dieses Jahr war ein besonders ereignisreiches in der Europapolitik: Mit den Europawahlen und einigen Wahlen in den Mitgliedstaaten haben sich die Machtverhältnisse in der EU verändert. Im Dezember hat die neue Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Nach dem Amtsantritt von Donald Trump am 20. Januar wird sie wohl schnell Gelegenheit bekommen, ihren Führungsanspruch unter Beweis zu stellen, nicht zuletzt in der Handelspolitik. Politische Führung wird dringend gebraucht in der EU – das liegt auch an den schwachen Regierungen in Berlin und Paris, die in den vergangenen Monaten vor allem mit sich selbst beschäftigt waren.
In unserem Jahresrückblick schauen wir zurück auf die zentralen Entwicklungen des vergangenen Jahres, die auch 2025 wichtig bleiben. Klar ist: Europa muss zusammenstehen, es muss die Demokratie besser schützen – und innovativer werden.
Klar ist auch: Dies ist die letzte reguläre Ausgabe des Europe.Table in diesem Jahr. Wir melden uns nach der Weihnachtspause am 2. Januar zurück mit unseren Analysen und Nachrichten über all das, was Sie aus Europa wissen müssen. In der Zwischenzeit können Sie sich mit unserem kostenlosen Newsletter 100 Headlines auf dem Laufenden halten. Auch unser Podcast Table.Today erscheint zwischen den Jahren – zu Gast sein wird unter anderem Altkanzlerin Angela Merkel.
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Auszeit und heitere Feiertage. Kommen Sie gut ins nächste Jahr!
… bekommt sie in Europa heute kaum noch: Politische Führung ist zur Mangelware geworden. Kanzler Olaf Scholz regiert auf Abruf und bewegte sich durch den Europäischen Rat bisweilen wie ein Elefant im Porzellanladen. Emmanuel Macron ist seinem eigenen disruptiven Stil zum Opfer gefallen (siehe unten). So wirkt die EU schlecht gerüstet für eine gefährlichere Welt, in der nun bald der Loudspeaker-in-Chief Donald Trump das Wort führt.
Zwar versuchen andere, das Vakuum zu füllen, wie Polens Ministerpräsident Donald Tusk in der Ukraine-Frage. Mit Ursula von der Leyen, António Costa, Kaja Kallas und Nato-Generalsekretär Mark Rutte übernimmt in Brüssel ein Quartett mit Führungsanspruch, das überdies (bislang) gut zusammenarbeitet. Mit einem CDU-Kanzler Friedrich Merz entstünde zudem ein echtes Machtzentrum aus Christdemokraten, die in Rat, Kommission und Europaparlament dominieren. Zugleich aber zerren die Fliehkräfte gesellschaftlicher Polarisierung an der politischen Mitte und engen den Gestaltungsspielraum immer stärker ein. tho
Wenn europäische Führungslosigkeit 2024 die Regel war, so war die Handelspolitik vielleicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Im ausklingenden Jahr hat die Kommission die Zügel bei dieser EU-Kompetenz fest in die Hand genommen. Gegen den ausdrücklichen Willen der deutschen Regierung führte sie Ausgleichszölle auf subventionierte chinesische Elektroautos ein und brachte diese Entscheidung auch durch den EU-Rat.
Wer dachte, dass diese Zollentscheidung ein Zeichen dafür war, dass die Kommission bei der Industrie- und Handelspolitik eine französische Lesart übernommen hätte, wurde im Dezember eines Besseren belehrt. Die Kommissionspräsidentin schloss die Verhandlungen für ein Handelsabkommen mit Mercosur gegen den Willen des gesamten politischen Spektrums Frankreichs ab. Die beiden Entscheidungen helfen dem Ansehen der Kommission bei kleineren Mitgliedstaaten. Sie sehen, dass auch die Großen überstimmt werden können.
In der zweiten Jahreshälfte 2025 wird sich zeigen, ob die Kommission gemeinsam mit anderen Befürwortern des Mercosur-Abkommens auch diese Entscheidung durch den Rat bringen kann. Wahrscheinlich schon früher wird auch Trump der EU-Kommission die Möglichkeit geben, ihren Führungsanspruch in der Handelspolitik unter Beweis zu stellen. jaa
Inzwischen zweifelt wohl niemand mehr daran, dass Wahlen gewinnen kann, wer soziale Medien geschickt nutzt. Spätestens 2024 zeigte sich, wie gefährlich eine Plattform mit Kurzvideos wie Tiktok für die Integrität demokratischer Wahlen sein kann. Desinformation, Fake News, versteckte bezahlte Werbung, Einflussnahme aus dem Ausland – die Manipulationsmöglichkeiten sind vielfältig. Sie kamen wohl alle in Rumänien zum Einsatz, mit dem bekannten Ausgang.
Das Schlimme daran: Außenstehende wissen meist nur wenig darüber, wie die Algorithmen funktionieren. Offensichtlich ist aber, dass sie Hass, Lügen und Hetze schneller verbreiten als Fakten. Die Forscher Timothy Graham und Mark Andrejevic haben gezeigt, dass Elon Musk auf seiner Plattform X die Sichtbarkeit von politischen Inhalten massiv beeinflusst hat, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Kommission versucht dagegenzuhalten und mit dem Digital Services Act im digitalen Raum durchzusetzen, was offline schon immer verboten war.
Der DSA ist aber erst seit dem 17. Februar voll anwendbar. Das bedeutet, die Politik hinkt der technischen – und gesellschaftlichen – Entwicklung weit hinterher. Die Mechanismen des DSA müssen sich erst noch einspielen und die Kommission muss beweisen, dass sie und ihr Personal den Herausforderungen gewachsen sind. vis
Über lange Strecken beherrschte der Draghi-Report die politische Diskussion in Brüssel. Er fiel wenig schmeichelhaft aus. Europa fehlt es an Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen und Innovationskraft. Mario Draghi stellt fest, dass Europa, um seine Ziele zu erreichen, jährlich 750 bis 800 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen benötigt. Dies entspricht 4,4 bis 4,7 Prozent des BIP der EU im Jahr 2023.
Europa hat zwar viele talentierte Forscher und Unternehmer. Aber es hat Schwierigkeiten, Innovationen in die Kommerzialisierung zu überführen. So behindern komplexe und restriktive Regulierungen innovative Unternehmen in jeder Phase ihrer Entwicklung. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Innovationsprozess in der EU im Vergleich zu den USA langsamer und ineffizienter verläuft. Und während in den USA Big Tech für die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung steht, sind es in der EU immer noch die Automobilunternehmen, die aber zusehends Probleme haben, ihre Autos zu verkaufen.
Politik EU-weit zu koordinieren, ist immer noch oft bürokratisch und ineffektiv. An vielen Stellen behindern nationale Interessen eine klare europäische Lösung. Die Datenschutzgrundverordnung ist nur ein Beispiel für eine Regulierung, bei der gut gemeint nicht gut gemacht ist. Dabei müsste allen Mitgliedstaaten eigentlich klar sein, dass sie allein auf dem Weltmarkt kaum etwas ausrichten können – eine vereinte EU dagegen sehr wohl. vis
Hatte man im Europawahlkampf noch den Eindruck, Klimapolitik sollte in der neuen Legislatur nur eine untergeordnete Rolle spielen, feierte sie mit dem Wahlsieg von der Leyens ihre Wiedergeburt – allerdings mit anderem Namen. Der Green Deal 2.0 wird Clean Industrial Deal heißen und soll endlich Klimaschutz und Industriepolitik über Parteigrenzen hinweg vereinen. Das Ziel: Klimaneutralität 2050 und dabei international wettbewerbsfähige Unternehmen und europäische Wertschöpfung erhalten.
Die oberste Klimachefin der EU-Kommission ist daher auch die Wettbewerbskommissarin. Die Sozialdemokratin Teresa Ribera ist somit für nachhaltiges Wachstum in der EU verantwortlich, während die Christdemokraten Wopke Hoekstra und Jessika Roswall für den Klima- und Umweltschutz zuständig sind. Ein kluger Schachzug von der Leyens, die dadurch den Rückhalt für ihre Politik von einer breiten Mehrheit im Parlament bekam. luk
Im Thema Netze kulminierte vieles, was 2024 in der europäischen Wirtschaftspolitik wichtig war – und auch mindestens das kommende Jahr prägen wird: Binnenmarkt, Wettbewerbsfähigkeit und Energiepreise. Kurz vor Weihnachten zeigte sich, was auf dem Spiel steht: Schweden und Norwegen hatten gedroht, Stromverbindungen zu anderen europäischen Staaten zu unterbrechen oder gar nicht erst zu genehmigen. Damit wollten sie ihre eigenen Märkte vermeintlich vor hohen Energiepreisen schützen.
Doch schon Enrico Letta hatte in seinem Binnenmarktbericht geschrieben, die EU könne die Kosten für die Energiewende am besten unter einer entscheidenden Voraussetzung minimieren: “der Stärkung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten. Jedes Land muss darauf vertrauen können, dass es jederzeit Energielieferungen von seinen Nachbarn erhalten kann.”
Doch die Kosten für das Netz werden künftig selbst zum entscheidenden Faktor für die Energiepreise. Aus den Ratsschlussfolgerungen vom Mai waren zum Beispiel Passagen aus Entwürfen verschwunden, nach denen auch solche Mitgliedstaaten die Kosten für Ausbauprojekte teilen sollen, die nicht direkt miteinander verbunden sind. Unternehmen und Verbraucher dürfen gespannt sein, was das Bundeswirtschaftsministerium künftig unter der bereits angemahnten “intelligenteren Verteilung” der Netzentgelte verstehen wird. ber
Die Autobranche ist in eine tiefe Krise gerutscht. Es ist eine dreifache Belastung: Erstens kaufen die Kunden, vor allem in Deutschland, enttäuschend wenig Autos mit batterieelektrischem Antrieb. Darunter leiden Hersteller und Zulieferer gleichermaßen. Zweitens brechen die Gewinne aus dem Chinageschäft bei den deutschen Herstellern ein, weil die reichen Chinesen weniger Verbrenner im Luxussegment kaufen und die E-Antriebe von BMW, Mercedes, Porsche und Audi weitgehend durchfallen lassen. Drittens geht der Autoabsatz insgesamt zurück, es gibt massive Überkapazitäten. Etliche Montagewerke in der EU müssten eigentlich geschlossen werden, um Produktion und Absatz sowie die Kostenstruktur der überlebenden Fabriken und Marken ins Gleichgewicht zu bringen.
Ob und wie weit die EU den Herstellern bei der Regulierung entgegenkommt, ist nicht klar. CO₂-Flottengrenzwerte 2025, 2030 und 2035, Verbrenner-Aus 2035 und Strafzahlungen wegen verfehlter Klimaziele ab 2025 werden bei dem Strategischen Dialog Automotive erörtert, den Ursula von der Leyen selbst leitet.
Die Aussichten gelten als gering, dass sie beim Green Deal die Rolle rückwärts macht und die Renaissance des Verbrenners kommt. Wahrscheinlich ist eher, dass nicht-fossile Kraftstoffe wie E-Fuels anerkannt werden und die Hersteller von den Strafzahlungen im zweistelligen Milliardenbereich befreit oder weitgehend entlastet werden. mgr
Die Europawahl im Juni hat die Machtverhältnisse im Europaparlament zugunsten von Manfred Weber verschoben. Im vergangenen Mandat hatte es noch eine Mehrheit links von der EVP gegeben. Und Weber hatte hinnehmen müssen, dass S&D, Liberale, Grüne und Linke Entscheidungen gegen die EVP durchsetzten. Jetzt sieht es anders aus: Ohne Webers EVP-Fraktion, die mit 188 Sitzen wieder die größte geworden ist, sind nun keine Mehrheiten mehr möglich.
Weber, der nicht nur EVP-Fraktionschef ist, sondern auch die christdemokratische Parteienfamilie leitet, kann es sich aussuchen: Entweder er schmiedet Kompromisse mit den anderen beiden Parteien der informellen Von-der-Leyen-Koalition, also den Sozialisten und Liberalen. Oder er setzt auf Stimmen rechts von der EVP, also von EKR sowie den rechtsradikalen “Patrioten” und “Souveränisten”.
Bislang hat er mit EKR und Rechten eher bei prozeduralen Fragen gestimmt. Wenn es demnächst aber um die Aufhebung des Verbrenner-Aus oder andere Umweltdossiers geht, könnte er wieder mit den Stimmen von rechts kalkulieren. Damit würde er sich erneut den Vorwurf von Sozialisten, Liberalen und Grünen einhandeln, gemeinsame Sache mit Rechtsradikalen zu machen.
In der Kommission und in den Mitgliedstaaten hat EVP-Chef Weber Rückhalt. 14 von 27 Kommissare kommen aus der EVP-Parteienfamilie. Bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs sitzen 14 Chefs mit EVP-Hintergrund mit am Tisch. Darüber müsste es Weber möglich sein, bei wichtigen Entscheidungen etwa bei Trilogen auch im Rat Mehrheiten zu organisieren. mgr
Nach der Europawahl 2019 verhinderte er Manfred Weber als Kommissionspräsident, da war Emmanuel Macron auf dem Höhepunkt seiner Macht. Heute wirkt er politisch gelähmt, Opfer seiner Methode der ständigen Disruption. Seine Spontan-Entscheidung für Neuwahlen im Juni löste in Berlin und anderen Hauptstädten nur Kopfschütteln aus. Der französische Präsident gilt inzwischen als abgehoben und erratisch, erreichbar nur noch von einer kleinen Zahl von Getreuen.
Macron trat 2017 mit dem Anspruch an, die politische Mitte zu monopolisieren. Die gemäßigte Rechte und Linke waren seiner Wucht nicht gewachsen, Republikaner und Sozialisten sind heute nur noch ein Schatten vergangener Jahrzehnte. Damit aber schuf Macron zugleich Raum für die Ränder, für Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon: Wen der zunehmend selbstherrlich handelnde Präsident verprellte, fand die Alternative bei den Extremen. Eine Staatspräsidentin Le Pen scheint heute wahrscheinlicher als zu seinem Amtsantritt. tho
Nach vielen Jahren sind die Verhandlungen nun abgeschlossen: Die EU und die Schweiz wollen ihre Partnerschaft dauerhaft festigen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd hatten die politische Einigung am Freitag in Bern besiegelt. Beide Seiten zeigten sich zufrieden. Von der Leyen sprach von einem “historischen Abkommen” und verwies auf das geopolitische Umfeld wachsender Spannungen. Eine stärkere Partnerschaft sei vor diesem Hintergrund zwingend. Amherd sprach ebenfalls von einem Meilenstein “der Stabilisierung und Weiterentwicklung” der bilateralen Beziehung.
Die Europaparlamentarier David McAllister, Andreas Schwab (beide CDU) und Christophe Grudler (Renew) begrüßten die Einigung: “Dies ist ein Meilenstein der Vertiefung der bereits engen Beziehung zwischen der Europäischen Union und der Schweiz.” Das Paket an Maßnahmen und Abkommen schaffe gleiche Rahmenbedingungen und Sicherheit für Bürger, Unternehmen und die Forschungsgemeinschaft.
Der Schweiz ist es in den Verhandlungen gelungen, ihren maßgeschneiderten Zugang zum EU-Binnenmarkt zu festigen und weiter auszubauen. Schon nach dem Nein zum EWR-Beitritt von 1992 konnte die Schweiz mit einem Dickicht von inzwischen über 120 Abkommen der EU privilegierte Konditionen abringen. Seit über zehn Jahren war dieser bilaterale Sonderweg jedoch gefährdet, da die EU auf eine neue Grundlage pochte und weitere Binnenmarktzugangsabkommen verweigerte. Auch, weil die Schweiz inzwischen einen Antrag auf EU-Beitritt formell zurückgezogen hatte.
Mit den bisherigen statischen Abkommen war die homogene Anwendung des EU-Binnenmarktrechts in der Schweiz immer weniger garantiert. Zudem fehlte ein Streitschlichtungsmechanismus.
Beides soll sich nun mit dem ausverhandelten Paket ändern. Neu ist, dass die Schweiz bei den Binnenmarktabkommen das neue EU-Recht dynamisch übernehmen muss. Ein Schiedsgericht entscheidet zudem, wenn die Interpretation der Abkommen umstritten ist. Dort, wo es um die Auslegung von reinem EU-Recht geht, muss das Schiedsgericht zudem den EuGH konsultieren.
Bestehende Abkommen muss die Schweiz dem EU-Recht anpassen, wobei die Personenfreizügigkeit auf Arbeitnehmer und die Frist für Entsendungen auf 90 Tage beschränkt bleibt. Die Schweiz muss nun jedoch allen berufstätigen EU-Bürgern nach fünf Jahren das Daueraufenthaltsrecht gewähren.
Beim Land- und Luftverkehrsabkommen wird nach den neuen Vereinbarungen Kabotage möglich. Das heißt, dass die Fluggesellschaft Swiss auch Passagiere innerhalb der EU transportieren kann und europäische Bahnunternehmen innerhalb der Schweiz tätig sein dürfen.
Teil des Pakets ist auch ein Stromabkommen, mit dem die Schweiz sich den Zugang zum Strombinnenmarkt sichert, der sich immer stärker integriert. Im Gegenzug muss die Schweiz Haushalten die Wahlfreiheit bei den Versorgern erlauben und sich weitgehend den EU-Beihilferegeln unterwerfen.
Zuletzt hat man sich auf den Preis für den maßgeschneiderten Zugang zum Binnenmarkt geeinigt. So soll die Schweiz künftig 375 Millionen Euro jährlich zur Kohäsionspolitik der EU zahlen, praktisch dreimal mehr als bisher. Ein großes Anliegen der Forschungsgemeinschaft in Deutschland und in der Schweiz wird auch erfüllt. Schweizer Forschende dürfen sich ab Januar provisorisch bei Horizon Europe an Ausschreibungen beteiligen und bei Projekten mitmachen.
Wann und ob das Paket in Kraft treten kann, ist die große Frage. Während der Verhandlungen hat die Regierung darauf verzichtet, in der Öffentlichkeit für eine Einigung mit der EU zu werben. So haben heute die Gegner des Deals die Deutungshoheit. Exponenten der rechtsnationalistischen SVP, immerhin stärkste Partei in der Schweiz, sprechen von einem “Unterwerfungs”- beziehungsweise “Kolonialvertrag”.
Widerstand kündigt sich auch aus dem linken Spektrum an. Die Gewerkschaften befürchten, dass der Schweizer Lohnschutz aufgeweicht wird. Bei den Sozialdemokraten gibt es Vorbehalte gegen die weitere Liberalisierung des Strommarktes.
Gegen den geballten Widerstand von Rechts und Links dürften es die Befürworter schwer haben. Die Regierung könnte versuchen, die Gewerkschaften mit innenpolitischen Zugeständnissen oder Kompensationen beim Lohnschutz noch an Bord zu holen. Tatsächliche Risiken gibt es allerdings nur bei den entsandten Arbeitskräften, minimal in der Bedeutung für den Schweizer Arbeitsmarkt.
Eine Volksabstimmung dürfte frühestens 2026 stattfinden, möglicherweise aber auch erst 2028 nach den nächsten Parlamentswahlen. Das Paket könnte dann gegen 2030 in Kraft treten. Zwei Hebel hat die EU-Kommission in der Hand behalten. Sollte der Deal in der Abstimmung durchfallen, würde der provisorische Zugang zu den EU-Forschungsprogrammen wieder zu Ende sein. Auch das wichtige Abkommen zu den technischen Handelshemmnissen (MRA) würde die EU nicht aktualisieren.
Georgische Diplomaten, Beamte und deren Familienangehörige sollen bei der Einreise in den Schengenraum nicht länger von der Visafreiheit profitieren können. Die EU-Kommission hat einen entsprechenden Vorschlag präsentiert, der vom Rat noch genehmigt werden muss. Der Vorschlag ist eine Reaktion auf die gewaltsame Unterdrückung friedlicher Demonstranten.
In Tiflis und anderen Städten des Landes kommt es seit umstrittenen Parlamentswahlen und der Ankündigung der Regierungspartei Georgischer Traum, die Beitrittsverhandlungen mit der EU bis 2028 auf Eis zu legen, fast täglich zu Protesten.
In einem ersten Anlauf hatte die EU-Kommission beim Außenrat vorgeschlagen, mehrere Verantwortliche für die Polizeigewalt mit Einreisesperren zu belegen und deren Vermögen in der EU zu blockieren. Für Sanktionen braucht es allerdings Einstimmigkeit. Ungarn und die Slowakei stellten sich jedoch quer. Beim Weg über die Suspendierung der Visaerleichterungen reicht hingegen die Zustimmung einer Mehrheit der Mitgliedstaaten.
Geben sie grünes Licht, müssen Diplomaten, Beamte und deren Familienangehörige, die im Besitz eines Diplomaten- oder Dienstpasses sind, auch für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen wieder ein Visum für die Einreise beantragen. Für Inhaber von Diplomaten- und Dienstpässen sollen auch Erleichterungen wie kürzere Antragszeiten und niedrigere Gebühren nicht mehr gelten.
Zahlreiche Vertreter der prorussischen Regierungspartei Georgischer Traum schicken ihre Kinder zum Studium nach Europa und besitzen dort Immobilien. Der Beschluss werde hingegen keine negativen Auswirkungen für gewöhnliche georgische Staatsangehörige und deren persönliche Kontakte haben, sagte die EU-Kommission. Der Großteil der Bevölkerung werde weiterhin von der Visabefreiung profitieren. sti
Deutschland schafft eine in Europa umstrittene Gasspeicherumlage an sogenannten Grenzübergangspunkten mit Nachbarländern ab. Der Bundestag beschloss dazu eine Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes, die danach auch der Bundesrat billigte. Die Umlage betrifft bisher auch Importeure in Nachbarländern, die Gas über deutsche Pipelines beziehen.
Für Verbraucher in Deutschland könnte der Schritt Mehrbelastungen zur Folge haben. Im Gesetzentwurf heißt es, es seien geringe Auswirkungen auf das Verbraucherpreisniveau zu erwarten. Die Gasspeicherumlage ist Bestandteil des Gaspreises.
Im Frühjahr dieses Jahres hatte die EU-Kommission die deutsche Gasspeicherumlage mit ungewöhnlich scharfen Worten kritisiert: “Unilaterale Maßnahmen sind eine Art von Exportbeschränkung”, sagte die damalige Energiekommissarin Kadri Simson.
Der Gesetzesänderung im Bundestag stimmten SPD, Grüne und CDU/CSU zu. Die Grünen-Abgeordnete Ingrid Nestle sagte, es sei im Interesse Deutschlands, eine gute Zusammenarbeit mit den Nachbarn zu haben, von deren Infrastruktur auch Deutschland oft profitiere. Der CDU-Abgeordnete Andreas Jung sagte, europäische Partner wie Österreich und Tschechien seien auf Deutschland zugekommen und hätten beschrieben, welche negative Wirkung die Regelung auf sie habe.
Unter anderem die FDP stimmte dagegen. Der FDP-Energiepolitiker Michael Kruse warf Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor, für eine weitere Verteuerung von Energie zu sorgen. Die Erhöhung der Gasspeicherumlage sei eine Diskriminierung von Inländern. “Sie fällt jetzt nur noch für deutsche Kunden an, die die Gasspeicher nutzen, aber nicht mehr für ausländische Kunden, die die Gasspeicher nutzen.”
Die Gasspeicherumlage wurde im Herbst 2022 eingeführt, um in der Energiepreiskrise nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine Kosten des Einkaufs und der Speicherung von Gas zu finanzieren. Die Umlage steigt ab 1. Januar 2025 von aktuell 0,250 Cent pro Kilowattstunde auf dann 0,299 Cent pro Kilowattstunde. Nach Berechnungen des Portals Verivox erhöht sich die Gasrechnung rechnerisch um zwölf Euro im Jahr.
Politiker und Wirtschaftsvertreter in Österreich begrüßten die Abschaffung. “Insbesondere in Zeiten, in denen wir uns von russischen Gaslieferungen unabhängig machen wollen, ist das ein wichtiges Signal”, sagte Österreichs Wirtschaftsminister Martin Kocher. Die Streichung der Umlage senkt die Kosten für den Gastransport durch Deutschland. So werde die Nutzung alternativer Lieferrouten erleichtert, wenn zum Jahreswechsel der Transitvertrag für russisches Gas durch die Ukraine ausläuft, hieß es von Branchenvertretern. dpa
Ohne deutlich mehr Förderung ist aus Sicht des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) das EU-Ziel von 20 Prozent der globalen Halbleiterproduktion in Europa bis 2030 nicht zu schaffen. “Tatsache ist, dass wir gegenwärtig bei einem Anteil von 8,1 Prozent liegen”, sagte ZVEI-Vorstand Andreas Urschitz der Deutschen Presse-Agentur. Selbst bei einem maßvollen Ausbau der Förderung könnte sich dieser Anteil bis 2045 etwa durch Abwanderung von Produktionskapazitäten sogar leicht verringern auf 7,9 Prozent. “Wir müssen also mehr tun.”
Es brauche regional stabile Lieferketten, um nicht in unverhältnismäßige und einseitige Abhängigkeiten zu geraten, betont Urschitz. Über staatliche Förderung müssten vor Ort zusätzliche Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Benötigt würden aber auch Forschung, Entwicklung, Chipdesign, Leiterplattenherstellung und Dienstleistungen. “Wenn der Staat besonders kapitalintensive Projekte nicht unterstützt, fallen die Standortentscheidungen zugunsten anderer Regionen aus”, warnt er.
Die EU hat den Chips Act im vergangenen Jahr beschlossen. Neben dem 20-Prozent-Ziel sieht er öffentliche Gesamtinvestitionen in diesen Bereich von rund 43 Milliarden Euro vor. Diese Fördersummen müssten aus Sicht des ZVEI ausgebaut werden.
Anfang dieses Jahres lagen rund 80 Prozent der weltweiten Halbleiter-Produktion in Asien und 20 Prozent im Westen. Hochmoderne Chips etwa für Smartphones werden hauptsächlich in Taiwan vom Fertiger TSMC produziert.
Die Bundesregierung hatte in diesem Jahr versucht, den Chiphersteller Intel mit Milliardenanreizen beim Aufbau einer Fabrik nach Magdeburg zu holen. Im Rahmen von Sparmaßnahmen hat der Konzern den Bau allerdings zuletzt um zwei Jahre verschoben. In Dresden wiederum hat TSMC mit weiteren Partnern zuletzt mit dem Bau einer eigenen Chipfabrik begonnen. dpa
dieses Jahr war ein besonders ereignisreiches in der Europapolitik: Mit den Europawahlen und einigen Wahlen in den Mitgliedstaaten haben sich die Machtverhältnisse in der EU verändert. Im Dezember hat die neue Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Nach dem Amtsantritt von Donald Trump am 20. Januar wird sie wohl schnell Gelegenheit bekommen, ihren Führungsanspruch unter Beweis zu stellen, nicht zuletzt in der Handelspolitik. Politische Führung wird dringend gebraucht in der EU – das liegt auch an den schwachen Regierungen in Berlin und Paris, die in den vergangenen Monaten vor allem mit sich selbst beschäftigt waren.
In unserem Jahresrückblick schauen wir zurück auf die zentralen Entwicklungen des vergangenen Jahres, die auch 2025 wichtig bleiben. Klar ist: Europa muss zusammenstehen, es muss die Demokratie besser schützen – und innovativer werden.
Klar ist auch: Dies ist die letzte reguläre Ausgabe des Europe.Table in diesem Jahr. Wir melden uns nach der Weihnachtspause am 2. Januar zurück mit unseren Analysen und Nachrichten über all das, was Sie aus Europa wissen müssen. In der Zwischenzeit können Sie sich mit unserem kostenlosen Newsletter 100 Headlines auf dem Laufenden halten. Auch unser Podcast Table.Today erscheint zwischen den Jahren – zu Gast sein wird unter anderem Altkanzlerin Angela Merkel.
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Auszeit und heitere Feiertage. Kommen Sie gut ins nächste Jahr!
… bekommt sie in Europa heute kaum noch: Politische Führung ist zur Mangelware geworden. Kanzler Olaf Scholz regiert auf Abruf und bewegte sich durch den Europäischen Rat bisweilen wie ein Elefant im Porzellanladen. Emmanuel Macron ist seinem eigenen disruptiven Stil zum Opfer gefallen (siehe unten). So wirkt die EU schlecht gerüstet für eine gefährlichere Welt, in der nun bald der Loudspeaker-in-Chief Donald Trump das Wort führt.
Zwar versuchen andere, das Vakuum zu füllen, wie Polens Ministerpräsident Donald Tusk in der Ukraine-Frage. Mit Ursula von der Leyen, António Costa, Kaja Kallas und Nato-Generalsekretär Mark Rutte übernimmt in Brüssel ein Quartett mit Führungsanspruch, das überdies (bislang) gut zusammenarbeitet. Mit einem CDU-Kanzler Friedrich Merz entstünde zudem ein echtes Machtzentrum aus Christdemokraten, die in Rat, Kommission und Europaparlament dominieren. Zugleich aber zerren die Fliehkräfte gesellschaftlicher Polarisierung an der politischen Mitte und engen den Gestaltungsspielraum immer stärker ein. tho
Wenn europäische Führungslosigkeit 2024 die Regel war, so war die Handelspolitik vielleicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Im ausklingenden Jahr hat die Kommission die Zügel bei dieser EU-Kompetenz fest in die Hand genommen. Gegen den ausdrücklichen Willen der deutschen Regierung führte sie Ausgleichszölle auf subventionierte chinesische Elektroautos ein und brachte diese Entscheidung auch durch den EU-Rat.
Wer dachte, dass diese Zollentscheidung ein Zeichen dafür war, dass die Kommission bei der Industrie- und Handelspolitik eine französische Lesart übernommen hätte, wurde im Dezember eines Besseren belehrt. Die Kommissionspräsidentin schloss die Verhandlungen für ein Handelsabkommen mit Mercosur gegen den Willen des gesamten politischen Spektrums Frankreichs ab. Die beiden Entscheidungen helfen dem Ansehen der Kommission bei kleineren Mitgliedstaaten. Sie sehen, dass auch die Großen überstimmt werden können.
In der zweiten Jahreshälfte 2025 wird sich zeigen, ob die Kommission gemeinsam mit anderen Befürwortern des Mercosur-Abkommens auch diese Entscheidung durch den Rat bringen kann. Wahrscheinlich schon früher wird auch Trump der EU-Kommission die Möglichkeit geben, ihren Führungsanspruch in der Handelspolitik unter Beweis zu stellen. jaa
Inzwischen zweifelt wohl niemand mehr daran, dass Wahlen gewinnen kann, wer soziale Medien geschickt nutzt. Spätestens 2024 zeigte sich, wie gefährlich eine Plattform mit Kurzvideos wie Tiktok für die Integrität demokratischer Wahlen sein kann. Desinformation, Fake News, versteckte bezahlte Werbung, Einflussnahme aus dem Ausland – die Manipulationsmöglichkeiten sind vielfältig. Sie kamen wohl alle in Rumänien zum Einsatz, mit dem bekannten Ausgang.
Das Schlimme daran: Außenstehende wissen meist nur wenig darüber, wie die Algorithmen funktionieren. Offensichtlich ist aber, dass sie Hass, Lügen und Hetze schneller verbreiten als Fakten. Die Forscher Timothy Graham und Mark Andrejevic haben gezeigt, dass Elon Musk auf seiner Plattform X die Sichtbarkeit von politischen Inhalten massiv beeinflusst hat, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Kommission versucht dagegenzuhalten und mit dem Digital Services Act im digitalen Raum durchzusetzen, was offline schon immer verboten war.
Der DSA ist aber erst seit dem 17. Februar voll anwendbar. Das bedeutet, die Politik hinkt der technischen – und gesellschaftlichen – Entwicklung weit hinterher. Die Mechanismen des DSA müssen sich erst noch einspielen und die Kommission muss beweisen, dass sie und ihr Personal den Herausforderungen gewachsen sind. vis
Über lange Strecken beherrschte der Draghi-Report die politische Diskussion in Brüssel. Er fiel wenig schmeichelhaft aus. Europa fehlt es an Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen und Innovationskraft. Mario Draghi stellt fest, dass Europa, um seine Ziele zu erreichen, jährlich 750 bis 800 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen benötigt. Dies entspricht 4,4 bis 4,7 Prozent des BIP der EU im Jahr 2023.
Europa hat zwar viele talentierte Forscher und Unternehmer. Aber es hat Schwierigkeiten, Innovationen in die Kommerzialisierung zu überführen. So behindern komplexe und restriktive Regulierungen innovative Unternehmen in jeder Phase ihrer Entwicklung. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Innovationsprozess in der EU im Vergleich zu den USA langsamer und ineffizienter verläuft. Und während in den USA Big Tech für die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung steht, sind es in der EU immer noch die Automobilunternehmen, die aber zusehends Probleme haben, ihre Autos zu verkaufen.
Politik EU-weit zu koordinieren, ist immer noch oft bürokratisch und ineffektiv. An vielen Stellen behindern nationale Interessen eine klare europäische Lösung. Die Datenschutzgrundverordnung ist nur ein Beispiel für eine Regulierung, bei der gut gemeint nicht gut gemacht ist. Dabei müsste allen Mitgliedstaaten eigentlich klar sein, dass sie allein auf dem Weltmarkt kaum etwas ausrichten können – eine vereinte EU dagegen sehr wohl. vis
Hatte man im Europawahlkampf noch den Eindruck, Klimapolitik sollte in der neuen Legislatur nur eine untergeordnete Rolle spielen, feierte sie mit dem Wahlsieg von der Leyens ihre Wiedergeburt – allerdings mit anderem Namen. Der Green Deal 2.0 wird Clean Industrial Deal heißen und soll endlich Klimaschutz und Industriepolitik über Parteigrenzen hinweg vereinen. Das Ziel: Klimaneutralität 2050 und dabei international wettbewerbsfähige Unternehmen und europäische Wertschöpfung erhalten.
Die oberste Klimachefin der EU-Kommission ist daher auch die Wettbewerbskommissarin. Die Sozialdemokratin Teresa Ribera ist somit für nachhaltiges Wachstum in der EU verantwortlich, während die Christdemokraten Wopke Hoekstra und Jessika Roswall für den Klima- und Umweltschutz zuständig sind. Ein kluger Schachzug von der Leyens, die dadurch den Rückhalt für ihre Politik von einer breiten Mehrheit im Parlament bekam. luk
Im Thema Netze kulminierte vieles, was 2024 in der europäischen Wirtschaftspolitik wichtig war – und auch mindestens das kommende Jahr prägen wird: Binnenmarkt, Wettbewerbsfähigkeit und Energiepreise. Kurz vor Weihnachten zeigte sich, was auf dem Spiel steht: Schweden und Norwegen hatten gedroht, Stromverbindungen zu anderen europäischen Staaten zu unterbrechen oder gar nicht erst zu genehmigen. Damit wollten sie ihre eigenen Märkte vermeintlich vor hohen Energiepreisen schützen.
Doch schon Enrico Letta hatte in seinem Binnenmarktbericht geschrieben, die EU könne die Kosten für die Energiewende am besten unter einer entscheidenden Voraussetzung minimieren: “der Stärkung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten. Jedes Land muss darauf vertrauen können, dass es jederzeit Energielieferungen von seinen Nachbarn erhalten kann.”
Doch die Kosten für das Netz werden künftig selbst zum entscheidenden Faktor für die Energiepreise. Aus den Ratsschlussfolgerungen vom Mai waren zum Beispiel Passagen aus Entwürfen verschwunden, nach denen auch solche Mitgliedstaaten die Kosten für Ausbauprojekte teilen sollen, die nicht direkt miteinander verbunden sind. Unternehmen und Verbraucher dürfen gespannt sein, was das Bundeswirtschaftsministerium künftig unter der bereits angemahnten “intelligenteren Verteilung” der Netzentgelte verstehen wird. ber
Die Autobranche ist in eine tiefe Krise gerutscht. Es ist eine dreifache Belastung: Erstens kaufen die Kunden, vor allem in Deutschland, enttäuschend wenig Autos mit batterieelektrischem Antrieb. Darunter leiden Hersteller und Zulieferer gleichermaßen. Zweitens brechen die Gewinne aus dem Chinageschäft bei den deutschen Herstellern ein, weil die reichen Chinesen weniger Verbrenner im Luxussegment kaufen und die E-Antriebe von BMW, Mercedes, Porsche und Audi weitgehend durchfallen lassen. Drittens geht der Autoabsatz insgesamt zurück, es gibt massive Überkapazitäten. Etliche Montagewerke in der EU müssten eigentlich geschlossen werden, um Produktion und Absatz sowie die Kostenstruktur der überlebenden Fabriken und Marken ins Gleichgewicht zu bringen.
Ob und wie weit die EU den Herstellern bei der Regulierung entgegenkommt, ist nicht klar. CO₂-Flottengrenzwerte 2025, 2030 und 2035, Verbrenner-Aus 2035 und Strafzahlungen wegen verfehlter Klimaziele ab 2025 werden bei dem Strategischen Dialog Automotive erörtert, den Ursula von der Leyen selbst leitet.
Die Aussichten gelten als gering, dass sie beim Green Deal die Rolle rückwärts macht und die Renaissance des Verbrenners kommt. Wahrscheinlich ist eher, dass nicht-fossile Kraftstoffe wie E-Fuels anerkannt werden und die Hersteller von den Strafzahlungen im zweistelligen Milliardenbereich befreit oder weitgehend entlastet werden. mgr
Die Europawahl im Juni hat die Machtverhältnisse im Europaparlament zugunsten von Manfred Weber verschoben. Im vergangenen Mandat hatte es noch eine Mehrheit links von der EVP gegeben. Und Weber hatte hinnehmen müssen, dass S&D, Liberale, Grüne und Linke Entscheidungen gegen die EVP durchsetzten. Jetzt sieht es anders aus: Ohne Webers EVP-Fraktion, die mit 188 Sitzen wieder die größte geworden ist, sind nun keine Mehrheiten mehr möglich.
Weber, der nicht nur EVP-Fraktionschef ist, sondern auch die christdemokratische Parteienfamilie leitet, kann es sich aussuchen: Entweder er schmiedet Kompromisse mit den anderen beiden Parteien der informellen Von-der-Leyen-Koalition, also den Sozialisten und Liberalen. Oder er setzt auf Stimmen rechts von der EVP, also von EKR sowie den rechtsradikalen “Patrioten” und “Souveränisten”.
Bislang hat er mit EKR und Rechten eher bei prozeduralen Fragen gestimmt. Wenn es demnächst aber um die Aufhebung des Verbrenner-Aus oder andere Umweltdossiers geht, könnte er wieder mit den Stimmen von rechts kalkulieren. Damit würde er sich erneut den Vorwurf von Sozialisten, Liberalen und Grünen einhandeln, gemeinsame Sache mit Rechtsradikalen zu machen.
In der Kommission und in den Mitgliedstaaten hat EVP-Chef Weber Rückhalt. 14 von 27 Kommissare kommen aus der EVP-Parteienfamilie. Bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs sitzen 14 Chefs mit EVP-Hintergrund mit am Tisch. Darüber müsste es Weber möglich sein, bei wichtigen Entscheidungen etwa bei Trilogen auch im Rat Mehrheiten zu organisieren. mgr
Nach der Europawahl 2019 verhinderte er Manfred Weber als Kommissionspräsident, da war Emmanuel Macron auf dem Höhepunkt seiner Macht. Heute wirkt er politisch gelähmt, Opfer seiner Methode der ständigen Disruption. Seine Spontan-Entscheidung für Neuwahlen im Juni löste in Berlin und anderen Hauptstädten nur Kopfschütteln aus. Der französische Präsident gilt inzwischen als abgehoben und erratisch, erreichbar nur noch von einer kleinen Zahl von Getreuen.
Macron trat 2017 mit dem Anspruch an, die politische Mitte zu monopolisieren. Die gemäßigte Rechte und Linke waren seiner Wucht nicht gewachsen, Republikaner und Sozialisten sind heute nur noch ein Schatten vergangener Jahrzehnte. Damit aber schuf Macron zugleich Raum für die Ränder, für Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon: Wen der zunehmend selbstherrlich handelnde Präsident verprellte, fand die Alternative bei den Extremen. Eine Staatspräsidentin Le Pen scheint heute wahrscheinlicher als zu seinem Amtsantritt. tho
Nach vielen Jahren sind die Verhandlungen nun abgeschlossen: Die EU und die Schweiz wollen ihre Partnerschaft dauerhaft festigen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd hatten die politische Einigung am Freitag in Bern besiegelt. Beide Seiten zeigten sich zufrieden. Von der Leyen sprach von einem “historischen Abkommen” und verwies auf das geopolitische Umfeld wachsender Spannungen. Eine stärkere Partnerschaft sei vor diesem Hintergrund zwingend. Amherd sprach ebenfalls von einem Meilenstein “der Stabilisierung und Weiterentwicklung” der bilateralen Beziehung.
Die Europaparlamentarier David McAllister, Andreas Schwab (beide CDU) und Christophe Grudler (Renew) begrüßten die Einigung: “Dies ist ein Meilenstein der Vertiefung der bereits engen Beziehung zwischen der Europäischen Union und der Schweiz.” Das Paket an Maßnahmen und Abkommen schaffe gleiche Rahmenbedingungen und Sicherheit für Bürger, Unternehmen und die Forschungsgemeinschaft.
Der Schweiz ist es in den Verhandlungen gelungen, ihren maßgeschneiderten Zugang zum EU-Binnenmarkt zu festigen und weiter auszubauen. Schon nach dem Nein zum EWR-Beitritt von 1992 konnte die Schweiz mit einem Dickicht von inzwischen über 120 Abkommen der EU privilegierte Konditionen abringen. Seit über zehn Jahren war dieser bilaterale Sonderweg jedoch gefährdet, da die EU auf eine neue Grundlage pochte und weitere Binnenmarktzugangsabkommen verweigerte. Auch, weil die Schweiz inzwischen einen Antrag auf EU-Beitritt formell zurückgezogen hatte.
Mit den bisherigen statischen Abkommen war die homogene Anwendung des EU-Binnenmarktrechts in der Schweiz immer weniger garantiert. Zudem fehlte ein Streitschlichtungsmechanismus.
Beides soll sich nun mit dem ausverhandelten Paket ändern. Neu ist, dass die Schweiz bei den Binnenmarktabkommen das neue EU-Recht dynamisch übernehmen muss. Ein Schiedsgericht entscheidet zudem, wenn die Interpretation der Abkommen umstritten ist. Dort, wo es um die Auslegung von reinem EU-Recht geht, muss das Schiedsgericht zudem den EuGH konsultieren.
Bestehende Abkommen muss die Schweiz dem EU-Recht anpassen, wobei die Personenfreizügigkeit auf Arbeitnehmer und die Frist für Entsendungen auf 90 Tage beschränkt bleibt. Die Schweiz muss nun jedoch allen berufstätigen EU-Bürgern nach fünf Jahren das Daueraufenthaltsrecht gewähren.
Beim Land- und Luftverkehrsabkommen wird nach den neuen Vereinbarungen Kabotage möglich. Das heißt, dass die Fluggesellschaft Swiss auch Passagiere innerhalb der EU transportieren kann und europäische Bahnunternehmen innerhalb der Schweiz tätig sein dürfen.
Teil des Pakets ist auch ein Stromabkommen, mit dem die Schweiz sich den Zugang zum Strombinnenmarkt sichert, der sich immer stärker integriert. Im Gegenzug muss die Schweiz Haushalten die Wahlfreiheit bei den Versorgern erlauben und sich weitgehend den EU-Beihilferegeln unterwerfen.
Zuletzt hat man sich auf den Preis für den maßgeschneiderten Zugang zum Binnenmarkt geeinigt. So soll die Schweiz künftig 375 Millionen Euro jährlich zur Kohäsionspolitik der EU zahlen, praktisch dreimal mehr als bisher. Ein großes Anliegen der Forschungsgemeinschaft in Deutschland und in der Schweiz wird auch erfüllt. Schweizer Forschende dürfen sich ab Januar provisorisch bei Horizon Europe an Ausschreibungen beteiligen und bei Projekten mitmachen.
Wann und ob das Paket in Kraft treten kann, ist die große Frage. Während der Verhandlungen hat die Regierung darauf verzichtet, in der Öffentlichkeit für eine Einigung mit der EU zu werben. So haben heute die Gegner des Deals die Deutungshoheit. Exponenten der rechtsnationalistischen SVP, immerhin stärkste Partei in der Schweiz, sprechen von einem “Unterwerfungs”- beziehungsweise “Kolonialvertrag”.
Widerstand kündigt sich auch aus dem linken Spektrum an. Die Gewerkschaften befürchten, dass der Schweizer Lohnschutz aufgeweicht wird. Bei den Sozialdemokraten gibt es Vorbehalte gegen die weitere Liberalisierung des Strommarktes.
Gegen den geballten Widerstand von Rechts und Links dürften es die Befürworter schwer haben. Die Regierung könnte versuchen, die Gewerkschaften mit innenpolitischen Zugeständnissen oder Kompensationen beim Lohnschutz noch an Bord zu holen. Tatsächliche Risiken gibt es allerdings nur bei den entsandten Arbeitskräften, minimal in der Bedeutung für den Schweizer Arbeitsmarkt.
Eine Volksabstimmung dürfte frühestens 2026 stattfinden, möglicherweise aber auch erst 2028 nach den nächsten Parlamentswahlen. Das Paket könnte dann gegen 2030 in Kraft treten. Zwei Hebel hat die EU-Kommission in der Hand behalten. Sollte der Deal in der Abstimmung durchfallen, würde der provisorische Zugang zu den EU-Forschungsprogrammen wieder zu Ende sein. Auch das wichtige Abkommen zu den technischen Handelshemmnissen (MRA) würde die EU nicht aktualisieren.
Georgische Diplomaten, Beamte und deren Familienangehörige sollen bei der Einreise in den Schengenraum nicht länger von der Visafreiheit profitieren können. Die EU-Kommission hat einen entsprechenden Vorschlag präsentiert, der vom Rat noch genehmigt werden muss. Der Vorschlag ist eine Reaktion auf die gewaltsame Unterdrückung friedlicher Demonstranten.
In Tiflis und anderen Städten des Landes kommt es seit umstrittenen Parlamentswahlen und der Ankündigung der Regierungspartei Georgischer Traum, die Beitrittsverhandlungen mit der EU bis 2028 auf Eis zu legen, fast täglich zu Protesten.
In einem ersten Anlauf hatte die EU-Kommission beim Außenrat vorgeschlagen, mehrere Verantwortliche für die Polizeigewalt mit Einreisesperren zu belegen und deren Vermögen in der EU zu blockieren. Für Sanktionen braucht es allerdings Einstimmigkeit. Ungarn und die Slowakei stellten sich jedoch quer. Beim Weg über die Suspendierung der Visaerleichterungen reicht hingegen die Zustimmung einer Mehrheit der Mitgliedstaaten.
Geben sie grünes Licht, müssen Diplomaten, Beamte und deren Familienangehörige, die im Besitz eines Diplomaten- oder Dienstpasses sind, auch für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen wieder ein Visum für die Einreise beantragen. Für Inhaber von Diplomaten- und Dienstpässen sollen auch Erleichterungen wie kürzere Antragszeiten und niedrigere Gebühren nicht mehr gelten.
Zahlreiche Vertreter der prorussischen Regierungspartei Georgischer Traum schicken ihre Kinder zum Studium nach Europa und besitzen dort Immobilien. Der Beschluss werde hingegen keine negativen Auswirkungen für gewöhnliche georgische Staatsangehörige und deren persönliche Kontakte haben, sagte die EU-Kommission. Der Großteil der Bevölkerung werde weiterhin von der Visabefreiung profitieren. sti
Deutschland schafft eine in Europa umstrittene Gasspeicherumlage an sogenannten Grenzübergangspunkten mit Nachbarländern ab. Der Bundestag beschloss dazu eine Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes, die danach auch der Bundesrat billigte. Die Umlage betrifft bisher auch Importeure in Nachbarländern, die Gas über deutsche Pipelines beziehen.
Für Verbraucher in Deutschland könnte der Schritt Mehrbelastungen zur Folge haben. Im Gesetzentwurf heißt es, es seien geringe Auswirkungen auf das Verbraucherpreisniveau zu erwarten. Die Gasspeicherumlage ist Bestandteil des Gaspreises.
Im Frühjahr dieses Jahres hatte die EU-Kommission die deutsche Gasspeicherumlage mit ungewöhnlich scharfen Worten kritisiert: “Unilaterale Maßnahmen sind eine Art von Exportbeschränkung”, sagte die damalige Energiekommissarin Kadri Simson.
Der Gesetzesänderung im Bundestag stimmten SPD, Grüne und CDU/CSU zu. Die Grünen-Abgeordnete Ingrid Nestle sagte, es sei im Interesse Deutschlands, eine gute Zusammenarbeit mit den Nachbarn zu haben, von deren Infrastruktur auch Deutschland oft profitiere. Der CDU-Abgeordnete Andreas Jung sagte, europäische Partner wie Österreich und Tschechien seien auf Deutschland zugekommen und hätten beschrieben, welche negative Wirkung die Regelung auf sie habe.
Unter anderem die FDP stimmte dagegen. Der FDP-Energiepolitiker Michael Kruse warf Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor, für eine weitere Verteuerung von Energie zu sorgen. Die Erhöhung der Gasspeicherumlage sei eine Diskriminierung von Inländern. “Sie fällt jetzt nur noch für deutsche Kunden an, die die Gasspeicher nutzen, aber nicht mehr für ausländische Kunden, die die Gasspeicher nutzen.”
Die Gasspeicherumlage wurde im Herbst 2022 eingeführt, um in der Energiepreiskrise nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine Kosten des Einkaufs und der Speicherung von Gas zu finanzieren. Die Umlage steigt ab 1. Januar 2025 von aktuell 0,250 Cent pro Kilowattstunde auf dann 0,299 Cent pro Kilowattstunde. Nach Berechnungen des Portals Verivox erhöht sich die Gasrechnung rechnerisch um zwölf Euro im Jahr.
Politiker und Wirtschaftsvertreter in Österreich begrüßten die Abschaffung. “Insbesondere in Zeiten, in denen wir uns von russischen Gaslieferungen unabhängig machen wollen, ist das ein wichtiges Signal”, sagte Österreichs Wirtschaftsminister Martin Kocher. Die Streichung der Umlage senkt die Kosten für den Gastransport durch Deutschland. So werde die Nutzung alternativer Lieferrouten erleichtert, wenn zum Jahreswechsel der Transitvertrag für russisches Gas durch die Ukraine ausläuft, hieß es von Branchenvertretern. dpa
Ohne deutlich mehr Förderung ist aus Sicht des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) das EU-Ziel von 20 Prozent der globalen Halbleiterproduktion in Europa bis 2030 nicht zu schaffen. “Tatsache ist, dass wir gegenwärtig bei einem Anteil von 8,1 Prozent liegen”, sagte ZVEI-Vorstand Andreas Urschitz der Deutschen Presse-Agentur. Selbst bei einem maßvollen Ausbau der Förderung könnte sich dieser Anteil bis 2045 etwa durch Abwanderung von Produktionskapazitäten sogar leicht verringern auf 7,9 Prozent. “Wir müssen also mehr tun.”
Es brauche regional stabile Lieferketten, um nicht in unverhältnismäßige und einseitige Abhängigkeiten zu geraten, betont Urschitz. Über staatliche Förderung müssten vor Ort zusätzliche Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Benötigt würden aber auch Forschung, Entwicklung, Chipdesign, Leiterplattenherstellung und Dienstleistungen. “Wenn der Staat besonders kapitalintensive Projekte nicht unterstützt, fallen die Standortentscheidungen zugunsten anderer Regionen aus”, warnt er.
Die EU hat den Chips Act im vergangenen Jahr beschlossen. Neben dem 20-Prozent-Ziel sieht er öffentliche Gesamtinvestitionen in diesen Bereich von rund 43 Milliarden Euro vor. Diese Fördersummen müssten aus Sicht des ZVEI ausgebaut werden.
Anfang dieses Jahres lagen rund 80 Prozent der weltweiten Halbleiter-Produktion in Asien und 20 Prozent im Westen. Hochmoderne Chips etwa für Smartphones werden hauptsächlich in Taiwan vom Fertiger TSMC produziert.
Die Bundesregierung hatte in diesem Jahr versucht, den Chiphersteller Intel mit Milliardenanreizen beim Aufbau einer Fabrik nach Magdeburg zu holen. Im Rahmen von Sparmaßnahmen hat der Konzern den Bau allerdings zuletzt um zwei Jahre verschoben. In Dresden wiederum hat TSMC mit weiteren Partnern zuletzt mit dem Bau einer eigenen Chipfabrik begonnen. dpa