sie sind rar geworden, die handelspolitischen Erfolge der EU, aber gestern konnte die EU wieder einmal einen solchen feiern – zumindest einen kleinen. Früh am Morgen verkündete die EU-Kommission nämlich, endlich eine “Partnerschaft für kritische und strategische Mineralien” mit Australien verabschiedet zu haben, nachdem die Verhandlungen für ein echtes Freihandelsabkommen im vergangenen Jahr gescheitert waren. Lesen Sie dazu mehr in den News.
Ob die nächste Kommission mehr Erfolge bei Handelsabkommen verbuchen kann, ist noch unklar. Morgen treffen sich aber die EU-Handelsminister in Brüssel, um über die Rolle der Handelspolitik in der kommenden Legislatur zu beraten. Wie derzeit auch andere Ratsformationen wird der Handelsrat die Erkenntnisse des Letta-Berichts diskutieren.
Eine Empfehlung, die laut einem EU-Diplomaten auf offene Ohren stoßt, ist das Anliegen, Handelsabkommen nicht mehr mit zu vielen anderen Anliegen zu “überfrachten”. Gemischte Abkommen stellen die EU vor große Probleme, weil die Ratifizierung viel schwieriger ist. Das aktuelle Beispiel ist CETA, dessen Ratifizierung demnächst von der französischen Nationalversammlung verunmöglicht werden könnte.
Darüber hinaus werden sich die Handelsminister auch mit den aus EU-Sicht enttäuschenden Resultaten der WTO-Ministerkonferenz im Februar beschäftigen. “Der Status Quo ist keine Option mehr”, sagte ein EU-Diplomat in einem Plädoyer für eine Reform der WTO. Aber aktuell ist nicht ersichtlich, wie eine Reform zustande kommen sollte.
Einen weiteren potenziellen Herd für schlechte Laune umschiffen die Handelsminister jedoch gekonnt. Der Handelsstreit zwischen den USA und China und die hängige Untersuchung zur Subventionierung chinesischer E-Autos steht nicht auf der Agenda. Die Handelsminister warten stattdessen lieber auf die Entscheidung der Kommission, die in den kommenden Wochen erwartet wird.
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Der palästinensische Botschafter in Deutschland, Laith Arafeh, hat die Bundesregierung in Berlin aufgefordert, Palästina zügig anzuerkennen. “Wir hoffen, dass die Bundesregierung ihre Anstrengungen beschleunigen wird und sich jener Mehrheit von 147 Staaten weltweit anschließt, die Palästina als rechtmäßiges Mitglied der Staatengemeinschaft anerkannt haben”, sagte er zu Table.Briefings. “Wir würden uns eine politisch aktivere Rolle Deutschlands wünschen”, sagte Arafeh. “Um nicht an Relevanz zu verlieren, ist es daher wichtig, dass sich die Bundesregierung der Geschwindigkeit der Ereignisse anpasst und den Fakt anerkennt, dass Palästina nach Jahrzehnten der Besatzung das Recht auf Unabhängigkeit zusteht – und der palästinensischen Bevölkerung ein Leben in Freiheit.”
Norwegen, Spanien und Irland hatten bereits in der vergangenen Woche angekündigt, Palästina als Staat anzuerkennen – ein Schritt, der am Dienstag vollzogen wurde. Im Regierungssitz Palacio de la Moncloa in Madrid sagte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez: “Dies ist eine historische Entscheidung, die ein einziges Ziel hat: Den Israelis und den Palästinensern zum Frieden zu verhelfen.” Ähnlich äußerte sich der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, der “zwei Staaten, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben” als einzig mögliche politische Lösung zwischen Israelis und Palästinensern bezeichnete. “Man kann keine Zweistaatenlösung haben, wenn man nicht die Existenz beider Staaten anerkennt”, sagte Irlands Regierungschef Simon Harris am Dienstag in Dublin zur Begründung.
Die Bundesregierung in Berlin sieht das anders – wie die Mehrheit der 27 EU-Staaten, die USA und Großbritannien. So erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz erst vorige Woche, dass es angesichts vieler offener Fragen wie etwa dem des palästinensischen Staatsgebiets “noch nicht so weit” sei. Was stattdessen gebraucht werde, sei “eine verhandelte Lösung zwischen Israel und den Palästinensern, die auf eine Zweistaatenlösung hinausläuft”.
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron mahnte am Dienstag beim deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats neue Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung an und stellte klar, dass er große Sympathie für die Initiative aus Norwegen, Spanien und Irland hege. “Als Vertreter Frankreichs bin ich voll und ganz bereit, die Schaffung eines palästinensischen Staates anzuerkennen.”
Bei einer Abstimmung in der UN-Vollversammlung vor zwei Wochen hatte sich Deutschland wie 24 weitere Mitglieder der Stimme enthalten – 143 hingegen stimmten für die Anerkennung Palästinas als Staat.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, verteidigte gegenüber Table.Briefings die Haltung der Bundesregierung, äußerte jedoch Verständnis für die drei EU-Partner, die nun nicht länger warten wollten. “Drei Jahrzehnte nach den Oslo-Abkommen kann man die palästinensische Seite nicht abermals auf einen langwierigen Verhandlungsprozess vertrösten”, so Schmid. “Inzwischen ist der Zeitpunkt für eine Paketlösung gekommen, die Israel die Normalisierung durch die arabischen Staaten bringt – im Gegenzug dafür muss die israelische Regierung einen palästinensischen Staat anerkennen.”
Schmid verwies allerdings darauf, dass zentrale Fragen palästinensischer Staatlichkeit weiter ungeklärt seien. So verfüge die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) heute über weniger politischen Einfluss als noch vor zehn Jahren, auch sei Korruption in der palästinensischen Verwaltung noch immer weitverbreitet. Hinzu komme mangelnde demokratische Legitimation, da die letzten Wahlen in den palästinensischen Gebieten 2006 stattgefunden hätten. Damals war die islamistische Hamas als Sieger aus dem Urnengang hervorgegangen, was jedoch weder von den USA noch von der EU anerkannt wurde.
Schweden war 2014 das erste EU-Mitglied, das einen Palästinenserstaat anerkannte; Bulgarien, Zypern, Tschechien, Ungarn, Polen und Rumänien hatten dies bereits vor ihrem EU-Beitritt getan. Schweden hoffte seinerzeit, damit den Friedensprozess zu beschleunigen und einer Zweistaatenlösung den Weg zu ebnen.
Zehn Jahre später versucht Norwegen das nun erneut: So sagte Außenminister Espen Barth Eide, dass die Anerkennung zwar nicht den Krieg in Gaza beenden werde; sie sei aber “eine Schlüsselkomponente” für eine Friedensinitiative unter arabischer Führung.
Knapp acht Monate nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel stehen die Chancen für eine Zweistaatenlösung auch deshalb so schlecht, weil Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Anerkennung eines palästinensischen Staats ablehnt. Selbst Saudi-Arabien, das bis zum Beginn des Gaza-Kriegs die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel angestrebt hatte, geht inzwischen auf Distanz zu Netanjahu. Hauptgrund: die mangelnde Bereitschaft der Regierung Netanjahus, einen palästinensischen Staat Seite an Seite mit Israel anzuerkennen. Mit Stefan Braun
Noch wenige Tage sind es bis zur Europawahl. 60,9 Millionen Deutsche können am 9. Juni ihre Stimme abgeben, und erstmals können Jugendliche ab 16 Jahren wählen. Neben Deutschland ist das auch in Österreich, Belgien und Malta der Fall. Eine repräsentative Greenpeace-Umfrage unter 16- bis 23-Jährigen zeigt allerdings, dass viele Jugendliche nicht gut vorbereitet in ihre erste Wahl gehen. Die wichtigsten Ergebnisse der Befragung:
Bei der politischen Aufklärung sind die Schulen gefragt. Das sieht auch Heiko Lüdemann so, seit neun Jahren ist er Schulleiter der BBS I in Lüneburg. Die berufsbildende Schule mit 2.130 Schülerinnen und Schülern bietet 23 duale Berufsausbildungen vor allem im Bereich Wirtschaft und Verwaltung. Außerdem können Jugendliche hier sämtliche Schulabschlüsse ablegen. Entsprechend heterogen ist die Schülerschaft. “Für viele ist der Besuch an der BBS die zweite oder dritte Chance auf einen Schulabschluss”, erklärt der Schulleiter beim Besuch von Table.Briefings. Und er sagt auch: “Viele kommen aus Familien, die sich wenig mit Demokratie und Politik beschäftigen. Sie leben in ihrer Filterblase, bewegen sich nicht aus ihren persönlichen Umfeldern raus, ihnen fehlt oft ,Weltwissen’, wie wir es nennen.” Politische Meinungsbildung und Beteiligung sei vielen fremd.
Die BBS I, die auch zu den Top 20 für den Deutschen Schulpreis 2024 gehört, will ihre Schüler aber genau dazu befähigen. Als “Schule gegen Rassismus” hat sie zum Beispiel kürzlich ein Argumentationstraining gegen Rassismus und einen Workshop zum Umgang mit Stammtischparolen durchgeführt. Und als Europaschule, die im Rahmen von Erasmus+ viele Auslandspraktika in der EU anbietet, will sie die Schüler auch auf die Europawahl vorbereiten.
Erja (23) und Christoph (21), die an der Schule die duale Ausbildung zur Immobilienkauffrau und zum Immobilienkaufmann machen, beobachten, dass das Interesse für Politik in ihrer Klasse sehr unterschiedlich ist. Wer kein Interesse habe, gehe oft auch nicht zur Wahl. Erja sagt aber auch: “Desinteresse entsteht oft, weil Jugendliche nicht informiert sind.” Christoph sieht in einer guten Informationsvermittlung eine wichtige Voraussetzung, “um die Partei zu finden, mit der man die meisten Übereinstimmungen hat”. Beide wünschen sich daher, dass junge Menschen stärker befähigt werden, sich eine politische Meinung zu bilden. Sie selbst nutzen dafür eher klassische Formate. “Tagesschau, Wahl-O-Mat, Radio”, zählt Christoph auf. Social Media, speziell TikTok, spiele für ihn als Informationsquelle keine Rolle.
Dass es an der berufsbildenden Schule verbindlich Politikunterricht gibt, ist für Christoph nicht selbstverständlich. Auf dem Gymnasium, das er vorher besucht hat, konnte er Politik in der Oberstufe zugunsten von Geografie abwählen. Nach dem aktuellen Ranking Politische Bildung der Universität Bielefeld ist das kein Einzelfall. “Die Lernzeiten für die politische Bildung variieren unerklärlich stark über die Länder hinweg, aber auch zwischen den Schulformen innerhalb eines Landes”, heißt es in dem Bericht. Die beruflichen Schulen schneiden demnach besser ab als die Gymnasien.
Die BBS I in Lüneburg ist ein Beleg dafür. Sie ist schon seit vielen Jahren bei der Juniorwahl dabei. Es ist das größte Schulprojekt zu politischer Bildung, bei dem Schüler durch die Wahlsimulation erste Demokratieerfahrungen machen können. Vor der Europawahl 2024 haben sich 5.600 Schulen zur Juniorwahl angemeldet.
Aber die Juniorwahl ist nicht die einzige Vorbereitung für die Erstwähler. “Wir haben die Europawahl im Politikunterricht von A bis Z durchgespielt und uns mit den Aufgaben des EU-Parlaments befasst”, erklärt Silke Grohmann, Teamleiterin Politik an der BBS I. Viele Schüler seien erstaunt gewesen, als sie erfuhren, wie viel mit ihrer eigenen Lebenswelt zu tun hat – zum Beispiel die Frage der Roaming-Gebühren.
Die Schule hat auch einen Videowettbewerb durchgeführt, der Erstwähler zur Wahlbeteiligung motivieren soll. Der beste Spot, den die Schüler selbst ausgewählt haben, wird nun zum Start der Juniorwahl gezeigt, und die Schule versucht auch noch, ihn ins Kino in Lüneburg zu bringen.
Ende Mai gab es an der Schule außerdem zwei “Tage der politischen Parteien”. Dazu wurden Vertreter der großen Parteien ins Forum der Schule eingeladen, um sich den Fragen der Schüler zu stellen. Table.Briefings konnte die Schüler vor Ort durch den Tag begleiten. Die Schüler bekamen am Tag der Veranstaltung Fragebögen zu vier Themenbereichen: Europa, Demokratie, Umweltschutz und Klimawandel, Migration und Asylpolitik. Dazu sollten sie die Politiker befragen. “Ich bin schon erstaunt, wie groß das Interesse der Schüler ist“, sagt Silke Grohmann mit Blick auf die angeregten Diskussionen an den Ständen.
Was auch auffällt: Besonders an Stände mit jüngeren Parteivertretern kommen mehr Jugendliche. Die 22-jährige Juso Hannah Koch wundert das nicht: “Wir stellen uns ganz ähnliche Fragen wie die Schüler hier und teilen ihre Zukunftssorgen.” Pascal Mennen, Landtagsabgeordneter der Grünen und selbst früher Lehrer, ergänzt: “Jugendliche sehen sich politisch in einer Außenseiterrolle, sie erleben, dass wenig für ihre Interessen gemacht wird”. Daher sei es wichtig, ihnen in den Gesprächen auf Augenhöhe zu begegnen.
Immer wieder geht es in den Diskussionen auch um dieses Thema: die AfD. Sie war ursprünglich auch eingeladen, dann aber wieder ausgeladen. Auf den Arbeitsblättern gibt es dazu einen Hinweis: Die Schule habe sich zu diesem Schritt nach dem Urteil des OVG Münster Mitte Mai entschieden, nachdem der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen kann. Der Entscheidung sei eine lange Diskussion vorausgegangen, sagt der Schulleiter, “aber wir müssen sicherstellen, dass das, was an den Ständen gesprochen wird, der Verfassung entspricht.” Lüdemann sieht die positive Haltung vieler Schüler zur AfD mit Sorge.
Aber vielleicht ist die offen geäußerte Kritik der Schüler am Ausschluss der AfD auch ein Beleg für die starke politische Arbeit an der Schule: Es gibt Raum für Diskussionen. Das ist nicht selbstverständlich, wie eine Umfrage der Vodafone Stiftung zeigt. Demnach erlebt nur jeder zweite Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren die Schule als einen Raum für offenen und respektvollen Meinungsaustausch.
Genau den will die BBS I in Lüneburg ermöglichen. Daher ist die Schule auch am 6. Juni bei der Mitmachaktion “#IchStehAuf – Schulen für Demokratie und Vielfalt” der Robert Bosch Stiftung dabei. Die Initiative unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten ruft im Vorfeld der Europawahl Schulen aller Klassenstufen und Schularten auf, symbolisch am Aktionstag auf Tische oder Stühle zu klettern, um ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt zu setzen. Bislang haben sich mehr als 1.500 Schulen bei der Initiative angemeldet.
Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier.
Am Vortag hatte Emmanuel Macron in Dresden noch eine Verdoppelung des EU-Budgets gefordert, in der gemeinsamen Erklärung zum deutsch-französischen Ministerrat am Dienstag auf Schloss Meseberg war davon keine Rede mehr. In dem siebenseitigen Papier verweisen Berlin und Paris lediglich auf den hohen Investitionsbedarf in den kommenden Jahren. Bei der Frage der Finanzierung bleibt die Erklärung jedoch vage. Von einer Budgeterhöhung ist in der Erklärung nichts zu lesen – die Bundesregierung bremst.
Darauf angesprochen, antwortete Macron bei der Pressekonferenz, es habe bereits zweimal in der EU Sonderhaushalte gegeben, die das Volumen des normalen EU-Haushalts erreicht hätten. Er nannte den sogenannten Juncker-Plan sowie den Corona-Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro. Er habe mit seiner Rede in Dresden am Montag nicht sagen wollen, dass unbedingt der EU-Haushalt an sich verdoppelt werden müsse.
Einig sind sich Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz – wie zuvor – dass ein Großteil der Investitionen von privater Seite kommen muss. Das Mittel dazu soll die Kapitalmarktunion sein, aber auch da gibt es in den Details nach wie vor Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich. Für Frankreich ist eine stärkere Zentralisierung der Marktaufsicht unerlässlich. Während Kanzler Olaf Scholz bereit scheint, hier Konzessionen zu machen, stellt Finanzminister Lindner sich dagegen. Die schwierig verständliche Kompromissformulierung erwähnt eine “wirksamere” Rolle der europäischen Aufsichtsbehörden als ein Beispiel, wie die Konvergenz der Kapitalmarktaufsicht sichergestellt werden könnte. Dabei seien jedoch “die Interessen aller Mitgliedstaaten zu berücksichtigen”.
Die Minister einigten sich auch darauf, die öffentliche Auftragsvergabe stärker zu nutzen, “um grüne Leitmärkte zu fördern und die Widerstandsfähigkeit Europas zu stärken”. Dies soll durch eine Überarbeitung der Richtlinien über das öffentliche Auftragswesen aus dem Jahr 2014 erreicht werden. Die Kriterien sollen Innovations-, Umwelt- und Resilienzaspekte verstärkt berücksichtigen.
Am Freitag hatten sich die EU-Industrieminister am Wettbewerbsfähigkeitsrat in Brüssel ebenfalls für eine Überarbeitung der Auftragsvergabe ausgesprochen. Durch die verstärkte Berücksichtigung der qualitativen Kriterien soll das Preiskriterium weniger wichtig werden. Dies soll ermöglichen, dass öffentliche Aufträge eher von Unternehmen ausgeführt werden, die sich an europäische Standards halten.
Frankreich und Deutschland fordern Brüssel zudem dazu auf, die chemische Industrie nicht mit neuen Umweltschutzauflagen zu belasten, die die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors weiter einschränken könnten. Die Überarbeitung der EU-Chemikalienverordnung (REACH) solle einen risikobasierten Ansatz verfolgen, “statt auf breiter Linie Produkte zu verbieten”, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.
Die Novellierung von REACH wurde von der Kommission bereits um zwei Jahre verschoben und soll nun vom nächsten College umgesetzt werden. Darin könnte eine Verschärfung der Zulassungsbeschränkungen für sogenannten Ewigkeitschemikalien (PFAS) enthalten sein. PFAS sind zwar teils enorm umweltschädlich, sind aber in einer Vielzahl von Industrie- und Konsumgütern derzeit noch unersetzbar. Die Chemieindustrie warnt schon länger vor einem flächendeckenden Verbot. Berlin und Paris stellen sich nun offenbar hinter diese Warnungen.
Deutschland und Frankreich wollen zudem zusammen Langstrecken-Raketen entwickeln. “Frankreich und Deutschland werden gemeinsam mit Partnern eine langfristige, umfassende und inklusive Zusammenarbeit im Bereich weitreichender Abstandswaffen eingehen”, heißt es in einer in Meseberg beschlossenen Erklärung. Dies solle auch zur Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie dienen.
Beide Regierungen seien sich einig, was “die zentrale Bedeutung der nuklearen Abschreckung für die Sicherheit Europas und der Nato” angehe, hieß es. Dies gelte auch für die Abschreckungsrolle der strategischen französischen Nuklearstreitkräfte. Man sei sich bewusst, dass das Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv auf einer geeigneten Mischung aus nuklearen, konventionellen und Raketenabwehrfähigkeiten, ergänzt durch Weltraum- und Cyberfähigkeiten, beruht. jaa/luk/rtr
Das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine schließe auch Angriffe auf legitime militärische Ziele in Russland ein, betonte Jens Stoltenberg am Dienstag beim Treffen der EU-Verteidigungsminister in Brüssel. Der Nato-Generalsekretär erhöhte damit den Druck auf Deutschland und andere Verbündete, die der Ukraine bisher die Nutzung von westlichen Waffen für Gegenschläge auf militärische Logistik oder Flugplätze in Russland untersagen.
Es sei jetzt der Zeitpunkt, diese Einschränkungen zu überdenken, sagte Stoltenberg. Die heftigsten Kämpfe fänden in der Region von Charkiw statt, an der russisch-ukrainischen Grenze. Ein Teil dieser Grenze sei gleichzeitig Frontlinie. Es sei schwierig für die ukrainischen Streitkräfte, sich zu verteidigen, wenn sie militärische Ziele wie Artilleriestellungen auf der anderen Seite der Grenze nicht angreifen könnten.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte, dass die westlichen Restriktionen bei der Nutzung der Waffen auch hinter verschlossenen Türen Thema gewesen sei. Einige Verteidigungsminister hätten gesagt, dass sie darüber nachdenken würden, die Restriktionen aufzuheben, sagte Borrell. “Eineinhalb bis zwei” Mitgliedstaaten seien bereit zu dem Schritt. Die Zahl werde sich aber in den nächsten Tagen sicher ändern.
Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur und Kollegen anderer östlicher EU- beziehungsweise Nato-Staaten wiesen die Warnungen vor einem Eskalationsrisiko zurück: Er hoffe, dass alle Länder, die entsprechende Waffen lieferten, auf Einschränkungen verzichteten. Es sei nicht “normal”, dass die Ukraine Stellungen nicht angreifen dürfe, von denen aus sie angegriffen werde. Für die Niederlande sagte Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren, ihr Land habe die Nutzung gegen Ziele in Russland nie ausgeschlossen: “Ich hoffe, dass andere Staaten ihre Position ändern”. Die Ukrainer kämpften mit einer Hand auf dem Rücken gebunden.
Auch Frankreich unterstützt Angriffe auf Militäreinheiten in Russland. Präsident Emmanuel Macron sagte beim deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat, es sei die russische Seite, die ihre Strategie geändert habe und die Ukraine von Basen tief auf russischem Gebiet aus angreife. Es sei allerdings entscheidend, dass nur Militäreinheiten und nicht zivile Ziele attackiert würden. “Wenn wir das sehr gezielt angehen, sollte das möglich sein”, sagte Macron.
Bundeskanzler Olaf Scholz antwortete auf die Frage, wie er das einschätze: “Die Ukraine hat völkerrechtlich alle Möglichkeiten, sich zu verteidigen. Sie ist angegriffen worden.” Die Behauptung, Kiew sei an dieser Stelle eingeschränkt worden, wies Scholz zurück. “Das hat es nie gegeben – und wird es auch nicht geben.”
Borrell betonte zwar, dass die EU keinen Mitgliedstaat zwingen könne, die Beschränkungen für Waffen aufzuheben. Es sei aber nach internationalem Recht legitim, der Ukraine Waffen auch für militärische Ziele in Russland zu liefern. Derzeit könne Russland die Ukraine quasi aus einem geschützten Raum angreifen.
Die Frage ist, ob die Ukraine die F-16 Kampfflugzeuge für Angriffe in Russland wird nutzen dürfen, wenn europäische Verbündete wie die Niederlande oder Dänemark die ersten Maschinen aus US-amerikanischer Produktion möglicherweise noch vor dem Sommer liefern. Hier hat Washington auch ein Wort mitzureden und die USA waren bisher ähnlich wie Deutschland zurückhaltend.
Belgiens Regierungschef Alexander De Croo verkündete am Dienstag bei einem Empfang für Präsident Wolodymyr Selenskyj in Brüssel, dass sein Land bis 2028 der Ukraine 30 F-16 Kampfjets überlassen werde. Die ersten Maschinen sollen in diesem Jahr eintreffen. Doch auch De Croo betonte, dass die Kampfflugzeuge nur für Einsätze auf ukrainischem Territorium genutzt werden dürften.
Thema beim Verteidigungsministertreffen waren auch die Bemühungen, der Ukraine weitere Systeme zur Luftverteidigung zu liefern. Die Ukraine hat einen Bedarf von sieben weiteren Patriot-Systemen angemeldet, um größere Städte und zivile Infrastrukturen schützen zu können. Deutschland hat bisher als einziger Verbündeter ein zusätzliches System geliefert. Patriot-Systeme seien Mangelware in Europa, sagte die niederländische Verteidigungsministerin Ollongren. Sie sei mit Partnern in Gespräch, wer zumindest einzelne Bestandteile abgeben könne. Ziel sei es, gemeinsam ein ganzes Patriot-System zusammenzustellen und liefern zu können. Das sei nur gemeinsam möglich, so Ollongren. sti/stb
Ungeachtet wochenlanger Massenproteste und Kritik aus Brüssel hat das Parlament von Georgien endgültig ein Gesetz zur schärferen Kontrolle der Zivilgesellschaft verabschiedet. Für das Gesetz votierten am Dienstag 84 der insgesamt 150 Abgeordneten. Damit überstimmte das Parlament auch ein Veto der proeuropäischen Präsidentin Salome Surabischwili.
Die Regierungspartei Georgischer Traum verschärft damit die Rechenschaftspflicht von Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent ihres Geldes aus dem Ausland erhalten. Sie begründet dies mit höherer Transparenz. Auch am Dienstag war die Debatte im Parlament wieder von heftigen Vorwürfen von Regierung und Opposition geprägt.
Die oppositionelle Abgeordnete Anna Zitlidse warf der politischen Führung eine “gedankenlose Politik” vor, die den Weg Georgiens in die EU versperre und dem Land viele Probleme bereiten werde. Parlamentschef Schalwa Papuaschwili wiederum beschuldigte die oppositionellen Abgeordneten, nicht im nationalen Interesse, sondern im Interesse anderer Länder zu agieren.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bedauerte die Verabschiedung des Gesetzes ausdrücklich. Diese verstoße gegen Grundwerte der EU und bedeute einen Rückschritt auf Georgiens Weg zu einem Beitritt. “Wir fordern die georgischen Behörden nachdrücklich auf, diesen Trend umzukehren und entschlossen auf den EU-Weg zurückzukehren“, erklärte Borrell.
Vor dem Parlament fanden sich erneut Tausende Menschen ein, um gegen das Gesetz zu protestieren. Die Polizei war ebenfalls mit einem Großaufgebot vor Ort. Die Demonstranten beschimpften Vertreter des Georgischen Traums als “Verräter” und “Russen”. Die Regelung ist nach ihrer Ansicht dazu gedacht, kritische Organisationen mundtot zu machen. Sie sehen Parallelen zu dem in Russland erlassenen Gesetz gegen sogenannte ausländische Agenten. Dies wird vom Kreml seit Jahren dazu eingesetzt, die Opposition und unabhängige Medien zu unterdrücken. dpa/tho
Der frühere Chef des Geheimdienstes und der Anti-Terrorismusbehörde, Dick Schoof (67), soll neuer Regierungschef der Niederlande werden. Das teilten die vier künftigen Koalitionsparteien am Dienstag in Den Haag mit. Der parteilose Schoof ist bislang höchster Beamter im Justizministerium. Er soll die rechteste Regierung der Landesgeschichte führen und Nachfolger des heutigen Premiers Mark Rutte werden, der Nato-Generalsekretär werden soll.
Schoof erklärte, er wolle sich dafür einsetzen, das Vertrauen der Bürger in den Staat wieder herzustellen. “Ich will Premier aller Niederländer sein.” Er bekräftigte zudem, dass er parteilos sei und nicht als Vertreter des radikal rechten Populisten Geert Wilders die Regierung führen wolle. Wilders sprach von einer guten Wahl. “Er steht über den Parteien und hat unser Vertrauen.” Zudem habe Schoof breite Erfahrung.
Um die Koalition zu ermöglichen, verzichtete Wilders auf das Amt des Regierungschefs sowie auf einige seiner umstrittensten Forderungen wie das Verbot von Moscheen. Die Hälfte des Kabinetts soll aus Nicht-Berufspolitikern bestehen. Es wird damit gerechnet, dass der König die neue Regierung in etwa vier Wochen vereidigen kann.
Schoof ist politisch bislang nicht in Erscheinung getreten, war bis vor einigen Jahren jedoch Mitglied der sozialdemokratischen Partei. Er gilt als Experte für Sicherheit und Migration – zwei zentrale Punkte für die rechten Koalitionspartner. Schoof leitete den Nachrichten- und Sicherheitsdienst AIVD, war Koordinator im Kampf gegen den Terrorismus und auch Direktor der Immigrationsbehörde. dpa
Der Europäische Rechnungshof stellt der Kommission ein ausreichendes bis mangelhaftes Zeugnis aus für ihre Leistungen beim Aufbau eines wettbewerbsfähigen Ökosystems für Künstliche Intelligenz. Trotz erheblicher Bemühungen und Investitionen könne die EU nicht mit führenden globalen Akteuren Schritt halten, urteilen die Prüfer in einem aktuellen Bericht. Sie kritisieren, dass die Maßnahmen der Kommission und der Mitgliedstaaten nur begrenzte Auswirkungen auf die Entwicklung des KI-Ökosystems hatten.
“Umfangreiche und zielgerichtete Investitionen in KI werden in den kommenden Jahren entscheidenden Einfluss auf das Wirtschaftswachstum in der EU haben”, sagt Mihails Kozlovs. Er ist das für die Prüfung zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. Im Wettlauf um KI bestehe die Gefahr, dass der Gewinner am Ende alles bekomme. “Um die ehrgeizigen EU-Ziele zu erreichen, müssen die Europäische Kommission und die EU-Länder ihre Kräfte wirksamer bündeln, schneller handeln und das Potenzial der EU besser nutzen“, sagt Kozlovs. Nur dann könne diese große technologische Revolution erfolgreich gemeistert werden.
Seit 2018 verfolgt die EU ehrgeizige Pläne zur Förderung von KI-Technologien, um eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Diese Pläne sollten die Investitionen in KI erhöhen und das Regelungsumfeld anpassen. Dennoch blieben die Investitionen hinter den Erwartungen zurück. Kommission und Mitgliedstaaten hätten ihre Maßnahmen nicht wirksam koordiniert, da der Kommission die erforderlichen Governance-Instrumente und aktuellen Zielvorgaben fehlten, heißt es im Bericht.
Ein bedeutendes Problem sind verzögerte Infrastrukturprojekte. Viele Projekte, die kleine und mittlere Unternehmen (KMU) unterstützen sollten, sind noch nicht voll einsatzfähig. “Die Umsetzung von Infrastruktur- und Kapitalunterstützung für KMU zur Einführung von KI-Technologien nahm Zeit in Anspruch, sodass zum Zeitpunkt der Prüfung noch keine nennenswerten Ergebnisse erzielt worden waren“, kritisieren die Prüfer.
Im Vergleich zu anderen Weltregionen hinkt Europa deutlich hinterher. “Die KI-Investitionen der EU stiegen im Zeitraum 2018-2020 zwar stetig an und übertrafen die KI-Ziele der EU, doch hat sich die Lücke zwischen den Vereinigten Staaten und der EU bei den Investitionen in KI zwischen 2018 und 2020 mehr als verdoppelt”, steht im Bericht. Konkret wuchs die Lücke auf 10,5 Milliarden Euro im Jahr 2020.
Der Rechnungshof kritisiert zudem die unzureichende Überwachung und Nutzung von Forschungsergebnissen. Demnach führte die Kommission nur teilweise Kontrollen durch, um sicherzustellen, dass die aus dem EU-Haushalt finanzierten Ergebnisse aus Forschung und Innovation (FuI) im Bereich KI vermarktet oder anderweitig genutzt werden.
Um diese Mängel zu beheben, empfiehlt der Rechnungshof der Kommission, das EU-Investitionsziel für KI neu zu bewerten und klare Vereinbarungen mit den Mitgliedstaaten zu treffen, wie diese zur Erreichung des Ziels beitragen können. Die Kommission solle evaluieren, ob spezielle Instrumente zur Kapitalunterstützung für innovative KMU erforderlich sind, und sicherstellen, dass die KI-Infrastruktur koordiniert zum Einsatz kommt.
Darüber hinaus fordern die Prüfer die Festlegung spezifischer Leistungsziele und Indikatoren sowie deren regelmäßige Überwachung. Die Kommission müsse verstärkte Maßnahmen ergreifen, um die Nutzung der Ergebnisse aus EU-finanzierter KI-Forschung zu fördern und die Ergebnisse nach Abschluss der Projekte systematisch zu überwachen.
Unter dem Strich heißt das, dass die EU ihre Strategien zur Förderung von KI-Technologien überdenken und effektiver umsetzen muss, um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Der gerade beschlossene AI Act könne dazu beitragen, die EU als attraktiven Standort für KI-Entwicklung zu etablieren. Es sei aber noch zu früh, das zu bewerten, sagte Kozlovs. vis
Der Digital Services Act (DSA) entwickelt seine positive Wirkung – jedenfalls sieht die EU-Kommission das so. Ein Beispiel: Meta hat sein Analysetool Crowdtangle wieder aktiviert und vor der Europawahl sogar neue Funktionen eingeführt. Die Wahlen in den USA werden davon allerdings nicht profitieren, nach dem 14. August wird es nicht mehr zur Verfügung stehen.
Am 30. April hatte die Kommission ein formelles Verfahren gegen Meta im Rahmen des DSA eingeleitet, unter anderem wegen der Einstellung und geplanten Abschaffung von Crowdtangle. Mit dem Analysetool können Forscherinnen, Journalisten und Zivilgesellschaft nachverfolgen, welche Beiträge auf Facebook oder Instagram besonders erfolgreich waren. Es dient auch der Wahlbeobachtung. Die Kommission kritisierte, dass das Tool ausgerechnet vor den Europawahlen ohne einen angemessenen Ersatz wegfallen sollte.
Meta hat jetzt die Laufzeit verlängert und neue Funktionen in Crowdtangle implementiert: 27 neue Dashboards, eines für jeden Mitgliedstaat, um Dritten eine Echtzeitüberwachung des zivilen Diskurses und der Wahlprozesse zu ermöglichen. “Wir begrüßen diese Ankündigung, denn nach dem DSA müssen sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen Risiken, die von ihren Diensten ausgehen, bewerten und mindern, einschließlich solcher, die den Schutz von Wahlprozessen betreffen”, sagte ein Kommissionssprecher am Dienstag in Brüssel.
Die Kommission wolle nun die effektive Einführung dieser neuen Maßnahmen und Funktionen überwachen. Die formellen Verfahren liefen dabei weiter. Die Integrität der Europawahlen ist aktuell eine der Prioritäten der Kommission im Rahmen des DSA.
Ohne den DSA hätte es diese Entwicklung nicht gegeben, sagte Prabhat Agarwal, Referatsleiter der DG Connect, auf der Digitalmesse Republica in Berlin. Er beobachte eine “sehr positive Dynamik des DSA“. Viele Leute innerhalb der Plattformen, die auf Arbeitsebene das Richtige tun wollten, sähen sich durch den DSA gestärkt. Sie hätten jetzt die Möglichkeit, intern Verbesserungen anzuregen. Die Diskussion, die die Kommission mit vielen Plattformen über die Umsetzung des DSA habe, seien oft fruchtbar. Das Team zur Überwachung des DSA in der Kommission hat inzwischen 125 Mitarbeitende, 25 davon haben einen technischen Hintergrund.
Parallel arbeitet das Team noch an zwei delegierten Rechtsakten zum DSA, die in den kommenden Wochen herauskommen sollen. Dabei geht es auch um den einheitlichen Rechtsrahmen für die Transparenzberichte. Zunächst hatten die Unternehmen ihre Transparenzberichte selbst gestalten können. Den neuen Rechtsrahmen will die Kommission noch einmal zur Diskussion stellen. Der DSA biete etwa Wissenschaftlern einen weitreichenden Zugriff auf interne Daten. Es sei das einzige Rechtsinstrument der Welt, das einen solchen Zugriff gewähre, hieß es aus der Kommission.
Insgesamt wünscht sich die Kommission bei der Überwachung jedoch eine stärkere Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Allerdings sei die Finanzierung dieser Aktivitäten eine schwierige Frage. Die beaufsichtigten Unternehmen finanzieren nach dem DSA ihre Überwachung selbst. Sie zahlen dafür eine Gebühr. Doch diese dürfe die Kommission nur für die eigene Organisation verwenden und nicht an Dritte weiterreichen.
Die Arbeit rund um den DSA wird nicht weniger werden: Noch vor der Sommerpause, hieß es, werde die Kommission auch den chinesischen Internethändler Temu als sehr große Online-Plattform designieren (VLOP). vis
Höhere CO₂-Preise, strengere Energieeffizienzvorschriften und beschleunigte Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien verbessern die Energiesicherheit Europas. Der Internationalen Währungsfonds (IWF) kommt in einem neuen Bericht zu dem Schluss, dass Europas Einsatz für Klimaschutz positive Effekte auf die Energieunabhängigkeit des Kontinents mit sich gebracht hat.
Lange bevor Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, habe sich die Energieversorgungssicherheit Europas verschlechtert, da die Länder “zunehmend auf Importe von immer weniger Lieferanten angewiesen waren”. Seit 13 Jahren habe sich die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Energieunterbrechungen verschlechtert, analysiert der IWF.
Europas Klimaschutzgesetze, das Fit-for-55-Paket, kehre diese jahrzehntelange Verschlechterung der Energiesicherheit um. Sollten die Ziele erreicht werden, verbessere sich die Energiesicherheit bis 2030 um acht Prozent. Würden die Klimaschutzmaßnahmen zudem wie geplant über 2030 hinaus fortgesetzt, hätte dies weitere Verbesserungen zufolge, schreiben die Autoren. luk
Für den Kampf gegen den Klimawandel dürfen Deutschland und sechs weitere EU-Staaten die Wasserstoffindustrie mit 1,4 Milliarden Euro fördern. Die EU-Kommission genehmigte am Dienstag die staatlichen Beihilfen, wie die Behörde mitteilte. Unter anderem beteiligen sich Airbus und als einziger Autohersteller auch BMW an den Vorhaben. Neben Deutschland sind Estland, Frankreich, Italien, die Niederlande, die Slowakei und Spanien bei dem sogenannten Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) dabei.
Die nun genehmigte Förderung ist für insgesamt 13 verschiedene Projekte vorgesehen. Es wird auch erwartet, dass für die Projekte 3,3 Milliarden Euro private Investitionen mobilisiert werden. Dabei geht es beispielsweise darum, dass Hochleistungs-Brennstoffzellentechnologien mit ausreichend Leistung entwickelt werden sollen, damit Schiffe und Züge angetrieben werden können. Ein anderes Vorhaben beschäftigt sich den Angaben zufolge damit, leichte und stabile Wasserstofftanks zu entwickeln, die sicher in Flugzeugen eingesetzt werden können. Die Kommission erwartet, dass insgesamt rund 3.600 Arbeitsplätze direkt durch die Projekte entstehen und weitere indirekt geschaffen werden.
Die EU-Kommission genehmigte am Dienstag zudem ein weiteres IPCEI, mit dem unter anderem die Entdeckung neuer Medikamente gegen seltene Krankheiten mit bis zu einer Milliarde Euro gefördert werden darf. An den Vorhaben sind Unternehmen aus sechs EU-Staaten beteiligt, darunter Frankreich, Spanien und Italien. dpa
Die EU und Australien haben am Dienstag eine Absichtserklärung für eine bilaterale Rohstoffpartnerschaft unterzeichnet. Dabei geht es um kritische und strategische Rohstoffe, bei denen die EU ihre Importe diversifizieren will. Australien hat bedeutende Vorkommen an den von der EU im Critical Raw Materials Act als strategisch wichtig deklarierten Rohstoffen wie Lithium, Kupfer, Nickel und Kobalt. Die Partnerschaft umfasst die gesamte Wertschöpfungskette dieser Mineralien, von der Exploration über den Abbau und die Verarbeitung bis hin zum Recycling.
Mit der Absichtserklärung verfolgen die EU und Australien drei hauptsächliche Ziele:
Darüber hinaus wollen beide Partner auch die gemeinsame Zusammenarbeit mit weiteren Ländern prüfen, in denen sie gemeinsame Interessen haben. Der Schwerpunkt soll hier auf der Verringerung der Umweltauswirkungen und der Förderung lokaler Gemeinschaften liegen. In den kommenden sechs Monaten wollen Australien und die EU einen konkreten Fahrplan für die bilaterale Partnerschaft erarbeiten.
Die EU und Australien hatten 2018 Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufgenommen. Diese waren im vergangenen Jahr jedoch an einer fehlenden Einigung über zollfreie Quoten für Rind- und Schafsfleisch gescheitert. Speziell Irland und Frankreich hatten sich aufseiten der EU gegen das Abkommen aufgelehnt. leo

Noch ist sie Landesbäuerin des Bayrischen Bauernverbands und Kreistagsmitglied in Garmisch-Partenkirchen, bald sitzt sie mit großer Wahrscheinlichkeit im Europäischen Parlament: Christine Singer steht auf Listenplatz 1 der Freien Wähler und hat damit gute Chancen auf einen Sitz in Straßburg. Einen Interessenkonflikt sieht die 58-jährige Landwirtin im direkten Wechsel vom Landesvorstand des Bauernverbands auf die Abgeordnetenbank nicht. “Wer mich kennt, weiß, dass ich über den Tellerrand hinausschaue, dass ich jemand bin, der mit allen spricht”, sagt sie.
Im Gegenteil: Aus der Arbeit beim Bauernverband nehme sie wertvolle Erfahrungen mit, weil es auch dort darum gehe, das Gespräch zwischen unterschiedlichen Akteuren zu suchen. “Den Dialog zu führen, Rahmenbedingungen mitzugestalten und aus dem Blick der Praktikerin heraus das Richtige anzustoßen: das ist meine Motivation”, betont Singer. Der Blick der Praktikerin – das heißt für sie vor allem weniger Regulierung, in ihren Worten: weniger “bürokratischen Irrsinn”.
Paradebeispiel dafür sei die EU-Entwaldungsverordnung. “Das ist von der Denke her richtig: Wir wollen die Urwälder schützen”, sagt Singer. Doch in der Ausgestaltung gebe es viele Probleme. Zum Beispiel, dass auch deutsche Betriebe die neuen, als nicht praktikabel empfundenen Berichtspflichten ab deren Umsetzung kommendes Jahr in vollem Umfang erfüllen sollen, obwohl das deutsche Waldgesetz bereits wirksam Abholzung verhindere. “Ich war zuletzt unterwegs bei vielen mittelständischen Betrieben, die sagen: Das können wir nicht umsetzen”, berichtet Singer.
Dass im Zuge der Bauernproteste Erleichterungen für die Branche zur politischen Priorität geworden sind, begrüßt die Bayerin: “Ich denke, die Politik hat gespürt: So kann man nicht mehr weitermachen.” Auch in Zukunft müsse in der EU-Politik darauf geachtet werden, Gesetze alltagsnah auszugestalten. Kritik von Umweltschützern, durch die Zugeständnisse an die Landwirtschaft würden Nachhaltigkeitsstandards abgebaut, kann Singer nicht nachvollziehen: “Das sind genau diejenigen, die die Umsetzbarkeit eben nicht im Blick haben.”
Würde durch übermäßige Regulierung die Schmerzgrenze kleiner und mittlerer Betriebe überschritten, dann würden diese vom Markt verdrängt und Nahrungsmittel stattdessen aus Ländern mit niedrigeren Standards importiert, argumentiert sie. “Ich kann gar nicht ausdrücken, was für ein hoher Wert es ist, dass wir uns selbst mit Nahrungsmitteln versorgen können” – das dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden, warnt Singer. Die Freie Wählerin stellt sich deshalb hinter die Forderung nach Spiegelklauseln im internationalen Handel.

“Handelsabkommen mit Drittländern müssen aus ökologischen, sozialen und ökonomischen Gründen den Qualitäts- und Prozessstandards der EU entsprechen“, nennt sie als eines ihrer drei Kernanliegen auf der Parteiwebsite. Es ist in agrarpolitischen Kreisen eine beliebte Forderung, die handelsrechtlichen Spielräume hierfür sind jedoch begrenzt.
Ihrem Hintergrund entsprechend, möchte Singer im Parlament in den Agrarausschuss. Dort würde sie nachrücken für Parteikollegin Ulrike Müller, die das EU-Parlament nach zwei Legislaturperioden verlässt und der Ambitionen in der bayrischen Politik nachgesagt werden. Ein recht äquivalenter Ersatz: Beide sind aus Bayern, gelernte Hauswirtschafterinnen und selbst Teil eines landwirtschaftlichen Betriebs.
Singer könnte damit die einzige deutsche Vertreterin der liberalen Renew-Fraktion im Agrarausschuss werden. Renew gehört von deutscher Seite auch die FDP an, von deren Abgeordneten aber derzeit niemand im Ausschuss sitzt. Inhaltlich sind die Freien Wähler bei agrarpolitischen Themen nah an den Unionsparteien. Spätestens, seit EVP-Chef und CSU-Spitzenkandidat Manfred Weber seine Partei zur Bauernpartei erklärt hat, beackern beide ein ähnliches Feld.
“Wir sehen in Bayern, dass die CSU und die Freien Wähler um die Landwirtschaft werben“, räumt Singer ein. Doch weil Fraktionsdisziplin im EU-Parlament eine deutlich geringere Rolle spiele als im Bundestag, komme es auf jeden einzelnen Abgeordneten an – und da seien die Freien Wähler oft das Zünglein an der Waage. Tatsächlich stand die Renew-Fraktion in den vergangenen Jahren oft zwischen den Stühlen, wenn die EVP gegen Umweltregeln trommelte, die Grüne und linke Parteien verteidigten. Anders als liberale Fraktionskollegen zum Beispiel aus Frankreich stimmten dabei die Freien Wähler – wie auch die FDP – meist mit den Konservativen.
Letztlich gehe es aber ohnehin darum, sich als “bäuerliche Vertreter” egal welcher Partei im Europaparlament Gehör zu verschaffen, sich zu vernetzen und Akteure auch aus anderen Bereichen zu überzeugen. Genau diese Fähigkeit bringe sie mit, ist Singer überzeugt – auch durch ihre Erfahrung bei den Landfrauen. “Netzwerken ist die Herzensangelegenheit der Landfrauen: sich miteinander auf den Weg zu machen und genau die Themen anzusprechen, wo der Schuh drückt.” jd
sie sind rar geworden, die handelspolitischen Erfolge der EU, aber gestern konnte die EU wieder einmal einen solchen feiern – zumindest einen kleinen. Früh am Morgen verkündete die EU-Kommission nämlich, endlich eine “Partnerschaft für kritische und strategische Mineralien” mit Australien verabschiedet zu haben, nachdem die Verhandlungen für ein echtes Freihandelsabkommen im vergangenen Jahr gescheitert waren. Lesen Sie dazu mehr in den News.
Ob die nächste Kommission mehr Erfolge bei Handelsabkommen verbuchen kann, ist noch unklar. Morgen treffen sich aber die EU-Handelsminister in Brüssel, um über die Rolle der Handelspolitik in der kommenden Legislatur zu beraten. Wie derzeit auch andere Ratsformationen wird der Handelsrat die Erkenntnisse des Letta-Berichts diskutieren.
Eine Empfehlung, die laut einem EU-Diplomaten auf offene Ohren stoßt, ist das Anliegen, Handelsabkommen nicht mehr mit zu vielen anderen Anliegen zu “überfrachten”. Gemischte Abkommen stellen die EU vor große Probleme, weil die Ratifizierung viel schwieriger ist. Das aktuelle Beispiel ist CETA, dessen Ratifizierung demnächst von der französischen Nationalversammlung verunmöglicht werden könnte.
Darüber hinaus werden sich die Handelsminister auch mit den aus EU-Sicht enttäuschenden Resultaten der WTO-Ministerkonferenz im Februar beschäftigen. “Der Status Quo ist keine Option mehr”, sagte ein EU-Diplomat in einem Plädoyer für eine Reform der WTO. Aber aktuell ist nicht ersichtlich, wie eine Reform zustande kommen sollte.
Einen weiteren potenziellen Herd für schlechte Laune umschiffen die Handelsminister jedoch gekonnt. Der Handelsstreit zwischen den USA und China und die hängige Untersuchung zur Subventionierung chinesischer E-Autos steht nicht auf der Agenda. Die Handelsminister warten stattdessen lieber auf die Entscheidung der Kommission, die in den kommenden Wochen erwartet wird.
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Der palästinensische Botschafter in Deutschland, Laith Arafeh, hat die Bundesregierung in Berlin aufgefordert, Palästina zügig anzuerkennen. “Wir hoffen, dass die Bundesregierung ihre Anstrengungen beschleunigen wird und sich jener Mehrheit von 147 Staaten weltweit anschließt, die Palästina als rechtmäßiges Mitglied der Staatengemeinschaft anerkannt haben”, sagte er zu Table.Briefings. “Wir würden uns eine politisch aktivere Rolle Deutschlands wünschen”, sagte Arafeh. “Um nicht an Relevanz zu verlieren, ist es daher wichtig, dass sich die Bundesregierung der Geschwindigkeit der Ereignisse anpasst und den Fakt anerkennt, dass Palästina nach Jahrzehnten der Besatzung das Recht auf Unabhängigkeit zusteht – und der palästinensischen Bevölkerung ein Leben in Freiheit.”
Norwegen, Spanien und Irland hatten bereits in der vergangenen Woche angekündigt, Palästina als Staat anzuerkennen – ein Schritt, der am Dienstag vollzogen wurde. Im Regierungssitz Palacio de la Moncloa in Madrid sagte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez: “Dies ist eine historische Entscheidung, die ein einziges Ziel hat: Den Israelis und den Palästinensern zum Frieden zu verhelfen.” Ähnlich äußerte sich der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, der “zwei Staaten, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben” als einzig mögliche politische Lösung zwischen Israelis und Palästinensern bezeichnete. “Man kann keine Zweistaatenlösung haben, wenn man nicht die Existenz beider Staaten anerkennt”, sagte Irlands Regierungschef Simon Harris am Dienstag in Dublin zur Begründung.
Die Bundesregierung in Berlin sieht das anders – wie die Mehrheit der 27 EU-Staaten, die USA und Großbritannien. So erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz erst vorige Woche, dass es angesichts vieler offener Fragen wie etwa dem des palästinensischen Staatsgebiets “noch nicht so weit” sei. Was stattdessen gebraucht werde, sei “eine verhandelte Lösung zwischen Israel und den Palästinensern, die auf eine Zweistaatenlösung hinausläuft”.
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron mahnte am Dienstag beim deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats neue Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung an und stellte klar, dass er große Sympathie für die Initiative aus Norwegen, Spanien und Irland hege. “Als Vertreter Frankreichs bin ich voll und ganz bereit, die Schaffung eines palästinensischen Staates anzuerkennen.”
Bei einer Abstimmung in der UN-Vollversammlung vor zwei Wochen hatte sich Deutschland wie 24 weitere Mitglieder der Stimme enthalten – 143 hingegen stimmten für die Anerkennung Palästinas als Staat.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, verteidigte gegenüber Table.Briefings die Haltung der Bundesregierung, äußerte jedoch Verständnis für die drei EU-Partner, die nun nicht länger warten wollten. “Drei Jahrzehnte nach den Oslo-Abkommen kann man die palästinensische Seite nicht abermals auf einen langwierigen Verhandlungsprozess vertrösten”, so Schmid. “Inzwischen ist der Zeitpunkt für eine Paketlösung gekommen, die Israel die Normalisierung durch die arabischen Staaten bringt – im Gegenzug dafür muss die israelische Regierung einen palästinensischen Staat anerkennen.”
Schmid verwies allerdings darauf, dass zentrale Fragen palästinensischer Staatlichkeit weiter ungeklärt seien. So verfüge die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) heute über weniger politischen Einfluss als noch vor zehn Jahren, auch sei Korruption in der palästinensischen Verwaltung noch immer weitverbreitet. Hinzu komme mangelnde demokratische Legitimation, da die letzten Wahlen in den palästinensischen Gebieten 2006 stattgefunden hätten. Damals war die islamistische Hamas als Sieger aus dem Urnengang hervorgegangen, was jedoch weder von den USA noch von der EU anerkannt wurde.
Schweden war 2014 das erste EU-Mitglied, das einen Palästinenserstaat anerkannte; Bulgarien, Zypern, Tschechien, Ungarn, Polen und Rumänien hatten dies bereits vor ihrem EU-Beitritt getan. Schweden hoffte seinerzeit, damit den Friedensprozess zu beschleunigen und einer Zweistaatenlösung den Weg zu ebnen.
Zehn Jahre später versucht Norwegen das nun erneut: So sagte Außenminister Espen Barth Eide, dass die Anerkennung zwar nicht den Krieg in Gaza beenden werde; sie sei aber “eine Schlüsselkomponente” für eine Friedensinitiative unter arabischer Führung.
Knapp acht Monate nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel stehen die Chancen für eine Zweistaatenlösung auch deshalb so schlecht, weil Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Anerkennung eines palästinensischen Staats ablehnt. Selbst Saudi-Arabien, das bis zum Beginn des Gaza-Kriegs die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel angestrebt hatte, geht inzwischen auf Distanz zu Netanjahu. Hauptgrund: die mangelnde Bereitschaft der Regierung Netanjahus, einen palästinensischen Staat Seite an Seite mit Israel anzuerkennen. Mit Stefan Braun
Noch wenige Tage sind es bis zur Europawahl. 60,9 Millionen Deutsche können am 9. Juni ihre Stimme abgeben, und erstmals können Jugendliche ab 16 Jahren wählen. Neben Deutschland ist das auch in Österreich, Belgien und Malta der Fall. Eine repräsentative Greenpeace-Umfrage unter 16- bis 23-Jährigen zeigt allerdings, dass viele Jugendliche nicht gut vorbereitet in ihre erste Wahl gehen. Die wichtigsten Ergebnisse der Befragung:
Bei der politischen Aufklärung sind die Schulen gefragt. Das sieht auch Heiko Lüdemann so, seit neun Jahren ist er Schulleiter der BBS I in Lüneburg. Die berufsbildende Schule mit 2.130 Schülerinnen und Schülern bietet 23 duale Berufsausbildungen vor allem im Bereich Wirtschaft und Verwaltung. Außerdem können Jugendliche hier sämtliche Schulabschlüsse ablegen. Entsprechend heterogen ist die Schülerschaft. “Für viele ist der Besuch an der BBS die zweite oder dritte Chance auf einen Schulabschluss”, erklärt der Schulleiter beim Besuch von Table.Briefings. Und er sagt auch: “Viele kommen aus Familien, die sich wenig mit Demokratie und Politik beschäftigen. Sie leben in ihrer Filterblase, bewegen sich nicht aus ihren persönlichen Umfeldern raus, ihnen fehlt oft ,Weltwissen’, wie wir es nennen.” Politische Meinungsbildung und Beteiligung sei vielen fremd.
Die BBS I, die auch zu den Top 20 für den Deutschen Schulpreis 2024 gehört, will ihre Schüler aber genau dazu befähigen. Als “Schule gegen Rassismus” hat sie zum Beispiel kürzlich ein Argumentationstraining gegen Rassismus und einen Workshop zum Umgang mit Stammtischparolen durchgeführt. Und als Europaschule, die im Rahmen von Erasmus+ viele Auslandspraktika in der EU anbietet, will sie die Schüler auch auf die Europawahl vorbereiten.
Erja (23) und Christoph (21), die an der Schule die duale Ausbildung zur Immobilienkauffrau und zum Immobilienkaufmann machen, beobachten, dass das Interesse für Politik in ihrer Klasse sehr unterschiedlich ist. Wer kein Interesse habe, gehe oft auch nicht zur Wahl. Erja sagt aber auch: “Desinteresse entsteht oft, weil Jugendliche nicht informiert sind.” Christoph sieht in einer guten Informationsvermittlung eine wichtige Voraussetzung, “um die Partei zu finden, mit der man die meisten Übereinstimmungen hat”. Beide wünschen sich daher, dass junge Menschen stärker befähigt werden, sich eine politische Meinung zu bilden. Sie selbst nutzen dafür eher klassische Formate. “Tagesschau, Wahl-O-Mat, Radio”, zählt Christoph auf. Social Media, speziell TikTok, spiele für ihn als Informationsquelle keine Rolle.
Dass es an der berufsbildenden Schule verbindlich Politikunterricht gibt, ist für Christoph nicht selbstverständlich. Auf dem Gymnasium, das er vorher besucht hat, konnte er Politik in der Oberstufe zugunsten von Geografie abwählen. Nach dem aktuellen Ranking Politische Bildung der Universität Bielefeld ist das kein Einzelfall. “Die Lernzeiten für die politische Bildung variieren unerklärlich stark über die Länder hinweg, aber auch zwischen den Schulformen innerhalb eines Landes”, heißt es in dem Bericht. Die beruflichen Schulen schneiden demnach besser ab als die Gymnasien.
Die BBS I in Lüneburg ist ein Beleg dafür. Sie ist schon seit vielen Jahren bei der Juniorwahl dabei. Es ist das größte Schulprojekt zu politischer Bildung, bei dem Schüler durch die Wahlsimulation erste Demokratieerfahrungen machen können. Vor der Europawahl 2024 haben sich 5.600 Schulen zur Juniorwahl angemeldet.
Aber die Juniorwahl ist nicht die einzige Vorbereitung für die Erstwähler. “Wir haben die Europawahl im Politikunterricht von A bis Z durchgespielt und uns mit den Aufgaben des EU-Parlaments befasst”, erklärt Silke Grohmann, Teamleiterin Politik an der BBS I. Viele Schüler seien erstaunt gewesen, als sie erfuhren, wie viel mit ihrer eigenen Lebenswelt zu tun hat – zum Beispiel die Frage der Roaming-Gebühren.
Die Schule hat auch einen Videowettbewerb durchgeführt, der Erstwähler zur Wahlbeteiligung motivieren soll. Der beste Spot, den die Schüler selbst ausgewählt haben, wird nun zum Start der Juniorwahl gezeigt, und die Schule versucht auch noch, ihn ins Kino in Lüneburg zu bringen.
Ende Mai gab es an der Schule außerdem zwei “Tage der politischen Parteien”. Dazu wurden Vertreter der großen Parteien ins Forum der Schule eingeladen, um sich den Fragen der Schüler zu stellen. Table.Briefings konnte die Schüler vor Ort durch den Tag begleiten. Die Schüler bekamen am Tag der Veranstaltung Fragebögen zu vier Themenbereichen: Europa, Demokratie, Umweltschutz und Klimawandel, Migration und Asylpolitik. Dazu sollten sie die Politiker befragen. “Ich bin schon erstaunt, wie groß das Interesse der Schüler ist“, sagt Silke Grohmann mit Blick auf die angeregten Diskussionen an den Ständen.
Was auch auffällt: Besonders an Stände mit jüngeren Parteivertretern kommen mehr Jugendliche. Die 22-jährige Juso Hannah Koch wundert das nicht: “Wir stellen uns ganz ähnliche Fragen wie die Schüler hier und teilen ihre Zukunftssorgen.” Pascal Mennen, Landtagsabgeordneter der Grünen und selbst früher Lehrer, ergänzt: “Jugendliche sehen sich politisch in einer Außenseiterrolle, sie erleben, dass wenig für ihre Interessen gemacht wird”. Daher sei es wichtig, ihnen in den Gesprächen auf Augenhöhe zu begegnen.
Immer wieder geht es in den Diskussionen auch um dieses Thema: die AfD. Sie war ursprünglich auch eingeladen, dann aber wieder ausgeladen. Auf den Arbeitsblättern gibt es dazu einen Hinweis: Die Schule habe sich zu diesem Schritt nach dem Urteil des OVG Münster Mitte Mai entschieden, nachdem der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen kann. Der Entscheidung sei eine lange Diskussion vorausgegangen, sagt der Schulleiter, “aber wir müssen sicherstellen, dass das, was an den Ständen gesprochen wird, der Verfassung entspricht.” Lüdemann sieht die positive Haltung vieler Schüler zur AfD mit Sorge.
Aber vielleicht ist die offen geäußerte Kritik der Schüler am Ausschluss der AfD auch ein Beleg für die starke politische Arbeit an der Schule: Es gibt Raum für Diskussionen. Das ist nicht selbstverständlich, wie eine Umfrage der Vodafone Stiftung zeigt. Demnach erlebt nur jeder zweite Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren die Schule als einen Raum für offenen und respektvollen Meinungsaustausch.
Genau den will die BBS I in Lüneburg ermöglichen. Daher ist die Schule auch am 6. Juni bei der Mitmachaktion “#IchStehAuf – Schulen für Demokratie und Vielfalt” der Robert Bosch Stiftung dabei. Die Initiative unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten ruft im Vorfeld der Europawahl Schulen aller Klassenstufen und Schularten auf, symbolisch am Aktionstag auf Tische oder Stühle zu klettern, um ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt zu setzen. Bislang haben sich mehr als 1.500 Schulen bei der Initiative angemeldet.
Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier.
Am Vortag hatte Emmanuel Macron in Dresden noch eine Verdoppelung des EU-Budgets gefordert, in der gemeinsamen Erklärung zum deutsch-französischen Ministerrat am Dienstag auf Schloss Meseberg war davon keine Rede mehr. In dem siebenseitigen Papier verweisen Berlin und Paris lediglich auf den hohen Investitionsbedarf in den kommenden Jahren. Bei der Frage der Finanzierung bleibt die Erklärung jedoch vage. Von einer Budgeterhöhung ist in der Erklärung nichts zu lesen – die Bundesregierung bremst.
Darauf angesprochen, antwortete Macron bei der Pressekonferenz, es habe bereits zweimal in der EU Sonderhaushalte gegeben, die das Volumen des normalen EU-Haushalts erreicht hätten. Er nannte den sogenannten Juncker-Plan sowie den Corona-Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro. Er habe mit seiner Rede in Dresden am Montag nicht sagen wollen, dass unbedingt der EU-Haushalt an sich verdoppelt werden müsse.
Einig sind sich Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz – wie zuvor – dass ein Großteil der Investitionen von privater Seite kommen muss. Das Mittel dazu soll die Kapitalmarktunion sein, aber auch da gibt es in den Details nach wie vor Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich. Für Frankreich ist eine stärkere Zentralisierung der Marktaufsicht unerlässlich. Während Kanzler Olaf Scholz bereit scheint, hier Konzessionen zu machen, stellt Finanzminister Lindner sich dagegen. Die schwierig verständliche Kompromissformulierung erwähnt eine “wirksamere” Rolle der europäischen Aufsichtsbehörden als ein Beispiel, wie die Konvergenz der Kapitalmarktaufsicht sichergestellt werden könnte. Dabei seien jedoch “die Interessen aller Mitgliedstaaten zu berücksichtigen”.
Die Minister einigten sich auch darauf, die öffentliche Auftragsvergabe stärker zu nutzen, “um grüne Leitmärkte zu fördern und die Widerstandsfähigkeit Europas zu stärken”. Dies soll durch eine Überarbeitung der Richtlinien über das öffentliche Auftragswesen aus dem Jahr 2014 erreicht werden. Die Kriterien sollen Innovations-, Umwelt- und Resilienzaspekte verstärkt berücksichtigen.
Am Freitag hatten sich die EU-Industrieminister am Wettbewerbsfähigkeitsrat in Brüssel ebenfalls für eine Überarbeitung der Auftragsvergabe ausgesprochen. Durch die verstärkte Berücksichtigung der qualitativen Kriterien soll das Preiskriterium weniger wichtig werden. Dies soll ermöglichen, dass öffentliche Aufträge eher von Unternehmen ausgeführt werden, die sich an europäische Standards halten.
Frankreich und Deutschland fordern Brüssel zudem dazu auf, die chemische Industrie nicht mit neuen Umweltschutzauflagen zu belasten, die die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors weiter einschränken könnten. Die Überarbeitung der EU-Chemikalienverordnung (REACH) solle einen risikobasierten Ansatz verfolgen, “statt auf breiter Linie Produkte zu verbieten”, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.
Die Novellierung von REACH wurde von der Kommission bereits um zwei Jahre verschoben und soll nun vom nächsten College umgesetzt werden. Darin könnte eine Verschärfung der Zulassungsbeschränkungen für sogenannten Ewigkeitschemikalien (PFAS) enthalten sein. PFAS sind zwar teils enorm umweltschädlich, sind aber in einer Vielzahl von Industrie- und Konsumgütern derzeit noch unersetzbar. Die Chemieindustrie warnt schon länger vor einem flächendeckenden Verbot. Berlin und Paris stellen sich nun offenbar hinter diese Warnungen.
Deutschland und Frankreich wollen zudem zusammen Langstrecken-Raketen entwickeln. “Frankreich und Deutschland werden gemeinsam mit Partnern eine langfristige, umfassende und inklusive Zusammenarbeit im Bereich weitreichender Abstandswaffen eingehen”, heißt es in einer in Meseberg beschlossenen Erklärung. Dies solle auch zur Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie dienen.
Beide Regierungen seien sich einig, was “die zentrale Bedeutung der nuklearen Abschreckung für die Sicherheit Europas und der Nato” angehe, hieß es. Dies gelte auch für die Abschreckungsrolle der strategischen französischen Nuklearstreitkräfte. Man sei sich bewusst, dass das Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv auf einer geeigneten Mischung aus nuklearen, konventionellen und Raketenabwehrfähigkeiten, ergänzt durch Weltraum- und Cyberfähigkeiten, beruht. jaa/luk/rtr
Das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine schließe auch Angriffe auf legitime militärische Ziele in Russland ein, betonte Jens Stoltenberg am Dienstag beim Treffen der EU-Verteidigungsminister in Brüssel. Der Nato-Generalsekretär erhöhte damit den Druck auf Deutschland und andere Verbündete, die der Ukraine bisher die Nutzung von westlichen Waffen für Gegenschläge auf militärische Logistik oder Flugplätze in Russland untersagen.
Es sei jetzt der Zeitpunkt, diese Einschränkungen zu überdenken, sagte Stoltenberg. Die heftigsten Kämpfe fänden in der Region von Charkiw statt, an der russisch-ukrainischen Grenze. Ein Teil dieser Grenze sei gleichzeitig Frontlinie. Es sei schwierig für die ukrainischen Streitkräfte, sich zu verteidigen, wenn sie militärische Ziele wie Artilleriestellungen auf der anderen Seite der Grenze nicht angreifen könnten.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte, dass die westlichen Restriktionen bei der Nutzung der Waffen auch hinter verschlossenen Türen Thema gewesen sei. Einige Verteidigungsminister hätten gesagt, dass sie darüber nachdenken würden, die Restriktionen aufzuheben, sagte Borrell. “Eineinhalb bis zwei” Mitgliedstaaten seien bereit zu dem Schritt. Die Zahl werde sich aber in den nächsten Tagen sicher ändern.
Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur und Kollegen anderer östlicher EU- beziehungsweise Nato-Staaten wiesen die Warnungen vor einem Eskalationsrisiko zurück: Er hoffe, dass alle Länder, die entsprechende Waffen lieferten, auf Einschränkungen verzichteten. Es sei nicht “normal”, dass die Ukraine Stellungen nicht angreifen dürfe, von denen aus sie angegriffen werde. Für die Niederlande sagte Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren, ihr Land habe die Nutzung gegen Ziele in Russland nie ausgeschlossen: “Ich hoffe, dass andere Staaten ihre Position ändern”. Die Ukrainer kämpften mit einer Hand auf dem Rücken gebunden.
Auch Frankreich unterstützt Angriffe auf Militäreinheiten in Russland. Präsident Emmanuel Macron sagte beim deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat, es sei die russische Seite, die ihre Strategie geändert habe und die Ukraine von Basen tief auf russischem Gebiet aus angreife. Es sei allerdings entscheidend, dass nur Militäreinheiten und nicht zivile Ziele attackiert würden. “Wenn wir das sehr gezielt angehen, sollte das möglich sein”, sagte Macron.
Bundeskanzler Olaf Scholz antwortete auf die Frage, wie er das einschätze: “Die Ukraine hat völkerrechtlich alle Möglichkeiten, sich zu verteidigen. Sie ist angegriffen worden.” Die Behauptung, Kiew sei an dieser Stelle eingeschränkt worden, wies Scholz zurück. “Das hat es nie gegeben – und wird es auch nicht geben.”
Borrell betonte zwar, dass die EU keinen Mitgliedstaat zwingen könne, die Beschränkungen für Waffen aufzuheben. Es sei aber nach internationalem Recht legitim, der Ukraine Waffen auch für militärische Ziele in Russland zu liefern. Derzeit könne Russland die Ukraine quasi aus einem geschützten Raum angreifen.
Die Frage ist, ob die Ukraine die F-16 Kampfflugzeuge für Angriffe in Russland wird nutzen dürfen, wenn europäische Verbündete wie die Niederlande oder Dänemark die ersten Maschinen aus US-amerikanischer Produktion möglicherweise noch vor dem Sommer liefern. Hier hat Washington auch ein Wort mitzureden und die USA waren bisher ähnlich wie Deutschland zurückhaltend.
Belgiens Regierungschef Alexander De Croo verkündete am Dienstag bei einem Empfang für Präsident Wolodymyr Selenskyj in Brüssel, dass sein Land bis 2028 der Ukraine 30 F-16 Kampfjets überlassen werde. Die ersten Maschinen sollen in diesem Jahr eintreffen. Doch auch De Croo betonte, dass die Kampfflugzeuge nur für Einsätze auf ukrainischem Territorium genutzt werden dürften.
Thema beim Verteidigungsministertreffen waren auch die Bemühungen, der Ukraine weitere Systeme zur Luftverteidigung zu liefern. Die Ukraine hat einen Bedarf von sieben weiteren Patriot-Systemen angemeldet, um größere Städte und zivile Infrastrukturen schützen zu können. Deutschland hat bisher als einziger Verbündeter ein zusätzliches System geliefert. Patriot-Systeme seien Mangelware in Europa, sagte die niederländische Verteidigungsministerin Ollongren. Sie sei mit Partnern in Gespräch, wer zumindest einzelne Bestandteile abgeben könne. Ziel sei es, gemeinsam ein ganzes Patriot-System zusammenzustellen und liefern zu können. Das sei nur gemeinsam möglich, so Ollongren. sti/stb
Ungeachtet wochenlanger Massenproteste und Kritik aus Brüssel hat das Parlament von Georgien endgültig ein Gesetz zur schärferen Kontrolle der Zivilgesellschaft verabschiedet. Für das Gesetz votierten am Dienstag 84 der insgesamt 150 Abgeordneten. Damit überstimmte das Parlament auch ein Veto der proeuropäischen Präsidentin Salome Surabischwili.
Die Regierungspartei Georgischer Traum verschärft damit die Rechenschaftspflicht von Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent ihres Geldes aus dem Ausland erhalten. Sie begründet dies mit höherer Transparenz. Auch am Dienstag war die Debatte im Parlament wieder von heftigen Vorwürfen von Regierung und Opposition geprägt.
Die oppositionelle Abgeordnete Anna Zitlidse warf der politischen Führung eine “gedankenlose Politik” vor, die den Weg Georgiens in die EU versperre und dem Land viele Probleme bereiten werde. Parlamentschef Schalwa Papuaschwili wiederum beschuldigte die oppositionellen Abgeordneten, nicht im nationalen Interesse, sondern im Interesse anderer Länder zu agieren.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bedauerte die Verabschiedung des Gesetzes ausdrücklich. Diese verstoße gegen Grundwerte der EU und bedeute einen Rückschritt auf Georgiens Weg zu einem Beitritt. “Wir fordern die georgischen Behörden nachdrücklich auf, diesen Trend umzukehren und entschlossen auf den EU-Weg zurückzukehren“, erklärte Borrell.
Vor dem Parlament fanden sich erneut Tausende Menschen ein, um gegen das Gesetz zu protestieren. Die Polizei war ebenfalls mit einem Großaufgebot vor Ort. Die Demonstranten beschimpften Vertreter des Georgischen Traums als “Verräter” und “Russen”. Die Regelung ist nach ihrer Ansicht dazu gedacht, kritische Organisationen mundtot zu machen. Sie sehen Parallelen zu dem in Russland erlassenen Gesetz gegen sogenannte ausländische Agenten. Dies wird vom Kreml seit Jahren dazu eingesetzt, die Opposition und unabhängige Medien zu unterdrücken. dpa/tho
Der frühere Chef des Geheimdienstes und der Anti-Terrorismusbehörde, Dick Schoof (67), soll neuer Regierungschef der Niederlande werden. Das teilten die vier künftigen Koalitionsparteien am Dienstag in Den Haag mit. Der parteilose Schoof ist bislang höchster Beamter im Justizministerium. Er soll die rechteste Regierung der Landesgeschichte führen und Nachfolger des heutigen Premiers Mark Rutte werden, der Nato-Generalsekretär werden soll.
Schoof erklärte, er wolle sich dafür einsetzen, das Vertrauen der Bürger in den Staat wieder herzustellen. “Ich will Premier aller Niederländer sein.” Er bekräftigte zudem, dass er parteilos sei und nicht als Vertreter des radikal rechten Populisten Geert Wilders die Regierung führen wolle. Wilders sprach von einer guten Wahl. “Er steht über den Parteien und hat unser Vertrauen.” Zudem habe Schoof breite Erfahrung.
Um die Koalition zu ermöglichen, verzichtete Wilders auf das Amt des Regierungschefs sowie auf einige seiner umstrittensten Forderungen wie das Verbot von Moscheen. Die Hälfte des Kabinetts soll aus Nicht-Berufspolitikern bestehen. Es wird damit gerechnet, dass der König die neue Regierung in etwa vier Wochen vereidigen kann.
Schoof ist politisch bislang nicht in Erscheinung getreten, war bis vor einigen Jahren jedoch Mitglied der sozialdemokratischen Partei. Er gilt als Experte für Sicherheit und Migration – zwei zentrale Punkte für die rechten Koalitionspartner. Schoof leitete den Nachrichten- und Sicherheitsdienst AIVD, war Koordinator im Kampf gegen den Terrorismus und auch Direktor der Immigrationsbehörde. dpa
Der Europäische Rechnungshof stellt der Kommission ein ausreichendes bis mangelhaftes Zeugnis aus für ihre Leistungen beim Aufbau eines wettbewerbsfähigen Ökosystems für Künstliche Intelligenz. Trotz erheblicher Bemühungen und Investitionen könne die EU nicht mit führenden globalen Akteuren Schritt halten, urteilen die Prüfer in einem aktuellen Bericht. Sie kritisieren, dass die Maßnahmen der Kommission und der Mitgliedstaaten nur begrenzte Auswirkungen auf die Entwicklung des KI-Ökosystems hatten.
“Umfangreiche und zielgerichtete Investitionen in KI werden in den kommenden Jahren entscheidenden Einfluss auf das Wirtschaftswachstum in der EU haben”, sagt Mihails Kozlovs. Er ist das für die Prüfung zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. Im Wettlauf um KI bestehe die Gefahr, dass der Gewinner am Ende alles bekomme. “Um die ehrgeizigen EU-Ziele zu erreichen, müssen die Europäische Kommission und die EU-Länder ihre Kräfte wirksamer bündeln, schneller handeln und das Potenzial der EU besser nutzen“, sagt Kozlovs. Nur dann könne diese große technologische Revolution erfolgreich gemeistert werden.
Seit 2018 verfolgt die EU ehrgeizige Pläne zur Förderung von KI-Technologien, um eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Diese Pläne sollten die Investitionen in KI erhöhen und das Regelungsumfeld anpassen. Dennoch blieben die Investitionen hinter den Erwartungen zurück. Kommission und Mitgliedstaaten hätten ihre Maßnahmen nicht wirksam koordiniert, da der Kommission die erforderlichen Governance-Instrumente und aktuellen Zielvorgaben fehlten, heißt es im Bericht.
Ein bedeutendes Problem sind verzögerte Infrastrukturprojekte. Viele Projekte, die kleine und mittlere Unternehmen (KMU) unterstützen sollten, sind noch nicht voll einsatzfähig. “Die Umsetzung von Infrastruktur- und Kapitalunterstützung für KMU zur Einführung von KI-Technologien nahm Zeit in Anspruch, sodass zum Zeitpunkt der Prüfung noch keine nennenswerten Ergebnisse erzielt worden waren“, kritisieren die Prüfer.
Im Vergleich zu anderen Weltregionen hinkt Europa deutlich hinterher. “Die KI-Investitionen der EU stiegen im Zeitraum 2018-2020 zwar stetig an und übertrafen die KI-Ziele der EU, doch hat sich die Lücke zwischen den Vereinigten Staaten und der EU bei den Investitionen in KI zwischen 2018 und 2020 mehr als verdoppelt”, steht im Bericht. Konkret wuchs die Lücke auf 10,5 Milliarden Euro im Jahr 2020.
Der Rechnungshof kritisiert zudem die unzureichende Überwachung und Nutzung von Forschungsergebnissen. Demnach führte die Kommission nur teilweise Kontrollen durch, um sicherzustellen, dass die aus dem EU-Haushalt finanzierten Ergebnisse aus Forschung und Innovation (FuI) im Bereich KI vermarktet oder anderweitig genutzt werden.
Um diese Mängel zu beheben, empfiehlt der Rechnungshof der Kommission, das EU-Investitionsziel für KI neu zu bewerten und klare Vereinbarungen mit den Mitgliedstaaten zu treffen, wie diese zur Erreichung des Ziels beitragen können. Die Kommission solle evaluieren, ob spezielle Instrumente zur Kapitalunterstützung für innovative KMU erforderlich sind, und sicherstellen, dass die KI-Infrastruktur koordiniert zum Einsatz kommt.
Darüber hinaus fordern die Prüfer die Festlegung spezifischer Leistungsziele und Indikatoren sowie deren regelmäßige Überwachung. Die Kommission müsse verstärkte Maßnahmen ergreifen, um die Nutzung der Ergebnisse aus EU-finanzierter KI-Forschung zu fördern und die Ergebnisse nach Abschluss der Projekte systematisch zu überwachen.
Unter dem Strich heißt das, dass die EU ihre Strategien zur Förderung von KI-Technologien überdenken und effektiver umsetzen muss, um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Der gerade beschlossene AI Act könne dazu beitragen, die EU als attraktiven Standort für KI-Entwicklung zu etablieren. Es sei aber noch zu früh, das zu bewerten, sagte Kozlovs. vis
Der Digital Services Act (DSA) entwickelt seine positive Wirkung – jedenfalls sieht die EU-Kommission das so. Ein Beispiel: Meta hat sein Analysetool Crowdtangle wieder aktiviert und vor der Europawahl sogar neue Funktionen eingeführt. Die Wahlen in den USA werden davon allerdings nicht profitieren, nach dem 14. August wird es nicht mehr zur Verfügung stehen.
Am 30. April hatte die Kommission ein formelles Verfahren gegen Meta im Rahmen des DSA eingeleitet, unter anderem wegen der Einstellung und geplanten Abschaffung von Crowdtangle. Mit dem Analysetool können Forscherinnen, Journalisten und Zivilgesellschaft nachverfolgen, welche Beiträge auf Facebook oder Instagram besonders erfolgreich waren. Es dient auch der Wahlbeobachtung. Die Kommission kritisierte, dass das Tool ausgerechnet vor den Europawahlen ohne einen angemessenen Ersatz wegfallen sollte.
Meta hat jetzt die Laufzeit verlängert und neue Funktionen in Crowdtangle implementiert: 27 neue Dashboards, eines für jeden Mitgliedstaat, um Dritten eine Echtzeitüberwachung des zivilen Diskurses und der Wahlprozesse zu ermöglichen. “Wir begrüßen diese Ankündigung, denn nach dem DSA müssen sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen Risiken, die von ihren Diensten ausgehen, bewerten und mindern, einschließlich solcher, die den Schutz von Wahlprozessen betreffen”, sagte ein Kommissionssprecher am Dienstag in Brüssel.
Die Kommission wolle nun die effektive Einführung dieser neuen Maßnahmen und Funktionen überwachen. Die formellen Verfahren liefen dabei weiter. Die Integrität der Europawahlen ist aktuell eine der Prioritäten der Kommission im Rahmen des DSA.
Ohne den DSA hätte es diese Entwicklung nicht gegeben, sagte Prabhat Agarwal, Referatsleiter der DG Connect, auf der Digitalmesse Republica in Berlin. Er beobachte eine “sehr positive Dynamik des DSA“. Viele Leute innerhalb der Plattformen, die auf Arbeitsebene das Richtige tun wollten, sähen sich durch den DSA gestärkt. Sie hätten jetzt die Möglichkeit, intern Verbesserungen anzuregen. Die Diskussion, die die Kommission mit vielen Plattformen über die Umsetzung des DSA habe, seien oft fruchtbar. Das Team zur Überwachung des DSA in der Kommission hat inzwischen 125 Mitarbeitende, 25 davon haben einen technischen Hintergrund.
Parallel arbeitet das Team noch an zwei delegierten Rechtsakten zum DSA, die in den kommenden Wochen herauskommen sollen. Dabei geht es auch um den einheitlichen Rechtsrahmen für die Transparenzberichte. Zunächst hatten die Unternehmen ihre Transparenzberichte selbst gestalten können. Den neuen Rechtsrahmen will die Kommission noch einmal zur Diskussion stellen. Der DSA biete etwa Wissenschaftlern einen weitreichenden Zugriff auf interne Daten. Es sei das einzige Rechtsinstrument der Welt, das einen solchen Zugriff gewähre, hieß es aus der Kommission.
Insgesamt wünscht sich die Kommission bei der Überwachung jedoch eine stärkere Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Allerdings sei die Finanzierung dieser Aktivitäten eine schwierige Frage. Die beaufsichtigten Unternehmen finanzieren nach dem DSA ihre Überwachung selbst. Sie zahlen dafür eine Gebühr. Doch diese dürfe die Kommission nur für die eigene Organisation verwenden und nicht an Dritte weiterreichen.
Die Arbeit rund um den DSA wird nicht weniger werden: Noch vor der Sommerpause, hieß es, werde die Kommission auch den chinesischen Internethändler Temu als sehr große Online-Plattform designieren (VLOP). vis
Höhere CO₂-Preise, strengere Energieeffizienzvorschriften und beschleunigte Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien verbessern die Energiesicherheit Europas. Der Internationalen Währungsfonds (IWF) kommt in einem neuen Bericht zu dem Schluss, dass Europas Einsatz für Klimaschutz positive Effekte auf die Energieunabhängigkeit des Kontinents mit sich gebracht hat.
Lange bevor Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, habe sich die Energieversorgungssicherheit Europas verschlechtert, da die Länder “zunehmend auf Importe von immer weniger Lieferanten angewiesen waren”. Seit 13 Jahren habe sich die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Energieunterbrechungen verschlechtert, analysiert der IWF.
Europas Klimaschutzgesetze, das Fit-for-55-Paket, kehre diese jahrzehntelange Verschlechterung der Energiesicherheit um. Sollten die Ziele erreicht werden, verbessere sich die Energiesicherheit bis 2030 um acht Prozent. Würden die Klimaschutzmaßnahmen zudem wie geplant über 2030 hinaus fortgesetzt, hätte dies weitere Verbesserungen zufolge, schreiben die Autoren. luk
Für den Kampf gegen den Klimawandel dürfen Deutschland und sechs weitere EU-Staaten die Wasserstoffindustrie mit 1,4 Milliarden Euro fördern. Die EU-Kommission genehmigte am Dienstag die staatlichen Beihilfen, wie die Behörde mitteilte. Unter anderem beteiligen sich Airbus und als einziger Autohersteller auch BMW an den Vorhaben. Neben Deutschland sind Estland, Frankreich, Italien, die Niederlande, die Slowakei und Spanien bei dem sogenannten Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) dabei.
Die nun genehmigte Förderung ist für insgesamt 13 verschiedene Projekte vorgesehen. Es wird auch erwartet, dass für die Projekte 3,3 Milliarden Euro private Investitionen mobilisiert werden. Dabei geht es beispielsweise darum, dass Hochleistungs-Brennstoffzellentechnologien mit ausreichend Leistung entwickelt werden sollen, damit Schiffe und Züge angetrieben werden können. Ein anderes Vorhaben beschäftigt sich den Angaben zufolge damit, leichte und stabile Wasserstofftanks zu entwickeln, die sicher in Flugzeugen eingesetzt werden können. Die Kommission erwartet, dass insgesamt rund 3.600 Arbeitsplätze direkt durch die Projekte entstehen und weitere indirekt geschaffen werden.
Die EU-Kommission genehmigte am Dienstag zudem ein weiteres IPCEI, mit dem unter anderem die Entdeckung neuer Medikamente gegen seltene Krankheiten mit bis zu einer Milliarde Euro gefördert werden darf. An den Vorhaben sind Unternehmen aus sechs EU-Staaten beteiligt, darunter Frankreich, Spanien und Italien. dpa
Die EU und Australien haben am Dienstag eine Absichtserklärung für eine bilaterale Rohstoffpartnerschaft unterzeichnet. Dabei geht es um kritische und strategische Rohstoffe, bei denen die EU ihre Importe diversifizieren will. Australien hat bedeutende Vorkommen an den von der EU im Critical Raw Materials Act als strategisch wichtig deklarierten Rohstoffen wie Lithium, Kupfer, Nickel und Kobalt. Die Partnerschaft umfasst die gesamte Wertschöpfungskette dieser Mineralien, von der Exploration über den Abbau und die Verarbeitung bis hin zum Recycling.
Mit der Absichtserklärung verfolgen die EU und Australien drei hauptsächliche Ziele:
Darüber hinaus wollen beide Partner auch die gemeinsame Zusammenarbeit mit weiteren Ländern prüfen, in denen sie gemeinsame Interessen haben. Der Schwerpunkt soll hier auf der Verringerung der Umweltauswirkungen und der Förderung lokaler Gemeinschaften liegen. In den kommenden sechs Monaten wollen Australien und die EU einen konkreten Fahrplan für die bilaterale Partnerschaft erarbeiten.
Die EU und Australien hatten 2018 Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufgenommen. Diese waren im vergangenen Jahr jedoch an einer fehlenden Einigung über zollfreie Quoten für Rind- und Schafsfleisch gescheitert. Speziell Irland und Frankreich hatten sich aufseiten der EU gegen das Abkommen aufgelehnt. leo

Noch ist sie Landesbäuerin des Bayrischen Bauernverbands und Kreistagsmitglied in Garmisch-Partenkirchen, bald sitzt sie mit großer Wahrscheinlichkeit im Europäischen Parlament: Christine Singer steht auf Listenplatz 1 der Freien Wähler und hat damit gute Chancen auf einen Sitz in Straßburg. Einen Interessenkonflikt sieht die 58-jährige Landwirtin im direkten Wechsel vom Landesvorstand des Bauernverbands auf die Abgeordnetenbank nicht. “Wer mich kennt, weiß, dass ich über den Tellerrand hinausschaue, dass ich jemand bin, der mit allen spricht”, sagt sie.
Im Gegenteil: Aus der Arbeit beim Bauernverband nehme sie wertvolle Erfahrungen mit, weil es auch dort darum gehe, das Gespräch zwischen unterschiedlichen Akteuren zu suchen. “Den Dialog zu führen, Rahmenbedingungen mitzugestalten und aus dem Blick der Praktikerin heraus das Richtige anzustoßen: das ist meine Motivation”, betont Singer. Der Blick der Praktikerin – das heißt für sie vor allem weniger Regulierung, in ihren Worten: weniger “bürokratischen Irrsinn”.
Paradebeispiel dafür sei die EU-Entwaldungsverordnung. “Das ist von der Denke her richtig: Wir wollen die Urwälder schützen”, sagt Singer. Doch in der Ausgestaltung gebe es viele Probleme. Zum Beispiel, dass auch deutsche Betriebe die neuen, als nicht praktikabel empfundenen Berichtspflichten ab deren Umsetzung kommendes Jahr in vollem Umfang erfüllen sollen, obwohl das deutsche Waldgesetz bereits wirksam Abholzung verhindere. “Ich war zuletzt unterwegs bei vielen mittelständischen Betrieben, die sagen: Das können wir nicht umsetzen”, berichtet Singer.
Dass im Zuge der Bauernproteste Erleichterungen für die Branche zur politischen Priorität geworden sind, begrüßt die Bayerin: “Ich denke, die Politik hat gespürt: So kann man nicht mehr weitermachen.” Auch in Zukunft müsse in der EU-Politik darauf geachtet werden, Gesetze alltagsnah auszugestalten. Kritik von Umweltschützern, durch die Zugeständnisse an die Landwirtschaft würden Nachhaltigkeitsstandards abgebaut, kann Singer nicht nachvollziehen: “Das sind genau diejenigen, die die Umsetzbarkeit eben nicht im Blick haben.”
Würde durch übermäßige Regulierung die Schmerzgrenze kleiner und mittlerer Betriebe überschritten, dann würden diese vom Markt verdrängt und Nahrungsmittel stattdessen aus Ländern mit niedrigeren Standards importiert, argumentiert sie. “Ich kann gar nicht ausdrücken, was für ein hoher Wert es ist, dass wir uns selbst mit Nahrungsmitteln versorgen können” – das dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden, warnt Singer. Die Freie Wählerin stellt sich deshalb hinter die Forderung nach Spiegelklauseln im internationalen Handel.

“Handelsabkommen mit Drittländern müssen aus ökologischen, sozialen und ökonomischen Gründen den Qualitäts- und Prozessstandards der EU entsprechen“, nennt sie als eines ihrer drei Kernanliegen auf der Parteiwebsite. Es ist in agrarpolitischen Kreisen eine beliebte Forderung, die handelsrechtlichen Spielräume hierfür sind jedoch begrenzt.
Ihrem Hintergrund entsprechend, möchte Singer im Parlament in den Agrarausschuss. Dort würde sie nachrücken für Parteikollegin Ulrike Müller, die das EU-Parlament nach zwei Legislaturperioden verlässt und der Ambitionen in der bayrischen Politik nachgesagt werden. Ein recht äquivalenter Ersatz: Beide sind aus Bayern, gelernte Hauswirtschafterinnen und selbst Teil eines landwirtschaftlichen Betriebs.
Singer könnte damit die einzige deutsche Vertreterin der liberalen Renew-Fraktion im Agrarausschuss werden. Renew gehört von deutscher Seite auch die FDP an, von deren Abgeordneten aber derzeit niemand im Ausschuss sitzt. Inhaltlich sind die Freien Wähler bei agrarpolitischen Themen nah an den Unionsparteien. Spätestens, seit EVP-Chef und CSU-Spitzenkandidat Manfred Weber seine Partei zur Bauernpartei erklärt hat, beackern beide ein ähnliches Feld.
“Wir sehen in Bayern, dass die CSU und die Freien Wähler um die Landwirtschaft werben“, räumt Singer ein. Doch weil Fraktionsdisziplin im EU-Parlament eine deutlich geringere Rolle spiele als im Bundestag, komme es auf jeden einzelnen Abgeordneten an – und da seien die Freien Wähler oft das Zünglein an der Waage. Tatsächlich stand die Renew-Fraktion in den vergangenen Jahren oft zwischen den Stühlen, wenn die EVP gegen Umweltregeln trommelte, die Grüne und linke Parteien verteidigten. Anders als liberale Fraktionskollegen zum Beispiel aus Frankreich stimmten dabei die Freien Wähler – wie auch die FDP – meist mit den Konservativen.
Letztlich gehe es aber ohnehin darum, sich als “bäuerliche Vertreter” egal welcher Partei im Europaparlament Gehör zu verschaffen, sich zu vernetzen und Akteure auch aus anderen Bereichen zu überzeugen. Genau diese Fähigkeit bringe sie mit, ist Singer überzeugt – auch durch ihre Erfahrung bei den Landfrauen. “Netzwerken ist die Herzensangelegenheit der Landfrauen: sich miteinander auf den Weg zu machen und genau die Themen anzusprechen, wo der Schuh drückt.” jd