat – und wartet sehnsüchtig auf die Bundestagswahl. ar
Russland beeinflusse politische Landschaften in Europa über eine “Achse von Autokraten”, schreibt der Balkan-Experte Thomas Brey in einer neuen Studie für die Friedrich-Naumann-Stiftung. Diese Achse beginne mit Wladimir Putin, laufe über Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić sowie dessen Juniorpartner Milorad Dodik bis hin zum slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico.
Südosteuropa sei “Experimentierfeld und Trainingslatz” für die Lügenpropaganda des Kreml. Die von Moskau gesteuerten Agenturen Sputnik sowie RT Balkan (früher Russia Today) fänden in den Medienlandschaften in der Region großes Echo. Dabei würden neue Propagandaformen erprobt und deren Wirkungsmächtigkeit überprüft. Nationalistische Erzählungen und alte Feindschaften seien der ideale Nährboden, um Gegensätze zu schüren und die Bevölkerung “gegen den Westen” aufzustacheln.
Eine besondere Rolle spielt dabei Serbien als der engste europäische Verbündete Russlands. Die EU ist zwar nach wie vor mit Abstand größter Geldgeber in Serbien und in der Region. Auch die meisten privaten Investoren stammen aus Europa und insbesondere Deutschland. In Serbiens Medien würden aber die “besonderen Beziehungen” zwischen dem großen und dem kleinen slawischen Bruder zelebriert. Alle großen Medien und kleinen Portale verbreiteten Propaganda mit Falschinformationen ungefiltert.
Hinzu komme, dass auch serbische Amtsträger prorussische und antiwestliche Narrative verbreiteten, schreibt Brey in seiner Studie. Die große Mehrheit der Bevölkerung verlasse sich auf das Fernsehen als Hauptinformationsquelle. Die Daten zeigten, dass prorussische Narrative die Programme mit nationaler Reichweite dominierten. Prorussische Kommentatoren und Verschwörungstheoretiker seien häufige Gäste. Russland werde dabei in den Himmel gehoben und der Westen regelrecht verteufelt.
Der Autor nennt als ein Beispiel ein Interview der russischen Staatsagentur Tass mit dem ehemaligen deutschen Abgeordneten Klaus Ernst (BSW, zuvor Linke), das unter der Überschrift “Deutschland sollte wieder zum russischen Gas zurückkehren” lief. In Serbien wurde das Interview breit aufgenommen, und zwar mit der Überschrift: “Wir haben uns vertan: Noch ein Land wendet sich Russland zu”. Die Botschaft sei, dass Deutschland seinen Fehler eingesehen habe und jetzt wieder mit Moskau zusammenarbeiten wolle.
Gleichzeitig sind deutsche Regierungspolitiker wie Außenministerin Annalena Baerbock regelmäßig Zielscheibe von Lügen und persönlichen Diffamierungen. Das Narrativ zielt auch darauf ab, Europas Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Die USA, die Nato und die EU könnten gegen das deutlich stärkere Russland nicht gewinnen.
Gleichzeitig wird die wirtschaftliche und soziale Lage im Westen als katastrophal dargestellt, während es Serbien dank seiner Freundschaft mit Russland prosperiere. Streiks würden als “regelrechte Aufstände” breiter Bevölkerungsschichten gegen die Regierenden dargestellt. Die Bevölkerung im Westen verarme, weil die Nato-Länder lieber Geld für die Aufrüstung der Ukraine statt für das Wohlergehen der eigenen Bürger ausgeben würden.
Die Studie schließt mit der Frage, was Europa gegen russische Destabilisierung tun kann: Westliche Finanzquellen seien gefragt, um die Einführung eines Fachs Medienkompetenz möglich zu machen. Förderung bräuchte es auch für Initiativen in der Region, die sich auf Faktencheck spezialisiert haben. Erwähnt werden auch ausländische Radioprogramme wie die BBC oder die Deutsche Welle, die in der Region in den Landessprachen präsent sind, aber noch zu wenig Gehör finden.
Im Rahmen der Beitrittsverfahren müsse die EU zudem Transparenz der Medieneigentümer einfordern, heißt es in der Studie. Mehr Einsatz wäre auch bei der Förderung und beim Coaching von Nachwuchsjournalisten möglich. Die EU müsse zudem Propaganda vermehrt konterkarieren und im Kampf gegen Desinformation aktiver werden. sti
Der Rechtsextremist Călin Georgescu geht juristisch gegen die Annullierung der ersten Runde der Präsidentenwahl in Rumänien vor. Georgescu habe Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eingereicht, sagte seine Rechtsanwältin Maria Vasii nach Angaben rumänischer Medien.
Bei dem Wahlgang am 24. November hatte der rechtsextreme und russlandfreundliche Politiker völlig überraschend den ersten Platz errungen. Das rumänische Verfassungsgericht erklärte das Ergebnis aber für ungültig und ordnete eine Wiederholung der Wahl an, weil der gesamte Wahlprozess irregulär verlaufen sei.
Georgescu verlangt den Angaben zufolge nun, dass der EGMR den rumänischen Staat verpflichtet, die Annullierung des ersten Wahlgangs rückgängig zu machen und einen zweiten Wahlgang zu organisieren. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts muss aber der gesamte Wahlprozess wiederholt werden, einschließlich Prüfung der Kandidaten. Neue Termine dafür gibt es bisher nicht.
Das Verfassungsgericht hatte unter anderem argumentiert, bei der Wahl seien die Wähler durch gesetzwidrig bevorzugte Behandlung eines Kandidaten in den sozialen Medien manipuliert worden. Der bis kurz vor der Wahl wenig bekannte Georgescu hatte vor allem auf der App Tiktok für sich geworben. Tiktok habe es verabsäumt, Georgescu als Politiker und dessen Beiträge als Wahlwerbung zu kennzeichnen, bemängelte Rumäniens Regierung. Hierzu laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Georgescu hat auch in Rumänien schon versucht, sich juristisch gegen die Wahl-Annullierung zu wehren. Der Appellationsgerichtshof in Bukarest wies seinen Antrag Ende Dezember 2024 zurück. Nun steht dem Kläger noch eine Berufung vor dem obersten Gerichtshof des Landes offen. dpa
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz spricht sich dafür aus, dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump einen neuen Anlauf für ein transatlantisches Freihandelsabkommen vorzuschlagen. “Wir brauchen eine Positiv-Agenda mit den USA, die amerikanischen wie europäischen Konsumenten gleichermaßen zugutekommt”, sagte der CDU-Chef der Deutschen Presse-Agentur. “Eine neue europäisch-amerikanische Initiative für gemeinsamen Freihandel könnte eine gefährliche Zoll-Spirale verhindern.”
Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das umfassende Handels- und Investitionsabkommen TTIP waren 2017 von Trump zu Beginn seiner ersten Amtszeit gestoppt worden und liegen seitdem auf Eis.
Merz machte deutlich, dass er mit härteren Bedingungen für die europäische Wirtschaft mit dem Amtsantritt der neuen US-Regierung rechnet. Man müsse sich wahrscheinlich darauf einstellen, dass Amerika wie von Trump angekündigt auf sich selbst gucke und eigene Interessen wahrnehme – zum Beispiel mit hohen Importzöllen. “Aber unsere Antwort darauf sollte nicht sein, jetzt fangen wir auch an mit Zöllen.” dpa
In Norwegen werden Diesel- und Benzinautos zum Auslaufmodell. Inzwischen sind fast neun von zehn verkauften Neuwagen in dem skandinavischen Land Elektroautos, wie aus Daten der Straßenverkehrsbehörde vom Donnerstag hervorgeht. Damit ist Norwegen fast an seinem Ziel, ab 2025 nur noch Elektroautos neu auf die Straßen zu bringen. “Norwegen wird das erste Land der Welt sein, das Diesel- und Benzinfahrzeuge so ziemlich vom Neuwagenmarkt nimmt”, sagt Christina Bu, Chefin des norwegischen Elektroauto-Verbandes.
Die norwegische Regierung hat hohe Einfuhrzölle auf Verbrennerfahrzeuge verhängt, während Elektroautos von derartigen Abgaben ausgenommen sind und weitere Steuererleichterungen gelten. Nach Einschätzung von Experten funktioniert diese Strategie auch deswegen, weil sie über lange Zeit beibehalten wurde. “In anderen Ländern sehen wir es häufig, dass Steuervergünstigungen zuerst beschlossen und dann wieder zurückgenommen werden”, sagt Bu.
Zugute kommt Norwegen auch, dass in dem Land selbst keine Autos gebaut werden – und es deswegen auch keine mächtige Autolobby gibt. 2024 kamen die meisten Autos von Tesla, gefolgt von Volkswagen und Toyota. Aber auch chinesische Anbieter gewinnen Marktanteile.
In der EU läuft die Autoindustrie Sturm gegen das Verbrenner-Aus ab 2035. Der Elektroautomarkt schwächelt derzeit, der Absatz der Fahrzeuge geht zurück. Vor allem das abrupte Aus der Umweltprämie in Deutschland ließ die Nachfrage nach derartigen Fahrzeugen einbrechen. Zugleich gelten seit diesem Jahr strengere CO₂-Flottengrenzwerte. Fachleute gehen davon aus, dass diese Grenzwerte ohne einen höheren Anteil von Elektroautos nicht eingehalten werden können und vielen Herstellern damit Strafzahlungen drohen. rtr
Europa steht vor einem Scheideweg: Während europäische Regulation die CO₂-Grenzwerte für Neuwagen nächstes Jahr wie geplant verschärft, kämpft die deutsche Autoindustrie um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Günstige Elektroautos aus China setzen den Markt unter Druck, während ambitionierte Vorgaben zu Emissionen die Transformation der Branche beschleunigen sollen – mit ungewissen Folgen für Arbeitsplätze und Innovationen. In dieser Lage drängen VW und Mercedes – anders als BWM oder Opel – darauf, die kommenden CO₂-Grenzwerte aufzuweichen.
Doch eine Aufweichung der CO₂-Flottengrenzwerte in der EU ab 2025 wäre ein schwerwiegender strategischer Fehler, der der deutschen Autoindustrie langfristig schaden würde. Statt sich auf die Zukunftsmärkte der Elektromobilität zu fokussieren, würde eine solche Entscheidung die Industrie an die Vergangenheit ketten – auf einem schrumpfenden Markt für Verbrennungsmotoren.
Der Zukunftsmarkt ist klar: Elektroautos. Sie sind bereits auf dem Weg, bei den Produktionskosten wettbewerbsfähig zu werden. Durch fallende Batteriekosten werden sie bis spätestens Ende dieses Jahrzehnts günstiger sein als Verbrenner. Diese Entwicklung beschleunigen technologische Fortschritte, Skaleneffekte und massive Investitionen in die Ladeinfrastruktur. Zugleich wachsen die Betriebskosten von Verbrennern durch steigende Energiepreise, CO₂-Abgaben und höhere Wartungskosten.
Der Übergang zur Elektromobilität ist nicht nur unausweichlich, sondern auch wirtschaftlich unverzichtbar für eine Industrie, die global wettbewerbsfähig bleiben möchte. Eine Strategie, die weiterhin auf Verbrennungsmotoren setzt, ignoriert diese Dynamik und bindet Ressourcen an ein veraltetes Konzept.
Derzeit dürfen neu zugelassene Autos im EU-Schnitt nicht mehr als 115,1 Gramm CO₂ pro Kilometer emittieren. 2025 würde dieser Grenzwert auf 93,6 Gramm fallen. Die CO-Grenzwerte aufzuweichen, würde bedeuten, die Kosten auf die Verbraucher abzuwälzen. Wie das?
Niedrigere CO₂-Flottengrenzwerte würden den Verkauf von Elektroautos bremsen, da der Druck auf Hersteller, emissionsfreie Fahrzeuge anzubieten, nachließe. Dies hätte unmittelbare Folgen: In drei Jahren wären mehr Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auf den Straßen, was den CO₂-Ausstoß erhöhen würde. Dieser zusätzliche Ausstoß würde im Emissionshandelssystem ETS-II abgebildet, das künftig auch den Verkehrssektor umfasst. Höhere Emissionen führen zu einer Verknappung der Zertifikate und damit zu steigenden Preisen. Diese Mehrkosten gehen direkt an die Verbraucher weiter, indem Benzin- und Dieselpreise an der Tankstelle steigen. Die Strategie der Brüsseler Lobbyisten läuft also darauf hinaus, die Kosten der Transformation von der Automobilindustrie auf die Bürger zu verlagern, während gleichzeitig die dringend notwendige Reduktion der Emissionen verzögert wird.
Eine Flexibilitätsoption, die ein Überschreiten der Flottengrenzwerte in 2025 ermöglicht und im Gegenzug die Flottengrenzwerte für 2026 überkompensiert, hätte auf die CO₂-Preise des ETS-II in den darauffolgenden Jahren allerdings so gut wie keinen Einfluss. In diesen Jahren würden mit oder ohne Flexibilitätsoption genauso viele CO₂-Emissionen im Verkehrsbereich entstehen. In dieser Hinsicht wäre eine auf 2025 und 2026 begrenzte Flexibilitätsoption tragbar.
Die Vermutung, dass bei bestehenden CO₂-Grenzwerten für 2025 per se Milliardenzahlungen auf die deutsche Autoindustrie zukämen, ist mit Vorsicht zu behandeln. Vielmehr entstehen durch die Grenzwerte Anreize, mehr E-Autos vergünstigt auf den Markt zu drücken, Verbrenner dagegen ohne Rabatt anzubieten: ein gewünschter Effekt, um die Flottengrenzwerte zu erreichen, die Strafzahlungen zu vermeiden, und einen wichtigen Schritt in Richtung Klimaziele zu machen.
Auch das Argument, die Aufweichung der Flottengrenzwerte sei nötig, um “Technologieoffenheit” zu gewährleisten, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Nebelkerze. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich oft das Ziel, den Verbrennungsmotor künstlich am Leben zu halten. Während Wasserstoff- und E-Fuels als Alternativen für den Antrieb propagiert werden, sind diese Technologien weder in ausreichendem Maß verfügbar noch wirtschaftlich für den breiten Einsatz in Pkw geeignet.
Die Kosten für die Herstellung von E-Fuels sind unverhältnismäßig hoch, und der Energieverlust bei ihrer Produktion und Nutzung ist gewaltig. Biotreibstoffe wiederum sind in großer Menge kaum nachhaltig zu haben. Tatsächlich sind diese “alternativen Technologien” oft nur ein Vorwand, um den Übergang zur Elektromobilität zu verzögern und fossile Geschäftsmodelle zu schützen.
Die deutsche Autoindustrie hat die Chance, ihre globale Führungsposition zu sichern, indem sie konsequent auf Elektromobilität setzt. Die Wettbewerber aus China und den USA investieren massiv in Elektrofahrzeuge und dominieren bereits zentrale Märkte. Wer jetzt auf einen stagnierenden Vergangenheitsmarkt setzt, riskiert, im globalen Wettbewerb abgehängt zu werden. Statt die Grenzwerte aufzuweichen, sollte die EU ihre Flottengrenzwerte stringent beibehalten und damit die Weichen für eine nachhaltige, zukunftsfähige Mobilität stellen. Das ist nicht nur gut für das Klima, sondern entscheidend für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie.
Prof. Dr. Felix Creutzig leitet die Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC Berlin). Er ist Bennett Chair for Innovation and Policy Innovation an der University of Sussex und ist Mitglied des Expertenbeirats Klimaschutz in der Mobilität.
Bundeskanzler Olaf Scholz will offenbar den Schwung des neuen Jahres nutzen: In einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht er sich für einen verstärkten Einsatz für europäische Wettbewerbsfähigkeit und den Abbau von Bürokratie aus. Es gehe nun darum, strategische Abhängigkeiten abzubauen und europäische Unternehmen gezielt zu unterstützen, heißt es in dem Brief.
Scholz listet eine Reihe von Punkten auf, zu denen er sich “schnelles, zielgerichtetes Handeln” der Kommission wünscht. Ganz oben auf seiner Liste: Weniger Bürokratie und Berichtspflichten für die Unternehmen. Es gelte, eine “pragmatische Balance” zu finden aus Zielen, die der europäischen Wirtschaft dienen, und jenen des Klima- und Umweltschutzes. “Wo geplante Vorhaben der Wettbewerbsfähigkeit schaden, müssen diese zurückgestellt oder auch ganz zurückgenommen werden”, schreibt er. Das gelte etwa für die Vorgaben für grünen Wasserstoff, die zu streng seien.
Der Kanzler kritisiert zudem zu hohe Belastungen durch die Nachhaltigkeitsrichtlinie (CSRD), die EU-Taxonomie sowie die Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). So fordert er eine Verschiebung der in der CSRD vorgesehenen Berichtspflicht um zwei Jahre und eine Anhebung der Schwellenwerte bei der Höhe des Umsatzes und der Anzahl an Beschäftigen.
Im Vorfeld des strategischen Dialogs zur Zukunft der Autoindustrie, den von der Leyen leiten wird, macht Scholz Vorschläge für die Automobilwirtschaft. Um die E-Mobilität zu fördern, wünscht er sich eine Initiative der Kommission für einen europaweiten “E-Auto-Kaufanreiz”. Auch zu den Zöllen für in China produzierte E-Autos äußert er sich in dem Brief. Hier sei es wichtig, in den Gesprächen mit Peking über eine Rücknahme der europäischen Zölle zu einem “einvernehmlichen Ergebnis” zu gelangen.
Für die energieintensive Industrie wünscht sich Scholz ebenfalls Unterstützung: Er betont die Bedeutung der deutschen und europäischen Stahlindustrie, für die er unter anderem ein Konzept für einen Leitmarkt für grünen Stahl fordert. Der Förderrahmen für den Umstieg auf eine klimafreundliche Stahlproduktion solle “pragmatischer und flexibler” gestaltet sein, vorläufig solle der Einsatz von Erdgas und blauem Wasserstoff möglich sein.
Kritisch äußert sich Scholz zum CO₂-Grenzausgleich CBAM, der “die internationale Wettbewerbsfähigkeit der eigenen energieintensiven Industrie auf dem Weltmarkt außer Acht lässt”. Hier brauche es eine Exporterstattung sowie ebenfalls weniger Bürokratie.
Starten Sie gut in das erste Wochenende des Jahres!
Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar kandidieren zwei von 96 deutschen Europaabgeordneten für den Bundestag. Außerdem bewerben sich zwei Mitarbeiter von deutschen Abgeordneten für den Einzug in den Bundestag. Einer der beiden Abgeordneten und die beiden Mitarbeiter haben Chancen, ins nationale Parlament einzuziehen.
Einigermaßen sicher ist, dass der Rechtsradikale Maximilian Krah das Europaparlament verlässt und in den Bundestag wechselt. Der 47-Jährige, Europaabgeordneter seit 2019, kandidiert in Sachsen für ein AfD-Direktmandat im Wahlkreis Chemnitz Umland – Erzgebirgskreis II. 2021 hatte die AfD den Wahlkreis Chemnitz Umland mit 28,9 Prozent der Stimmen gewonnen.
Nach der Europawahl wurde Krah aus der AfD-Delegation ausgeschlossen. Zuvor hatte er Verbrechen der SS relativiert. Für Marine Le Pen vom Rassemblement national war dies der Anlass, die AfD aus der rechtsradikalen europäischen Parteienfamilie zu werfen. Ihm wird zudem vorgeworfen, von prorussischen Kräften Bestechungsgelder angenommen und einem Assistenten Zugang zum Europaparlament verschafft zu haben, der ein Spion für China gewesen sei.
Krah dürfte sich von einem Einzug in den Bundestag erhoffen, aus der politischen Isolation im eigenen Lager herauszukommen. Von 15 neu gewählten AfD-Europaabgeordneten hatten am Tag nach der Europawahl acht für seinen Ausschluss und vier dagegen gestimmt. Drei Abgeordnete hatten sich enthalten.
Ebenfalls für den Bundestag kandidiert der Europaabgeordnete Damian Boeselager. Der 36-Jährige hatte 2017 mit Mitstreitern die Partei Volt gegründet, die sich als paneuropäisch bezeichnet, und war 2019 erstmals und als einziger Volt-Vertreter ins Europaparlament eingezogen. Dafür reichte ein Anteil von 0,7 Prozent der abgegebenen Stimmen in Deutschland. Er schloss sich der Grünen-Fraktion im Europaparlament an. 2024 gelang ihm bei den Europawahlen erneut der Einzug ins Europaparlament. Diesmal eroberten neben ihm vier weitere Volt-Politiker einen Sitz im Straßburger Parlament. Die Volt-Delegation schloss sich erneut der Grünen-Fraktion an.
Boeselager erhofft sich von seiner Kandidatur, den Durchbruch für die junge Partei bei nationalen Wahlen in Deutschland zu erringen. Bislang ist Volt nur in den nationalen Parlamenten von Zypern und den Niederlanden vertreten. “Für Volt sehe ich die Chance, in ein weiteres nationales Parlament einzuziehen”, sagte er Table.Briefings. Er wolle Wähler in einem Spektrum zwischen Ampel und Union ansprechen, die sich eine “neue, moderate, faktenbasierte Politik in der Mitte” erhofften. Damit zielt er darauf ab, insbesondere den Grünen Wähler abzunehmen, die enttäuscht sind über die Bilanz der grünen Beteiligung an der Bundesregierung.
In den Umfragen der Meinungsforschungsinstitute zur Bundestagswahl taucht Volt bisher nicht auf. Dies heißt, dass die Partei dabei auf einen Stimmenanteil von weniger als drei Prozent kommt und damit weit davon entfernt ist, bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.
Boeselager hat das Ziel, dass Volt in den verbleibenden Wochen in den Umfragen auf “3 Prozent plus” kommt: “Das wäre dann das Signal an unsere Sympathisanten, dass der Einzug in den Bundestag zu schaffen ist. Dann schießen wir hoch auf sieben Prozent.” Sollte das Konzept nicht aufgehen und Volt an der Sperrklausel scheitern, werde er seinen Sitz im Europaparlament behalten, wo er Vize im Wirtschaftsausschuss ist.
Johannes Volkmann, der das Büro des CDU-Europaabgeordneten Sven Simon seit 2020 leitet, bewirbt sich im hessischen Wahlkreis Lahn-Dill um ein Direktmandat. 2021 hatte die SPD den Wahlkreis mit drei Prozent Vorsprung vor der CDU geholt. Angesichts der Umfrageergebnisse und weil er persönlich bereits hohe Popularitätswerte erzielt, werden Volkmann gute Chancen eingeräumt, in den Bundestag einzuziehen.
Der 28-jährige Enkel von Helmut Kohl ist Mitglied im erweiterten CDU-Bundesvorstand. “Ich würde mich gern im Bundestag für eine Neuausrichtung der China-Politik einsetzen”, sagte Volkmann Table.Briefings. Falls er den Einzug in den Bundestag schaffe, werde er als Neueinsteiger aber keine Forderungen stellen. Volkmann hat einen Master in China-Studien gemacht und einen Bachelor in Politologie und Soziologie.
Helena Wolf, Wahlkreismitarbeiterin des Europaabgeordneten Udo Bullmann, kandidiert für die hessische SPD in Offenbach für den Bundestag. Sie hat bereits zwei Jahre als Assistentin im Bundestag gearbeitet. Die 27-Jährige hat Maschinenbau studiert und ist Fraktionschefin im Offenbacher Stadtrat. 2021 hatte die CDU den Wahlkreis mit einem Vorsprung von 1,4 Prozentpunkten vor der SPD geholt. Wolf zu Table.Briefings: “Ich würde mich im Bundestag gern für eine solide Finanzierung der Kommunen starkmachen.” Außerdem sei für sie eine stabile Wirtschaft und Verteilungsgerechtigkeit wichtig.
Russland will neue ausländische Investoren ins Land locken – mit besonderen Sicherheitsgarantien, dass sie ihr Kapital jederzeit in unbegrenzter Höhe abziehen können. Das kann aktuell kein Unternehmen, das vor Februar 2022 im Land war.
Der Auftritt von Vizefinanzminister Alexey Mojsew bei der Vorstellung der Pläne im Dezember erinnerte an die berühmte Gier-Szene aus dem Film Wall Street von 1987. Mojsew sagte: “Wir glauben, dass es keine Fantasie ist, dass ausländische Investoren auf den russischen Markt kommen können. Wir und alle, die schon lange auf dem Finanzmarkt tätig sind, wissen genau, dass die Gier trotz allem über alles andere triumphiert.”
Russland braucht Geld. Der Krieg gegen die Ukraine verschlingt gewaltige Ressourcen. 2025 werden es nach Darstellung des Verteidigungsministers Andrej Beloussow 6,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts sein, oder 32,5 Prozent des gesamten Staatshaushalts. Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik geht sogar von sieben bis acht Prozent des BIP aus. Dabei sollten diese Ausgaben nach alten Plänen aus dem Jahr 2023 sinken.
Das Finanzministerium und die russische Zentralbank bereiten nun ein Gesetz vor, das künftigen ausländischen Investoren besondere Sicherheiten garantiert. Ob sich die Hoffnung erfüllt, dass frisches Kapital ins Land kommt, ist fraglich. Sollten westliche Finanzinvestoren tatsächlich trotz Sanktionen Geld nach Russland leiten, ist es kaum vorstellbar, dass westliche Staaten diesen Geschäften tatenlos zusehen werden.
Nach wie vor sind aber mehr als die Hälfte aller ausländischen Unternehmen in Russland tätig, auch viele deutsche. Wie viele genau von den 3.651 deutschen Firmen, die im Februar 2022 noch im Land waren, geblieben sind, lässt sich kaum ermitteln. Sie verstoßen nicht gegen Sanktionen. Sie haben sich – trotz moralischer Fragen – dazu entschlossen, auf dem Markt zu bleiben. Und jetzt ist das Gehen bürokratisch schwieriger und ökonomisch besonders nachteilig. Inzwischen, so sagen es zwei deutsche Gesprächspartner, die in Moskau sind, ist es nicht möglich, ohne herbe Verluste rauszugehen. “Man verkauft nicht mehr – man verschenkt”, sagte einer, der sich regelmäßig mit deutschen Managern und Unternehmen in Russland unterhält.
2024 hat Russland aus den Exit-Geschäften westlicher Unternehmen ein Plus von umgerechnet mehr als 1,4 Milliarden Euro erzielt. Laut kremltreuen Medien ist es das Eineinhalbfache der Erlöse von 2023. Ende 2024 überstiegen die Einnahmen aus dieser Quelle die Pläne für dieses Jahr um zehn Prozent. Sogenannte freiwillige Abgaben und erzwungene Rabatte sorgen dafür, dass ein Unternehmen beim Verkauf seines Russlandgeschäfts mindestens 95 Prozent des Wertes verliert. Faktisch aber legt es sogar noch drauf. Denn der erzwungene Rabatt muss auf den Wert des Unternehmens gegeben werden, den ein staatlich bestellter Gutachter festlegt. Und der schätzt den Wert nicht nach den Regeln des Marktes.
Das Geld, das westliche Unternehmen in Russland verdienen, können sie nur in sehr kleinen Tranchen ins Ausland überweisen. Die Gewinne verbleiben also im Land. Die Unternehmen könnten das Geld vor Ort investieren, doch tun es nicht, wie das etwa der Chef der Metro Group Steffen Greubel im Handelsblatt erklärt hatte. Das Geld wird also bei russischen Banken geparkt. Die Gewinne westlicher Unternehmen in Russland helfen also dem Staatsbudget (durch Steuern) und dem Finanzsektor (durch die Liquidität).
Sowohl Russland als auch ausländische Unternehmen stecken am Ende des dritten Kriegsjahres in einem Dilemma: Russland verdient zwar an jedem Exit-Geschäft, doch es verliert auch Know-how und langfristige Einnahmen aus verschiedenen Steuern, wie Gewinn-, Umsatz-, Einkommens- und Mehrwertsteuern. Jedes ausländische Unternehmen, das geht, verliert wiederum Technik, den Wert des Unternehmens und langfristig einen lukrativen Markt.
Nach Aussagen eines Deutschen, der in Russland die Exitprozesse beobachtet, und nach Darstellung der kremltreuen Zeitung Iswestija werden derzeit kaum noch Ausstiegsverfahren abgeschlossen. Offenbar will der Kreml gar nicht, dass die Ausländer gehen. Der deutsche Gesprächspartner in Moskau sagt zudem, dass bei ausländischen Unternehmen der “große Schock vorbei” sei, man hätte sich angepasst.
Außerdem, so der zweite Gesprächspartner, hätten die Behörden offenbar verstanden, dass es besser sei, wenn die Fabriken in den Händen der Eigentümer verblieben. Und schließlich seien die Gewinne und Werte dieser ausländischen Unternehmen auch Verhandlungsmasse, wenn Moskau die Beziehungen mit dem Westen regulieren wolle.
Das Motto der polnischen Ratspräsidentschaft, die Ministerpräsident Donald Tusk am 1. Januar angetreten hat, lautet: “Sicherheit, Europa!” Das sind keine leeren Worthülsen – unter Tusk hat Polen seine Verteidigungsausgaben in 2024 auf 4,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesteigert – und plant mit 4,7 Prozent des BIP im laufenden Jahr.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine warnt Tusk eindringlich vor einem möglichen 3. Weltkrieg. Er will deswegen gemeinsam mit den EU-Partnern die europäische Verteidigung stärken, die Rüstungsproduktion wieder hochfahren und die Unterstützung für die Ukraine langfristig sichern. Um diese Ausgaben zu finanzieren, schlägt Tusk eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme vor – die Sicherheitslage sei zu ernst, sagt er, um bis zum nächsten EU-Haushalt warten zu können.
Zu seinem Verständnis von Sicherheit gehört aber viel mehr: Tusk will die Außengrenzen der EU stärken und die illegale Migration einschränken. Warschau wird seine Ratspräsidentschaft nutzen, um die EU davon zu überzeugen, die Grenz- und Verteidigungsanlagen (Ostschild) an der Grenze zu Russland und Belarus mitzufinanzieren. In der Ostsee setzt sich Tusk für gemeinsame Luft- und See-Patrouillen der Nato-Staaten ein, um den russischen Sabotageakten entgegenzuwirken.
Vor einer Woche wurde das Energie-Seekabel Estlink 2 zwischen Finnland und Estland von einem aus Russland kommenden Schiff absichtlich beschädigt. Polen will die EU-Sanktionen gegen Russland weiter verschärfen, insbesondere die “Schattenflotte” lahmlegen, die das russische Erdöl transportiert.
Nach Vorstellung von Tusk müsste Europa die Zusammenarbeit intensivieren, um gegen die Desinformation und hybride Kriegsführung durch Russland besser gewappnet zu sein. Vor allem die Datensicherheit müsste dringend verbessert werden. Polen will sich auch für Reformen einsetzen, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt zu gewährleisten. In Warschau zweifelt man, ob die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz das Ausmaß der Bedrohung durch Russland wirklich verstanden hat – und wartet sehnsüchtig auf die Bundestagswahl. ar
Russland beeinflusse politische Landschaften in Europa über eine “Achse von Autokraten”, schreibt der Balkan-Experte Thomas Brey in einer neuen Studie für die Friedrich-Naumann-Stiftung. Diese Achse beginne mit Wladimir Putin, laufe über Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić sowie dessen Juniorpartner Milorad Dodik bis hin zum slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico.
Südosteuropa sei “Experimentierfeld und Trainingslatz” für die Lügenpropaganda des Kreml. Die von Moskau gesteuerten Agenturen Sputnik sowie RT Balkan (früher Russia Today) fänden in den Medienlandschaften in der Region großes Echo. Dabei würden neue Propagandaformen erprobt und deren Wirkungsmächtigkeit überprüft. Nationalistische Erzählungen und alte Feindschaften seien der ideale Nährboden, um Gegensätze zu schüren und die Bevölkerung “gegen den Westen” aufzustacheln.
Eine besondere Rolle spielt dabei Serbien als der engste europäische Verbündete Russlands. Die EU ist zwar nach wie vor mit Abstand größter Geldgeber in Serbien und in der Region. Auch die meisten privaten Investoren stammen aus Europa und insbesondere Deutschland. In Serbiens Medien würden aber die “besonderen Beziehungen” zwischen dem großen und dem kleinen slawischen Bruder zelebriert. Alle großen Medien und kleinen Portale verbreiteten Propaganda mit Falschinformationen ungefiltert.
Hinzu komme, dass auch serbische Amtsträger prorussische und antiwestliche Narrative verbreiteten, schreibt Brey in seiner Studie. Die große Mehrheit der Bevölkerung verlasse sich auf das Fernsehen als Hauptinformationsquelle. Die Daten zeigten, dass prorussische Narrative die Programme mit nationaler Reichweite dominierten. Prorussische Kommentatoren und Verschwörungstheoretiker seien häufige Gäste. Russland werde dabei in den Himmel gehoben und der Westen regelrecht verteufelt.
Der Autor nennt als ein Beispiel ein Interview der russischen Staatsagentur Tass mit dem ehemaligen deutschen Abgeordneten Klaus Ernst (BSW, zuvor Linke), das unter der Überschrift “Deutschland sollte wieder zum russischen Gas zurückkehren” lief. In Serbien wurde das Interview breit aufgenommen, und zwar mit der Überschrift: “Wir haben uns vertan: Noch ein Land wendet sich Russland zu”. Die Botschaft sei, dass Deutschland seinen Fehler eingesehen habe und jetzt wieder mit Moskau zusammenarbeiten wolle.
Gleichzeitig sind deutsche Regierungspolitiker wie Außenministerin Annalena Baerbock regelmäßig Zielscheibe von Lügen und persönlichen Diffamierungen. Das Narrativ zielt auch darauf ab, Europas Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Die USA, die Nato und die EU könnten gegen das deutlich stärkere Russland nicht gewinnen.
Gleichzeitig wird die wirtschaftliche und soziale Lage im Westen als katastrophal dargestellt, während es Serbien dank seiner Freundschaft mit Russland prosperiere. Streiks würden als “regelrechte Aufstände” breiter Bevölkerungsschichten gegen die Regierenden dargestellt. Die Bevölkerung im Westen verarme, weil die Nato-Länder lieber Geld für die Aufrüstung der Ukraine statt für das Wohlergehen der eigenen Bürger ausgeben würden.
Die Studie schließt mit der Frage, was Europa gegen russische Destabilisierung tun kann: Westliche Finanzquellen seien gefragt, um die Einführung eines Fachs Medienkompetenz möglich zu machen. Förderung bräuchte es auch für Initiativen in der Region, die sich auf Faktencheck spezialisiert haben. Erwähnt werden auch ausländische Radioprogramme wie die BBC oder die Deutsche Welle, die in der Region in den Landessprachen präsent sind, aber noch zu wenig Gehör finden.
Im Rahmen der Beitrittsverfahren müsse die EU zudem Transparenz der Medieneigentümer einfordern, heißt es in der Studie. Mehr Einsatz wäre auch bei der Förderung und beim Coaching von Nachwuchsjournalisten möglich. Die EU müsse zudem Propaganda vermehrt konterkarieren und im Kampf gegen Desinformation aktiver werden. sti
Der Rechtsextremist Călin Georgescu geht juristisch gegen die Annullierung der ersten Runde der Präsidentenwahl in Rumänien vor. Georgescu habe Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eingereicht, sagte seine Rechtsanwältin Maria Vasii nach Angaben rumänischer Medien.
Bei dem Wahlgang am 24. November hatte der rechtsextreme und russlandfreundliche Politiker völlig überraschend den ersten Platz errungen. Das rumänische Verfassungsgericht erklärte das Ergebnis aber für ungültig und ordnete eine Wiederholung der Wahl an, weil der gesamte Wahlprozess irregulär verlaufen sei.
Georgescu verlangt den Angaben zufolge nun, dass der EGMR den rumänischen Staat verpflichtet, die Annullierung des ersten Wahlgangs rückgängig zu machen und einen zweiten Wahlgang zu organisieren. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts muss aber der gesamte Wahlprozess wiederholt werden, einschließlich Prüfung der Kandidaten. Neue Termine dafür gibt es bisher nicht.
Das Verfassungsgericht hatte unter anderem argumentiert, bei der Wahl seien die Wähler durch gesetzwidrig bevorzugte Behandlung eines Kandidaten in den sozialen Medien manipuliert worden. Der bis kurz vor der Wahl wenig bekannte Georgescu hatte vor allem auf der App Tiktok für sich geworben. Tiktok habe es verabsäumt, Georgescu als Politiker und dessen Beiträge als Wahlwerbung zu kennzeichnen, bemängelte Rumäniens Regierung. Hierzu laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Georgescu hat auch in Rumänien schon versucht, sich juristisch gegen die Wahl-Annullierung zu wehren. Der Appellationsgerichtshof in Bukarest wies seinen Antrag Ende Dezember 2024 zurück. Nun steht dem Kläger noch eine Berufung vor dem obersten Gerichtshof des Landes offen. dpa
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz spricht sich dafür aus, dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump einen neuen Anlauf für ein transatlantisches Freihandelsabkommen vorzuschlagen. “Wir brauchen eine Positiv-Agenda mit den USA, die amerikanischen wie europäischen Konsumenten gleichermaßen zugutekommt”, sagte der CDU-Chef der Deutschen Presse-Agentur. “Eine neue europäisch-amerikanische Initiative für gemeinsamen Freihandel könnte eine gefährliche Zoll-Spirale verhindern.”
Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das umfassende Handels- und Investitionsabkommen TTIP waren 2017 von Trump zu Beginn seiner ersten Amtszeit gestoppt worden und liegen seitdem auf Eis.
Merz machte deutlich, dass er mit härteren Bedingungen für die europäische Wirtschaft mit dem Amtsantritt der neuen US-Regierung rechnet. Man müsse sich wahrscheinlich darauf einstellen, dass Amerika wie von Trump angekündigt auf sich selbst gucke und eigene Interessen wahrnehme – zum Beispiel mit hohen Importzöllen. “Aber unsere Antwort darauf sollte nicht sein, jetzt fangen wir auch an mit Zöllen.” dpa
In Norwegen werden Diesel- und Benzinautos zum Auslaufmodell. Inzwischen sind fast neun von zehn verkauften Neuwagen in dem skandinavischen Land Elektroautos, wie aus Daten der Straßenverkehrsbehörde vom Donnerstag hervorgeht. Damit ist Norwegen fast an seinem Ziel, ab 2025 nur noch Elektroautos neu auf die Straßen zu bringen. “Norwegen wird das erste Land der Welt sein, das Diesel- und Benzinfahrzeuge so ziemlich vom Neuwagenmarkt nimmt”, sagt Christina Bu, Chefin des norwegischen Elektroauto-Verbandes.
Die norwegische Regierung hat hohe Einfuhrzölle auf Verbrennerfahrzeuge verhängt, während Elektroautos von derartigen Abgaben ausgenommen sind und weitere Steuererleichterungen gelten. Nach Einschätzung von Experten funktioniert diese Strategie auch deswegen, weil sie über lange Zeit beibehalten wurde. “In anderen Ländern sehen wir es häufig, dass Steuervergünstigungen zuerst beschlossen und dann wieder zurückgenommen werden”, sagt Bu.
Zugute kommt Norwegen auch, dass in dem Land selbst keine Autos gebaut werden – und es deswegen auch keine mächtige Autolobby gibt. 2024 kamen die meisten Autos von Tesla, gefolgt von Volkswagen und Toyota. Aber auch chinesische Anbieter gewinnen Marktanteile.
In der EU läuft die Autoindustrie Sturm gegen das Verbrenner-Aus ab 2035. Der Elektroautomarkt schwächelt derzeit, der Absatz der Fahrzeuge geht zurück. Vor allem das abrupte Aus der Umweltprämie in Deutschland ließ die Nachfrage nach derartigen Fahrzeugen einbrechen. Zugleich gelten seit diesem Jahr strengere CO₂-Flottengrenzwerte. Fachleute gehen davon aus, dass diese Grenzwerte ohne einen höheren Anteil von Elektroautos nicht eingehalten werden können und vielen Herstellern damit Strafzahlungen drohen. rtr
Europa steht vor einem Scheideweg: Während europäische Regulation die CO₂-Grenzwerte für Neuwagen nächstes Jahr wie geplant verschärft, kämpft die deutsche Autoindustrie um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Günstige Elektroautos aus China setzen den Markt unter Druck, während ambitionierte Vorgaben zu Emissionen die Transformation der Branche beschleunigen sollen – mit ungewissen Folgen für Arbeitsplätze und Innovationen. In dieser Lage drängen VW und Mercedes – anders als BWM oder Opel – darauf, die kommenden CO₂-Grenzwerte aufzuweichen.
Doch eine Aufweichung der CO₂-Flottengrenzwerte in der EU ab 2025 wäre ein schwerwiegender strategischer Fehler, der der deutschen Autoindustrie langfristig schaden würde. Statt sich auf die Zukunftsmärkte der Elektromobilität zu fokussieren, würde eine solche Entscheidung die Industrie an die Vergangenheit ketten – auf einem schrumpfenden Markt für Verbrennungsmotoren.
Der Zukunftsmarkt ist klar: Elektroautos. Sie sind bereits auf dem Weg, bei den Produktionskosten wettbewerbsfähig zu werden. Durch fallende Batteriekosten werden sie bis spätestens Ende dieses Jahrzehnts günstiger sein als Verbrenner. Diese Entwicklung beschleunigen technologische Fortschritte, Skaleneffekte und massive Investitionen in die Ladeinfrastruktur. Zugleich wachsen die Betriebskosten von Verbrennern durch steigende Energiepreise, CO₂-Abgaben und höhere Wartungskosten.
Der Übergang zur Elektromobilität ist nicht nur unausweichlich, sondern auch wirtschaftlich unverzichtbar für eine Industrie, die global wettbewerbsfähig bleiben möchte. Eine Strategie, die weiterhin auf Verbrennungsmotoren setzt, ignoriert diese Dynamik und bindet Ressourcen an ein veraltetes Konzept.
Derzeit dürfen neu zugelassene Autos im EU-Schnitt nicht mehr als 115,1 Gramm CO₂ pro Kilometer emittieren. 2025 würde dieser Grenzwert auf 93,6 Gramm fallen. Die CO-Grenzwerte aufzuweichen, würde bedeuten, die Kosten auf die Verbraucher abzuwälzen. Wie das?
Niedrigere CO₂-Flottengrenzwerte würden den Verkauf von Elektroautos bremsen, da der Druck auf Hersteller, emissionsfreie Fahrzeuge anzubieten, nachließe. Dies hätte unmittelbare Folgen: In drei Jahren wären mehr Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auf den Straßen, was den CO₂-Ausstoß erhöhen würde. Dieser zusätzliche Ausstoß würde im Emissionshandelssystem ETS-II abgebildet, das künftig auch den Verkehrssektor umfasst. Höhere Emissionen führen zu einer Verknappung der Zertifikate und damit zu steigenden Preisen. Diese Mehrkosten gehen direkt an die Verbraucher weiter, indem Benzin- und Dieselpreise an der Tankstelle steigen. Die Strategie der Brüsseler Lobbyisten läuft also darauf hinaus, die Kosten der Transformation von der Automobilindustrie auf die Bürger zu verlagern, während gleichzeitig die dringend notwendige Reduktion der Emissionen verzögert wird.
Eine Flexibilitätsoption, die ein Überschreiten der Flottengrenzwerte in 2025 ermöglicht und im Gegenzug die Flottengrenzwerte für 2026 überkompensiert, hätte auf die CO₂-Preise des ETS-II in den darauffolgenden Jahren allerdings so gut wie keinen Einfluss. In diesen Jahren würden mit oder ohne Flexibilitätsoption genauso viele CO₂-Emissionen im Verkehrsbereich entstehen. In dieser Hinsicht wäre eine auf 2025 und 2026 begrenzte Flexibilitätsoption tragbar.
Die Vermutung, dass bei bestehenden CO₂-Grenzwerten für 2025 per se Milliardenzahlungen auf die deutsche Autoindustrie zukämen, ist mit Vorsicht zu behandeln. Vielmehr entstehen durch die Grenzwerte Anreize, mehr E-Autos vergünstigt auf den Markt zu drücken, Verbrenner dagegen ohne Rabatt anzubieten: ein gewünschter Effekt, um die Flottengrenzwerte zu erreichen, die Strafzahlungen zu vermeiden, und einen wichtigen Schritt in Richtung Klimaziele zu machen.
Auch das Argument, die Aufweichung der Flottengrenzwerte sei nötig, um “Technologieoffenheit” zu gewährleisten, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Nebelkerze. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich oft das Ziel, den Verbrennungsmotor künstlich am Leben zu halten. Während Wasserstoff- und E-Fuels als Alternativen für den Antrieb propagiert werden, sind diese Technologien weder in ausreichendem Maß verfügbar noch wirtschaftlich für den breiten Einsatz in Pkw geeignet.
Die Kosten für die Herstellung von E-Fuels sind unverhältnismäßig hoch, und der Energieverlust bei ihrer Produktion und Nutzung ist gewaltig. Biotreibstoffe wiederum sind in großer Menge kaum nachhaltig zu haben. Tatsächlich sind diese “alternativen Technologien” oft nur ein Vorwand, um den Übergang zur Elektromobilität zu verzögern und fossile Geschäftsmodelle zu schützen.
Die deutsche Autoindustrie hat die Chance, ihre globale Führungsposition zu sichern, indem sie konsequent auf Elektromobilität setzt. Die Wettbewerber aus China und den USA investieren massiv in Elektrofahrzeuge und dominieren bereits zentrale Märkte. Wer jetzt auf einen stagnierenden Vergangenheitsmarkt setzt, riskiert, im globalen Wettbewerb abgehängt zu werden. Statt die Grenzwerte aufzuweichen, sollte die EU ihre Flottengrenzwerte stringent beibehalten und damit die Weichen für eine nachhaltige, zukunftsfähige Mobilität stellen. Das ist nicht nur gut für das Klima, sondern entscheidend für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie.
Prof. Dr. Felix Creutzig leitet die Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC Berlin). Er ist Bennett Chair for Innovation and Policy Innovation an der University of Sussex und ist Mitglied des Expertenbeirats Klimaschutz in der Mobilität.