die Schadstoffnorm Euro 7 ist für die deutschen Hersteller wichtig, sie setzt die technischen Maßstäbe für den Motorenbau bis 2035. Das ist die Zeit, in der VW, Mercedes und BMW sowie die Zulieferer mit der Technologie, in der sie Weltspitze sind, noch gutes Geld verdienen wollten. Umso erstaunlicher ist, dass die Bundesregierung nicht dazu in der Lage ist, über die Ratsposition auf die Verhandlungen zu Euro 7 Einfluss zu nehmen.
Deutschland spielt keine Rolle, wenn heute auf Ebene der AStV-1-Botschafter über den neuesten Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft verhandelt wird, der Table.Media vorliegt. Vermutlich wird die Regierung in Madrid am Wochenende dann noch einmal nacharbeiten müssen, bevor am Montag im Wettbewerbsfähigkeitsrat die 27 Mitgliedstaaten ihre Position für die Verhandlungen mit dem Parlament festlegen.
Die Bundesregierung steht allein da, wenn sie ihre Wünsche durchsetzen will. Weder eine Regelung für E-Fuels wird sie bei Euro 7 bekommen noch strengere Grenzwerte und Testbedingungen für Nutzfahrzeuge. Beim Ambitionsniveau fällt der Rat auf Euro 6 zurück. Für die Unternehmen, die noch auf den Verbrenner setzen, ist das eine schlechte Nachricht: Die Standards für Verbrenner setzen künftig andere. Nicht die EU: China und die USA arbeiten längst an einer ehrgeizigen Regulierung. Lassen Sie sich die Laune nicht verderben!
Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) treibt vielen Akteuren der Agrar- und Ernährungswirtschaft Sorgenfalten auf die Stirn. Das Regelwerk, das seit Jahresbeginn 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden gilt, verpflichtet Firmen dazu, ihre eigenen Arbeitsprozesse und Lieferketten auf Verstöße gegen Menschenrechte sowie auf Umwelt- und Arbeitsschutz zu durchleuchten. Zudem sind die Unternehmen angehalten, Maßnahmen zu definieren, um diese Risiken einzudämmen. Zu diesen Maßnahmen zählen die Einrichtung eines Beschwerdewesens sowie Regelungen, die Lieferanten in die Pflicht nehmen.
Für den global tätigen Agrarhandels- und Energiekonzern Baywa AG mit Sitz in München gilt das LkSG seit Jahresbeginn. Das Unternehmen mit mehr als 24.000 Mitarbeitenden und Aktivitäten in rund 40 Ländern berichtet auf Anfrage, bereits im September 2021 eine eigene Unternehmenseinheit Corporate Social Compliance eingesetzt zu haben, die sich seitdem mit der Umsetzung des LkSG befasst. Die Baywa unterhält nach eigenen Angaben direkte Geschäftsbeziehungen zu rund 50.000 Lieferanten, und auf Beteiligungsebene zu weiteren rund 30.000 Zulieferern. Entsprechend sei die Umsetzung des LkSG “mit hohem personellen und zeitlichen Aufwand verbunden”, bilanziert die Baywa.
Wirtschaftsverbände beklagen passend dazu neben mutmaßlich unkalkulierbaren Haftungsrisiken einen hohen bürokratischen Aufwand. Nun fürchten Unternehmensverbände der Agrar- und Ernährungswirtschaft, dass es noch schlimmer kommen könnte. Grund ist das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD). Im Juni hatte sich das Parlament auf eine Position zu der geplanten Direktive verständigt. Seitdem befindet sich das EU-Lieferkettengesetz in den Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten. Noch müssen sich die drei Verhandlungsparteien auf einen Kompromiss verständigen, was erfahrungsgemäß ein zähes und langanhaltendes Ringen ist. Doch die Vorschläge von Parlament und Kommission gehen bereits jetzt in einigen Punkten deutlich über die Regelungen im deutschen LkSG hinaus.
Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) in Berlin, Dachverband der genossenschaftlich organisierten Unternehmen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, beispielsweise beklagt, dass das EU-Lieferkettengesetz in seiner Betrachtung der Lieferkette den kompletten Lebenszyklus eines Produktes betrachtet. Das deutsche LkSG hingegen umfasst nur die Aktivitäten eines Unternehmens selbst sowie dessen mittelbarer und unmittelbarer Geschäftspartner.
Der Produktzyklus reicht laut dem Vorschlag des EU-Parlaments von der Produktentwicklung bis hin zu dessen Entsorgung – anders als Wirtschaftsverbände haben Umweltorganisationen wie Greenpeace am deutschen LkSG stets eine unzureichende Betrachtung der Lieferkette kritisiert und geplante Verschärfungen im EU-Lieferkettengesetz positiv gewertet. Die Baywa befürchtet indessen wachsende Bürokratie: “Das wird den Aufwand erheblich ausweiten, da viele Produkte unzählig viele Glieder in der Lieferkette haben. Vor allem, wenn sie aus vielen Komponenten bestehen, gemischt oder verarbeitet sind”, so der Münchner Konzern. Im internationalen Getreidehandelsgeschäft seien hochkomplexe Lieferketten-Strukturen üblich und entsprechend geforderte Sorgfaltspflichten über den gesamten Produktzyklus hinweg “kaum beherrschbar”.
Die Baywa gibt ein Beispiel: Beim Handel mit Getreide aus Südamerika bestehe die Lieferkette zunächst aus vielen Kleinbauern. Regionale Genossenschaften kaufen deren Erzeugnisse auf und verkaufen die Ware an überregionale Händler. Die überregionalen Händler vermarkten die Rohware an Exporteure, die das Getreide dann in die EU verschiffen. “Während des Transports ist es nicht unüblich, dass Kontrakte mehrmals gehandelt werden. Die Ware wechselt den Eigentümer also mehrfach”, erläutert der Münchner Konzern. Erst im europäischen Binnenmarkt kommen Unternehmen wie die Baywa ins Spiel. “Hier brauchen wir als Händler dringend nähere Informationen, wie eine Umsetzung im Alltag aussehen kann, um den Sorgfaltspflichten im Sinne der EU-Lieferkettenrichtlinie nachkommen zu können”, betont die Baywa.
Sorge bereitet dem DRV zudem der im EU-Lieferkettengesetz nach aktuellem Stand vorgesehene zivilrechtliche Haftungsanspruch, der im LkSG explizit nicht verankert ist. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen Unternehmen für eigene Verstöße gegen das Gesetz zivilrechtlich haftbar gemacht werden können. Für Verstöße von Geschäftspartnern sollen Unternehmen zumindest dann zur Verantwortung gezogen werden können, wenn nach vernünftigem Ermessen erwartbar sei, dass diese gegen Bestimmungen des Umwelt- und Arbeitsschutzes oder gegen Menschenrechte verstoßen.
Trotz fehlendem zivilrechtlichen Haftungsanspruch drohen Unternehmen, die gegen das deutsche LkSG verstoßen, bereits hohe Bußgelder: Diese können 800.000 Euro erreichen oder bis zu 2 Prozent des globalen Jahresumsatzes, sofern ein Unternehmen mehr als 400 Millionen Euro Umsatz im Jahr ausweist. Auch das EU-Parlament sieht in seinem im Juni verabschiedeten Vorschlag zum EU-Lieferkettengesetz neben einem zivilrechtlichen Haftungsanspruch empfindliche Strafen vor: Zu den Sanktionen gehören Maßnahmen wie die namentliche Anprangerung, die erzwungene Rücknahme der Waren eines Unternehmens vom Markt oder Geldstrafen von mindestens 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes.
“Die Unternehmen werden mit hohen administrativen und bürokratischen Pflichten belegt und tragen ein erhebliches Haftungsrisiko”, stellt der DRV fest. Zwar betont der Verband, dass dessen Mitgliedsunternehmen die Einhaltung und Durchsetzung von Menschenrechten entlang der Lieferkette unterstützen, fordert aber, dass “die Umsetzung noch praxisgerecht durchführbar sein und auch das individuelle Risikoprofil mittelständisch geprägter Unternehmen berücksichtigen” müsse.
Im Unterschied zum deutschen LkSG sieht das EU-Lieferkettengesetz laut den Vorschlägen von EU-Parlament und -Kommission zudem vor, dass Unternehmen Pläne vorlegen, die sicherstellen, dass ihre Geschäftstätigkeit mit dem 1,5-Grad-Ziel im Klimaschutz in Einklang stehen. Auch werden nach jetzigem Diskussionsstand deutlich mehr Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft von den Bestimmungen des EU-Lieferkettengesetzes direkt betroffen sein, als dies beim deutschen LkSG der Fall ist. Aktuell fallen Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitende unter den Geltungsbereich des LkSG ; diese Schwelle sinkt ab 2024 auf 1.000 Mitarbeitende.
Das EU-Lieferkettengesetz sieht nach den Plänen der Kommission vor, dass in der EU ansässige Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden und einem Nettojahresumsatz ab 150 Millionen Euro die Bestimmungen umsetzen müssen. Bestimmte Risikosektoren, zu denen auch die Agrarwirtschaft sowie Produzenten und Händler von Lebensmitteln zählen, sollen demnach schon ab 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Das Parlament setzt die Schwelle direkt und für alle Industrien bei 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz an. Die Mitgliedstaaten sehen zeitliche Staffelungen vor, nach denen zunächst Unternehmen mit mehr als 1.000 Angestellten die Direktive erfüllen müssen, und diese Schwelle erst fünf Jahre nach deren Einführung auf 250 Mitarbeitende sinkt.
Auch wenn die Positionen der Trilog-Partner in diesem Punkt gegenwärtig noch auseinanderliegen, ist für Dr. Julia Hörnig, Rechtsanwältin bei der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen (GvW) in Hamburg, eines absehbar: Auch mehrere Agrarunternehmen, die bisher noch nicht nach dem LkSG verpflichtet waren, wären vom EU-Lieferkettengesetz betroffen. Schaut man sich den deutschen Agrarhandel als Beispiel an, gilt das LkSG aktuell für Schwergewichte wie die Baywa AG, die Agravis Raiffeisen AG in Hannover und die Team SE; ab dem Jahr 2024 kommen die Hauptgenossenschaften RWZ Köln, die Raiffeisen Waren Gruppe in Kassel und die ZG Raiffeisen-Gruppe in Karlsruhe hinzu, sowie auf der privaten Seite BAT Agrar. Nach den aktuellen Vorschlägen zum EU-Lieferkettengesetz wären auch Primärgenossenschaften wie die Raisa eG im niedersächsischen Stade und die GS-Agri-Gruppe im niedersächsischen Schneiderkrug betroffen.
Die Risiken, die sich nach dem deutschen LkSG für die Unternehmen der Agrarwirtschaft ergeben, beschreibt die Lieferkettenexpertin Hörnig wie folgt: “Für den Agrarsektor dürfte das Branchenrisiko hinsichtlich menschenrechtlicher Themen wie Zwangsarbeit, unzureichendem Arbeitsschutz, Zwangsumsiedlungen und gegebenenfalls Entzug der Lebensgrundlage durch beispielsweise Kontamination der Wasserwege bedeutend sein. Ein umweltbezogenes Risiko betrifft etwa persistente organische Schadstoffe. Darunter fallen auch Pestizide.” Nach dem EU-Lieferkettengesetz käme noch der Klimaschutz beziehungsweise die Verfehlung des 1,5-Grad-Ziels hinzu.
Bereits im deutschen Lieferkettengesetz ist laut Hörnig ein sogenannter “Trickle-Down-Effekt” verankert, das heißt, die Partner in der Lieferkette geben die Vorgaben hinsichtlich Menschenrechten, Arbeits- und Umweltschutz entlang der Kette weiter. Sprich: Mittelbar sind viele Unternehmen der Wertschöpfungskette betroffen, auch wenn diese nicht selbst unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. In der Praxis bedeutet dies, dass Kunden ihre Lieferanten entsprechende Kodizes, den “Supplier Code of Conduct”, unterzeichnen lassen. “Zwar sieht das Gesetz vor, dass die Forderungen der Unternehmen an ihre Zulieferer angemessen sein sollen. Aber faktisch wächst der Druck auf die mittelbar Betroffenen in der Praxis”, stellt Hörnig fest.
Dazu passen die Beobachtungen des Bundesverbandes der Ernährungsindustrie (BVE): “Anfänglich sind einige verpflichtete Unternehmen hier auch mit Anforderungen an Lieferanten deutlich über das Ziel hinausgeschossen, weil sie nicht nur risikobasiert Informationen und Erklärungen von den Lieferanten eingefordert haben”, teilt der BVE mit. Der Verband zieht folgende Schlussfolgerung: “Für die Lieferanten heißt das, dass sie aktuell sehr genau die neuen Vertragsbedingungen mit ihren Kunden prüfen müssen, da eine Verlagerung von Verantwortung auf die Lieferanten unzulässig wäre.” Auch der DRV beobachtet, dass der Druck auf Unternehmen, die nicht unmittelbar in den Geltungsbereich des LkSG fallen, durch vertragliche Regelungen steigt: Teilweise sei der Pflichtkatalog in den AGB der Abnehmer sehr weit gefasst, beobachtet der Verband.
Der Druck entlang der Kette dürfte eher steigen als abnehmen, wenn das EU-Lieferkettengesetz in der derzeitig diskutierten Form umgesetzt wird. So oder so wird die Richtlinie nach ihrem Inkrafttreten in nationales Recht umgesetzt werden, was mit einer Anpassung des LkSG verbunden sein wird. “Für Agrarunternehmen ist es ratsam, den Verhandlungsprozess zu verfolgen und sich der Risiken der eigenen Lieferkette bewusst zu sein. Diese sind – und dies bleibt von der gesetzlichen Grundlage unabhängig – das Risiko von Zwangsarbeit, mangelndem Arbeitnehmerschutz und Umweltverschmutzung sowie gegebenenfalls Zwangsräumung“, unterstreicht Rechtsanwältin Hörnig. Von Stefanie Pionke
Eigentlich fällt Finnland in die Kategorie der “nordischen Wohlfahrtsstaaten”. Die Sozialleistungen sind verhältnismäßig großzügig, Flächentarifverträge decken fast alle Beschäftigten ab. Kein Wunder, dass die Bertelsmann Stiftung das Land als Nummer fünf aller OECD- und EU-Staaten in Sachen Sozialpolitik listet.
Doch die neue rechtsgerichtete Regierung unter Ministerpräsident Petteri Orpo von der konservativ-liberalen Nationalen Sammlungspartei hat nur wenige Wochen nach ihrer Vereidigung einen umfangreichen Katalog an teils weitreichenden Einschnitten bei den Sozialleistungen vorgelegt.
“Die Regierung wird bedeutende Reformen der sozialen Sicherheit und des Arbeitsmarktes durchführen, damit es einfacher und rentabler wird, eine Beschäftigung zu finden oder als Unternehmer zu arbeiten“, verkündete die Vier-Parteien-Regierung im Juni bei ihrem Amtsantritt. Auch die internationale Wettbewebsfähigkeit soll gestärkt werden, das staatliche Defizit begrenzt werden. Teil der Regierung ist die rechte Partei “Die Wahren Finnen”.
Geplant ist gleich ein ganzes Bündel an Kürzungen und Lockerungen, verteilt auf diverse Ministerien. Der finnische Gewerkschaftsbund SAK hat diese zusammengetragen. Darunter Änderungen in folgenden Bereichen:
Eine Regierungssprecherin sagte gegenüber Table.Media, dass die schwächelnde Demografie und der Arbeitskräftemangel bereits jetzt die Kapazität der finnischen Wohlfahrtsgesellschaft in Frage stellten. Das Ziel der Regierung sei es, dass “Finnland auch in Zukunft ein Wohlfahrtsstaat nach nordischem Vorbild mit guten Dienstleistungen und den notwendigen Leistungen für künftige Generationen ist”.
Konkret soll die Zahl der Beschäftigten um 100.000 Menschen gesteigert werden. Im Juni 2023 lag die Arbeitslosenrate in Finnland bei rund sieben Prozent und damit etwas über dem EU-Durchschnitt von 5,9 Prozent. Andere nordische Länder hätten ihre Arbeitsmärkte bereits reformiert, erklärte die Sprecherin.
Die Reformen sind für die bisher starken Gewerkschaften des Landes ein echter Schock. “Das sind die weitreichendsten Arbeitsmarkt- und Sozialreformen, die Finnland seit langer Zeit gesehen hat”, kritisiert beispielsweise Pekka Ristelä, Leiter der Abteilung Internationale Angelegenheiten bei der Zentralorganisation der finnischen Gewerkschaften (SAK) gegenüber Table.Media.
Aktuell gehört Finnland zu den Spitzenreitern bei der Tarifbindung in der EU. Laut OECD wurden 2017 knapp 80 Prozent der Beschäftigten von Tarifverträgen erreicht, im EU-Schnitt sind es 60 Prozent. Anders als in anderen Ländern gibt es hier zudem nur wenige Haustarifverträge. Wenn, dann ergänzen sie in den meisten Fällen Flächentarifverträge.
Die Kritik der Gewerkschaft richtet sich daher insbesondere gegen die Stärkung von Haustarifverträgen und die Möglichkeit, auch ohne Gewerkschaften auf Unternehmensebene zu verhandeln. “Es gibt ein Risiko, dass dadurch die Flächentarifverträge geschwächt werden”, sagt Riestelä. Auch das System der Sozialpartnerschaft sieht er dadurch in Gefahr. “Dann gibt es auch weniger Motivation für die Arbeitgeber, sich in den Arbeitgeberverbänden zu organisieren.” Dass Firmentarifverträge künftig Abweichungen vom nationalen Gesetz erlauben sollen, sieht er ebenfalls kritisch.
Auch Markku Sippola, Arbeitsmarktforscher an der Universität Helsinki sagt: Gehen die Reformen so durch, könnte das langfristige Folgen haben: “Es ist eine Machtverschiebung.” Die Gewerkschaften könnten dadurch potenziell an Einfluss verlieren. Den brauche es aber auch, um Flächentarifverträge auszuhandeln, der die Haustarifverträge ergänzt.
Die finnische Regierung wollte auf Table.Media-Anfrage nicht konkret darauf eingehen, warum sie mehr Haustarifverträge erlauben will.
Sippola sagte Table.Media: “Schon seit einigen Jahren haben die finnischen Arbeitgeber weniger Interesse an kollektiven Absprachen.” Stück für Stück hätten sie für die Aufweichung des Systems gekämpft. Mit ihren Anliegen seien sie nun bei der neuen rechtsgerichteten Regierung offensichtlich auf offene Ohren gestoßen.
Tatsächlich gibt es seit Jahren erhitzte Debatten in diversen EU-Staaten, mehr Haustarifverträge, oder zumindest mehr Spielraum, für unternehmenseigene Ausgestaltungen von Flächenverträgen zu ermöglichen. Die BDA, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, spricht sich beispielsweise dafür aus, dass die Flächentarifverträge nur noch Mindeststandards vorgeben und die Betriebe dann mehr Flexibilität haben oder sich Unternehmen einzelne Teile aussuchen können. Auch die OECD und der IWF haben sich länger für mehr Dezentralisierung ausgesprochen, mit dem Argument, dass so mehr Produktivität und Flexibilität möglich sei.
Für Gewerkschaften ist das eine gefährliche Entwicklung. Sie warnen davor, dass mehr Haustarifverträge niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen mit sich bringen würden und auch den Unternehmen schaden könnten, weil es ungleicheren Wettbewerb gäbe.
Auf EU-Ebene hat es in der Frage eine Verschiebung gegeben. Inzwischen befürwortet die Union stärkere Tarifverträge. So ist neben adäquaten Mindestlöhnen vor allem die Steigerung der Tarifbindung in den Mitgliedsländern das zentrale Anliegen der Mindestlohnrichtlinie von 2022. Länder mit einer Tarifbindung unter 80 Prozent sollen Aktionspläne vorlegen, wie sie die Quote erreichen und die Tarifpartner miteinbeziehen.
Zwar steht in der Richtlinie nicht explizit, dass es Flächentarifverträge sein sollen, doch eigentlich ist dies die einzig logische Konsequenz aus der Vorgabe. Mit Haustarifverträgen kann eine solche Abdeckungsquote kaum erreicht werden. Schweden und Dänemark versuchen die Richtlinie derzeit allerdings vor dem EU-Gerichtshof anzufechten. Wie sich die finnischen Pläne zu dem Ziel der Richtlinie verhalten, sagte die Regierungssprecherin auf Anfrage nicht.
Esther Lynch, Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds ETUC, kritisierte daher die Reformen entsprechend gegenüber Table.Media: “Sparmaßnahmen sind in ganz Europa in Misskredit geraten. Das einzige Wachstum, das sie schaffen, ist ein Wachstum der Armut und der Stimmen für die Rechtsextremen.” Die Vorschläge der finnischen Regierung würden “eines der erfolgreichsten Systeme für Arbeitsbeziehungen in Europa und der Welt zerstören” und seien ein Rezept für mehr Prekarität und Ungleichheit, sagte Lynch weiter.
Schon der Weg hin zur Reform zeige, dass Finnlands neue Regierung weniger auf die Sozialpartner setze, klagt Gewerkschafter Ristelä. “Wann immer Reformen im Bereich der industriellen Beziehungen in Finnland anstanden, wurden Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände federführend und früh miteinbezogen.” Jetzt habe die Regierung die Sozialpartner quasi mit fast fertigen Plänen konfrontiert. Er frage sich, wie viel Spielraum es noch bei den Anhörungen der Sozialpartner gebe.
Politikwissenschaftler Sippola erwartet jedoch, dass nicht alle Teile der jetzt angedachten Reform umgesetzt werden, weil die Finnen stark hinter ihrem Sozialstaat stehen. “Die Zustimmung zum Wohlfahrtsstaat und hohen Steuern für Umverteilung ist hier höher als anderswo. Das hat sich in den letzten Jahren nicht grundlegend geändert.”
Bislang ist der Protest gegen die Reformen in Finnland noch verhalten. Zuletzt diskutierte das Land vor allem über rassistische Entgleisungen einiger Regierungspolitiker, die gerade gewählte Regierung musste ein Misstrauensvotum überstehen.
25.09.-26.09.2023
Informelle Ministertagung Kultur
Themen: Kultur als wesentliches öffentliches Gut, als globales öffentliches Gut, Nachhaltige Verwaltung des kulturellen Erbes (sein universeller Zugang und seine Rolle bei der Strukturierung des Territoriums). Infos
25.09.2023 – 09:30 Uhr
Rat der EU: Wettbewerbsfähigkeit
Themen: Allgemeine Ausrichtung zur Überprüfung der EU-Rechtsvorschriften zum Schutz von Mustern und Modellen, Allgemeine Ausrichtung zur Verordnung über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Motoren sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge hinsichtlich ihrer Emissionen und der Dauerhaltbarkeit von Batterien (Euro 7), Bericht vom Iberoamerikanischen Forum Staatlicher Verbraucherschutzagenturen (FIAGC). Vorläufige Tagesordnung
27.09.-28.09.2023
Informelle Tagung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten
Themen: Die Außen- und Europaminister kommen zu Beratungen zusammen. Infos
28.09.2023 – 10:00 Uhr
Rat der EU: Justiz und Inneres
Themen: Fortschrittsbericht zum Pakt für Migration und Asyl, Stand der Zusammenarbeit mit Lateinamerika bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels, Informationen der portugiesischen Delegation zur 2. Euro-Arabischen Grenzsicherheitskonferenz (Porto, 15.-16. November 2023). Vorläufige Tagesordnung
29.09.2023
Informelle Ministertagung Kohäsionspolitik
Themen: Die für Kohäsionspolitik zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Infos
Europa könnte den größten Teil seines künftigen Wasserstoffbedarfs selbst decken, allerdings fließen in einige der vielversprechendsten Regionen für die Erzeugung des Energieträgers noch zu wenig Investitionen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Fraunhofer ISI, des RIFS Potsdam und der Deutschen Energie-Agentur (dena), die am Freitag vorgestellt werden soll und Table.Media vorab vorlag. Zu ähnlichen Ergebnissen kam bereits eine Studie des Fraunhofer ISI für die EU-Kommission im August.
“Stärkere Kooperation auf EU-Ebene könnte helfen, die Investitionen in die richtige Richtung zu lenken“, heißt es in einer Mitteilung des Fraunhofer ISI. Aktuell würden europäische Förderprogramme wie der EU-Innovationsfonds das Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Bedarf noch verstärken. Die Studienautoren empfehlen unter anderem höhere Fördermittel auf EU-Ebene. Dies liege auch im Interesse Deutschlands, das auch langfristig auf Wasserstoffimporte angewiesen sei. Alternativ könnte die Koordination zwischen Staaten mit hoher Erzeugung und hoher Nachfrage über Auktionsmodelle gestärkt werden.
Die Autoren halten außerdem die Vorgaben des Delegierten Rechtsakts der EU-Kommission zu Wasserstoff für zu schwach. Er soll eigentlich sicherstellen, dass erneuerbarer Strom für die Wasserstoffproduktion nur aus zusätzlichen Anlagen kommt und die Wasserstoffnachfrage nicht die Dekarbonisierung anderer Sektoren schwächt.
“Die Anforderungen an die Zusätzlichkeit allein können jedoch nicht sicherstellen, dass Projekte für erneuerbaren Wasserstoff nicht – zumindest teilweise – Investitionen in erneuerbare Energien im Energiesektor ersetzen”, heißt es in der Studie. Die Autoren empfehlen deshalb mit der Novelle der Governance-Verordnung im kommenden Jahr, für jeden Mitgliedstaat nationale Ziele für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien einzuführen. Verpflichtende nationale Ziele wurden aber mit der jüngsten Novelle der Erneuerbare-Energien-Verordnung gerade erst aufgegeben. Neue Ziele in der Governance-Verordnung könnten der Studie zufolge zunächst freiwillig bleiben. Falls ein Mitgliedstaat sie erfüllt, könne es im Gegenzug Ausnahmen von den Zusätzlichkeitsanforderungen geben. ber/nib
Deutschland hat wegen Verstößen gegen EU-Naturschutzrecht eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erlitten. Die Bundesrepublik habe eine Reihe von Gebieten nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen und nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt, entschieden die Richter am Donnerstag in Luxemburg. Deutschland drohen nun hohe Strafzahlungen. Auch gegen andere Länder klagt die EU-Kommission derzeit in ähnlichen Fällen.
Hintergrund ist die Umsetzung der Habitatrichtlinie zum Schutz natürlicher Lebensräume und wildlebender Tiere und Pflanzen. Kern ist die Ausweisung von Schutzgebieten in den EU-Staaten. Deutschland hat nach Ansicht der EU-Kommission seine Verpflichtungen dazu nicht genügend erfüllt, weswegen die Brüsseler Behörde die Bundesrepublik 2021 verklagt hat.
Die Richter gaben der EU-Kommission nun größtenteils Recht. Deutschland habe 88 der 4606 in Rede stehenden Gebiete nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen und nicht genügend Erhaltungsziele festgelegt. Damit wurde gegen die entsprechende Richtlinie verstoßen. Außerdem seien für 737 der 4606 Gebiete nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt worden, hieß es im Urteil. Die restlichen Rügen der EU-Kommission wies der Gerichtshof jedoch zurück. dpa
Die Parteispitze der Linken hat eine Liste der Kandidaten für die Europawahl vorgeschlagen. Die Liste, die der Bundesausschuss festgelegt hat, wird bei der Vertreterversammlung des Parteitags am 18. und 19. November in Augsburg abgestimmt. Derzeit sitzen für die Linke fünf Abgeordnete im Europaparlament. Der Vorschlag von Platz eins absteigend lautet:
Der Vorschlag der EU-Kommission, “Neue genomische Techniken” (NGT) wie CrisprCas bei der Pflanzenzüchtung künftig zuzulassen, ist laut einem Gutachten im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion unvereinbar mit dem im Lissabon-Vertrag vorgeschriebenen Vorsorgeprinzip. Die EU habe sich im “Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit” zu einzelfallbezogenen Risikoprüfungen von Genetisch Veränderten Organismen (GVO) verpflichtet, bevor diese Anwendung finden. Die EU-Kommission schlage nun aber vor, mit Hilfe von NGT gewonnene Pflanzen “vollständig vom Anwendungsbereich des EU-Gentechnikrechts auszunehmen” und diese lediglich in einer Datenbank zu registrieren, kritisiert die Berliner Kanzlei GGSC in einer rechtlichen Bewertung im Auftrag der Grünen-Fraktion, die Table.Media vorliegt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verlange strenge Vorsorge. Bei Unsicherheiten für Gesundheit oder Umwelt müssten laut EuGH Schutzmaßnahmen getroffen werden können, so die Berliner Anwälte. Der Vorschlag der EU-Kommission “nimmt in Kauf, dass sich NGT-Pflanzen, die sich später als schädlich für Mensch oder Umwelt erweisen, derart in der natürlichen Umwelt ausbreiten, dass sie nicht mehr rückholbar sind”. Die Kommission begründe die Deregulierung von NGT-Pflanzen damit, dass deren veränderte DNA-Sequenzen vergleichbar seien mit denen natürlicher Kreuzungen. Daraus lasse sich aber weder ein geringeres Risiko ableiten noch sei das Gentechnikrecht je damit begründet worden, “dass GVO-Pflanzen für Mensch und Umwelt gefährlicher wären als herkömmliche Pflanzen”. Vielmehr würden GVO reguliert, weil deren Freisetzung “irreversible Auswirkungen” haben könne.
Nach dem Kommissionsvorschlag könne sogar giftiger Raps angebaut werden, so die Gutachter. Industriell genutzte NGT-Pflanzen müssten nämlich nicht einmal den Anforderungen an die allgemeine Produktsicherheit genügen. Ein durch NGT für industrielle Zwecke optimierter Raps, der für Menschen und Tiere giftig wäre, könne uneingeschränkt angebaut werden, ohne dass dessen Giftigkeit vorab überhaupt geprüft werden müsste. Bestätigt fühlt sich der grüne Agrarpolitiker Karl Bär in seiner Kritik an den EU-Plänen. Bär räumt einer Klage gegen die beabsichtigte Neuregulierung “sehr gute Chancen” ein. Sein Fazit: “Die Behauptung der EU-Kommission, dass es keine Probleme mit NGT wie CrisprCas gibt, ist keine Risikobewertung und kein Risikomanagement.” bru
Es ist ein bekannter Fall in der EU-Bubble: Hinter dem hohen oder sogar sehr hohen technischen Niveau der Texte, die verhandelt werden, verbergen sich große politische Herausforderungen. Methan ist da keine Ausnahme.
Aber zuerst einmal “the big picture”: Methan macht zwar nur zehn Prozent aller Treibhausgasemissionen in Europa aus, ist jedoch auf kurze Sicht rund 80-mal so klimaschädlich wie CO₂. Der Energiesektor ist für etwa 40 Prozent der gesamten durch menschliche Aktivitäten verursachten Methanemissionen verantwortlich, gleich nach der Landwirtschaft. Diese Daten stammen von der Internationalen Energieagentur (IEA).
Kurzfristig ist die Bekämpfung der Methanemissionen laut IEA-Angaben eine der wirksamsten Möglichkeiten, die globale Erwärmung zu begrenzen und die Luftqualität zu verbessern. Allein die Emissionen aus Öl- und Gaskraftwerken könnten mit den vorhandenen Technologien um 75 Prozent gesenkt werden: durch das Aufspüren und Reparieren von Lecks, und eine Modernisierung der Anlagen.
Problem Nummer eins: Die Methanemissionen des Energiesektors blieben auch 2022 hartnäckig hoch, kritisiert die IEA in der im Februar veröffentlichten Ausgabe 2023 des Global Methane Tracker. Mit insgesamt 135 Millionen Tonnen erreichten sie fast das gleiche Niveau wie im Jahr 2019.
Problem Nummer zwei: Die Europäische Union hat auf der COP26 in Glasgow das Global Methane Pledge unterzeichnet. Die mittlerweile rund 150 Länder, die unterzeichnet haben, müssen aber noch pragmatische Strategien und Maßnahmen zur Reduzierung ihrer eigenen Emissionen formulieren – also ihre Worte in Taten umsetzen.
Dies führt uns ins Herz von Brüssel. Die COP28 steht vor der Tür und es geht um die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union, um die Umsetzung ihrer Klima-Versprechen. Am 5. September fand der Eröffnungstrilog für das EU-Gesetzesvorhaben “Reduzierung der Methan-Emissionen im Energiebereich” statt. Rat und Parlament haben ihre Absicht bekundet, möglichst vor der Klimakonferenz im Dezember auch eine Einigung zu erzielen, sagte Jutta Paulus (Grüne), Berichterstatterin für das Gesetz, zu Table Media.
Warum ist dies so wichtig? “Weil wir als Europäische Union in Glasgow den Global Methane Pledge mit auf den Weg gebracht haben”. Es wäre dann “natürlich gut”, wenn man zwei Jahre später auch tatsächlich “zumindest mal” ein Gesetz hätte, was den zugegebenermaßen kleineren Teil der Methan-Emissionen, nämlich die im Energiesektor, angeht, fügt sie hinzu. Auch wenn die EU kein großer Player im Energiesektor ist, was Öl-, Gas- und Kohleförderung angeht.
Nur landen wir hier bei Problem Nummer drei: Die Positionen des Parlaments und des Rates liegen zum Teil weit auseinander. Jutta Paulus sieht “drei große Unterschiede”: das Ambitionsniveau bei der Suche nach Leckagen und ihrer Reparatur, das generelle Reduktionsziel und die Methanemissionen der fossilen Importe in die EU.
Das Europäische Parlament fordert in seinem Standpunkt, den das Plenum am 9. Mai angenommen hat, dass die Kommission bis Ende 2025 ein verbindliches Ziel für die Reduzierung dieser Emissionen bis 2030 vorschlägt. Dieses sollen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Energie- und Klimapläne herunterbrechen. Die Abgeordneten schlagen außerdem vor, dass Importeure von Kohle, Öl und Gas (80 Prozent dieser Energieträger werden außerhalb der EU verbraucht) ab 2026 verpflichtet werden sollen, nachzuweisen, dass sie die Anforderungen der Verordnung ebenfalls erfüllen.
Jutta Paulus erinnert daran, dass die Welt nicht auf die EU wartet. Länder wie Norwegen und Nigeria, aber auch die USA machen Tempo. “Die Vereinigten Staaten werden ab 2025 eine Steuer auf Methan-Emissionen erheben, das steht im Inflation Reduction Act”, betont sie. “Und die EPA, also die US-Umweltbehörde, arbeitet auch gerade an Standards”.
die Schadstoffnorm Euro 7 ist für die deutschen Hersteller wichtig, sie setzt die technischen Maßstäbe für den Motorenbau bis 2035. Das ist die Zeit, in der VW, Mercedes und BMW sowie die Zulieferer mit der Technologie, in der sie Weltspitze sind, noch gutes Geld verdienen wollten. Umso erstaunlicher ist, dass die Bundesregierung nicht dazu in der Lage ist, über die Ratsposition auf die Verhandlungen zu Euro 7 Einfluss zu nehmen.
Deutschland spielt keine Rolle, wenn heute auf Ebene der AStV-1-Botschafter über den neuesten Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft verhandelt wird, der Table.Media vorliegt. Vermutlich wird die Regierung in Madrid am Wochenende dann noch einmal nacharbeiten müssen, bevor am Montag im Wettbewerbsfähigkeitsrat die 27 Mitgliedstaaten ihre Position für die Verhandlungen mit dem Parlament festlegen.
Die Bundesregierung steht allein da, wenn sie ihre Wünsche durchsetzen will. Weder eine Regelung für E-Fuels wird sie bei Euro 7 bekommen noch strengere Grenzwerte und Testbedingungen für Nutzfahrzeuge. Beim Ambitionsniveau fällt der Rat auf Euro 6 zurück. Für die Unternehmen, die noch auf den Verbrenner setzen, ist das eine schlechte Nachricht: Die Standards für Verbrenner setzen künftig andere. Nicht die EU: China und die USA arbeiten längst an einer ehrgeizigen Regulierung. Lassen Sie sich die Laune nicht verderben!
Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) treibt vielen Akteuren der Agrar- und Ernährungswirtschaft Sorgenfalten auf die Stirn. Das Regelwerk, das seit Jahresbeginn 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden gilt, verpflichtet Firmen dazu, ihre eigenen Arbeitsprozesse und Lieferketten auf Verstöße gegen Menschenrechte sowie auf Umwelt- und Arbeitsschutz zu durchleuchten. Zudem sind die Unternehmen angehalten, Maßnahmen zu definieren, um diese Risiken einzudämmen. Zu diesen Maßnahmen zählen die Einrichtung eines Beschwerdewesens sowie Regelungen, die Lieferanten in die Pflicht nehmen.
Für den global tätigen Agrarhandels- und Energiekonzern Baywa AG mit Sitz in München gilt das LkSG seit Jahresbeginn. Das Unternehmen mit mehr als 24.000 Mitarbeitenden und Aktivitäten in rund 40 Ländern berichtet auf Anfrage, bereits im September 2021 eine eigene Unternehmenseinheit Corporate Social Compliance eingesetzt zu haben, die sich seitdem mit der Umsetzung des LkSG befasst. Die Baywa unterhält nach eigenen Angaben direkte Geschäftsbeziehungen zu rund 50.000 Lieferanten, und auf Beteiligungsebene zu weiteren rund 30.000 Zulieferern. Entsprechend sei die Umsetzung des LkSG “mit hohem personellen und zeitlichen Aufwand verbunden”, bilanziert die Baywa.
Wirtschaftsverbände beklagen passend dazu neben mutmaßlich unkalkulierbaren Haftungsrisiken einen hohen bürokratischen Aufwand. Nun fürchten Unternehmensverbände der Agrar- und Ernährungswirtschaft, dass es noch schlimmer kommen könnte. Grund ist das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD). Im Juni hatte sich das Parlament auf eine Position zu der geplanten Direktive verständigt. Seitdem befindet sich das EU-Lieferkettengesetz in den Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten. Noch müssen sich die drei Verhandlungsparteien auf einen Kompromiss verständigen, was erfahrungsgemäß ein zähes und langanhaltendes Ringen ist. Doch die Vorschläge von Parlament und Kommission gehen bereits jetzt in einigen Punkten deutlich über die Regelungen im deutschen LkSG hinaus.
Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) in Berlin, Dachverband der genossenschaftlich organisierten Unternehmen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, beispielsweise beklagt, dass das EU-Lieferkettengesetz in seiner Betrachtung der Lieferkette den kompletten Lebenszyklus eines Produktes betrachtet. Das deutsche LkSG hingegen umfasst nur die Aktivitäten eines Unternehmens selbst sowie dessen mittelbarer und unmittelbarer Geschäftspartner.
Der Produktzyklus reicht laut dem Vorschlag des EU-Parlaments von der Produktentwicklung bis hin zu dessen Entsorgung – anders als Wirtschaftsverbände haben Umweltorganisationen wie Greenpeace am deutschen LkSG stets eine unzureichende Betrachtung der Lieferkette kritisiert und geplante Verschärfungen im EU-Lieferkettengesetz positiv gewertet. Die Baywa befürchtet indessen wachsende Bürokratie: “Das wird den Aufwand erheblich ausweiten, da viele Produkte unzählig viele Glieder in der Lieferkette haben. Vor allem, wenn sie aus vielen Komponenten bestehen, gemischt oder verarbeitet sind”, so der Münchner Konzern. Im internationalen Getreidehandelsgeschäft seien hochkomplexe Lieferketten-Strukturen üblich und entsprechend geforderte Sorgfaltspflichten über den gesamten Produktzyklus hinweg “kaum beherrschbar”.
Die Baywa gibt ein Beispiel: Beim Handel mit Getreide aus Südamerika bestehe die Lieferkette zunächst aus vielen Kleinbauern. Regionale Genossenschaften kaufen deren Erzeugnisse auf und verkaufen die Ware an überregionale Händler. Die überregionalen Händler vermarkten die Rohware an Exporteure, die das Getreide dann in die EU verschiffen. “Während des Transports ist es nicht unüblich, dass Kontrakte mehrmals gehandelt werden. Die Ware wechselt den Eigentümer also mehrfach”, erläutert der Münchner Konzern. Erst im europäischen Binnenmarkt kommen Unternehmen wie die Baywa ins Spiel. “Hier brauchen wir als Händler dringend nähere Informationen, wie eine Umsetzung im Alltag aussehen kann, um den Sorgfaltspflichten im Sinne der EU-Lieferkettenrichtlinie nachkommen zu können”, betont die Baywa.
Sorge bereitet dem DRV zudem der im EU-Lieferkettengesetz nach aktuellem Stand vorgesehene zivilrechtliche Haftungsanspruch, der im LkSG explizit nicht verankert ist. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen Unternehmen für eigene Verstöße gegen das Gesetz zivilrechtlich haftbar gemacht werden können. Für Verstöße von Geschäftspartnern sollen Unternehmen zumindest dann zur Verantwortung gezogen werden können, wenn nach vernünftigem Ermessen erwartbar sei, dass diese gegen Bestimmungen des Umwelt- und Arbeitsschutzes oder gegen Menschenrechte verstoßen.
Trotz fehlendem zivilrechtlichen Haftungsanspruch drohen Unternehmen, die gegen das deutsche LkSG verstoßen, bereits hohe Bußgelder: Diese können 800.000 Euro erreichen oder bis zu 2 Prozent des globalen Jahresumsatzes, sofern ein Unternehmen mehr als 400 Millionen Euro Umsatz im Jahr ausweist. Auch das EU-Parlament sieht in seinem im Juni verabschiedeten Vorschlag zum EU-Lieferkettengesetz neben einem zivilrechtlichen Haftungsanspruch empfindliche Strafen vor: Zu den Sanktionen gehören Maßnahmen wie die namentliche Anprangerung, die erzwungene Rücknahme der Waren eines Unternehmens vom Markt oder Geldstrafen von mindestens 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes.
“Die Unternehmen werden mit hohen administrativen und bürokratischen Pflichten belegt und tragen ein erhebliches Haftungsrisiko”, stellt der DRV fest. Zwar betont der Verband, dass dessen Mitgliedsunternehmen die Einhaltung und Durchsetzung von Menschenrechten entlang der Lieferkette unterstützen, fordert aber, dass “die Umsetzung noch praxisgerecht durchführbar sein und auch das individuelle Risikoprofil mittelständisch geprägter Unternehmen berücksichtigen” müsse.
Im Unterschied zum deutschen LkSG sieht das EU-Lieferkettengesetz laut den Vorschlägen von EU-Parlament und -Kommission zudem vor, dass Unternehmen Pläne vorlegen, die sicherstellen, dass ihre Geschäftstätigkeit mit dem 1,5-Grad-Ziel im Klimaschutz in Einklang stehen. Auch werden nach jetzigem Diskussionsstand deutlich mehr Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft von den Bestimmungen des EU-Lieferkettengesetzes direkt betroffen sein, als dies beim deutschen LkSG der Fall ist. Aktuell fallen Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitende unter den Geltungsbereich des LkSG ; diese Schwelle sinkt ab 2024 auf 1.000 Mitarbeitende.
Das EU-Lieferkettengesetz sieht nach den Plänen der Kommission vor, dass in der EU ansässige Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden und einem Nettojahresumsatz ab 150 Millionen Euro die Bestimmungen umsetzen müssen. Bestimmte Risikosektoren, zu denen auch die Agrarwirtschaft sowie Produzenten und Händler von Lebensmitteln zählen, sollen demnach schon ab 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Das Parlament setzt die Schwelle direkt und für alle Industrien bei 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz an. Die Mitgliedstaaten sehen zeitliche Staffelungen vor, nach denen zunächst Unternehmen mit mehr als 1.000 Angestellten die Direktive erfüllen müssen, und diese Schwelle erst fünf Jahre nach deren Einführung auf 250 Mitarbeitende sinkt.
Auch wenn die Positionen der Trilog-Partner in diesem Punkt gegenwärtig noch auseinanderliegen, ist für Dr. Julia Hörnig, Rechtsanwältin bei der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen (GvW) in Hamburg, eines absehbar: Auch mehrere Agrarunternehmen, die bisher noch nicht nach dem LkSG verpflichtet waren, wären vom EU-Lieferkettengesetz betroffen. Schaut man sich den deutschen Agrarhandel als Beispiel an, gilt das LkSG aktuell für Schwergewichte wie die Baywa AG, die Agravis Raiffeisen AG in Hannover und die Team SE; ab dem Jahr 2024 kommen die Hauptgenossenschaften RWZ Köln, die Raiffeisen Waren Gruppe in Kassel und die ZG Raiffeisen-Gruppe in Karlsruhe hinzu, sowie auf der privaten Seite BAT Agrar. Nach den aktuellen Vorschlägen zum EU-Lieferkettengesetz wären auch Primärgenossenschaften wie die Raisa eG im niedersächsischen Stade und die GS-Agri-Gruppe im niedersächsischen Schneiderkrug betroffen.
Die Risiken, die sich nach dem deutschen LkSG für die Unternehmen der Agrarwirtschaft ergeben, beschreibt die Lieferkettenexpertin Hörnig wie folgt: “Für den Agrarsektor dürfte das Branchenrisiko hinsichtlich menschenrechtlicher Themen wie Zwangsarbeit, unzureichendem Arbeitsschutz, Zwangsumsiedlungen und gegebenenfalls Entzug der Lebensgrundlage durch beispielsweise Kontamination der Wasserwege bedeutend sein. Ein umweltbezogenes Risiko betrifft etwa persistente organische Schadstoffe. Darunter fallen auch Pestizide.” Nach dem EU-Lieferkettengesetz käme noch der Klimaschutz beziehungsweise die Verfehlung des 1,5-Grad-Ziels hinzu.
Bereits im deutschen Lieferkettengesetz ist laut Hörnig ein sogenannter “Trickle-Down-Effekt” verankert, das heißt, die Partner in der Lieferkette geben die Vorgaben hinsichtlich Menschenrechten, Arbeits- und Umweltschutz entlang der Kette weiter. Sprich: Mittelbar sind viele Unternehmen der Wertschöpfungskette betroffen, auch wenn diese nicht selbst unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. In der Praxis bedeutet dies, dass Kunden ihre Lieferanten entsprechende Kodizes, den “Supplier Code of Conduct”, unterzeichnen lassen. “Zwar sieht das Gesetz vor, dass die Forderungen der Unternehmen an ihre Zulieferer angemessen sein sollen. Aber faktisch wächst der Druck auf die mittelbar Betroffenen in der Praxis”, stellt Hörnig fest.
Dazu passen die Beobachtungen des Bundesverbandes der Ernährungsindustrie (BVE): “Anfänglich sind einige verpflichtete Unternehmen hier auch mit Anforderungen an Lieferanten deutlich über das Ziel hinausgeschossen, weil sie nicht nur risikobasiert Informationen und Erklärungen von den Lieferanten eingefordert haben”, teilt der BVE mit. Der Verband zieht folgende Schlussfolgerung: “Für die Lieferanten heißt das, dass sie aktuell sehr genau die neuen Vertragsbedingungen mit ihren Kunden prüfen müssen, da eine Verlagerung von Verantwortung auf die Lieferanten unzulässig wäre.” Auch der DRV beobachtet, dass der Druck auf Unternehmen, die nicht unmittelbar in den Geltungsbereich des LkSG fallen, durch vertragliche Regelungen steigt: Teilweise sei der Pflichtkatalog in den AGB der Abnehmer sehr weit gefasst, beobachtet der Verband.
Der Druck entlang der Kette dürfte eher steigen als abnehmen, wenn das EU-Lieferkettengesetz in der derzeitig diskutierten Form umgesetzt wird. So oder so wird die Richtlinie nach ihrem Inkrafttreten in nationales Recht umgesetzt werden, was mit einer Anpassung des LkSG verbunden sein wird. “Für Agrarunternehmen ist es ratsam, den Verhandlungsprozess zu verfolgen und sich der Risiken der eigenen Lieferkette bewusst zu sein. Diese sind – und dies bleibt von der gesetzlichen Grundlage unabhängig – das Risiko von Zwangsarbeit, mangelndem Arbeitnehmerschutz und Umweltverschmutzung sowie gegebenenfalls Zwangsräumung“, unterstreicht Rechtsanwältin Hörnig. Von Stefanie Pionke
Eigentlich fällt Finnland in die Kategorie der “nordischen Wohlfahrtsstaaten”. Die Sozialleistungen sind verhältnismäßig großzügig, Flächentarifverträge decken fast alle Beschäftigten ab. Kein Wunder, dass die Bertelsmann Stiftung das Land als Nummer fünf aller OECD- und EU-Staaten in Sachen Sozialpolitik listet.
Doch die neue rechtsgerichtete Regierung unter Ministerpräsident Petteri Orpo von der konservativ-liberalen Nationalen Sammlungspartei hat nur wenige Wochen nach ihrer Vereidigung einen umfangreichen Katalog an teils weitreichenden Einschnitten bei den Sozialleistungen vorgelegt.
“Die Regierung wird bedeutende Reformen der sozialen Sicherheit und des Arbeitsmarktes durchführen, damit es einfacher und rentabler wird, eine Beschäftigung zu finden oder als Unternehmer zu arbeiten“, verkündete die Vier-Parteien-Regierung im Juni bei ihrem Amtsantritt. Auch die internationale Wettbewebsfähigkeit soll gestärkt werden, das staatliche Defizit begrenzt werden. Teil der Regierung ist die rechte Partei “Die Wahren Finnen”.
Geplant ist gleich ein ganzes Bündel an Kürzungen und Lockerungen, verteilt auf diverse Ministerien. Der finnische Gewerkschaftsbund SAK hat diese zusammengetragen. Darunter Änderungen in folgenden Bereichen:
Eine Regierungssprecherin sagte gegenüber Table.Media, dass die schwächelnde Demografie und der Arbeitskräftemangel bereits jetzt die Kapazität der finnischen Wohlfahrtsgesellschaft in Frage stellten. Das Ziel der Regierung sei es, dass “Finnland auch in Zukunft ein Wohlfahrtsstaat nach nordischem Vorbild mit guten Dienstleistungen und den notwendigen Leistungen für künftige Generationen ist”.
Konkret soll die Zahl der Beschäftigten um 100.000 Menschen gesteigert werden. Im Juni 2023 lag die Arbeitslosenrate in Finnland bei rund sieben Prozent und damit etwas über dem EU-Durchschnitt von 5,9 Prozent. Andere nordische Länder hätten ihre Arbeitsmärkte bereits reformiert, erklärte die Sprecherin.
Die Reformen sind für die bisher starken Gewerkschaften des Landes ein echter Schock. “Das sind die weitreichendsten Arbeitsmarkt- und Sozialreformen, die Finnland seit langer Zeit gesehen hat”, kritisiert beispielsweise Pekka Ristelä, Leiter der Abteilung Internationale Angelegenheiten bei der Zentralorganisation der finnischen Gewerkschaften (SAK) gegenüber Table.Media.
Aktuell gehört Finnland zu den Spitzenreitern bei der Tarifbindung in der EU. Laut OECD wurden 2017 knapp 80 Prozent der Beschäftigten von Tarifverträgen erreicht, im EU-Schnitt sind es 60 Prozent. Anders als in anderen Ländern gibt es hier zudem nur wenige Haustarifverträge. Wenn, dann ergänzen sie in den meisten Fällen Flächentarifverträge.
Die Kritik der Gewerkschaft richtet sich daher insbesondere gegen die Stärkung von Haustarifverträgen und die Möglichkeit, auch ohne Gewerkschaften auf Unternehmensebene zu verhandeln. “Es gibt ein Risiko, dass dadurch die Flächentarifverträge geschwächt werden”, sagt Riestelä. Auch das System der Sozialpartnerschaft sieht er dadurch in Gefahr. “Dann gibt es auch weniger Motivation für die Arbeitgeber, sich in den Arbeitgeberverbänden zu organisieren.” Dass Firmentarifverträge künftig Abweichungen vom nationalen Gesetz erlauben sollen, sieht er ebenfalls kritisch.
Auch Markku Sippola, Arbeitsmarktforscher an der Universität Helsinki sagt: Gehen die Reformen so durch, könnte das langfristige Folgen haben: “Es ist eine Machtverschiebung.” Die Gewerkschaften könnten dadurch potenziell an Einfluss verlieren. Den brauche es aber auch, um Flächentarifverträge auszuhandeln, der die Haustarifverträge ergänzt.
Die finnische Regierung wollte auf Table.Media-Anfrage nicht konkret darauf eingehen, warum sie mehr Haustarifverträge erlauben will.
Sippola sagte Table.Media: “Schon seit einigen Jahren haben die finnischen Arbeitgeber weniger Interesse an kollektiven Absprachen.” Stück für Stück hätten sie für die Aufweichung des Systems gekämpft. Mit ihren Anliegen seien sie nun bei der neuen rechtsgerichteten Regierung offensichtlich auf offene Ohren gestoßen.
Tatsächlich gibt es seit Jahren erhitzte Debatten in diversen EU-Staaten, mehr Haustarifverträge, oder zumindest mehr Spielraum, für unternehmenseigene Ausgestaltungen von Flächenverträgen zu ermöglichen. Die BDA, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, spricht sich beispielsweise dafür aus, dass die Flächentarifverträge nur noch Mindeststandards vorgeben und die Betriebe dann mehr Flexibilität haben oder sich Unternehmen einzelne Teile aussuchen können. Auch die OECD und der IWF haben sich länger für mehr Dezentralisierung ausgesprochen, mit dem Argument, dass so mehr Produktivität und Flexibilität möglich sei.
Für Gewerkschaften ist das eine gefährliche Entwicklung. Sie warnen davor, dass mehr Haustarifverträge niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen mit sich bringen würden und auch den Unternehmen schaden könnten, weil es ungleicheren Wettbewerb gäbe.
Auf EU-Ebene hat es in der Frage eine Verschiebung gegeben. Inzwischen befürwortet die Union stärkere Tarifverträge. So ist neben adäquaten Mindestlöhnen vor allem die Steigerung der Tarifbindung in den Mitgliedsländern das zentrale Anliegen der Mindestlohnrichtlinie von 2022. Länder mit einer Tarifbindung unter 80 Prozent sollen Aktionspläne vorlegen, wie sie die Quote erreichen und die Tarifpartner miteinbeziehen.
Zwar steht in der Richtlinie nicht explizit, dass es Flächentarifverträge sein sollen, doch eigentlich ist dies die einzig logische Konsequenz aus der Vorgabe. Mit Haustarifverträgen kann eine solche Abdeckungsquote kaum erreicht werden. Schweden und Dänemark versuchen die Richtlinie derzeit allerdings vor dem EU-Gerichtshof anzufechten. Wie sich die finnischen Pläne zu dem Ziel der Richtlinie verhalten, sagte die Regierungssprecherin auf Anfrage nicht.
Esther Lynch, Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds ETUC, kritisierte daher die Reformen entsprechend gegenüber Table.Media: “Sparmaßnahmen sind in ganz Europa in Misskredit geraten. Das einzige Wachstum, das sie schaffen, ist ein Wachstum der Armut und der Stimmen für die Rechtsextremen.” Die Vorschläge der finnischen Regierung würden “eines der erfolgreichsten Systeme für Arbeitsbeziehungen in Europa und der Welt zerstören” und seien ein Rezept für mehr Prekarität und Ungleichheit, sagte Lynch weiter.
Schon der Weg hin zur Reform zeige, dass Finnlands neue Regierung weniger auf die Sozialpartner setze, klagt Gewerkschafter Ristelä. “Wann immer Reformen im Bereich der industriellen Beziehungen in Finnland anstanden, wurden Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände federführend und früh miteinbezogen.” Jetzt habe die Regierung die Sozialpartner quasi mit fast fertigen Plänen konfrontiert. Er frage sich, wie viel Spielraum es noch bei den Anhörungen der Sozialpartner gebe.
Politikwissenschaftler Sippola erwartet jedoch, dass nicht alle Teile der jetzt angedachten Reform umgesetzt werden, weil die Finnen stark hinter ihrem Sozialstaat stehen. “Die Zustimmung zum Wohlfahrtsstaat und hohen Steuern für Umverteilung ist hier höher als anderswo. Das hat sich in den letzten Jahren nicht grundlegend geändert.”
Bislang ist der Protest gegen die Reformen in Finnland noch verhalten. Zuletzt diskutierte das Land vor allem über rassistische Entgleisungen einiger Regierungspolitiker, die gerade gewählte Regierung musste ein Misstrauensvotum überstehen.
25.09.-26.09.2023
Informelle Ministertagung Kultur
Themen: Kultur als wesentliches öffentliches Gut, als globales öffentliches Gut, Nachhaltige Verwaltung des kulturellen Erbes (sein universeller Zugang und seine Rolle bei der Strukturierung des Territoriums). Infos
25.09.2023 – 09:30 Uhr
Rat der EU: Wettbewerbsfähigkeit
Themen: Allgemeine Ausrichtung zur Überprüfung der EU-Rechtsvorschriften zum Schutz von Mustern und Modellen, Allgemeine Ausrichtung zur Verordnung über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Motoren sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge hinsichtlich ihrer Emissionen und der Dauerhaltbarkeit von Batterien (Euro 7), Bericht vom Iberoamerikanischen Forum Staatlicher Verbraucherschutzagenturen (FIAGC). Vorläufige Tagesordnung
27.09.-28.09.2023
Informelle Tagung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten
Themen: Die Außen- und Europaminister kommen zu Beratungen zusammen. Infos
28.09.2023 – 10:00 Uhr
Rat der EU: Justiz und Inneres
Themen: Fortschrittsbericht zum Pakt für Migration und Asyl, Stand der Zusammenarbeit mit Lateinamerika bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels, Informationen der portugiesischen Delegation zur 2. Euro-Arabischen Grenzsicherheitskonferenz (Porto, 15.-16. November 2023). Vorläufige Tagesordnung
29.09.2023
Informelle Ministertagung Kohäsionspolitik
Themen: Die für Kohäsionspolitik zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Infos
Europa könnte den größten Teil seines künftigen Wasserstoffbedarfs selbst decken, allerdings fließen in einige der vielversprechendsten Regionen für die Erzeugung des Energieträgers noch zu wenig Investitionen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Fraunhofer ISI, des RIFS Potsdam und der Deutschen Energie-Agentur (dena), die am Freitag vorgestellt werden soll und Table.Media vorab vorlag. Zu ähnlichen Ergebnissen kam bereits eine Studie des Fraunhofer ISI für die EU-Kommission im August.
“Stärkere Kooperation auf EU-Ebene könnte helfen, die Investitionen in die richtige Richtung zu lenken“, heißt es in einer Mitteilung des Fraunhofer ISI. Aktuell würden europäische Förderprogramme wie der EU-Innovationsfonds das Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Bedarf noch verstärken. Die Studienautoren empfehlen unter anderem höhere Fördermittel auf EU-Ebene. Dies liege auch im Interesse Deutschlands, das auch langfristig auf Wasserstoffimporte angewiesen sei. Alternativ könnte die Koordination zwischen Staaten mit hoher Erzeugung und hoher Nachfrage über Auktionsmodelle gestärkt werden.
Die Autoren halten außerdem die Vorgaben des Delegierten Rechtsakts der EU-Kommission zu Wasserstoff für zu schwach. Er soll eigentlich sicherstellen, dass erneuerbarer Strom für die Wasserstoffproduktion nur aus zusätzlichen Anlagen kommt und die Wasserstoffnachfrage nicht die Dekarbonisierung anderer Sektoren schwächt.
“Die Anforderungen an die Zusätzlichkeit allein können jedoch nicht sicherstellen, dass Projekte für erneuerbaren Wasserstoff nicht – zumindest teilweise – Investitionen in erneuerbare Energien im Energiesektor ersetzen”, heißt es in der Studie. Die Autoren empfehlen deshalb mit der Novelle der Governance-Verordnung im kommenden Jahr, für jeden Mitgliedstaat nationale Ziele für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien einzuführen. Verpflichtende nationale Ziele wurden aber mit der jüngsten Novelle der Erneuerbare-Energien-Verordnung gerade erst aufgegeben. Neue Ziele in der Governance-Verordnung könnten der Studie zufolge zunächst freiwillig bleiben. Falls ein Mitgliedstaat sie erfüllt, könne es im Gegenzug Ausnahmen von den Zusätzlichkeitsanforderungen geben. ber/nib
Deutschland hat wegen Verstößen gegen EU-Naturschutzrecht eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erlitten. Die Bundesrepublik habe eine Reihe von Gebieten nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen und nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt, entschieden die Richter am Donnerstag in Luxemburg. Deutschland drohen nun hohe Strafzahlungen. Auch gegen andere Länder klagt die EU-Kommission derzeit in ähnlichen Fällen.
Hintergrund ist die Umsetzung der Habitatrichtlinie zum Schutz natürlicher Lebensräume und wildlebender Tiere und Pflanzen. Kern ist die Ausweisung von Schutzgebieten in den EU-Staaten. Deutschland hat nach Ansicht der EU-Kommission seine Verpflichtungen dazu nicht genügend erfüllt, weswegen die Brüsseler Behörde die Bundesrepublik 2021 verklagt hat.
Die Richter gaben der EU-Kommission nun größtenteils Recht. Deutschland habe 88 der 4606 in Rede stehenden Gebiete nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen und nicht genügend Erhaltungsziele festgelegt. Damit wurde gegen die entsprechende Richtlinie verstoßen. Außerdem seien für 737 der 4606 Gebiete nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt worden, hieß es im Urteil. Die restlichen Rügen der EU-Kommission wies der Gerichtshof jedoch zurück. dpa
Die Parteispitze der Linken hat eine Liste der Kandidaten für die Europawahl vorgeschlagen. Die Liste, die der Bundesausschuss festgelegt hat, wird bei der Vertreterversammlung des Parteitags am 18. und 19. November in Augsburg abgestimmt. Derzeit sitzen für die Linke fünf Abgeordnete im Europaparlament. Der Vorschlag von Platz eins absteigend lautet:
Der Vorschlag der EU-Kommission, “Neue genomische Techniken” (NGT) wie CrisprCas bei der Pflanzenzüchtung künftig zuzulassen, ist laut einem Gutachten im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion unvereinbar mit dem im Lissabon-Vertrag vorgeschriebenen Vorsorgeprinzip. Die EU habe sich im “Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit” zu einzelfallbezogenen Risikoprüfungen von Genetisch Veränderten Organismen (GVO) verpflichtet, bevor diese Anwendung finden. Die EU-Kommission schlage nun aber vor, mit Hilfe von NGT gewonnene Pflanzen “vollständig vom Anwendungsbereich des EU-Gentechnikrechts auszunehmen” und diese lediglich in einer Datenbank zu registrieren, kritisiert die Berliner Kanzlei GGSC in einer rechtlichen Bewertung im Auftrag der Grünen-Fraktion, die Table.Media vorliegt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verlange strenge Vorsorge. Bei Unsicherheiten für Gesundheit oder Umwelt müssten laut EuGH Schutzmaßnahmen getroffen werden können, so die Berliner Anwälte. Der Vorschlag der EU-Kommission “nimmt in Kauf, dass sich NGT-Pflanzen, die sich später als schädlich für Mensch oder Umwelt erweisen, derart in der natürlichen Umwelt ausbreiten, dass sie nicht mehr rückholbar sind”. Die Kommission begründe die Deregulierung von NGT-Pflanzen damit, dass deren veränderte DNA-Sequenzen vergleichbar seien mit denen natürlicher Kreuzungen. Daraus lasse sich aber weder ein geringeres Risiko ableiten noch sei das Gentechnikrecht je damit begründet worden, “dass GVO-Pflanzen für Mensch und Umwelt gefährlicher wären als herkömmliche Pflanzen”. Vielmehr würden GVO reguliert, weil deren Freisetzung “irreversible Auswirkungen” haben könne.
Nach dem Kommissionsvorschlag könne sogar giftiger Raps angebaut werden, so die Gutachter. Industriell genutzte NGT-Pflanzen müssten nämlich nicht einmal den Anforderungen an die allgemeine Produktsicherheit genügen. Ein durch NGT für industrielle Zwecke optimierter Raps, der für Menschen und Tiere giftig wäre, könne uneingeschränkt angebaut werden, ohne dass dessen Giftigkeit vorab überhaupt geprüft werden müsste. Bestätigt fühlt sich der grüne Agrarpolitiker Karl Bär in seiner Kritik an den EU-Plänen. Bär räumt einer Klage gegen die beabsichtigte Neuregulierung “sehr gute Chancen” ein. Sein Fazit: “Die Behauptung der EU-Kommission, dass es keine Probleme mit NGT wie CrisprCas gibt, ist keine Risikobewertung und kein Risikomanagement.” bru
Es ist ein bekannter Fall in der EU-Bubble: Hinter dem hohen oder sogar sehr hohen technischen Niveau der Texte, die verhandelt werden, verbergen sich große politische Herausforderungen. Methan ist da keine Ausnahme.
Aber zuerst einmal “the big picture”: Methan macht zwar nur zehn Prozent aller Treibhausgasemissionen in Europa aus, ist jedoch auf kurze Sicht rund 80-mal so klimaschädlich wie CO₂. Der Energiesektor ist für etwa 40 Prozent der gesamten durch menschliche Aktivitäten verursachten Methanemissionen verantwortlich, gleich nach der Landwirtschaft. Diese Daten stammen von der Internationalen Energieagentur (IEA).
Kurzfristig ist die Bekämpfung der Methanemissionen laut IEA-Angaben eine der wirksamsten Möglichkeiten, die globale Erwärmung zu begrenzen und die Luftqualität zu verbessern. Allein die Emissionen aus Öl- und Gaskraftwerken könnten mit den vorhandenen Technologien um 75 Prozent gesenkt werden: durch das Aufspüren und Reparieren von Lecks, und eine Modernisierung der Anlagen.
Problem Nummer eins: Die Methanemissionen des Energiesektors blieben auch 2022 hartnäckig hoch, kritisiert die IEA in der im Februar veröffentlichten Ausgabe 2023 des Global Methane Tracker. Mit insgesamt 135 Millionen Tonnen erreichten sie fast das gleiche Niveau wie im Jahr 2019.
Problem Nummer zwei: Die Europäische Union hat auf der COP26 in Glasgow das Global Methane Pledge unterzeichnet. Die mittlerweile rund 150 Länder, die unterzeichnet haben, müssen aber noch pragmatische Strategien und Maßnahmen zur Reduzierung ihrer eigenen Emissionen formulieren – also ihre Worte in Taten umsetzen.
Dies führt uns ins Herz von Brüssel. Die COP28 steht vor der Tür und es geht um die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union, um die Umsetzung ihrer Klima-Versprechen. Am 5. September fand der Eröffnungstrilog für das EU-Gesetzesvorhaben “Reduzierung der Methan-Emissionen im Energiebereich” statt. Rat und Parlament haben ihre Absicht bekundet, möglichst vor der Klimakonferenz im Dezember auch eine Einigung zu erzielen, sagte Jutta Paulus (Grüne), Berichterstatterin für das Gesetz, zu Table Media.
Warum ist dies so wichtig? “Weil wir als Europäische Union in Glasgow den Global Methane Pledge mit auf den Weg gebracht haben”. Es wäre dann “natürlich gut”, wenn man zwei Jahre später auch tatsächlich “zumindest mal” ein Gesetz hätte, was den zugegebenermaßen kleineren Teil der Methan-Emissionen, nämlich die im Energiesektor, angeht, fügt sie hinzu. Auch wenn die EU kein großer Player im Energiesektor ist, was Öl-, Gas- und Kohleförderung angeht.
Nur landen wir hier bei Problem Nummer drei: Die Positionen des Parlaments und des Rates liegen zum Teil weit auseinander. Jutta Paulus sieht “drei große Unterschiede”: das Ambitionsniveau bei der Suche nach Leckagen und ihrer Reparatur, das generelle Reduktionsziel und die Methanemissionen der fossilen Importe in die EU.
Das Europäische Parlament fordert in seinem Standpunkt, den das Plenum am 9. Mai angenommen hat, dass die Kommission bis Ende 2025 ein verbindliches Ziel für die Reduzierung dieser Emissionen bis 2030 vorschlägt. Dieses sollen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Energie- und Klimapläne herunterbrechen. Die Abgeordneten schlagen außerdem vor, dass Importeure von Kohle, Öl und Gas (80 Prozent dieser Energieträger werden außerhalb der EU verbraucht) ab 2026 verpflichtet werden sollen, nachzuweisen, dass sie die Anforderungen der Verordnung ebenfalls erfüllen.
Jutta Paulus erinnert daran, dass die Welt nicht auf die EU wartet. Länder wie Norwegen und Nigeria, aber auch die USA machen Tempo. “Die Vereinigten Staaten werden ab 2025 eine Steuer auf Methan-Emissionen erheben, das steht im Inflation Reduction Act”, betont sie. “Und die EPA, also die US-Umweltbehörde, arbeitet auch gerade an Standards”.