Die Menschheit verhandelt bei der Konferenz für Artenvielfalt in Montreal Fragen, die über das künftige Überleben auf der Erde entscheiden werden. Das Thema steht im Mittelpunkt des ESG.Table.
Unser Kollege Timo Landenberger ist in Montreal vor Ort und weist in seiner Vorberichterstattung darauf hin, dass Unternehmen eine zentrale Rolle zukommt, wenn es um den Erhalt der bereits stark eingeschränkten Artenvielfalt geht.
Einen Kurswechsel für Deutschland mahnt Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums, in seinem Standpunkt an: “Wenn wir den Schwund der Artenvielfalt stoppen wollen, müssen wir weg vom gerade in Deutschland so geliebten ‘weiter so’. Ein ‘weiter so’ ist das langsame Dahinsiechen”. Auf dem Weg zu diesem Kurswechsel ist Alexander Zeihe. Warum er die Ecosystem Value Association gegründet hat, und wie Natur davon profitiert, lesen Sie im Porträt.
Eine starke Aussage machte Finanzminister Christian Lindner beim Deutschen Nachhaltigkeitskongress: Er will den Staatshaushalt mithilfe der “Spending Reviews” an den Nachhaltigkeitszielen ausrichten. Dabei wird sich das Ministerium an den SDG bzw. der Nachhaltigkeitsstrategie orientieren.
Unser Team berichtet des Weiteren über wichtige Ansätze, mit denen Politik und Wirtschaftsakteure die ökologischen und sozialen Verhältnisse verbessern wollen. Die AVV-Klima mit einer nachhaltigeren Beschaffung; die CSRD-Richtlinie; das Europäische Lieferkettengesetz, bei dem nach den Vorstellungen des Europäischen Rats die Finanzunternehmen weitgehend außen vor bleiben sollen; und die Schaffung von gleich wichtigen Beschäftigtenrechten für die weltweite Belegschaft bei Daimler Truck, wo gerade ein europäischer sowie ein Weltbetriebsrat gegründet wurden.
Warum eingeschlagene Lösungswege immer wieder neu bewertet werden müssen, zeigen die Ergebnisse des Kakaobarometer 2022, das heute veröffentlicht wird und dem ESG.Table vorab vorlag. Die Strategien einer Vergrößerung und Diversifizierung des Kakaoanbaus haben demnach nicht zu der von vielen Unternehmen erwarteten Armutsbekämpfung beigetragen.
Die Erwartungen sind groß vor der 15. UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal (CBD-COP15). Vom 7. bis zum 19. Dezember verhandeln dort die 196 Vertragsstaaten der Convention on Biological Diversity (CBD) über ein neues globales Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt.
Nachdem bisherige Ziele allesamt verfehlt wurden, soll die Vernichtung der natürlichen Lebensräume endlich gestoppt und umgekehrt werden. Ökosysteme sollen renaturiert, schädliche Subventionen beendet und die Finanzierung erhöht werden. So steht es im ambitionierten Entwurf des Global Biodiversity Frameworks (GBF).
Dazu gehört auch, die Privatwirtschaft stärker in die Pflicht zu nehmen und auf “Nature-Positive” auszurichten. Konkret heißt es unter Ziel 15: “Alle Unternehmen (öffentliche und private, große, mittlere und kleine) berichten über und bewerten ihre Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, von der lokalen bis zur globalen Ebene, und reduzieren schrittweise die negativen Auswirkungen um mindestens die Hälfte und steigern die positiven”. In einem Positionspapier unterstützt der Rat der EU-Umweltminister das Vorhaben.
Wie genau die politischen Rahmenbedingungen dafür aussehen sollen, ist noch ungeklärt und wird Gegenstand der Verhandlungen sein. In Europa zielt beispielsweise die EU-Taxonomie-Verordnung darauf ab, Wirtschaftsaktivitäten entsprechend ihrer Nachhaltigkeit zu klassifizieren und Investitionen in umweltfreundliche Unternehmensleistungen zu lenken. Dazu gehört auch der Schutz der ökologischen Vielfalt.
Verpflichtungen gibt es allerdings bislang kaum. Weder das deutsche noch das geplante EU-Lieferkettengesetz adressieren explizit die Biodiversität. Dennoch will Europa mit gutem Beispiel vorangehen. Am Dienstagmorgen einigten sich EU-Parlament, Rat und Kommission auf eine neue Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (mehr dazu in den News).
Rückenwind für Ziel 15 kommt aus der Wirtschaft selbst. Immerhin hängen rund 50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung von gesunden und funktionierenden Ökosystemen ab. Unter dem Dach der Initiative Business for Nature unterstützen etwa 330 Konzerne und Finanzinstitute die Biodiversitätsziele und eine Berichtspflicht für Unternehmen inklusive der gesamten Lieferkette. Darunter die Edeka-Gruppe oder der Baustoff-Konzern Heidelberg Materials.
Mögliche Leitlinien für die Berichterstattung hat unter anderen die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) über die vergangenen Jahre erarbeitet. Doch während die Klimaberichterstattung inzwischen zum unternehmerischen Einmaleins gehört, ist die Offenlegung der Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Biodiversität für die meisten Neuland und ungleich komplizierter.
Zu den Zielen auf der COP15 gehört außerdem, umweltschädliche Subventionen in einer Größenordnung von mindestens 500 Milliarden US-Dollar jährlich umzulenken oder abzuschaffen. Besonders betroffen wären hiervon die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei. Allerdings wurden die Subventionen zur Gewährleistung der Energie- und Ernährungssicherung in vielen Ländern zuletzt eher erhöht, etwa bei der Düngemittelproduktion.
Generell wird die größte Debatte rund um die Frage der Finanzierung erwartet. Ziel 19 des GBF-Entwurfs gilt als Achillesferse der Verhandlungen und sieht eine Erhöhung des Gesamtbudgets für Umweltschutz auf mindestens 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr vor. Mindestens 10 Milliarden US-Dollar jährlich sollen von reichen Staaten explizit zur Unterstützung ärmerer Länder mobilisiert werden. Diese dürften keine Rückschritte in ihrer Entwicklung machen müssen, um die Ziele umzusetzen, heißt es. Einige Länder des globalen Südens fordern deutlich höhere Summen.
Die wichtigsten weiteren Punkte:
30×30: EU und Bundesregierung unterstützen die Forderung, 30 Prozent der Gesamtfläche jedes Landes bis 2030 unter Schutz zu stellen. Das entspricht einer Verdopplung der Fläche an Land und einer Vervierfachung der Meeresfläche.
Nationale Strategien: Zur Umsetzung sollen die globalen Ziele in “National Biodiversity Strategies and Actions Plans” (NBSAP) übersetzt werden. Einheitliches Monitoring und regelmäßige Berichtspflichten sollen Fortschritte sicht- und kontrollierbar machen – ähnlich der Klimaziele (NDC) aus dem Pariser Klimaabkommen.
Messbarkeit: Doch im Gegensatz zur Offenlegung der Treibhausgasemissionen ist eine vergleichbare Darstellung über den Zustand der Ökosysteme schwierig. Fragen nach geeigneten Indikatoren sind noch ungeklärt. Etliche Staaten kritisierten bereits den nicht leistbaren Verwaltungsaufwand zur Erhebung der Daten.
Renaturierung: Das 30-Prozent-Ziel wirkt etwas aus der Luft gegriffen. Noch fehlt es an Informationen und es ist nicht klar, welche Gebiete genau geschützt werden sollen. Schließlich befinden sich die meisten Ökosysteme in einem schlechten Erhaltungszustand. Der GBF-Entwurf sieht deshalb parallele Renaturierungsmaßnahmen vor.
Nature-based Solutions wie künstliche Korallenriffe, der Anbau von Seegras und Algen, die Vernässung von Mooren oder Wiederbewaldung schaffen Lebensräume. Außerdem binden sie in großem Umfang CO2 und tragen somit auch entscheidend zum Klimaschutz bei.
Im Vorfeld der Verhandlungen liegen die Positionen teils weit auseinander, Forderungen nach ambitioniertem Vorgehen treffen auf fehlenden politischen Willen und kaum gesellschaftliche Wahrnehmung. Dazu fällt die Konferenz in eine schwierige Zeit. Zwar bekam der Artenschutz zuletzt Rückenwind von der Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh, wo die Notwendigkeit intakter Ökosysteme auch für den Klimaschutz noch einmal unterstrichen wurde. Im Kampf gegen multiple Krisen und zur Sicherstellung der Energie- und Lebensmittelversorgung wurden Umweltschutzambitionen in vielen Ländern zuletzt jedoch zurückgestellt. Dass die COP15 nach jahrzehntelangen Zielverfehlungen also tatsächlich zum großen Game-Changer wird, scheint zweifelhaft.
Die AVV Klima gibt klar vor, welche klimaschädlichen Produkte und Dienstleistungen die Vergabestellen des Bundes nicht beschaffen dürfen – etwa Heizpilze oder Einwegbesteck. Noch unklar ist vielen Beschaffenden, wie sie Lebenszykluskosten und CO₂-Schattenpreise im Vergabeverfahren berücksichtigen sollen.
Gründe sind fehlende Daten und Bewertungsmethoden in den Vergabestellen und bei den Bietern, die Verpflichtung, die Interessen des Mittelstands zu berücksichtigen und ein Verständnis von öffentlicher Beschaffung, das strategisch statt verwaltungstechnisch sein müsste. Doch die Beteiligten suchen Lösungen, um die Vorgaben langfristig umsetzbar zu machen.
Um die Kosten über den ganzen Lebenszyklus von der Nutzung bis zur Entsorgung von Produkten sowie die damit verbundenen emittierten Treibhausgase zu bestimmen, braucht es Daten. Diese fehlen aber oft, etwa zu den Bereichen Rohstoffgewinnung und Herstellung. Das liegt auch daran, dass “potenzielle Bieter die benötigten Daten zu Treibhausgas-Emissionen (THG) und Energieeffizienz nicht liefern können”, schreibt die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB), eine Stabsstelle im Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums (BMI).
Aktuell ist es unwahrscheinlich, dass Vergabestellen spezifische Bilanzen über THG für jedes Produkt nutzen werden. Experten verweisen darauf, dass die Informationen weder mit verhältnismäßigem Aufwand zu erheben noch, dass die Verwaltung handhabbar sei. Denn schon kleine Unterschiede in der Produktspezifikation führen zu anderen Werten.
Zudem gibt es rechtliche Bedenken. “Unternehmen, die noch über keine entsprechenden Bilanzen verfügen, wären von der Angebotsabgabe ausgeschlossen, wenn die THG-Bilanz als Mindestkriterium vorgegeben würde. Derzeit würde dies dazu führen, dass sehr viele Marktteilnehmer nicht mehr anbieten könnten. Daher wäre das aus meiner Sicht aktuell nicht sachgerecht”, sagt der Fachanwalt für Vergaberecht Martin Schellenberg. Vor allem für mittelständische Unternehmen könnte dies ein Problem sein. Denn für viele ist es wahrscheinlich noch nicht zumutbar, diese Daten zu erheben. Genau das aber setzt die Berücksichtigung der THG voraus.
Wahrscheinlicher ist laut Fachleuten, dass Vergabestellen einige wesentliche Kriterien nutzen werden, mit denen sie ähnliche Produkte und Dienstleistungen miteinander vergleichen können. Das Umweltbundesamt forscht daran, weitere Arbeitshilfen zu entwickeln. Im Fokus stehen zum Beispiel IT-Produkte, Möbel und Textilien. Ein entsprechendes Forschungsvorhaben soll bis Mitte 2025 abgeschlossen sein.
Außerdem arbeitet das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) an einer Methode, “die zukünftig eine Prognose der verursachten Treibhausgasemissionen während des gesamten Lebenszyklus […] ermöglicht, um diese im Beschaffungsprozess zu berücksichtigen”, erläutert ein Sprecher. Genaueres zur Methode – also etwa auf welche Faktoren sich das Modell stützt, sagte das BMZ bisher nicht.
Eine weitere Hürde für nachhaltigere Beschaffung ist das verwaltungstechnische Verständnis von öffentlicher Beschaffung der AVV Klima. “Solange wir glauben, dass wir auf diese Art nachhaltig einkaufen können, werden wir keinen Schritt nach vorne machen”, sagt Michael Eßig, der Beschaffung an der Münchener Universität der Bundeswehr lehrt. Wichtig seien vor allem die Bedingungen für die staatlichen Einkäufer: Sie bräuchten Zeit, sich mit den Leistungen zu beschäftigen, die sie beschaffen, und sie müssten gut ausgebildet sein. Sonst sei eine gründliche Markterkundung und gute Leistungsbeschreibung nicht möglich – gerade wegen der Komplexität vieler Produkte und Dienstleistungen.
Trotz der Hürden arbeiten die Bundesbehörden daran, klimafreundlichere Produkte und Dienstleistungen zu beschaffen. Neben dem Umweltbundesamt, das Arbeitshilfen für die Berücksichtigung von THG-Emissionen entwickelt, wird die KNB ausgebaut, um das Beschaffungsamt des BMI zielgerichteter zu beraten. Zudem stärkt der Bund die Aus- und Weiterbildung des Personals in den Vergabestellen zu Nachhaltigkeit – etwa an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Das sind kleine Schritte auf dem Weg zu einem Einkauf, der strategischer und nachhaltiger ist.
Unternehmen, die bereits heute der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) unterliegen, müssen ihre ESG-Berichte ab Januar 2024 deutlich erweitern. Das verlangt die neue EU-Richtlinie Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Ab 2025 folgen alle anderen großen Unternehmen, ein Jahr darauf börsennotierte KMUs. Die Zeit für Verantwortungsträger drängt.
Das Ziel der CSRD: Die nicht-finanzielle soll gleichberechtigt neben die finanzielle Berichterstattung treten. Damit das gelingen kann, braucht es Kennzahlen, die Umwelt- und Sozialbelange messbar machen. Das geschieht mit sogenannten Leistungsindikatoren beziehungsweise Key Performance Indicators (KPI), und die werden genauso von Extern geprüft wie klassische Bilanzkennziffern.
Dementsprechend beschäftigen sich insbesondere Abschlussprüfer mit den Neuerungen. “Die CSRD will mit dem Phänomen Schluss machen, dass jeder berichten kann, was er möchte”, sagt Jan-Hendrik Gnändiger, Partner und verantwortlich für ESG-Reporting bei KPMG. Er begrüßt das Vorhaben, ESG-Angaben mithilfe neuer Rechnungslegungsstandards vergleich-, aber vor allem überprüfbar zu machen.
Gnändiger beschäftigt sich viel mit dem Thema Messbarkeit und merkt an: Die Aussagekraft der CSRD-Leistungsindikatoren ist durchaus strittig. Bei den jährlichen Treibhausgasemissionen klappt das noch vergleichsweise gut. Betriebe messen die von ihnen verursachten Treibhausgase in Tonnen CO₂-Äquivalent – die Maßeinheit ist weit verbreitet. Bei anderen KPI ist es schon deutlich schwieriger. Für längst nicht alle Branchen und Bereiche existieren derart etablierte Kennzahlen.
Gnändiger gibt ein Beispiel: “Denken Sie an das Thema Biodiversität. Das kann ich zwar qualitativ beschreiben, aber wie lässt sich Artenvielfalt quantifizieren?” Das betrifft etwa Unternehmen, die Regenwälder abholzen und ganze Landstriche austrocknen. Vorschläge für entsprechende Kennzahlen existieren zwar, etwa crop yield, also die (negativen) Folgen für den Bodenertrag. Das wäre allerdings ein rein ökonomischer Faktor, der das damit verbundene Artensterben nicht berücksichtigt.
Zudem sieht der Experte auch für Wirtschaftsprüfer die Herausforderung, wie Artenvielfalt und Entwaldung entlang der gesamten Wertschöpfungskette überprüft werden können. Alles in allem ist der ESG-Fachmann jedoch zuversichtlich. Die CSRD stecke noch in einer Anfangsphase: “Nicht alle KPI sind schon final ausformuliert und praxiserprobt. Ich bin sicher, dass im Zuge der Erstanwendung noch Bewegung in die Sache kommt”, sagt Gnändiger.
In eine ähnliche Kerbe schlägt der deutsche Verbraucherschutz: “Die Motive hinter der CSRD sind in ihrem Ansatz völlig richtig”, sagt Niels Nauhauser, Abteilungsleiter Altersvorsorge, Banken, Kredite bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Vor allem börsennotierte Unternehmen müssen zuverlässige Daten bereitstellen, damit Anleger sie vor einer Kaufentscheidung bewerten können. Doch auch Nauhauser hat seine Zweifel daran, ob alle KPIs diese Anforderung erfüllen.
Das betrifft zum einen erneut das Problem, Nachhaltigkeit in Zahlen zu gießen. Wie aussagekräftig sind Kennziffern zum Wasser- oder Papierverbrauch pro Mitarbeiter, zu Korruption? Zum anderen hinterfragt der Verbraucherschützer die Berichterstatter selbst. Zuverlässig sind Daten erst dann, wenn sie ein unabhängiger Dritter überprüfen konnte. Nauhauser spielt auf die Rolle der Wirtschaftsprüfer an: “Wieso überträgt man den Prüfauftrag nicht an eine unabhängige staatliche Aufsichtsbehörde?”
Für den Verbraucherschützer ist noch eine andere Frage relevant: Sind die in der CSRD definierten Maßnahmen zielführend? “Was die Politik damit vorgibt, erreichen zu wollen, ist die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit”, sagt Nauhauser. Dafür gäbe es aber seiner Ansicht nach effektivere Möglichkeiten. Anstatt Unternehmen zu verpflichten, über Emissionen zu berichten, könnte der Gesetzgeber diese einfach deckeln. “Das würde die Bürokratie zur Berichterstattung an der einen oder anderen Stelle erübrigen”, sagt Nauhauser. Udo Trichtl
8.12.2022
Online-Vortrag Bio trifft Ökonomie – Bioökonomische Werkzeuge der Zukunft (Technologieland Hessen)
In diesem Vortrag werden zwei Themenblöcke zu ökonomischen sowie zu biotechnologischen Werkzeugen besprochen, die einen branchenübergreifenden Einblick in Instrumente, Strategien und Methoden sowie innovative Technologien von Unternehmen und Wissenschaft geben. Info & Anmeldung
8.12.2022
Online-Workshop Treibhausgasbilanz erstellen: Grundlagen & Praxis (Klima Wirtschaft)
Der Workshop bietet eine Einführung in ein Tool zur Erstellung von Treibhausgasbilanzen für Unternehmen. Info & Anmeldung
10.12.2022
Denkwerkstatt in Präsenz, Hamburg Klimagerechte Mobilität und Gesundheit (W3)
Welche Ansätze für klimafreundliche Mobilität gibt es bereits? Warum ist Klimaschutz wichtig für die Gesundheit? Diese und weitere Fragen diskutieren Teilnehmende der Veranstaltung. Info & Anmeldung
13.12.2022
Webinar Sustainable Leadership: Erfolgsfaktor für die nachhaltige Transformation (Mittelstand-Digital)
Sustainable Leadership Experten geben einen Überblick darüber, vor welchen Herausforderungen Führungskräfte des Mittelstands im Bereich Nachhaltigkeit stehen und welche Rolle Unternehmens- und Führungskultur dabei spielen. Info & Anmeldung
15.12.2022
Online-Workshop Wie erstelle ich eine Lebenszyklusanalyse? Teil 1 (Mittelstand-Digital)
In dieser zweiteiligen Workshopreihe lernen Teilnehmende anhand eines Praxisbeispiels, wie Sie eine Lebenszyklusanalyse für Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung erstellen. Dabei werden sie auch selbst tätig und wenden das Erlernte mit eigenen Datensätzen auf ihr Unternehmen an. Info & Anmeldung
25.1.2023
Präsenzveranstaltung, Bielefeld 9. Kommunale Nachhaltigkeitstagung NRW (LAG 21)
Der Fokus der Veranstaltung liegt auf der lokalen Umsetzung von nachhaltiger Entwicklung durch die Verwaltungen. Innovative kommunale Beispielprojekte zeigen, wie Nachhaltigkeit aussehen kann. Info & Anmeldung
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will künftig jede Haushaltsausgabe in Einklang mit den 17 UN-Nachhaltigkeitsziele für das Jahr 2030 bringen. Das geht aus der Verschriftlichung seiner Rede zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis hervor, die dem digitalen Medienhaus Table.Media vorliegt. “Zukünftig ist es mein Ziel, dass mit jedem Haushaltstitel verbunden ist eine Wirkungsanalyse mit Blick auf die SDG’s, beziehungsweise die Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung”, sagte Lindner demnach wörtlich.
Damit soll nicht nur ökologische Nachhaltigkeit im Fokus stehen, sondern es solle “beispielsweise auch um Fragen der Gleichstellung und der Bildungsgerechtigkeit” gehen. Zum Start sollen die UN-Nachhaltigkeitsziele zunächst im jeweiligen Haushaltsplan des Umweltministeriums und des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit durch eine Wirksamkeitsanalyse verankert werden. “Ich glaube, dass damit Deutschland diesbezüglich Benchmark unter den OECD-Ländern werden kann”, sagte Lindner.
Die 193 UN-Mitgliedstaaten hatten die SDG im Jahr 2015 verabschiedet. Sie stellen eine Art Fahrplan dafür dar, die großen Probleme der Menschheit bis 2030 zu bekämpfen, darunter zum Beispiel Armut, Hunger, Krankheiten und die Klimakrise. tse
In einer Nachtsitzung einigten sich EU-Parlament, Rat und Kommission auf die Grundpfeiler einer neuen Verordnung gegen globale Entwaldung. Das Ergebnis vom Dienstagmorgen ist ein wichtiges Signal in Richtung Weltnaturkonferenz, die heute in Montreal beginnt.
Das neue Regelwerk sieht vor, dass Produkte bald nur noch auf dem europäischen Markt verkauft werden dürfen, wenn die Importeure nachweisen können, dass dafür keine Wälder in Ackerfläche umgewandelt wurden. Darunter fallen Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Palmöl, Soja, Holz und Kautschuk sowie Produkte, die aus den Rohstoffen hergestellt werden.
Mit der Forderung, auch Mais in die Palette aufzunehmen, konnte sich das EU-Parlament nicht durchsetzen. Das Getreide wird in Europa hauptsächlich als Futtermittel verwendet und erlebte in den vergangenen Monaten eine Preisexplosion. Einige EU-Länder befürchteten deshalb eine zusätzliche Belastung für die Landwirtschaft. Auch der Finanzsektor soll zumindest vorerst nicht in das Regelwerk mit einbezogen werden. Die Europäische Kommission wird jedoch prüfen, ob eine Ausweitung des Geltungsbereichs erforderlich ist.
Neben der großflächigen Rodung von Urwäldern wird auch die Umwandlung kleinerer und sogenannter Sekundarwälder unter die Verordnung fallen. Damit sind die europäischen Wälder und die Forst- und Landwirtschaft innerhalb der EU ebenfalls von der Regelung betroffen. Insbesondere die waldreichen Länder kündigten deshalb Widerstand an. Andere Ökosysteme, wie etwa Savannen (other wooded land), wurden hingegen nicht in den Text aufgenommen. Umweltschützer befürchten deshalb Verlagerungseffekte von geschützten in nicht geschützte Gebiete.
Die Zerstörung der Wälder gehört zu den größten Treibern beim Verlust der ökologischen Vielfalt. Zwischen 1990 und 2020 ging nach Angaben des EU-Parlaments auf der Welt eine Gesamtwaldfläche in der Größe der EU verloren und nach wie vor verschwinden jährlich weitere zehn Millionen Hektar. Durch das Konsumverhalten ist die EU für rund zehn Prozent der globalen Entwaldung verantwortlich.
Umweltpolitikerin Delara Burkhardt spricht von “schmerzhaften Kompromissen” aber auch von einem “Goldstandard für Sorgfaltspflichten für entwaldungsfreie Lieferketten”. Ähnliche Gesetze stünden in den USA und Großbritannien zur Diskussion, seien aber weniger ambitioniert. So könne die EU in Montreal als glaubwürdiger Vorreiter auftreten, sagt die Europaabgeordnete. Mit der offiziellen Verabschiedung der Verordnung wird im Frühjahr nächsten Jahres gerechnet. Für mittlere und große Unternehmen sollen die Regeln frühestens ein Jahr danach in Kraft treten, für Kleinbetriebe nach zwei Jahren. til
Bei dem Dax-Konzern Daimler Truck sollen künftig die gleichen Standards bei Unterrichtungen und Anhörungen für Beschäftigte innerhalb und außerhalb der EU gelten. “Wir haben einen europäischen Betriebsrat bei Daimler Truck geschaffen, der für die globale Welt von Daimler Truck Geltung hat”, sagte Rolf Götz von der IG Metall, der die Vereinbarung mitverhandelt hat. Fachleute halten dies für einmalig.
Der europäische und der Weltbetriebsrat sind vergangene Woche gegründet worden. Notwendig war dies aufgrund der Abspaltung vom früheren Daimler-Konzern Ende 2021. Es seien Arbeitnehmer aus 23 Ländern in den neuen Gremien vertreten. Der Konzern hat weltweit mehr als 40 Produktionsstandorte und ist mit Vertrieb und Service in den meisten Ländern vertreten.
Die Fabriken von Automobilunternehmen stehen oft in Konkurrenz zueinander. Diese Konkurrenz wird häufig von der Unternehmensleitung forciert, zuletzt etwa als Ford über die Schließung eines Werkes in Europa entschied. In solchen Situationen ist es für Betriebsräte schwierig, die Interessen aller Standorte zu berücksichtigen. Gleiche Standards an allen Standorten sind ein Baustein für einen faireren Wettbewerb. Gerade mit Blick auf die laufende Transformation der Branche ist dies aus Sicht der Arbeitnehmer wichtig.
Mit Blick auf den steigenden Restrukturierungsdruck bei Daimler Truck sagte Michael Brecht, in Personalunion Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates sowie des Europäischen- und Weltbetriebsrats: “Wir Arbeitnehmervertreter werden nicht zulassen, dass Standorte und Kontinente einseitig zulasten der Beschäftigten gegeneinander ausgespielt werden, nur um dem Kapitalmarkt und den Großaktionären zu gefallen.” Deswegen drängen die Arbeitnehmervertreter auch auf eine bessere Durchsetzung von Gewerkschaftsrechten entlang der Lieferketten.
“In allererster Linie müssen wir jegliche Blockierung der Grundrechte auf Beitritt zu einer Gewerkschaft und auf Tarifverhandlungen bekämpfen, vor allem in Ländern, wo dies an der Tagesordnung ist, wie zum Beispiel in der Türkei, Thailand, USA und einigen Ländern Nordafrikas“, sagt Georg Leutert, Direktor für die Branchen Automobil und Flugzeugbau bei IndustriALL, einer internationalen Gewerkschaftsföderation von 197 Einzelgewerkschaften mit 50 Millionen Mitgliedern. cd
Betriebe vergrößern und den Anbau diversifizieren: Zwei gebräuchliche Strategien zur Armutsbekämpfung von Kakaobauern, die kaum wirken. Das Kakaobarometer 2022, das heute von mehreren NGO veröffentlicht wird, lag dem ESG. Table vorab vor. Für die Wirkungslosigkeit nennt es mehrere Gründe: Die meisten Kakaobauern könnten nicht die erforderlichen Investitionen in Betriebsmittel und Arbeitskräfte aufbringen. Zudem seien Investitionen für sie riskant: Erzeugerpreise könnten wie in der Erntesaison 2017/17 stark fallen oder es könne zu Missernten kommen – aufgrund von Extremwetter, Schädlingen oder Krankheiten.
Oft könnten die Bauernhaushalte selbst nicht mehr arbeiten, um die Produktivität zu erhöhen. Bauern müssten dann externe Arbeitskräfte einstellen, wodurch wiederum das Einkommen sinke. Das begünstige auch die Arbeit von Kindern, die gering entlohnt werden. Kinderarbeit ist im westafrikanischen Kakaoanbau weit verbreitet. Rund 1,5 Millionen Kinder sollen dort arbeiten. Um die Flächen überhaupt ausweiten zu können, seien aber auch andere Maßnahmen notwendig. Es brauche “erhebliche Reformen bei Land- und Baumbesitz sowie eine engagierte Strategie für die ländliche Entwicklung auf staatlicher Ebene”, heißt es.
Wachstum scheine zumindest kurz- bis mittelfristig für die Mehrheit der Kakaobauern keine praktikable Strategie für ausreichende Einkommen zu sein. Eine Ausnahme seien Betriebe, die derzeit 350 kg pro Hektar produzieren. Für sie rechne sich eine Ausweitung der Produktion auf 550 kg pro Hektar.
Die gleichen Zwänge und Risiken gibt es bei der Diversifizierungs-Strategie. Unklar sei zudem, ob es überhaupt einen ausreichend großen Markt für diversifizierte Produkte der Kakaobauern gebe, zumal in anderen Bereichen, in denen Bauern Nahrungsmittel für den Export anbauen, die gleichen Strategien in der Wertschöpfungskette eingesetzt werden. Die Diversifizierung koste die Bauern Geld und das Risiko verbleibe bei ihnen, “während die Unternehmen hofften, dass das Einkommen aus anderen Quellen die Bauern in die Lage versetzt, den Kakao so billig zu verkaufen, wie sie es jetzt tun”, heißt es.
Nur eingeschränkt lassen die Autoren der Studie die Zahlen über größere Bauern mit einem existenzsichernden Einkommen gelten. Dazu müssten auch die Verhältnisse für deren Pächter oder Landarbeiter einbezogen werden, was oft nicht geschehe.
Es könnte sogar sein, dass es sinnvoller sei, statt von einer Mindestbetriebsgröße von einer maximalen lebensfähigen Betriebsgröße pro Haushalt zu sprechen, schreiben die Autoren in der Studie. cd
Frankreich konnte sich durchsetzen. Der Ratskompromiss zum Sorgfaltspflichtengesetz wird nicht automatisch auf die Finanzbranche angewandt. Es soll jedem Mitgliedstaat selbst überlassen bleiben, ob Finanzdienstleistungen unter das Gesetz fallen oder nicht. Auch die Definition der zu regulierenden Finanzindustrien wurde deutlich begrenzt, Investmentfonds etwa fallen fast gänzlich raus.
Mit diesem Vorschlag schaffte es die tschechische Ratspräsidentschaft, den Streit innerhalb der Mitgliedstaaten über die Reichweite des Gesetzes aufzulösen. Frankreich drohte bis zuletzt mit einer Sperrminorität, würden Finanzdienstleistungen Sorgfaltspflicht leisten müssen.
Der Kompromiss erhielt am Donnerstag vergangener Woche im Wettbewerbsrat eine qualifizierte Mehrheit: Die Allgemeine Ausrichtung des Rates steht also. Deutschland trug den Kompromiss mit. Der Vorschlag des Rates schwächt den Kommissionsvorschlag in einigen Punkten deutlich ab. Zum Beispiel sollen im ersten Jahr nur sehr große Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und 300 Millionen Jahresumsatz unter das Gesetz fallen. Waffenexporte und Dual-Use-Güter wären demnach vom Gesetz ausgenommen.
Der Kompromisstext stößt aber auch auf Kritik. Grünen-Politikerin Anna Cavazzini nennt die Sonderregelung für den Finanzplatz “skandalös und nicht nachvollziehbar”. Die EU solle Investitionen in Menschenrechtsverletzungen nicht länger dulden. Die Europa-SPD zeigt sich pragmatischer: “Angesichts der schwierigen Ausgangslage und harten Opposition einiger Mitgliedsländer handelt es sich wohl um das bestmögliche Ergebnis”, so Tiemo Wölken.
Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen stören sich unter anderem daran, dass nicht alle Downstream-Aktivitäten, beispielsweise die Verwendung von Produkten, erfasst sind: “Damit wären zum Beispiel Agrarkonzerne fein raus, selbst wenn ihre Pestizide die Gesundheit von Bauern und Plantagenarbeiterinnen schädigen”, schreibt die Initiative Lieferkettengesetz.
Einigen Akteuren geht der Kompromiss jedoch zu weit: “De facto wird jedes Unternehmen in Europa von den massiven bürokratischen Auflagen des Lieferkettengesetzes betroffen sein, da die Verpflichtungen in der Kette einfach weitergegeben werden”, bemängelt etwa Axel Voss. Der CDU-Politiker ist Schattenberichterstatter des Vorschlags im Parlament.
Im Gegensatz zum Rat steht im Parlament noch kein Kompromisstext. Anfang November stellte Berichterstatterin Lara Wolters ihren Vorschlag vor, dieser fällt deutlich strenger aus als der Kommissionsvorschlag. cw
Wenn wir den Schwund der Artenvielfalt stoppen wollen, müssen wir weg vom gerade in Deutschland so geliebten ‘weiter so’. Ein ‘weiter so’ ist das langsame Dahinsiechen – tiefe Veränderung für und mit uns allen sind gefragt. Deshalb forderte ein Bündnis deutscher Wissenschafts- und Nichtregierungsorganisationen, vor einer Woche in der Frankfurter Erklärung, “das Wirtschaften gegen die Natur zu beenden“. Dieses Bündnis, in dem sich u.a. auch alle drei naturforschenden Museen der Leibniz Gemeinschaft finden, hat sich zum Ziel gesetzt, die nötigen Voraussetzungen für ein naturpositives Unternehmenshandeln zu schaffen.
Dazu zählen auch biodiversitätsfreundliche Anreize. Denn es ist ökonomisch doch vollkommen unsinnig, dass wir weltweit nur rund 143 Milliarden US-Dollar jährlich in den Erhalt der biologischen Vielfalt investieren – und dass gleichzeitig private Investitionen in Höhe von 2.600 Milliarden US-Dollar und öffentliche Subventionen von 500 Milliarden US-Dollar unsere Lebensgrundlagen schädigen oder gar vernichten.
Die Menschheit verliert gerade ihren selbstmörderischen Krieg gegen die Natur. Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Ökosysteme verschwinden vor unseren Augen. Wüsten breiten sich aus. Feuchtgebiete gehen verloren. Jedes Jahr verlieren wir zehn Millionen Hektar Wald. Die Ozeane sind überfischt – und ersticken in Plastikmüll. Das Kohlendioxid, das sie aufnehmen, lässt die Meere versauern. Korallenriffe sind gebleicht und sterben ab. Die Luft- und Wasserverschmutzung fordert jährlich neun Millionen Todesopfer – mehr als das Sechsfache der derzeitigen Pandemie. Und da Menschen und Viehbestände immer weiter in die Lebensräume von Tieren eindringen und wilde Gebiete zerstören, könnten vermehrt Viren und andere Krankheitserreger vom Tier auf den Menschen übergehen. Wir sollten nicht vergessen, dass 75 Prozent der neuen und neu auftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen zoonotisch sind.
Mit diesen Worten eröffnete UN-Generalsekretär António Guterres 2020 seine Rede über den Zustand unserer Erde. Sie haben nichts an Aktualität verloren. Sie beschreiben – und das kann einen schon verzweifeln lassen – treffend die Situation, die zu lösen die Verhandelnden der 15. Vertragsstaatenkonferenz aufgerufen sind, wenn sie ab heute in Montreal konferieren.
Was also hält uns davon ab, die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN zu verwirklichen? Wir wissen längst, es ist unsere Art zu leben und zu wirtschaften. Wir vernichten unwiederbringlich und ständig gewaltige Ressourcen, beschleunigen den Klimawandel, das Artensterben und verhindern globale Gerechtigkeit. Wenn wir, insbesondere auf der nördlichen Halbkugel, so weitermachen wie bisher, zerstören wir die Grundlagen unseres Lebens. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie verletzlich unsere Zivilisation, unsere Art zu leben, ist und schon immer war. Ein kleines, unsichtbares Virus reicht aus, um sicher geglaubte Wahrheiten hinwegzufegen und angeblich “stabile” Ökonomien und Demokratien schwer zu beschädigen.
Wir haben das Wissen, wir haben die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Technologien, um den Wandel zu gestalten. Hindernisse sind vielmehr struktureller, sozialer, kultureller und politischer Natur. Wir wissen längst mehr als genug, um auszusteigen aus dieser selbstmörderischen Lebensweise und eine Transformation für eine biodiversitätsfreundliche und klimaverträgliche Zivilisation zu wagen, um gemeinsam global eine lebenserhaltende Zivilisation aufzubauen.
Der zentrale Hebel ist, dass wir all unser Handeln so gestalten, innerhalb der Planetaren Grenzen zu wirtschaften und zu konsumieren. Es muss Schluss sein damit, dass wir Produzieren um des Produzieren Willens, dass wir Konsumieren um des Konsumieren Willens. Es wird Zeit, dass wir lernen: Wir sind als Menschen elementar von einer gesunden Natur abhängig. Ohne sie können wir nicht leben – weder körperlich noch geistig oder spirituell. Ohne eine reiche und funktionierende Natur ist unser Heimatplanet für uns unbewohnbar.
Deshalb sind die Anstrengungen so wertvoll, in den planetaren Grenzen zu wirtschaften, nicht mehr zu verbrauchen, als die Natur uns schenkt.
Damit die Anstrengungen gelingen, müssen die gewaltigen Schäden, die Zerstörung monetär bewertet und von den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erfasst werden – und zwar auch die Schäden, die beispielsweise durch unsere Unternehmen in anderen Ländern auftreten. Die Debatte auf der gerade erst abgeschlossenen Weltklimakonferenz um den “Loss and Damage Fund” hat diese Zusammenhänge einmal mehr aufgezeigt. Wir brauchen dafür eine Wissenschaft, die diese Zusammenhänge in praktische Lösungsvorschläge übersetzt. Alle Akteure, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft müssen sich neu orientieren und es muss um demokratische Mehrheiten für diesen tiefen Wandel gerungen werden.
Ich begrüße ausdrücklich, dass viele Unternehmen sich auf den Weg in eine nachhaltige und gerechtere Zukunft gemacht haben. Was wir jetzt brauchen, ist eine entschlossene Initiative dieser Unternehmen auf der Weltvertragsstaatenkonferenz in Montreal, um klug und zügig umzusteuern. Es geht.
Als Anfang der 1970er-Jahre die ersten Bioläden eröffneten, da galt das als elitär, nicht bezahlbar, ja unsinnig. Heute gibt es Biosupermärkte ebenso wie Bioprodukte bei den Discountern – wobei aktuell die Inflation vielen Menschen auch in diesem Land den Kauf von diesen in vielerlei Hinsicht wertvollen Lebensmitteln zumindest erschwert. Dennoch ist das eine Erfolgsgeschichte, die sich hunderttausendfach wiederholen kann.
Jedes Unternehmen und insbesondere die Finanzwirtschaft ist jetzt gefragt. Schauen Sie sich Ihre Investitionen, Ziele und Visionen an und überlegen Sie, wie sie mit dem Schutz der natürlichen Welt in Einklang gebracht werden können. Und dann fordern Sie Ihre enorm talentierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen heraus, Lösungen zu finden, um Ihre Geschäftsziele mit dem Schutz der Natur in Einklang zu bringen. Natürlich kann nicht vorgeschrieben werden, welche Art von Ansatz zu wählen wäre, denn er muss auf die Unternehmen und deren Mitarbeitenden zugeschnitten sein. Aber, es muss jetzt das kreative Denken in der Wirtschaft freigesetzt werden; sie muss Teil von Allianzen werden und Geschäftsmodelle überdenken.
Wirtschaften und Konsumieren in Planetaren Grenzen wird nur dann zur Erfolgsgeschichte werden, wenn Menschen der unterschiedlichsten Herkünfte und Wissenskulturen diesen Weg lokal, regional und global respektvoll gemeinsam gestalten. Wir müssen voneinander lernen – das hochentwickelte Umweltwissen, ökonomisches Know-how sowie die Praktiken der Indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften sind für ein gutes Leben für alle Menschen auf unserem Heimatplaneten unverzichtbar.
Wie erfolgreich der Weltnaturgipfel sein wird, hängt auch davon ab, ob diese verschiedenen Perspektiven und verschiedenartiges Wissen von den Verhandelnden gehört wird. Auch der Bericht, den der Weltbiodiversitätsrat vor zwei Jahren vorgelegt hat, unterstreicht das ausdrücklich.
In der Dichotomie von Deep change or slow death haben wir nur eine Wahl – packen wir es an!
Der Botaniker Johannes Vogel ist Generaldirektor des Museums für Naturkunde, Professor für Biodiversität und Public Science an der Humboldt-Universität sowie Mitglied der Leibnitz-Sozietät der Wissenschaften in Berlin.
Der Wald spielte in Alexander Zeihes Leben schon als Kind eine wichtige Rolle – und dass, obwohl er im nicht gerade waldreichen Ostfriesland aufwuchs, wie er lachend erzählt. Groß geworden auf einem Bauernhof, “als Landei”, war die Natur jedoch immer nah. Und nachdem er einen Jagdschein gemacht hatte, verbrachte er viel Zeit im Wald und lernte ihn intensiv als Lebensraum kennen.
Heute setzt er mit der Ecosystem Value Association (eva) Ökosystemleistungen in Wert, damit es sich finanziell lohnt, Natur zu bewahren – etwa für Waldbesitzer. Die NGO arbeitet an Standards für Zertifikate, deren Verkauf den Erhalt oder Wiederaufbau von Ökosystemen zumindest teilweise finanziert. Aber: Während dieser Mechanismus beim Handel mit CO₂-Zertifikaten mittlerweile international etabliert ist, stehen andere Ökosystemleistungen noch ganz am Anfang.
Ein Ort, an dem die Aufmerksamkeit erhöht werden könnte, wird die Weltnaturkonferenz in Montreal sein. “Ich wünsche mir, dass das Thema Artenvielfalt grundsätzlich mehr Beachtung bekommt und hoffe, dass Montreal dazu einen Beitrag leisten kann”, sagt Zeihe. Denn beim Thema Biodiversität sei die Menschheit schon weit über alle planetaren Grenzen hinaus und wisse das nicht einmal – anders als beim Klimaschutz. Dabei stellt die Artenvielfalt den Menschen Dienstleistungen bereit, die ihr Überleben sichern.
“Wir nutzen Natur bisher vornehmlich als Rohstoff. Andere Leistungen wie Kohlenstoffspeicherung, Bodenfruchtbarkeit oder Wasserspeicherung sind im staatlichen Fördermechanismus bislang wenig reflektiert”, erklärt Zeihe. Die Standards von eva sollen letztlich wirtschaftlich sinnvoll, transparent und skalierbar sind. Dabei arbeitet die Organisation mit verschiedenen Stakeholdern in einem iterativen Prozess zusammen. “Wir führen einen Dialog mit den Interessengruppen, bauen daraufhin einen ersten Entwurf für Standards und legen ihn den Stakeholdern vor. Dann nehmen wir deren Feedback auf und gehen wieder zurück in die Werkstatt“, beschreibt es Zeihe.
Wichtig ist ihm, dass bei den großen Herausforderungen, vor denen Gesellschaft und Wirtschaft stehen, nicht der konfrontative, sondern der kooperative Weg eingeschlagen wird. “Ich finde es wichtig, dass die Menschen die enormen Herausforderungen der Transformation gemeinsam angehen”, betont Zeihe. Nur so könnten am Ende pragmatische Lösungen für alle herauskommen.
Wie Menschen miteinander ins Gespräch gebracht und Interessen ausgeglichen werden können, hat Zeihe in vier Jahren als persönlicher Adjutant von Bundespräsident Horst Köhler gelernt. Dorthin hatte es ihn verschlagen, nach einem Studium der Geschichte und Erziehungswissenschaft an der Bundeswehruniversität Hamburg und weiteren zwei Jahren Marinedienst auf dem Meer. “Eigentlich wollte ich lange zur See fahren und es war wirklich eine tolle Zeit”, erzählt er. Doch der Wunsch nach Sesshaftigkeit und Gründung einer Familie war irgendwann größer, sodass er den Job im Schloss Bellevue annahm.
Nach insgesamt zwölf Jahren im Öffentlichen Dienst zog es ihn in die Wirtschaft. Zeihe studierte BWL und arbeitete einige Jahre für ein Versicherungsunternehmen, bevor er sich auf einen Posten bewarb, der für den Waldliebhaber wie gerufen kam: Er wurde Geschäftsführer beim AGDW, Deutschlands größtem Waldeigentümerverband. Im intensiven Austausch mit Waldbesitzern und Politik setzte er sich mit dem Thema Ökosystemleistungen auseinander. Schließlich beschloss er gemeinsam mit Moriz Vohrer, dazu ein eigenes Projekt zu gründen. Die Idee zur Ecosystem Value Association war geboren.
Das Projekt lebt von Impact-Philanthropen, die aus ihrem Engagement keinen kurzfristigen finanziellen Nutzen ziehen wollen, sondern an die Sache glauben. In der ersten Runde sammelte das Gründerteam 3 Millionen Euro ein. Mit Moriz Vohrer, Gründer der NGO CarbonFix, und Rüdiger Meyer, Gründer der FLOCERT GmbH, hat Zeihe zwei Fachleute aus den Bereichen Standards und Zertifizierungen an seiner Seite. Zum Team gehören außerdem 13 Fachkräfte aus den unterschiedlichsten Bereichen.
Die Frage nach dem Wert von Ökosystemleistungen muss endlich breit diskutiert werden, findet Alexander Zeihe. “Das ist schwierig zu greifen und da braucht es eine ausführliche Debatte.” Dass die Entwicklung eines Zertifikatsmarktes für eine Vielzahl unterschiedlicher Ökosystemleistungen der richtige Weg ist, davon ist Zeihe überzeugt. “Der Mensch ist in den vergangenen 100 Jahren ein solch technisch-numerisches Wesen geworden, dass es diese Krücke braucht, um den Wert von etwas zu erkennen, dessen Wert eigentlich selbstverständlich sein sollte.” Ulrike Christl
Beim Osten denken viele Menschen in unserem Breitengraden an andere Sprachen und Kulturen, eine kalte Wetterlage, auftauende Permafrostböden, den untergegangenen Kommunismus und seit dem Frühjahr dieses Jahres oft an Krieg. Kaum jemandem dürfte der Ostigel in den Sinn kommen. Wer weiß schon, dass es ihn gab? Sein Kennzeichen ist die weiße Brust. Aber er ist in Deutschland verschwunden, hier lebt nur noch der Westigel mit seiner braunen Brust. Seine Ostvariante gehört zu den Tierarten, die in Deutschland seit der Industrialisierung ausgestorben sind, ob Europäische Zwiesel, Schwarstirnwürger oder der Clown-Vogel Papageientaucher. Wer heute noch den Ostigel beobachten will, muss in den Osten reisen, nach Russland, Israel, auf die Balkan-Halbinsel, nach Kreta oder in den nördlichen Kaukasus.
Die Menschheit verhandelt bei der Konferenz für Artenvielfalt in Montreal Fragen, die über das künftige Überleben auf der Erde entscheiden werden. Das Thema steht im Mittelpunkt des ESG.Table.
Unser Kollege Timo Landenberger ist in Montreal vor Ort und weist in seiner Vorberichterstattung darauf hin, dass Unternehmen eine zentrale Rolle zukommt, wenn es um den Erhalt der bereits stark eingeschränkten Artenvielfalt geht.
Einen Kurswechsel für Deutschland mahnt Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums, in seinem Standpunkt an: “Wenn wir den Schwund der Artenvielfalt stoppen wollen, müssen wir weg vom gerade in Deutschland so geliebten ‘weiter so’. Ein ‘weiter so’ ist das langsame Dahinsiechen”. Auf dem Weg zu diesem Kurswechsel ist Alexander Zeihe. Warum er die Ecosystem Value Association gegründet hat, und wie Natur davon profitiert, lesen Sie im Porträt.
Eine starke Aussage machte Finanzminister Christian Lindner beim Deutschen Nachhaltigkeitskongress: Er will den Staatshaushalt mithilfe der “Spending Reviews” an den Nachhaltigkeitszielen ausrichten. Dabei wird sich das Ministerium an den SDG bzw. der Nachhaltigkeitsstrategie orientieren.
Unser Team berichtet des Weiteren über wichtige Ansätze, mit denen Politik und Wirtschaftsakteure die ökologischen und sozialen Verhältnisse verbessern wollen. Die AVV-Klima mit einer nachhaltigeren Beschaffung; die CSRD-Richtlinie; das Europäische Lieferkettengesetz, bei dem nach den Vorstellungen des Europäischen Rats die Finanzunternehmen weitgehend außen vor bleiben sollen; und die Schaffung von gleich wichtigen Beschäftigtenrechten für die weltweite Belegschaft bei Daimler Truck, wo gerade ein europäischer sowie ein Weltbetriebsrat gegründet wurden.
Warum eingeschlagene Lösungswege immer wieder neu bewertet werden müssen, zeigen die Ergebnisse des Kakaobarometer 2022, das heute veröffentlicht wird und dem ESG.Table vorab vorlag. Die Strategien einer Vergrößerung und Diversifizierung des Kakaoanbaus haben demnach nicht zu der von vielen Unternehmen erwarteten Armutsbekämpfung beigetragen.
Die Erwartungen sind groß vor der 15. UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal (CBD-COP15). Vom 7. bis zum 19. Dezember verhandeln dort die 196 Vertragsstaaten der Convention on Biological Diversity (CBD) über ein neues globales Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt.
Nachdem bisherige Ziele allesamt verfehlt wurden, soll die Vernichtung der natürlichen Lebensräume endlich gestoppt und umgekehrt werden. Ökosysteme sollen renaturiert, schädliche Subventionen beendet und die Finanzierung erhöht werden. So steht es im ambitionierten Entwurf des Global Biodiversity Frameworks (GBF).
Dazu gehört auch, die Privatwirtschaft stärker in die Pflicht zu nehmen und auf “Nature-Positive” auszurichten. Konkret heißt es unter Ziel 15: “Alle Unternehmen (öffentliche und private, große, mittlere und kleine) berichten über und bewerten ihre Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, von der lokalen bis zur globalen Ebene, und reduzieren schrittweise die negativen Auswirkungen um mindestens die Hälfte und steigern die positiven”. In einem Positionspapier unterstützt der Rat der EU-Umweltminister das Vorhaben.
Wie genau die politischen Rahmenbedingungen dafür aussehen sollen, ist noch ungeklärt und wird Gegenstand der Verhandlungen sein. In Europa zielt beispielsweise die EU-Taxonomie-Verordnung darauf ab, Wirtschaftsaktivitäten entsprechend ihrer Nachhaltigkeit zu klassifizieren und Investitionen in umweltfreundliche Unternehmensleistungen zu lenken. Dazu gehört auch der Schutz der ökologischen Vielfalt.
Verpflichtungen gibt es allerdings bislang kaum. Weder das deutsche noch das geplante EU-Lieferkettengesetz adressieren explizit die Biodiversität. Dennoch will Europa mit gutem Beispiel vorangehen. Am Dienstagmorgen einigten sich EU-Parlament, Rat und Kommission auf eine neue Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (mehr dazu in den News).
Rückenwind für Ziel 15 kommt aus der Wirtschaft selbst. Immerhin hängen rund 50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung von gesunden und funktionierenden Ökosystemen ab. Unter dem Dach der Initiative Business for Nature unterstützen etwa 330 Konzerne und Finanzinstitute die Biodiversitätsziele und eine Berichtspflicht für Unternehmen inklusive der gesamten Lieferkette. Darunter die Edeka-Gruppe oder der Baustoff-Konzern Heidelberg Materials.
Mögliche Leitlinien für die Berichterstattung hat unter anderen die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) über die vergangenen Jahre erarbeitet. Doch während die Klimaberichterstattung inzwischen zum unternehmerischen Einmaleins gehört, ist die Offenlegung der Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Biodiversität für die meisten Neuland und ungleich komplizierter.
Zu den Zielen auf der COP15 gehört außerdem, umweltschädliche Subventionen in einer Größenordnung von mindestens 500 Milliarden US-Dollar jährlich umzulenken oder abzuschaffen. Besonders betroffen wären hiervon die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei. Allerdings wurden die Subventionen zur Gewährleistung der Energie- und Ernährungssicherung in vielen Ländern zuletzt eher erhöht, etwa bei der Düngemittelproduktion.
Generell wird die größte Debatte rund um die Frage der Finanzierung erwartet. Ziel 19 des GBF-Entwurfs gilt als Achillesferse der Verhandlungen und sieht eine Erhöhung des Gesamtbudgets für Umweltschutz auf mindestens 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr vor. Mindestens 10 Milliarden US-Dollar jährlich sollen von reichen Staaten explizit zur Unterstützung ärmerer Länder mobilisiert werden. Diese dürften keine Rückschritte in ihrer Entwicklung machen müssen, um die Ziele umzusetzen, heißt es. Einige Länder des globalen Südens fordern deutlich höhere Summen.
Die wichtigsten weiteren Punkte:
30×30: EU und Bundesregierung unterstützen die Forderung, 30 Prozent der Gesamtfläche jedes Landes bis 2030 unter Schutz zu stellen. Das entspricht einer Verdopplung der Fläche an Land und einer Vervierfachung der Meeresfläche.
Nationale Strategien: Zur Umsetzung sollen die globalen Ziele in “National Biodiversity Strategies and Actions Plans” (NBSAP) übersetzt werden. Einheitliches Monitoring und regelmäßige Berichtspflichten sollen Fortschritte sicht- und kontrollierbar machen – ähnlich der Klimaziele (NDC) aus dem Pariser Klimaabkommen.
Messbarkeit: Doch im Gegensatz zur Offenlegung der Treibhausgasemissionen ist eine vergleichbare Darstellung über den Zustand der Ökosysteme schwierig. Fragen nach geeigneten Indikatoren sind noch ungeklärt. Etliche Staaten kritisierten bereits den nicht leistbaren Verwaltungsaufwand zur Erhebung der Daten.
Renaturierung: Das 30-Prozent-Ziel wirkt etwas aus der Luft gegriffen. Noch fehlt es an Informationen und es ist nicht klar, welche Gebiete genau geschützt werden sollen. Schließlich befinden sich die meisten Ökosysteme in einem schlechten Erhaltungszustand. Der GBF-Entwurf sieht deshalb parallele Renaturierungsmaßnahmen vor.
Nature-based Solutions wie künstliche Korallenriffe, der Anbau von Seegras und Algen, die Vernässung von Mooren oder Wiederbewaldung schaffen Lebensräume. Außerdem binden sie in großem Umfang CO2 und tragen somit auch entscheidend zum Klimaschutz bei.
Im Vorfeld der Verhandlungen liegen die Positionen teils weit auseinander, Forderungen nach ambitioniertem Vorgehen treffen auf fehlenden politischen Willen und kaum gesellschaftliche Wahrnehmung. Dazu fällt die Konferenz in eine schwierige Zeit. Zwar bekam der Artenschutz zuletzt Rückenwind von der Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh, wo die Notwendigkeit intakter Ökosysteme auch für den Klimaschutz noch einmal unterstrichen wurde. Im Kampf gegen multiple Krisen und zur Sicherstellung der Energie- und Lebensmittelversorgung wurden Umweltschutzambitionen in vielen Ländern zuletzt jedoch zurückgestellt. Dass die COP15 nach jahrzehntelangen Zielverfehlungen also tatsächlich zum großen Game-Changer wird, scheint zweifelhaft.
Die AVV Klima gibt klar vor, welche klimaschädlichen Produkte und Dienstleistungen die Vergabestellen des Bundes nicht beschaffen dürfen – etwa Heizpilze oder Einwegbesteck. Noch unklar ist vielen Beschaffenden, wie sie Lebenszykluskosten und CO₂-Schattenpreise im Vergabeverfahren berücksichtigen sollen.
Gründe sind fehlende Daten und Bewertungsmethoden in den Vergabestellen und bei den Bietern, die Verpflichtung, die Interessen des Mittelstands zu berücksichtigen und ein Verständnis von öffentlicher Beschaffung, das strategisch statt verwaltungstechnisch sein müsste. Doch die Beteiligten suchen Lösungen, um die Vorgaben langfristig umsetzbar zu machen.
Um die Kosten über den ganzen Lebenszyklus von der Nutzung bis zur Entsorgung von Produkten sowie die damit verbundenen emittierten Treibhausgase zu bestimmen, braucht es Daten. Diese fehlen aber oft, etwa zu den Bereichen Rohstoffgewinnung und Herstellung. Das liegt auch daran, dass “potenzielle Bieter die benötigten Daten zu Treibhausgas-Emissionen (THG) und Energieeffizienz nicht liefern können”, schreibt die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB), eine Stabsstelle im Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums (BMI).
Aktuell ist es unwahrscheinlich, dass Vergabestellen spezifische Bilanzen über THG für jedes Produkt nutzen werden. Experten verweisen darauf, dass die Informationen weder mit verhältnismäßigem Aufwand zu erheben noch, dass die Verwaltung handhabbar sei. Denn schon kleine Unterschiede in der Produktspezifikation führen zu anderen Werten.
Zudem gibt es rechtliche Bedenken. “Unternehmen, die noch über keine entsprechenden Bilanzen verfügen, wären von der Angebotsabgabe ausgeschlossen, wenn die THG-Bilanz als Mindestkriterium vorgegeben würde. Derzeit würde dies dazu führen, dass sehr viele Marktteilnehmer nicht mehr anbieten könnten. Daher wäre das aus meiner Sicht aktuell nicht sachgerecht”, sagt der Fachanwalt für Vergaberecht Martin Schellenberg. Vor allem für mittelständische Unternehmen könnte dies ein Problem sein. Denn für viele ist es wahrscheinlich noch nicht zumutbar, diese Daten zu erheben. Genau das aber setzt die Berücksichtigung der THG voraus.
Wahrscheinlicher ist laut Fachleuten, dass Vergabestellen einige wesentliche Kriterien nutzen werden, mit denen sie ähnliche Produkte und Dienstleistungen miteinander vergleichen können. Das Umweltbundesamt forscht daran, weitere Arbeitshilfen zu entwickeln. Im Fokus stehen zum Beispiel IT-Produkte, Möbel und Textilien. Ein entsprechendes Forschungsvorhaben soll bis Mitte 2025 abgeschlossen sein.
Außerdem arbeitet das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) an einer Methode, “die zukünftig eine Prognose der verursachten Treibhausgasemissionen während des gesamten Lebenszyklus […] ermöglicht, um diese im Beschaffungsprozess zu berücksichtigen”, erläutert ein Sprecher. Genaueres zur Methode – also etwa auf welche Faktoren sich das Modell stützt, sagte das BMZ bisher nicht.
Eine weitere Hürde für nachhaltigere Beschaffung ist das verwaltungstechnische Verständnis von öffentlicher Beschaffung der AVV Klima. “Solange wir glauben, dass wir auf diese Art nachhaltig einkaufen können, werden wir keinen Schritt nach vorne machen”, sagt Michael Eßig, der Beschaffung an der Münchener Universität der Bundeswehr lehrt. Wichtig seien vor allem die Bedingungen für die staatlichen Einkäufer: Sie bräuchten Zeit, sich mit den Leistungen zu beschäftigen, die sie beschaffen, und sie müssten gut ausgebildet sein. Sonst sei eine gründliche Markterkundung und gute Leistungsbeschreibung nicht möglich – gerade wegen der Komplexität vieler Produkte und Dienstleistungen.
Trotz der Hürden arbeiten die Bundesbehörden daran, klimafreundlichere Produkte und Dienstleistungen zu beschaffen. Neben dem Umweltbundesamt, das Arbeitshilfen für die Berücksichtigung von THG-Emissionen entwickelt, wird die KNB ausgebaut, um das Beschaffungsamt des BMI zielgerichteter zu beraten. Zudem stärkt der Bund die Aus- und Weiterbildung des Personals in den Vergabestellen zu Nachhaltigkeit – etwa an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Das sind kleine Schritte auf dem Weg zu einem Einkauf, der strategischer und nachhaltiger ist.
Unternehmen, die bereits heute der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) unterliegen, müssen ihre ESG-Berichte ab Januar 2024 deutlich erweitern. Das verlangt die neue EU-Richtlinie Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Ab 2025 folgen alle anderen großen Unternehmen, ein Jahr darauf börsennotierte KMUs. Die Zeit für Verantwortungsträger drängt.
Das Ziel der CSRD: Die nicht-finanzielle soll gleichberechtigt neben die finanzielle Berichterstattung treten. Damit das gelingen kann, braucht es Kennzahlen, die Umwelt- und Sozialbelange messbar machen. Das geschieht mit sogenannten Leistungsindikatoren beziehungsweise Key Performance Indicators (KPI), und die werden genauso von Extern geprüft wie klassische Bilanzkennziffern.
Dementsprechend beschäftigen sich insbesondere Abschlussprüfer mit den Neuerungen. “Die CSRD will mit dem Phänomen Schluss machen, dass jeder berichten kann, was er möchte”, sagt Jan-Hendrik Gnändiger, Partner und verantwortlich für ESG-Reporting bei KPMG. Er begrüßt das Vorhaben, ESG-Angaben mithilfe neuer Rechnungslegungsstandards vergleich-, aber vor allem überprüfbar zu machen.
Gnändiger beschäftigt sich viel mit dem Thema Messbarkeit und merkt an: Die Aussagekraft der CSRD-Leistungsindikatoren ist durchaus strittig. Bei den jährlichen Treibhausgasemissionen klappt das noch vergleichsweise gut. Betriebe messen die von ihnen verursachten Treibhausgase in Tonnen CO₂-Äquivalent – die Maßeinheit ist weit verbreitet. Bei anderen KPI ist es schon deutlich schwieriger. Für längst nicht alle Branchen und Bereiche existieren derart etablierte Kennzahlen.
Gnändiger gibt ein Beispiel: “Denken Sie an das Thema Biodiversität. Das kann ich zwar qualitativ beschreiben, aber wie lässt sich Artenvielfalt quantifizieren?” Das betrifft etwa Unternehmen, die Regenwälder abholzen und ganze Landstriche austrocknen. Vorschläge für entsprechende Kennzahlen existieren zwar, etwa crop yield, also die (negativen) Folgen für den Bodenertrag. Das wäre allerdings ein rein ökonomischer Faktor, der das damit verbundene Artensterben nicht berücksichtigt.
Zudem sieht der Experte auch für Wirtschaftsprüfer die Herausforderung, wie Artenvielfalt und Entwaldung entlang der gesamten Wertschöpfungskette überprüft werden können. Alles in allem ist der ESG-Fachmann jedoch zuversichtlich. Die CSRD stecke noch in einer Anfangsphase: “Nicht alle KPI sind schon final ausformuliert und praxiserprobt. Ich bin sicher, dass im Zuge der Erstanwendung noch Bewegung in die Sache kommt”, sagt Gnändiger.
In eine ähnliche Kerbe schlägt der deutsche Verbraucherschutz: “Die Motive hinter der CSRD sind in ihrem Ansatz völlig richtig”, sagt Niels Nauhauser, Abteilungsleiter Altersvorsorge, Banken, Kredite bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Vor allem börsennotierte Unternehmen müssen zuverlässige Daten bereitstellen, damit Anleger sie vor einer Kaufentscheidung bewerten können. Doch auch Nauhauser hat seine Zweifel daran, ob alle KPIs diese Anforderung erfüllen.
Das betrifft zum einen erneut das Problem, Nachhaltigkeit in Zahlen zu gießen. Wie aussagekräftig sind Kennziffern zum Wasser- oder Papierverbrauch pro Mitarbeiter, zu Korruption? Zum anderen hinterfragt der Verbraucherschützer die Berichterstatter selbst. Zuverlässig sind Daten erst dann, wenn sie ein unabhängiger Dritter überprüfen konnte. Nauhauser spielt auf die Rolle der Wirtschaftsprüfer an: “Wieso überträgt man den Prüfauftrag nicht an eine unabhängige staatliche Aufsichtsbehörde?”
Für den Verbraucherschützer ist noch eine andere Frage relevant: Sind die in der CSRD definierten Maßnahmen zielführend? “Was die Politik damit vorgibt, erreichen zu wollen, ist die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit”, sagt Nauhauser. Dafür gäbe es aber seiner Ansicht nach effektivere Möglichkeiten. Anstatt Unternehmen zu verpflichten, über Emissionen zu berichten, könnte der Gesetzgeber diese einfach deckeln. “Das würde die Bürokratie zur Berichterstattung an der einen oder anderen Stelle erübrigen”, sagt Nauhauser. Udo Trichtl
8.12.2022
Online-Vortrag Bio trifft Ökonomie – Bioökonomische Werkzeuge der Zukunft (Technologieland Hessen)
In diesem Vortrag werden zwei Themenblöcke zu ökonomischen sowie zu biotechnologischen Werkzeugen besprochen, die einen branchenübergreifenden Einblick in Instrumente, Strategien und Methoden sowie innovative Technologien von Unternehmen und Wissenschaft geben. Info & Anmeldung
8.12.2022
Online-Workshop Treibhausgasbilanz erstellen: Grundlagen & Praxis (Klima Wirtschaft)
Der Workshop bietet eine Einführung in ein Tool zur Erstellung von Treibhausgasbilanzen für Unternehmen. Info & Anmeldung
10.12.2022
Denkwerkstatt in Präsenz, Hamburg Klimagerechte Mobilität und Gesundheit (W3)
Welche Ansätze für klimafreundliche Mobilität gibt es bereits? Warum ist Klimaschutz wichtig für die Gesundheit? Diese und weitere Fragen diskutieren Teilnehmende der Veranstaltung. Info & Anmeldung
13.12.2022
Webinar Sustainable Leadership: Erfolgsfaktor für die nachhaltige Transformation (Mittelstand-Digital)
Sustainable Leadership Experten geben einen Überblick darüber, vor welchen Herausforderungen Führungskräfte des Mittelstands im Bereich Nachhaltigkeit stehen und welche Rolle Unternehmens- und Führungskultur dabei spielen. Info & Anmeldung
15.12.2022
Online-Workshop Wie erstelle ich eine Lebenszyklusanalyse? Teil 1 (Mittelstand-Digital)
In dieser zweiteiligen Workshopreihe lernen Teilnehmende anhand eines Praxisbeispiels, wie Sie eine Lebenszyklusanalyse für Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung erstellen. Dabei werden sie auch selbst tätig und wenden das Erlernte mit eigenen Datensätzen auf ihr Unternehmen an. Info & Anmeldung
25.1.2023
Präsenzveranstaltung, Bielefeld 9. Kommunale Nachhaltigkeitstagung NRW (LAG 21)
Der Fokus der Veranstaltung liegt auf der lokalen Umsetzung von nachhaltiger Entwicklung durch die Verwaltungen. Innovative kommunale Beispielprojekte zeigen, wie Nachhaltigkeit aussehen kann. Info & Anmeldung
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will künftig jede Haushaltsausgabe in Einklang mit den 17 UN-Nachhaltigkeitsziele für das Jahr 2030 bringen. Das geht aus der Verschriftlichung seiner Rede zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis hervor, die dem digitalen Medienhaus Table.Media vorliegt. “Zukünftig ist es mein Ziel, dass mit jedem Haushaltstitel verbunden ist eine Wirkungsanalyse mit Blick auf die SDG’s, beziehungsweise die Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung”, sagte Lindner demnach wörtlich.
Damit soll nicht nur ökologische Nachhaltigkeit im Fokus stehen, sondern es solle “beispielsweise auch um Fragen der Gleichstellung und der Bildungsgerechtigkeit” gehen. Zum Start sollen die UN-Nachhaltigkeitsziele zunächst im jeweiligen Haushaltsplan des Umweltministeriums und des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit durch eine Wirksamkeitsanalyse verankert werden. “Ich glaube, dass damit Deutschland diesbezüglich Benchmark unter den OECD-Ländern werden kann”, sagte Lindner.
Die 193 UN-Mitgliedstaaten hatten die SDG im Jahr 2015 verabschiedet. Sie stellen eine Art Fahrplan dafür dar, die großen Probleme der Menschheit bis 2030 zu bekämpfen, darunter zum Beispiel Armut, Hunger, Krankheiten und die Klimakrise. tse
In einer Nachtsitzung einigten sich EU-Parlament, Rat und Kommission auf die Grundpfeiler einer neuen Verordnung gegen globale Entwaldung. Das Ergebnis vom Dienstagmorgen ist ein wichtiges Signal in Richtung Weltnaturkonferenz, die heute in Montreal beginnt.
Das neue Regelwerk sieht vor, dass Produkte bald nur noch auf dem europäischen Markt verkauft werden dürfen, wenn die Importeure nachweisen können, dass dafür keine Wälder in Ackerfläche umgewandelt wurden. Darunter fallen Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Palmöl, Soja, Holz und Kautschuk sowie Produkte, die aus den Rohstoffen hergestellt werden.
Mit der Forderung, auch Mais in die Palette aufzunehmen, konnte sich das EU-Parlament nicht durchsetzen. Das Getreide wird in Europa hauptsächlich als Futtermittel verwendet und erlebte in den vergangenen Monaten eine Preisexplosion. Einige EU-Länder befürchteten deshalb eine zusätzliche Belastung für die Landwirtschaft. Auch der Finanzsektor soll zumindest vorerst nicht in das Regelwerk mit einbezogen werden. Die Europäische Kommission wird jedoch prüfen, ob eine Ausweitung des Geltungsbereichs erforderlich ist.
Neben der großflächigen Rodung von Urwäldern wird auch die Umwandlung kleinerer und sogenannter Sekundarwälder unter die Verordnung fallen. Damit sind die europäischen Wälder und die Forst- und Landwirtschaft innerhalb der EU ebenfalls von der Regelung betroffen. Insbesondere die waldreichen Länder kündigten deshalb Widerstand an. Andere Ökosysteme, wie etwa Savannen (other wooded land), wurden hingegen nicht in den Text aufgenommen. Umweltschützer befürchten deshalb Verlagerungseffekte von geschützten in nicht geschützte Gebiete.
Die Zerstörung der Wälder gehört zu den größten Treibern beim Verlust der ökologischen Vielfalt. Zwischen 1990 und 2020 ging nach Angaben des EU-Parlaments auf der Welt eine Gesamtwaldfläche in der Größe der EU verloren und nach wie vor verschwinden jährlich weitere zehn Millionen Hektar. Durch das Konsumverhalten ist die EU für rund zehn Prozent der globalen Entwaldung verantwortlich.
Umweltpolitikerin Delara Burkhardt spricht von “schmerzhaften Kompromissen” aber auch von einem “Goldstandard für Sorgfaltspflichten für entwaldungsfreie Lieferketten”. Ähnliche Gesetze stünden in den USA und Großbritannien zur Diskussion, seien aber weniger ambitioniert. So könne die EU in Montreal als glaubwürdiger Vorreiter auftreten, sagt die Europaabgeordnete. Mit der offiziellen Verabschiedung der Verordnung wird im Frühjahr nächsten Jahres gerechnet. Für mittlere und große Unternehmen sollen die Regeln frühestens ein Jahr danach in Kraft treten, für Kleinbetriebe nach zwei Jahren. til
Bei dem Dax-Konzern Daimler Truck sollen künftig die gleichen Standards bei Unterrichtungen und Anhörungen für Beschäftigte innerhalb und außerhalb der EU gelten. “Wir haben einen europäischen Betriebsrat bei Daimler Truck geschaffen, der für die globale Welt von Daimler Truck Geltung hat”, sagte Rolf Götz von der IG Metall, der die Vereinbarung mitverhandelt hat. Fachleute halten dies für einmalig.
Der europäische und der Weltbetriebsrat sind vergangene Woche gegründet worden. Notwendig war dies aufgrund der Abspaltung vom früheren Daimler-Konzern Ende 2021. Es seien Arbeitnehmer aus 23 Ländern in den neuen Gremien vertreten. Der Konzern hat weltweit mehr als 40 Produktionsstandorte und ist mit Vertrieb und Service in den meisten Ländern vertreten.
Die Fabriken von Automobilunternehmen stehen oft in Konkurrenz zueinander. Diese Konkurrenz wird häufig von der Unternehmensleitung forciert, zuletzt etwa als Ford über die Schließung eines Werkes in Europa entschied. In solchen Situationen ist es für Betriebsräte schwierig, die Interessen aller Standorte zu berücksichtigen. Gleiche Standards an allen Standorten sind ein Baustein für einen faireren Wettbewerb. Gerade mit Blick auf die laufende Transformation der Branche ist dies aus Sicht der Arbeitnehmer wichtig.
Mit Blick auf den steigenden Restrukturierungsdruck bei Daimler Truck sagte Michael Brecht, in Personalunion Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates sowie des Europäischen- und Weltbetriebsrats: “Wir Arbeitnehmervertreter werden nicht zulassen, dass Standorte und Kontinente einseitig zulasten der Beschäftigten gegeneinander ausgespielt werden, nur um dem Kapitalmarkt und den Großaktionären zu gefallen.” Deswegen drängen die Arbeitnehmervertreter auch auf eine bessere Durchsetzung von Gewerkschaftsrechten entlang der Lieferketten.
“In allererster Linie müssen wir jegliche Blockierung der Grundrechte auf Beitritt zu einer Gewerkschaft und auf Tarifverhandlungen bekämpfen, vor allem in Ländern, wo dies an der Tagesordnung ist, wie zum Beispiel in der Türkei, Thailand, USA und einigen Ländern Nordafrikas“, sagt Georg Leutert, Direktor für die Branchen Automobil und Flugzeugbau bei IndustriALL, einer internationalen Gewerkschaftsföderation von 197 Einzelgewerkschaften mit 50 Millionen Mitgliedern. cd
Betriebe vergrößern und den Anbau diversifizieren: Zwei gebräuchliche Strategien zur Armutsbekämpfung von Kakaobauern, die kaum wirken. Das Kakaobarometer 2022, das heute von mehreren NGO veröffentlicht wird, lag dem ESG. Table vorab vor. Für die Wirkungslosigkeit nennt es mehrere Gründe: Die meisten Kakaobauern könnten nicht die erforderlichen Investitionen in Betriebsmittel und Arbeitskräfte aufbringen. Zudem seien Investitionen für sie riskant: Erzeugerpreise könnten wie in der Erntesaison 2017/17 stark fallen oder es könne zu Missernten kommen – aufgrund von Extremwetter, Schädlingen oder Krankheiten.
Oft könnten die Bauernhaushalte selbst nicht mehr arbeiten, um die Produktivität zu erhöhen. Bauern müssten dann externe Arbeitskräfte einstellen, wodurch wiederum das Einkommen sinke. Das begünstige auch die Arbeit von Kindern, die gering entlohnt werden. Kinderarbeit ist im westafrikanischen Kakaoanbau weit verbreitet. Rund 1,5 Millionen Kinder sollen dort arbeiten. Um die Flächen überhaupt ausweiten zu können, seien aber auch andere Maßnahmen notwendig. Es brauche “erhebliche Reformen bei Land- und Baumbesitz sowie eine engagierte Strategie für die ländliche Entwicklung auf staatlicher Ebene”, heißt es.
Wachstum scheine zumindest kurz- bis mittelfristig für die Mehrheit der Kakaobauern keine praktikable Strategie für ausreichende Einkommen zu sein. Eine Ausnahme seien Betriebe, die derzeit 350 kg pro Hektar produzieren. Für sie rechne sich eine Ausweitung der Produktion auf 550 kg pro Hektar.
Die gleichen Zwänge und Risiken gibt es bei der Diversifizierungs-Strategie. Unklar sei zudem, ob es überhaupt einen ausreichend großen Markt für diversifizierte Produkte der Kakaobauern gebe, zumal in anderen Bereichen, in denen Bauern Nahrungsmittel für den Export anbauen, die gleichen Strategien in der Wertschöpfungskette eingesetzt werden. Die Diversifizierung koste die Bauern Geld und das Risiko verbleibe bei ihnen, “während die Unternehmen hofften, dass das Einkommen aus anderen Quellen die Bauern in die Lage versetzt, den Kakao so billig zu verkaufen, wie sie es jetzt tun”, heißt es.
Nur eingeschränkt lassen die Autoren der Studie die Zahlen über größere Bauern mit einem existenzsichernden Einkommen gelten. Dazu müssten auch die Verhältnisse für deren Pächter oder Landarbeiter einbezogen werden, was oft nicht geschehe.
Es könnte sogar sein, dass es sinnvoller sei, statt von einer Mindestbetriebsgröße von einer maximalen lebensfähigen Betriebsgröße pro Haushalt zu sprechen, schreiben die Autoren in der Studie. cd
Frankreich konnte sich durchsetzen. Der Ratskompromiss zum Sorgfaltspflichtengesetz wird nicht automatisch auf die Finanzbranche angewandt. Es soll jedem Mitgliedstaat selbst überlassen bleiben, ob Finanzdienstleistungen unter das Gesetz fallen oder nicht. Auch die Definition der zu regulierenden Finanzindustrien wurde deutlich begrenzt, Investmentfonds etwa fallen fast gänzlich raus.
Mit diesem Vorschlag schaffte es die tschechische Ratspräsidentschaft, den Streit innerhalb der Mitgliedstaaten über die Reichweite des Gesetzes aufzulösen. Frankreich drohte bis zuletzt mit einer Sperrminorität, würden Finanzdienstleistungen Sorgfaltspflicht leisten müssen.
Der Kompromiss erhielt am Donnerstag vergangener Woche im Wettbewerbsrat eine qualifizierte Mehrheit: Die Allgemeine Ausrichtung des Rates steht also. Deutschland trug den Kompromiss mit. Der Vorschlag des Rates schwächt den Kommissionsvorschlag in einigen Punkten deutlich ab. Zum Beispiel sollen im ersten Jahr nur sehr große Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und 300 Millionen Jahresumsatz unter das Gesetz fallen. Waffenexporte und Dual-Use-Güter wären demnach vom Gesetz ausgenommen.
Der Kompromisstext stößt aber auch auf Kritik. Grünen-Politikerin Anna Cavazzini nennt die Sonderregelung für den Finanzplatz “skandalös und nicht nachvollziehbar”. Die EU solle Investitionen in Menschenrechtsverletzungen nicht länger dulden. Die Europa-SPD zeigt sich pragmatischer: “Angesichts der schwierigen Ausgangslage und harten Opposition einiger Mitgliedsländer handelt es sich wohl um das bestmögliche Ergebnis”, so Tiemo Wölken.
Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen stören sich unter anderem daran, dass nicht alle Downstream-Aktivitäten, beispielsweise die Verwendung von Produkten, erfasst sind: “Damit wären zum Beispiel Agrarkonzerne fein raus, selbst wenn ihre Pestizide die Gesundheit von Bauern und Plantagenarbeiterinnen schädigen”, schreibt die Initiative Lieferkettengesetz.
Einigen Akteuren geht der Kompromiss jedoch zu weit: “De facto wird jedes Unternehmen in Europa von den massiven bürokratischen Auflagen des Lieferkettengesetzes betroffen sein, da die Verpflichtungen in der Kette einfach weitergegeben werden”, bemängelt etwa Axel Voss. Der CDU-Politiker ist Schattenberichterstatter des Vorschlags im Parlament.
Im Gegensatz zum Rat steht im Parlament noch kein Kompromisstext. Anfang November stellte Berichterstatterin Lara Wolters ihren Vorschlag vor, dieser fällt deutlich strenger aus als der Kommissionsvorschlag. cw
Wenn wir den Schwund der Artenvielfalt stoppen wollen, müssen wir weg vom gerade in Deutschland so geliebten ‘weiter so’. Ein ‘weiter so’ ist das langsame Dahinsiechen – tiefe Veränderung für und mit uns allen sind gefragt. Deshalb forderte ein Bündnis deutscher Wissenschafts- und Nichtregierungsorganisationen, vor einer Woche in der Frankfurter Erklärung, “das Wirtschaften gegen die Natur zu beenden“. Dieses Bündnis, in dem sich u.a. auch alle drei naturforschenden Museen der Leibniz Gemeinschaft finden, hat sich zum Ziel gesetzt, die nötigen Voraussetzungen für ein naturpositives Unternehmenshandeln zu schaffen.
Dazu zählen auch biodiversitätsfreundliche Anreize. Denn es ist ökonomisch doch vollkommen unsinnig, dass wir weltweit nur rund 143 Milliarden US-Dollar jährlich in den Erhalt der biologischen Vielfalt investieren – und dass gleichzeitig private Investitionen in Höhe von 2.600 Milliarden US-Dollar und öffentliche Subventionen von 500 Milliarden US-Dollar unsere Lebensgrundlagen schädigen oder gar vernichten.
Die Menschheit verliert gerade ihren selbstmörderischen Krieg gegen die Natur. Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Ökosysteme verschwinden vor unseren Augen. Wüsten breiten sich aus. Feuchtgebiete gehen verloren. Jedes Jahr verlieren wir zehn Millionen Hektar Wald. Die Ozeane sind überfischt – und ersticken in Plastikmüll. Das Kohlendioxid, das sie aufnehmen, lässt die Meere versauern. Korallenriffe sind gebleicht und sterben ab. Die Luft- und Wasserverschmutzung fordert jährlich neun Millionen Todesopfer – mehr als das Sechsfache der derzeitigen Pandemie. Und da Menschen und Viehbestände immer weiter in die Lebensräume von Tieren eindringen und wilde Gebiete zerstören, könnten vermehrt Viren und andere Krankheitserreger vom Tier auf den Menschen übergehen. Wir sollten nicht vergessen, dass 75 Prozent der neuen und neu auftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen zoonotisch sind.
Mit diesen Worten eröffnete UN-Generalsekretär António Guterres 2020 seine Rede über den Zustand unserer Erde. Sie haben nichts an Aktualität verloren. Sie beschreiben – und das kann einen schon verzweifeln lassen – treffend die Situation, die zu lösen die Verhandelnden der 15. Vertragsstaatenkonferenz aufgerufen sind, wenn sie ab heute in Montreal konferieren.
Was also hält uns davon ab, die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN zu verwirklichen? Wir wissen längst, es ist unsere Art zu leben und zu wirtschaften. Wir vernichten unwiederbringlich und ständig gewaltige Ressourcen, beschleunigen den Klimawandel, das Artensterben und verhindern globale Gerechtigkeit. Wenn wir, insbesondere auf der nördlichen Halbkugel, so weitermachen wie bisher, zerstören wir die Grundlagen unseres Lebens. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie verletzlich unsere Zivilisation, unsere Art zu leben, ist und schon immer war. Ein kleines, unsichtbares Virus reicht aus, um sicher geglaubte Wahrheiten hinwegzufegen und angeblich “stabile” Ökonomien und Demokratien schwer zu beschädigen.
Wir haben das Wissen, wir haben die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Technologien, um den Wandel zu gestalten. Hindernisse sind vielmehr struktureller, sozialer, kultureller und politischer Natur. Wir wissen längst mehr als genug, um auszusteigen aus dieser selbstmörderischen Lebensweise und eine Transformation für eine biodiversitätsfreundliche und klimaverträgliche Zivilisation zu wagen, um gemeinsam global eine lebenserhaltende Zivilisation aufzubauen.
Der zentrale Hebel ist, dass wir all unser Handeln so gestalten, innerhalb der Planetaren Grenzen zu wirtschaften und zu konsumieren. Es muss Schluss sein damit, dass wir Produzieren um des Produzieren Willens, dass wir Konsumieren um des Konsumieren Willens. Es wird Zeit, dass wir lernen: Wir sind als Menschen elementar von einer gesunden Natur abhängig. Ohne sie können wir nicht leben – weder körperlich noch geistig oder spirituell. Ohne eine reiche und funktionierende Natur ist unser Heimatplanet für uns unbewohnbar.
Deshalb sind die Anstrengungen so wertvoll, in den planetaren Grenzen zu wirtschaften, nicht mehr zu verbrauchen, als die Natur uns schenkt.
Damit die Anstrengungen gelingen, müssen die gewaltigen Schäden, die Zerstörung monetär bewertet und von den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erfasst werden – und zwar auch die Schäden, die beispielsweise durch unsere Unternehmen in anderen Ländern auftreten. Die Debatte auf der gerade erst abgeschlossenen Weltklimakonferenz um den “Loss and Damage Fund” hat diese Zusammenhänge einmal mehr aufgezeigt. Wir brauchen dafür eine Wissenschaft, die diese Zusammenhänge in praktische Lösungsvorschläge übersetzt. Alle Akteure, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft müssen sich neu orientieren und es muss um demokratische Mehrheiten für diesen tiefen Wandel gerungen werden.
Ich begrüße ausdrücklich, dass viele Unternehmen sich auf den Weg in eine nachhaltige und gerechtere Zukunft gemacht haben. Was wir jetzt brauchen, ist eine entschlossene Initiative dieser Unternehmen auf der Weltvertragsstaatenkonferenz in Montreal, um klug und zügig umzusteuern. Es geht.
Als Anfang der 1970er-Jahre die ersten Bioläden eröffneten, da galt das als elitär, nicht bezahlbar, ja unsinnig. Heute gibt es Biosupermärkte ebenso wie Bioprodukte bei den Discountern – wobei aktuell die Inflation vielen Menschen auch in diesem Land den Kauf von diesen in vielerlei Hinsicht wertvollen Lebensmitteln zumindest erschwert. Dennoch ist das eine Erfolgsgeschichte, die sich hunderttausendfach wiederholen kann.
Jedes Unternehmen und insbesondere die Finanzwirtschaft ist jetzt gefragt. Schauen Sie sich Ihre Investitionen, Ziele und Visionen an und überlegen Sie, wie sie mit dem Schutz der natürlichen Welt in Einklang gebracht werden können. Und dann fordern Sie Ihre enorm talentierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen heraus, Lösungen zu finden, um Ihre Geschäftsziele mit dem Schutz der Natur in Einklang zu bringen. Natürlich kann nicht vorgeschrieben werden, welche Art von Ansatz zu wählen wäre, denn er muss auf die Unternehmen und deren Mitarbeitenden zugeschnitten sein. Aber, es muss jetzt das kreative Denken in der Wirtschaft freigesetzt werden; sie muss Teil von Allianzen werden und Geschäftsmodelle überdenken.
Wirtschaften und Konsumieren in Planetaren Grenzen wird nur dann zur Erfolgsgeschichte werden, wenn Menschen der unterschiedlichsten Herkünfte und Wissenskulturen diesen Weg lokal, regional und global respektvoll gemeinsam gestalten. Wir müssen voneinander lernen – das hochentwickelte Umweltwissen, ökonomisches Know-how sowie die Praktiken der Indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften sind für ein gutes Leben für alle Menschen auf unserem Heimatplaneten unverzichtbar.
Wie erfolgreich der Weltnaturgipfel sein wird, hängt auch davon ab, ob diese verschiedenen Perspektiven und verschiedenartiges Wissen von den Verhandelnden gehört wird. Auch der Bericht, den der Weltbiodiversitätsrat vor zwei Jahren vorgelegt hat, unterstreicht das ausdrücklich.
In der Dichotomie von Deep change or slow death haben wir nur eine Wahl – packen wir es an!
Der Botaniker Johannes Vogel ist Generaldirektor des Museums für Naturkunde, Professor für Biodiversität und Public Science an der Humboldt-Universität sowie Mitglied der Leibnitz-Sozietät der Wissenschaften in Berlin.
Der Wald spielte in Alexander Zeihes Leben schon als Kind eine wichtige Rolle – und dass, obwohl er im nicht gerade waldreichen Ostfriesland aufwuchs, wie er lachend erzählt. Groß geworden auf einem Bauernhof, “als Landei”, war die Natur jedoch immer nah. Und nachdem er einen Jagdschein gemacht hatte, verbrachte er viel Zeit im Wald und lernte ihn intensiv als Lebensraum kennen.
Heute setzt er mit der Ecosystem Value Association (eva) Ökosystemleistungen in Wert, damit es sich finanziell lohnt, Natur zu bewahren – etwa für Waldbesitzer. Die NGO arbeitet an Standards für Zertifikate, deren Verkauf den Erhalt oder Wiederaufbau von Ökosystemen zumindest teilweise finanziert. Aber: Während dieser Mechanismus beim Handel mit CO₂-Zertifikaten mittlerweile international etabliert ist, stehen andere Ökosystemleistungen noch ganz am Anfang.
Ein Ort, an dem die Aufmerksamkeit erhöht werden könnte, wird die Weltnaturkonferenz in Montreal sein. “Ich wünsche mir, dass das Thema Artenvielfalt grundsätzlich mehr Beachtung bekommt und hoffe, dass Montreal dazu einen Beitrag leisten kann”, sagt Zeihe. Denn beim Thema Biodiversität sei die Menschheit schon weit über alle planetaren Grenzen hinaus und wisse das nicht einmal – anders als beim Klimaschutz. Dabei stellt die Artenvielfalt den Menschen Dienstleistungen bereit, die ihr Überleben sichern.
“Wir nutzen Natur bisher vornehmlich als Rohstoff. Andere Leistungen wie Kohlenstoffspeicherung, Bodenfruchtbarkeit oder Wasserspeicherung sind im staatlichen Fördermechanismus bislang wenig reflektiert”, erklärt Zeihe. Die Standards von eva sollen letztlich wirtschaftlich sinnvoll, transparent und skalierbar sind. Dabei arbeitet die Organisation mit verschiedenen Stakeholdern in einem iterativen Prozess zusammen. “Wir führen einen Dialog mit den Interessengruppen, bauen daraufhin einen ersten Entwurf für Standards und legen ihn den Stakeholdern vor. Dann nehmen wir deren Feedback auf und gehen wieder zurück in die Werkstatt“, beschreibt es Zeihe.
Wichtig ist ihm, dass bei den großen Herausforderungen, vor denen Gesellschaft und Wirtschaft stehen, nicht der konfrontative, sondern der kooperative Weg eingeschlagen wird. “Ich finde es wichtig, dass die Menschen die enormen Herausforderungen der Transformation gemeinsam angehen”, betont Zeihe. Nur so könnten am Ende pragmatische Lösungen für alle herauskommen.
Wie Menschen miteinander ins Gespräch gebracht und Interessen ausgeglichen werden können, hat Zeihe in vier Jahren als persönlicher Adjutant von Bundespräsident Horst Köhler gelernt. Dorthin hatte es ihn verschlagen, nach einem Studium der Geschichte und Erziehungswissenschaft an der Bundeswehruniversität Hamburg und weiteren zwei Jahren Marinedienst auf dem Meer. “Eigentlich wollte ich lange zur See fahren und es war wirklich eine tolle Zeit”, erzählt er. Doch der Wunsch nach Sesshaftigkeit und Gründung einer Familie war irgendwann größer, sodass er den Job im Schloss Bellevue annahm.
Nach insgesamt zwölf Jahren im Öffentlichen Dienst zog es ihn in die Wirtschaft. Zeihe studierte BWL und arbeitete einige Jahre für ein Versicherungsunternehmen, bevor er sich auf einen Posten bewarb, der für den Waldliebhaber wie gerufen kam: Er wurde Geschäftsführer beim AGDW, Deutschlands größtem Waldeigentümerverband. Im intensiven Austausch mit Waldbesitzern und Politik setzte er sich mit dem Thema Ökosystemleistungen auseinander. Schließlich beschloss er gemeinsam mit Moriz Vohrer, dazu ein eigenes Projekt zu gründen. Die Idee zur Ecosystem Value Association war geboren.
Das Projekt lebt von Impact-Philanthropen, die aus ihrem Engagement keinen kurzfristigen finanziellen Nutzen ziehen wollen, sondern an die Sache glauben. In der ersten Runde sammelte das Gründerteam 3 Millionen Euro ein. Mit Moriz Vohrer, Gründer der NGO CarbonFix, und Rüdiger Meyer, Gründer der FLOCERT GmbH, hat Zeihe zwei Fachleute aus den Bereichen Standards und Zertifizierungen an seiner Seite. Zum Team gehören außerdem 13 Fachkräfte aus den unterschiedlichsten Bereichen.
Die Frage nach dem Wert von Ökosystemleistungen muss endlich breit diskutiert werden, findet Alexander Zeihe. “Das ist schwierig zu greifen und da braucht es eine ausführliche Debatte.” Dass die Entwicklung eines Zertifikatsmarktes für eine Vielzahl unterschiedlicher Ökosystemleistungen der richtige Weg ist, davon ist Zeihe überzeugt. “Der Mensch ist in den vergangenen 100 Jahren ein solch technisch-numerisches Wesen geworden, dass es diese Krücke braucht, um den Wert von etwas zu erkennen, dessen Wert eigentlich selbstverständlich sein sollte.” Ulrike Christl
Beim Osten denken viele Menschen in unserem Breitengraden an andere Sprachen und Kulturen, eine kalte Wetterlage, auftauende Permafrostböden, den untergegangenen Kommunismus und seit dem Frühjahr dieses Jahres oft an Krieg. Kaum jemandem dürfte der Ostigel in den Sinn kommen. Wer weiß schon, dass es ihn gab? Sein Kennzeichen ist die weiße Brust. Aber er ist in Deutschland verschwunden, hier lebt nur noch der Westigel mit seiner braunen Brust. Seine Ostvariante gehört zu den Tierarten, die in Deutschland seit der Industrialisierung ausgestorben sind, ob Europäische Zwiesel, Schwarstirnwürger oder der Clown-Vogel Papageientaucher. Wer heute noch den Ostigel beobachten will, muss in den Osten reisen, nach Russland, Israel, auf die Balkan-Halbinsel, nach Kreta oder in den nördlichen Kaukasus.