gut eine Woche ist es noch. Dann läuft die Deadline ab, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Mitgliedstaaten für die Benennung ihrer Kandidaten gesetzt hat. Sieben Mitgliedstaaten haben noch keine Vorschläge gemacht. Darunter auch Italien. Es wird spekuliert, dass Giorgia Meloni ihren Parteifreund von den Fratelli, Raffaele Fitto, vorschlägt, den Europaminister ihrer Regierung und ehemaligen Co-Fraktionschef der EKR im Europaparlament.
Aus in der Regel sehr gut informierten Kreisen in Rom hört man indes, dass Rom auch eine Frau schicken könnte: Elisabetta Belloni. Sie ist gelernte Diplomatin, versteht sich offenbar glänzend mit der Ministerpräsidentin und ist seit 2021 Chefin der italienischen Geheimdienste. Von der Leyen will die erste Kommission bilden, in der es genauso viele Frauen wie Männer gibt. Unter diesem Aspekt wäre eine Kandidatin aus Italien hochwillkommen.
Den Job als Geheimdienstchefin hat übrigens Mario Draghi Belloni verschafft, als er die Technokratenregierung in Rom leitete. Apropos Draghi. Sein Report zur Zukunft der EU-Wettbewerbsfähigkeit soll nun im September kommen. Ursula von der Leyen habe die Veröffentlichung hinausgezögert, heißt es. Nun soll der Bericht im zeitlichen Umfeld ihrer State-of-the-Union-Rede erscheinen, die sie in der ersten Sitzungswoche in Straßburg hält.
Die genauen Inhalte des Berichts sind immer noch geheim. In den vergangenen Monaten hielt er zwei Reden, in denen er Einblick bot in die Stoßrichtung seines Berichts. Unter anderem wünscht er sich eine Handelspolitik, welche die europäische Industrie stärker schützt und unterstützt angesichts der staatlich geförderten Konkurrenz aus China und den USA. Genießen Sie die noch die letzten ruhigen Tage in der EU-Politik, Anfang September ändert sich das schlagartig.
Einen Tag nachdem die EU-Kommission Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge festgesetzt hat, reagiert Peking: China hat eine Antisubventions-Untersuchung zu aus der Europäischen Union importierten Milchprodukten eingeleitet. Das teilte das chinesische Handelsministerium am Mittwoch in einer Erklärung mit.
Die chinesischen Behörden zielen unter anderem auf:
Als Folge drohen Strafzölle auf die entsprechenden Waren aus der EU, teilte das Ministerium mit. Untersucht werden die Subventionen demnach im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU-Staaten sowie nationale Programme in Irland, Österreich, Belgien, Italien, Kroatien, Finnland, Rumänien und Tschechien, die in der Mitteilung einzeln aufgezählt wurden.
Nach offiziellen Angaben geht das Vorgehen auf eine Beschwerde chinesischer Hersteller von Milchprodukten zurück. Vergangene Woche habe es auch Unterredungen zu dem Thema mit EU-Vertretern gegeben. Die Untersuchung soll innerhalb von zwölf Monaten abgeschlossen werden, könnte aber um weitere sechs Monate verlängert werden.
Der Schritt gilt als weitere Drohgebärde im Streit um EU-Strafzölle auf E-Autos. Die EU-Kommission hatte am Dienstag die Zollsätze für Fahrzeuge aus China festgesetzt. Sie betragen bis zu 36,3 Prozent und werden spätestens Ende Oktober für vorerst fünf Jahre in Kraft treten.
Größter Betroffener der möglichen Strafzölle auf die bestimmten Milchprodukte wäre Frankreich – das auch als Treiber der EU-Zölle auf die E-Autos aus China gilt. Frankreich ist innerhalb der EU im laufenden Jahr der größte Exporteur von Milchprodukten in die Volksrepublik, wie aus chinesischen Zolldaten hervorgeht. Auf Platz zwei folgen bisher in 2024 Italien und Dänemark. Im Jahr 2023 beliefen sich die französischen Milchprodukte-Exporte nach China auf 665 Millionen Euro, was rund acht Prozent des weltweiten Milchproduktabsatzes Frankreichs ausmacht. Die Säuglingsmilch rausgerechnet sinkt der Exportumsatz auf 386 Millionen Euro.
Auch für die deutsche Agrarbranche ist der Milchmarkt in China wichtig: Vergangenes Jahr wurden 294.000 Tonnen Milch und Milcherzeugnisse – ohne Käse und Butter – in die Volksrepublik exportiert. Mit 386 Millionen Euro Warenwert war das der höchste Posten innerhalb deutscher Agrar-Ausfuhren nach China. Fast die Hälfte davon machten laut Bundesregierung frische Konsum- und Verarbeitungsmilch aus.
Der deutsche Milchindustrie-Verband äußerte am Mittwoch Besorgnis: “China ist global weiter ein wichtiger Importeur von deutschen Milchprodukten und -zutaten, trotz einer wachsenden chinesischen Erzeugung”, teilte der Verband Table.Briefings mit.
Zwischen Deutschland und China hätten sich im Laufe der Jahre zuverlässige und vertrauensvolle Handelsbeziehungen entwickelt. “Es sollte daher für beide Seiten das Ziel sein, dass der Milch- und Lebensmittelsektor nicht in unangemessener Weise in den noch laufenden Industriestreit zwischen China und der EU über Elektrofahrzeuge und verwandte Technologien in Mitleidenschaft gezogen wird”, so der Verband, der rund 90 Milchverarbeitende Unternehmen in Deutschland vertritt. An die Politik gab es klare Forderungen: “Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung und der Europäische Kommission, dass sie sich auf höchster Ebene für eine rasche Beilegung dieses Streits einsetzen.”
Von den Ländern, in welchen Peking die staatlichen Subventionsprogramme unter die Lupe nehmen will, hatten im Juli lediglich Italien und Belgien für die EU-Zusatzzölle auf E-Autos gestimmt. Irland, Österreich, Kroatien, Finnland, Rumänien und Tschechien hatten sich enthalten.
Nach Angaben aus EU-Kreisen sind noch Verhandlungen mit Peking möglich, um die Zölle auf E-Autos abzuwenden. Bislang hatten diese Gespräche kein Ergebnis gebracht. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), sieht noch “Zeit für konstruktiven Dialog und eine gemeinsame Lösung“. Die höheren Zölle würden “noch nicht erhoben und werden auch nicht rückwirkend gelten”, erklärte er. Es werde nun weitere Gespräche mit den Unternehmen und Verhandlungen mit der chinesischen Seite “über den möglichen Abbau von illegalen Subventionstatbeständen” geben.
Die EU-Kommission hatte die Zusatzzölle im Juni angekündigt. Peking hatte damals bereits mit einer Antisubventions-Untersuchung auf Schweinefleisch aus der EU reagiert. Hier wären vor allem Spanien, die Niederlande und Dänemark betroffen. Und bereits seit Januar untersuchen die chinesischen Behörden außerdem mutmaßlich unzulässige Subventionen auf europäischen Weinbrand wie Cognac – was wie der Käse ebenfalls am härtesten Frankreich treffen würde.
Laut Daten der EU-Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission exportierte die EU im Jahr 2023 Milchprodukte im Wert von 1,7 Milliarden Euro nach China. Das ist weniger als im Vorjahr, wo es noch rund zwei Milliarden Euro waren. Mit zwölf Prozent Anteil kommen Milchprodukte damit auf Platz drei der meist exportierten Agrar-Produkte aus der EU nach China. Schweinefleisch macht 17 Prozent aus, Getreide 19 Prozent.
China hatte 2023 insgesamt 2,6 Millionen Tonnen Milchprodukte importiert, gut zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Auch die Importe von Milchpulver sowie flüssiger Milch und Sahne sind im Vergleich zu den Vorjahren gefallen. Milchpulver, etwa solches für Babynahrung, fällt nicht in die nun angekündigte Antisubventions-Untersuchung.
Zwar hat China wegen etwaiger Lebensmittelskandale immer noch Bedarf an importiertem Milchpulver. Wegen der zunehmend sicheren heimischen Produktion und sinkender Nachfrage durch Geburtenrückgang, sinkt die Einfuhr – zuletzt um 38 Prozent. Indes steigen die Nachfrage nach ausländischen Joghurt- und Molkeprodukten. Den größten Marktanteil bei Milchprodukten in China hält Neuseeland, mit gut 48 Prozent 2023.
Die Kommission erklärte am Mittwoch, dass sie die Untersuchung zur Kenntnis nehme. Das Verfahren werde “sehr genau” analysiert. “Die Kommission wird die Interessen der EU-Milchindustrie entschieden verteidigen“, hieß es. Bei Bedarf werde auch ein Eingreifen nicht ausgeschlossen, um sicherzustellen, dass die Untersuchung den WTO-Regeln entspricht.
Die EU-Handelskammer in China zeigte sich am Mittwoch wenig bewegt von dem Schritt: Pekings Vorgehen “sollte nicht als Überraschung betrachtet werden”. “Bedauerlicherweise wird der Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente durch eine Regierung zunehmend von der anderen Regierung mit gleicher Münze erwidert”, teilte die EU-Kammer mit und fügte hinzu, sie hoffe, die Untersuchung werde “fair und transparent durchgeführt”.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte in dieser Woche bei einer Veranstaltung in Spanien betont, dass die EU “nicht naiv sein” dürfe und ein Handelskrieg “vielleicht unvermeidlich” sei.
Die Nervosität unter Europas Gashändlern hat einen Namen: Sudscha. Dort liegt der einzige Übergabepunkt, über den noch russisches Gas in die Ukraine und weiter in die EU fließt. Die Kämpfe um die Station ließen die europäischen Preise in den vergangenen Wochen wieder Richtung 40 Euro pro Megawattstunde ausschlagen. Solche Risiken will die EU eigentlich beenden. Mit REPowerEU hat sie sich das Ziel gesetzt, bis spätestens 2027 unabhängig von fossiler Energie aus Russland zu werden. Viel zu spät, meint nun der Brüsseler Thinktank Bruegel.
“Unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit halte ich es für die EU für machbar, die russischen Gaseinfuhren sofort einzustellen“, sagt Bruegel-Analyst Ben McWilliams zu Table.Briefings. Die Lage sei inzwischen nicht mehr mit 2022 zu vergleichen, als die Risiken dramatisch hoch waren.
“Der Grund, warum die EU-Länder die Einfuhren von russischem Gas nicht einstellen, ist eher politischer Natur als die Sorge um die Versorgungssicherheit“, meint McWilliams. “Das politische Kalkül ist vermutlich, dass der Nutzen eines Importstopps die Kosten eines vorübergehenden Preisanstiegs nicht ausreichend aufwiegen würde.” Zwar würden Sanktionen gegen russisches Gas die Staatseinnahmen des Kremls immer noch treffen, aber weniger stark als zu Zeiten, als die Preise weit über 100 Euro lagen.
Derzeit bezieht die EU noch etwa zehn bis 15 Prozent ihres Gases aus Russland – über die Ukraine-Route, die Turkstream-Pipeline durchs Schwarze Meer und über LNG-Terminals. Einer der verwundbarsten Staaten ist derzeit noch Österreich, wo der Anteil russischen Gases in diesem Jahr über 80 Prozent lag.
“Falls Gazprom die Lieferungen einstellt, werden die Gaspreise in Österreich kurz- bis mittelfristig um zehn bis 20 Prozent steigen“, schätzt Analyst Marcus How von VE Insight. Also alles nur eine Frage des Preises? Selbst bei einem Plus von 20 Prozent wäre Österreich schließlich immer noch weit entfernt von den Höchstständen aus dem Sommer 2022 mit Werten von über 300 Euro.
Ein Blick in eine regionale Analyse zeigt allerdings, dass die Versorgung in Mittel- und Südosteuropa doch von ziemlich vielen “Wenns” abhängt – was ein Grund sein dürfte, warum manche Politiker vor einem harten Schnitt zurückschrecken. Das Beratungsunternehmen Rystad hat kürzlich analysiert, wie Europa zumindest auf den Stopp der russischen Lieferungen durch die Ukraine reagieren könnte. Ende 2024 läuft der Transitvertrag aus und die Regierung in Kiew hat angekündigt, ihn nicht zu verlängern. Drei Beispiele:
Die Entscheidung, wie schnell die EU-Staaten aus russischem Gas aussteigen, hängt also im Wesentlichen von diesen Fragen ab:
Unterbelichtet ist bislang die Zukunft der Turkstream-Lieferungen. Bruegel-Experte McWilliams hat eine stark realpolitische Sicht: “Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Flüsse über Turkstream enden, weil sie Serbien und Ungarn versorgen, die diese Zufuhr nicht unterbrechen wollen.” Wenn die EU an Turkstream festhält und Ungarn gewähren lässt, würde das aber auch bedeuten, dass sie nicht vollständig aus russischem Gas aussteigt.
Die Regierung in Budapest blockiert derzeit wichtige Fortschritte in Brüssel. Um die vielen “Wenns” für einen Verzicht auf russisches Gas besser zu strukturieren und zu überwachen, hat sich im Juni auf Betreiben Tschechiens eine hochrangige Arbeitsgruppe auf EU-Ebene gebildet. Von der Kommission wünschen sich viele Mitstreiter Prags einen klaren Fahrplan für den Ausstieg.
Tschechiens Energieminister Jozef Síkela, der als EU-Kommissar nominiert ist, machte am Mittwoch erneut seinen Anspruch auf das Energieressort in Brüssel deutlich. Zur “Vorstellung von meiner zukünftigen Tätigkeit innerhalb der Europäischen Kommission” gehöre die “weitere Abkehr” von russischen Energierohstoffen, schrieb er auf X.
Die ungarische Ratspräsidentschaft hatte zunächst angekündigt, das Thema auf die Tagesordnung des informellen Treffens der Energieminister im Juli zu setzen. Dazu kam es aber nicht. Dabei wollen mehrere EU-Staaten dringend über die langfristigen Lieferverträge sprechen. Nach Informationen von Table.Briefings haben Polen, die Niederlande und Spanien die Kommission inzwischen gebeten, eine Lösung für diese Kontrakte auszuarbeiten. Madrids Kommissionskandidatin Teresa Ribera, die die besten Aussichten auf das Energieressort hat, hatte die Wirtschaft seit dem Angriff Russlands immer wieder aufgerufen, Gasverträge mit dortigen Firmen zurückzufahren.
Um die Initiative nicht von der ungarischen Ratspräsidentschaft abhängig zu machen, suchen die Mitglieder der Arbeitsgruppe aktuell nach einem Vorsitz, der die Diskussion vorantreibt. Budapest wird am 29. Oktober immerhin ein turnusmäßiges Treffen süd- und osteuropäischer Staaten ausrichten, um die Gasinfrastruktur der Länder weiter zu verzahnen. Die sogenannte CESEC-Gruppe, zu der auch Moldau, Serbien und die Ukraine gehören, plant den Vertikalen Gaskorridor.
Eigentlich hatten die EU-Staaten bereits rechtliche Voraussetzungen für ein Aus der Langfristverträge geschaffen. Artikel 6 der neuen Gasmarkt-Verordnung gilt als Möglichkeit für einen Importstopp, den jeder Mitgliedstaat gesetzlich verhängen könne. Könnten sich europäische Importeure dann nicht auf Höhere Gewalt berufen und Entschädigungszahlungen umgehen?
Aus zwei Gründen wird dieser Weg äußerst schwierig. So sind im beschlossenen Artikel 6 zahlreiche Bedingungen festgeschrieben. Außerdem müsste sich jeder Staat, der mit diesem Schritt potenziell auch in die europäische Versorgungssicherheit eingreift, mit allerlei europäischen Partnern abstimmen – von Georgien bis nach Island. Bei ihrem Treffen im Juni hatte die hochrangige Arbeitsgruppe nach Aussage eines EU-Diplomaten die Kommission deshalb um Leitlinien und rechtliche Klarstellung gebeten.
Allerdings hat der Weg über die Gasmarkt-Verordnung auch ein grundsätzliches Problem. “Es ist fraglich, ob der betreffende Artikel eine Sanktion darstellt“, sagt ein Insider aus der Gaswirtschaft. Eine Sanktion böte wahrscheinlich mehr Rechtssicherheit, sie könnte als Force majeure ausgelegt werden. Allerdings hätte ein striktes Embargo auf russisches Gas im Rat Einstimmigkeit erfordert.
Die Gasmarkt-Verordnung räumt den Mitgliedstaaten dagegen nur das Recht ein, “Kapazitätsgebote einzelner Netznutzer an Einspeisepunkten aus der Russischen Föderation und Belarus [zu] begrenzen” – also die regelmäßigen Buchungen von Pipelineverbindungen zu untersagen. Laut dem Gasexperten wäre dieses Embargo durch die Hintertür für die Importeure mit juristischen Unsicherheiten verbunden: “Ein solcher Schritt würde zu Rechtsstreitigkeiten führen.”
Die aussichtsreichste Kandidatin für das Amt der neuen Energiekommissarin übernimmt eine Spitzenposition bei der Internationalen Energieagentur (IEA). Teresa Ribera, Madrids Ministerin für die ökologische Wende, wird Co-Vorsitzende der “Globalen Kommission für einen auf den Menschen ausgerichteten Übergang zu sauberer Energie”. Das teilte IEA-Direktor Fatih Birol diese Woche über seinen X-Account mit.
Die Übernahme des Amtes dürfte Teil von Riberas Vorhaben sein, sich im Brüsseler Kollegium die Zuständigkeit für Energiepolitik zu sichern. Ein Engagement bei der IEA gilt in der Kommission als Sprungbrett für Führungsaufgaben im Energiebereich. Bei Energieversorgern ist Ribera berüchtigt für die “iberische Lösung”, einem Preisdeckel auf Gas für die Stromerzeugung.
Die IEA-Kommission soll die sozialen Folgen der Energiewende beleuchten und unter anderem Best-Practice-Beispiele für den Zugang zu bezahlbarer Energie zusammentragen. Ihr gehören laut IEA auch Vertreter von Arbeitnehmern, Jugendorganisationen und indigenen Völkern an. Weitere prominente europäische Mitglieder sind die Energieminister von Dänemark und Portugal, Dan Jørgensen und Maria da Graça Carvalho, die polnische Umweltministerin Paulina Hennig-Kloska, die deutsche Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan. Auch Laurence Tubiana, CEO der European Climate Foundation sowie Jean-Pierre Clamadieu, Vorsitzender der Geschäftsführung des Energiekonzerns Engie, gehören dem Gremium an. ber
Die slowakische Regierung hat die Kritik der Kommission am Zustand der Rechtsstaatlichkeit im Land als irreführend zurückgewiesen. Die Kommission hatte in ihrem Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit, den sie letzten Monat veröffentlicht hat, Bedenken über die Reform des Strafrechts und die Auflösung einer Sonderstaatsanwaltschaft, die sich mit Bestechung beschäftigt, sowie über die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien geäußert.
“Wir halten das diesjährige Kapitel über die Lage im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei für unausgewogen und in einigen Teilen sogar für grob irreführend“, antwortete die Regierung in Bratislava nun in einem Dokument auf den EU-Bericht.
Trotz eines intensiven Dialogs mit der Kommission, sagte die von der populistischen SMER-Partei unter Premierminister Robert Fico geführte Regierung, habe sie keinen Raum für eine Stellungnahme zu den im Abschlussbericht verwendeten Informationen aus dritten Quellen erhalten. “Zahlreiche Bewertungen in dem Bericht beruhen auf Artikeln von drei Tageszeitungen, die ausschließlich regierungsfeindlich sind“, hieß es.
Die slowakische Regierung sieht sich seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2023 mit Protesten der Opposition und der Kritik der Kommission konfrontiert und hat im Eiltempo eine Strafrechtsreform durchgesetzt, mit der die Strafen für Finanzverbrechen gelockert und die Verjährungsfristen verkürzt wurden.
Die Regierung wies auch Bedenken zurück, dass die Korruptionsbekämpfung durch die geplante Abschaffung einer Einheit für schwere Verbrechen im September geschwächt würde, und erklärte, dass diese Aufgabe von einer anderen, neu geschaffenen Einheit übernommen werden würde. rtr
Ungarn will die Sicherheitsbedenken der EU wegen Arbeitsvisa für russische und belarussische Staatsbürger zerstreuen. Laut einem am Mittwoch veröffentlichen Schreiben des Innenministeriums sollen Russen und Belarussen im neuen Einwanderungsprogramm die gleichen Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen, wie für andere Aufenthaltsgenehmigungen.
Budapest hatte im vergangenen Monat sein Arbeitsmigrationsprogramm”Nationale Karte” auf Russen und Belarussen ausgeweitet und damit auf EU-Ebene die Befürchtung ausgelöst, dass Russland dieses Programm nutzen könnte, um Saboteure und Spione in den Schengen-Raum der EU zu schicken. Inhaber der Nationalen Karte dürfen regulär in Ungarn ohne besondere Sicherheitsüberprüfung arbeiten und ihre Familie ins Land holen.
“Die Nationale Karte wird in Übereinstimmung mit dem einschlägigen EU-Rahmen und unter gebührender Berücksichtigung der möglichen Sicherheitsrisiken ausgestellt“, schrieb Ungarns Innenminister Sándor Pintér in dem Schreiben an Innenkommissarin Ylva Johansson. “In dieser Hinsicht hat sich die ungarische Gesetzgebung und Praxis nicht geändert, gegen die die Kommission bisher keine Einwände erhoben hat”, schrieb Pintér weiter. Der Brief wurde vom ungarischen Europaminister János Bóka auf X veröffentlicht.
Pintér sagte, dass ein nicht öffentlich geteilter Anhang zu seinem Brief detaillierte Antworten auf die von der Johansson gestellten Fragen geben würde. Johansson hatte Ungarn Anfang des Monats gewarnt, dass die Entscheidung, die Visabeschränkungen für Russen und Belarussen zu lockern, eine potenzielle Sicherheitsbedrohung darstelle. Sie hatte angekündigt, Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihre Bedenken nicht ausgeräumt würden. rtr
Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Republik Moldau Hilfe für die EU-Aufnahme versichert. “Wir sind positiv, was die Erweiterung der Europäischen Union betrifft“, sagte Scholz am Mittwochabend bei einem Besuch in Chișinău. “Wir glauben, dass es jetzt notwendig ist, die Beitrittsprozesse, die für einige Länder vor langer Zeit gestartet waren, nun auch endlich zu Ende zu führen.” Präsidentin Maia Sandu dankte Deutschland nicht nur für die Hilfe mit der EU, sondern auch im Kampf gegen russische Desinformation.
Bei dem ersten Besuch eines deutschen Regierungschefs in der früheren Sowjetrepublik seit zwölf Jahren warb Scholz bei der moldawischen Bevölkerung darum, sich bei dem im Herbst geplanten Referendum über eine EU-Annäherung zu beteiligen. Damit könnten sie dem EU-Kurs des Landes eine demokratische Legitimierung geben. “Europa wird zusammengehalten durch gemeinsame Vorstellungen, die wir auf diesem Kontinent miteinander teilen”, sagte er.
Beide Länder wollten in Kürze zudem ein Migrationsabkommen unterzeichnen, kündigte Scholz an. “Es gibt keine wesentlichen strategischen und praktischen Fragen, die nicht gelöst werden können”, sagte er. “Deshalb bin ich ganz sicher, dass wir bald zu einer Vereinbarung kommen.” Der Kanzler wurde auf seiner Reise von Joachim Stamp begleitet, Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Sandu sprach davon, dass das Abkommen vorbereitet werde, ging aber nicht ins Detail. rtr
Die Ukraine ist dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten, beansprucht aber eine vorübergehende Ausnahme von der Gerichtsbarkeit für sein Militär. Das Parlament in Kiew stimmte mit 281 Abgeordneten dafür, das sogenannte Römische Statut des Strafgerichtshofs zu ratifizieren, wie der Abgeordnete Jaroslaw Schelesnyak auf Telegram mitteilte. Es gab eine Gegenstimme und 22 Enthaltungen. Das Ganze ist auch ein wichtiegr Schritt in Richtung EU-Beitritt des Landes.
Die Ukraine hat das Römische Statut zwar schon im Januar 2000 unterzeichnet, bisher aber nicht ratifiziert. Das Statut ist die Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) mit Sitz in Den Haag. Das Gericht befasst sich unter anderem mit Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
In dem nun verabschiedeten Dokument ist jedoch festgelegt, dass die Ukraine die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs für Kriegsverbrechen sieben Jahre lang nicht anerkennen wird, wenn es um ukrainische Bürger geht. Hintergrund sind Befürchtungen der Armee, dass ihr Vorgehen im Kampf gegen russische Kräfte in einigen Fällen als Kriegsverbrechen angeklagt werden könnte. Der militärische Konflikt läuft nicht erst seit 2022, sondern schon seit 2014 – seit dem ersten Auftauchen russischer Kräfte im Donbass.
Das Römische Statut tritt für die Ukraine wegen komplizierter Fristen erst in einigen Wochen in Kraft. Ratifiziert haben es bisher 124 Staaten, bei 139 Unterzeichnungen. Russland und die USA haben zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. dpa
gut eine Woche ist es noch. Dann läuft die Deadline ab, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Mitgliedstaaten für die Benennung ihrer Kandidaten gesetzt hat. Sieben Mitgliedstaaten haben noch keine Vorschläge gemacht. Darunter auch Italien. Es wird spekuliert, dass Giorgia Meloni ihren Parteifreund von den Fratelli, Raffaele Fitto, vorschlägt, den Europaminister ihrer Regierung und ehemaligen Co-Fraktionschef der EKR im Europaparlament.
Aus in der Regel sehr gut informierten Kreisen in Rom hört man indes, dass Rom auch eine Frau schicken könnte: Elisabetta Belloni. Sie ist gelernte Diplomatin, versteht sich offenbar glänzend mit der Ministerpräsidentin und ist seit 2021 Chefin der italienischen Geheimdienste. Von der Leyen will die erste Kommission bilden, in der es genauso viele Frauen wie Männer gibt. Unter diesem Aspekt wäre eine Kandidatin aus Italien hochwillkommen.
Den Job als Geheimdienstchefin hat übrigens Mario Draghi Belloni verschafft, als er die Technokratenregierung in Rom leitete. Apropos Draghi. Sein Report zur Zukunft der EU-Wettbewerbsfähigkeit soll nun im September kommen. Ursula von der Leyen habe die Veröffentlichung hinausgezögert, heißt es. Nun soll der Bericht im zeitlichen Umfeld ihrer State-of-the-Union-Rede erscheinen, die sie in der ersten Sitzungswoche in Straßburg hält.
Die genauen Inhalte des Berichts sind immer noch geheim. In den vergangenen Monaten hielt er zwei Reden, in denen er Einblick bot in die Stoßrichtung seines Berichts. Unter anderem wünscht er sich eine Handelspolitik, welche die europäische Industrie stärker schützt und unterstützt angesichts der staatlich geförderten Konkurrenz aus China und den USA. Genießen Sie die noch die letzten ruhigen Tage in der EU-Politik, Anfang September ändert sich das schlagartig.
Einen Tag nachdem die EU-Kommission Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge festgesetzt hat, reagiert Peking: China hat eine Antisubventions-Untersuchung zu aus der Europäischen Union importierten Milchprodukten eingeleitet. Das teilte das chinesische Handelsministerium am Mittwoch in einer Erklärung mit.
Die chinesischen Behörden zielen unter anderem auf:
Als Folge drohen Strafzölle auf die entsprechenden Waren aus der EU, teilte das Ministerium mit. Untersucht werden die Subventionen demnach im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU-Staaten sowie nationale Programme in Irland, Österreich, Belgien, Italien, Kroatien, Finnland, Rumänien und Tschechien, die in der Mitteilung einzeln aufgezählt wurden.
Nach offiziellen Angaben geht das Vorgehen auf eine Beschwerde chinesischer Hersteller von Milchprodukten zurück. Vergangene Woche habe es auch Unterredungen zu dem Thema mit EU-Vertretern gegeben. Die Untersuchung soll innerhalb von zwölf Monaten abgeschlossen werden, könnte aber um weitere sechs Monate verlängert werden.
Der Schritt gilt als weitere Drohgebärde im Streit um EU-Strafzölle auf E-Autos. Die EU-Kommission hatte am Dienstag die Zollsätze für Fahrzeuge aus China festgesetzt. Sie betragen bis zu 36,3 Prozent und werden spätestens Ende Oktober für vorerst fünf Jahre in Kraft treten.
Größter Betroffener der möglichen Strafzölle auf die bestimmten Milchprodukte wäre Frankreich – das auch als Treiber der EU-Zölle auf die E-Autos aus China gilt. Frankreich ist innerhalb der EU im laufenden Jahr der größte Exporteur von Milchprodukten in die Volksrepublik, wie aus chinesischen Zolldaten hervorgeht. Auf Platz zwei folgen bisher in 2024 Italien und Dänemark. Im Jahr 2023 beliefen sich die französischen Milchprodukte-Exporte nach China auf 665 Millionen Euro, was rund acht Prozent des weltweiten Milchproduktabsatzes Frankreichs ausmacht. Die Säuglingsmilch rausgerechnet sinkt der Exportumsatz auf 386 Millionen Euro.
Auch für die deutsche Agrarbranche ist der Milchmarkt in China wichtig: Vergangenes Jahr wurden 294.000 Tonnen Milch und Milcherzeugnisse – ohne Käse und Butter – in die Volksrepublik exportiert. Mit 386 Millionen Euro Warenwert war das der höchste Posten innerhalb deutscher Agrar-Ausfuhren nach China. Fast die Hälfte davon machten laut Bundesregierung frische Konsum- und Verarbeitungsmilch aus.
Der deutsche Milchindustrie-Verband äußerte am Mittwoch Besorgnis: “China ist global weiter ein wichtiger Importeur von deutschen Milchprodukten und -zutaten, trotz einer wachsenden chinesischen Erzeugung”, teilte der Verband Table.Briefings mit.
Zwischen Deutschland und China hätten sich im Laufe der Jahre zuverlässige und vertrauensvolle Handelsbeziehungen entwickelt. “Es sollte daher für beide Seiten das Ziel sein, dass der Milch- und Lebensmittelsektor nicht in unangemessener Weise in den noch laufenden Industriestreit zwischen China und der EU über Elektrofahrzeuge und verwandte Technologien in Mitleidenschaft gezogen wird”, so der Verband, der rund 90 Milchverarbeitende Unternehmen in Deutschland vertritt. An die Politik gab es klare Forderungen: “Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung und der Europäische Kommission, dass sie sich auf höchster Ebene für eine rasche Beilegung dieses Streits einsetzen.”
Von den Ländern, in welchen Peking die staatlichen Subventionsprogramme unter die Lupe nehmen will, hatten im Juli lediglich Italien und Belgien für die EU-Zusatzzölle auf E-Autos gestimmt. Irland, Österreich, Kroatien, Finnland, Rumänien und Tschechien hatten sich enthalten.
Nach Angaben aus EU-Kreisen sind noch Verhandlungen mit Peking möglich, um die Zölle auf E-Autos abzuwenden. Bislang hatten diese Gespräche kein Ergebnis gebracht. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), sieht noch “Zeit für konstruktiven Dialog und eine gemeinsame Lösung“. Die höheren Zölle würden “noch nicht erhoben und werden auch nicht rückwirkend gelten”, erklärte er. Es werde nun weitere Gespräche mit den Unternehmen und Verhandlungen mit der chinesischen Seite “über den möglichen Abbau von illegalen Subventionstatbeständen” geben.
Die EU-Kommission hatte die Zusatzzölle im Juni angekündigt. Peking hatte damals bereits mit einer Antisubventions-Untersuchung auf Schweinefleisch aus der EU reagiert. Hier wären vor allem Spanien, die Niederlande und Dänemark betroffen. Und bereits seit Januar untersuchen die chinesischen Behörden außerdem mutmaßlich unzulässige Subventionen auf europäischen Weinbrand wie Cognac – was wie der Käse ebenfalls am härtesten Frankreich treffen würde.
Laut Daten der EU-Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission exportierte die EU im Jahr 2023 Milchprodukte im Wert von 1,7 Milliarden Euro nach China. Das ist weniger als im Vorjahr, wo es noch rund zwei Milliarden Euro waren. Mit zwölf Prozent Anteil kommen Milchprodukte damit auf Platz drei der meist exportierten Agrar-Produkte aus der EU nach China. Schweinefleisch macht 17 Prozent aus, Getreide 19 Prozent.
China hatte 2023 insgesamt 2,6 Millionen Tonnen Milchprodukte importiert, gut zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Auch die Importe von Milchpulver sowie flüssiger Milch und Sahne sind im Vergleich zu den Vorjahren gefallen. Milchpulver, etwa solches für Babynahrung, fällt nicht in die nun angekündigte Antisubventions-Untersuchung.
Zwar hat China wegen etwaiger Lebensmittelskandale immer noch Bedarf an importiertem Milchpulver. Wegen der zunehmend sicheren heimischen Produktion und sinkender Nachfrage durch Geburtenrückgang, sinkt die Einfuhr – zuletzt um 38 Prozent. Indes steigen die Nachfrage nach ausländischen Joghurt- und Molkeprodukten. Den größten Marktanteil bei Milchprodukten in China hält Neuseeland, mit gut 48 Prozent 2023.
Die Kommission erklärte am Mittwoch, dass sie die Untersuchung zur Kenntnis nehme. Das Verfahren werde “sehr genau” analysiert. “Die Kommission wird die Interessen der EU-Milchindustrie entschieden verteidigen“, hieß es. Bei Bedarf werde auch ein Eingreifen nicht ausgeschlossen, um sicherzustellen, dass die Untersuchung den WTO-Regeln entspricht.
Die EU-Handelskammer in China zeigte sich am Mittwoch wenig bewegt von dem Schritt: Pekings Vorgehen “sollte nicht als Überraschung betrachtet werden”. “Bedauerlicherweise wird der Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente durch eine Regierung zunehmend von der anderen Regierung mit gleicher Münze erwidert”, teilte die EU-Kammer mit und fügte hinzu, sie hoffe, die Untersuchung werde “fair und transparent durchgeführt”.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte in dieser Woche bei einer Veranstaltung in Spanien betont, dass die EU “nicht naiv sein” dürfe und ein Handelskrieg “vielleicht unvermeidlich” sei.
Die Nervosität unter Europas Gashändlern hat einen Namen: Sudscha. Dort liegt der einzige Übergabepunkt, über den noch russisches Gas in die Ukraine und weiter in die EU fließt. Die Kämpfe um die Station ließen die europäischen Preise in den vergangenen Wochen wieder Richtung 40 Euro pro Megawattstunde ausschlagen. Solche Risiken will die EU eigentlich beenden. Mit REPowerEU hat sie sich das Ziel gesetzt, bis spätestens 2027 unabhängig von fossiler Energie aus Russland zu werden. Viel zu spät, meint nun der Brüsseler Thinktank Bruegel.
“Unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit halte ich es für die EU für machbar, die russischen Gaseinfuhren sofort einzustellen“, sagt Bruegel-Analyst Ben McWilliams zu Table.Briefings. Die Lage sei inzwischen nicht mehr mit 2022 zu vergleichen, als die Risiken dramatisch hoch waren.
“Der Grund, warum die EU-Länder die Einfuhren von russischem Gas nicht einstellen, ist eher politischer Natur als die Sorge um die Versorgungssicherheit“, meint McWilliams. “Das politische Kalkül ist vermutlich, dass der Nutzen eines Importstopps die Kosten eines vorübergehenden Preisanstiegs nicht ausreichend aufwiegen würde.” Zwar würden Sanktionen gegen russisches Gas die Staatseinnahmen des Kremls immer noch treffen, aber weniger stark als zu Zeiten, als die Preise weit über 100 Euro lagen.
Derzeit bezieht die EU noch etwa zehn bis 15 Prozent ihres Gases aus Russland – über die Ukraine-Route, die Turkstream-Pipeline durchs Schwarze Meer und über LNG-Terminals. Einer der verwundbarsten Staaten ist derzeit noch Österreich, wo der Anteil russischen Gases in diesem Jahr über 80 Prozent lag.
“Falls Gazprom die Lieferungen einstellt, werden die Gaspreise in Österreich kurz- bis mittelfristig um zehn bis 20 Prozent steigen“, schätzt Analyst Marcus How von VE Insight. Also alles nur eine Frage des Preises? Selbst bei einem Plus von 20 Prozent wäre Österreich schließlich immer noch weit entfernt von den Höchstständen aus dem Sommer 2022 mit Werten von über 300 Euro.
Ein Blick in eine regionale Analyse zeigt allerdings, dass die Versorgung in Mittel- und Südosteuropa doch von ziemlich vielen “Wenns” abhängt – was ein Grund sein dürfte, warum manche Politiker vor einem harten Schnitt zurückschrecken. Das Beratungsunternehmen Rystad hat kürzlich analysiert, wie Europa zumindest auf den Stopp der russischen Lieferungen durch die Ukraine reagieren könnte. Ende 2024 läuft der Transitvertrag aus und die Regierung in Kiew hat angekündigt, ihn nicht zu verlängern. Drei Beispiele:
Die Entscheidung, wie schnell die EU-Staaten aus russischem Gas aussteigen, hängt also im Wesentlichen von diesen Fragen ab:
Unterbelichtet ist bislang die Zukunft der Turkstream-Lieferungen. Bruegel-Experte McWilliams hat eine stark realpolitische Sicht: “Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Flüsse über Turkstream enden, weil sie Serbien und Ungarn versorgen, die diese Zufuhr nicht unterbrechen wollen.” Wenn die EU an Turkstream festhält und Ungarn gewähren lässt, würde das aber auch bedeuten, dass sie nicht vollständig aus russischem Gas aussteigt.
Die Regierung in Budapest blockiert derzeit wichtige Fortschritte in Brüssel. Um die vielen “Wenns” für einen Verzicht auf russisches Gas besser zu strukturieren und zu überwachen, hat sich im Juni auf Betreiben Tschechiens eine hochrangige Arbeitsgruppe auf EU-Ebene gebildet. Von der Kommission wünschen sich viele Mitstreiter Prags einen klaren Fahrplan für den Ausstieg.
Tschechiens Energieminister Jozef Síkela, der als EU-Kommissar nominiert ist, machte am Mittwoch erneut seinen Anspruch auf das Energieressort in Brüssel deutlich. Zur “Vorstellung von meiner zukünftigen Tätigkeit innerhalb der Europäischen Kommission” gehöre die “weitere Abkehr” von russischen Energierohstoffen, schrieb er auf X.
Die ungarische Ratspräsidentschaft hatte zunächst angekündigt, das Thema auf die Tagesordnung des informellen Treffens der Energieminister im Juli zu setzen. Dazu kam es aber nicht. Dabei wollen mehrere EU-Staaten dringend über die langfristigen Lieferverträge sprechen. Nach Informationen von Table.Briefings haben Polen, die Niederlande und Spanien die Kommission inzwischen gebeten, eine Lösung für diese Kontrakte auszuarbeiten. Madrids Kommissionskandidatin Teresa Ribera, die die besten Aussichten auf das Energieressort hat, hatte die Wirtschaft seit dem Angriff Russlands immer wieder aufgerufen, Gasverträge mit dortigen Firmen zurückzufahren.
Um die Initiative nicht von der ungarischen Ratspräsidentschaft abhängig zu machen, suchen die Mitglieder der Arbeitsgruppe aktuell nach einem Vorsitz, der die Diskussion vorantreibt. Budapest wird am 29. Oktober immerhin ein turnusmäßiges Treffen süd- und osteuropäischer Staaten ausrichten, um die Gasinfrastruktur der Länder weiter zu verzahnen. Die sogenannte CESEC-Gruppe, zu der auch Moldau, Serbien und die Ukraine gehören, plant den Vertikalen Gaskorridor.
Eigentlich hatten die EU-Staaten bereits rechtliche Voraussetzungen für ein Aus der Langfristverträge geschaffen. Artikel 6 der neuen Gasmarkt-Verordnung gilt als Möglichkeit für einen Importstopp, den jeder Mitgliedstaat gesetzlich verhängen könne. Könnten sich europäische Importeure dann nicht auf Höhere Gewalt berufen und Entschädigungszahlungen umgehen?
Aus zwei Gründen wird dieser Weg äußerst schwierig. So sind im beschlossenen Artikel 6 zahlreiche Bedingungen festgeschrieben. Außerdem müsste sich jeder Staat, der mit diesem Schritt potenziell auch in die europäische Versorgungssicherheit eingreift, mit allerlei europäischen Partnern abstimmen – von Georgien bis nach Island. Bei ihrem Treffen im Juni hatte die hochrangige Arbeitsgruppe nach Aussage eines EU-Diplomaten die Kommission deshalb um Leitlinien und rechtliche Klarstellung gebeten.
Allerdings hat der Weg über die Gasmarkt-Verordnung auch ein grundsätzliches Problem. “Es ist fraglich, ob der betreffende Artikel eine Sanktion darstellt“, sagt ein Insider aus der Gaswirtschaft. Eine Sanktion böte wahrscheinlich mehr Rechtssicherheit, sie könnte als Force majeure ausgelegt werden. Allerdings hätte ein striktes Embargo auf russisches Gas im Rat Einstimmigkeit erfordert.
Die Gasmarkt-Verordnung räumt den Mitgliedstaaten dagegen nur das Recht ein, “Kapazitätsgebote einzelner Netznutzer an Einspeisepunkten aus der Russischen Föderation und Belarus [zu] begrenzen” – also die regelmäßigen Buchungen von Pipelineverbindungen zu untersagen. Laut dem Gasexperten wäre dieses Embargo durch die Hintertür für die Importeure mit juristischen Unsicherheiten verbunden: “Ein solcher Schritt würde zu Rechtsstreitigkeiten führen.”
Die aussichtsreichste Kandidatin für das Amt der neuen Energiekommissarin übernimmt eine Spitzenposition bei der Internationalen Energieagentur (IEA). Teresa Ribera, Madrids Ministerin für die ökologische Wende, wird Co-Vorsitzende der “Globalen Kommission für einen auf den Menschen ausgerichteten Übergang zu sauberer Energie”. Das teilte IEA-Direktor Fatih Birol diese Woche über seinen X-Account mit.
Die Übernahme des Amtes dürfte Teil von Riberas Vorhaben sein, sich im Brüsseler Kollegium die Zuständigkeit für Energiepolitik zu sichern. Ein Engagement bei der IEA gilt in der Kommission als Sprungbrett für Führungsaufgaben im Energiebereich. Bei Energieversorgern ist Ribera berüchtigt für die “iberische Lösung”, einem Preisdeckel auf Gas für die Stromerzeugung.
Die IEA-Kommission soll die sozialen Folgen der Energiewende beleuchten und unter anderem Best-Practice-Beispiele für den Zugang zu bezahlbarer Energie zusammentragen. Ihr gehören laut IEA auch Vertreter von Arbeitnehmern, Jugendorganisationen und indigenen Völkern an. Weitere prominente europäische Mitglieder sind die Energieminister von Dänemark und Portugal, Dan Jørgensen und Maria da Graça Carvalho, die polnische Umweltministerin Paulina Hennig-Kloska, die deutsche Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan. Auch Laurence Tubiana, CEO der European Climate Foundation sowie Jean-Pierre Clamadieu, Vorsitzender der Geschäftsführung des Energiekonzerns Engie, gehören dem Gremium an. ber
Die slowakische Regierung hat die Kritik der Kommission am Zustand der Rechtsstaatlichkeit im Land als irreführend zurückgewiesen. Die Kommission hatte in ihrem Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit, den sie letzten Monat veröffentlicht hat, Bedenken über die Reform des Strafrechts und die Auflösung einer Sonderstaatsanwaltschaft, die sich mit Bestechung beschäftigt, sowie über die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien geäußert.
“Wir halten das diesjährige Kapitel über die Lage im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei für unausgewogen und in einigen Teilen sogar für grob irreführend“, antwortete die Regierung in Bratislava nun in einem Dokument auf den EU-Bericht.
Trotz eines intensiven Dialogs mit der Kommission, sagte die von der populistischen SMER-Partei unter Premierminister Robert Fico geführte Regierung, habe sie keinen Raum für eine Stellungnahme zu den im Abschlussbericht verwendeten Informationen aus dritten Quellen erhalten. “Zahlreiche Bewertungen in dem Bericht beruhen auf Artikeln von drei Tageszeitungen, die ausschließlich regierungsfeindlich sind“, hieß es.
Die slowakische Regierung sieht sich seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2023 mit Protesten der Opposition und der Kritik der Kommission konfrontiert und hat im Eiltempo eine Strafrechtsreform durchgesetzt, mit der die Strafen für Finanzverbrechen gelockert und die Verjährungsfristen verkürzt wurden.
Die Regierung wies auch Bedenken zurück, dass die Korruptionsbekämpfung durch die geplante Abschaffung einer Einheit für schwere Verbrechen im September geschwächt würde, und erklärte, dass diese Aufgabe von einer anderen, neu geschaffenen Einheit übernommen werden würde. rtr
Ungarn will die Sicherheitsbedenken der EU wegen Arbeitsvisa für russische und belarussische Staatsbürger zerstreuen. Laut einem am Mittwoch veröffentlichen Schreiben des Innenministeriums sollen Russen und Belarussen im neuen Einwanderungsprogramm die gleichen Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen, wie für andere Aufenthaltsgenehmigungen.
Budapest hatte im vergangenen Monat sein Arbeitsmigrationsprogramm”Nationale Karte” auf Russen und Belarussen ausgeweitet und damit auf EU-Ebene die Befürchtung ausgelöst, dass Russland dieses Programm nutzen könnte, um Saboteure und Spione in den Schengen-Raum der EU zu schicken. Inhaber der Nationalen Karte dürfen regulär in Ungarn ohne besondere Sicherheitsüberprüfung arbeiten und ihre Familie ins Land holen.
“Die Nationale Karte wird in Übereinstimmung mit dem einschlägigen EU-Rahmen und unter gebührender Berücksichtigung der möglichen Sicherheitsrisiken ausgestellt“, schrieb Ungarns Innenminister Sándor Pintér in dem Schreiben an Innenkommissarin Ylva Johansson. “In dieser Hinsicht hat sich die ungarische Gesetzgebung und Praxis nicht geändert, gegen die die Kommission bisher keine Einwände erhoben hat”, schrieb Pintér weiter. Der Brief wurde vom ungarischen Europaminister János Bóka auf X veröffentlicht.
Pintér sagte, dass ein nicht öffentlich geteilter Anhang zu seinem Brief detaillierte Antworten auf die von der Johansson gestellten Fragen geben würde. Johansson hatte Ungarn Anfang des Monats gewarnt, dass die Entscheidung, die Visabeschränkungen für Russen und Belarussen zu lockern, eine potenzielle Sicherheitsbedrohung darstelle. Sie hatte angekündigt, Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihre Bedenken nicht ausgeräumt würden. rtr
Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Republik Moldau Hilfe für die EU-Aufnahme versichert. “Wir sind positiv, was die Erweiterung der Europäischen Union betrifft“, sagte Scholz am Mittwochabend bei einem Besuch in Chișinău. “Wir glauben, dass es jetzt notwendig ist, die Beitrittsprozesse, die für einige Länder vor langer Zeit gestartet waren, nun auch endlich zu Ende zu führen.” Präsidentin Maia Sandu dankte Deutschland nicht nur für die Hilfe mit der EU, sondern auch im Kampf gegen russische Desinformation.
Bei dem ersten Besuch eines deutschen Regierungschefs in der früheren Sowjetrepublik seit zwölf Jahren warb Scholz bei der moldawischen Bevölkerung darum, sich bei dem im Herbst geplanten Referendum über eine EU-Annäherung zu beteiligen. Damit könnten sie dem EU-Kurs des Landes eine demokratische Legitimierung geben. “Europa wird zusammengehalten durch gemeinsame Vorstellungen, die wir auf diesem Kontinent miteinander teilen”, sagte er.
Beide Länder wollten in Kürze zudem ein Migrationsabkommen unterzeichnen, kündigte Scholz an. “Es gibt keine wesentlichen strategischen und praktischen Fragen, die nicht gelöst werden können”, sagte er. “Deshalb bin ich ganz sicher, dass wir bald zu einer Vereinbarung kommen.” Der Kanzler wurde auf seiner Reise von Joachim Stamp begleitet, Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Sandu sprach davon, dass das Abkommen vorbereitet werde, ging aber nicht ins Detail. rtr
Die Ukraine ist dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten, beansprucht aber eine vorübergehende Ausnahme von der Gerichtsbarkeit für sein Militär. Das Parlament in Kiew stimmte mit 281 Abgeordneten dafür, das sogenannte Römische Statut des Strafgerichtshofs zu ratifizieren, wie der Abgeordnete Jaroslaw Schelesnyak auf Telegram mitteilte. Es gab eine Gegenstimme und 22 Enthaltungen. Das Ganze ist auch ein wichtiegr Schritt in Richtung EU-Beitritt des Landes.
Die Ukraine hat das Römische Statut zwar schon im Januar 2000 unterzeichnet, bisher aber nicht ratifiziert. Das Statut ist die Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) mit Sitz in Den Haag. Das Gericht befasst sich unter anderem mit Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
In dem nun verabschiedeten Dokument ist jedoch festgelegt, dass die Ukraine die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs für Kriegsverbrechen sieben Jahre lang nicht anerkennen wird, wenn es um ukrainische Bürger geht. Hintergrund sind Befürchtungen der Armee, dass ihr Vorgehen im Kampf gegen russische Kräfte in einigen Fällen als Kriegsverbrechen angeklagt werden könnte. Der militärische Konflikt läuft nicht erst seit 2022, sondern schon seit 2014 – seit dem ersten Auftauchen russischer Kräfte im Donbass.
Das Römische Statut tritt für die Ukraine wegen komplizierter Fristen erst in einigen Wochen in Kraft. Ratifiziert haben es bisher 124 Staaten, bei 139 Unterzeichnungen. Russland und die USA haben zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. dpa