zu Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn schien nicht ausgeschlossen, dass Friedrich Merz Europa dauerhaft zu seinem Tätigkeitsfeld machen könnte. Von 1989 bis 1994 saß der Sauerländer für die CDU im Europaparlament – sein erstes Abgeordnetenmandat. Schnell zeigte sich aber, dass Merz eine Karriere im Bundestag dem EU-Betrieb vorzog. Gleichwohl ist der seit Dienstag designierte Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl im kommenden Jahr ein Europapolitiker geblieben.
Sollte Merz Kanzler werden, wäre er kein Unbekannter in Brüssel. Das wäre bei CSU-Chef Markus Söder wohl anders gewesen. Auf mindestens zwei wichtigen Politikfeldern dürfte Merz auf EU-Ebene aber weniger auf das Erreichen schmerzhafter Kompromisse denn auf das, wenn nötig, rigide Durchsetzen nationaler Interessen bedacht sein. Und damit in gewisser Weise auch nicht anders in Brüssel agieren als Olaf Scholz oder Angela Merkel vor ihm.
Das eine Feld ist die gemeinsame Aufnahme von Schulden nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds, wie sie der frühere italienische Ministerpräsident Mario Draghi gerade eben für notwendig erachtet hat, um den enormen Investitionsbedarf zu decken. Merz sieht das anders: “Ich werde alles tun, um zu vermeiden, dass sich diese Europäische Union in eine Verschuldungsspirale begibt“, sagte er kürzlich im Bundestag.
Auch in der Asyl- und Migrationspolitik dürften viele Südeuropäer manche Ideen des CDU-Politikers aus Deutschland als großes Problem ansehen. Merz’ Vorschlag, an den deutschen Grenzen pauschal Asylbewerber abzuweisen, ist in ihren Augen ein nationales Argument und keine Lösung für das Migrationsproblem, das ganz Europa betrifft.
Noch bis in die Nacht zum Dienstag hinein hatte Ursula von der Leyen an dem Puzzle ihrer neuen Kommission gesessen. Nicht allein der Last-Minute-Wechsel von Thierry Breton zu Stéphane Séjourné zwang die Kommissionspräsidentin dazu, hier und da noch umzustellen, um die vielen Wünsche der Mitgliedstaaten auszubalancieren. “Es war keine leichte Übung”, sagt ein hochrangiger Kommissionsbeamter.
Einige der “frugalen” Mitgliedstaaten hatten befürchtet, dass Vertreter von traditionell eher ausgabefreundlich und dirigistisch ausgerichteten Ländern die neue Kommission dominieren würden. Der erste Blick auf die neue Struktur mit sechs Exekutiv-Vizepräsidenten schien diese Sorgen zu bestätigen: Die Spanierin Teresa Ribera wird Erste Exekutiv-Vizepräsidentin mit Zuständigkeit für Klima und Wettbewerb, der Franzose Stéphane Séjourné für Binnenmarkt und Industrie, Raffaele Fitto aus Italien für Kohäsionspolitik. Überdies wird mit dem Polen Piotr Serafin der Vertreter eines Nettoempfängerlandes fürs Budget und die anstehenden Verhandlungen für den neuen Finanzrahmen zuständig sein.
Doch von der Leyen tariert dies aus, indem sie den drei Exekutiv-Vizepräsidenten erfahrene Kommissare mit direktem Zugang zu den Generaldirektionen an die Seite stellt. Im Falle Riberas sind das der dänische Energiekommissar Dan Jørgensen, den von der Leyen in den höchsten Tönen lobte, sowie der Niederländer Wopke Hoekstra (Klima). Séjourné wird sich mit Hoekstra und mit Valdis Dombrovskis auseinandersetzen müssen. Der Lette wird zwar vom Exekutiv-Vizepräsidenten zum einfachen Kommissar degradiert, aber unter anderem zuständig für die Defizitverfahren sein. “Der Schlüssel ist die Kontrolle über die einzelnen Dossiers”, heißt es in der Kommission.
In Berlin und Den Haag wird die neue Kommission daher recht positiv aufgenommen. Von der Leyen habe das unmögliche Puzzle recht gut gelöst, heißt es in der Bundesregierung. Aber auch die Regierung in Paris und Italiens Ministerpräsidentin zeigen sich zufrieden. “Endlich ist Italien wieder ein Hauptdarsteller in Europa”, erklärte Giorgia Meloni.
Dabei ist das neue Gefüge in der Kommission nicht leicht zu lesen. Von der Leyen will die Silos in der Behörde aufbrechen, die teils widersprüchliche Gesetzesinitiativen hervorgebracht haben. Statt in festen Berichtshierarchien sollen die Zuständigkeiten in einer Art Matrix mit vielen Querverbindungen organisiert werden. “Wir haben die früher starren Ofenrohre aufgelöst”, sagte von der Leyen. Das gesamte Kollegium solle für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit arbeiten – das sei eine der wichtigsten Empfehlungen aus dem Bericht von Mario Draghi.
Doch auch die Klimaerwärmung hat für die CDU-Politikerin weiter höchste Priorität. Um beide Themen unter einen Hut zu bringen, stellt von der Leyen gleich fünf Kommissarinnen und Kommissare ab. Die Spanierin Teresa Ribera soll über allem als Exekutiv-Vizepräsidentin wachen, anders als noch Frans Timmermans aber nicht als allmächtiger Superkommissar. Die genauen Ressort-Zuschnitte waren am Dienstag aber noch teils unklar. So rätselte selbst Klimakommissar Hoekstra noch über seinen genauen Aufgabenbereich und die Abgrenzung zu den anderen relevanten Ressorts.
Mit Ribera, Hoekstra und Jørgensen haben drei erfahrene Klimapolitiker die Verantwortung über Europas Umgang mit der Klimakrise. Alle drei haben zudem ökonomische Teilaspekte in ihrem Portfolio, die es mit den europäischen Klimazielen zu vereinen gilt. Die Kommissionspräsidentin will damit dem Nexus zwischen Klima- und Industriepolitik gerecht werden. Sowohl EVP als auch Grüne dürften im Umweltausschuss des EU-Parlaments den Kandidaten daher kaum Steine in den Weg legen.
Von der Leyen steuert auch in der Agrar- und Umweltpolitik ein Stück weit um. Mit Fitto wird der ranghöchste EKR-Vertreter in der Kommission den designierten Agrarkommissar Christophe Hansen (EVP) beaufsichtigen. In der ersten Amtszeit hatte noch der Green Deal-Kommissar Timmermans die Oberaufsicht bei Landwirtschaft und führte auch die Verhandlungen bei den Trilogen. Diese Veränderung dürfte dazu führen, dass die Vorschläge der Kommission im Bereich Landwirtschaft weniger kontrovers ausfallen.
Die Hauptzuständigkeit für die europäische Industriepolitik wird bei Stéphane Séjourné liegen. Für den Teil der Industriepolitik, der die ökologische Transformation betrifft, muss er sich aber mit Kollegin Ribera absprechen, zum Beispiel beim Clean Industrial Deal und beim Start neuer IPCEIs (Important Projects of Common European Interest). Zudem obliegt Ribera als Wettbewerbskommissarin die Kontrolle über staatliche Beihilfen, für die sie ein neues Regelwerk entwickeln soll. Noch größeren Reformbedarf sieht von der Leyen bei der Fusionskontrolle.
Séjourné soll die europäische Industrie mit einer Reihe von Gesetzesvorschlägen unterstützen, die darauf ausgerichtet sind, eine Mindestnachfrage für europäische Produktion zu generieren. So soll er per Industrial Decarbonisation Accelerator Act grüne Leitmärkte für europäische Hersteller schaffen, und die Reform der Vergaberichtlinien soll europäische Anbieter bevorzugen. Séjourné soll auch einen künftigen “European Competitiveness Fund” entwickeln.
Der Umschwung in Richtung Industriepolitik ist auch im Handelsportfolio zu sehen, das unter Séjourné in der Verantwortung von Maroš Šefčovič angesiedelt ist. Dieser nennt sich neu Kommissar für Handel und Wirtschaftssicherheit, die Generaldirektion wird in DG Trade and Economic Security umbenannt. Auch die Entwicklungspolitik soll besser auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der EU ausgerichtet sein. Der Tscheche Jozef Síkela wird das Global Gateway Programm übernehmen und soll unter anderem dafür sorgen, dass die europäische Industrie besseren Zugang zu kritischen Rohstoffen aus Drittländern erhält.
Translation missing.Den Bürokratieabbau wiederum soll Dombrovskis federführend vorantreiben. Der 53-Jährige sei erfahren und habe ein fähiges Team, um intern den versprochenen Abbau von Berichtspflichten für Unternehmen durchzusetzen, sagt ein hochrangiger Kommissionsbeamter. In seinem Pflichtenheft steht auch, ein neues Abkommen mit EU-Parlament und Rat zur besseren Rechtsetzung zu verhandeln, das auch die beiden anderen EU-Institutionen auf Folgeabschätzungen ihrer Gesetzestexte verpflichtet. Hierbei soll ihn Maroš Šefčovič als Beauftragter für die interinstitutionellen Beziehungen unterstützen.
Das Aufgabengebiet Digitales und Innovation, aus Sicht Draghis der Kern einer neuen Industriestrategie, ist gleich auf mehrere Kommissare aufgeteilt, unter Federführung der Finnin Henna Virkkunen als Exekutiv-Vizepräsidentin. Ihr zuarbeiten soll Ekatarina Sachariewa (Bulgarien), Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation, sowie Dombrovskis. Letzterer soll sich um Produktivität und Bürokratieabbau kümmern – beides mithilfe der Digitalisierung.
Die Sicherheit und Verteidigung verantworten sollen neben der estnischen Außenbeauftragten Kaja Kallas auch die Finnin Virkkunen und der neue Verteidigungskommissar Andrius Kubilius aus Litauen. Hier fehle etwas die Balance, kritisiert ein EU-Diplomat, denn alle drei plädieren schon aufgrund geografischer Nähe für einen harten Kurs gegenüber Russland. Für die innere Sicherheit und Migration soll wiederum der konservative Ex-Finanzminister Österreichs Magnus Brunner verantwortlich sein, was angesichts von Wiens Schengen-Politik für kritische Nachfragen im Europaparlament sorgen dürfte.
Die Sozialdemokraten schießen sich bereits auf Raffaele Fitto ein. Der Chef der deutschen Gruppe, René Repasi, sagte: “Ich gehe davon aus, dass S&D im Ausschuss nicht für ihn stimmen wird.” Es sei klar, dass das EKR-regierte Italien einen Kommissar stelle. Dass er aber eine herausgehobene Position bekommen solle, verstehe man nicht. Auch Liberale und Grüne haben Bedenken gegen Fitto.
Den designierten ungarischen Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi würden zumindest S&D, Renew, Grüne und Linke gerne ablehnen, weil er als Vertrauter von Ministerpräsident Viktor Orbán gilt und sich abfällig über die Europaparlamentarier geäußert hat. Auch viele Christdemokraten haben Bedenken, sprechen ihm aber die fachlichen Fähigkeiten nicht ab. EVP, S&D und Renew wollen aber auch Orbán nicht die Möglichkeit geben, die EU zu blockieren, indem sie aus Prinzip Várhelyi ablehnen und damit den Start der neuen Kommission verzögern.
Die EVP-Fraktion ist zufrieden mit dem Vorschlag für die neue Kommission. Bislang stehe keiner der 26 Bewerber auf einer Abschussliste. Sollten aber die Koordinatoren der anderen Fraktionen der Von-der-Leyen-Koalition einem der 14 EVP-Kommissare die Unterstützung verweigern, werde man sich revanchieren. Mit János Allenbach-Ammann, Markus Grabitz, Lukas Scheid, Corinna Visser
Teresa Ribera (Spanien/S&D): Exekutiv-Vizepräsidentin für einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang. Ribera soll nicht nur dafür sorgen, dass die Dekarbonisierung der Industrie im Rahmen des Green Deals vorangetrieben wird, woran sie als spanische Umweltministerin während der spanischen Ratspräsidentschaft bereits gearbeitet hat. Ihre neuen Aufgaben in der Kommission sollen sich insbesondere auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas konzentrieren. Als Wettbewerbskommissarin soll Ribera unter anderem die Leitlinien für Unternehmenszusammenschlüsse überarbeiten. Auch wenn sie ihre Kompetenzen im Wettbewerbsfähigkeit-Portfolio erst noch beweisen muss, scheinen politische Gegner großes Vertrauen in die Spanierin zu haben. EVP-Chef Manfred Weber zeigte sich am Dienstag in Straßburg erfreut, dass es keinen zweiten übermächtigen Frans Timmermans geben wird und betonte, er traue Ribera auch zu, sich über Europas Wettbewerbsfähigkeit zu kümmern. Als Exekutivvizepräsidentin beaufsichtigt sie zudem die Bereiche Klima, Umwelt und Energie.
Henna Virkkunen (Finnland/EVP): Exekutiv-Vizepräsidentin für technische Souveränität, Sicherheit und Demokratie. Von der Leyen wünscht sich von Henna Virkkunen eine zentrale Rolle in der Förderung der digitalen Transformation Europas. Sie soll die technologische Souveränität der EU stärken, indem sie wichtige Digitalgesetze wie den Digital Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA) vorantreibt. Darüber hinaus soll sie die Cybersicherheit verbessern, gegen Desinformation vorgehen und die demokratischen Institutionen der EU schützen und stärken. Die Entwicklung einer KI-Strategie gehört ebenso zu ihren Aufgaben, wie die Einrichtung eines Europäischen KI-Forschungsrats zu unterstützen. Virkkunen war Ministerin für öffentliche Verwaltung, bevor sie 2014 ins Europäische Parlament einzog. Als Ko-Berichterstatterin für einen Initiativbericht des EP über Online-Plattformen und den digitalen Binnenmarkt, gehörte sie zu den ersten Parlamentarierinnen, die sich mit dem Thema Plattformregulierung intensiv auseinandergesetzt haben.
Stéphane Séjourné (Frankreich/Renew): Exekutiv-Vizepräsident für Wohlstand und Industriestrategie. Präsident Emmanuel Macron hatte sich intensiv um ein einflussreiches Portfolio bemüht. Stéphane Séjourné, sein erst am Montag ernannter Kandidat, wird nun einer von sechs Exekutiv-Vizepräsidenten, mit Zuständigkeit für Binnenmarkt, Industrie und KMU. Der 39-jährige Jurist und Macron-Vertraute dirigiert damit eine große Generaldirektion (Grow), die noch aufgewertet wird durch die Zuständigkeiten für das Investitionsprogramm InvestEU, für IPCEI und den geplanten Wettbewerbsfähigkeitsfonds. Dafür verliert er die Zuständigkeiten für Digitales und Verteidigung, die sein Vorgänger Thierry Breton ebenfalls unter sich hatte. Séjourné gilt als gewiefter Politiker, ist aber bislang nicht als Wirtschaftsexperte aufgefallen.
Kaja Kallas (Estland/Renew): Außenbeauftragte und Vizepräsidentin. Neben von der Leyen wurde Kallas bereits vom Europäischen Rat nominiert. Offiziell lautet ihr Titel Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik. Im Mission Letter heißt es an erster Stelle, dass man in diesem Politikfeld immer die Aggression Russlands gegen die Ukraine und die westliche Werteordnung im Hinterkopf haben müsse. “Wir leben in einer Zeit geostrategischer Rivalitäten.” Sie soll binnen 100 Tagen ein Papier zur Zukunft der EU-Verteidigung vorlegen. Außerdem soll sie die Zusammenarbeit zwischen Nato und EU vertiefen. Die Gefahren Russlands muss man ihr nicht erst einschärfen: Als Regierungschefin eines kleinen Mitgliedstaates, der eine gemeinsame Grenze mit Russland hat und von Moskau immer wieder bedroht wird, wurde sie zum erbitterten Gegner und Kritiker Putins. Moskau hat darauf reagiert. Ihr Name tauchte auf einer Fahndungsliste des russischen Innenministeriums auf.
Roxana Mînzatu (Rumänien/S&D): Exekutiv-Vizepräsidentin für Menschen, Kompetenzen und Vorsorge. Je nachdem, wen man fragt, erfährt das Beschäftigungsressort eine Auf- oder Abwertung oder beides zugleich. Zum einen wird der Zuständigkeitsbereich auf Vizepräsidentinnenebene hochgestuft. In diesem angedachten Superressort soll sich die Rumänin Mînzatu um Skills und Bildung kümmern, ebenso wie Arbeit und Soziales. Sie soll zusätzlich zur DG Employment auch für die Generaldirektion Education (DG EAC) zuständig sein. Allerdings verschwindet im Titel der Verweis auf Beschäftigung und Soziales gänzlich. Kritiker befürchten mehr als eine Umetikettierung, sondern ein Nach-Hinten-Drängen der Themen. Sozialdemokratin Mînzatu selbst war vier Jahre Abgeordnete im nationalen Parlament, dann fünf Monate Ministerin für die Verwaltung der EU-Mittel und danach noch einmal Staatssekretärin mit der gleichen Aufgabe. Sie hat dabei eher technische Arbeit im Ministerium geleistet. Beobachter bezweifeln, dass sie die kommunikativen Fähigkeiten hat, ein wichtiges Politikfeld nach außen zu vertreten.
Raffaele Fitto (Italien/EKR): Exekutiv-Vizepräsident für Kohäsion und Reformen. Fittos herausgehobene Stellung ist ein Zugeständnis von der Leyens an Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Als Exekutiv-Vizepräsident soll er die Kohäsionspolitik verantworten, er spielt damit auch eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen um den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen. Fitto hat Erfahrung auf dem Gebiet, als Minister für Europäische Angelegenheiten im Kabinett Meloni war er für die rund 200 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds zuständig. Bis zu seinem Wechsel nach Rom im Herbst 2022 war er Co-Vorsitzender der rechtskonservativen EKR-Fraktion im Europaparlament – und zieht damit Kritik von den linken Kräften im Parlament auf sich.
Maroš Šefčovič (Slowakei): Kommissar für Handel und Wirtschaftssicherheit. Der 58-Jährige geht bereits in seine vierte Amtszeit in der Kommission. Für von der Leyen dient der parteilose Diplomat als Allzweckwaffe. In der neuen Kommission soll er einerseits für Handel und für Wirtschaftssicherheit verantwortlich sein, was die Verschiebung der Prioritäten zeigt. Zudem soll er in seiner zweiten Rolle die Beziehungen zum Europaparlament und zum Rat pflegen – und dabei direkt an seine Chefin berichten.
Valdis Dombrovskis (Lettland/EVP): Kommissar für Wirtschaftlichkeit und Produktivität; Umsetzung und Vereinfachung. Der aktuelle Kommissionsvizepräsident und Handelskommissar muss seinen Titel abgeben. Er wird als normaler Kommissar unter Stéphane Séjourné arbeiten. Einflussreich bleibt er dennoch, denn ihm wird DG ECFIN unterstellt. Als Gegengewicht zum Franzosen Séjourné soll Dombrovskis über die Einhaltung der EU-Fiskalregeln und die Umsetzung des Europäischen Semesters wachen. Von der Leyen beauftragt Dombrovskis zudem mit der Herkules-Aufgabe, den EU-Acquis nach Widersprüchlichkeiten und unnötigen Regulierungen zu durchforsten und zu vereinfachen. An Erfahrung mangelt es ihm nicht: Der ehemalige lettische Premierminister startet 2025 in sein elftes Jahr als EU-Kommissar.
Dubravka Šuica (Kroatien/EVP): Kommissarin für die Mittelmeerregion. Die ehemalige Demokratie- und Demografie-Kommissarin Dubravka Šuica wird in ihrer neuen Rolle für die Mittelmeerregion unter der Aufsicht von Kallas arbeiten. Ihre wichtigsten Aufgaben umfassen die Verhandlung und Umsetzung eines neuen Pakts für die Mittelmeerregion. Er soll die Zusammenarbeit in den Bereichen Migration, Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und Klimaschutz fördern. Sie wird eine neu zu schaffende Generaldirektion leiten, die sich auf die Koordination der EU-Politiken in der Mittelmeerregion konzentriert.
Olivér Várhelyi (Ungarn) – Kommissar für Gesundheit und Tierwohl. Der bisherige Erweiterungskommissar soll weitermachen – zumindest will sein Ministerpräsident Viktor Orbán das so. Von der Leyen hat dem 52-jährigen Juristen das inzwischen durchaus bedeutende Gesundheitsressort zugedacht, in der Annahme, dass er “willens und in der Lage ist zu liefern”, wie es in der Kommission heißt. Allerdings wird der Orbán-Vertraute es nicht leicht haben, die Anhörung im Europaparlament zu überstehen.
Wopke Hoekstra (Niederlande/EVP): Kommissar für Klima, Netto-Null und sauberes Wachstum. Der bisherige Klimakommissar soll im Wesentlichen sein Portfolio behalten und auch weiterhin für die internationalen Klimaverhandlungen zuständig sein. Bei der anstehenden UN-Klimakonferenz in Baku (COP29) im November wäre damit für Kontinuität bei den schwierigen Verhandlungen um Klimafinanzen gesorgt. Hoekstra soll zudem für die in dieser Legislatur anstehenden Reviews der Klimagesetzgebung (u.a. ETS und CO2-Flottenziele) sowie das Gesetzespaket für das EU-Klimaziel 2040 verantwortlich sein. Darüber hinaus ist der Niederländer für Steuern zuständig. Dazu gehört neben der Finalisierung der Verhandlungen zur Energiesteuerrichtlinie unter anderem auch die Reform der Unternehmensbesteuerung.
Andrius Kubilius (Litauen/EVP): Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt. Der frühere Ministerpräsident Litauens soll erster Verteidigungskommissar in der Geschichte der Kommission werden. Der Titel führt allerdings etwas in die Irre – Verteidigung ist ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten. Kubilius soll vielmehr dabei unterstützen, die Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie in Europa hochzufahren und die grenzüberschreitende Mobilität von Militärgerät zu verbessern. Binnen 100 Tagen nach dem Start soll er gemeinsam mit Kallas ein Weißbuch erarbeiten, in dem sie den Investitionsbedarf für eine vollausgestattete europäische Verteidigung beziffern. Zumindest im EU-Budget für diese Finanzperiode bis 2027 steht dafür aber kaum Geld dafür zur Verfügung.
Marta Kos (Slowenien): Kommissarin für Erweiterung. Auf die Slowenin kommt womöglich in dieser Legislatur die nächste EU-Erweiterungsrunde zu. Die Verhandlungen mit den Ländern auf dem Westbalkan, Georgien, Moldau und der Ukraine sollen vorangetrieben werden, weshalb Marta Kos durch ihre Herkunft prädestiniert für den Job als Erweiterungskommissarin scheint.
Jozef Síkela (Tschechien): Kommissar für internationale Partnerschaften. Jozef Síkela soll Kommissar für internationale Partnerschaften werden. Er werde die Arbeit an Global Gateway leiten und sicherstellen, dass Europa Partnerschaften abschließe, die für beide Seiten von Vorteil sind, betonte von der Leyen. Dem Gegenentwurf zu Chinas Belt and Road Initiative fehlt es seit der offiziellen Einführung immer noch an Dynamik. Der Tscheche soll Global Gateway mehr Sichtbarkeit und vorzeigbare Erfolgsprojekte verschaffen. Síkela ist derzeit Industrie- und Handelsminister in seinem Heimatland. Die Regierung in Prag hatte sich zuletzt zunehmend kritisch gegenüber China geäußert – ist aber noch Teil von Chinas 14+1-Plattform.
Costas Kadis (Zypern): Kommissar für Ozeane und Fischerei. Zyperns Regierung hatte auf den neuen Posten des Mittelmeerkommissars gesetzt, doch der ging nach Kroatien. Kadis Ressort passt inhaltlich zu dem 57-jährigen promovierten Biologen, der zuletzt als Professor Umweltwissenschaften lehrte und zuvor als Landwirtschaftsminister auch für Ökologie zuständig war. Es fehlt allerdings die geopolitische Komponente, auf die man in Nikosia gehofft hatte. Kadis soll den ersten Europäischen Ozean Pakt erarbeiten, sagte von der Leyen, ohne zu erläutern, was sich hinter der klangvollen Ankündigung verbirgt.
Maria Luís Albuquerque (Portugal/S&D): Kommissarin für Finanzdienstleistungen und für die Spar- und Investitionsunion. Die ehemalige portugiesische Finanzministerin soll sich um die europäischen Finanzmärkte kümmern. Albuquerque soll die Arbeit an der Kapitalmarktunion vorantreiben und der Fragmentierung der europäischen Kapitalmärkte entgegenwirken, sie übernimmt die Aufsicht über DG FISMA. Laut Mission Letter soll sie unter anderem die Marktüberwachung “auf EU-Ebene verbessern”, ein einfaches und günstiges Spar- und Investitionsprodukt auf EU-Ebene kreieren, den Verbriefungsmarkt für Banken wieder ankurbeln und bei der Europäischen Einlagensicherung (EDIS) “einen Weg nach vorne identifizieren”. Als Ex-Finanzministerin weiß Albuquerque, dass diese Fragen politisch sehr heikel sind und im Rat der Finanzminister schnell auf Widerstand stoßen. Im Parlaments-Hearing dürften Fragen zu Albuquerques Verbindungen in die Privatwirtschaft aufkommen. So ist sie aktuell beim europäischen Ableger der US-Bank Morgan Stanley beschäftigt sowie beim Investmentfonds “Horizon Equity Partners” – beides Firmen, die von ihren Regulierungen betroffen sein werden.
Hadja Lahbib (Belgien/Renew): Kommissarin für Krisenmanagement und Vorsorge. Die belgische Ex-Außenministerin soll das Krisenmanagement und die humanitäre Hilfe organisieren. Die Tochter algerischer Eltern berichtete für den öffentlichen Rundfunk RTBF oft aus Afghanistan und aus dem Nahen Osten, bis 2019 war sie Nachrichtensprecherin für den Sender. Im Juli 2022 wechselte sie überraschend in die Politik. In der belgischen Regierung war Lahbib zuletzt auch für den Außenhandel und die Kultur zuständig. Sie steht für eine liberale Linie, in der Nahost-Politik tritt sie regelmäßig für die Rechte der Palästinenser ein.
Magnus Brunner (Österreich/EVP): Kommissar für Innenpolitik und Migration. Brunner hatte auf ein Wirtschaftsressort gehofft, stattdessen muss sich der bisherige österreichische Finanzminister in den kommenden fünf Jahren um Inneres und Migration kümmern, eine der politisch undankbarsten Aufgaben der nächsten Kommission. Der 52-jährige ÖVP-Politiker gilt als freundlich und umgänglich, er hat aber keine Erfahrung mit hochemotionalen Themen wie Schengen und Asyl. Ein Praktikum in Brüssel brachte den Juristen einst in die Politik.
Jessika Roswall (Schweden/EVP): Kommissarin für Umwelt, Wasserversorgung und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft. Das Umweltkommissariat wurde verkleinert, indem Fischerei und Ozeane einen eigenen Kommissar bekommen sollen. Ein Schritt, den der ehemalige Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius im Gespräch mit Table.Briefings als sinnvoll bezeichnete, da die Interessen des Umweltschutzes und der Fischerei-Industrie einfach zu unterschiedlich seien. Die Schwedin Jessika Roswall soll nun unter Aufsicht von Teresa Ribera eine neue bioökonomische Strategie für die EU vorschlagen. Von der Leyen verlangt von ihr ein Gesetzespaket für die Chemieindustrie, welches eine Vereinfachung der Chemikalienverordnung REACH sowie Klarheit über den Umgang mit Ewigkeitschemikalien PFAS beinhalten soll.
Piotr Serafin (Polen/EVP): Kommissar für Haushalt und öffentliche Verwaltung. Polens Premier Donald Tusk hatte seinen EU-Botschafter in Brüssel nominiert, um das Haushaltsressort zu erobern – mit Erfolg. Serafin, ein 50-jähriger Jurist, übernimmt eine schwierige Aufgabe: Er muss die Verhandlungen um den Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2028 bis 2035 führen. Dabei helfen dürften ihm seine Kontakte in die Regierungszentralen, die er als Kabinettschef des früheren Ratspräsidenten Tusk aufgebaut hat. (siehe Porträt in dieser Ausgabe).
Dan Jørgensen (Dänemark/S&D): Kommissar für Energie und Wohnen. Dänemarks ehemaliger Energieminister soll Europas Energieunion vorantreiben. Jørgensen kommt aus einem Wärmepumpen-Land, was zweifellos auch als politisches Signal gesehen werden kann. Von der Leyen will, dass ihr neuer Energiekommissar die Energiepreise senkt, indem er eine Initiative zur Förderung des Erneuerbaren-Ausbaus und der Energiespeicherung auf den Weg bringt. Mit einem Aktionsplan zur Elektrifizierung soll Jørgensen zum einen russische Energieimporte beenden und zum anderen den industriellen Wandel mit sauberem Strom ermöglichen. Dabei arbeitet er unter der Aufsicht von Exekutivvizepräsidentin Teresa Ribera. Außerdem ist Jørgensen für den Wohnsektor zuständig, in dem er den ersten europäischen Plan für bezahlbaren Wohnraum erarbeiten und zusammen mit der EZB eine paneuropäische Investitionsplattform für nachhaltigen und erschwinglichen Wohnraum aufbauen soll. Während Jørgensen beim Thema Energie bereits einschlägige Vorerfahrungen mitbringt, im Bereich Wohnen hat er bisher keine. Die Verbände stehen ihm in der Hinsicht offen gegenüber: Das bringe man ihm liebend gerne bei, sagt etwa Barbara Steenbergen vom Europäischen Mieterbund IUT.
Ekaterina Zaharieva (Bulgarien/EVP): Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation. Zaharieva ist vorgesehen für ein Ressort, das ihre Landsfrau Mariya Gabriel schon einmal innehatte. Die 49-jährige Juristin bringt Erfahrung aus mehreren Ministerämtern in ihrer Heimat mit und war Vize-Premier. Die Juristin wurde von einer Whistleblowerin beschuldigt, in den illegalen Verkauf bulgarischer Pässe verwickelt zu sein. Untersuchungen bulgarischer Behörden verliefen im Sand, der Skandal wurde nie abschließend aufgeklärt.
Michael McGrath (Irland/Renew): Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit. Der aktuelle irische Finanzminister und diplomierte Buchhalter Michael McGrath muss in Brüssel Neuland betreten. Er wurde von der Kommissionspräsidentin zum Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit nominiert. Das wird ihn unter anderem in Konflikt mit Ungarns Viktor Orbán bringen, denn McGrath wird die Rechtsstaatlichkeitsberichte verantworten, die mitentscheiden, ob Ungarn EU-Gelder ausbezahlt erhält oder nicht. Auch im Justiz-Bereich erwarten ihn große Aufgaben, so soll er laut Mission Letter ein 28. Regime entwickeln – eine Art europäisches Unternehmensrecht für innovative Unternehmen, die sich dann nicht mehr mit 27 nationalen Regulierungen rumschlagen müssen. Der Widerstand aus den Mitgliedstaaten ist ihm gewiss.
Apostolos Tzitzikostas (Griechenland/EVP): Kommissar für nachhaltigen Transport und Tourismus. Er wurde von Premier Kyriakos Mitsotakis nach Brüssel geschickt, um den rechten Parteiflügel der konservativen Regierungspartei stärker einzubinden. Im Aufgabenbereich Verkehr und Touristik wird die ideologische Ausrichtung des bisherigen Gouverneurs der Region Nordmazedonien eine eher untergeordnete Rolle spielen. Aus der Branche kam allerdings sogleich die Aufforderung, der 46-jährige möge sich nicht allein auf die Schifffahrt konzentrieren, die in seiner Heimat eine wichtige Rolle spielt. Auch für die Dekarboniserung der Luftfahrt und den Ausbau der Ladeinfrastruktur wird sich der Politologe interessieren müssen.
Christophe Hansen (Luxemburg/EVP): Kommissar für Agrar und Nahrungsmittel. Der neue Agrarkommissar der EU kommt nicht gerade aus einem landwirtschaftlich geprägten Land. Luxemburg zählt 1800 bäuerliche Betriebe mit 4600 Arbeitskräften. Der 42-Jährige ist auch kein klassischer Agrarpolitiker. Im Europaparlament, dem er für eine Wahlperiode angehörte, hatte er als Mitglied des Umwelt- und Handelsausschusses mit Agrarpolitik zu tun. Er ist für das Mercosur-Handelsabkommen. Es war der Wunsch von Manfred Weber, Chef der sich als Bauernpartei verstehenden EVP, dass der nächste Agrarkommissar ein EVP-Parteibuch hat. Seine erste Aufgabe ist, in den ersten hundert Tagen des Mandates eine Vision für die Zukunft der EU-Landwirtschaft zu entwickeln. Ende nächsten Jahres sollte er einen Vorschlag für die nächste GAP-Förderperiode vorlegen. Dabei wird er einen Vorschlag machen müssen, wie es mit den Direktzahlungen weitergehen soll – in Schritten auslaufen lassen oder beibehalten.
Glenn Micallef (Malta/S&D): Kommissar für Generationengerechtigkeit, Jugend, Kultur und Sport. Glenn Micallef hat die Aufgabe, eine Strategie zur Förderung der Fairness zwischen den Generationen zu entwickeln, das europäische Kultur- und Sportmodell zu stärken und die Arbeitsbedingungen für Künstler und Kulturschaffende zu verbessern. Er arbeitet unter der Leitung des Exekutiv-Vizepräsidenten für Menschen, Kompetenzen und Vorsorge und wird von der Generaldirektion für Bildung, Kultur, Jugend und Sport unterstützt. Zudem kann er auf das Joint Research Centre für seine Arbeit zur strategischen Vorausschau zurückgreifen. Micallef bringt Erfahrungen in der EU-Politik, Regierungsführung und strategischen Beratung sowie Kenntnisse in europäischer Politik, Recht und Wirtschaft mit. Zuletzt führte er das Sekretariat des maltesischen Premierministers Robert Abela.
Mehrere deutsche Großunternehmen haben zugesagt, bis 2030 zwölf Milliarden Euro in das deutsche Venture-Capital-Ökosystem zu investieren. Start-ups hatten zuvor einen besseren Zugang zu lokalen Finanzierungsmöglichkeiten gefordert.
Das Versprechen von Unternehmen wie Allianz, Deutsche Bank und Commerzbank kommt eine Woche nachdem Mario Draghi in einem Bericht mehr öffentliche Investitionen und VC-Finanzierungen für europäische Technologie-Startups gefordert hatte. Draghi gab Europa in den Bereichen KI, Digitalisierung und Wachstum kleiner Unternehmen ein schlechtes Zeugnis. Er forderte bessere Anreize für Angel- oder Seed-Kapital-Investoren sowie eine stärkere Integration des Binnenmarkts. “Wir töten unsere kleinen Unternehmen“, sagte Draghi.
Das Thema Finanzierung stand im Mittelpunkt des Start-up Germany Summit, der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz organisiert wurde. Die Verantwortlichen räumten ein, dass es einfacher werden müsse, ein Unternehmen in Deutschland auf Wachstumskurs zu bringen. Sie unterzeichneten ein Versprechen zur Stärkung des Wachstumskapital-Ökosystems.
“Wir haben zu viel Bürokratie, und ihr alle kennt die Bürokratie nur zu gut”, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck und fügte hinzu, dass der Draghi-Bericht lesenswert sei. “Wir müssen als Land mutiger sein.”
Am Start-up-Gipfel beklagten Gründer und Risikokapitalgeber, wie schwierig es für deutsche und europäische Start-ups sein könne, Finanzierung und Unterstützung für ihr Wachstum zu finden. Von den europäischen Start-ups, die erfolgreich zu großen Unternehmen heranwachsen, werden nur etwa die Hälfte von europäischem Kapital finanziert. “Und die Lücke wird durch US-Fonds geschlossen”, sagte Raluca Ragab, Geschäftsführerin bei Eurazeo, einer französischen Private-Equity-Firma. “Viele von ihnen verlegen ihren Hauptsitz schließlich in die USA. Sie folgen dem Kapital.”
Alexander Langholz-Baikousis, Finanzvorstand von Cherry Ventures aus Berlin, sagte, dass weniger als 20 Prozent des Kapitals seiner Firma aus Deutschland stammen, obwohl die Hälfte ihrer Mittel in deutsche Technologieunternehmen fließt. “Wir würden uns wünschen, dass es mehr wäre”, sagte er. “Das ist ein spezifisches Problem Europas. In den USA ist es ganz anders.” J.D. Capeluto
Die EU-Kommission fordert mehr rauchfreie Zonen, um Menschen vor Passivrauchen zu schützen und die Zahl der Krebstoten zu senken. “Jedes Jahr verlieren in der EU 700.000 Menschen ihr Leben aufgrund von Tabakkonsum, darunter Zehntausende aufgrund von Passivrauchen”, teilte die scheidende Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides mit. “In einer Europäischen Gesundheitsunion haben wir die Pflicht, unsere Bürger, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor der Belastung durch schädlichen Rauch und Emissionen zu schützen.”
Bereiche, in denen sich Kinder und Jugendliche häufig aufhalten, wie zum Beispiel öffentliche Spielplätze und Schwimmbäder, aber auch Haltestellen und Bahnhöfe sollen deshalb in Zukunft rauchfrei bleiben. Die Verbote sollen demnach nicht nur für Zigaretten, sondern auch für E-Zigaretten und Tabakerhitzer gelten.
Der Vorschlag solle die Entnormalisierung des Tabakkonsums vorantreiben, teilte die Kommission mit. Im Rahmen der Krebsbekämpfung hat sich die EU-Kommission das Ziel gesetzt, bis 2040 eine “tabakfreie Generation” zu erreichen, in der weniger als fünf Prozent der Bevölkerung rauchen. Da vor allem die Mitgliedstaaten für Gesundheitspolitik zuständig sind, kann die EU-Kommission nur Handlungsempfehlungen für die nationale Politik aussprechen. Ihre Vorschläge zur Ausweitung rauchfreier Gebiete sind rechtlich nicht verbindlich. dpa
Es braucht einen gewissen Mut, einen Vertreter des größten Nettoempfängerlandes zum Haushaltskommissar zu machen. Piotr Serafin werde den Fokus auf die Vorbereitungen für den nächsten MFR legen, sagte Ursula von der Leyen bei der Präsentation ihres Teams am Dienstag. Um eventuelle Vorbehalte in Berlin zu zerstreuen, betonte die Kommissionspräsidentin, der künftige Haushaltskommissar sei ihr direkt unterstellt beziehungsweise Rechenschaft pflichtig. Die Botschaft ist klar: Wenn es ums Geld geht, will die Christdemokratin die Kontrolle behalten.
Das Echo auf die Nominierung des 50jährigen ist abgesehen von möglichen Vorbehalten in Berlin durchgehend positiv: Er begrüße die Ernennung von Piotr Serafin, reagierte der rumänische EU-Abgeordnete Siegfried Mureșan (EVP). Als künftiger Verhandlungsführer für den MFR freue er sich auf die Zusammenarbeit, um den Haushalt zu reformieren “und traditionelle Prioritäten wie Kohäsion und Landwirtschaft mit den neuen Prioritäten wie Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen”.
Schon im Vorfeld hatte Mureșan betont, der polnische Kandidat bringe alle Voraussetzungen mit, um mit den Mitgliedstaaten sowie dem Parlament den nächsten MFR auszuarbeiten und ein erfolgreicher Haushaltskommissar zu werden.
Abgesehen davon, dass Piotr Serafin nie ein Exekutivamt ausgeübt hat, gibt es kaum Zweifel an seiner Qualifikation. Als junger Beamter war er in der Behörde tätig, die ab 1998 Polens Beitrittsverhandlungen und später die Integration in die EU vorantrieb. Später begleitete er als Polens Regierungsvertreter die Verhandlungen für den Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013 und war stellvertretender Kabinettschef von Janusz Lewandowski, damals EU-Kommissar für Finanzplanung und Haushalt. Von 2014 bis 2019 war Piotr Serafin Kabinettschef von Donald Tusk in dessen Funktion als Präsident des Europäischen Rats. Nach dem Machtwechsel in Warschau schickte Tusk seinen engen Weggefährten als Polens Botschafter nach Brüssel.
Der voraussichtlich künftige Haushaltskommissar kennt sich also in der Brüsseler Blase und mit den EU-Institutionen bestens aus. Im Kreis des mächtigen Ausschusses der Ständigen Vertreter habe er sich zuletzt rasch als Schwergewicht etabliert, so Diplomaten. Auch, weil er anders als viele Vertreter der Mitgliedstaaten seine Anweisungen aus der Hauptstadt nicht vom Blatt ablesen müsse. Nicht alle Botschafter haben einen so guten und direkten Draht zu ihrem Regierungschef.
In Brüssel gibt es eigentlich nur Lobeshymnen über Piotr Serafin zu hören. Er gilt als umgänglich, konstruktiv und Mann mit hoher sozialer Kompetenz. Für Donald Tusk ist es ein geschickter Schachzug, seinen Vertrauten an einer wichtigen Schlüsselstelle platzieren zu können. Das Timing ist perfekt, weil im Frühjahr nicht nur die Verhandlungen über den nächsten MFR beginnt. Am 1. Januar startet auch Polens sechsmonatiger EU-Ratsvorsitz. sti
zu Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn schien nicht ausgeschlossen, dass Friedrich Merz Europa dauerhaft zu seinem Tätigkeitsfeld machen könnte. Von 1989 bis 1994 saß der Sauerländer für die CDU im Europaparlament – sein erstes Abgeordnetenmandat. Schnell zeigte sich aber, dass Merz eine Karriere im Bundestag dem EU-Betrieb vorzog. Gleichwohl ist der seit Dienstag designierte Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl im kommenden Jahr ein Europapolitiker geblieben.
Sollte Merz Kanzler werden, wäre er kein Unbekannter in Brüssel. Das wäre bei CSU-Chef Markus Söder wohl anders gewesen. Auf mindestens zwei wichtigen Politikfeldern dürfte Merz auf EU-Ebene aber weniger auf das Erreichen schmerzhafter Kompromisse denn auf das, wenn nötig, rigide Durchsetzen nationaler Interessen bedacht sein. Und damit in gewisser Weise auch nicht anders in Brüssel agieren als Olaf Scholz oder Angela Merkel vor ihm.
Das eine Feld ist die gemeinsame Aufnahme von Schulden nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds, wie sie der frühere italienische Ministerpräsident Mario Draghi gerade eben für notwendig erachtet hat, um den enormen Investitionsbedarf zu decken. Merz sieht das anders: “Ich werde alles tun, um zu vermeiden, dass sich diese Europäische Union in eine Verschuldungsspirale begibt“, sagte er kürzlich im Bundestag.
Auch in der Asyl- und Migrationspolitik dürften viele Südeuropäer manche Ideen des CDU-Politikers aus Deutschland als großes Problem ansehen. Merz’ Vorschlag, an den deutschen Grenzen pauschal Asylbewerber abzuweisen, ist in ihren Augen ein nationales Argument und keine Lösung für das Migrationsproblem, das ganz Europa betrifft.
Noch bis in die Nacht zum Dienstag hinein hatte Ursula von der Leyen an dem Puzzle ihrer neuen Kommission gesessen. Nicht allein der Last-Minute-Wechsel von Thierry Breton zu Stéphane Séjourné zwang die Kommissionspräsidentin dazu, hier und da noch umzustellen, um die vielen Wünsche der Mitgliedstaaten auszubalancieren. “Es war keine leichte Übung”, sagt ein hochrangiger Kommissionsbeamter.
Einige der “frugalen” Mitgliedstaaten hatten befürchtet, dass Vertreter von traditionell eher ausgabefreundlich und dirigistisch ausgerichteten Ländern die neue Kommission dominieren würden. Der erste Blick auf die neue Struktur mit sechs Exekutiv-Vizepräsidenten schien diese Sorgen zu bestätigen: Die Spanierin Teresa Ribera wird Erste Exekutiv-Vizepräsidentin mit Zuständigkeit für Klima und Wettbewerb, der Franzose Stéphane Séjourné für Binnenmarkt und Industrie, Raffaele Fitto aus Italien für Kohäsionspolitik. Überdies wird mit dem Polen Piotr Serafin der Vertreter eines Nettoempfängerlandes fürs Budget und die anstehenden Verhandlungen für den neuen Finanzrahmen zuständig sein.
Doch von der Leyen tariert dies aus, indem sie den drei Exekutiv-Vizepräsidenten erfahrene Kommissare mit direktem Zugang zu den Generaldirektionen an die Seite stellt. Im Falle Riberas sind das der dänische Energiekommissar Dan Jørgensen, den von der Leyen in den höchsten Tönen lobte, sowie der Niederländer Wopke Hoekstra (Klima). Séjourné wird sich mit Hoekstra und mit Valdis Dombrovskis auseinandersetzen müssen. Der Lette wird zwar vom Exekutiv-Vizepräsidenten zum einfachen Kommissar degradiert, aber unter anderem zuständig für die Defizitverfahren sein. “Der Schlüssel ist die Kontrolle über die einzelnen Dossiers”, heißt es in der Kommission.
In Berlin und Den Haag wird die neue Kommission daher recht positiv aufgenommen. Von der Leyen habe das unmögliche Puzzle recht gut gelöst, heißt es in der Bundesregierung. Aber auch die Regierung in Paris und Italiens Ministerpräsidentin zeigen sich zufrieden. “Endlich ist Italien wieder ein Hauptdarsteller in Europa”, erklärte Giorgia Meloni.
Dabei ist das neue Gefüge in der Kommission nicht leicht zu lesen. Von der Leyen will die Silos in der Behörde aufbrechen, die teils widersprüchliche Gesetzesinitiativen hervorgebracht haben. Statt in festen Berichtshierarchien sollen die Zuständigkeiten in einer Art Matrix mit vielen Querverbindungen organisiert werden. “Wir haben die früher starren Ofenrohre aufgelöst”, sagte von der Leyen. Das gesamte Kollegium solle für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit arbeiten – das sei eine der wichtigsten Empfehlungen aus dem Bericht von Mario Draghi.
Doch auch die Klimaerwärmung hat für die CDU-Politikerin weiter höchste Priorität. Um beide Themen unter einen Hut zu bringen, stellt von der Leyen gleich fünf Kommissarinnen und Kommissare ab. Die Spanierin Teresa Ribera soll über allem als Exekutiv-Vizepräsidentin wachen, anders als noch Frans Timmermans aber nicht als allmächtiger Superkommissar. Die genauen Ressort-Zuschnitte waren am Dienstag aber noch teils unklar. So rätselte selbst Klimakommissar Hoekstra noch über seinen genauen Aufgabenbereich und die Abgrenzung zu den anderen relevanten Ressorts.
Mit Ribera, Hoekstra und Jørgensen haben drei erfahrene Klimapolitiker die Verantwortung über Europas Umgang mit der Klimakrise. Alle drei haben zudem ökonomische Teilaspekte in ihrem Portfolio, die es mit den europäischen Klimazielen zu vereinen gilt. Die Kommissionspräsidentin will damit dem Nexus zwischen Klima- und Industriepolitik gerecht werden. Sowohl EVP als auch Grüne dürften im Umweltausschuss des EU-Parlaments den Kandidaten daher kaum Steine in den Weg legen.
Von der Leyen steuert auch in der Agrar- und Umweltpolitik ein Stück weit um. Mit Fitto wird der ranghöchste EKR-Vertreter in der Kommission den designierten Agrarkommissar Christophe Hansen (EVP) beaufsichtigen. In der ersten Amtszeit hatte noch der Green Deal-Kommissar Timmermans die Oberaufsicht bei Landwirtschaft und führte auch die Verhandlungen bei den Trilogen. Diese Veränderung dürfte dazu führen, dass die Vorschläge der Kommission im Bereich Landwirtschaft weniger kontrovers ausfallen.
Die Hauptzuständigkeit für die europäische Industriepolitik wird bei Stéphane Séjourné liegen. Für den Teil der Industriepolitik, der die ökologische Transformation betrifft, muss er sich aber mit Kollegin Ribera absprechen, zum Beispiel beim Clean Industrial Deal und beim Start neuer IPCEIs (Important Projects of Common European Interest). Zudem obliegt Ribera als Wettbewerbskommissarin die Kontrolle über staatliche Beihilfen, für die sie ein neues Regelwerk entwickeln soll. Noch größeren Reformbedarf sieht von der Leyen bei der Fusionskontrolle.
Séjourné soll die europäische Industrie mit einer Reihe von Gesetzesvorschlägen unterstützen, die darauf ausgerichtet sind, eine Mindestnachfrage für europäische Produktion zu generieren. So soll er per Industrial Decarbonisation Accelerator Act grüne Leitmärkte für europäische Hersteller schaffen, und die Reform der Vergaberichtlinien soll europäische Anbieter bevorzugen. Séjourné soll auch einen künftigen “European Competitiveness Fund” entwickeln.
Der Umschwung in Richtung Industriepolitik ist auch im Handelsportfolio zu sehen, das unter Séjourné in der Verantwortung von Maroš Šefčovič angesiedelt ist. Dieser nennt sich neu Kommissar für Handel und Wirtschaftssicherheit, die Generaldirektion wird in DG Trade and Economic Security umbenannt. Auch die Entwicklungspolitik soll besser auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der EU ausgerichtet sein. Der Tscheche Jozef Síkela wird das Global Gateway Programm übernehmen und soll unter anderem dafür sorgen, dass die europäische Industrie besseren Zugang zu kritischen Rohstoffen aus Drittländern erhält.
Translation missing.Den Bürokratieabbau wiederum soll Dombrovskis federführend vorantreiben. Der 53-Jährige sei erfahren und habe ein fähiges Team, um intern den versprochenen Abbau von Berichtspflichten für Unternehmen durchzusetzen, sagt ein hochrangiger Kommissionsbeamter. In seinem Pflichtenheft steht auch, ein neues Abkommen mit EU-Parlament und Rat zur besseren Rechtsetzung zu verhandeln, das auch die beiden anderen EU-Institutionen auf Folgeabschätzungen ihrer Gesetzestexte verpflichtet. Hierbei soll ihn Maroš Šefčovič als Beauftragter für die interinstitutionellen Beziehungen unterstützen.
Das Aufgabengebiet Digitales und Innovation, aus Sicht Draghis der Kern einer neuen Industriestrategie, ist gleich auf mehrere Kommissare aufgeteilt, unter Federführung der Finnin Henna Virkkunen als Exekutiv-Vizepräsidentin. Ihr zuarbeiten soll Ekatarina Sachariewa (Bulgarien), Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation, sowie Dombrovskis. Letzterer soll sich um Produktivität und Bürokratieabbau kümmern – beides mithilfe der Digitalisierung.
Die Sicherheit und Verteidigung verantworten sollen neben der estnischen Außenbeauftragten Kaja Kallas auch die Finnin Virkkunen und der neue Verteidigungskommissar Andrius Kubilius aus Litauen. Hier fehle etwas die Balance, kritisiert ein EU-Diplomat, denn alle drei plädieren schon aufgrund geografischer Nähe für einen harten Kurs gegenüber Russland. Für die innere Sicherheit und Migration soll wiederum der konservative Ex-Finanzminister Österreichs Magnus Brunner verantwortlich sein, was angesichts von Wiens Schengen-Politik für kritische Nachfragen im Europaparlament sorgen dürfte.
Die Sozialdemokraten schießen sich bereits auf Raffaele Fitto ein. Der Chef der deutschen Gruppe, René Repasi, sagte: “Ich gehe davon aus, dass S&D im Ausschuss nicht für ihn stimmen wird.” Es sei klar, dass das EKR-regierte Italien einen Kommissar stelle. Dass er aber eine herausgehobene Position bekommen solle, verstehe man nicht. Auch Liberale und Grüne haben Bedenken gegen Fitto.
Den designierten ungarischen Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi würden zumindest S&D, Renew, Grüne und Linke gerne ablehnen, weil er als Vertrauter von Ministerpräsident Viktor Orbán gilt und sich abfällig über die Europaparlamentarier geäußert hat. Auch viele Christdemokraten haben Bedenken, sprechen ihm aber die fachlichen Fähigkeiten nicht ab. EVP, S&D und Renew wollen aber auch Orbán nicht die Möglichkeit geben, die EU zu blockieren, indem sie aus Prinzip Várhelyi ablehnen und damit den Start der neuen Kommission verzögern.
Die EVP-Fraktion ist zufrieden mit dem Vorschlag für die neue Kommission. Bislang stehe keiner der 26 Bewerber auf einer Abschussliste. Sollten aber die Koordinatoren der anderen Fraktionen der Von-der-Leyen-Koalition einem der 14 EVP-Kommissare die Unterstützung verweigern, werde man sich revanchieren. Mit János Allenbach-Ammann, Markus Grabitz, Lukas Scheid, Corinna Visser
Teresa Ribera (Spanien/S&D): Exekutiv-Vizepräsidentin für einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang. Ribera soll nicht nur dafür sorgen, dass die Dekarbonisierung der Industrie im Rahmen des Green Deals vorangetrieben wird, woran sie als spanische Umweltministerin während der spanischen Ratspräsidentschaft bereits gearbeitet hat. Ihre neuen Aufgaben in der Kommission sollen sich insbesondere auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas konzentrieren. Als Wettbewerbskommissarin soll Ribera unter anderem die Leitlinien für Unternehmenszusammenschlüsse überarbeiten. Auch wenn sie ihre Kompetenzen im Wettbewerbsfähigkeit-Portfolio erst noch beweisen muss, scheinen politische Gegner großes Vertrauen in die Spanierin zu haben. EVP-Chef Manfred Weber zeigte sich am Dienstag in Straßburg erfreut, dass es keinen zweiten übermächtigen Frans Timmermans geben wird und betonte, er traue Ribera auch zu, sich über Europas Wettbewerbsfähigkeit zu kümmern. Als Exekutivvizepräsidentin beaufsichtigt sie zudem die Bereiche Klima, Umwelt und Energie.
Henna Virkkunen (Finnland/EVP): Exekutiv-Vizepräsidentin für technische Souveränität, Sicherheit und Demokratie. Von der Leyen wünscht sich von Henna Virkkunen eine zentrale Rolle in der Förderung der digitalen Transformation Europas. Sie soll die technologische Souveränität der EU stärken, indem sie wichtige Digitalgesetze wie den Digital Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA) vorantreibt. Darüber hinaus soll sie die Cybersicherheit verbessern, gegen Desinformation vorgehen und die demokratischen Institutionen der EU schützen und stärken. Die Entwicklung einer KI-Strategie gehört ebenso zu ihren Aufgaben, wie die Einrichtung eines Europäischen KI-Forschungsrats zu unterstützen. Virkkunen war Ministerin für öffentliche Verwaltung, bevor sie 2014 ins Europäische Parlament einzog. Als Ko-Berichterstatterin für einen Initiativbericht des EP über Online-Plattformen und den digitalen Binnenmarkt, gehörte sie zu den ersten Parlamentarierinnen, die sich mit dem Thema Plattformregulierung intensiv auseinandergesetzt haben.
Stéphane Séjourné (Frankreich/Renew): Exekutiv-Vizepräsident für Wohlstand und Industriestrategie. Präsident Emmanuel Macron hatte sich intensiv um ein einflussreiches Portfolio bemüht. Stéphane Séjourné, sein erst am Montag ernannter Kandidat, wird nun einer von sechs Exekutiv-Vizepräsidenten, mit Zuständigkeit für Binnenmarkt, Industrie und KMU. Der 39-jährige Jurist und Macron-Vertraute dirigiert damit eine große Generaldirektion (Grow), die noch aufgewertet wird durch die Zuständigkeiten für das Investitionsprogramm InvestEU, für IPCEI und den geplanten Wettbewerbsfähigkeitsfonds. Dafür verliert er die Zuständigkeiten für Digitales und Verteidigung, die sein Vorgänger Thierry Breton ebenfalls unter sich hatte. Séjourné gilt als gewiefter Politiker, ist aber bislang nicht als Wirtschaftsexperte aufgefallen.
Kaja Kallas (Estland/Renew): Außenbeauftragte und Vizepräsidentin. Neben von der Leyen wurde Kallas bereits vom Europäischen Rat nominiert. Offiziell lautet ihr Titel Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik. Im Mission Letter heißt es an erster Stelle, dass man in diesem Politikfeld immer die Aggression Russlands gegen die Ukraine und die westliche Werteordnung im Hinterkopf haben müsse. “Wir leben in einer Zeit geostrategischer Rivalitäten.” Sie soll binnen 100 Tagen ein Papier zur Zukunft der EU-Verteidigung vorlegen. Außerdem soll sie die Zusammenarbeit zwischen Nato und EU vertiefen. Die Gefahren Russlands muss man ihr nicht erst einschärfen: Als Regierungschefin eines kleinen Mitgliedstaates, der eine gemeinsame Grenze mit Russland hat und von Moskau immer wieder bedroht wird, wurde sie zum erbitterten Gegner und Kritiker Putins. Moskau hat darauf reagiert. Ihr Name tauchte auf einer Fahndungsliste des russischen Innenministeriums auf.
Roxana Mînzatu (Rumänien/S&D): Exekutiv-Vizepräsidentin für Menschen, Kompetenzen und Vorsorge. Je nachdem, wen man fragt, erfährt das Beschäftigungsressort eine Auf- oder Abwertung oder beides zugleich. Zum einen wird der Zuständigkeitsbereich auf Vizepräsidentinnenebene hochgestuft. In diesem angedachten Superressort soll sich die Rumänin Mînzatu um Skills und Bildung kümmern, ebenso wie Arbeit und Soziales. Sie soll zusätzlich zur DG Employment auch für die Generaldirektion Education (DG EAC) zuständig sein. Allerdings verschwindet im Titel der Verweis auf Beschäftigung und Soziales gänzlich. Kritiker befürchten mehr als eine Umetikettierung, sondern ein Nach-Hinten-Drängen der Themen. Sozialdemokratin Mînzatu selbst war vier Jahre Abgeordnete im nationalen Parlament, dann fünf Monate Ministerin für die Verwaltung der EU-Mittel und danach noch einmal Staatssekretärin mit der gleichen Aufgabe. Sie hat dabei eher technische Arbeit im Ministerium geleistet. Beobachter bezweifeln, dass sie die kommunikativen Fähigkeiten hat, ein wichtiges Politikfeld nach außen zu vertreten.
Raffaele Fitto (Italien/EKR): Exekutiv-Vizepräsident für Kohäsion und Reformen. Fittos herausgehobene Stellung ist ein Zugeständnis von der Leyens an Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Als Exekutiv-Vizepräsident soll er die Kohäsionspolitik verantworten, er spielt damit auch eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen um den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen. Fitto hat Erfahrung auf dem Gebiet, als Minister für Europäische Angelegenheiten im Kabinett Meloni war er für die rund 200 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds zuständig. Bis zu seinem Wechsel nach Rom im Herbst 2022 war er Co-Vorsitzender der rechtskonservativen EKR-Fraktion im Europaparlament – und zieht damit Kritik von den linken Kräften im Parlament auf sich.
Maroš Šefčovič (Slowakei): Kommissar für Handel und Wirtschaftssicherheit. Der 58-Jährige geht bereits in seine vierte Amtszeit in der Kommission. Für von der Leyen dient der parteilose Diplomat als Allzweckwaffe. In der neuen Kommission soll er einerseits für Handel und für Wirtschaftssicherheit verantwortlich sein, was die Verschiebung der Prioritäten zeigt. Zudem soll er in seiner zweiten Rolle die Beziehungen zum Europaparlament und zum Rat pflegen – und dabei direkt an seine Chefin berichten.
Valdis Dombrovskis (Lettland/EVP): Kommissar für Wirtschaftlichkeit und Produktivität; Umsetzung und Vereinfachung. Der aktuelle Kommissionsvizepräsident und Handelskommissar muss seinen Titel abgeben. Er wird als normaler Kommissar unter Stéphane Séjourné arbeiten. Einflussreich bleibt er dennoch, denn ihm wird DG ECFIN unterstellt. Als Gegengewicht zum Franzosen Séjourné soll Dombrovskis über die Einhaltung der EU-Fiskalregeln und die Umsetzung des Europäischen Semesters wachen. Von der Leyen beauftragt Dombrovskis zudem mit der Herkules-Aufgabe, den EU-Acquis nach Widersprüchlichkeiten und unnötigen Regulierungen zu durchforsten und zu vereinfachen. An Erfahrung mangelt es ihm nicht: Der ehemalige lettische Premierminister startet 2025 in sein elftes Jahr als EU-Kommissar.
Dubravka Šuica (Kroatien/EVP): Kommissarin für die Mittelmeerregion. Die ehemalige Demokratie- und Demografie-Kommissarin Dubravka Šuica wird in ihrer neuen Rolle für die Mittelmeerregion unter der Aufsicht von Kallas arbeiten. Ihre wichtigsten Aufgaben umfassen die Verhandlung und Umsetzung eines neuen Pakts für die Mittelmeerregion. Er soll die Zusammenarbeit in den Bereichen Migration, Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und Klimaschutz fördern. Sie wird eine neu zu schaffende Generaldirektion leiten, die sich auf die Koordination der EU-Politiken in der Mittelmeerregion konzentriert.
Olivér Várhelyi (Ungarn) – Kommissar für Gesundheit und Tierwohl. Der bisherige Erweiterungskommissar soll weitermachen – zumindest will sein Ministerpräsident Viktor Orbán das so. Von der Leyen hat dem 52-jährigen Juristen das inzwischen durchaus bedeutende Gesundheitsressort zugedacht, in der Annahme, dass er “willens und in der Lage ist zu liefern”, wie es in der Kommission heißt. Allerdings wird der Orbán-Vertraute es nicht leicht haben, die Anhörung im Europaparlament zu überstehen.
Wopke Hoekstra (Niederlande/EVP): Kommissar für Klima, Netto-Null und sauberes Wachstum. Der bisherige Klimakommissar soll im Wesentlichen sein Portfolio behalten und auch weiterhin für die internationalen Klimaverhandlungen zuständig sein. Bei der anstehenden UN-Klimakonferenz in Baku (COP29) im November wäre damit für Kontinuität bei den schwierigen Verhandlungen um Klimafinanzen gesorgt. Hoekstra soll zudem für die in dieser Legislatur anstehenden Reviews der Klimagesetzgebung (u.a. ETS und CO2-Flottenziele) sowie das Gesetzespaket für das EU-Klimaziel 2040 verantwortlich sein. Darüber hinaus ist der Niederländer für Steuern zuständig. Dazu gehört neben der Finalisierung der Verhandlungen zur Energiesteuerrichtlinie unter anderem auch die Reform der Unternehmensbesteuerung.
Andrius Kubilius (Litauen/EVP): Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt. Der frühere Ministerpräsident Litauens soll erster Verteidigungskommissar in der Geschichte der Kommission werden. Der Titel führt allerdings etwas in die Irre – Verteidigung ist ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten. Kubilius soll vielmehr dabei unterstützen, die Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie in Europa hochzufahren und die grenzüberschreitende Mobilität von Militärgerät zu verbessern. Binnen 100 Tagen nach dem Start soll er gemeinsam mit Kallas ein Weißbuch erarbeiten, in dem sie den Investitionsbedarf für eine vollausgestattete europäische Verteidigung beziffern. Zumindest im EU-Budget für diese Finanzperiode bis 2027 steht dafür aber kaum Geld dafür zur Verfügung.
Marta Kos (Slowenien): Kommissarin für Erweiterung. Auf die Slowenin kommt womöglich in dieser Legislatur die nächste EU-Erweiterungsrunde zu. Die Verhandlungen mit den Ländern auf dem Westbalkan, Georgien, Moldau und der Ukraine sollen vorangetrieben werden, weshalb Marta Kos durch ihre Herkunft prädestiniert für den Job als Erweiterungskommissarin scheint.
Jozef Síkela (Tschechien): Kommissar für internationale Partnerschaften. Jozef Síkela soll Kommissar für internationale Partnerschaften werden. Er werde die Arbeit an Global Gateway leiten und sicherstellen, dass Europa Partnerschaften abschließe, die für beide Seiten von Vorteil sind, betonte von der Leyen. Dem Gegenentwurf zu Chinas Belt and Road Initiative fehlt es seit der offiziellen Einführung immer noch an Dynamik. Der Tscheche soll Global Gateway mehr Sichtbarkeit und vorzeigbare Erfolgsprojekte verschaffen. Síkela ist derzeit Industrie- und Handelsminister in seinem Heimatland. Die Regierung in Prag hatte sich zuletzt zunehmend kritisch gegenüber China geäußert – ist aber noch Teil von Chinas 14+1-Plattform.
Costas Kadis (Zypern): Kommissar für Ozeane und Fischerei. Zyperns Regierung hatte auf den neuen Posten des Mittelmeerkommissars gesetzt, doch der ging nach Kroatien. Kadis Ressort passt inhaltlich zu dem 57-jährigen promovierten Biologen, der zuletzt als Professor Umweltwissenschaften lehrte und zuvor als Landwirtschaftsminister auch für Ökologie zuständig war. Es fehlt allerdings die geopolitische Komponente, auf die man in Nikosia gehofft hatte. Kadis soll den ersten Europäischen Ozean Pakt erarbeiten, sagte von der Leyen, ohne zu erläutern, was sich hinter der klangvollen Ankündigung verbirgt.
Maria Luís Albuquerque (Portugal/S&D): Kommissarin für Finanzdienstleistungen und für die Spar- und Investitionsunion. Die ehemalige portugiesische Finanzministerin soll sich um die europäischen Finanzmärkte kümmern. Albuquerque soll die Arbeit an der Kapitalmarktunion vorantreiben und der Fragmentierung der europäischen Kapitalmärkte entgegenwirken, sie übernimmt die Aufsicht über DG FISMA. Laut Mission Letter soll sie unter anderem die Marktüberwachung “auf EU-Ebene verbessern”, ein einfaches und günstiges Spar- und Investitionsprodukt auf EU-Ebene kreieren, den Verbriefungsmarkt für Banken wieder ankurbeln und bei der Europäischen Einlagensicherung (EDIS) “einen Weg nach vorne identifizieren”. Als Ex-Finanzministerin weiß Albuquerque, dass diese Fragen politisch sehr heikel sind und im Rat der Finanzminister schnell auf Widerstand stoßen. Im Parlaments-Hearing dürften Fragen zu Albuquerques Verbindungen in die Privatwirtschaft aufkommen. So ist sie aktuell beim europäischen Ableger der US-Bank Morgan Stanley beschäftigt sowie beim Investmentfonds “Horizon Equity Partners” – beides Firmen, die von ihren Regulierungen betroffen sein werden.
Hadja Lahbib (Belgien/Renew): Kommissarin für Krisenmanagement und Vorsorge. Die belgische Ex-Außenministerin soll das Krisenmanagement und die humanitäre Hilfe organisieren. Die Tochter algerischer Eltern berichtete für den öffentlichen Rundfunk RTBF oft aus Afghanistan und aus dem Nahen Osten, bis 2019 war sie Nachrichtensprecherin für den Sender. Im Juli 2022 wechselte sie überraschend in die Politik. In der belgischen Regierung war Lahbib zuletzt auch für den Außenhandel und die Kultur zuständig. Sie steht für eine liberale Linie, in der Nahost-Politik tritt sie regelmäßig für die Rechte der Palästinenser ein.
Magnus Brunner (Österreich/EVP): Kommissar für Innenpolitik und Migration. Brunner hatte auf ein Wirtschaftsressort gehofft, stattdessen muss sich der bisherige österreichische Finanzminister in den kommenden fünf Jahren um Inneres und Migration kümmern, eine der politisch undankbarsten Aufgaben der nächsten Kommission. Der 52-jährige ÖVP-Politiker gilt als freundlich und umgänglich, er hat aber keine Erfahrung mit hochemotionalen Themen wie Schengen und Asyl. Ein Praktikum in Brüssel brachte den Juristen einst in die Politik.
Jessika Roswall (Schweden/EVP): Kommissarin für Umwelt, Wasserversorgung und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft. Das Umweltkommissariat wurde verkleinert, indem Fischerei und Ozeane einen eigenen Kommissar bekommen sollen. Ein Schritt, den der ehemalige Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius im Gespräch mit Table.Briefings als sinnvoll bezeichnete, da die Interessen des Umweltschutzes und der Fischerei-Industrie einfach zu unterschiedlich seien. Die Schwedin Jessika Roswall soll nun unter Aufsicht von Teresa Ribera eine neue bioökonomische Strategie für die EU vorschlagen. Von der Leyen verlangt von ihr ein Gesetzespaket für die Chemieindustrie, welches eine Vereinfachung der Chemikalienverordnung REACH sowie Klarheit über den Umgang mit Ewigkeitschemikalien PFAS beinhalten soll.
Piotr Serafin (Polen/EVP): Kommissar für Haushalt und öffentliche Verwaltung. Polens Premier Donald Tusk hatte seinen EU-Botschafter in Brüssel nominiert, um das Haushaltsressort zu erobern – mit Erfolg. Serafin, ein 50-jähriger Jurist, übernimmt eine schwierige Aufgabe: Er muss die Verhandlungen um den Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2028 bis 2035 führen. Dabei helfen dürften ihm seine Kontakte in die Regierungszentralen, die er als Kabinettschef des früheren Ratspräsidenten Tusk aufgebaut hat. (siehe Porträt in dieser Ausgabe).
Dan Jørgensen (Dänemark/S&D): Kommissar für Energie und Wohnen. Dänemarks ehemaliger Energieminister soll Europas Energieunion vorantreiben. Jørgensen kommt aus einem Wärmepumpen-Land, was zweifellos auch als politisches Signal gesehen werden kann. Von der Leyen will, dass ihr neuer Energiekommissar die Energiepreise senkt, indem er eine Initiative zur Förderung des Erneuerbaren-Ausbaus und der Energiespeicherung auf den Weg bringt. Mit einem Aktionsplan zur Elektrifizierung soll Jørgensen zum einen russische Energieimporte beenden und zum anderen den industriellen Wandel mit sauberem Strom ermöglichen. Dabei arbeitet er unter der Aufsicht von Exekutivvizepräsidentin Teresa Ribera. Außerdem ist Jørgensen für den Wohnsektor zuständig, in dem er den ersten europäischen Plan für bezahlbaren Wohnraum erarbeiten und zusammen mit der EZB eine paneuropäische Investitionsplattform für nachhaltigen und erschwinglichen Wohnraum aufbauen soll. Während Jørgensen beim Thema Energie bereits einschlägige Vorerfahrungen mitbringt, im Bereich Wohnen hat er bisher keine. Die Verbände stehen ihm in der Hinsicht offen gegenüber: Das bringe man ihm liebend gerne bei, sagt etwa Barbara Steenbergen vom Europäischen Mieterbund IUT.
Ekaterina Zaharieva (Bulgarien/EVP): Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation. Zaharieva ist vorgesehen für ein Ressort, das ihre Landsfrau Mariya Gabriel schon einmal innehatte. Die 49-jährige Juristin bringt Erfahrung aus mehreren Ministerämtern in ihrer Heimat mit und war Vize-Premier. Die Juristin wurde von einer Whistleblowerin beschuldigt, in den illegalen Verkauf bulgarischer Pässe verwickelt zu sein. Untersuchungen bulgarischer Behörden verliefen im Sand, der Skandal wurde nie abschließend aufgeklärt.
Michael McGrath (Irland/Renew): Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit. Der aktuelle irische Finanzminister und diplomierte Buchhalter Michael McGrath muss in Brüssel Neuland betreten. Er wurde von der Kommissionspräsidentin zum Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit nominiert. Das wird ihn unter anderem in Konflikt mit Ungarns Viktor Orbán bringen, denn McGrath wird die Rechtsstaatlichkeitsberichte verantworten, die mitentscheiden, ob Ungarn EU-Gelder ausbezahlt erhält oder nicht. Auch im Justiz-Bereich erwarten ihn große Aufgaben, so soll er laut Mission Letter ein 28. Regime entwickeln – eine Art europäisches Unternehmensrecht für innovative Unternehmen, die sich dann nicht mehr mit 27 nationalen Regulierungen rumschlagen müssen. Der Widerstand aus den Mitgliedstaaten ist ihm gewiss.
Apostolos Tzitzikostas (Griechenland/EVP): Kommissar für nachhaltigen Transport und Tourismus. Er wurde von Premier Kyriakos Mitsotakis nach Brüssel geschickt, um den rechten Parteiflügel der konservativen Regierungspartei stärker einzubinden. Im Aufgabenbereich Verkehr und Touristik wird die ideologische Ausrichtung des bisherigen Gouverneurs der Region Nordmazedonien eine eher untergeordnete Rolle spielen. Aus der Branche kam allerdings sogleich die Aufforderung, der 46-jährige möge sich nicht allein auf die Schifffahrt konzentrieren, die in seiner Heimat eine wichtige Rolle spielt. Auch für die Dekarboniserung der Luftfahrt und den Ausbau der Ladeinfrastruktur wird sich der Politologe interessieren müssen.
Christophe Hansen (Luxemburg/EVP): Kommissar für Agrar und Nahrungsmittel. Der neue Agrarkommissar der EU kommt nicht gerade aus einem landwirtschaftlich geprägten Land. Luxemburg zählt 1800 bäuerliche Betriebe mit 4600 Arbeitskräften. Der 42-Jährige ist auch kein klassischer Agrarpolitiker. Im Europaparlament, dem er für eine Wahlperiode angehörte, hatte er als Mitglied des Umwelt- und Handelsausschusses mit Agrarpolitik zu tun. Er ist für das Mercosur-Handelsabkommen. Es war der Wunsch von Manfred Weber, Chef der sich als Bauernpartei verstehenden EVP, dass der nächste Agrarkommissar ein EVP-Parteibuch hat. Seine erste Aufgabe ist, in den ersten hundert Tagen des Mandates eine Vision für die Zukunft der EU-Landwirtschaft zu entwickeln. Ende nächsten Jahres sollte er einen Vorschlag für die nächste GAP-Förderperiode vorlegen. Dabei wird er einen Vorschlag machen müssen, wie es mit den Direktzahlungen weitergehen soll – in Schritten auslaufen lassen oder beibehalten.
Glenn Micallef (Malta/S&D): Kommissar für Generationengerechtigkeit, Jugend, Kultur und Sport. Glenn Micallef hat die Aufgabe, eine Strategie zur Förderung der Fairness zwischen den Generationen zu entwickeln, das europäische Kultur- und Sportmodell zu stärken und die Arbeitsbedingungen für Künstler und Kulturschaffende zu verbessern. Er arbeitet unter der Leitung des Exekutiv-Vizepräsidenten für Menschen, Kompetenzen und Vorsorge und wird von der Generaldirektion für Bildung, Kultur, Jugend und Sport unterstützt. Zudem kann er auf das Joint Research Centre für seine Arbeit zur strategischen Vorausschau zurückgreifen. Micallef bringt Erfahrungen in der EU-Politik, Regierungsführung und strategischen Beratung sowie Kenntnisse in europäischer Politik, Recht und Wirtschaft mit. Zuletzt führte er das Sekretariat des maltesischen Premierministers Robert Abela.
Mehrere deutsche Großunternehmen haben zugesagt, bis 2030 zwölf Milliarden Euro in das deutsche Venture-Capital-Ökosystem zu investieren. Start-ups hatten zuvor einen besseren Zugang zu lokalen Finanzierungsmöglichkeiten gefordert.
Das Versprechen von Unternehmen wie Allianz, Deutsche Bank und Commerzbank kommt eine Woche nachdem Mario Draghi in einem Bericht mehr öffentliche Investitionen und VC-Finanzierungen für europäische Technologie-Startups gefordert hatte. Draghi gab Europa in den Bereichen KI, Digitalisierung und Wachstum kleiner Unternehmen ein schlechtes Zeugnis. Er forderte bessere Anreize für Angel- oder Seed-Kapital-Investoren sowie eine stärkere Integration des Binnenmarkts. “Wir töten unsere kleinen Unternehmen“, sagte Draghi.
Das Thema Finanzierung stand im Mittelpunkt des Start-up Germany Summit, der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz organisiert wurde. Die Verantwortlichen räumten ein, dass es einfacher werden müsse, ein Unternehmen in Deutschland auf Wachstumskurs zu bringen. Sie unterzeichneten ein Versprechen zur Stärkung des Wachstumskapital-Ökosystems.
“Wir haben zu viel Bürokratie, und ihr alle kennt die Bürokratie nur zu gut”, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck und fügte hinzu, dass der Draghi-Bericht lesenswert sei. “Wir müssen als Land mutiger sein.”
Am Start-up-Gipfel beklagten Gründer und Risikokapitalgeber, wie schwierig es für deutsche und europäische Start-ups sein könne, Finanzierung und Unterstützung für ihr Wachstum zu finden. Von den europäischen Start-ups, die erfolgreich zu großen Unternehmen heranwachsen, werden nur etwa die Hälfte von europäischem Kapital finanziert. “Und die Lücke wird durch US-Fonds geschlossen”, sagte Raluca Ragab, Geschäftsführerin bei Eurazeo, einer französischen Private-Equity-Firma. “Viele von ihnen verlegen ihren Hauptsitz schließlich in die USA. Sie folgen dem Kapital.”
Alexander Langholz-Baikousis, Finanzvorstand von Cherry Ventures aus Berlin, sagte, dass weniger als 20 Prozent des Kapitals seiner Firma aus Deutschland stammen, obwohl die Hälfte ihrer Mittel in deutsche Technologieunternehmen fließt. “Wir würden uns wünschen, dass es mehr wäre”, sagte er. “Das ist ein spezifisches Problem Europas. In den USA ist es ganz anders.” J.D. Capeluto
Die EU-Kommission fordert mehr rauchfreie Zonen, um Menschen vor Passivrauchen zu schützen und die Zahl der Krebstoten zu senken. “Jedes Jahr verlieren in der EU 700.000 Menschen ihr Leben aufgrund von Tabakkonsum, darunter Zehntausende aufgrund von Passivrauchen”, teilte die scheidende Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides mit. “In einer Europäischen Gesundheitsunion haben wir die Pflicht, unsere Bürger, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor der Belastung durch schädlichen Rauch und Emissionen zu schützen.”
Bereiche, in denen sich Kinder und Jugendliche häufig aufhalten, wie zum Beispiel öffentliche Spielplätze und Schwimmbäder, aber auch Haltestellen und Bahnhöfe sollen deshalb in Zukunft rauchfrei bleiben. Die Verbote sollen demnach nicht nur für Zigaretten, sondern auch für E-Zigaretten und Tabakerhitzer gelten.
Der Vorschlag solle die Entnormalisierung des Tabakkonsums vorantreiben, teilte die Kommission mit. Im Rahmen der Krebsbekämpfung hat sich die EU-Kommission das Ziel gesetzt, bis 2040 eine “tabakfreie Generation” zu erreichen, in der weniger als fünf Prozent der Bevölkerung rauchen. Da vor allem die Mitgliedstaaten für Gesundheitspolitik zuständig sind, kann die EU-Kommission nur Handlungsempfehlungen für die nationale Politik aussprechen. Ihre Vorschläge zur Ausweitung rauchfreier Gebiete sind rechtlich nicht verbindlich. dpa
Es braucht einen gewissen Mut, einen Vertreter des größten Nettoempfängerlandes zum Haushaltskommissar zu machen. Piotr Serafin werde den Fokus auf die Vorbereitungen für den nächsten MFR legen, sagte Ursula von der Leyen bei der Präsentation ihres Teams am Dienstag. Um eventuelle Vorbehalte in Berlin zu zerstreuen, betonte die Kommissionspräsidentin, der künftige Haushaltskommissar sei ihr direkt unterstellt beziehungsweise Rechenschaft pflichtig. Die Botschaft ist klar: Wenn es ums Geld geht, will die Christdemokratin die Kontrolle behalten.
Das Echo auf die Nominierung des 50jährigen ist abgesehen von möglichen Vorbehalten in Berlin durchgehend positiv: Er begrüße die Ernennung von Piotr Serafin, reagierte der rumänische EU-Abgeordnete Siegfried Mureșan (EVP). Als künftiger Verhandlungsführer für den MFR freue er sich auf die Zusammenarbeit, um den Haushalt zu reformieren “und traditionelle Prioritäten wie Kohäsion und Landwirtschaft mit den neuen Prioritäten wie Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen”.
Schon im Vorfeld hatte Mureșan betont, der polnische Kandidat bringe alle Voraussetzungen mit, um mit den Mitgliedstaaten sowie dem Parlament den nächsten MFR auszuarbeiten und ein erfolgreicher Haushaltskommissar zu werden.
Abgesehen davon, dass Piotr Serafin nie ein Exekutivamt ausgeübt hat, gibt es kaum Zweifel an seiner Qualifikation. Als junger Beamter war er in der Behörde tätig, die ab 1998 Polens Beitrittsverhandlungen und später die Integration in die EU vorantrieb. Später begleitete er als Polens Regierungsvertreter die Verhandlungen für den Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013 und war stellvertretender Kabinettschef von Janusz Lewandowski, damals EU-Kommissar für Finanzplanung und Haushalt. Von 2014 bis 2019 war Piotr Serafin Kabinettschef von Donald Tusk in dessen Funktion als Präsident des Europäischen Rats. Nach dem Machtwechsel in Warschau schickte Tusk seinen engen Weggefährten als Polens Botschafter nach Brüssel.
Der voraussichtlich künftige Haushaltskommissar kennt sich also in der Brüsseler Blase und mit den EU-Institutionen bestens aus. Im Kreis des mächtigen Ausschusses der Ständigen Vertreter habe er sich zuletzt rasch als Schwergewicht etabliert, so Diplomaten. Auch, weil er anders als viele Vertreter der Mitgliedstaaten seine Anweisungen aus der Hauptstadt nicht vom Blatt ablesen müsse. Nicht alle Botschafter haben einen so guten und direkten Draht zu ihrem Regierungschef.
In Brüssel gibt es eigentlich nur Lobeshymnen über Piotr Serafin zu hören. Er gilt als umgänglich, konstruktiv und Mann mit hoher sozialer Kompetenz. Für Donald Tusk ist es ein geschickter Schachzug, seinen Vertrauten an einer wichtigen Schlüsselstelle platzieren zu können. Das Timing ist perfekt, weil im Frühjahr nicht nur die Verhandlungen über den nächsten MFR beginnt. Am 1. Januar startet auch Polens sechsmonatiger EU-Ratsvorsitz. sti