
Christian Johann streckt die Zunge raus. Und das auf der hochoffiziellen Website der Europäischen Akademie Berlin. Auf einem Bild, das ihn als den Direktor vorstellt. Was für ein großer Titel: Direktor einer Akademie, ansässig in einer Villa im Grunewald. Klingt alles so staatstragend, findet er. Er könnte sich mit Frack und Krawatte ablichten lassen, aber das würde den Zweck der Akademie verfehlen. Da hilft nur Stilbruch, deshalb das Bild mit der Zunge.
Johann ist 40, seit zwei Jahren ist er Direktor der Europäischen Akademie Berlin. Wenn er auf neue Leute trifft, stellt er sich so vor: „Ich bin Teil einer Organisation, die die Lücke schließt zwischen den Menschen und Europa.“ Die EAB ist eine politische Bildungsstätte, in deren Räume Konferenzen, Tagungen und Seminare zu Themen rund um Europapolitik stattfinden. Johann findet, der ganze Zweck seiner Arbeit ist Nahbarkeit. Jeder und jede soll hier einen Zugang zu Europa finden. Ohne Vorbildung. Die Menschen sollen Lust bekommen, sich Gedanken zu machen: Was hat Europa mit meinem Leben zu tun?
Das Besondere: Die unterschiedlichsten Gruppen sind zu Gast im Haus. Es kommt vor, dass mittags die Kommandeure der Luftwaffe zu einem Lehrgang kommen. Am Nachmittag treffen sich Studierende, um über das Artensterben zu diskutieren.
Hunger nach Mitgestaltung
Johann ist nicht als Europa-Fan aufgewachsen. Seine Eltern flohen aus der DDR nach Westberlin, da war er drei Jahre alt. Er selbst erinnert sich nicht mehr an „Drüben“. Seine Eltern aber schon, und sie nahmen etwas mit: die Skepsis gegenüber Politik. Nie wurde am Abendbrottisch über solche Themen diskutiert. Doch Johann selbst hatte immer einen Hunger nach Verstehen, nach Mitgestaltung. Mit 18 trat er in die SPD ein.
Judo und politische Bildung sind sich ähnlich. Viele seiner Skills nimmt Johann aus dem japanischen Kampfsport mit. Er war acht Jahre alt, als er zum ersten Mal zum Judo-Unterricht ging. 15 war er, als er anfing, selbst zu unterrichten.
Er brachte seinen Schülerinnen und Schülern bei, wie sie Verantwortung für ihre Gegner übernehmen. Wie sie sich komplett austoben können, aber mit festen Regeln. Und wie sie ein großes Ziel vor Augen behalten – vielleicht die nächste Gürtelfarbe – obwohl es Jahre dauert, bis sie es erreichen. Ausdauer ist für Johann die wichtigste Fähigkeit. „In meiner Arbeit ist es schwer, direkte Ergebnisse unmittelbar zu sehen. Ich möchte kritisches Denken fördern. Wie soll man das messen?“, sagt er.
Die Akademie hat jetzt einen Tiktok-Kanal
Die EAB gibt es seit den 60er-Jahren. Mit seinem Amtsantritt hat Johann sich vorgenommen, das Haus durchzukneten wie Pizzateig. Zum Beispiel hat er sich dafür eingesetzt, dass das EAB einen Tiktok-Kanal bekommt. Seit er da ist, gibt es auch neue Formen von Veranstaltungen: Zusammen mit der Modeplattform Zalando hat Johann im Garten der Villa ukrainische Modelabels nach Berlin geholt. Dort durften sie ihre neuen Designs ausstellen.
1.500 Besucherinnen und Besucher kamen und spendeten. Unter ihnen viele Hipster, die nur Englisch sprachen und sich zum ersten Mal auf den Weg in den bürgerlichen Grunewald gemacht hatten. Anna Scheld