Chinas Rolle in der Klimadiplomatie ist für viele westliche Länder in doppelter Hinsicht von entscheidender Bedeutung. Auf der einen Seite ist Peking einer der wichtigsten Partner bei der globalen Energiewende und der Emissionsreduktion. Auf der anderen Seite beteiligt sich China weder in signifikantem Umfang an der internationalen Klimafinanzierung noch ist das Land bislang bereit, in den bei der COP28 in Dubai geschaffenen Fonds für Loss & Damage einzuzahlen.
Europa drängt Peking schon länger, letzteres zu korrigieren und Verantwortung als einer der weltweit größten CO₂-Emittenten zu übernehmen. Vermutlich wird dies auch im Zentrum der Gespräche stehen, wenn Europas Klimadiplomaten diese Woche zu Gast in Peking sind. Klimabeauftragte aus Deutschland, Frankreich, Dänemark, den Niederlanden sowie von der EU-Kommission sprechen seit heute unter anderem mit dem neuen chinesischen Klima-Sondergesandten Liu Zhenmin, dem Nachfolger des langjährigen Klimazaren aus Peking, Xie Zhenhua.
Über Details des Besuchs und Gesprächsinhalte ist nur wenig bekannt. Aus der Kommission heißt es, die Reise diene dem regelmäßigen Klima- und Umweltdialog zwischen EU und China. Klimakommissar Hoekstra gehört jedoch nicht zur Reisegruppe. Das für die deutsche Klimadiplomatie zuständige Auswärtige Amt teilte Table.Briefings mit, dass auch Klima-Sonderbeauftragte Jennifer Morgan nicht an der Reise teilnimmt. Die nächsten Gespräche auf allerhöchster Ebene könnten also frühestens in Berlin beim Petersberger Klimadialog Ende April erfolgen.
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Den Wahlkampf von Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin der christdemokratischen Parteienfamilie EVP bei der Europawahl leitet Björn Seibert. Der 43-jährige Beamte, der seit 2019 Kabinettschef der Kommissionspräsidentin ist, nimmt für den Wahlkampf unbezahlten Urlaub. Seine Auszeit als Kabinettschef endet mit dem Wahlabend am 9. Juni. Danach nimmt er unmittelbar seine Position im Berlaymont-Gebäude wieder ein.
Der EU-Beamte Alexander Winterstein wird als Sprecher die Kampagne von der Leyens begleiten. Winterstein war stellvertretender Sprecher der Kommission unter Jean-Claude Juncker. Zuletzt war der Österreicher Winterstein Direktor für politische Kommunikation in der Generaldirektion Kommunikation. Auch Winterstein nimmt eine Auszeit als EU-Beamter.
Seibert ist 2019 mit von der Leyen in die Kommission gekommen. Er war bereits im Bundesministerium für Verteidigung als Chef des Planungsstabes einer ihrer engsten Mitarbeiter. In der Kommission, in der er kein Netzwerk hatte, hat er sich schnell eingearbeitet. Seine führende Position in der Riege der Kabinettschefs hat er schnell eingenommen. Sämtliche Entscheidungen der Kommissionspräsidentin gehen über seinen Schreibtisch.
Jens Flosdorff, der die Medienarbeit der Präsidentin koordiniert und ebenfalls seit Jahren ihr enger Vertrauter ist, bleibt während der Kampagne in der Kommission. Anthony Whelan, Ratgeber der Präsidentin für Digitales, übernimmt die Aufgabe von Seibert.
Seibert und Winterstein haben ab sofort keinen Zugang mehr zu ihren Arbeitsplätzen in der Kommission und haben ihre dienstlichen Laptops und Handys abgegeben. Die Auszeit entspricht den Leitlinien für ethische Standards für die Teilnahme von Mitgliedern der Kommission an den Europawahlen, die die Kommission im Januar überarbeitet hat. Demnach dürfen Kommissare, die für das Europaparlament kandidieren oder Spitzenkandidaten sind, nicht auf Ressourcen der Kommission zurückgreifen.
“Mitglieder (der Kommission) dürfen nicht auf Mitarbeiter der Kommission oder aus den Kabinetten zurückgreifen und sich diese für die Kampagne zunutze machen…”, heißt es dort. Die Leitlinien beziehen sich nur auf den Wahlkampf für die Europawahlen. Ab dem ersten Tag nach Abschluss der Wahlen, also in diesem Fall den 10. Juni, haben sie keine Gültigkeit mehr.
Ursula von der Leyen kandidiert nicht für einen Sitz im Europaparlament. Sie ist Spitzenkandidatin der EVP und will erneut Kommissionspräsidentin werden. Im ersten Schritt strebt sie an, dass die EVP bei der Wahl wieder stärkste Kraft wird. Um Kommissionspräsidentin zu werden, muss sie die Unterstützung des Europäischen Rates haben.
Das Gremium der Mitgliedstaaten soll im Lichte des Ergebnisses der Europawahlen dem Europaparlament einen Kandidaten für die Wahl zum Kommissionspräsidenten vorschlagen. Die Wahl des neuen Kommissionspräsidenten wird frühestens beim Juli-Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg stattfinden, vermutlich aber erst im September.
Daraus ergibt sich, dass Ursula von der Leyen, deren EVP laut Sitzprojektionen für die Wahl wieder stärkste Kraft werden dürfte, ihre Kampagne für die Wiederwahl als Kommissionspräsidentin mindestens bis Mitte Juli vermutlich sogar bis zur Sitzungswoche im September fortsetzen wird. Leitlinien für diese Phase der Kampagne gibt es nicht.
Spitzenkandidat der sozialistischen Parteienfamilie ist Sozialkommissar Nicolas Schmit. Von der Leyen und Schmit behalten im Wahlkampf ihre Funktionen als Kommissionspräsidentin sowie als Kommissar. Wenn sie im Wahlkampf für die europäischen Parteienfamilien unterwegs sind, werden sie von einem Mitglied aus ihrem Kabinett begleitet. Damit wird sichergestellt, dass die Mitglieder der Kommission auch bei Wahlkampfaktivitäten ihren dienstlichen Verpflichtungen nachkommen können.
Frans Timmermans, der 2019 Spitzenkandidat der sozialistischen Parteienfamilie war, hatte für seinen Wahlkampf den EU-Beamten Tim McPhie verpflichtet. Auch McPhie hatte damals eine Auszeit in der Kommission genommen und war nach den Europawahlen in die Kommission zurückgekehrt.
Martin Schulz, der 2014 Spitzenkandidat der sozialistischen Parteienfamilie war, fordert von der Leyen auf, ihr Amt während des Wahlkampfs ruhen zu lassen. Wenn sie kandidiere, dann solle sie “nicht im Amt bleiben, den G-7-Gipfel besuchen und die Staats- und Regierungschefs treffen”, erklärte der ehemalige Präsident des Europaparlaments. Dies sei ein Gebot der Fairness.
Der Grüne Daniel Freund: “Die Regeln sind eindeutig: In den Wahlkampf von der Leyens dürfen keine EU-Ressourcen fließen – also auch kein Personal. Es ist absolut richtig, dass ihr Team jetzt in den unbezahlten Wahlkampf-Urlaub geht. Die Trennung muss strikt durchgesetzt werden.”
Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier.
Das Wichtigste am EU-US-Handels- und Technologierat (EU-US-TTC) sei, dass es ihn überhaupt gibt, sagt Bernd Lange (SPD). Der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament kann sich noch gut an die Amtszeit von Donald Trump erinnern, als Stillstand herrschte und es keine offiziellen Kontakte gab. “Ich musste mich heimlich mit meinem Bekannten aus dem US-Handelsministerium treffen”, sagt Lange.
Der TTC habe wenigstens eine Annäherung beider Seiten nach den schwierigen Jahren unter Trump gebracht, urteilt auch Laura von Daniels, Leiterin der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Von Anfang an sei es von Seiten der Biden-Administration “ganz klar das Hauptziel gewesen, über Technologie zu sprechen. Die europäische Seite wollte über Handel sprechen”, sagt Daniels.
“Im Bereich Handel haben wir nicht sehr viele Fortschritte gesehen. Aber es hat zumindest temporäre Lösungen gegeben wie zum Beispiel das Aussetzen der Zölle auf Aluminium und Stahl“, erinnert Daniels. In der späten Phase von Trump seien bereits die Weichen für Zölle auf einzelne europäische Länder wegen ihrer Digitalgesetzgebung gestellt worden, erinnert Daniels. Auch die habe Präsident Joe Biden pausiert. “Das wird oft vergessen, die Zölle können jederzeit zurückkommen.” Gleiches gilt für den Subventionsstreit bei Airbus und Boeing.
Auch aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist die reine Existenz dieses Gremiums ein Erfolg, wie auch die Tatsache, dass sich beide Seiten noch einmal hochrangig dazu verpflichtet haben, dieses Format weiterzuführen. “Wir brauchen ein Gremium, in dem wir uns über die Dinge austauschen können, die zukünftig unser Leben bestimmen werden – gerade im Bereich des Digitalen”, sagt Lange. Wie gut die Chancen dafür stehen, hängt allerdings vom Ausgang der Wahlen in Europa und den USA ab.
Die Bilanz über den EU-US-TTC fällt jedenfalls positiver aus als man erwarten dürfte bei wenig konkreten Ergebnissen und vielen Absichtsbekundungen in der Abschlusserklärung. “In den USA ist es derzeit nicht möglich, einen Vertrag durch den Kongress zu kommen, es gibt keine Bereitschaft, ein Commitment einzugehen“, erklärt Lange.
Während in Europa alle Parteien des Parlaments mit am Tisch säßen, sei der TTC in den USA ein reines Regierungsprojekt. Dennoch habe es sich bewährt, gerade in der Zeit, als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, erläutert Lange. “Als es um die Frage der Exportkontrollen und die Umsetzung der Sanktionen ging, konnten wir uns koordinieren und abstimmen. Ohne den TTC hätte das nicht geklappt, weil man keine Drähte mehr hatte.” Marktzugang und Marktöffnung, wie sich die Europäer das wünschen, stehen dagegen derzeit nicht im Fokus der US-Politik, sondern vielmehr industriepolitische Erwägungen.
“Vor dem Hintergrund der zahlreichen globalen Herausforderungen und einer zunehmenden wirtschaftlichen Entkopplung ist es hochrelevant, dass insbesondere die transatlantische Partnerschaft funktioniert”, sagt Melanie Vogelbach, Bereichsleiterin internationale Wirtschaftspolitik bei der DIHK. Da es kein Freihandelsabkommen mit den USA gebe, sei es umso wichtiger, “dass wir bei vielen technischen Details Verbesserungen für Handel und Investitionen erzielen“.
Auch in der Industriepolitik wünscht sich die deutsche Wirtschaft eine enge Kooperation mit den USA. Da kann der TTC eine wichtige Rolle spielen. Beispiele sind:
“Gerade bei Zukunftsthemen wie der Mobilfunkgeneration 6G, der Rohstoffsicherheit kritischer Mineralien oder bei künstlicher Intelligenz ist es wichtig, sich mit Partnern abzustimmen”, meint Vogelbach. Denn unterschiedliche Standardsetzungen könnten zu Herausforderungen für die Unternehmen im Handel und bei Investitionen führen. “Daher ist es ein wichtiges Ergebnis dieses Treffens, dass man hier auch künftig strukturiert zusammenzuarbeiten will.”
Dagegen habe es leider noch keine Einigung auf das Critical Raw Materials Agreement gegeben. “Das wäre tatsächlich ein ,kleines’ Handelsabkommen gewesen, das deutschen und europäischen Unternehmen bestimmte Vorteile auf dem amerikanischen Markt über den Inflation Reduction Act (IRA) beschert hätte”, erklärt Vogelbach. Der Hintergrund: Staaten, mit denen die USA ein Freihandelsabkommen haben, sind teilweise von den Lokalisierungsanforderungen des IRA ausgenommen, sodass Unternehmen aus diesen Ländern von Steuergutschriften profitieren. Wichtig wäre dies zum Beispiel für die Hersteller von Batterien für E-Autos, soweit sie Rohstoffe aus Europa einsetzen.
“Wir hätten uns natürlich auf Seiten der deutschen Wirtschaft auch Zollabbau, stärkeren Marktzugang und andere Erleichterungen für die Betriebe gewünscht”, sagt Vogelbach. Aber es sei für deutsche Unternehmen ebenso wichtig, dass nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden. Beispielsweise habe man sich jetzt auf eine Harmonisierung im Bereich der elektronischen Rechnungsstellung geeinigt. “Dass es in solchen Fragen eine Harmonisierung gibt, kann für die Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks eine Vereinfachung bedeuten“, erläutert Vogelbach.
Eine Vereinfachung und Harmonisierung wünschen sich auch die Maschinen- und Anlagenbauer. Aber: “Für unsere Industrie gibt es nicht so viele konkrete positive Ergebnisse”, sagt Niels Karssen vom Europabüro des VDMA in Brüssel. Die Maschinenbauer hätten sich ein Abkommen über die Konformitätsbewertung gewünscht. Die Absichtserklärungen hierzu seien seit 2022 jedoch nicht konkreter geworden. “Wir hatten wirklich gehofft, dass es dieses Jahr eine Einigung über die Konformitätsbewertung geben kann. Es hat viele Gespräche über das Thema gegeben, aber die Amerikaner sind daran überhaupt nicht interessiert.” Ein Grund dafür sei, dass Europa deutlich mehr Maschinen und Anlagen in die USA exportierte als umgekehrt.
So bleibt es dabei, dass ein in Europa bereits von den europäischen Sicherheitsbehörden geprüftes und für OK empfundenes Produkt in den USA erneut geprüft und eventuell komplett wieder umgebaut werden muss. “Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass eine Maschine, die wir in die USA exportieren, zwischen fünf und 18 Prozent mehr kostet, als eine Maschine für den europäischen Binnenmarkt”, erklärt Karssen.
DIHK und VDMA wünschen sich, dass die Arbeit im TTC weitergeht. Die Tatsache, dass immer mehr Länder sich jetzt auch ein Trade and Technology Council wünschten, zeige, dass das durchaus ein erfolgreiches Modell sei. “Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist es wichtig, dass der TTC auch nach den Wahlen in den USA und der EU bestehen bleibt, unabhängig von deren Ausgang”, sagt Vogelbach. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Krisen sei eine Verstetigung dieses Dialogs hochrelevant. “Ein umfassendes transatlantisches Handelsabkommen wäre aus Sicht großer Teile der deutschen Wirtschaft wünschenswert”, fügt Vogelbach hinzu. “Es scheint aber in den nächsten Jahren nicht realistisch, unabhängig davon, wer in den USA die Wahlen gewinnt.” Gerade die Zusammenarbeit bei grünen Technologien für die Transformation seien wichtig, um nicht neue Handelshemmnisse zu kreieren.
“Verhandlungen sind gut, aber wir brauchen Freihandelsabkommen, die auch in Kraft treten“, merkt Karssen vom VDMA in Bezug auf die Verhandlungen mit Mercosur und Mexiko an. “Wir dürfen die Abkommen nicht überfrachten mit Zielen, die mit Handel nichts zu tun haben”, fordert er.
In einer wichtigen Sache den Handel betreffend konnte sich die EU allerdings durchsetzen. China wird im Abschlussdokument nur dreimal erwähnt, allein zweimal im Zusammenhang mit Medizinprodukten. Beide Seiten teilten die Sorge “über Chinas nicht marktkonforme Politik und Praktiken im Bereich der Medizinprodukte”. Eine viel weitergehende Abschottung Chinas, wie es sich die USA wünschen, hat keinen Eingang in das Dokument gefunden. Die EU habe dafür gesorgt, dass der TTC “nicht zu einem Anti-China-Forum werde“, sagt Daniels von der SWP.
Für die mögliche weitere Zusammenarbeit im TTC wünscht sich der Vorsitzende des Handelsausschusses, dass sich die Dynamik des Dialogs, der sich zwischen der EU und den USA entwickelt habe, fortsetzt. “Am Anfang war man etwas überambitioniert mit einer Erklärung von 100 Seiten”, sagt Lange. “Wenn man eine Lehre daraus ziehen will, sollte die lauten, sich auf wenige wichtige Themen zu fokussieren und dafür konkretere Ergebnisse zu erzielen.” Und um auf amerikanischer Seite die Bereitschaft zum Dialog zu verstetigen, sei es wichtig, dass beide politischen Lager in die Gespräche einbezogen werden.
Im Lager des liberalen Präsidentschaftskandidaten Ivan Korčok hätte man es ahnen können: Wählerumfragen sind in der Slowakei nicht zu gebrauchen. Sie liegen gern mal völlig daneben. Als am Samstagabend die Wahllokale in dem kleinen Land unter der Hohen Tatra geschlossen hatten, veröffentlichte ein TV-Kanal eine Prognose zum Ausgang des Urnengangs: Korčok werde das Rennen machen gegen den derzeitigen sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten Peter Pellegrini. Zwar nur hauchdünn, aber immerhin.
Als dann aber Schritt für Schritt die Ergebnisse der tatsächlichen Auszählungen bekannt wurden, verdüsterten sich die Gesichter der Getreuen des früheren Außenministers Korčok in dessen Wahlkampfzentrale immer mehr. Irgendwann war klar, dass der Vorsprung von Pellegrini auch nicht mehr durch die liberalen Bastionen Bratislava und Košice aufgeholt werden könne. Am Ende erhielt Pellegrini 53 Prozent, Korčok 47 Prozent der Stimmen.
Als Korčok vor die Leute trat, mische sich in die Trauer und den Frust seiner Anhänger aber auch noch einmal so etwas wie Stolz und Unverzagtheit. “Das ist eine Niederlage, die umso schwerer wiegt, weil wir so große Erwartungen hatten. Aber wir hatten es auch mit einer äußerst schmutzigen Kampagne zu tun”, hörte man immer wieder.
Korčok hatte vor zwei Wochen die erste Runde mit einem satten Vorsprung gewonnenen. Doch der frühere Diplomat hatte damit sein Potenzial ausgereizt, wie sich jetzt zeigte. Die fast zehn Prozent höhere Wahlbeteiligung in der Stichwahl half nur Pellegrini. Der profitierte auch von den Wählern der ungarischen Minderheit, die auf den Regierungschef in Budapest hörten. Viktor Orbán hatte sich für Pellegrini stark gemacht.
Das mit der schmutzigen Kampagne ärgerte Korčok sehr. Pellegrini hatte hin als “Kandidat des Krieges” verunglimpft, der als Präsident die Slowakei direkt in den Ukrainekrieg hineinziehen wolle. Er – Pellegrini – wolle “Frieden” und warnte vor immer neuen Waffenlieferungen an die Ukrainer. Dabei berief er sich ausdrücklich auch auf Bundeskanzler Olaf Scholz. Pellegrinis Sozialdemokraten sind gemeinsam mit der SPD in einer europäischen Parteienfamilie.
Pellegrini betonte bei all seinen Vorbehalten in der Ukraine-Frage, dass die Slowakei fest in den westlichen Strukturen von EU und Nato verbleibe. “Über allem steht jedoch das Interesse der Slowakei und deren Bürger.” Krieg liege nicht in deren Interesse. Bemerkenswert auch, was Pellegrini im letzten TV-Duell äußerte. Auf den Nato-Bündnisfall angesprochen – also den Fall eines Angriffs Putins auf einen Nato-Verbündeten – sagte Pellegrini, dass die Slowakei da nicht helfend zur Seite springen könne. “Wir haben dafür derzeit nicht einmal die Waffen dafür.”
Diese Bemerkung blieb bislang ohne Reaktion der Verbündeten. Vor einem Jahr, im tschechischen Präsidentschaftswahlkampf, hatte Andrej Babiš die Frage verneint, ob er als Staatschef Polen oder den baltischen Staaten im Fall des Falles helfen würde. In Warschau war man darüber sehr erstaunt und hörbar verärgert.
Was bedeutet der Sieg von Pellegrini für die Slowakei selbst? Mit dem 49-Jährigen im Präsidentenpalais hat Regierungschef Robert Fico jetzt eine Garantie dafür, dass er durchregieren kann. Beider persönliches Verhältnis ist aus der Vergangenheit allerdings nicht ungetrübt. Pellegrini hatte einst die gemeinsame Partei von Parteichef Fico verlassen und Hlas als Konkurrenz gegründet.
Fico hielt sich aus dem Wahlkampf von Pellegrini auch auffallend heraus. Zur Siegesfeier erschien er allerdings. Und hörte dort den erhofften Treueschwur des künftigen Präsidenten: “Ich werde kein unkritischer Bewunderer der Regierung sein. Aber ich werde aus dem Präsidentenpalais mit Sicherheit keine Bastion der Opposition gegen die Regierung machen.” Er werde die Regierung in ihrem Bemühen unterstützen, das Leben der Menschen in der Slowakei zu verbessern.
Man kann davon ausgehen, dass Pellegrini den begonnenen Veränderungen, beziehungsweise entsprechenden Plänen im Justiz- und Medienbereich keine Steine in den Weg legen wird. Ficos Vorbild dabei ist erklärtermaßen Ungarns Premier Orbán.
Für die Opposition in der Slowakei brechen damit schwere Zeiten an. Man werde sich allerdings nicht unterkriegen lassen, versicherte der Chefredakteur des größten Internetportals Aktuality.sk, Peter Bárdy, in einem Brief an alle Abonnenten. “Die Demokratie und der Rechtsstaat werden Ziel permanenter Bemühungen der Regierung sein, einen autokratischen Staat zu errichten.” Die Demokratie habe eine Niederlage erlitten, aber der Wahlausgang bedeute nicht das Ende der Slowakei. Die habe weiterhin eine starke Zivilgesellschaft, auf die es jetzt mehr denn je ankomme. Hans-Jörg Schmidt
Die paneuropäische Partei Volt hat bei ihrem Kampagnenstart für die Europawahlen 2024 am Samstag in Brüssel zwei Spitzenkandidaten nominiert. Gewählt wurden die niederländische Politikerin Sophie In ‘t Veld, die sich in Belgien zur Wahl stellt, und Damian Boeselager aus Deutschland. Beide sind bereits Mitglied des Europaparlaments, wobei In ‘t Veld erst im vergangenen Jahr von Democraten 66 zu Volt wechselte.
Da die Partei sich als transnational versteht, hat Volt eine europäische Liste aufgestellt. Die hat allerdings nur symbolischen Wert. Boeselager hatte im Europaparlament das europäische Wahlrecht mitverhandelt, das eine Zweitstimme für europäische Parteien vorsieht. Beim Wahlrecht hat das Parlament ein Vorschlagsrecht. “Doch der Rat hat den Vorschlag nie verhandelt”, bedauert Boeselager. So gibt es kein europäisches, sondern nur nationale Wahlgesetze.
Eine solche Zweitstimme, argumentiert Boeselager, würde europäische Parteien sichtbar und wählbar machen. “Damit könnten die Wähler nicht mehr nur für oder gegen Europa abstimmen. Sondern sie könnten auch sagen: Ich möchte ein Europa, das konservativ ist, ein Europa, das sozialdemokratisch oder progressiv ist”, argumentiert er. “Das brächte endlich mehr Berechenbarkeit und Verlässlichkeit in die gesamte europäische Politik.” Und jede Europäerin und jeder Europäer könne dann wirklich für oder gegen einen Spitzenkandidaten stimmen.
Im Gegensatz zu den anderen Parteien tritt Volt europaweit unter dem gleichen Namen und mit dem gleichen Wahlprogramm an. “Wir haben das europäische Wahlprogramm, basierend auf dem europäischen Grundsatzprogramm, gemeinsam geschrieben. Es gibt keine nationalen Wahlprogramme parallel dazu”, sagt Boeselager.
Das Wichtigste daraus aus seiner Sicht: “Wir müssen in Europa darauf achten, wie wir handlungsfähig bleiben”, sagt der Europaabgeordnete. “Dazu gehört das Thema Sicherheit. Wir fordern schon länger als die FDP eine europäische Armee und vor allem auch eine europäische Beschaffung.” Eine weitere Forderung ist die nach einer europäischen Energiepolitik und dem Aufbau eines europäischen Energienetzes, das Europa unabhängiger von Energielieferungen außerhalb Europas machen würde.
Auch das Thema Demokratie sei zentral. “Wir werden die wichtigen Themen nur bewältigen, wenn wir anders entscheiden in Europa. Dazu gehört es, eben ein richtiges europäisches Parlament zu wählen, das eine europäische Regierung stellen kann, die dann auch handlungsfähig ist.” Die deutsche Politik betrachte Europapolitik immer noch als Außenpolitik. Das sei absurd, wenn man betrachte, dass etwa die Hälfte aller Gesetze, die durch den Bundestag gehen, EU-Gesetzgebung umsetze. “Sicherheit, Energie und Demokratie – das sind alles Themen, die wir nur sicherstellen können, wenn wir die EU weiterdenken”, meint Boeselager. vis
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Die EU, die USA und weitere Teilnehmer des Mineral Security Partnership (MSP) gründen gemeinsam mit Kasachstan, Namibia, der Ukraine und Usbekistan ein neues Forum für die Partnerschaft für die Sicherheit von Rohstoffen (MSP-Forum). Dieses soll als Plattform für die Zusammenarbeit bei kritischen Rohstoffen dienen. Dies verkündete die EU-Kommission, die die EU im MSP vertritt, am vergangenen Freitag.
Das MSP-Forum soll Länder mit einer hohen Nachfrage nach kritischen Ressourcen mit rohstoffreichen Ländern zusammenbringen. Die Mitgliedschaft in dem Forum stehe allen Partnern offen, die bereit seien, sich zur Diversifizierung der globalen Lieferketten, zu hohen Umweltstandards, verantwortungsvoller Unternehmensführung und fairen Arbeitsbedingungen zu bekennen, erklärte die EU-Kommission. Die EU und die USA werden das neue Forum gemeinsam leiten.
Am Freitag gab die EU-Kommission darüber hinaus eine neue Rohstoffpartnerschaft mit Usbekistan bekannt. Valdis Dombrovskis, dem Exekutivvizepräsidenten der Europäischen Kommission, und Laziz Kudratov, dem usbekischen Minister für Investitionen, Industrie und Handel, unterzeichneten eine entsprechende Absichtserklärung (MoU).
Die Zusammenarbeit beinhaltet unter anderem:
In Usbekistan liegen die zweitgrößten Vorkommen kritischer Rohstoffe in Zentralasien, zum Beispiel von Kupfer, Molybdän und Gold. Es ist bereits die zehnte Rohstoffpartnerschaft, die die EU mit einem Drittstaat gründet. Zu den Partnerländern gehören Kanada, Ukraine, Kasachstan, Namibia und Chile. leo
Die Bundesregierung darf den Bau von Elektrolyseuren in Deutschland mit 350 Millionen Euro fördern. Die Kommission habe die beihilferechtliche Genehmigung erteilt, teilte die Behörde am Freitag mit. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager lobte die Fördermittel der Bundesrepublik als wichtigen Schritt für die Entwicklung von erneuerbarem Wasserstoff.
Angekündigt hatte das Bundeswirtschaftsministerium die Förderung bereits im vergangenen Dezember. Deutschland nutzt für die Ausschreibung der Elektrolyseure als erster EU-Staat die Europäische Wasserstoffbank. Gebote konnten bis zum 8. Februar eingereicht werden, die Auswertung laufe noch, hieß es am Freitag. Mit der bewilligten Summe könnten bis zu 90 Megawatt an Elektrolysekapazität gefördert werden – insgesamt will Deutschland bis 2030 mindestens 10 Gigawatt erreichen. ber
Aus den Kommunalwahlen in Polen ist die nationalkonservative Oppositionspartei PiS ersten Prognosen zufolge mit leichtem Vorsprung als stärkste Kraft hervorgegangen. Bei der Wahl der 16 Regionalverwaltungen entfielen 33,7 Prozent der Stimmen auf die PiS, wie mehrere Fernsehsender am Sonntagabend unter Berufung auf Prognosen des Instituts Ipsos berichteten.
Die liberalkonservative Bürgerplattform von Regierungschef Donald Tusk landete mit 31,9 Prozent auf dem zweiten Platz. Ihr gelang ein großer Erfolg in der Hauptstadt Warschau: Der amtierende Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski wurde im ersten Wahlgang mit 59,9 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. “Hier ist der Held des heutigen Tages”, sagte Tusk am Wahlabend über Trzaskowski. Der 52-jährige Trzaskowski war bei der Präsidentenwahl 2020 nur knapp gegen Amtsinhaber Andrzej Duda unterlegen. Er hat Ambitionen, bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr erneut anzutreten.
Polens Regierungschef Donald Tusk hat für seine Partei ein gemischtes Fazit aus dem Ausgang der Kommunalwahlen gezogen. “Was freut? Ein Rekordsieg in den Städten, die Mehrheit bei den Regionalversammlungen”, schrieb er am Montag auf der Plattform X (vormals Twitter). Ärgerlich dagegen sei für seine liberalkonservative Bürgerkoalition die fehlende Mobilisierung junger Wähler sowie das schlechte Abschneiden in den ländlichen Gebieten und im Osten des Landes. “Die Schlussfolgerung für uns? Nicht jammern, an die Arbeit!”
Auch in der Hafenstadt Danzig schaffte Oberbürgermeisterin Aleksandra Dulkiewicz von Tusks Partei gleich in der ersten Runde die Wiederwahl mit 62,3 Prozent der Stimmen. In mehreren Großstädten, darunter Krakau und Breslau (Wroclaw), muss noch in einer Stichwahl am 21. April über die Besetzung des Bürgermeisteramtes entschieden werden.
Die PiS punktete im katholisch geprägten Osten und Süden des Landes. Die Partei hatte Polen von 2015 bis 2023 regiert. Im Oktober war sie zwar stärkste Partei geworden, konnte aber kein Regierungsbündnis schmieden. Das Ergebnis sei vor allem ein Ansporn zur Arbeit, sagte Parteichef Jarosław Kaczyński mit Blick auf die Europawahlen im Juni.
Bei der Wahl der Regionalverwaltungen entfielen laut den Prognosen zudem 13,5 Prozent der Stimmen auf den christlich-konservativen Dritten Weg. Das Linksbündnis Lewica landete bei 6,8 Prozent. Beide Parteien bilden mit Tusks Bürgerplattform die Regierungskoalition auf Landesebene. Die rechtsextreme Konfederacja bekam 7,5 Prozent der Stimmen.
Die gut 29 Millionen Wahlberechtigten entschieden über die Bürgermeister aller Gemeinden und Städte. Außerdem wählten sie die Mitglieder für alle 16 Regionalversammlungen, 380 Kreisräte und 2477 Gemeinderäte. Das amtliche Endergebnis wird erst in den kommenden Tagen erwartet. dpa
Die Niederlande werden offenbar den Forderungen der USA im Hinblick auf Exportbeschränkungen beim Chiphersteller ASML nachkommen. Die USA hatten zuletzt darauf gedrängt, dass der niederländische Chipriese ASML die Wartung einiger Geräte einstellt, die nach China verkauft wurden.
Die Regierung von Premierminister Mark Rutte zögert zwar, eine pauschale Entscheidung zu treffen. Doch ihre öffentlichen Erklärungen und nationalen Sicherheitsinteressen lassen darauf schließen, dass sie chinesische Wartungsanträge in Zukunft nur langsam genehmigen und schnell ablehnen dürften. Dies wäre ein Rückschlag für Chinas Versuche, seine heimische Chipindustrie aufzubauen. ASML-Geräte sind fast unmöglich zu ersetzen und gehen mit der Zeit kaputt, wenn sie nicht gewartet werden.
Es könnte aber auch die Bemühungen der Regierung Rutte erschweren, die ASML Holdings NV, das größte Unternehmen der Niederlande, ganz im Lande zu halten. Immer wieder sind Verlagerung von Aktivitäten ins Ausland ein Thema bei dem Chiphersteller.
US-Präsident Joe Biden geht hart gegen Pekings Pläne vor, eine eigene fortschrittliche Halbleiterindustrie aufzubauen. Die USA blockieren daher Chinas Zugang zu importierter Technologie und fordern ihre Verbündeten zu Unterstützung dieser Strategie auf. rtr
Zehntausende haben am Samstag in der Budapester Innenstadt gegen die Regierung von Viktor Orbán protestiert. Angeführt wurden sie von einem ehemals regierungsnahen Anwalt, Péter Magyar. Er hat vor Kurzem eine politische Bewegung ins Leben gerufen, die den Ministerpräsidenten herausfordern will.
Bei ungewöhnlich warmem Frühlingswetter marschierten die Demonstranten zum Parlament. Einige von ihnen riefen “Wir haben keine Angst” und “Orbán tritt zurück!” Viele trugen die rot-weiß-grünen Nationalfarben oder die Nationalflagge, Symbole, die sich Orbáns Partei in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu eigen gemacht hat.
“Das sind die Nationalfarben Ungarns, nicht die der Regierung“, sagte die 24-jährige Lejla, die aus Sopron, einer Stadt an der Westgrenze des Landes, nach Budapest gereist war. Jurist Magyar, 43, war mit Orbáns ehemaliger Justizministerin Judit Varga verheiratet. Es wird spekuliert, dass er seine eigene Partei gründen will.
Magyar wurde im Februar bekannt, als er aufrührerische Kommentare über die inneren Abläufe in der Regierung abgab. Er warf Antal Rogán, dem Minister, der Orbáns Büro leitet, vor, eine zentralisierte Propagandamaschine zu betreiben. Außerdem veröffentlichte er einen Mitschnitt eines Gesprächs mit seiner Ex-Frau, in dem Varga den Versuch eines ranghohen Mitarbeiters von Orbáns Kabinettschef schildert, sich in einen Bestechungsfall einzumischen. Die Staatsanwaltschaft untersucht nun diese Aussagen.
Die Untersuchung kommt für Orbán zu einem politisch heiklen Zeitpunkt vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni. Zuvor hatte schon ein Skandal um den Umgang mit sexuellem Missbrauch zwei seiner wichtigsten politischen Verbündeten – den ehemaligen Präsidenten und Varga – im Februar zu Fall gebracht. rtr
Ursprünglich wurde die Europäische Union als ein Projekt mit langfristiger Vision konzipiert. Aber gerade am Ende einer weiteren Amtszeit, scheinen ihre Strukturen sie daran zu hindern, diesem langfristigen Ziel gerecht zu werden. Jetzt ist es an der Zeit, kreativ über den nächsten Fünfjahreszyklus nachzudenken.
Der ehemalige italienische Ministerpräsident Mario Monti bezeichnete die EU oft als die “Gewerkschaft”, welche die Interessen zukünftiger Generationen vertritt. Doch trotz ihrer jahrzehntelangen Arbeit für Integration und ihrem zukunftsorientierten Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, fehlt der EU ein institutioneller Rahmen, um langfristige Perspektiven angemessen zu berücksichtigen. Strategien und politische Planungen der EU enden häufig zur Mitte des Jahrhunderts, sodass die Bedürfnisse zukünftiger Generationen vernachlässigt werden.
Ein Blick auf den schwindenden Rückhalt für Umweltpolitik genügt, um sich zu fragen, ob in der EU die richtige institutionelle Basis für echtes Zukunftsdenken vorhanden ist. Der European Green Deal wurde zum Beispiel als wegweisender “Mann-auf-dem-Mond”-Moment für die Zukunft Europas präsentiert – nun wird er zunehmend zum Sündenbock für gesellschaftliche Missstände. Politische Kurzsichtigkeit hatte bereits einige zentrale Aspekte des Green Deals untergraben, bevor er durch den vorzeitigen Abgang des Hauptverantwortlichen für seine Umsetzung, Frans Timmermans, weiter ins Stocken geriet.
Dies führte dazu, dass die EU-Kommission in einer entscheidenden Phase Wopke Hoekstra, einen Neuling mit fraglichen ökologischen Referenzen, als Verantwortlichen für den Green Deal ernennen musste. Diese kurzfristige Ernennung in einer Zeit, in der der Umwelt- und Klimaschutz auf Widerstand stößt, zeigt eine unbequeme Wahrheit: Weder politische Entscheidungsträger:innen noch Führungspersönlichkeiten werden zur Verantwortung gezogen, wenn sie nicht langfristig denken und handeln.
Die Europäische Union und ihre 27 Mitgliedstaaten bilden keine Ausnahme, wenn es darum geht, langfristige Perspektiven zu vernachlässigen. Was wir jetzt brauchen, ist eine institutionelle Vertretung, die sich authentisch für die Zukunft einsetzt. Die EU braucht in ihrer nächsten Kommission eine Kommissarin oder einen Kommissar für zukünftige Generationen.
Jeden Tag werden Maßnahmen und Investitionen beschlossen, die die Zukunft kommender Generationen prägen werden. Doch in den heutigen EU-Entscheidungsprozessen haben zukünftige Generationen weder Rechte noch Repräsentation. Dies wird sich in einem alternden Europa voraussichtlich verschlimmern.
Jugendbewegungen haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, die Stimme der zukünftigen Generationen im Bereich Klima in den Mainstream zu bringen. Doch zukunftsorientiertes Denken muss in allen Politikbereichen und Aspekten der Politik institutionalisiert werden.
Sozialer Zusammenhalt ist und bleibt eine gesamteuropäische Herausforderung. Denn generationenübergreifende sozioökonomische Benachteiligungen bestehen sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene. Studien belegen, dass Kinderarmut das Risiko von Armut im Erwachsenenalter erhöht – und gleichzeitig zeigt das IWF, dass die Kinderarmut in der EU seit Beginn der COVID-19-Pandemie um fast 20 Prozent gestiegen ist.
Dies ist nur eines von vielen Beispielen – bei Klimainvestitionen, Sozialdiensten und generationenübergreifender Armut ist eine langfristige Perspektive erforderlich, um unsere aktuellen Herausforderungen wirklich zu bewältigen.
Was genau würde eine Kommissarin oder ein Kommissar für zukünftige Generationen (oder noch besser, ein Vizepräsident oder eine Vizepräsidentin) eigentlich tun?
Zum einen würde diese Person dafür sorgen, dass zukunftsgerichtete Strategien fest in der Politik verankert werden. Seit 2019 hat die Kommission viel entwickelt, mit einem internen Netzwerk und jährlichen Berichten zur strategischen Vorausschau. Ein:e Kommissar:in für zukünftige Generationen würde solche Strategien fest in den Entscheidungsprozessen der EU etablieren. Sie könnte beispielsweise Teil des Gremiums werden, das neue Initiativen auf Zukunftsfähigkeit überprüft.
Zum anderen würde sie die Interessen zukünftiger Generationen in der gesamten Union vermitteln und sicherstellen. Als direkte Ansprechperson für Bürger:innen und Organisationen, die sich um langfristige Folgen europäischer Handlungen sorgen, würde sie Bürgerbeteiligungsverfahren, Bürgerversammlungen oder andere Methoden der Zukunftsplanung einsetzen, um einen gezielten Übergang in diese Zukunft sicherzustellen.
Es gibt zahlreiche Beispiele, von denen die EU lernen kann: Finnland, Wales, Kanada und Uruguay haben eigene Einrichtungen für zukünftige Generationen. Auch auf UN-Ebene wird über ein solches Mandat diskutiert. Sogar auf EU-Ebene hat Kommissar Šefčovič bereits ein erstes Treffen der “Minister:innen der Zukunft” einberufen. Die Grundlagen für ein neues Kommissionsressort werden bereits gelegt.
Es ist an der Zeit, die institutionelle Struktur zu schaffen, um die “Gewerkschaft” für zukünftige Generationen zu verwirklichen. Es ist Zeit für eine Kommissarin oder einen Kommissar für zukünftige Generationen.
Alberto Alemanno ist Jean Monnet Professor für Europarecht an der HEC Paris und Gründer von The Good Lobby, eine gemeinnützige Organisation, die für gleichberechtigten Zugang zu Entscheidungsmacht eintritt.
Elizabeth Dirth ist Geschäftsführerin am ZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien, einem gemeinnützigen Think & Do Tank, der langfristiges Denken für gegenwärtige und zukünftige Generationen fördert.
Chinas Rolle in der Klimadiplomatie ist für viele westliche Länder in doppelter Hinsicht von entscheidender Bedeutung. Auf der einen Seite ist Peking einer der wichtigsten Partner bei der globalen Energiewende und der Emissionsreduktion. Auf der anderen Seite beteiligt sich China weder in signifikantem Umfang an der internationalen Klimafinanzierung noch ist das Land bislang bereit, in den bei der COP28 in Dubai geschaffenen Fonds für Loss & Damage einzuzahlen.
Europa drängt Peking schon länger, letzteres zu korrigieren und Verantwortung als einer der weltweit größten CO₂-Emittenten zu übernehmen. Vermutlich wird dies auch im Zentrum der Gespräche stehen, wenn Europas Klimadiplomaten diese Woche zu Gast in Peking sind. Klimabeauftragte aus Deutschland, Frankreich, Dänemark, den Niederlanden sowie von der EU-Kommission sprechen seit heute unter anderem mit dem neuen chinesischen Klima-Sondergesandten Liu Zhenmin, dem Nachfolger des langjährigen Klimazaren aus Peking, Xie Zhenhua.
Über Details des Besuchs und Gesprächsinhalte ist nur wenig bekannt. Aus der Kommission heißt es, die Reise diene dem regelmäßigen Klima- und Umweltdialog zwischen EU und China. Klimakommissar Hoekstra gehört jedoch nicht zur Reisegruppe. Das für die deutsche Klimadiplomatie zuständige Auswärtige Amt teilte Table.Briefings mit, dass auch Klima-Sonderbeauftragte Jennifer Morgan nicht an der Reise teilnimmt. Die nächsten Gespräche auf allerhöchster Ebene könnten also frühestens in Berlin beim Petersberger Klimadialog Ende April erfolgen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Wochenstart!
Den Wahlkampf von Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin der christdemokratischen Parteienfamilie EVP bei der Europawahl leitet Björn Seibert. Der 43-jährige Beamte, der seit 2019 Kabinettschef der Kommissionspräsidentin ist, nimmt für den Wahlkampf unbezahlten Urlaub. Seine Auszeit als Kabinettschef endet mit dem Wahlabend am 9. Juni. Danach nimmt er unmittelbar seine Position im Berlaymont-Gebäude wieder ein.
Der EU-Beamte Alexander Winterstein wird als Sprecher die Kampagne von der Leyens begleiten. Winterstein war stellvertretender Sprecher der Kommission unter Jean-Claude Juncker. Zuletzt war der Österreicher Winterstein Direktor für politische Kommunikation in der Generaldirektion Kommunikation. Auch Winterstein nimmt eine Auszeit als EU-Beamter.
Seibert ist 2019 mit von der Leyen in die Kommission gekommen. Er war bereits im Bundesministerium für Verteidigung als Chef des Planungsstabes einer ihrer engsten Mitarbeiter. In der Kommission, in der er kein Netzwerk hatte, hat er sich schnell eingearbeitet. Seine führende Position in der Riege der Kabinettschefs hat er schnell eingenommen. Sämtliche Entscheidungen der Kommissionspräsidentin gehen über seinen Schreibtisch.
Jens Flosdorff, der die Medienarbeit der Präsidentin koordiniert und ebenfalls seit Jahren ihr enger Vertrauter ist, bleibt während der Kampagne in der Kommission. Anthony Whelan, Ratgeber der Präsidentin für Digitales, übernimmt die Aufgabe von Seibert.
Seibert und Winterstein haben ab sofort keinen Zugang mehr zu ihren Arbeitsplätzen in der Kommission und haben ihre dienstlichen Laptops und Handys abgegeben. Die Auszeit entspricht den Leitlinien für ethische Standards für die Teilnahme von Mitgliedern der Kommission an den Europawahlen, die die Kommission im Januar überarbeitet hat. Demnach dürfen Kommissare, die für das Europaparlament kandidieren oder Spitzenkandidaten sind, nicht auf Ressourcen der Kommission zurückgreifen.
“Mitglieder (der Kommission) dürfen nicht auf Mitarbeiter der Kommission oder aus den Kabinetten zurückgreifen und sich diese für die Kampagne zunutze machen…”, heißt es dort. Die Leitlinien beziehen sich nur auf den Wahlkampf für die Europawahlen. Ab dem ersten Tag nach Abschluss der Wahlen, also in diesem Fall den 10. Juni, haben sie keine Gültigkeit mehr.
Ursula von der Leyen kandidiert nicht für einen Sitz im Europaparlament. Sie ist Spitzenkandidatin der EVP und will erneut Kommissionspräsidentin werden. Im ersten Schritt strebt sie an, dass die EVP bei der Wahl wieder stärkste Kraft wird. Um Kommissionspräsidentin zu werden, muss sie die Unterstützung des Europäischen Rates haben.
Das Gremium der Mitgliedstaaten soll im Lichte des Ergebnisses der Europawahlen dem Europaparlament einen Kandidaten für die Wahl zum Kommissionspräsidenten vorschlagen. Die Wahl des neuen Kommissionspräsidenten wird frühestens beim Juli-Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg stattfinden, vermutlich aber erst im September.
Daraus ergibt sich, dass Ursula von der Leyen, deren EVP laut Sitzprojektionen für die Wahl wieder stärkste Kraft werden dürfte, ihre Kampagne für die Wiederwahl als Kommissionspräsidentin mindestens bis Mitte Juli vermutlich sogar bis zur Sitzungswoche im September fortsetzen wird. Leitlinien für diese Phase der Kampagne gibt es nicht.
Spitzenkandidat der sozialistischen Parteienfamilie ist Sozialkommissar Nicolas Schmit. Von der Leyen und Schmit behalten im Wahlkampf ihre Funktionen als Kommissionspräsidentin sowie als Kommissar. Wenn sie im Wahlkampf für die europäischen Parteienfamilien unterwegs sind, werden sie von einem Mitglied aus ihrem Kabinett begleitet. Damit wird sichergestellt, dass die Mitglieder der Kommission auch bei Wahlkampfaktivitäten ihren dienstlichen Verpflichtungen nachkommen können.
Frans Timmermans, der 2019 Spitzenkandidat der sozialistischen Parteienfamilie war, hatte für seinen Wahlkampf den EU-Beamten Tim McPhie verpflichtet. Auch McPhie hatte damals eine Auszeit in der Kommission genommen und war nach den Europawahlen in die Kommission zurückgekehrt.
Martin Schulz, der 2014 Spitzenkandidat der sozialistischen Parteienfamilie war, fordert von der Leyen auf, ihr Amt während des Wahlkampfs ruhen zu lassen. Wenn sie kandidiere, dann solle sie “nicht im Amt bleiben, den G-7-Gipfel besuchen und die Staats- und Regierungschefs treffen”, erklärte der ehemalige Präsident des Europaparlaments. Dies sei ein Gebot der Fairness.
Der Grüne Daniel Freund: “Die Regeln sind eindeutig: In den Wahlkampf von der Leyens dürfen keine EU-Ressourcen fließen – also auch kein Personal. Es ist absolut richtig, dass ihr Team jetzt in den unbezahlten Wahlkampf-Urlaub geht. Die Trennung muss strikt durchgesetzt werden.”
Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier.
Das Wichtigste am EU-US-Handels- und Technologierat (EU-US-TTC) sei, dass es ihn überhaupt gibt, sagt Bernd Lange (SPD). Der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament kann sich noch gut an die Amtszeit von Donald Trump erinnern, als Stillstand herrschte und es keine offiziellen Kontakte gab. “Ich musste mich heimlich mit meinem Bekannten aus dem US-Handelsministerium treffen”, sagt Lange.
Der TTC habe wenigstens eine Annäherung beider Seiten nach den schwierigen Jahren unter Trump gebracht, urteilt auch Laura von Daniels, Leiterin der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Von Anfang an sei es von Seiten der Biden-Administration “ganz klar das Hauptziel gewesen, über Technologie zu sprechen. Die europäische Seite wollte über Handel sprechen”, sagt Daniels.
“Im Bereich Handel haben wir nicht sehr viele Fortschritte gesehen. Aber es hat zumindest temporäre Lösungen gegeben wie zum Beispiel das Aussetzen der Zölle auf Aluminium und Stahl“, erinnert Daniels. In der späten Phase von Trump seien bereits die Weichen für Zölle auf einzelne europäische Länder wegen ihrer Digitalgesetzgebung gestellt worden, erinnert Daniels. Auch die habe Präsident Joe Biden pausiert. “Das wird oft vergessen, die Zölle können jederzeit zurückkommen.” Gleiches gilt für den Subventionsstreit bei Airbus und Boeing.
Auch aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist die reine Existenz dieses Gremiums ein Erfolg, wie auch die Tatsache, dass sich beide Seiten noch einmal hochrangig dazu verpflichtet haben, dieses Format weiterzuführen. “Wir brauchen ein Gremium, in dem wir uns über die Dinge austauschen können, die zukünftig unser Leben bestimmen werden – gerade im Bereich des Digitalen”, sagt Lange. Wie gut die Chancen dafür stehen, hängt allerdings vom Ausgang der Wahlen in Europa und den USA ab.
Die Bilanz über den EU-US-TTC fällt jedenfalls positiver aus als man erwarten dürfte bei wenig konkreten Ergebnissen und vielen Absichtsbekundungen in der Abschlusserklärung. “In den USA ist es derzeit nicht möglich, einen Vertrag durch den Kongress zu kommen, es gibt keine Bereitschaft, ein Commitment einzugehen“, erklärt Lange.
Während in Europa alle Parteien des Parlaments mit am Tisch säßen, sei der TTC in den USA ein reines Regierungsprojekt. Dennoch habe es sich bewährt, gerade in der Zeit, als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, erläutert Lange. “Als es um die Frage der Exportkontrollen und die Umsetzung der Sanktionen ging, konnten wir uns koordinieren und abstimmen. Ohne den TTC hätte das nicht geklappt, weil man keine Drähte mehr hatte.” Marktzugang und Marktöffnung, wie sich die Europäer das wünschen, stehen dagegen derzeit nicht im Fokus der US-Politik, sondern vielmehr industriepolitische Erwägungen.
“Vor dem Hintergrund der zahlreichen globalen Herausforderungen und einer zunehmenden wirtschaftlichen Entkopplung ist es hochrelevant, dass insbesondere die transatlantische Partnerschaft funktioniert”, sagt Melanie Vogelbach, Bereichsleiterin internationale Wirtschaftspolitik bei der DIHK. Da es kein Freihandelsabkommen mit den USA gebe, sei es umso wichtiger, “dass wir bei vielen technischen Details Verbesserungen für Handel und Investitionen erzielen“.
Auch in der Industriepolitik wünscht sich die deutsche Wirtschaft eine enge Kooperation mit den USA. Da kann der TTC eine wichtige Rolle spielen. Beispiele sind:
“Gerade bei Zukunftsthemen wie der Mobilfunkgeneration 6G, der Rohstoffsicherheit kritischer Mineralien oder bei künstlicher Intelligenz ist es wichtig, sich mit Partnern abzustimmen”, meint Vogelbach. Denn unterschiedliche Standardsetzungen könnten zu Herausforderungen für die Unternehmen im Handel und bei Investitionen führen. “Daher ist es ein wichtiges Ergebnis dieses Treffens, dass man hier auch künftig strukturiert zusammenzuarbeiten will.”
Dagegen habe es leider noch keine Einigung auf das Critical Raw Materials Agreement gegeben. “Das wäre tatsächlich ein ,kleines’ Handelsabkommen gewesen, das deutschen und europäischen Unternehmen bestimmte Vorteile auf dem amerikanischen Markt über den Inflation Reduction Act (IRA) beschert hätte”, erklärt Vogelbach. Der Hintergrund: Staaten, mit denen die USA ein Freihandelsabkommen haben, sind teilweise von den Lokalisierungsanforderungen des IRA ausgenommen, sodass Unternehmen aus diesen Ländern von Steuergutschriften profitieren. Wichtig wäre dies zum Beispiel für die Hersteller von Batterien für E-Autos, soweit sie Rohstoffe aus Europa einsetzen.
“Wir hätten uns natürlich auf Seiten der deutschen Wirtschaft auch Zollabbau, stärkeren Marktzugang und andere Erleichterungen für die Betriebe gewünscht”, sagt Vogelbach. Aber es sei für deutsche Unternehmen ebenso wichtig, dass nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden. Beispielsweise habe man sich jetzt auf eine Harmonisierung im Bereich der elektronischen Rechnungsstellung geeinigt. “Dass es in solchen Fragen eine Harmonisierung gibt, kann für die Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks eine Vereinfachung bedeuten“, erläutert Vogelbach.
Eine Vereinfachung und Harmonisierung wünschen sich auch die Maschinen- und Anlagenbauer. Aber: “Für unsere Industrie gibt es nicht so viele konkrete positive Ergebnisse”, sagt Niels Karssen vom Europabüro des VDMA in Brüssel. Die Maschinenbauer hätten sich ein Abkommen über die Konformitätsbewertung gewünscht. Die Absichtserklärungen hierzu seien seit 2022 jedoch nicht konkreter geworden. “Wir hatten wirklich gehofft, dass es dieses Jahr eine Einigung über die Konformitätsbewertung geben kann. Es hat viele Gespräche über das Thema gegeben, aber die Amerikaner sind daran überhaupt nicht interessiert.” Ein Grund dafür sei, dass Europa deutlich mehr Maschinen und Anlagen in die USA exportierte als umgekehrt.
So bleibt es dabei, dass ein in Europa bereits von den europäischen Sicherheitsbehörden geprüftes und für OK empfundenes Produkt in den USA erneut geprüft und eventuell komplett wieder umgebaut werden muss. “Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass eine Maschine, die wir in die USA exportieren, zwischen fünf und 18 Prozent mehr kostet, als eine Maschine für den europäischen Binnenmarkt”, erklärt Karssen.
DIHK und VDMA wünschen sich, dass die Arbeit im TTC weitergeht. Die Tatsache, dass immer mehr Länder sich jetzt auch ein Trade and Technology Council wünschten, zeige, dass das durchaus ein erfolgreiches Modell sei. “Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist es wichtig, dass der TTC auch nach den Wahlen in den USA und der EU bestehen bleibt, unabhängig von deren Ausgang”, sagt Vogelbach. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Krisen sei eine Verstetigung dieses Dialogs hochrelevant. “Ein umfassendes transatlantisches Handelsabkommen wäre aus Sicht großer Teile der deutschen Wirtschaft wünschenswert”, fügt Vogelbach hinzu. “Es scheint aber in den nächsten Jahren nicht realistisch, unabhängig davon, wer in den USA die Wahlen gewinnt.” Gerade die Zusammenarbeit bei grünen Technologien für die Transformation seien wichtig, um nicht neue Handelshemmnisse zu kreieren.
“Verhandlungen sind gut, aber wir brauchen Freihandelsabkommen, die auch in Kraft treten“, merkt Karssen vom VDMA in Bezug auf die Verhandlungen mit Mercosur und Mexiko an. “Wir dürfen die Abkommen nicht überfrachten mit Zielen, die mit Handel nichts zu tun haben”, fordert er.
In einer wichtigen Sache den Handel betreffend konnte sich die EU allerdings durchsetzen. China wird im Abschlussdokument nur dreimal erwähnt, allein zweimal im Zusammenhang mit Medizinprodukten. Beide Seiten teilten die Sorge “über Chinas nicht marktkonforme Politik und Praktiken im Bereich der Medizinprodukte”. Eine viel weitergehende Abschottung Chinas, wie es sich die USA wünschen, hat keinen Eingang in das Dokument gefunden. Die EU habe dafür gesorgt, dass der TTC “nicht zu einem Anti-China-Forum werde“, sagt Daniels von der SWP.
Für die mögliche weitere Zusammenarbeit im TTC wünscht sich der Vorsitzende des Handelsausschusses, dass sich die Dynamik des Dialogs, der sich zwischen der EU und den USA entwickelt habe, fortsetzt. “Am Anfang war man etwas überambitioniert mit einer Erklärung von 100 Seiten”, sagt Lange. “Wenn man eine Lehre daraus ziehen will, sollte die lauten, sich auf wenige wichtige Themen zu fokussieren und dafür konkretere Ergebnisse zu erzielen.” Und um auf amerikanischer Seite die Bereitschaft zum Dialog zu verstetigen, sei es wichtig, dass beide politischen Lager in die Gespräche einbezogen werden.
Im Lager des liberalen Präsidentschaftskandidaten Ivan Korčok hätte man es ahnen können: Wählerumfragen sind in der Slowakei nicht zu gebrauchen. Sie liegen gern mal völlig daneben. Als am Samstagabend die Wahllokale in dem kleinen Land unter der Hohen Tatra geschlossen hatten, veröffentlichte ein TV-Kanal eine Prognose zum Ausgang des Urnengangs: Korčok werde das Rennen machen gegen den derzeitigen sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten Peter Pellegrini. Zwar nur hauchdünn, aber immerhin.
Als dann aber Schritt für Schritt die Ergebnisse der tatsächlichen Auszählungen bekannt wurden, verdüsterten sich die Gesichter der Getreuen des früheren Außenministers Korčok in dessen Wahlkampfzentrale immer mehr. Irgendwann war klar, dass der Vorsprung von Pellegrini auch nicht mehr durch die liberalen Bastionen Bratislava und Košice aufgeholt werden könne. Am Ende erhielt Pellegrini 53 Prozent, Korčok 47 Prozent der Stimmen.
Als Korčok vor die Leute trat, mische sich in die Trauer und den Frust seiner Anhänger aber auch noch einmal so etwas wie Stolz und Unverzagtheit. “Das ist eine Niederlage, die umso schwerer wiegt, weil wir so große Erwartungen hatten. Aber wir hatten es auch mit einer äußerst schmutzigen Kampagne zu tun”, hörte man immer wieder.
Korčok hatte vor zwei Wochen die erste Runde mit einem satten Vorsprung gewonnenen. Doch der frühere Diplomat hatte damit sein Potenzial ausgereizt, wie sich jetzt zeigte. Die fast zehn Prozent höhere Wahlbeteiligung in der Stichwahl half nur Pellegrini. Der profitierte auch von den Wählern der ungarischen Minderheit, die auf den Regierungschef in Budapest hörten. Viktor Orbán hatte sich für Pellegrini stark gemacht.
Das mit der schmutzigen Kampagne ärgerte Korčok sehr. Pellegrini hatte hin als “Kandidat des Krieges” verunglimpft, der als Präsident die Slowakei direkt in den Ukrainekrieg hineinziehen wolle. Er – Pellegrini – wolle “Frieden” und warnte vor immer neuen Waffenlieferungen an die Ukrainer. Dabei berief er sich ausdrücklich auch auf Bundeskanzler Olaf Scholz. Pellegrinis Sozialdemokraten sind gemeinsam mit der SPD in einer europäischen Parteienfamilie.
Pellegrini betonte bei all seinen Vorbehalten in der Ukraine-Frage, dass die Slowakei fest in den westlichen Strukturen von EU und Nato verbleibe. “Über allem steht jedoch das Interesse der Slowakei und deren Bürger.” Krieg liege nicht in deren Interesse. Bemerkenswert auch, was Pellegrini im letzten TV-Duell äußerte. Auf den Nato-Bündnisfall angesprochen – also den Fall eines Angriffs Putins auf einen Nato-Verbündeten – sagte Pellegrini, dass die Slowakei da nicht helfend zur Seite springen könne. “Wir haben dafür derzeit nicht einmal die Waffen dafür.”
Diese Bemerkung blieb bislang ohne Reaktion der Verbündeten. Vor einem Jahr, im tschechischen Präsidentschaftswahlkampf, hatte Andrej Babiš die Frage verneint, ob er als Staatschef Polen oder den baltischen Staaten im Fall des Falles helfen würde. In Warschau war man darüber sehr erstaunt und hörbar verärgert.
Was bedeutet der Sieg von Pellegrini für die Slowakei selbst? Mit dem 49-Jährigen im Präsidentenpalais hat Regierungschef Robert Fico jetzt eine Garantie dafür, dass er durchregieren kann. Beider persönliches Verhältnis ist aus der Vergangenheit allerdings nicht ungetrübt. Pellegrini hatte einst die gemeinsame Partei von Parteichef Fico verlassen und Hlas als Konkurrenz gegründet.
Fico hielt sich aus dem Wahlkampf von Pellegrini auch auffallend heraus. Zur Siegesfeier erschien er allerdings. Und hörte dort den erhofften Treueschwur des künftigen Präsidenten: “Ich werde kein unkritischer Bewunderer der Regierung sein. Aber ich werde aus dem Präsidentenpalais mit Sicherheit keine Bastion der Opposition gegen die Regierung machen.” Er werde die Regierung in ihrem Bemühen unterstützen, das Leben der Menschen in der Slowakei zu verbessern.
Man kann davon ausgehen, dass Pellegrini den begonnenen Veränderungen, beziehungsweise entsprechenden Plänen im Justiz- und Medienbereich keine Steine in den Weg legen wird. Ficos Vorbild dabei ist erklärtermaßen Ungarns Premier Orbán.
Für die Opposition in der Slowakei brechen damit schwere Zeiten an. Man werde sich allerdings nicht unterkriegen lassen, versicherte der Chefredakteur des größten Internetportals Aktuality.sk, Peter Bárdy, in einem Brief an alle Abonnenten. “Die Demokratie und der Rechtsstaat werden Ziel permanenter Bemühungen der Regierung sein, einen autokratischen Staat zu errichten.” Die Demokratie habe eine Niederlage erlitten, aber der Wahlausgang bedeute nicht das Ende der Slowakei. Die habe weiterhin eine starke Zivilgesellschaft, auf die es jetzt mehr denn je ankomme. Hans-Jörg Schmidt
Die paneuropäische Partei Volt hat bei ihrem Kampagnenstart für die Europawahlen 2024 am Samstag in Brüssel zwei Spitzenkandidaten nominiert. Gewählt wurden die niederländische Politikerin Sophie In ‘t Veld, die sich in Belgien zur Wahl stellt, und Damian Boeselager aus Deutschland. Beide sind bereits Mitglied des Europaparlaments, wobei In ‘t Veld erst im vergangenen Jahr von Democraten 66 zu Volt wechselte.
Da die Partei sich als transnational versteht, hat Volt eine europäische Liste aufgestellt. Die hat allerdings nur symbolischen Wert. Boeselager hatte im Europaparlament das europäische Wahlrecht mitverhandelt, das eine Zweitstimme für europäische Parteien vorsieht. Beim Wahlrecht hat das Parlament ein Vorschlagsrecht. “Doch der Rat hat den Vorschlag nie verhandelt”, bedauert Boeselager. So gibt es kein europäisches, sondern nur nationale Wahlgesetze.
Eine solche Zweitstimme, argumentiert Boeselager, würde europäische Parteien sichtbar und wählbar machen. “Damit könnten die Wähler nicht mehr nur für oder gegen Europa abstimmen. Sondern sie könnten auch sagen: Ich möchte ein Europa, das konservativ ist, ein Europa, das sozialdemokratisch oder progressiv ist”, argumentiert er. “Das brächte endlich mehr Berechenbarkeit und Verlässlichkeit in die gesamte europäische Politik.” Und jede Europäerin und jeder Europäer könne dann wirklich für oder gegen einen Spitzenkandidaten stimmen.
Im Gegensatz zu den anderen Parteien tritt Volt europaweit unter dem gleichen Namen und mit dem gleichen Wahlprogramm an. “Wir haben das europäische Wahlprogramm, basierend auf dem europäischen Grundsatzprogramm, gemeinsam geschrieben. Es gibt keine nationalen Wahlprogramme parallel dazu”, sagt Boeselager.
Das Wichtigste daraus aus seiner Sicht: “Wir müssen in Europa darauf achten, wie wir handlungsfähig bleiben”, sagt der Europaabgeordnete. “Dazu gehört das Thema Sicherheit. Wir fordern schon länger als die FDP eine europäische Armee und vor allem auch eine europäische Beschaffung.” Eine weitere Forderung ist die nach einer europäischen Energiepolitik und dem Aufbau eines europäischen Energienetzes, das Europa unabhängiger von Energielieferungen außerhalb Europas machen würde.
Auch das Thema Demokratie sei zentral. “Wir werden die wichtigen Themen nur bewältigen, wenn wir anders entscheiden in Europa. Dazu gehört es, eben ein richtiges europäisches Parlament zu wählen, das eine europäische Regierung stellen kann, die dann auch handlungsfähig ist.” Die deutsche Politik betrachte Europapolitik immer noch als Außenpolitik. Das sei absurd, wenn man betrachte, dass etwa die Hälfte aller Gesetze, die durch den Bundestag gehen, EU-Gesetzgebung umsetze. “Sicherheit, Energie und Demokratie – das sind alles Themen, die wir nur sicherstellen können, wenn wir die EU weiterdenken”, meint Boeselager. vis
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Die EU, die USA und weitere Teilnehmer des Mineral Security Partnership (MSP) gründen gemeinsam mit Kasachstan, Namibia, der Ukraine und Usbekistan ein neues Forum für die Partnerschaft für die Sicherheit von Rohstoffen (MSP-Forum). Dieses soll als Plattform für die Zusammenarbeit bei kritischen Rohstoffen dienen. Dies verkündete die EU-Kommission, die die EU im MSP vertritt, am vergangenen Freitag.
Das MSP-Forum soll Länder mit einer hohen Nachfrage nach kritischen Ressourcen mit rohstoffreichen Ländern zusammenbringen. Die Mitgliedschaft in dem Forum stehe allen Partnern offen, die bereit seien, sich zur Diversifizierung der globalen Lieferketten, zu hohen Umweltstandards, verantwortungsvoller Unternehmensführung und fairen Arbeitsbedingungen zu bekennen, erklärte die EU-Kommission. Die EU und die USA werden das neue Forum gemeinsam leiten.
Am Freitag gab die EU-Kommission darüber hinaus eine neue Rohstoffpartnerschaft mit Usbekistan bekannt. Valdis Dombrovskis, dem Exekutivvizepräsidenten der Europäischen Kommission, und Laziz Kudratov, dem usbekischen Minister für Investitionen, Industrie und Handel, unterzeichneten eine entsprechende Absichtserklärung (MoU).
Die Zusammenarbeit beinhaltet unter anderem:
In Usbekistan liegen die zweitgrößten Vorkommen kritischer Rohstoffe in Zentralasien, zum Beispiel von Kupfer, Molybdän und Gold. Es ist bereits die zehnte Rohstoffpartnerschaft, die die EU mit einem Drittstaat gründet. Zu den Partnerländern gehören Kanada, Ukraine, Kasachstan, Namibia und Chile. leo
Die Bundesregierung darf den Bau von Elektrolyseuren in Deutschland mit 350 Millionen Euro fördern. Die Kommission habe die beihilferechtliche Genehmigung erteilt, teilte die Behörde am Freitag mit. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager lobte die Fördermittel der Bundesrepublik als wichtigen Schritt für die Entwicklung von erneuerbarem Wasserstoff.
Angekündigt hatte das Bundeswirtschaftsministerium die Förderung bereits im vergangenen Dezember. Deutschland nutzt für die Ausschreibung der Elektrolyseure als erster EU-Staat die Europäische Wasserstoffbank. Gebote konnten bis zum 8. Februar eingereicht werden, die Auswertung laufe noch, hieß es am Freitag. Mit der bewilligten Summe könnten bis zu 90 Megawatt an Elektrolysekapazität gefördert werden – insgesamt will Deutschland bis 2030 mindestens 10 Gigawatt erreichen. ber
Aus den Kommunalwahlen in Polen ist die nationalkonservative Oppositionspartei PiS ersten Prognosen zufolge mit leichtem Vorsprung als stärkste Kraft hervorgegangen. Bei der Wahl der 16 Regionalverwaltungen entfielen 33,7 Prozent der Stimmen auf die PiS, wie mehrere Fernsehsender am Sonntagabend unter Berufung auf Prognosen des Instituts Ipsos berichteten.
Die liberalkonservative Bürgerplattform von Regierungschef Donald Tusk landete mit 31,9 Prozent auf dem zweiten Platz. Ihr gelang ein großer Erfolg in der Hauptstadt Warschau: Der amtierende Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski wurde im ersten Wahlgang mit 59,9 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. “Hier ist der Held des heutigen Tages”, sagte Tusk am Wahlabend über Trzaskowski. Der 52-jährige Trzaskowski war bei der Präsidentenwahl 2020 nur knapp gegen Amtsinhaber Andrzej Duda unterlegen. Er hat Ambitionen, bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr erneut anzutreten.
Polens Regierungschef Donald Tusk hat für seine Partei ein gemischtes Fazit aus dem Ausgang der Kommunalwahlen gezogen. “Was freut? Ein Rekordsieg in den Städten, die Mehrheit bei den Regionalversammlungen”, schrieb er am Montag auf der Plattform X (vormals Twitter). Ärgerlich dagegen sei für seine liberalkonservative Bürgerkoalition die fehlende Mobilisierung junger Wähler sowie das schlechte Abschneiden in den ländlichen Gebieten und im Osten des Landes. “Die Schlussfolgerung für uns? Nicht jammern, an die Arbeit!”
Auch in der Hafenstadt Danzig schaffte Oberbürgermeisterin Aleksandra Dulkiewicz von Tusks Partei gleich in der ersten Runde die Wiederwahl mit 62,3 Prozent der Stimmen. In mehreren Großstädten, darunter Krakau und Breslau (Wroclaw), muss noch in einer Stichwahl am 21. April über die Besetzung des Bürgermeisteramtes entschieden werden.
Die PiS punktete im katholisch geprägten Osten und Süden des Landes. Die Partei hatte Polen von 2015 bis 2023 regiert. Im Oktober war sie zwar stärkste Partei geworden, konnte aber kein Regierungsbündnis schmieden. Das Ergebnis sei vor allem ein Ansporn zur Arbeit, sagte Parteichef Jarosław Kaczyński mit Blick auf die Europawahlen im Juni.
Bei der Wahl der Regionalverwaltungen entfielen laut den Prognosen zudem 13,5 Prozent der Stimmen auf den christlich-konservativen Dritten Weg. Das Linksbündnis Lewica landete bei 6,8 Prozent. Beide Parteien bilden mit Tusks Bürgerplattform die Regierungskoalition auf Landesebene. Die rechtsextreme Konfederacja bekam 7,5 Prozent der Stimmen.
Die gut 29 Millionen Wahlberechtigten entschieden über die Bürgermeister aller Gemeinden und Städte. Außerdem wählten sie die Mitglieder für alle 16 Regionalversammlungen, 380 Kreisräte und 2477 Gemeinderäte. Das amtliche Endergebnis wird erst in den kommenden Tagen erwartet. dpa
Die Niederlande werden offenbar den Forderungen der USA im Hinblick auf Exportbeschränkungen beim Chiphersteller ASML nachkommen. Die USA hatten zuletzt darauf gedrängt, dass der niederländische Chipriese ASML die Wartung einiger Geräte einstellt, die nach China verkauft wurden.
Die Regierung von Premierminister Mark Rutte zögert zwar, eine pauschale Entscheidung zu treffen. Doch ihre öffentlichen Erklärungen und nationalen Sicherheitsinteressen lassen darauf schließen, dass sie chinesische Wartungsanträge in Zukunft nur langsam genehmigen und schnell ablehnen dürften. Dies wäre ein Rückschlag für Chinas Versuche, seine heimische Chipindustrie aufzubauen. ASML-Geräte sind fast unmöglich zu ersetzen und gehen mit der Zeit kaputt, wenn sie nicht gewartet werden.
Es könnte aber auch die Bemühungen der Regierung Rutte erschweren, die ASML Holdings NV, das größte Unternehmen der Niederlande, ganz im Lande zu halten. Immer wieder sind Verlagerung von Aktivitäten ins Ausland ein Thema bei dem Chiphersteller.
US-Präsident Joe Biden geht hart gegen Pekings Pläne vor, eine eigene fortschrittliche Halbleiterindustrie aufzubauen. Die USA blockieren daher Chinas Zugang zu importierter Technologie und fordern ihre Verbündeten zu Unterstützung dieser Strategie auf. rtr
Zehntausende haben am Samstag in der Budapester Innenstadt gegen die Regierung von Viktor Orbán protestiert. Angeführt wurden sie von einem ehemals regierungsnahen Anwalt, Péter Magyar. Er hat vor Kurzem eine politische Bewegung ins Leben gerufen, die den Ministerpräsidenten herausfordern will.
Bei ungewöhnlich warmem Frühlingswetter marschierten die Demonstranten zum Parlament. Einige von ihnen riefen “Wir haben keine Angst” und “Orbán tritt zurück!” Viele trugen die rot-weiß-grünen Nationalfarben oder die Nationalflagge, Symbole, die sich Orbáns Partei in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu eigen gemacht hat.
“Das sind die Nationalfarben Ungarns, nicht die der Regierung“, sagte die 24-jährige Lejla, die aus Sopron, einer Stadt an der Westgrenze des Landes, nach Budapest gereist war. Jurist Magyar, 43, war mit Orbáns ehemaliger Justizministerin Judit Varga verheiratet. Es wird spekuliert, dass er seine eigene Partei gründen will.
Magyar wurde im Februar bekannt, als er aufrührerische Kommentare über die inneren Abläufe in der Regierung abgab. Er warf Antal Rogán, dem Minister, der Orbáns Büro leitet, vor, eine zentralisierte Propagandamaschine zu betreiben. Außerdem veröffentlichte er einen Mitschnitt eines Gesprächs mit seiner Ex-Frau, in dem Varga den Versuch eines ranghohen Mitarbeiters von Orbáns Kabinettschef schildert, sich in einen Bestechungsfall einzumischen. Die Staatsanwaltschaft untersucht nun diese Aussagen.
Die Untersuchung kommt für Orbán zu einem politisch heiklen Zeitpunkt vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni. Zuvor hatte schon ein Skandal um den Umgang mit sexuellem Missbrauch zwei seiner wichtigsten politischen Verbündeten – den ehemaligen Präsidenten und Varga – im Februar zu Fall gebracht. rtr
Ursprünglich wurde die Europäische Union als ein Projekt mit langfristiger Vision konzipiert. Aber gerade am Ende einer weiteren Amtszeit, scheinen ihre Strukturen sie daran zu hindern, diesem langfristigen Ziel gerecht zu werden. Jetzt ist es an der Zeit, kreativ über den nächsten Fünfjahreszyklus nachzudenken.
Der ehemalige italienische Ministerpräsident Mario Monti bezeichnete die EU oft als die “Gewerkschaft”, welche die Interessen zukünftiger Generationen vertritt. Doch trotz ihrer jahrzehntelangen Arbeit für Integration und ihrem zukunftsorientierten Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, fehlt der EU ein institutioneller Rahmen, um langfristige Perspektiven angemessen zu berücksichtigen. Strategien und politische Planungen der EU enden häufig zur Mitte des Jahrhunderts, sodass die Bedürfnisse zukünftiger Generationen vernachlässigt werden.
Ein Blick auf den schwindenden Rückhalt für Umweltpolitik genügt, um sich zu fragen, ob in der EU die richtige institutionelle Basis für echtes Zukunftsdenken vorhanden ist. Der European Green Deal wurde zum Beispiel als wegweisender “Mann-auf-dem-Mond”-Moment für die Zukunft Europas präsentiert – nun wird er zunehmend zum Sündenbock für gesellschaftliche Missstände. Politische Kurzsichtigkeit hatte bereits einige zentrale Aspekte des Green Deals untergraben, bevor er durch den vorzeitigen Abgang des Hauptverantwortlichen für seine Umsetzung, Frans Timmermans, weiter ins Stocken geriet.
Dies führte dazu, dass die EU-Kommission in einer entscheidenden Phase Wopke Hoekstra, einen Neuling mit fraglichen ökologischen Referenzen, als Verantwortlichen für den Green Deal ernennen musste. Diese kurzfristige Ernennung in einer Zeit, in der der Umwelt- und Klimaschutz auf Widerstand stößt, zeigt eine unbequeme Wahrheit: Weder politische Entscheidungsträger:innen noch Führungspersönlichkeiten werden zur Verantwortung gezogen, wenn sie nicht langfristig denken und handeln.
Die Europäische Union und ihre 27 Mitgliedstaaten bilden keine Ausnahme, wenn es darum geht, langfristige Perspektiven zu vernachlässigen. Was wir jetzt brauchen, ist eine institutionelle Vertretung, die sich authentisch für die Zukunft einsetzt. Die EU braucht in ihrer nächsten Kommission eine Kommissarin oder einen Kommissar für zukünftige Generationen.
Jeden Tag werden Maßnahmen und Investitionen beschlossen, die die Zukunft kommender Generationen prägen werden. Doch in den heutigen EU-Entscheidungsprozessen haben zukünftige Generationen weder Rechte noch Repräsentation. Dies wird sich in einem alternden Europa voraussichtlich verschlimmern.
Jugendbewegungen haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, die Stimme der zukünftigen Generationen im Bereich Klima in den Mainstream zu bringen. Doch zukunftsorientiertes Denken muss in allen Politikbereichen und Aspekten der Politik institutionalisiert werden.
Sozialer Zusammenhalt ist und bleibt eine gesamteuropäische Herausforderung. Denn generationenübergreifende sozioökonomische Benachteiligungen bestehen sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene. Studien belegen, dass Kinderarmut das Risiko von Armut im Erwachsenenalter erhöht – und gleichzeitig zeigt das IWF, dass die Kinderarmut in der EU seit Beginn der COVID-19-Pandemie um fast 20 Prozent gestiegen ist.
Dies ist nur eines von vielen Beispielen – bei Klimainvestitionen, Sozialdiensten und generationenübergreifender Armut ist eine langfristige Perspektive erforderlich, um unsere aktuellen Herausforderungen wirklich zu bewältigen.
Was genau würde eine Kommissarin oder ein Kommissar für zukünftige Generationen (oder noch besser, ein Vizepräsident oder eine Vizepräsidentin) eigentlich tun?
Zum einen würde diese Person dafür sorgen, dass zukunftsgerichtete Strategien fest in der Politik verankert werden. Seit 2019 hat die Kommission viel entwickelt, mit einem internen Netzwerk und jährlichen Berichten zur strategischen Vorausschau. Ein:e Kommissar:in für zukünftige Generationen würde solche Strategien fest in den Entscheidungsprozessen der EU etablieren. Sie könnte beispielsweise Teil des Gremiums werden, das neue Initiativen auf Zukunftsfähigkeit überprüft.
Zum anderen würde sie die Interessen zukünftiger Generationen in der gesamten Union vermitteln und sicherstellen. Als direkte Ansprechperson für Bürger:innen und Organisationen, die sich um langfristige Folgen europäischer Handlungen sorgen, würde sie Bürgerbeteiligungsverfahren, Bürgerversammlungen oder andere Methoden der Zukunftsplanung einsetzen, um einen gezielten Übergang in diese Zukunft sicherzustellen.
Es gibt zahlreiche Beispiele, von denen die EU lernen kann: Finnland, Wales, Kanada und Uruguay haben eigene Einrichtungen für zukünftige Generationen. Auch auf UN-Ebene wird über ein solches Mandat diskutiert. Sogar auf EU-Ebene hat Kommissar Šefčovič bereits ein erstes Treffen der “Minister:innen der Zukunft” einberufen. Die Grundlagen für ein neues Kommissionsressort werden bereits gelegt.
Es ist an der Zeit, die institutionelle Struktur zu schaffen, um die “Gewerkschaft” für zukünftige Generationen zu verwirklichen. Es ist Zeit für eine Kommissarin oder einen Kommissar für zukünftige Generationen.
Alberto Alemanno ist Jean Monnet Professor für Europarecht an der HEC Paris und Gründer von The Good Lobby, eine gemeinnützige Organisation, die für gleichberechtigten Zugang zu Entscheidungsmacht eintritt.
Elizabeth Dirth ist Geschäftsführerin am ZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien, einem gemeinnützigen Think & Do Tank, der langfristiges Denken für gegenwärtige und zukünftige Generationen fördert.