morgen startet die erste Plenarsitzung des neugewählten Parlaments in Straßburg. Gleichzeitig treffen sich in Brüssel die Finanzminister der Eurozone zur Sitzung der Eurogruppe. Als einer der ersten Programmpunkte wollen sie das Arbeitsprogramm bis März beschließen.
Im Zentrum steht wieder die Kapitalmarktunion. Da aber die neue Kommission erst im Herbst gebildet wird, wolle man sich auf Maßnahmen fokussieren, für die keine Kommissionsvorschläge nötig sind, sagte ein EU-Beamter. Stattdessen wolle man schauen, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten unilateral umsetzen können, um die Kapitalmobilität innerhalb der EU zu vereinfachen.
Später am Nachmittag wird die Eurogruppensitzung für alle EU-Finanzminister geöffnet. Auch Enrico Letta wird in Brüssel erwartet. Er wird über seinen Binnenmarktbericht referieren und darüber, wie die europäische Wettbewerbsfähigkeit finanziert werden soll. Neben seinem Appell für mehr öffentliche Investitionen und Subventionen auf europäischer Ebene wird er die Idee der “Spar- und Investitionsunion” anpreisen – so nennt er die Kapitalmarktunion in der Hoffnung, sie besser zu vermarkten – aber konkrete Fortschritte sind nicht zu erwarten.
Die Kapitalmarktunion ist in aller Munde, und vorerst bleibt sie auch dort. Die Gespräche zu den konkreten legislativen Vorschlägen laufen zäh. Aber nun ist auch die politische Zukunft eines der größten Zugpferde der Idee ungewiss. Je nachdem, wie die Regierungsbildung in Frankreich fortschreitet, könnten die Finanzministertreffen heute und morgen für Bruno Le Maire nach sieben Jahren Amtszeit die letzten sein. Ob sein Nachfolger dieselbe Begeisterung für die Kapitalmarktunion aufbringt, ist abzuwarten.
Starten Sie gut in die Woche!
Noch knapp ein halbes Jahr haben Händler und Produzenten von Erzeugnissen wie Kaffee, Kakao, Soja und Holz Zeit, sich vorzubereiten. Um diese Produkte auf dem EU-Markt zu verkaufen, müssen sie ab 2025 sicherstellen, dass diese nicht von nach 2020 entwaldeten Flächen stammen.
Der enge Zeitplan für die Umsetzung der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) fordert viele Betroffene heraus. Zwar ist das Gesetz bereits vor einem Jahr in Kraft getreten. Doch Unternehmen und Verwaltung müssen Teams aufbauen, Prozesse entwickeln, digitale Tools für die Anwendung und Lösungen für die aufwendige Dokumentation finden – und die EU-Kommission hat entscheidende Informationen zur Umsetzung, wie das Länder-Benchmarking und bestimmte Leitlinien, teilweise noch gar nicht veröffentlicht.
Mit der Verordnung will die EU gegen die weltweite Entwaldung vorgehen, deren Hauptursache die Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen ist. Hauptimportgut in diesem Zusammenhang ist Soja, das beispielsweise auf abgeholzten Regenwaldflächen in Südamerika angebaut wird und in Europa überwiegend als Tierfutter zum Einsatz kommt. Aber auch der Konsum von Palmöl, Kaffee und Schokolade tragen zur Entwaldung bei. Wälder spielen jedoch eine wichtige Rolle für die biologische Vielfalt und die Eindämmung des Klimawandels.
Viele Unternehmen sind gleich mehrfach von dem Gesetz betroffen – wenn sie mehrere dieser Erzeugnisse auf den Markt bringen. So zum Beispiel Tchibo und Melitta, die sowohl Kaffee als auch Kaffeefilter verkaufen. Letztere werden meist aus holzbasiertem Zellstoff hergestellt. Tchibo verkauft zudem auch Möbel.
Zukünftig müssen die Produzenten den Einkäufern in der EU über eine digitale Schnittstelle genaue GPS-Daten ihrer Anbaufläche mitliefern sowie eine Sorgfaltserklärung. Diese muss auch belegen, dass lokale Gesetze eingehalten wurden. Fehlen diese Daten, darf der Zoll die Lieferung nicht auf den EU-Markt lassen.
In kleinteiligen Lieferketten wie von Kaffee kann dies sehr schwierig werden, erklärt Pablo von Waldenfels, Direktor Unternehmensverantwortung bei Tchibo. Hinter dem Einkaufsvolumen von Tchibo stehe die Produktionsmenge von 75.000 Kaffeefarmern, in der Regel Kleinfarmer. Größere Farmen wie in Brasilien würden industriell betrieben und hätten bereits Erfahrung darin, bestimmte Auflagen einzuhalten und dies zu dokumentieren. “70 bis 80 Prozent der Farmen sind allerdings sehr klein, vielleicht so groß wie ein Fußballfeld, wie ein halbes, oder auch nur so groß wie ein Garten”, erklärt von Waldenfels. “Wenn die es nicht schaffen, die notwendigen Unterlagen heranzuschaffen, sind sie langfristig vom Kaffeeeinkauf aus Europa ausgeschlossen – nicht, weil sie Bäume fällen, sondern einfach nur, weil sie die Daten nicht bereitstellen können.”
Die Vorgaben führen zudem auf mehrfache Kontrollen innerhalb desselben Unternehmens hinaus, kritisiert Stefan Dierks, Leiter der Nachhaltigkeitsstrategie bei der Melitta Gruppe. Die Daten der Farmer werden bereits vor Ankunft der Lieferung überprüft, jede Lieferung erhält eine EU-Referenznummer im digitalen System “Traces”. Werden später unterschiedliche Kaffeesorten gemischt, wiederholt sich dieser Prozess: Auch die Mischung braucht eine eigene Referenznummer. Wird diese dann zum Beispiel bei der Tochtergesellschaft Melitta Professional verkauft, muss dieser Unternehmensbereich nochmals alle Daten überprüfen. “Das ist reine Bürokratie und weder zielführend noch sinnvoll“, sagt Dierks.
Dierks koordiniert bei Melitta ein unternehmensweites Projektteam zur Anwendung der EUDR. Dieses tauscht sich unter anderem eng mit dem Deutschen Kaffeeverband aus. In dessen Auftrag wurde ein digitales Tool für den Kaffeesektor entwickelt, mit dem sich die Daten erfassen und im Hinblick auf das Entwaldungsrisiko überprüfen lassen. Hier soll auch eine Schnittstelle zum EU-System “Traces” geschaffen werden, das die Referenznummern erstellt. “Es braucht hier automatisierte Tools, mit reinem Personalaufwand ist das nicht machbar”, stellt Dierks fest.
Die Forderungen nach einem Aufschieben der Umsetzungsfrist kann er gut nachvollziehen. “Die Zeit zur Vorbereitung ist an vielen Stellen der Lieferketten zu kurz, insbesondere in manchen Kaffeeanbauregionen”, erklärt Dierks. “Da würde es tatsächlich helfen, die Anwendung um ein halbes Jahr zu verschieben.”
In jedem Mitgliedstaat überprüft eine nationale Behörde die Anwendung der neuen Regeln. In Deutschland ist das die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Dort leitet Annerose Lichtenstein seit Anfang Juni die Gruppe “Entwaldungsfreie Produkte, Holzhandel”. Das derzeit noch sechsköpfige Team soll in diesem Jahr auf insgesamt 36 Stellen erweitert werden, die Ausschreibungen und Einstellungen laufen zurzeit. Das sei jedoch noch lange nicht genug. “Es gibt unterschiedliche Schätzungen wie viele Kontrollen wir durchführen müssen – in jedem Fall wird es eine sehr hohe Anzahl sein”, erklärt sie. “Auch wenn wir diese Kontrollen mit einem hohen Automatisierungsgrad machen, ist das sehr viel Arbeit und bedarf Personal.”
Laut einer Zollauswertung gebe es geschätzt insgesamt 150.000 deutsche Verarbeiter und Händler, die von dem Gesetz betroffen sind, erzählt Lichtenstein. Für die inländischen Primärerzeuger werden voraussichtlich die Bundesländer zuständig sein.
Daraus ergeben sich laut Schätzungen zukünftig etwa 20 Millionen Meldungen über einzelne Erzeugnisse pro Jahr in “Traces”. Aus ihnen muss das Team in der BLE einzelne Marktteilnehmer auswählen. Die Behörde entwickelt zurzeit ein automatisiertes Verfahren, mit dem je nach Entwaldungsrisiko bestimmte Punkte vergeben werden. Je höher die Punktzahl, desto wahrscheinlicher eine Kontrolle. Dabei fallen bestimmte Risikofaktoren ins Gewicht: “Dort, wo die Erzeuger zumindest in der Nähe von Entwaldungsgebieten sind, und dort, wo es überhaupt große Waldgebiete gibt, ist das Risiko natürlich höher”, erklärt sie. Ihr Team überprüft dann in einem dreistufigen Verfahren die Sorgfaltserklärung sowie die Risikobewertung der Marktteilnehmer und deren Maßnahmen, um das Entwaldungsrisiko zu minimieren.
Was außerdem noch fehlt, ist ein deutsches Gesetz, das die nationale Anwendung regeln soll. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) arbeitet zurzeit daran. Laut Informationen von Table.Briefings soll es darin um die Zuständigkeiten von Bund und Ländern, die Befugnisse der Kontrollbehörden und um Straf- und Bußgeldvorschriften gehen. Außerdem wird darin das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz (HolzSiG) aufgehoben. Dieses setzt bislang die EU-Holzhandelsverordnung um, die mit der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte ebenfalls aufgehoben wird.
Das deutsche Gesetz soll laut BMEL bis zum 30. Dezember in Kraft treten – dem Tag, ab dem die EU-Verordnung angewendet werden muss.
Bei dieser Europawahl gab es keine Newcomer, die einen so markanten Start hingelegt haben, wie er vor fünf Jahren zu erleben war. 2019 ist die Liste Renaissance um Emmanuel Macrons Partei erstmals ins Europaparlament eingezogen und holte 21 Sitze. In diesem Jahr gibt es zwar neue Allianzen, die ausgesprochen erfolgreich waren. So wurde etwa das Bündnis GroenLinks/Partij van de Arbeid mit Spitzenkandidat Frans Timmermans Wahlsieger bei der Europawahl in den Niederlanden. Doch dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss längst etablierter Parteien.
“Die neuen Parteien verteilen sich breit über das politische Spektrum im Parlament“, sagt der Politikwissenschaftler Manuel Müller. Und auch wenn einige fraktionslos bleiben, wie etwa das deutsche BSW, haben zahlreiche neue Parteien Anschluss an Fraktionen gefunden. Die erfolgreichste neue Partei im Europaparlament, Tisza aus Ungarn, hat sich mit ihren sieben Europaabgeordneten der EVP angeschlossen. “Es sind nicht die neuen Parteien, die für Unruhe sorgen”, sagt Müller. Stattdessen sind es vor allem etablierte Parteien des Rechtsaußen-Lagers, die mit späten Neugründungen von Fraktionen die Abläufe nach der Wahl durcheinanderbringen.
Wer sind die Neuen im Parlament? Wir stellen einige der Parteien und Abgeordneten vor.
Aufgrund der insgesamt hohen Verluste der Grünen – besonders in den grünen Kernländern Deutschland und Frankreich – wurde kaum zur Kenntnis genommen, dass in manchen Mitgliedstaaten grüne Parteien kleinere Erfolge gefeiert haben, auch dank einiger Newcomer. In Lettland, Slowenien und Kroatien haben links-grüne Parteien, die bislang nicht im Parlament vertreten waren, jeweils einen Sitz errungen.
Für die lettischen Progressiven zieht der frühere Bürgermeister von Riga, Mārtiņš Staķis, ins Europaparlament ein. Als wesentliche Motivation für seine Kandidatur gab er an, russischen und antieuropäischen Einfluss aus Lettland auf das Parlament verhindern zu wollen. Zu den Prioritäten der Progressiven auf EU-Ebene gehören eine engere Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit sowie der Kampf gegen wirtschaftliche Ungleichheit.
Dank der Zuwächse aus den östlichen EU-Ländern sei die grüne Fraktion nun deutlich diverser und geografisch breiter aufgestellt, sagt der Politikwissenschaftler Müller. “Damit haben sie eine Grundlage, auf der sie wieder aufbauen können.”
Mit einem Sitz neu im Europaparlament vertreten ist auch die 2022 gegründete Mitte-links-Partei Union der Demokraten-“Für Litauen” (DSVL) – allerdings mit einem bekannten Gesicht: Virginijus Sinkevičius, bisheriger Umweltkommissar. Zuvor hatte Sinkevičius der litauischen Bauern- und Grünen-Union (LVŽS) angehört – diese wechselte nach der Wahl von den Grünen/EFA zur rechten EKR-Fraktion.
In Italien hat die Alleanza Verdi e Sinistra (AVS) sechs Sitze geholt. Das Bündnis zwischen Grünen und Linken gibt es seit 2022. Unter den gewählten Abgeordneten ist Ilaria Salis, die in Ungarn in Untersuchungshaft gesessen hatte. Die ungarische Staatsanwaltschaft wirft der Lehrerin vor, an einem tätlichen Angriff auf Rechtsextremisten beteiligt zu sein. Ihr drohen bis zu elf Jahre Haft.
Als Abgeordnete genießt Salis Immunität, nach der Wahl wurde sie aus dem Hausarrest in Ungarn entlassen. Das Stadtgericht in Budapest hat das Europaparlament allerdings aufgefordert, die Immunität aufzuheben. Zuständig für ein derartiges Verfahren ist der Rechtsausschuss. Doch auch wenn die Immunität aufgehoben wird, behält ein Mitglied des Parlaments seinen Sitz.
Die vier grünen Abgeordneten der AVS haben sich der Fraktion Grüne/EFA angeschlossen, Salis ist gemeinsam mit Mimmo Lucano der Fraktion der Linken beigetreten. Diese nannte die Freilassung von Salis einen “Sieg für die Gerechtigkeit und eine Niederlage für repressive rechtsextreme Führer wie Viktor Orbán”. Salis, die sich als Antifaschistin bezeichnet, kündigte an, sich als Abgeordnete unter anderem für bessere Bedingungen in Gefängnissen und Abschiebezentren einzusetzen. Lucano, Ex-Bürgermeister des Örtchens Riace, ist über Italien hinaus bekannt für seine ambitionierte Flüchtlingspolitik.
Bei diesen Wahlen haben rechtsextreme Positionen verstärkten Zuspruch bekommen. So überrascht es nicht, dass einige Rechtsaußen-Parteien erstmals den Einzug ins Parlament geschafft haben.
In Rumänien ist die nationalistische und europaskeptische Allianz für die Union der Rumänen (AUR) zweitstärkste Kraft geworden und mit ihren sechs Abgeordneten der EKR beigetreten. Die Partei setzt sich für eine Vereinigung von Rumänien und der Republik Moldau ein und betont ihre zentralen Werte: “Familie, Heimat, Land, Glauben und Freiheit”. Noch weiter am rechten Rand befindet sich SOS România, für die zwei Abgeordnete ins Europaparlament einziehen. “Geschrei und Verschwörungstheorien prägen den Politikstil der Partei”, heißt es in einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung.
In Polen ist nach der Bürgerkoalition von Donald Tusk und der PiS die rechtsradikale und extrem europaskeptische Konfederacja auf dem dritten Platz aus den Wahlen hervorgegangen. Unter den sechs gewählten Abgeordneten ist Grzegorz Braun, der im vergangenen Jahr für Entsetzen sorgte, als er mit einem Feuerlöscher auf eine Chanukka-Zeremonie im polnischen Sejm losging. Drei Abgeordnete der Konfederacja haben sich der neu gegründeten Fraktion “Europa der souveränen Nationen” (ESN) um die AfD angeschlossen.
“Die Party ist vorbei, Politiker” heißt es auf der Website der rechtsextremen spanischen Protestbewegung Se Acabó La Fiesta (SALF). Seit 2019 jage man “Korrupte, Pädophile und Kriminelle”. Hinter SALF steht Luis Alvise Pérez, der in Spanien vor allem aufgrund seiner starken Social-Media-Präsenz bekannt ist. Bereits 2020 beschrieb das Magazin “eldiario.es” Pérez als “Alt-Right-Agitator” und “Influencer der extremen Rechten”.
SALF erreichte bei den Wahlen drei Sitze und wollte sich zunächst der neuen ESN-Fraktion anschließen, machte später aber einen Rückzieher. Gewählt wurde die Gruppe wohl auch von Menschen, denen die rechtspopulistische Vox zu gemäßigt ist.
Die 2023 gegründete Partei Independent Ireland, die einen Sitz im Europaparlament erlangt hat, wird von Beobachtern und politischen Kontrahenten als rechtsgerichtete und euroskeptische Partei bezeichnet. Ihr Europaabgeordneter, der Journalist Ciaran Mullooly, verortet sich jedoch in der politischen Mitte, er sei weder “anti-grün” noch ein “Klimaleugner”, sagte er dem irischen Rundfunk RTÉ. Mullooly sprach unter anderem mit der Europäischen Freien Allianz über einen Beitritt, schloss sich dann aber nicht den Grünen/EFA an, sondern entschied sich für die Europäische Demokratische Partei und damit Renew. Er kündigte an, dass er vor allem das Thema Landwirtschaft vertreten will.
Ganz oben auf seiner Agenda stehe die Situation in Gaza. Bevor er sich entscheide, ob er für eine weitere Amtszeit von Ursula von der Leyen stimme, wolle er von der amtierenden Kommissionspräsidentin wissen, was sie nach einer Wiederwahl für die Menschen in Gaza tun wolle, sagte er.
Mullooly ist nicht der einzige irische Abgeordnete, der sich Renew angeschlossen hat: Vier Abgeordnete der liberalkonservativen Fianna Fáil gehören der Fraktion an, ebenso wie der frühere Labour- und jetzt unabhängige Politiker Michael McNamara, der ebenfalls erstmals ins Europaparlament eingezogen ist.
Der Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (SEDE) soll möglicherweise erst im September zu einem Vollausschuss aufgewertet werden. Dies heißt es in Renew-Kreisen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann sei als Vorsitzende gesetzt, nachdem sich die FDP-Politikerin intern gegen die Französin Nathalie Loiseau durchgesetzt habe. Die Verteidigungspolitikerin hatte für den Fall einer Aufwertung früh ihren Anspruch erhoben, zeigte alternativ aber Interesse an einem der Vizepräsidentenposten des EU-Parlaments.
Aus anderen Fraktionen wurde die SEDE-Aufwertung noch nicht bestätigt. Die Diskussionen liefen noch und die Aufwertung sei Teil eines Pakets, über das auch am heutigen Montagabend in Straßburg noch diskutiert werden soll. Für Verzögerung sorgten Spannungen um den genauen Zuschnitt, da gemäß dem Vorschlag von Renew andere Ausschüsse Zuständigkeiten hätten abgeben müssen. Von Seiten der Sozialdemokraten steht zudem die Forderung im Raum, parallel auch den Unterausschuss Menschenrechte (DROI) aufzuwerten. Die Entscheidung zu SEDE dürfte im Herbst vor allem davon abhängig sein, ob Ursula von der Leyen nach einer Wiederwahl wie angekündigt das neue Ressort eines Verteidigungskommissars schaffen wird. sti
Die EU-Kommission hat dem Kurznachrichtendienst X ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt, dass die Plattform gegen den Digital Services Act (DSA) verstößt. “Wir sind der Ansicht, dass X das Gesetz in Schlüsselbereichen der Transparenz nicht einhält“, sagte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. “Transparenz ist das Kernstück des Gesetzes über digitale Dienste, und wir sind entschlossen sicherzustellen, dass alle Plattformen, einschließlich X, die EU-Rechtsvorschriften einhalten.”
Im April 2023 hatte die Kommission X als sehr große Online-Plattform (VLOP) unter dem DSA benannt, nachdem es eine monatliche Nutzerzahl von mehr als 45 Millionen in der EU gemeldet hatte. Am 18. Dezember 2023 leitete die Kommission ein Verfahren ein, um mögliche Verstöße von X zu untersuchen.
Die Untersuchung ergab jetzt drei vorläufige Feststellungen:
X hat nun die Möglichkeit, die Untersuchungsergebnisse der Kommission zu prüfen und schriftlich Stellung zu nehmen. Die Kommission kann X auffordern, Maßnahmen zur Behebung der Verstöße zu ergreifen. Sollte sich die vorläufige Auffassung der Kommission bestätigen, könnte dies zu Geldbußen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes von X führen. vis
Andrea Wechsler (CDU), erstmals ins Europaparlament gewählte Abgeordnete aus Baden-Württemberg, übernimmt den Vorsitz der Parlamentariergruppe der überparteilichen Europa-Union im Europäischen Parlament. Sie übernimmt den Vorsitz von Niklas Nienaß, der nicht wieder gewählt wurde. Für die SPD zieht Sabrina Repp aus Mecklenburg-Vorpommern in den Vorstand ein, die von Gaby Bischoff übernimmt und ebenfalls neu im Parlament ist. Markus Ferber ist wie bisher das Vorstandsmitglied für die CSU und Andreas Glück wie bisher das Vorstandsmitglied für die FDP.
Präsident der Europa-Union bleibt Rainer Wieland (CDU), der nicht wieder ins Europaparlament eingezogen ist. Wieland war seit 1997 Abgeordneter im Europaparlament und seit 2009 Vizepräsident. Er war in der letzten Wahlperiode der Vize-Präsident mit der längsten Amtszeit und mit dem größten Portfolio. Wieland war unter anderem zuständig für die Immobilien des Parlaments. In der letzten Wahlperiode waren 62 von 96 deutschen Europaabgeordneten Mitglied der Europa-Union. Die Grünen haben noch keinen Nachfolger für Nienaß bestimmt. Einem ungeschriebenen Gesetz zufolge steht der Vorsitz der Parlamentariergruppe im Europäischen Parlament einer Partei zu, die im Bundestag in der Opposition ist. mgr
Bei der Europawahl 2024 wurde gerne die wundervolle EU beschworen: Vier Millionen Quadratkilometer mit fast 450 Millionen Menschen, in denen sich Menschen, Waren, Dienstleistungen und Finanzen frei bewegen können, wovon die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger gleichsam profitieren. Eine schöne Erzählung, denn diese Grundfreiheiten gehören in der Tat zu den größten Errungenschaften der EU.
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Fokus der EU liegt längst nicht mehr auf wirtschaftlichem Erfolg.
Gerade in der zurückliegenden Legislaturperiode hat die EU-Politik die Wirtschaft im Stich gelassen. Vor allem Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben den Unternehmen schwer zu schaffen gemacht. Doch anstatt sie dann wenigstens zu entlasten, blieben Forderungen nach einem Belastungsmoratorium nicht nur ungehört. Zahlreiche Vorschläge mit enormem Belastungspotenzial legte die Kommission erst in dieser Phase vor.
Die prominentesten Beispiele dafür sind die Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten (CSDDD). Die Stimmung in den Unternehmen ist entsprechend schlecht: Laut FAZ-Elitepanel vom Dezember 2023 sagen 50 Prozent der Führungsspitzen der Wirtschaft, dass die Politik der EU die Volkswirtschaften schwächt.
Hinzu kommt: Seit mindestens drei Europawahlen wird jede Europawahl zur Schicksalswahl (v)erklärt, bei der es darauf ankomme, Europa gegen seine Feinde zu verteidigen. Und doch gewannen europakritische oder gar -feindliche Parteien dazu. Und jedes Mal war die Antwort darauf, in den Folgejahren noch mehr vom Gleichen zu liefern. Und dann ist die Verwunderung groß, wenn man noch mehr kleinteilige Regulierung erlassen hat und vom Wähler trotzdem immer noch nicht geliebt wird – wie vor fünf Wochen wieder zu beobachten war.
Die deutsche Metall- und Elektro-Industrie steht klar zur EU, die auch mehr als nur ein Binnenmarkt sein muss. Aber die Argumente der Europakritiker müssen endlich durch konkrete Taten widerlegt werden.
Neben im globalen Vergleich hohen Energie- und Arbeitskosten und dem Fachkräftemangel ist die Regulierungsdichte ein weiterer entscheidender Faktor, der den Industriestandort Europa immer weniger attraktiv macht. Will Europa eine führende Industrieregion in der Welt bleiben, müssen sich die Rahmenbedingungen hier wieder deutlich verbessern!
In dieser Woche steht nun im Europäischen Parlament die Abstimmung über eine zweite Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an. Unsere Erwartungshaltung ist klar: So geht es nicht weiter, ein neuer Politik- und Regierungsstil und ein Politikwechsel müssen her.
Wir brauchen die EU, von der im Wahlkampf geschwärmt wird, dringend zurück. Um einen alten Slogan der CDU aufzugreifen: Es ist Zeit für Politik für ein Europa, in dem wir gut und gerne wirtschaften können.
morgen startet die erste Plenarsitzung des neugewählten Parlaments in Straßburg. Gleichzeitig treffen sich in Brüssel die Finanzminister der Eurozone zur Sitzung der Eurogruppe. Als einer der ersten Programmpunkte wollen sie das Arbeitsprogramm bis März beschließen.
Im Zentrum steht wieder die Kapitalmarktunion. Da aber die neue Kommission erst im Herbst gebildet wird, wolle man sich auf Maßnahmen fokussieren, für die keine Kommissionsvorschläge nötig sind, sagte ein EU-Beamter. Stattdessen wolle man schauen, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten unilateral umsetzen können, um die Kapitalmobilität innerhalb der EU zu vereinfachen.
Später am Nachmittag wird die Eurogruppensitzung für alle EU-Finanzminister geöffnet. Auch Enrico Letta wird in Brüssel erwartet. Er wird über seinen Binnenmarktbericht referieren und darüber, wie die europäische Wettbewerbsfähigkeit finanziert werden soll. Neben seinem Appell für mehr öffentliche Investitionen und Subventionen auf europäischer Ebene wird er die Idee der “Spar- und Investitionsunion” anpreisen – so nennt er die Kapitalmarktunion in der Hoffnung, sie besser zu vermarkten – aber konkrete Fortschritte sind nicht zu erwarten.
Die Kapitalmarktunion ist in aller Munde, und vorerst bleibt sie auch dort. Die Gespräche zu den konkreten legislativen Vorschlägen laufen zäh. Aber nun ist auch die politische Zukunft eines der größten Zugpferde der Idee ungewiss. Je nachdem, wie die Regierungsbildung in Frankreich fortschreitet, könnten die Finanzministertreffen heute und morgen für Bruno Le Maire nach sieben Jahren Amtszeit die letzten sein. Ob sein Nachfolger dieselbe Begeisterung für die Kapitalmarktunion aufbringt, ist abzuwarten.
Starten Sie gut in die Woche!
Noch knapp ein halbes Jahr haben Händler und Produzenten von Erzeugnissen wie Kaffee, Kakao, Soja und Holz Zeit, sich vorzubereiten. Um diese Produkte auf dem EU-Markt zu verkaufen, müssen sie ab 2025 sicherstellen, dass diese nicht von nach 2020 entwaldeten Flächen stammen.
Der enge Zeitplan für die Umsetzung der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) fordert viele Betroffene heraus. Zwar ist das Gesetz bereits vor einem Jahr in Kraft getreten. Doch Unternehmen und Verwaltung müssen Teams aufbauen, Prozesse entwickeln, digitale Tools für die Anwendung und Lösungen für die aufwendige Dokumentation finden – und die EU-Kommission hat entscheidende Informationen zur Umsetzung, wie das Länder-Benchmarking und bestimmte Leitlinien, teilweise noch gar nicht veröffentlicht.
Mit der Verordnung will die EU gegen die weltweite Entwaldung vorgehen, deren Hauptursache die Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen ist. Hauptimportgut in diesem Zusammenhang ist Soja, das beispielsweise auf abgeholzten Regenwaldflächen in Südamerika angebaut wird und in Europa überwiegend als Tierfutter zum Einsatz kommt. Aber auch der Konsum von Palmöl, Kaffee und Schokolade tragen zur Entwaldung bei. Wälder spielen jedoch eine wichtige Rolle für die biologische Vielfalt und die Eindämmung des Klimawandels.
Viele Unternehmen sind gleich mehrfach von dem Gesetz betroffen – wenn sie mehrere dieser Erzeugnisse auf den Markt bringen. So zum Beispiel Tchibo und Melitta, die sowohl Kaffee als auch Kaffeefilter verkaufen. Letztere werden meist aus holzbasiertem Zellstoff hergestellt. Tchibo verkauft zudem auch Möbel.
Zukünftig müssen die Produzenten den Einkäufern in der EU über eine digitale Schnittstelle genaue GPS-Daten ihrer Anbaufläche mitliefern sowie eine Sorgfaltserklärung. Diese muss auch belegen, dass lokale Gesetze eingehalten wurden. Fehlen diese Daten, darf der Zoll die Lieferung nicht auf den EU-Markt lassen.
In kleinteiligen Lieferketten wie von Kaffee kann dies sehr schwierig werden, erklärt Pablo von Waldenfels, Direktor Unternehmensverantwortung bei Tchibo. Hinter dem Einkaufsvolumen von Tchibo stehe die Produktionsmenge von 75.000 Kaffeefarmern, in der Regel Kleinfarmer. Größere Farmen wie in Brasilien würden industriell betrieben und hätten bereits Erfahrung darin, bestimmte Auflagen einzuhalten und dies zu dokumentieren. “70 bis 80 Prozent der Farmen sind allerdings sehr klein, vielleicht so groß wie ein Fußballfeld, wie ein halbes, oder auch nur so groß wie ein Garten”, erklärt von Waldenfels. “Wenn die es nicht schaffen, die notwendigen Unterlagen heranzuschaffen, sind sie langfristig vom Kaffeeeinkauf aus Europa ausgeschlossen – nicht, weil sie Bäume fällen, sondern einfach nur, weil sie die Daten nicht bereitstellen können.”
Die Vorgaben führen zudem auf mehrfache Kontrollen innerhalb desselben Unternehmens hinaus, kritisiert Stefan Dierks, Leiter der Nachhaltigkeitsstrategie bei der Melitta Gruppe. Die Daten der Farmer werden bereits vor Ankunft der Lieferung überprüft, jede Lieferung erhält eine EU-Referenznummer im digitalen System “Traces”. Werden später unterschiedliche Kaffeesorten gemischt, wiederholt sich dieser Prozess: Auch die Mischung braucht eine eigene Referenznummer. Wird diese dann zum Beispiel bei der Tochtergesellschaft Melitta Professional verkauft, muss dieser Unternehmensbereich nochmals alle Daten überprüfen. “Das ist reine Bürokratie und weder zielführend noch sinnvoll“, sagt Dierks.
Dierks koordiniert bei Melitta ein unternehmensweites Projektteam zur Anwendung der EUDR. Dieses tauscht sich unter anderem eng mit dem Deutschen Kaffeeverband aus. In dessen Auftrag wurde ein digitales Tool für den Kaffeesektor entwickelt, mit dem sich die Daten erfassen und im Hinblick auf das Entwaldungsrisiko überprüfen lassen. Hier soll auch eine Schnittstelle zum EU-System “Traces” geschaffen werden, das die Referenznummern erstellt. “Es braucht hier automatisierte Tools, mit reinem Personalaufwand ist das nicht machbar”, stellt Dierks fest.
Die Forderungen nach einem Aufschieben der Umsetzungsfrist kann er gut nachvollziehen. “Die Zeit zur Vorbereitung ist an vielen Stellen der Lieferketten zu kurz, insbesondere in manchen Kaffeeanbauregionen”, erklärt Dierks. “Da würde es tatsächlich helfen, die Anwendung um ein halbes Jahr zu verschieben.”
In jedem Mitgliedstaat überprüft eine nationale Behörde die Anwendung der neuen Regeln. In Deutschland ist das die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Dort leitet Annerose Lichtenstein seit Anfang Juni die Gruppe “Entwaldungsfreie Produkte, Holzhandel”. Das derzeit noch sechsköpfige Team soll in diesem Jahr auf insgesamt 36 Stellen erweitert werden, die Ausschreibungen und Einstellungen laufen zurzeit. Das sei jedoch noch lange nicht genug. “Es gibt unterschiedliche Schätzungen wie viele Kontrollen wir durchführen müssen – in jedem Fall wird es eine sehr hohe Anzahl sein”, erklärt sie. “Auch wenn wir diese Kontrollen mit einem hohen Automatisierungsgrad machen, ist das sehr viel Arbeit und bedarf Personal.”
Laut einer Zollauswertung gebe es geschätzt insgesamt 150.000 deutsche Verarbeiter und Händler, die von dem Gesetz betroffen sind, erzählt Lichtenstein. Für die inländischen Primärerzeuger werden voraussichtlich die Bundesländer zuständig sein.
Daraus ergeben sich laut Schätzungen zukünftig etwa 20 Millionen Meldungen über einzelne Erzeugnisse pro Jahr in “Traces”. Aus ihnen muss das Team in der BLE einzelne Marktteilnehmer auswählen. Die Behörde entwickelt zurzeit ein automatisiertes Verfahren, mit dem je nach Entwaldungsrisiko bestimmte Punkte vergeben werden. Je höher die Punktzahl, desto wahrscheinlicher eine Kontrolle. Dabei fallen bestimmte Risikofaktoren ins Gewicht: “Dort, wo die Erzeuger zumindest in der Nähe von Entwaldungsgebieten sind, und dort, wo es überhaupt große Waldgebiete gibt, ist das Risiko natürlich höher”, erklärt sie. Ihr Team überprüft dann in einem dreistufigen Verfahren die Sorgfaltserklärung sowie die Risikobewertung der Marktteilnehmer und deren Maßnahmen, um das Entwaldungsrisiko zu minimieren.
Was außerdem noch fehlt, ist ein deutsches Gesetz, das die nationale Anwendung regeln soll. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) arbeitet zurzeit daran. Laut Informationen von Table.Briefings soll es darin um die Zuständigkeiten von Bund und Ländern, die Befugnisse der Kontrollbehörden und um Straf- und Bußgeldvorschriften gehen. Außerdem wird darin das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz (HolzSiG) aufgehoben. Dieses setzt bislang die EU-Holzhandelsverordnung um, die mit der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte ebenfalls aufgehoben wird.
Das deutsche Gesetz soll laut BMEL bis zum 30. Dezember in Kraft treten – dem Tag, ab dem die EU-Verordnung angewendet werden muss.
Bei dieser Europawahl gab es keine Newcomer, die einen so markanten Start hingelegt haben, wie er vor fünf Jahren zu erleben war. 2019 ist die Liste Renaissance um Emmanuel Macrons Partei erstmals ins Europaparlament eingezogen und holte 21 Sitze. In diesem Jahr gibt es zwar neue Allianzen, die ausgesprochen erfolgreich waren. So wurde etwa das Bündnis GroenLinks/Partij van de Arbeid mit Spitzenkandidat Frans Timmermans Wahlsieger bei der Europawahl in den Niederlanden. Doch dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss längst etablierter Parteien.
“Die neuen Parteien verteilen sich breit über das politische Spektrum im Parlament“, sagt der Politikwissenschaftler Manuel Müller. Und auch wenn einige fraktionslos bleiben, wie etwa das deutsche BSW, haben zahlreiche neue Parteien Anschluss an Fraktionen gefunden. Die erfolgreichste neue Partei im Europaparlament, Tisza aus Ungarn, hat sich mit ihren sieben Europaabgeordneten der EVP angeschlossen. “Es sind nicht die neuen Parteien, die für Unruhe sorgen”, sagt Müller. Stattdessen sind es vor allem etablierte Parteien des Rechtsaußen-Lagers, die mit späten Neugründungen von Fraktionen die Abläufe nach der Wahl durcheinanderbringen.
Wer sind die Neuen im Parlament? Wir stellen einige der Parteien und Abgeordneten vor.
Aufgrund der insgesamt hohen Verluste der Grünen – besonders in den grünen Kernländern Deutschland und Frankreich – wurde kaum zur Kenntnis genommen, dass in manchen Mitgliedstaaten grüne Parteien kleinere Erfolge gefeiert haben, auch dank einiger Newcomer. In Lettland, Slowenien und Kroatien haben links-grüne Parteien, die bislang nicht im Parlament vertreten waren, jeweils einen Sitz errungen.
Für die lettischen Progressiven zieht der frühere Bürgermeister von Riga, Mārtiņš Staķis, ins Europaparlament ein. Als wesentliche Motivation für seine Kandidatur gab er an, russischen und antieuropäischen Einfluss aus Lettland auf das Parlament verhindern zu wollen. Zu den Prioritäten der Progressiven auf EU-Ebene gehören eine engere Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit sowie der Kampf gegen wirtschaftliche Ungleichheit.
Dank der Zuwächse aus den östlichen EU-Ländern sei die grüne Fraktion nun deutlich diverser und geografisch breiter aufgestellt, sagt der Politikwissenschaftler Müller. “Damit haben sie eine Grundlage, auf der sie wieder aufbauen können.”
Mit einem Sitz neu im Europaparlament vertreten ist auch die 2022 gegründete Mitte-links-Partei Union der Demokraten-“Für Litauen” (DSVL) – allerdings mit einem bekannten Gesicht: Virginijus Sinkevičius, bisheriger Umweltkommissar. Zuvor hatte Sinkevičius der litauischen Bauern- und Grünen-Union (LVŽS) angehört – diese wechselte nach der Wahl von den Grünen/EFA zur rechten EKR-Fraktion.
In Italien hat die Alleanza Verdi e Sinistra (AVS) sechs Sitze geholt. Das Bündnis zwischen Grünen und Linken gibt es seit 2022. Unter den gewählten Abgeordneten ist Ilaria Salis, die in Ungarn in Untersuchungshaft gesessen hatte. Die ungarische Staatsanwaltschaft wirft der Lehrerin vor, an einem tätlichen Angriff auf Rechtsextremisten beteiligt zu sein. Ihr drohen bis zu elf Jahre Haft.
Als Abgeordnete genießt Salis Immunität, nach der Wahl wurde sie aus dem Hausarrest in Ungarn entlassen. Das Stadtgericht in Budapest hat das Europaparlament allerdings aufgefordert, die Immunität aufzuheben. Zuständig für ein derartiges Verfahren ist der Rechtsausschuss. Doch auch wenn die Immunität aufgehoben wird, behält ein Mitglied des Parlaments seinen Sitz.
Die vier grünen Abgeordneten der AVS haben sich der Fraktion Grüne/EFA angeschlossen, Salis ist gemeinsam mit Mimmo Lucano der Fraktion der Linken beigetreten. Diese nannte die Freilassung von Salis einen “Sieg für die Gerechtigkeit und eine Niederlage für repressive rechtsextreme Führer wie Viktor Orbán”. Salis, die sich als Antifaschistin bezeichnet, kündigte an, sich als Abgeordnete unter anderem für bessere Bedingungen in Gefängnissen und Abschiebezentren einzusetzen. Lucano, Ex-Bürgermeister des Örtchens Riace, ist über Italien hinaus bekannt für seine ambitionierte Flüchtlingspolitik.
Bei diesen Wahlen haben rechtsextreme Positionen verstärkten Zuspruch bekommen. So überrascht es nicht, dass einige Rechtsaußen-Parteien erstmals den Einzug ins Parlament geschafft haben.
In Rumänien ist die nationalistische und europaskeptische Allianz für die Union der Rumänen (AUR) zweitstärkste Kraft geworden und mit ihren sechs Abgeordneten der EKR beigetreten. Die Partei setzt sich für eine Vereinigung von Rumänien und der Republik Moldau ein und betont ihre zentralen Werte: “Familie, Heimat, Land, Glauben und Freiheit”. Noch weiter am rechten Rand befindet sich SOS România, für die zwei Abgeordnete ins Europaparlament einziehen. “Geschrei und Verschwörungstheorien prägen den Politikstil der Partei”, heißt es in einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung.
In Polen ist nach der Bürgerkoalition von Donald Tusk und der PiS die rechtsradikale und extrem europaskeptische Konfederacja auf dem dritten Platz aus den Wahlen hervorgegangen. Unter den sechs gewählten Abgeordneten ist Grzegorz Braun, der im vergangenen Jahr für Entsetzen sorgte, als er mit einem Feuerlöscher auf eine Chanukka-Zeremonie im polnischen Sejm losging. Drei Abgeordnete der Konfederacja haben sich der neu gegründeten Fraktion “Europa der souveränen Nationen” (ESN) um die AfD angeschlossen.
“Die Party ist vorbei, Politiker” heißt es auf der Website der rechtsextremen spanischen Protestbewegung Se Acabó La Fiesta (SALF). Seit 2019 jage man “Korrupte, Pädophile und Kriminelle”. Hinter SALF steht Luis Alvise Pérez, der in Spanien vor allem aufgrund seiner starken Social-Media-Präsenz bekannt ist. Bereits 2020 beschrieb das Magazin “eldiario.es” Pérez als “Alt-Right-Agitator” und “Influencer der extremen Rechten”.
SALF erreichte bei den Wahlen drei Sitze und wollte sich zunächst der neuen ESN-Fraktion anschließen, machte später aber einen Rückzieher. Gewählt wurde die Gruppe wohl auch von Menschen, denen die rechtspopulistische Vox zu gemäßigt ist.
Die 2023 gegründete Partei Independent Ireland, die einen Sitz im Europaparlament erlangt hat, wird von Beobachtern und politischen Kontrahenten als rechtsgerichtete und euroskeptische Partei bezeichnet. Ihr Europaabgeordneter, der Journalist Ciaran Mullooly, verortet sich jedoch in der politischen Mitte, er sei weder “anti-grün” noch ein “Klimaleugner”, sagte er dem irischen Rundfunk RTÉ. Mullooly sprach unter anderem mit der Europäischen Freien Allianz über einen Beitritt, schloss sich dann aber nicht den Grünen/EFA an, sondern entschied sich für die Europäische Demokratische Partei und damit Renew. Er kündigte an, dass er vor allem das Thema Landwirtschaft vertreten will.
Ganz oben auf seiner Agenda stehe die Situation in Gaza. Bevor er sich entscheide, ob er für eine weitere Amtszeit von Ursula von der Leyen stimme, wolle er von der amtierenden Kommissionspräsidentin wissen, was sie nach einer Wiederwahl für die Menschen in Gaza tun wolle, sagte er.
Mullooly ist nicht der einzige irische Abgeordnete, der sich Renew angeschlossen hat: Vier Abgeordnete der liberalkonservativen Fianna Fáil gehören der Fraktion an, ebenso wie der frühere Labour- und jetzt unabhängige Politiker Michael McNamara, der ebenfalls erstmals ins Europaparlament eingezogen ist.
Der Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (SEDE) soll möglicherweise erst im September zu einem Vollausschuss aufgewertet werden. Dies heißt es in Renew-Kreisen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann sei als Vorsitzende gesetzt, nachdem sich die FDP-Politikerin intern gegen die Französin Nathalie Loiseau durchgesetzt habe. Die Verteidigungspolitikerin hatte für den Fall einer Aufwertung früh ihren Anspruch erhoben, zeigte alternativ aber Interesse an einem der Vizepräsidentenposten des EU-Parlaments.
Aus anderen Fraktionen wurde die SEDE-Aufwertung noch nicht bestätigt. Die Diskussionen liefen noch und die Aufwertung sei Teil eines Pakets, über das auch am heutigen Montagabend in Straßburg noch diskutiert werden soll. Für Verzögerung sorgten Spannungen um den genauen Zuschnitt, da gemäß dem Vorschlag von Renew andere Ausschüsse Zuständigkeiten hätten abgeben müssen. Von Seiten der Sozialdemokraten steht zudem die Forderung im Raum, parallel auch den Unterausschuss Menschenrechte (DROI) aufzuwerten. Die Entscheidung zu SEDE dürfte im Herbst vor allem davon abhängig sein, ob Ursula von der Leyen nach einer Wiederwahl wie angekündigt das neue Ressort eines Verteidigungskommissars schaffen wird. sti
Die EU-Kommission hat dem Kurznachrichtendienst X ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt, dass die Plattform gegen den Digital Services Act (DSA) verstößt. “Wir sind der Ansicht, dass X das Gesetz in Schlüsselbereichen der Transparenz nicht einhält“, sagte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. “Transparenz ist das Kernstück des Gesetzes über digitale Dienste, und wir sind entschlossen sicherzustellen, dass alle Plattformen, einschließlich X, die EU-Rechtsvorschriften einhalten.”
Im April 2023 hatte die Kommission X als sehr große Online-Plattform (VLOP) unter dem DSA benannt, nachdem es eine monatliche Nutzerzahl von mehr als 45 Millionen in der EU gemeldet hatte. Am 18. Dezember 2023 leitete die Kommission ein Verfahren ein, um mögliche Verstöße von X zu untersuchen.
Die Untersuchung ergab jetzt drei vorläufige Feststellungen:
X hat nun die Möglichkeit, die Untersuchungsergebnisse der Kommission zu prüfen und schriftlich Stellung zu nehmen. Die Kommission kann X auffordern, Maßnahmen zur Behebung der Verstöße zu ergreifen. Sollte sich die vorläufige Auffassung der Kommission bestätigen, könnte dies zu Geldbußen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes von X führen. vis
Andrea Wechsler (CDU), erstmals ins Europaparlament gewählte Abgeordnete aus Baden-Württemberg, übernimmt den Vorsitz der Parlamentariergruppe der überparteilichen Europa-Union im Europäischen Parlament. Sie übernimmt den Vorsitz von Niklas Nienaß, der nicht wieder gewählt wurde. Für die SPD zieht Sabrina Repp aus Mecklenburg-Vorpommern in den Vorstand ein, die von Gaby Bischoff übernimmt und ebenfalls neu im Parlament ist. Markus Ferber ist wie bisher das Vorstandsmitglied für die CSU und Andreas Glück wie bisher das Vorstandsmitglied für die FDP.
Präsident der Europa-Union bleibt Rainer Wieland (CDU), der nicht wieder ins Europaparlament eingezogen ist. Wieland war seit 1997 Abgeordneter im Europaparlament und seit 2009 Vizepräsident. Er war in der letzten Wahlperiode der Vize-Präsident mit der längsten Amtszeit und mit dem größten Portfolio. Wieland war unter anderem zuständig für die Immobilien des Parlaments. In der letzten Wahlperiode waren 62 von 96 deutschen Europaabgeordneten Mitglied der Europa-Union. Die Grünen haben noch keinen Nachfolger für Nienaß bestimmt. Einem ungeschriebenen Gesetz zufolge steht der Vorsitz der Parlamentariergruppe im Europäischen Parlament einer Partei zu, die im Bundestag in der Opposition ist. mgr
Bei der Europawahl 2024 wurde gerne die wundervolle EU beschworen: Vier Millionen Quadratkilometer mit fast 450 Millionen Menschen, in denen sich Menschen, Waren, Dienstleistungen und Finanzen frei bewegen können, wovon die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger gleichsam profitieren. Eine schöne Erzählung, denn diese Grundfreiheiten gehören in der Tat zu den größten Errungenschaften der EU.
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Fokus der EU liegt längst nicht mehr auf wirtschaftlichem Erfolg.
Gerade in der zurückliegenden Legislaturperiode hat die EU-Politik die Wirtschaft im Stich gelassen. Vor allem Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben den Unternehmen schwer zu schaffen gemacht. Doch anstatt sie dann wenigstens zu entlasten, blieben Forderungen nach einem Belastungsmoratorium nicht nur ungehört. Zahlreiche Vorschläge mit enormem Belastungspotenzial legte die Kommission erst in dieser Phase vor.
Die prominentesten Beispiele dafür sind die Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten (CSDDD). Die Stimmung in den Unternehmen ist entsprechend schlecht: Laut FAZ-Elitepanel vom Dezember 2023 sagen 50 Prozent der Führungsspitzen der Wirtschaft, dass die Politik der EU die Volkswirtschaften schwächt.
Hinzu kommt: Seit mindestens drei Europawahlen wird jede Europawahl zur Schicksalswahl (v)erklärt, bei der es darauf ankomme, Europa gegen seine Feinde zu verteidigen. Und doch gewannen europakritische oder gar -feindliche Parteien dazu. Und jedes Mal war die Antwort darauf, in den Folgejahren noch mehr vom Gleichen zu liefern. Und dann ist die Verwunderung groß, wenn man noch mehr kleinteilige Regulierung erlassen hat und vom Wähler trotzdem immer noch nicht geliebt wird – wie vor fünf Wochen wieder zu beobachten war.
Die deutsche Metall- und Elektro-Industrie steht klar zur EU, die auch mehr als nur ein Binnenmarkt sein muss. Aber die Argumente der Europakritiker müssen endlich durch konkrete Taten widerlegt werden.
Neben im globalen Vergleich hohen Energie- und Arbeitskosten und dem Fachkräftemangel ist die Regulierungsdichte ein weiterer entscheidender Faktor, der den Industriestandort Europa immer weniger attraktiv macht. Will Europa eine führende Industrieregion in der Welt bleiben, müssen sich die Rahmenbedingungen hier wieder deutlich verbessern!
In dieser Woche steht nun im Europäischen Parlament die Abstimmung über eine zweite Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an. Unsere Erwartungshaltung ist klar: So geht es nicht weiter, ein neuer Politik- und Regierungsstil und ein Politikwechsel müssen her.
Wir brauchen die EU, von der im Wahlkampf geschwärmt wird, dringend zurück. Um einen alten Slogan der CDU aufzugreifen: Es ist Zeit für Politik für ein Europa, in dem wir gut und gerne wirtschaften können.