Table.Briefing: Europe

Ausblick Klimapolitik + Melonis Problem + Desinformation

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Mercosur-Staaten haben sich Zeit gelassen. Im März hatte ihnen die EU-Kommission ihre konkreten Forderungen übermittelt, die Nachhaltigkeitszusagen im Handelsabkommen über eine Zusatzerklärung zu erhärten. Seither wartet Brüssel auf eine offizielle Antwort. Beim EU-Lateinamerika-Gipfel Mitte Juli kündigte Brasiliens Präsident Lula da Silva dann ein Schreiben “innerhalb von zwei bis drei Wochen” an.

Bislang ist bei der Kommission nichts eingegangen, aber das könnte sich bald ändern: Noch diese, spätestens nächste Woche solle die gemeinsame Antwort der vier Staaten eintreffen, heißt es in Brüssel. Dann könnten die Verhandlungen endlich auf konkreter Grundlage fortgesetzt werden. Kanzler Olaf Scholz hatte sich beim Gipfel im Juli noch optimistisch gezeigt, dass auch die Mercosur-Staaten “es unbedingt schnell und bald zu einem Abschluss bringen wollen”.

Die Forderungen von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay aber dürften es in sich haben. Lula lehnte öffentlich sanktionsbewehrte Verpflichtungen zum Schutz des Amazonas-Gebietes ab – Brasilien habe eine “souveräne Verpflichtung, die Abholzung zu beenden“. Er dürfte zudem Unterstützung der finanzstarken Europäer fordern, damit brasilianische Produzenten die Anforderungen aus der EU-Entwaldungsverordnung umsetzen können.

Der Sozialist betonte auch, er wolle öffentliche Aufträge weiter direkt an heimische Mittelständler vergeben können. Im Handelsabkommen ist aber vereinbart, dass diese auch für EU-Firmen ausgeschrieben werden müssen. Dem Vernehmen nach geht es dem Sozialisten dabei vor allem um den Gesundheitssektor.

Für die Europäer würde das wiederum die Balance des über 20 Jahre ausgehandelten Abkommens verschieben. Schon so gibt es erheblichen Widerstand in einigen Ländern, allen voran in Frankreich.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Klimapolitischer Herbst: Warten auf REACH

Eigentlich hätte die europäische Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) schon Ende vergangenes Jahr überarbeitet werden sollen. Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beugte sich dem Druck aus Industrie und EVP und verschob die Überarbeitung um ein ganzes Jahr. Im Laufe des vierten Quartals 2023 will die Brüsseler Behörde nun ihren Vorschlag unterbreiten, wann genau ist noch nicht bekannt.

REACH reguliert sämtliche chemische Stoffe, sowohl für Industrie- als auch für Konsumprodukte. Mit der Überarbeitung will die Kommission die Verwendung besonders schädlicher Stoffe für Mensch und Natur einschränken oder ganz verbieten. Die Industrie fürchtete durch die neuen Auflagen hohe Zusatzlasten und weitere Preiserhöhungen. Angesichts der Energiekrise im Zuge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine stellte die Kommission das Vorhaben zurück, was von Umweltschützern und einigen EU-Ländern heftig kritisiert wurde.

Diese hoffen unter anderem darauf, dass REACH die Zulassungsbeschränkungen für die sogenannten Ewigkeitschemikalien (PFAS) verschärft. Zwar laufen derzeit auch Diskussionen bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) über ein weitgehendes Verbot von PFAS, doch der Prozess könnte sich noch bis 2025 hinziehen. Zudem kann die ECHA nur die Verwendung einzelner Stoffe beschränken. Durch die REACH-Reform wäre ein sogenannter Gruppenansatz für alle Chemikalien dieser Gruppe möglich, was der deutlich schnellere Weg für einen nachhaltigeren Umgang mit den Chemikalien wäre, argumentieren die Befürworter einer Überarbeitung.

Nur wenig Zeit für REACH-Überarbeitung

Allerdings ist die Zeit denkbar knapp für eine Reform noch in dieser Legislatur. Voraussichtlich bleiben nur wenige Monate für den Gesetzgebungsprozess. Im Frühjahr 2024 startet offiziell der Europawahlkampf. In dieser Zeit liegen Gesetzesvorschläge in allen Institutionen auf Eis. Das bedeutet, dass Rat und Parlament bis Weihnachten ihre Verhandlungsmandate für den Trilog festlegen müssten.

Ein beinahe unmögliches Unterfangen, denn die Gegenwehr ist groß. Die Industrie mahnt, eine sichere und nachhaltige Verwendung von Chemikalien könne bereits innerhalb des bestehenden REACH-Rahmens erreicht werden. Weitreichende Verschärfungen durch zusätzliche Datenanforderungen, Bewertungsfaktoren und Stoffbeschränkungen könnten die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Branche schwächen, schreibt der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Politisch steht die EVP hier auf der Seite der Industrie. Dass sie Gesetze mit neuen Auflagen für Betriebe verzögern können, haben die Christdemokraten beim Renaturierungsgesetz bereits unter Beweis gestellt.

Triloge: F-Gase, CO₂-Entnahmen, Trucks und Euro7

Kurz vor dem Abschluss steht die Regulierung von hochgradig klimawirksamen F-Gasen. Die Trilog-Einigung hätte eigentlich schon vor der Sommerpause kommen sollen. Doch Parlament und Rat konnten sich nicht auf die genauen Regelungen zur Verwendung von fluorierten Treibhausgasen in elektrischen Schaltanlagen, Wärmepumpen sowie dem vollständigen Phase-out von F-Gasen einigen. Über den Sommer sollten die Knackpunkte aus dem Weg geräumt worden sein, sodass das nächste (noch nicht terminierte) Treffen voraussichtlich zu einem Abschluss führen wird.

Sowohl die Mitgliedstaaten als auch das Parlament arbeiten derzeit noch an ihren Standpunkten zum Rahmenwerk für die Zertifizierung von CO₂-Entnahmen. Das Ergebnis der Verhandlungen könnte maßgebend dafür sein, welche Rolle CO₂-Speicherung künftig auf dem europäischen CO₂-Markt spielen werden.

Der Rat peilt bei den CO₂-Flottengrenzwerten für schwere Nutzfahrzeuge die allgemeine Ausrichtung am 16. Oktober an. Im Parlament soll im ENVI am 23. oder 24. Oktober über den Bericht von Yannick Jadot abgestimmt werden. Im zweiten November-Plenum in Straßburg soll das Parlament abstimmen. Danach können die Triloge starten.

Zur Schadstoffregulierung Euro 7 will der Wettbewerbsfähigkeitsrat am 25. September die allgemeine Ausrichtung festlegen. Grundlage ist der Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft, zu dem Arbeitsgruppensitzungen am 1. und 12. September geplant sind. Im Parlament stimmt der Umweltausschuss am 12. Oktober über den Bericht von Alexandr Vondra (ECR) ab. Am 9. November soll das Plenum entscheiden. Ob es gelingt, die Triloge bis zur Europawahl abzuschließen, gilt als fraglich.

Am 13. September stimmt das Europaparlament über den Bericht von Javi López zur Luftreinhaltungsverordnung ab. Im Rat dauert es noch, bis die Arbeiten an neuen Grenzwerten für Luftschadstoffe vorangehen. Die allgemeine Ausrichtung der Mitgliedstaaten ist für Dezember angepeilt. Es könnte aber sein, dass die spanische Ratspräsidentschaft den Termin vorzieht. Andernfalls könnte der Trilog frühestens im Januar beginnen, ein Abschluss bis zur Wahl wäre schwierig.

COP28: Wie positioniert sich die EU zu CCS?

Der klimapolitische Herbst wird bis in den Winter dauern, denn die UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28) beginnt erst Ende November. Für die EU geht es nach der aus ihrer Sicht gescheiterten COP27 vor allem darum, neue Quellen für die Klimafinanzierung aufzutun. Insbesondere die großen CO₂-Emittenten außerhalb der Gruppe der Industrienationen sollen in den Kreis der Geberländer aufgenommen werden. Dazu gehören ölproduzierende Länder, aber auch China. Diese weigern sich bislang, beispielsweise für Schäden und Verluste infolge des Klimawandels oder für Klimaanpassungsmaßnahmen weltweit aufzukommen.

Die EU-Staaten wollen ihr Verhandlungsmandat für die COP28 voraussichtlich beim Umweltrat am 16. Oktober festlegen. Spannend wird sein, wie sich die Länder zur Nutzung von CO₂-Abscheidungen zum Erreichen der Klimaziele positionieren. Im März hatten die EU-Minister noch den Beschluss gefasst, CCS-Technologien auch für die Nutzung fossiler Energieträger zulassen zu wollen. Zuvor galt stets die Haltung, dass CCS nur bei unvermeidbaren Emissionen in Industrieprozessen eine Rolle spielen soll.

Aus Regierungskreisen in Berlin ist zu hören, dass eine Rückkehr zur alten Position vor der COP28 als wahrscheinlich gilt. Denn CCS wird in der Energiewirtschaft als Schlupfloch für die Weiterverwendung fossiler Energien gesehen. Allerdings würde eine zu strenge Formulierung auch die Verhandlungsspielräume in Dubai einschränken, wo viele einflussreiche Länder (darunter die USA) sich für eine stärkere Berücksichtigung von CCS einsetzen dürften. Mit Markus Grabitz

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Desinformation: Studie stellt Plattformen schlechtes Zeugnis aus

Die EU muss sich bisweilen vorwerfen lassen, dass sie Informationen gut versteckt. In diesem Fall ging es ausgerechnet um eine Studie zu Desinformation, und zwar im Zusammenhang mit dem Digital Services Act (DSA). Hier stiftete die Kommission Verwirrung, weil sie die Studie vergangene Woche online stellte, aber kurz danach wieder zurückzog, um sie jetzt erneut zu veröffentlichen.

Der Bericht sei noch nicht fertig gewesen, als er versehentlich online ging, erklärte ein Sprecher der Kommission. Nun sei er fertig und deswegen dauerhaft online. Übrigens ohne Veränderung zur Version aus der Woche zuvor.

Der Inhalt der Studie jedenfalls ist brisant. Auf rund 70 Seiten legen die Autorinnen und Autoren dar, wie der Kreml seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine in sozialen Netzwerken auch digital führt. Ihr Fazit zu den Abwehrmaßnahmen ist ernüchternd: “Insgesamt waren die Bemühungen erfolglos.” Im Laufe des Jahres 2022 sei die Reichweite der vom Kreml unterstützten sozialen Medienkonten in ganz Europa erheblich angestiegen.

Verhaltenskodex greift zu kurz

Die Autoren weisen zwar darauf hin, dass während des Untersuchungszeitraums im Jahr 2022 eine wirksame Schadensbegrenzung im Rahmen des DSA noch nicht gesetzlich vorgeschrieben gewesen sei. 44 Unternehmen und Organisationen – darunter Google, Meta und Tiktok – hatten jedoch im Juni 2022 einen verschärften Verhaltenskodex gegen Desinformation unterzeichnet.

Einerseits stellten die Autoren fest, dass die anhaltenden Desinformationskampagnen des Kremls nicht nur fester Bestandteil der russischen Militäragenda sind, sondern auch Risiken für die öffentliche Sicherheit, die Grundrechte und die Wahlprozesse innerhalb der Europäischen Union bergen.

“Plattformen ignorieren übergreifende Kampagnen”

Andererseits würden die von den Online-Plattformen eingeführten Abhilfemaßnahmen in vielen Fällen den Absichten des Kremls und dem Umfang der auf Online-Plattformen eingesetzten Informationskriegstaktiken nicht gerecht. Die Plattformen hätten es versäumt, ihre Maßnahmen auf systemischer Ebene umzusetzen.

Mehr noch: Keine der Plattform habe Richtlinien eingeführt, “die sich auf alle oder auch nur die meisten vom Kreml betriebenen Konten beziehen”. Darüber hinaus ignorierten die Plattformen grundsätzlich plattformübergreifende, koordinierte Kampagnen. Infolgedessen betreibe Russland nach wie vor “riesige Netzwerke von Konten in sozialen Medien, die irreführende, entmenschlichende und gewalttätige Inhalte verbreiten und ein koordiniertes, nicht authentisches Verhalten an den Tag legen”.

Russische Propaganda weit verbreitet

Erstellt hat die Studie im Auftrag der EU-Kommission die Beratung Reset. Es habe ihn nicht überrascht, dass die Plattformbetreiber nicht umfassend und effektiv in der Abwehr von Desinformation gewesen seien, sagte Studienleiter Felix Kartte zu Table.Media. “Überrascht hat mich allerdings, welche Reichweite die Kreml-Propaganda in der EU erzielt.”

Um Desinformationen zu erkennen und zu erfassen, hat Reset unter anderem ein Tool der Google-Tochter Jigsaw genutzt. Das Tool ist dank Künstlicher Intelligenz in der Lage, große Datenmengen zu klassifizieren und toxische Inhalte zu erkennen. Google selbst fährt mit Jigsaw Kampagnen zur Aufklärung von Desinformation.

Cheap Fakes reichen schon aus

Aktuell sei es jedoch noch nicht nötig, zur Verbreitung von Desinformation KI einzusetzen, meint Kartte. Während Deep Fakes technisch aufwändiger und schwerer zu erkennen sind, reichten heute noch Cheap Fakes, billige Manipulationen an Bildern oder Audio, um von den Plattformen nicht als Fälschung erkannt zu werden. “Eigentlich braucht die Kreml-Propaganda noch nicht die technologischen Voraussetzungen für Deep Fakes”, sagte Kartte. “Das ist die Bedrohung von morgen, noch nicht von heute.”

Für die anstehenden Europawahlen sieht der frühere Mitarbeiter der EU-Kommission in der KI ein machtvolles Instrument, um Desinformationen zu produzieren und zu skalieren. Und er erwartet ein beiderseitiges Aufrüsten – auf der Seite der Angreifer wie auf der Seite derer, die Desinformation entlarven. “Ich glaube aber nicht, dass die KI das Problem lösen kann“, meint Kartte. Die Fehlerrate der automatisierten Systeme sei jedenfalls immer noch sehr hoch. “Wir brauchen mehr menschliche Aufsicht“, rät er.

Meta legt Bedrohungsbericht vor

Untätig sind die Plattformen jedoch nicht. Gerade hat Meta seinen Adversarial Threat Report vorgelegt. Darin gibt das Unternehmen regelmäßig Einblick in seine Arbeit zur Erkennung und Abwehr von Sicherheitsbedrohungen. Metas Report geht dabei entgegen der Beobachtungen von Reset über die hauseigenen Plattformen wie Facebook und Instagram hinaus und beleuchtet auch andere wie Tiktok, Youtube oder X (früher Twitter). Im Fokus des aktuellen Reports stehen China und Russland, aber auch die Türkei und der Iran.

Meta hat nach eigenen Angaben allein Tausende von Konten und Seiten zu chinesischer Propaganda entfernt. Sie seien “Teil der wohl größten bekannten plattformübergreifenden verdeckten Beeinflussungsaktion der Welt” gewesen. Mehr dazu, wie Meta “Spamouflage” auf Facebook nachgeht, lesen Sie hier.

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Italien: Meloni hat Mühe mit steigenden Migrantenzahlen

Von dem Flüchtlingsdeal mit der EU will Tunesiens Präsident Kais Saied heute nicht mehr viel wissen.

Die Zahlen steigen und steigen. Bereits Ende August dieses Jahres sind mehr Menschen über das Mittelmeer nach Italien gekommen als im gesamten Vorjahr (113.791 am 29.8.2023, 105.140 am 31.12.2022). Dabei hatte die ultrarechte Regierungschefin Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia vor ihrer Wahl versprochen, die unkontrollierte Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Der erste Sommer der Regierung Meloni war nun aber geprägt von Schlagzeilen über überfüllte Erstaufnahmeeinrichtungen und davon, dass hunderte Bürgermeister überforderter Kommunen auf die Barrikaden gehen – und zwar parteiübergreifend. 

In anderen Staaten der Europäischen Union mögen die rechten bis extrem rechten Parteien bereits frohlocken, dass sie in den steigenden Zahlen ein gefundenes Thema für ihre Kampagnen für die Europawahl im Frühjahr 2024 gefunden haben. Doch ausgerechnet für die italienische Rechte könnte genau das zum Problem werden. 

Tunesien-Deal bröselt

Mitte Juli jubelte Giorgia Meloni noch. Schließlich war sie federführend beteiligt an der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zwischen der EU und Tunesien, in der eine stärkere Zusammenarbeit bei Thema Migration beschlossen wurde. Meloni wertete dies direkt als ersten Erfolg ihrer Regierungsarbeit. Doch die immer weiter steigenden Zahlen sprechen dagegen, auch wenn die italienische Regierung diese eifrig schönrechnet. Im Mai habe der Anstieg der Anzahl der Boote, die aus Tunesien ablegten noch bei 1008 Prozent gelegen, erklärt Staatssekretär Alfredo Mantovano vor wenigen Tagen, “heute liegt er bei 386 Prozent.”

Tunesiens Präsident Kais Saied scheint sich nicht für diese Absichtserklärung zu interessieren, die unter anderem 105 Millionen Euro vonseiten der EU für mehr Grenzschutz und 150 Millionen Euro Finanzhilfen beinhaltet. Nicht nur die Zahl derer, die die Überfahrt nach Europa von Tunesien aus wagen, ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – auch die Berichte darüber, dass Migranten von Tunesien aus in die Wüste Afrikas verschleppt würden, reißen nicht ab. In der Zwischenzeit soll Saied in Saudi-Arabien einen Geldgeber gefunden haben, der weniger Bedingungen stellt, wie etwa die Einhaltung von Menschenrechten, auf die die EU pocht.

EVP-Chef Manfred Weber, der die Eindämmung der illegalen Migration für ein Schlüsselthema bei der Europawahl hält, war gerade zwei Tage in Tunesien. Er sprach zwei Stunden mit dem Präsidenten Tunesiens und pochte darauf, die Zahlen herunterzubringen: “Es geht um hohe Summen von Steuerzahlergeld, die Zahlen müssen jetzt heruntergehen.”

In der rechten Koalition beginnt Kampf um die Stimmen

Mit Blick auf die anstehenden Europawahlen endet Melonis Problem nicht bei den Zahlen. Lega-Chef Matteo Salvini ist im Kabinett Melonis Verkehrsminister und damit unter anderem für die Häfen und die Küstenwache zuständig. Nach den ersten Monaten des Einspielens und Zurechtfinden der neuen rechten Koalition aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia, beginnt zwischen den Zeilen der Kampf um die Stimmen bei der Europawahl. 

Salvini bereitet es sichtbar Freude, sich in die Angelegenheiten seiner Kollegen, allen voran die des parteilosen Innenministers Matteo Pientedosi einzumischen. “Wir brauchen ein neues Sicherheitsdekret und zwar schon im September”, forderte er am letzten Augustwochenende, nachdem an zwei Tagen auf Lampedusa rund 4000 Migranten angekommen waren. Italien dürfe nicht der Ankunftsort der Migranten aus aller Welt sein. Der Vizepremier, 2018 und 2019 selbst Innenminister, fordert inhaltsleer und publikumswirksam: Europa müsse endlich aufwachen. 

Im EU-Parlament ist die Lega bei den Rechtsextremen

Hellwach ist seine Chefin. Als ahne sie bereits, was in den kommenden Wochen und Monaten vor der Europawahl auf sie und ihre Regierungstruppe zukommt, mahnt Meloni am Montag beim ersten Ministerrat nach der Sommerpause, ihre Kollegen zur Geschlossenheit. “Gemeinsam schaffen wir viel”, sagte sie laut der Zeitung “La Repubblica” während des Treffens und fügte direkt hinzu, es sei jedoch wichtig, “dass sich jeder zuständige Minister über die Arbeit seines Kollegen im Klaren ist, um Doppelarbeit und Ressourcenstreuung zu vermeiden.”

“Gemeinsam schaffen wir viel” – ein hehrer Wunsch Melonis, der vor allem im Europawahlkampf nicht erfüllt werden wird. Die in Rom als rechte Koalition regierenden Parteien haben auf europäischer Ebene unterschiedliche Verbündete. Melonis Fratelli d’Italia sitzen mit den PiS-Abgeordneten aus Polen in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Umworben wird Meloni in Brüssel von niemand geringerem als Manfred Weber, (CSU) der die Fratelli gerne in den Kreis der EVP holen würde – um diese auf dem ersten Platz vor den Sozialdemokraten zu halten und damit weiter den Posten der Kommissionspräsidentin für seine Fraktion beanspruchen zu können.

Salvinis Lega sitzt hingegen unter anderem mit den Abgeordneten der deutschen AfD und Le Pens Rassemblement National aus Frankreich zusammen. Wo Meloni sich mit der Annäherung an Webers Fraktion ihr Image als gemäßigte Konservative festigen möchte, spielt der Lega-Chef wieder mal die Karte des Populisten. Was nicht nur den Europawahlkampf der Fratelli d’Italia erschweren wird, sondern auch die Regierungskoalition in Italien ins Wanken bringen könnte. Dass Salvini in der Lage ist, Regierungen von heute auf morgen zu Fall zu bringen, sobald er sich in einer günstigen Ausgangslage sieht, hat er mit dem Sturz der Regierung von Giuseppe Conte 2019 ausreichend bewiesen. Almut Siefert

  • Italien

Termine

01.09.-04.09.2023, Brüssel (Belgien)
Conference Freedom not Fear 2023
European activists meet with European policy makers to discuss current topics. INFOS & REGISTRATION

04.09.2023, München
FMDT E-Fuels Conference 2023
The German Federal Ministry for Digital and Transport (FMDT) invites representatives from governments, international organizations, associations, industry and academia to discuss how the market ramp-up of e-fuels can be shaped. INFOS & REGISTRATION

04.09.2023 – 18:00-19:15 Uhr, online
FNF, Diskussion Krieg in Europa: Jenseits von Putin. Russlands toxische Gesellschaft
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) geht der Geschichte der russischen Gesellschaft der letzten 30 Jahre nach. INFOS & ANMELDUNG

05.09.2023 – 09:30-15:30 Uhr, Berlin
BDEW, Konferenz KMU-Strategieforum 2023
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) diskutiert den Beitrag von KMU zur Energiewende. INFOS & ANMELDUNG

05.09.2023 – 09:30-15:30 Uhr, online
BDE, Seminar Die GewAbfV – Gewerbeabfallverordnung in der Praxis
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) stellt einen Praxisleitfaden zur Umsetzung der neuen Gewerbeabfallverordnung vor. INFOS & ANMELDUNG

05.09.2023 – 10:00-12:00 Uhr, Berlin
BMWK, Konferenz Auf dem Weg zu Net Zero: Technologien für die Transformation
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) diskutiert die Auswirkungen des EU Green Deal Industrial Plan auf die betroffenen Industriebranchen. INFOS & ANMELDUNG

05.09.2023 – 14:00 Uhr, Berlin
EBD, Diskussion EP-Berichterstatter René Repasi MdEP im Dialog zum “Recht auf Reparatur”
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) bespricht mit René Repasi die EU-Rechtsvorschrift zum Recht auf Reparatur. ANMELDUNG

05.09.2023 – 14:00-15:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch: KI im Stadtwerk
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) ordnet den Hype um das Thema künstliche Intelligenz ein. INFOS & ANMELDUNG

05.09.2023 – 15:00-18:00 Uhr, Berlin/online
Stiftung Datenschutz, Konferenz DSGVO 2024 – Chance für Entlastungen?
Die Stiftung Datenschutz geht der Frage nach, wie die Wirtschaft sich besser unterstützen lässt, um datenschutzrechtliche Anforderungen zu erfüllen. INFOS & ANMELDUNG

05.09.2023 – 17:00-18:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
Thüringen, Podiumsdiskussion Rethink Regions: Wie gelingt die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft?
Das Land Thüringen präsentiert die Ergebnisse der Studie “Wachstumspotenziale der Dekarbonisierung der Thüringer Wirtschaft”. ANMELDUNG VIA E-MAIL BIS HEUTE

05.09.2023 – 19:30-22:00 Uhr; Berlin
FAZ, Konferenz Rohstoffe und Futter statt Weizen und Gemüse: Können wir uns das noch leisten?
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) beschäftigt sich mit der Zukunft einer sicheren und nachhaltigen Grundnahrungsmittelversorgung. INFOS & ANMELDUNG

News

Munitionsbeschaffung für Ukraine kommt nur schleppend voran

Die EU droht mit ihren ambitionierten Zusagen bei der Munitionsbeschaffung für die Ukraine zu scheitern. Die Mitgliedstaaten hätten bisher 224.000 Artilleriegeschosse und 2300 Raketen geliefert, gab der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell beim informellen Treffen der Verteidigungsminister in Toledo bekannt. Damit wurde zur Halbzeit erst ein Viertel der angekündigten Munition der Ukraine zur Verfügung gestellt.

Die EU will der Ukraine bis März 2024 eine Million Geschosse zur Verfügung stellen, hauptsächlich vom Kaliber 155 Millimeter. Gemäß Track 1 sollten die Mitgliedstaaten bis Ende Mai verbliebene Munition aus ihren Beständen der Ukraine liefern und konnten in Brüssel dafür bis zu 50 Prozent des Werts als Kompensation beantragen. Neue Lieferungen sollen nun über Track 2 durch gemeinsame Bestellungen der Mitgliedstaaten erfolgen. Er sei zuversichtlich, dass die Kapazität jetzt rasch erhöht und produziert werden könne, was die EU der Ukraine versprochen habe, sagte Borrell in Toledo.

Mitgliedstaaten sollen schnell bestellen

Drei Rahmenabkommen mit der europäischen Verteidigungsindustrie sind laut dem EU-Außenbeauftragten bereits unterzeichnet. Nun müssten die Mitgliedstaaten ihre Bestellungen möglichst rasch platzieren. Deutschland und Frankreich sind hier federführend. “Wir kommen hier gut voran”, sagte Staatssekretärin Siemtje Möller, die in Toledo Verteidigungsminister Pistorius vertrat.

Über eine dritte Schiene will die EU längerfristig die Rüstungsindustrie dabei unterstützen, ihre Produktionskapazitäten auszubauen. Borrell lobte das Tempo, mit dem Mitgliedstaaten und Parlament mit ASAP noch vor der Sommerpause die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen hätten.

Estland schlägt vor, Munition in Drittstaaten zu erwerben

Für Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur reichen die Anstrengungen jedoch nicht. Die Industrie werde mehr produzieren können, aber auch dies werde den Bedarf nicht decken können. Die Ukraine könne pro Tag 6000 bis 7000 Artilleriegeschosse verschießen, während die russischen Streitkräfte an manchen Tagen 70.000 Geschosse abfeuerten. Die Mitgliedstaaten müssten noch einmal über ihre Bestände gehen und schauen, ob alte Munition aufdatiert werden könne, schlug der estnische Verteidigungsminister vor. Die EU müsse zudem bereit sein, auch Munition in Drittstaaten zu bestellen.

Man werde den estnischen Vorschlag prüfen, sagte Borrell. Der Außenbeauftragte kündigte in Toledo an, dass die EU immerhin bei der Ausbildung von ukrainischen Soldaten schneller als geplant vorankommt. So könnte das Ziel von 30.000 Soldaten nicht erst Ende des Jahres, sondern bereits Ende Oktober erreicht sein. Borrell schlägt deshalb vor, bis Ende des Jahres weitere 10.000 Frauen und Männer der ukrainischen Streitkräfte in EU-Staaten auszubilden. sti

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EU-Länder kaufen mehr LNG aus Russland

Europäische Länder haben in den ersten sieben Monaten dieses Jahres einem Bericht zufolge mehr Flüssigerdgas aus Russland gekauft als vor Moskaus Angriff auf die Ukraine. Von Januar bis Juli kauften die EU-Länder rund 22 Millionen Kubikmeter sogenanntes LNG, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung der Umweltorganisation Global Witness auf Basis von Daten des Rohstoffanalyseunternehmens Kpler hervorgeht. Das sei ein Anstieg von 40 Prozent verglichen mit dem gleichen Zeitraum 2021 – vor dem Kriegsbeginn. 2022 wurden den Angaben zufolge gut 21 Millionen Kubikmeter LNG aus Russland nach Europa importiert.

Zum Vergleich: Laut Bundesnetzagentur flossen 2021 rund 927,1 TWh Erdgas aus Russland und GUS-Staaten durch Pipelines nach Deutschland. 1 Kubikmeter LNG enthält etwa 6120 kWh. Die 2021 in die Bundesrepublik importierte Menge entspricht also etwa 151,5 Millionen Kubikmeter LNG.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 haben die EU-Länder die Einfuhr von Kohle und – mit Ausnahmen – von Rohöl aus Russland verboten und sich verpflichtet, die Einfuhr anderer fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Schätzungsweise rund 5,3 Milliarden Euro hätten die EU-Länder in den ersten sieben Monaten des Jahres für das flüssige Erdgas ausgegeben und damit 52 Prozent der russischen Exporte gekauft, hieß es in dem Bericht. 2022 gingen den Angaben nach 49 Prozent der russischen LNG-Ausfuhren nach Europa, 2021 waren es 39 Prozent.

Spanien und Belgien kaufen am meisten

Dabei sei Spanien bis Juli mit einem Bezug von 18 Prozent der zweitgrößte Abnehmer der gesamten russischen LNG-Verkäufe, nur China kaufe noch mehr (20 Prozent). 17 Prozent der Ausfuhren gingen den Angaben zufolge nach Belgien. Spanien hat mit sechs LNG-Terminals die meisten in Europa. Hier wird importiertes Flüssiggas umgewandelt. Auch vom LNG-Terminal im belgischen Zeebrügge wird das Gas weiter transportiert, auch nach Deutschland.

Jonathan Noronha-Gant von Global Witness sagte: “Europas auf fossilem Gas basierendes Energiesystem ist eine Klimakatastrophe und ein Sicherheitsrisiko, das kriegstreibende Regime finanziert und tödliche Wetterextreme anheizt.” Die Tatsache, dass die nationalen Hauptstädte mehr Flüssiggas aus Russland kaufen als vor dem Krieg, zeige, dass sich nicht schnell genug bewegt werde, um Gas durch erneuerbare Energien zu ersetzen. dpa

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Putsch in Gabun nährt Sorgen in der EU

Der Putsch im zentralafrikanischen Gabun besorgt die EU. “Die Situation in Gabun hat uns heute Morgen alle überrascht”, sagt der Außenbeauftragte Josep Borrell nach dem Treffen der EU-Verteidigungsminister im spanischen Toledo. Ein weiterer Militärputsch werde die Instabilität in der Region noch einmal erhöhen. Die französische Ministerpräsidentin Élisabeth Borne erklärte, die Lage werde genau beobachtet. 

Rund ein Dutzend Armeeoffiziere hatte am frühen Mittwochmorgen im staatlichen Fernsehen erklärt, dass sie die Präsidentschaftswahl vom Samstag annullieren würden und sämtliche Institutionen des Landes aufgelöst seien. Präsident Ali Bongo steht demnach unter Hausarrest. Einer seiner Söhne sei wegen Hochverrats verhaftet worden.

Gabun ist wichtiger Erdölproduzent

Sollte die gewaltsame Absetzung Ali Bongos Erfolg haben, wäre dies das Ende einer 53 Jahre währenden Herrschaft der Familie Bongo über Gabun. Das Land ist etwa so groß wie die alte Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung, kommt aber nur auf 2,2 Millionen Einwohner. Allerdings zählt es mit einer Fördermenge von neun Millionen Tonnen im Jahr 2021 zu den großen Erdölproduzenten der Welt.

Der Putsch in Gabun hat bei Afrika-Beobachtern die Sorge ausgelöst, der Kontinent sei in eine neue Phase der Instabilität geraten. Allerdings gibt es auch andere Interpretationen (lesen Sie hierzu die Analyse im Africa.Table).

Zuletzt hatte auch in Niger, Mali und Burkina Faso Putsche gegeben. Laut Borrell bereitet die EU Sanktionen gegen die Putschisten in Niger vor. Man werde versuchen, die gleiche Art von Strafmaßnahmen zu verhängen, wie sie die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas beschlossen habe, erklärte er. chi/sti

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Fossile Brennstoffe auf Allzeit-Tief

Fossile Brennstoffe haben in der ersten Hälfte des Jahres nur 33 Prozent des Stroms in der EU erzeugt. Das ist der niedrigste Anteil seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990, laut den Forschern der Denkfabrik Ember. Der Hauptgrund dafür war der Untersuchung zufolge die geringere Stromnachfrage, was bedeutete, dass die steigende Produktion erneuerbarer Energien einen größeren Anteil der Stromnachfrage decken konnte. Mildes Wetter, eine Politik der Verbrauchsreduzierung und hohe Gas- und Strompreise vergangenes Jahr haben Industrie und Verbraucher dazu veranlasst, den Energieverbrauch einzuschränken.

Die Stromnachfrage in der EU war von Januar bis Juni 4,6 Prozent niedriger als im gleichen Zeitraum 2022, und der Anteil der fossilen Brennstoffe an der Stromerzeugung ging von 38 Prozent im Vorjahreszeitraum auf 33 Prozent zurück. In den 27 EU-Mitgliedstaaten ging die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen in der ersten Jahreshälfte um 17 Prozent zurück, verglichen mit der ersten Jahreshälfte 2022, so Ember.

Kohlestrom verzeichnete den stärksten Rückgang. Im Mai produzierte der CO₂-intensivste fossile Energieträger zum ersten Mal weniger als 10 Prozent des EU-Stroms. Der Rückgang bei der Stromerzeugung aus Gas war weniger stark, da die EU-Länder russisches Gas durch Alternativen ersetzten.

Erneuerbare teilweise abgeschaltet

Die Erzeugung umweltfreundlicher Energie hat derweil zugenommen, da die Länder weiterhin Windparks und Solaranlagen installieren. Obwohl Wind- und Solarenergie im Zeitraum Januar-Juni 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 23 TWh mehr Strom produzierten, sagte Ember, dass dringend Maßnahmen zur Integration der erneuerbaren Energien in die Stromnetze erforderlich seien.

In Ländern wie Spanien und Polen wurde die Solarenergie zeitweise abgeschaltet, um eine Überlastung der Stromnetze zu vermeiden oder weil es billiger ist, die Solarenergie abzuschalten als fossile Kraftwerke. “Es gibt Brennpunkte, an denen die Netze überlastet sind und erneuerbare Energien gedrosselt werden”, so Ember-Analyst Chris Rosslowe. “Eine wirklich schnelle Maßnahme, ist die Beschleunigung des Einsatzes von Speicheranlagen im Netz”, sagte er. Batteriespeicherprojekte könnten sehr schnell errichtet werden.

Die Stromerzeugung aus Wasserkraft erholte sich von Januar bis Juni im Vergleich zu den dürrebedingten Tiefstständen des letzten Jahres, während die Stromerzeugung aus Kernenergie im Vergleich zum Vorjahr leicht rückläufig war. rtr

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Habeck: Sprechen mit Brüssel über Industriestrompreis

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat erklärt, sein Ministerium sei bereits mit der EU-Kommission im Gespräch über einen subventionierten Industriestrompreis. Nach der Kabinettsklausur sagte er auf eine Journalistenfrage hin: “Wir haben immer wieder mit der Kommission über den Industriestrompreis gesprochen.” Es gebe einen “fortwährenden Gesprächskanal”, in dem sein Vorschlag wiederholt Thema gewesen sei. Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden, ob sie den Vorschlag Habecks für einen reduzierten Brückenstrompreis für die Industrie weiterverfolgt.

Table.Media hatte zuvor über die Antwort der Kommission auf eine Frage des Europaabgeordneten Andreas Schwab (CDU) zum Industriestrompreis berichtet. Demnach stellte die Kommission fest, dass der Industriestrompreis EU-rechtlich als Beihilfe zu verstehen sei und von der Bundesregierung bei der Kommission angezeigt werden müsste. Zudem verwies die Kommission auf eine frühere Antwort und erklärte, dass sie einen subventionierten Industriestrompreis ablehnt, weil er nach EU-Energierecht ausdrücklich verboten wäre. mgr

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Spanien: Sánchez lehnt Pakt mit Feijóo ab

Der amtierende spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat am Mittwoch die Bitte von PP-Chef Alberto Núñez Feijóo abgelehnt, ihn bei der Abstimmung über die Regierungsbildung zu unterstützen. Stattdessen wird sich Sánchez selbst um eine neue Amtszeit bemühen, wie seine Sozialistische Partei mitteilte.

Feijóos Volkspartei gewann bei den Wahlen am 23. Juli die meisten Sitze, verfehlte aber eine funktionierende Mehrheit und versucht nun, genügend Unterstützung im Unterhaus zu erhalten. Er hatte Sánchez bei einem Treffen am Mittwoch gebeten, ihn für mindestens zwei Jahre zu unterstützen und im Gegenzug politische Zugeständnisse zu machen.

Feijóo hatte erklärt, dass ein zweijähriger Regierungspakt verlängert werden könnte, wenn beide Parteien zustimmen. “Leider ist das, was ich erhalten habe, soweit ich es verstanden habe, ein Nein”, sagte Feijóo vor Reportern. Er habe festgestellt, dass Sánchez “lieber mit Separatisten paktieren” wolle, als mit ihm “einen großen Staatspakt” zu vereinbaren, so Feijóo.

Sánchez sprach nicht mit den Medien, aber die Sprecherin der Sozialistischen Partei PSOE, Pilar Alegria, schloss eine Unterstützung für Feijóos Bewerbung um das Amt des Ministerpräsidenten aus. “Was Herr Feijóo hat, ist eine Mehrheit gegen seine Amtseinführung”, sagte Alegria. “Wenn er scheitert, und wir wissen, dass er das tun wird, werden wir uns an die Arbeit machen, einen Vorschlag unterbreiten und die Amtseinführung gewinnen.”

Eine Abstimmung ist für den 27. September geplant. Wenn die Kandidatur Feijóos abgelehnt wird, könnte es Sánchez versuchen. Der Sozialist hätte dann aber nur zwei Monate Zeit, um Neuwahlen zu verhindern. Neben den Stimmen des Linksbündnisses Sumar und kleinerer Regional-Parteien bräuchte Sánchez aber auch ein Abkommen mit der Partei Junts des in Belgien im Exil lebenden katalanischen Separatisten-Führers Carles Puigdemont. Junts fordert allerdings bisher ein Unabhängigkeitsreferendum, was Sánchez ablehnen dürfte. Als wahrscheinlicher gilt, dass beide Seiten sich auf eine Art Amnestie unter anderem für jene Katalonien-Separatisten einigen, die an dem gescheiterten Abspaltungsversuch vom Herbst 2017 teilnahmen. rtr/dpa

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Slowakei: Ex-Außenminister Korcok will Präsident werden

Der frühere slowakische Außenminister Ivan Korcok (59) hat am Mittwoch seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im kommenden Frühjahr bekannt gegeben, bei der Amtsinhaberin Zuzana Čaputová nicht mehr antritt. Korcok, der von 2020 bis 2022 Außenminister war, bewirbt sich als parteiloser Kandidat. Als Minister hatte er sich energisch für eine Unterstützung der Ukraine eingesetzt. Vor seiner Ernennung zum Minister war der Karrierediplomat unter anderem Staatssekretär sowie Botschafter der Slowakei in Deutschland (2005-2009) und in den USA (2018-2020).

In der Slowakei wird das Staatsoberhaupt direkt vom Volk für fünf Jahre gewählt. Korcok gilt derzeit als Favorit für die Wahl, deren genauer Termin noch nicht feststeht. Sein prominentester Konkurrent ist bisher ein anderer Ex-Außenminister, Jan Kubis. Der ebenfalls parteilose Kandidat war wie Korcok nur kurz (2006-2009) Außenminister. Als Diplomat hatte Kubis führende Funktionen bei den Vereinten Nationen inne und war unter anderem Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) (1999-2005) sowie Sonderbeauftragter der EU für Zentralasien. dpa

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Presseschau

EU bereitet Sanktionen gegen Putschisten im Niger vor SUEDDEUTSCHE
EU importiert mehr Flüssigerdgas aus Russland TAGESSCHAU
EU-Streitkräfte sollen weitere 10 000 ukrainische Soldaten ausbilden HANDELSBLATT
Kritik an schleppender EU-Munitionslieferung an die Ukraine STERN
Waldbrand im Nordosten Griechenlands ist größter in Geschichte der EU DERSTANDARD
Griechische Waldbrände lassen Migrationsthema wieder aufflammen EURACTIV
For Greek Fires and Other Crises, E.U. Builds Emergency Force NYTIMES
Skepsis gegen Habecks Industriestrompreis in Brüssel: “Bin überrascht, dass Berlin EU-Recht so wenig beachtet” TAGESSPIEGEL
Teilrückzug der Soros-Stiftung aus EU – Eine Lücke für Rechtspopulisten TAZ
Mehr Rohstoffe aus europäischen Böden HANDELSBLATT
Frankreich droht mit Alleingang bei der Energiemarktreform EURACTIV
EU-Experten geben grünes Licht für angepassten Covid-Impfstoff von Biontech/Pfizer RND
Pkw-Verkäufe in der EU wachsen gegenüber dem Vorjahr HEISE
Schulen auf dem Land bekommen EU-Fördermittel für neue Technik MDR
134 Salmonellenfälle in Verbindung mit Hühnerfleisch laut EU-Behörde DERSTANDARD
Italien fordert EU-Unterstützung gegen invasive Krabben EURACTIV

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Mercosur-Staaten haben sich Zeit gelassen. Im März hatte ihnen die EU-Kommission ihre konkreten Forderungen übermittelt, die Nachhaltigkeitszusagen im Handelsabkommen über eine Zusatzerklärung zu erhärten. Seither wartet Brüssel auf eine offizielle Antwort. Beim EU-Lateinamerika-Gipfel Mitte Juli kündigte Brasiliens Präsident Lula da Silva dann ein Schreiben “innerhalb von zwei bis drei Wochen” an.

    Bislang ist bei der Kommission nichts eingegangen, aber das könnte sich bald ändern: Noch diese, spätestens nächste Woche solle die gemeinsame Antwort der vier Staaten eintreffen, heißt es in Brüssel. Dann könnten die Verhandlungen endlich auf konkreter Grundlage fortgesetzt werden. Kanzler Olaf Scholz hatte sich beim Gipfel im Juli noch optimistisch gezeigt, dass auch die Mercosur-Staaten “es unbedingt schnell und bald zu einem Abschluss bringen wollen”.

    Die Forderungen von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay aber dürften es in sich haben. Lula lehnte öffentlich sanktionsbewehrte Verpflichtungen zum Schutz des Amazonas-Gebietes ab – Brasilien habe eine “souveräne Verpflichtung, die Abholzung zu beenden“. Er dürfte zudem Unterstützung der finanzstarken Europäer fordern, damit brasilianische Produzenten die Anforderungen aus der EU-Entwaldungsverordnung umsetzen können.

    Der Sozialist betonte auch, er wolle öffentliche Aufträge weiter direkt an heimische Mittelständler vergeben können. Im Handelsabkommen ist aber vereinbart, dass diese auch für EU-Firmen ausgeschrieben werden müssen. Dem Vernehmen nach geht es dem Sozialisten dabei vor allem um den Gesundheitssektor.

    Für die Europäer würde das wiederum die Balance des über 20 Jahre ausgehandelten Abkommens verschieben. Schon so gibt es erheblichen Widerstand in einigen Ländern, allen voran in Frankreich.

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Klimapolitischer Herbst: Warten auf REACH

    Eigentlich hätte die europäische Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) schon Ende vergangenes Jahr überarbeitet werden sollen. Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beugte sich dem Druck aus Industrie und EVP und verschob die Überarbeitung um ein ganzes Jahr. Im Laufe des vierten Quartals 2023 will die Brüsseler Behörde nun ihren Vorschlag unterbreiten, wann genau ist noch nicht bekannt.

    REACH reguliert sämtliche chemische Stoffe, sowohl für Industrie- als auch für Konsumprodukte. Mit der Überarbeitung will die Kommission die Verwendung besonders schädlicher Stoffe für Mensch und Natur einschränken oder ganz verbieten. Die Industrie fürchtete durch die neuen Auflagen hohe Zusatzlasten und weitere Preiserhöhungen. Angesichts der Energiekrise im Zuge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine stellte die Kommission das Vorhaben zurück, was von Umweltschützern und einigen EU-Ländern heftig kritisiert wurde.

    Diese hoffen unter anderem darauf, dass REACH die Zulassungsbeschränkungen für die sogenannten Ewigkeitschemikalien (PFAS) verschärft. Zwar laufen derzeit auch Diskussionen bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) über ein weitgehendes Verbot von PFAS, doch der Prozess könnte sich noch bis 2025 hinziehen. Zudem kann die ECHA nur die Verwendung einzelner Stoffe beschränken. Durch die REACH-Reform wäre ein sogenannter Gruppenansatz für alle Chemikalien dieser Gruppe möglich, was der deutlich schnellere Weg für einen nachhaltigeren Umgang mit den Chemikalien wäre, argumentieren die Befürworter einer Überarbeitung.

    Nur wenig Zeit für REACH-Überarbeitung

    Allerdings ist die Zeit denkbar knapp für eine Reform noch in dieser Legislatur. Voraussichtlich bleiben nur wenige Monate für den Gesetzgebungsprozess. Im Frühjahr 2024 startet offiziell der Europawahlkampf. In dieser Zeit liegen Gesetzesvorschläge in allen Institutionen auf Eis. Das bedeutet, dass Rat und Parlament bis Weihnachten ihre Verhandlungsmandate für den Trilog festlegen müssten.

    Ein beinahe unmögliches Unterfangen, denn die Gegenwehr ist groß. Die Industrie mahnt, eine sichere und nachhaltige Verwendung von Chemikalien könne bereits innerhalb des bestehenden REACH-Rahmens erreicht werden. Weitreichende Verschärfungen durch zusätzliche Datenanforderungen, Bewertungsfaktoren und Stoffbeschränkungen könnten die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Branche schwächen, schreibt der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Politisch steht die EVP hier auf der Seite der Industrie. Dass sie Gesetze mit neuen Auflagen für Betriebe verzögern können, haben die Christdemokraten beim Renaturierungsgesetz bereits unter Beweis gestellt.

    Triloge: F-Gase, CO₂-Entnahmen, Trucks und Euro7

    Kurz vor dem Abschluss steht die Regulierung von hochgradig klimawirksamen F-Gasen. Die Trilog-Einigung hätte eigentlich schon vor der Sommerpause kommen sollen. Doch Parlament und Rat konnten sich nicht auf die genauen Regelungen zur Verwendung von fluorierten Treibhausgasen in elektrischen Schaltanlagen, Wärmepumpen sowie dem vollständigen Phase-out von F-Gasen einigen. Über den Sommer sollten die Knackpunkte aus dem Weg geräumt worden sein, sodass das nächste (noch nicht terminierte) Treffen voraussichtlich zu einem Abschluss führen wird.

    Sowohl die Mitgliedstaaten als auch das Parlament arbeiten derzeit noch an ihren Standpunkten zum Rahmenwerk für die Zertifizierung von CO₂-Entnahmen. Das Ergebnis der Verhandlungen könnte maßgebend dafür sein, welche Rolle CO₂-Speicherung künftig auf dem europäischen CO₂-Markt spielen werden.

    Der Rat peilt bei den CO₂-Flottengrenzwerten für schwere Nutzfahrzeuge die allgemeine Ausrichtung am 16. Oktober an. Im Parlament soll im ENVI am 23. oder 24. Oktober über den Bericht von Yannick Jadot abgestimmt werden. Im zweiten November-Plenum in Straßburg soll das Parlament abstimmen. Danach können die Triloge starten.

    Zur Schadstoffregulierung Euro 7 will der Wettbewerbsfähigkeitsrat am 25. September die allgemeine Ausrichtung festlegen. Grundlage ist der Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft, zu dem Arbeitsgruppensitzungen am 1. und 12. September geplant sind. Im Parlament stimmt der Umweltausschuss am 12. Oktober über den Bericht von Alexandr Vondra (ECR) ab. Am 9. November soll das Plenum entscheiden. Ob es gelingt, die Triloge bis zur Europawahl abzuschließen, gilt als fraglich.

    Am 13. September stimmt das Europaparlament über den Bericht von Javi López zur Luftreinhaltungsverordnung ab. Im Rat dauert es noch, bis die Arbeiten an neuen Grenzwerten für Luftschadstoffe vorangehen. Die allgemeine Ausrichtung der Mitgliedstaaten ist für Dezember angepeilt. Es könnte aber sein, dass die spanische Ratspräsidentschaft den Termin vorzieht. Andernfalls könnte der Trilog frühestens im Januar beginnen, ein Abschluss bis zur Wahl wäre schwierig.

    COP28: Wie positioniert sich die EU zu CCS?

    Der klimapolitische Herbst wird bis in den Winter dauern, denn die UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28) beginnt erst Ende November. Für die EU geht es nach der aus ihrer Sicht gescheiterten COP27 vor allem darum, neue Quellen für die Klimafinanzierung aufzutun. Insbesondere die großen CO₂-Emittenten außerhalb der Gruppe der Industrienationen sollen in den Kreis der Geberländer aufgenommen werden. Dazu gehören ölproduzierende Länder, aber auch China. Diese weigern sich bislang, beispielsweise für Schäden und Verluste infolge des Klimawandels oder für Klimaanpassungsmaßnahmen weltweit aufzukommen.

    Die EU-Staaten wollen ihr Verhandlungsmandat für die COP28 voraussichtlich beim Umweltrat am 16. Oktober festlegen. Spannend wird sein, wie sich die Länder zur Nutzung von CO₂-Abscheidungen zum Erreichen der Klimaziele positionieren. Im März hatten die EU-Minister noch den Beschluss gefasst, CCS-Technologien auch für die Nutzung fossiler Energieträger zulassen zu wollen. Zuvor galt stets die Haltung, dass CCS nur bei unvermeidbaren Emissionen in Industrieprozessen eine Rolle spielen soll.

    Aus Regierungskreisen in Berlin ist zu hören, dass eine Rückkehr zur alten Position vor der COP28 als wahrscheinlich gilt. Denn CCS wird in der Energiewirtschaft als Schlupfloch für die Weiterverwendung fossiler Energien gesehen. Allerdings würde eine zu strenge Formulierung auch die Verhandlungsspielräume in Dubai einschränken, wo viele einflussreiche Länder (darunter die USA) sich für eine stärkere Berücksichtigung von CCS einsetzen dürften. Mit Markus Grabitz

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    Desinformation: Studie stellt Plattformen schlechtes Zeugnis aus

    Die EU muss sich bisweilen vorwerfen lassen, dass sie Informationen gut versteckt. In diesem Fall ging es ausgerechnet um eine Studie zu Desinformation, und zwar im Zusammenhang mit dem Digital Services Act (DSA). Hier stiftete die Kommission Verwirrung, weil sie die Studie vergangene Woche online stellte, aber kurz danach wieder zurückzog, um sie jetzt erneut zu veröffentlichen.

    Der Bericht sei noch nicht fertig gewesen, als er versehentlich online ging, erklärte ein Sprecher der Kommission. Nun sei er fertig und deswegen dauerhaft online. Übrigens ohne Veränderung zur Version aus der Woche zuvor.

    Der Inhalt der Studie jedenfalls ist brisant. Auf rund 70 Seiten legen die Autorinnen und Autoren dar, wie der Kreml seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine in sozialen Netzwerken auch digital führt. Ihr Fazit zu den Abwehrmaßnahmen ist ernüchternd: “Insgesamt waren die Bemühungen erfolglos.” Im Laufe des Jahres 2022 sei die Reichweite der vom Kreml unterstützten sozialen Medienkonten in ganz Europa erheblich angestiegen.

    Verhaltenskodex greift zu kurz

    Die Autoren weisen zwar darauf hin, dass während des Untersuchungszeitraums im Jahr 2022 eine wirksame Schadensbegrenzung im Rahmen des DSA noch nicht gesetzlich vorgeschrieben gewesen sei. 44 Unternehmen und Organisationen – darunter Google, Meta und Tiktok – hatten jedoch im Juni 2022 einen verschärften Verhaltenskodex gegen Desinformation unterzeichnet.

    Einerseits stellten die Autoren fest, dass die anhaltenden Desinformationskampagnen des Kremls nicht nur fester Bestandteil der russischen Militäragenda sind, sondern auch Risiken für die öffentliche Sicherheit, die Grundrechte und die Wahlprozesse innerhalb der Europäischen Union bergen.

    “Plattformen ignorieren übergreifende Kampagnen”

    Andererseits würden die von den Online-Plattformen eingeführten Abhilfemaßnahmen in vielen Fällen den Absichten des Kremls und dem Umfang der auf Online-Plattformen eingesetzten Informationskriegstaktiken nicht gerecht. Die Plattformen hätten es versäumt, ihre Maßnahmen auf systemischer Ebene umzusetzen.

    Mehr noch: Keine der Plattform habe Richtlinien eingeführt, “die sich auf alle oder auch nur die meisten vom Kreml betriebenen Konten beziehen”. Darüber hinaus ignorierten die Plattformen grundsätzlich plattformübergreifende, koordinierte Kampagnen. Infolgedessen betreibe Russland nach wie vor “riesige Netzwerke von Konten in sozialen Medien, die irreführende, entmenschlichende und gewalttätige Inhalte verbreiten und ein koordiniertes, nicht authentisches Verhalten an den Tag legen”.

    Russische Propaganda weit verbreitet

    Erstellt hat die Studie im Auftrag der EU-Kommission die Beratung Reset. Es habe ihn nicht überrascht, dass die Plattformbetreiber nicht umfassend und effektiv in der Abwehr von Desinformation gewesen seien, sagte Studienleiter Felix Kartte zu Table.Media. “Überrascht hat mich allerdings, welche Reichweite die Kreml-Propaganda in der EU erzielt.”

    Um Desinformationen zu erkennen und zu erfassen, hat Reset unter anderem ein Tool der Google-Tochter Jigsaw genutzt. Das Tool ist dank Künstlicher Intelligenz in der Lage, große Datenmengen zu klassifizieren und toxische Inhalte zu erkennen. Google selbst fährt mit Jigsaw Kampagnen zur Aufklärung von Desinformation.

    Cheap Fakes reichen schon aus

    Aktuell sei es jedoch noch nicht nötig, zur Verbreitung von Desinformation KI einzusetzen, meint Kartte. Während Deep Fakes technisch aufwändiger und schwerer zu erkennen sind, reichten heute noch Cheap Fakes, billige Manipulationen an Bildern oder Audio, um von den Plattformen nicht als Fälschung erkannt zu werden. “Eigentlich braucht die Kreml-Propaganda noch nicht die technologischen Voraussetzungen für Deep Fakes”, sagte Kartte. “Das ist die Bedrohung von morgen, noch nicht von heute.”

    Für die anstehenden Europawahlen sieht der frühere Mitarbeiter der EU-Kommission in der KI ein machtvolles Instrument, um Desinformationen zu produzieren und zu skalieren. Und er erwartet ein beiderseitiges Aufrüsten – auf der Seite der Angreifer wie auf der Seite derer, die Desinformation entlarven. “Ich glaube aber nicht, dass die KI das Problem lösen kann“, meint Kartte. Die Fehlerrate der automatisierten Systeme sei jedenfalls immer noch sehr hoch. “Wir brauchen mehr menschliche Aufsicht“, rät er.

    Meta legt Bedrohungsbericht vor

    Untätig sind die Plattformen jedoch nicht. Gerade hat Meta seinen Adversarial Threat Report vorgelegt. Darin gibt das Unternehmen regelmäßig Einblick in seine Arbeit zur Erkennung und Abwehr von Sicherheitsbedrohungen. Metas Report geht dabei entgegen der Beobachtungen von Reset über die hauseigenen Plattformen wie Facebook und Instagram hinaus und beleuchtet auch andere wie Tiktok, Youtube oder X (früher Twitter). Im Fokus des aktuellen Reports stehen China und Russland, aber auch die Türkei und der Iran.

    Meta hat nach eigenen Angaben allein Tausende von Konten und Seiten zu chinesischer Propaganda entfernt. Sie seien “Teil der wohl größten bekannten plattformübergreifenden verdeckten Beeinflussungsaktion der Welt” gewesen. Mehr dazu, wie Meta “Spamouflage” auf Facebook nachgeht, lesen Sie hier.

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    Italien: Meloni hat Mühe mit steigenden Migrantenzahlen

    Von dem Flüchtlingsdeal mit der EU will Tunesiens Präsident Kais Saied heute nicht mehr viel wissen.

    Die Zahlen steigen und steigen. Bereits Ende August dieses Jahres sind mehr Menschen über das Mittelmeer nach Italien gekommen als im gesamten Vorjahr (113.791 am 29.8.2023, 105.140 am 31.12.2022). Dabei hatte die ultrarechte Regierungschefin Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia vor ihrer Wahl versprochen, die unkontrollierte Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Der erste Sommer der Regierung Meloni war nun aber geprägt von Schlagzeilen über überfüllte Erstaufnahmeeinrichtungen und davon, dass hunderte Bürgermeister überforderter Kommunen auf die Barrikaden gehen – und zwar parteiübergreifend. 

    In anderen Staaten der Europäischen Union mögen die rechten bis extrem rechten Parteien bereits frohlocken, dass sie in den steigenden Zahlen ein gefundenes Thema für ihre Kampagnen für die Europawahl im Frühjahr 2024 gefunden haben. Doch ausgerechnet für die italienische Rechte könnte genau das zum Problem werden. 

    Tunesien-Deal bröselt

    Mitte Juli jubelte Giorgia Meloni noch. Schließlich war sie federführend beteiligt an der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zwischen der EU und Tunesien, in der eine stärkere Zusammenarbeit bei Thema Migration beschlossen wurde. Meloni wertete dies direkt als ersten Erfolg ihrer Regierungsarbeit. Doch die immer weiter steigenden Zahlen sprechen dagegen, auch wenn die italienische Regierung diese eifrig schönrechnet. Im Mai habe der Anstieg der Anzahl der Boote, die aus Tunesien ablegten noch bei 1008 Prozent gelegen, erklärt Staatssekretär Alfredo Mantovano vor wenigen Tagen, “heute liegt er bei 386 Prozent.”

    Tunesiens Präsident Kais Saied scheint sich nicht für diese Absichtserklärung zu interessieren, die unter anderem 105 Millionen Euro vonseiten der EU für mehr Grenzschutz und 150 Millionen Euro Finanzhilfen beinhaltet. Nicht nur die Zahl derer, die die Überfahrt nach Europa von Tunesien aus wagen, ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – auch die Berichte darüber, dass Migranten von Tunesien aus in die Wüste Afrikas verschleppt würden, reißen nicht ab. In der Zwischenzeit soll Saied in Saudi-Arabien einen Geldgeber gefunden haben, der weniger Bedingungen stellt, wie etwa die Einhaltung von Menschenrechten, auf die die EU pocht.

    EVP-Chef Manfred Weber, der die Eindämmung der illegalen Migration für ein Schlüsselthema bei der Europawahl hält, war gerade zwei Tage in Tunesien. Er sprach zwei Stunden mit dem Präsidenten Tunesiens und pochte darauf, die Zahlen herunterzubringen: “Es geht um hohe Summen von Steuerzahlergeld, die Zahlen müssen jetzt heruntergehen.”

    In der rechten Koalition beginnt Kampf um die Stimmen

    Mit Blick auf die anstehenden Europawahlen endet Melonis Problem nicht bei den Zahlen. Lega-Chef Matteo Salvini ist im Kabinett Melonis Verkehrsminister und damit unter anderem für die Häfen und die Küstenwache zuständig. Nach den ersten Monaten des Einspielens und Zurechtfinden der neuen rechten Koalition aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia, beginnt zwischen den Zeilen der Kampf um die Stimmen bei der Europawahl. 

    Salvini bereitet es sichtbar Freude, sich in die Angelegenheiten seiner Kollegen, allen voran die des parteilosen Innenministers Matteo Pientedosi einzumischen. “Wir brauchen ein neues Sicherheitsdekret und zwar schon im September”, forderte er am letzten Augustwochenende, nachdem an zwei Tagen auf Lampedusa rund 4000 Migranten angekommen waren. Italien dürfe nicht der Ankunftsort der Migranten aus aller Welt sein. Der Vizepremier, 2018 und 2019 selbst Innenminister, fordert inhaltsleer und publikumswirksam: Europa müsse endlich aufwachen. 

    Im EU-Parlament ist die Lega bei den Rechtsextremen

    Hellwach ist seine Chefin. Als ahne sie bereits, was in den kommenden Wochen und Monaten vor der Europawahl auf sie und ihre Regierungstruppe zukommt, mahnt Meloni am Montag beim ersten Ministerrat nach der Sommerpause, ihre Kollegen zur Geschlossenheit. “Gemeinsam schaffen wir viel”, sagte sie laut der Zeitung “La Repubblica” während des Treffens und fügte direkt hinzu, es sei jedoch wichtig, “dass sich jeder zuständige Minister über die Arbeit seines Kollegen im Klaren ist, um Doppelarbeit und Ressourcenstreuung zu vermeiden.”

    “Gemeinsam schaffen wir viel” – ein hehrer Wunsch Melonis, der vor allem im Europawahlkampf nicht erfüllt werden wird. Die in Rom als rechte Koalition regierenden Parteien haben auf europäischer Ebene unterschiedliche Verbündete. Melonis Fratelli d’Italia sitzen mit den PiS-Abgeordneten aus Polen in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Umworben wird Meloni in Brüssel von niemand geringerem als Manfred Weber, (CSU) der die Fratelli gerne in den Kreis der EVP holen würde – um diese auf dem ersten Platz vor den Sozialdemokraten zu halten und damit weiter den Posten der Kommissionspräsidentin für seine Fraktion beanspruchen zu können.

    Salvinis Lega sitzt hingegen unter anderem mit den Abgeordneten der deutschen AfD und Le Pens Rassemblement National aus Frankreich zusammen. Wo Meloni sich mit der Annäherung an Webers Fraktion ihr Image als gemäßigte Konservative festigen möchte, spielt der Lega-Chef wieder mal die Karte des Populisten. Was nicht nur den Europawahlkampf der Fratelli d’Italia erschweren wird, sondern auch die Regierungskoalition in Italien ins Wanken bringen könnte. Dass Salvini in der Lage ist, Regierungen von heute auf morgen zu Fall zu bringen, sobald er sich in einer günstigen Ausgangslage sieht, hat er mit dem Sturz der Regierung von Giuseppe Conte 2019 ausreichend bewiesen. Almut Siefert

    • Italien

    Termine

    01.09.-04.09.2023, Brüssel (Belgien)
    Conference Freedom not Fear 2023
    European activists meet with European policy makers to discuss current topics. INFOS & REGISTRATION

    04.09.2023, München
    FMDT E-Fuels Conference 2023
    The German Federal Ministry for Digital and Transport (FMDT) invites representatives from governments, international organizations, associations, industry and academia to discuss how the market ramp-up of e-fuels can be shaped. INFOS & REGISTRATION

    04.09.2023 – 18:00-19:15 Uhr, online
    FNF, Diskussion Krieg in Europa: Jenseits von Putin. Russlands toxische Gesellschaft
    Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) geht der Geschichte der russischen Gesellschaft der letzten 30 Jahre nach. INFOS & ANMELDUNG

    05.09.2023 – 09:30-15:30 Uhr, Berlin
    BDEW, Konferenz KMU-Strategieforum 2023
    Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) diskutiert den Beitrag von KMU zur Energiewende. INFOS & ANMELDUNG

    05.09.2023 – 09:30-15:30 Uhr, online
    BDE, Seminar Die GewAbfV – Gewerbeabfallverordnung in der Praxis
    Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) stellt einen Praxisleitfaden zur Umsetzung der neuen Gewerbeabfallverordnung vor. INFOS & ANMELDUNG

    05.09.2023 – 10:00-12:00 Uhr, Berlin
    BMWK, Konferenz Auf dem Weg zu Net Zero: Technologien für die Transformation
    Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) diskutiert die Auswirkungen des EU Green Deal Industrial Plan auf die betroffenen Industriebranchen. INFOS & ANMELDUNG

    05.09.2023 – 14:00 Uhr, Berlin
    EBD, Diskussion EP-Berichterstatter René Repasi MdEP im Dialog zum “Recht auf Reparatur”
    Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) bespricht mit René Repasi die EU-Rechtsvorschrift zum Recht auf Reparatur. ANMELDUNG

    05.09.2023 – 14:00-15:30 Uhr, online
    ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch: KI im Stadtwerk
    Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) ordnet den Hype um das Thema künstliche Intelligenz ein. INFOS & ANMELDUNG

    05.09.2023 – 15:00-18:00 Uhr, Berlin/online
    Stiftung Datenschutz, Konferenz DSGVO 2024 – Chance für Entlastungen?
    Die Stiftung Datenschutz geht der Frage nach, wie die Wirtschaft sich besser unterstützen lässt, um datenschutzrechtliche Anforderungen zu erfüllen. INFOS & ANMELDUNG

    05.09.2023 – 17:00-18:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
    Thüringen, Podiumsdiskussion Rethink Regions: Wie gelingt die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft?
    Das Land Thüringen präsentiert die Ergebnisse der Studie “Wachstumspotenziale der Dekarbonisierung der Thüringer Wirtschaft”. ANMELDUNG VIA E-MAIL BIS HEUTE

    05.09.2023 – 19:30-22:00 Uhr; Berlin
    FAZ, Konferenz Rohstoffe und Futter statt Weizen und Gemüse: Können wir uns das noch leisten?
    Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) beschäftigt sich mit der Zukunft einer sicheren und nachhaltigen Grundnahrungsmittelversorgung. INFOS & ANMELDUNG

    News

    Munitionsbeschaffung für Ukraine kommt nur schleppend voran

    Die EU droht mit ihren ambitionierten Zusagen bei der Munitionsbeschaffung für die Ukraine zu scheitern. Die Mitgliedstaaten hätten bisher 224.000 Artilleriegeschosse und 2300 Raketen geliefert, gab der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell beim informellen Treffen der Verteidigungsminister in Toledo bekannt. Damit wurde zur Halbzeit erst ein Viertel der angekündigten Munition der Ukraine zur Verfügung gestellt.

    Die EU will der Ukraine bis März 2024 eine Million Geschosse zur Verfügung stellen, hauptsächlich vom Kaliber 155 Millimeter. Gemäß Track 1 sollten die Mitgliedstaaten bis Ende Mai verbliebene Munition aus ihren Beständen der Ukraine liefern und konnten in Brüssel dafür bis zu 50 Prozent des Werts als Kompensation beantragen. Neue Lieferungen sollen nun über Track 2 durch gemeinsame Bestellungen der Mitgliedstaaten erfolgen. Er sei zuversichtlich, dass die Kapazität jetzt rasch erhöht und produziert werden könne, was die EU der Ukraine versprochen habe, sagte Borrell in Toledo.

    Mitgliedstaaten sollen schnell bestellen

    Drei Rahmenabkommen mit der europäischen Verteidigungsindustrie sind laut dem EU-Außenbeauftragten bereits unterzeichnet. Nun müssten die Mitgliedstaaten ihre Bestellungen möglichst rasch platzieren. Deutschland und Frankreich sind hier federführend. “Wir kommen hier gut voran”, sagte Staatssekretärin Siemtje Möller, die in Toledo Verteidigungsminister Pistorius vertrat.

    Über eine dritte Schiene will die EU längerfristig die Rüstungsindustrie dabei unterstützen, ihre Produktionskapazitäten auszubauen. Borrell lobte das Tempo, mit dem Mitgliedstaaten und Parlament mit ASAP noch vor der Sommerpause die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen hätten.

    Estland schlägt vor, Munition in Drittstaaten zu erwerben

    Für Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur reichen die Anstrengungen jedoch nicht. Die Industrie werde mehr produzieren können, aber auch dies werde den Bedarf nicht decken können. Die Ukraine könne pro Tag 6000 bis 7000 Artilleriegeschosse verschießen, während die russischen Streitkräfte an manchen Tagen 70.000 Geschosse abfeuerten. Die Mitgliedstaaten müssten noch einmal über ihre Bestände gehen und schauen, ob alte Munition aufdatiert werden könne, schlug der estnische Verteidigungsminister vor. Die EU müsse zudem bereit sein, auch Munition in Drittstaaten zu bestellen.

    Man werde den estnischen Vorschlag prüfen, sagte Borrell. Der Außenbeauftragte kündigte in Toledo an, dass die EU immerhin bei der Ausbildung von ukrainischen Soldaten schneller als geplant vorankommt. So könnte das Ziel von 30.000 Soldaten nicht erst Ende des Jahres, sondern bereits Ende Oktober erreicht sein. Borrell schlägt deshalb vor, bis Ende des Jahres weitere 10.000 Frauen und Männer der ukrainischen Streitkräfte in EU-Staaten auszubilden. sti

    • Geopolitik
    • Josep Borrell

    EU-Länder kaufen mehr LNG aus Russland

    Europäische Länder haben in den ersten sieben Monaten dieses Jahres einem Bericht zufolge mehr Flüssigerdgas aus Russland gekauft als vor Moskaus Angriff auf die Ukraine. Von Januar bis Juli kauften die EU-Länder rund 22 Millionen Kubikmeter sogenanntes LNG, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung der Umweltorganisation Global Witness auf Basis von Daten des Rohstoffanalyseunternehmens Kpler hervorgeht. Das sei ein Anstieg von 40 Prozent verglichen mit dem gleichen Zeitraum 2021 – vor dem Kriegsbeginn. 2022 wurden den Angaben zufolge gut 21 Millionen Kubikmeter LNG aus Russland nach Europa importiert.

    Zum Vergleich: Laut Bundesnetzagentur flossen 2021 rund 927,1 TWh Erdgas aus Russland und GUS-Staaten durch Pipelines nach Deutschland. 1 Kubikmeter LNG enthält etwa 6120 kWh. Die 2021 in die Bundesrepublik importierte Menge entspricht also etwa 151,5 Millionen Kubikmeter LNG.

    Seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 haben die EU-Länder die Einfuhr von Kohle und – mit Ausnahmen – von Rohöl aus Russland verboten und sich verpflichtet, die Einfuhr anderer fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Schätzungsweise rund 5,3 Milliarden Euro hätten die EU-Länder in den ersten sieben Monaten des Jahres für das flüssige Erdgas ausgegeben und damit 52 Prozent der russischen Exporte gekauft, hieß es in dem Bericht. 2022 gingen den Angaben nach 49 Prozent der russischen LNG-Ausfuhren nach Europa, 2021 waren es 39 Prozent.

    Spanien und Belgien kaufen am meisten

    Dabei sei Spanien bis Juli mit einem Bezug von 18 Prozent der zweitgrößte Abnehmer der gesamten russischen LNG-Verkäufe, nur China kaufe noch mehr (20 Prozent). 17 Prozent der Ausfuhren gingen den Angaben zufolge nach Belgien. Spanien hat mit sechs LNG-Terminals die meisten in Europa. Hier wird importiertes Flüssiggas umgewandelt. Auch vom LNG-Terminal im belgischen Zeebrügge wird das Gas weiter transportiert, auch nach Deutschland.

    Jonathan Noronha-Gant von Global Witness sagte: “Europas auf fossilem Gas basierendes Energiesystem ist eine Klimakatastrophe und ein Sicherheitsrisiko, das kriegstreibende Regime finanziert und tödliche Wetterextreme anheizt.” Die Tatsache, dass die nationalen Hauptstädte mehr Flüssiggas aus Russland kaufen als vor dem Krieg, zeige, dass sich nicht schnell genug bewegt werde, um Gas durch erneuerbare Energien zu ersetzen. dpa

    • Fossile Brennstoffe
    • LNG

    Putsch in Gabun nährt Sorgen in der EU

    Der Putsch im zentralafrikanischen Gabun besorgt die EU. “Die Situation in Gabun hat uns heute Morgen alle überrascht”, sagt der Außenbeauftragte Josep Borrell nach dem Treffen der EU-Verteidigungsminister im spanischen Toledo. Ein weiterer Militärputsch werde die Instabilität in der Region noch einmal erhöhen. Die französische Ministerpräsidentin Élisabeth Borne erklärte, die Lage werde genau beobachtet. 

    Rund ein Dutzend Armeeoffiziere hatte am frühen Mittwochmorgen im staatlichen Fernsehen erklärt, dass sie die Präsidentschaftswahl vom Samstag annullieren würden und sämtliche Institutionen des Landes aufgelöst seien. Präsident Ali Bongo steht demnach unter Hausarrest. Einer seiner Söhne sei wegen Hochverrats verhaftet worden.

    Gabun ist wichtiger Erdölproduzent

    Sollte die gewaltsame Absetzung Ali Bongos Erfolg haben, wäre dies das Ende einer 53 Jahre währenden Herrschaft der Familie Bongo über Gabun. Das Land ist etwa so groß wie die alte Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung, kommt aber nur auf 2,2 Millionen Einwohner. Allerdings zählt es mit einer Fördermenge von neun Millionen Tonnen im Jahr 2021 zu den großen Erdölproduzenten der Welt.

    Der Putsch in Gabun hat bei Afrika-Beobachtern die Sorge ausgelöst, der Kontinent sei in eine neue Phase der Instabilität geraten. Allerdings gibt es auch andere Interpretationen (lesen Sie hierzu die Analyse im Africa.Table).

    Zuletzt hatte auch in Niger, Mali und Burkina Faso Putsche gegeben. Laut Borrell bereitet die EU Sanktionen gegen die Putschisten in Niger vor. Man werde versuchen, die gleiche Art von Strafmaßnahmen zu verhängen, wie sie die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas beschlossen habe, erklärte er. chi/sti

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    Fossile Brennstoffe auf Allzeit-Tief

    Fossile Brennstoffe haben in der ersten Hälfte des Jahres nur 33 Prozent des Stroms in der EU erzeugt. Das ist der niedrigste Anteil seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990, laut den Forschern der Denkfabrik Ember. Der Hauptgrund dafür war der Untersuchung zufolge die geringere Stromnachfrage, was bedeutete, dass die steigende Produktion erneuerbarer Energien einen größeren Anteil der Stromnachfrage decken konnte. Mildes Wetter, eine Politik der Verbrauchsreduzierung und hohe Gas- und Strompreise vergangenes Jahr haben Industrie und Verbraucher dazu veranlasst, den Energieverbrauch einzuschränken.

    Die Stromnachfrage in der EU war von Januar bis Juni 4,6 Prozent niedriger als im gleichen Zeitraum 2022, und der Anteil der fossilen Brennstoffe an der Stromerzeugung ging von 38 Prozent im Vorjahreszeitraum auf 33 Prozent zurück. In den 27 EU-Mitgliedstaaten ging die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen in der ersten Jahreshälfte um 17 Prozent zurück, verglichen mit der ersten Jahreshälfte 2022, so Ember.

    Kohlestrom verzeichnete den stärksten Rückgang. Im Mai produzierte der CO₂-intensivste fossile Energieträger zum ersten Mal weniger als 10 Prozent des EU-Stroms. Der Rückgang bei der Stromerzeugung aus Gas war weniger stark, da die EU-Länder russisches Gas durch Alternativen ersetzten.

    Erneuerbare teilweise abgeschaltet

    Die Erzeugung umweltfreundlicher Energie hat derweil zugenommen, da die Länder weiterhin Windparks und Solaranlagen installieren. Obwohl Wind- und Solarenergie im Zeitraum Januar-Juni 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 23 TWh mehr Strom produzierten, sagte Ember, dass dringend Maßnahmen zur Integration der erneuerbaren Energien in die Stromnetze erforderlich seien.

    In Ländern wie Spanien und Polen wurde die Solarenergie zeitweise abgeschaltet, um eine Überlastung der Stromnetze zu vermeiden oder weil es billiger ist, die Solarenergie abzuschalten als fossile Kraftwerke. “Es gibt Brennpunkte, an denen die Netze überlastet sind und erneuerbare Energien gedrosselt werden”, so Ember-Analyst Chris Rosslowe. “Eine wirklich schnelle Maßnahme, ist die Beschleunigung des Einsatzes von Speicheranlagen im Netz”, sagte er. Batteriespeicherprojekte könnten sehr schnell errichtet werden.

    Die Stromerzeugung aus Wasserkraft erholte sich von Januar bis Juni im Vergleich zu den dürrebedingten Tiefstständen des letzten Jahres, während die Stromerzeugung aus Kernenergie im Vergleich zum Vorjahr leicht rückläufig war. rtr

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    Habeck: Sprechen mit Brüssel über Industriestrompreis

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat erklärt, sein Ministerium sei bereits mit der EU-Kommission im Gespräch über einen subventionierten Industriestrompreis. Nach der Kabinettsklausur sagte er auf eine Journalistenfrage hin: “Wir haben immer wieder mit der Kommission über den Industriestrompreis gesprochen.” Es gebe einen “fortwährenden Gesprächskanal”, in dem sein Vorschlag wiederholt Thema gewesen sei. Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden, ob sie den Vorschlag Habecks für einen reduzierten Brückenstrompreis für die Industrie weiterverfolgt.

    Table.Media hatte zuvor über die Antwort der Kommission auf eine Frage des Europaabgeordneten Andreas Schwab (CDU) zum Industriestrompreis berichtet. Demnach stellte die Kommission fest, dass der Industriestrompreis EU-rechtlich als Beihilfe zu verstehen sei und von der Bundesregierung bei der Kommission angezeigt werden müsste. Zudem verwies die Kommission auf eine frühere Antwort und erklärte, dass sie einen subventionierten Industriestrompreis ablehnt, weil er nach EU-Energierecht ausdrücklich verboten wäre. mgr

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    Spanien: Sánchez lehnt Pakt mit Feijóo ab

    Der amtierende spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat am Mittwoch die Bitte von PP-Chef Alberto Núñez Feijóo abgelehnt, ihn bei der Abstimmung über die Regierungsbildung zu unterstützen. Stattdessen wird sich Sánchez selbst um eine neue Amtszeit bemühen, wie seine Sozialistische Partei mitteilte.

    Feijóos Volkspartei gewann bei den Wahlen am 23. Juli die meisten Sitze, verfehlte aber eine funktionierende Mehrheit und versucht nun, genügend Unterstützung im Unterhaus zu erhalten. Er hatte Sánchez bei einem Treffen am Mittwoch gebeten, ihn für mindestens zwei Jahre zu unterstützen und im Gegenzug politische Zugeständnisse zu machen.

    Feijóo hatte erklärt, dass ein zweijähriger Regierungspakt verlängert werden könnte, wenn beide Parteien zustimmen. “Leider ist das, was ich erhalten habe, soweit ich es verstanden habe, ein Nein”, sagte Feijóo vor Reportern. Er habe festgestellt, dass Sánchez “lieber mit Separatisten paktieren” wolle, als mit ihm “einen großen Staatspakt” zu vereinbaren, so Feijóo.

    Sánchez sprach nicht mit den Medien, aber die Sprecherin der Sozialistischen Partei PSOE, Pilar Alegria, schloss eine Unterstützung für Feijóos Bewerbung um das Amt des Ministerpräsidenten aus. “Was Herr Feijóo hat, ist eine Mehrheit gegen seine Amtseinführung”, sagte Alegria. “Wenn er scheitert, und wir wissen, dass er das tun wird, werden wir uns an die Arbeit machen, einen Vorschlag unterbreiten und die Amtseinführung gewinnen.”

    Eine Abstimmung ist für den 27. September geplant. Wenn die Kandidatur Feijóos abgelehnt wird, könnte es Sánchez versuchen. Der Sozialist hätte dann aber nur zwei Monate Zeit, um Neuwahlen zu verhindern. Neben den Stimmen des Linksbündnisses Sumar und kleinerer Regional-Parteien bräuchte Sánchez aber auch ein Abkommen mit der Partei Junts des in Belgien im Exil lebenden katalanischen Separatisten-Führers Carles Puigdemont. Junts fordert allerdings bisher ein Unabhängigkeitsreferendum, was Sánchez ablehnen dürfte. Als wahrscheinlicher gilt, dass beide Seiten sich auf eine Art Amnestie unter anderem für jene Katalonien-Separatisten einigen, die an dem gescheiterten Abspaltungsversuch vom Herbst 2017 teilnahmen. rtr/dpa

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    Slowakei: Ex-Außenminister Korcok will Präsident werden

    Der frühere slowakische Außenminister Ivan Korcok (59) hat am Mittwoch seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im kommenden Frühjahr bekannt gegeben, bei der Amtsinhaberin Zuzana Čaputová nicht mehr antritt. Korcok, der von 2020 bis 2022 Außenminister war, bewirbt sich als parteiloser Kandidat. Als Minister hatte er sich energisch für eine Unterstützung der Ukraine eingesetzt. Vor seiner Ernennung zum Minister war der Karrierediplomat unter anderem Staatssekretär sowie Botschafter der Slowakei in Deutschland (2005-2009) und in den USA (2018-2020).

    In der Slowakei wird das Staatsoberhaupt direkt vom Volk für fünf Jahre gewählt. Korcok gilt derzeit als Favorit für die Wahl, deren genauer Termin noch nicht feststeht. Sein prominentester Konkurrent ist bisher ein anderer Ex-Außenminister, Jan Kubis. Der ebenfalls parteilose Kandidat war wie Korcok nur kurz (2006-2009) Außenminister. Als Diplomat hatte Kubis führende Funktionen bei den Vereinten Nationen inne und war unter anderem Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) (1999-2005) sowie Sonderbeauftragter der EU für Zentralasien. dpa

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    Presseschau

    EU bereitet Sanktionen gegen Putschisten im Niger vor SUEDDEUTSCHE
    EU importiert mehr Flüssigerdgas aus Russland TAGESSCHAU
    EU-Streitkräfte sollen weitere 10 000 ukrainische Soldaten ausbilden HANDELSBLATT
    Kritik an schleppender EU-Munitionslieferung an die Ukraine STERN
    Waldbrand im Nordosten Griechenlands ist größter in Geschichte der EU DERSTANDARD
    Griechische Waldbrände lassen Migrationsthema wieder aufflammen EURACTIV
    For Greek Fires and Other Crises, E.U. Builds Emergency Force NYTIMES
    Skepsis gegen Habecks Industriestrompreis in Brüssel: “Bin überrascht, dass Berlin EU-Recht so wenig beachtet” TAGESSPIEGEL
    Teilrückzug der Soros-Stiftung aus EU – Eine Lücke für Rechtspopulisten TAZ
    Mehr Rohstoffe aus europäischen Böden HANDELSBLATT
    Frankreich droht mit Alleingang bei der Energiemarktreform EURACTIV
    EU-Experten geben grünes Licht für angepassten Covid-Impfstoff von Biontech/Pfizer RND
    Pkw-Verkäufe in der EU wachsen gegenüber dem Vorjahr HEISE
    Schulen auf dem Land bekommen EU-Fördermittel für neue Technik MDR
    134 Salmonellenfälle in Verbindung mit Hühnerfleisch laut EU-Behörde DERSTANDARD
    Italien fordert EU-Unterstützung gegen invasive Krabben EURACTIV

    Europe.Table Redaktion

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