Table.Briefing: ESG

Überraschende Wahl im Textilbündnis + Interview: Fratzscher zu SDG + Transformation der Binnenschifffahrt

Liebe Leserin, lieber Leser,

Transformation ist ein großes Wort, das sicherlich angemessen ist für die Herausforderungen, vor der die Gesellschaften der Erde mit Blick auf die planetaren Grenzen stehen. Es kann aber manchmal auch dazu verleiten, die ganz spezifischen Hürden – und damit die Lösungen – für sozial-ökologischen Wandel in den diversen Bereichen des Wirtschaftens zu übersehen. Darum geht es heute.

Bevor sich in zwei Wochen das High-Level Political Forum on Sustainable Development trifft, um an der Halbzeitbilanz für die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele zu arbeiten, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, im Interview mit Caspar Dohmen, dass aus seiner Sicht die Antwort auf die Verteilungsfrage über den Erfolg der klimaneutralen Transformation entscheiden werde.

Mit ganz konkreten Hürden konfrontiert sind auch alle Unternehmen, die auf Binnengewässer wie den Rhein angewiesen sind, um Güter zu transportieren. Für Europas meistbefahrene Wasserstraße besteht durch den Klimawandel bedingt mittlerweile ein höheres Risiko für Niedrigwasser. Carsten Hübner berichtet über die Transformation der Binnenschifffahrt.

Einen Konflikt über das Tempo der Transformation gibt es anscheinend im Bündnis für nachhaltige Textilien. Wie Table.Media erfuhr, haben die beiden Verbandsvertreter überraschend nicht genug Stimmen bekommen bei der Wahl des Steuerungsgremiums. Caspar Dohmen zu den Hintergründen.

Um kleine Fortschritte geht es im Standpunkt von Mavis Owusu-Gyamfi, Vizepräsidentin des African Center for Economic Transformation, die den Paris-Gipfel für eine neue globale Finanzarchitektur von vergangener Woche aus Sicht afrikanischer Staaten einordnet.

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Ihr
Nicolas Heronymus
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Analyse

Überraschung beim Textilbündnis: Vertreter der Wirtschaft wählen Verbandsvertreter nicht wieder

Harsche Kritik an der fehlenden Wirksamkeit des Textilbündnisses für Beschäftigte vor Ort kam immer wieder von NGO.

Die Wahlen für den zwölfköpfigen Steuerungskreis des Bündnisses für nachhaltige Textilien haben zu einem überraschenden Ergebnis auf Seiten der vier Wirtschaftsvertreter geführt: Uwe Mazura vom Gesamtverband textil+mode und Stefan Genth vom Handelsverband Deutschland (HDE) wurden von den Mitgliedsunternehmen nach acht Jahren nicht wiedergewählt. An ihrer Stelle zogen nur noch Unternehmensvertreterinnen ein: Kristina Seidler-Lynders (C&A Mode GmbH & Co. KG), Anna Rüchhardt (Hakro GmbH), Katrin Kinza (Deerberg GmbH) sowie Tobias Wollermann (Otto Group), der aber einen Rückzieher machte.

“Tobias Wollermann nimmt die Wahl nicht an und scheidet damit vorzeitig wieder aus dem Steuerungskreis aus”, heißt es in internen Mails des Textilbündnisses, die Table.Media vorliegen. Wollermann begründete seinen Schritt damit, dass er gemeinsam mit den beiden Verbandsvertretern Genth und Mazura angetreten sei. Da der Gesamtverband textil+mode und der HDE nicht erneut in den Steuerungskreis gewählt worden seien, “fehlt die Basis für eine Fortführung der erfolgreichen Zusammenarbeit, sodass ich als Vertreter der Otto Group die Wahl nicht angenommen habe”. Das bestätigte ein Otto-Sprecher auf Anfrage. Notwendig wird nun eine Nachwahl.

“Stille Revolution” der beteiligten Unternehmen

Vertreter anderer Unternehmen bedauerten gegenüber Table.Media die Entscheidung von Wollermann, den sie als “exzellenten Fachmann” beschreiben. Gleichzeitig berichten mehrere Unternehmensvertreter ebenfalls gegenüber Table.Media über zwei unterschiedliche Lager im Kreis der Wirtschaftsvertreter, fortschrittlich eingestellten und bremsenden Kräften. Aus Sicht der fortschrittlichen Kräfte seien die beiden nicht wiedergewählten Verbandsvertreter “Blockierer”, angesichts von deren Auswechslung bestünde jetzt eine Chance für “echte Veränderung” im Textilbündnis. Die Rede ist von einer “stillen Revolution” der Mehrheit der beteiligten Unternehmen gegen die Verbände. Die Wahl beim Textilbündnis ist ein weiterer Beleg dafür, dass es zwischen einzelnen Verbänden und ihren Mitgliedsunternehmen unterschiedliche Vorstellungen über notwendige Veränderungen in der Transformation gibt. Das hatten zuletzt auch Unternehmen in einer Studie der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik deutlich gemacht.

Wegen Nachwahl könnten Verbandsvertreter zweite Chance erhalten

Bei den Nachwahlen könnte einer der abgewählten Verbandsvertreter doch wieder in den Steuerungskreis gewählt werden. Auf Anfrage teilte ein Sprecher des HDE mit, Stefan Genth habe noch keine Entscheidung über seine Kandidatur bei einer Nachwahl getroffen. Eine Sprecherin von textil+mode ließ eine entsprechende Anfrage hinsichtlich Uwe Mazura unbeantwortet. Ein Sprecher von Otto verneinte die Frage, ob Tobias Wollermann mit seinem Rückzug den Weg frei gemacht habe für einen Verbandsvertreter: “Damit machen wir keinen Weg für andere frei”, heißt es.

Für Anfang September haben Verbände und Unternehmen nach Informationen von Table.Media einen Termin angesetzt, um über die Gemengelage zu sprechen.

Der Steuerungskreis ist das höchste Entscheidungsgremium im Bündnis für nachhaltige Textilien. Ihm gehören insgesamt zwölf Vertreter an, vier aus der Wirtschaft, je drei von Bundesregierung und Zivilgesellschaft sowie ein Vertreter der Gewerkschaften und der Standardsetzungsorganisation GOTS. Entscheidungen im Steuerungskreis müssen einstimmig getroffen werden, weswegen bereits ein Mitglied Entscheidungen blockieren kann. Zuletzt büßte der Steuerungskreis zwar etwas an Bedeutung ein, weil die vier Strategie-Arbeitskreise aufgewertet wurden, dennoch entscheiden seine Mitglieder am Ende bei strittigen Fragen.

Zivilgesellschaft bescheinigt Textilbündnis weitgehende Wirkungslosigkeit

Das Bündnis für nachhaltige Textilien wurde 2014 infolge des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch von der damaligen Bundesregierung aus der Taufe gehoben. Es soll die Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern, durch freiwillige Zusammenarbeit von Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften in einer Multi-Stakeholder-Initiative. Vertreter der Zivilgesellschaft hatten das Textilbündnis immer wieder kritisiert, mehrere Organisationen traten im Laufe der Zeit mit Verweis auf mangelnde Erfolge aus, darunter die Kampagne für Saubere Kleidung und Transparency Deutschland. Für Unmut hatte unter anderem das mangelnde Engagement der beteiligten Unternehmen für eine Initiative für bessere Löhne gesorgt. Zivilgesellschaftliche Akteure hatten dem Bündnis kürzlich erneut Wirkungslosigkeit bescheinigt. Es sei “nicht hinnehmbar, dass die Beschlüsse und Aktivitäten des Textilbündnisses in den letzten sieben Jahren kaum Fortschritte bei der Verbesserung von Arbeitsbedingungen vor Ort brachten”, war im Februar die miserable Bilanz.

Mittlerweile haben sich jedoch die regulatorischen Rahmenbedingungen verändert. Seit Anfang des Jahres gilt das Lieferkettengesetz: Es verpflichtet große Unternehmen auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten. Zudem änderte sich die Situation auch durch die Einführung des Grünen Knopfes, eines staatlichen Siegels für nachhaltig hergestellte Textilien. Das Textilbündnis hatte zunächst wichtige Hilfestellungen für Unternehmen geliefert, den mit dem Grünen Knopf verbundenen Verpflichtungen nachzukommen, etwa für das Berichtswesen. Mittlerweile sei es allerdings eher umgekehrt, berichten beteiligte Unternehmen. “Für wirklich nachhaltige Unternehmen ist das Textilbündnis nicht mehr relevant“, sagen sie. Mit Blick auf die Zukunft nennen Unternehmensvertreter zwei Optionen für das Textilbündnis: Entweder verfolge es künftig ambitioniertere Ziele oder die ambitionierteren Unternehmen würden es verlassen, “in jedem Fall wird es knallen”, erwartet ein Unternehmen.

Wichtig dürfte auch sein, welche Rolle Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) für das Textilbündnis sieht, das immerhin zu den Projekten zählte, die ihrem Amtsvorgänger Gerd Müller (CSU) besonders wichtig waren.

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Binnenschifffahrt: Niedrigwasser am Rhein gefährdet Lieferketten

Niedrigwasserschiffe sollen künftig Güterverkehre auch bei geringen Wasserständen gewährleisten.

Die deutsche Wirtschaft blickt mit Sorge auf den Rhein. Auch in diesen Tagen sind die Pegelstände so niedrig wie sonst nur im Hochsommer. Das erinnert an die historischen Niedrigwasser vergangener Jahre. “Sollten sich die Pegel den Tiefstständen von 2018 oder 2022 annähern oder diese erreichen, könnte dies die wirtschaftliche Erholung beeinträchtigen, die wir bereits jetzt als eher bescheiden einschätzen”, warnt Analyst Marc Schattenberg in einem aktuellen Kommentar für Deutsche Bank Research. Zwar lägen die aktuellen Wasserstände noch deutlich über dem für die Schifffahrt kritischen Niveau. Dennoch sei “die Entwicklung besorgniserregend“, so Schattenberg, “da die Pegel bereits deutlich unter dem zehnjährigen Durchschnitt liegen”.

Hohe Schäden aufgrund von Niedrigwasser

Die Konsequenzen der extremen Niedrigwasser sind gravierend, sagt Marcel Lohbeck, Geschäftsführer des Vereins für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen (VBW), gegenüber Table.Media. “Insbesondere im Rheinstromgebiet mit seinen umsatzstarken Industrien ergaben sich aus dem Niedrigwasserereignis 2018 volkswirtschaftliche Folgekosten von über zwei Milliarden Euro“.

Die finanziellen Einbußen durch das Niedrigwasser 2022 waren nicht ganz so hoch. “Dafür hat es einen deutlich größeren Imageschaden verursacht”, sagt Lohbeck. Der Grund: Die Zuverlässigkeit des Güterverkehrs auf dem Wasser steht zunehmend infrage. “Sollten sich derartige Niedrigwassersituationen künftig häufen, wird es zu erheblichen Verwerfungen an den Märkten kommen. Kunden werden ihre Lieferketten diversifizieren und weniger Produkte aus der Rheinregion beziehen”, befürchtet Lohbeck, was schwerwiegende Folgen für Produzenten und Transporteure hätte.

“Ohne Schiff keine Verkehrswende”

Entsprechend alarmiert zeigt sich Oliver Krischer, grüner Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen. Er sieht die Bundesregierung in der Pflicht. Anlässlich der Unterzeichnung der fortgeschriebenen “Düsseldorfer Liste“, einem Forderungskatalog mehrerer Bundesländer mit Infrastrukturmaßnahmen für die Binnenschifffahrt, warnte er davor, das Problem zu unterschätzen. “Beinahe eine Dekade nach Verabschiedung der ursprünglichen Liste ist viel zu wenig passiert. Wir sagen: Der Rhein ist die Lebensader der deutschen Wirtschaft. Die Schiffbarkeit des Rheins ist Wohlstandserhalt und Klimaschutz zugleich. Ohne Wasser kein Schiff, ohne Schiff keine Wirtschaft, ohne Wirtschaft keine Verkehrswende.”

Auch Fabian Spieß, Sprecher des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), richtet den Blick nach Berlin und betont gegenüber Table.Media die Bedeutung der im Bundesverkehrswegeplan 2030 verankerten Wasserstraßenprojekte. Vor allem “die Abladeoptimierung am Mittelrhein und der Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen” müssten schnellstmöglich umgesetzt werden, um Engpässe zu beseitigen und Transporte bei Niedrigwasser besser plan- und durchführbar zu machen. Darüber hinaus fordert der BDB Fahrrinnenvertiefungen an neuralgischen Stellen.

Das sieht zwar auch der Aktionsplan “Niedrigwasser Rhein” vor, den die Bundesregierung 2019 unter dem Eindruck des extremen Niedrigwassers im Jahr 2018 ins Leben gerufen hat. Passiert ist in der Zwischenzeit jedoch nicht viel. Nun soll eine von Bundesverkehrsminister Volker Wissing eingesetzte Beschleunigungskommission aus Politik, Behörden und Wirtschaft dafür sorgen, dass die notwendigen Ressourcen gebündelt werden, um kritische Engpässe zu beseitigen. “Wir stehen vor einer immensen logistischen Herausforderung. Die zuverlässige Nutzbarkeit der Wasserstraßen hat für uns höchste Priorität”, so Wissing.

Binnenschifffahrt stagniert

Der Anteil der Binnenschifffahrt am Güterverkehr in Deutschland sank in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich. Er liegt nur noch bei knapp sieben Prozent. Dabei sind Teile der Industrie, der Energiewirtschaft und der Landwirtschaft auf ihre spezifischen Kapazitäten angewiesen, um beispielsweise große Mengen an Futter- und Düngemitteln, Chemikalien, Kraftstoffen, Kohle, Gas oder Öl zu transportieren. Um die Ladung eines 3.000-Tonnen-Schiffes aufzunehmen, wären 150 und mehr LKW nötig. Eine Verlagerung auf die Straße verschlechtert die Umweltbilanz.

Denn das Binnenschiff ist ein vergleichsweise umweltfreundlicher Verkehrsträger, zumindest was die Treibhausgasemissionen angeht. Das belegen aktuelle Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA). Danach emittiert ein Binnenschiff 33 Gramm pro Tonnenkilometer. Beim LKW ist der Ausstoß mit 118 Gramm rund dreieinhalbmal so hoch. Nur die Güterbahn liegt mit 16 Gramm noch deutlich darunter. Die Binnenschifffahrt ist damit ein fester Bestandteil der angestrebten Verkehrswende. Dazu muss sie aber in die Lage versetzt werden, die zunehmenden Niedrigwasser zu bewältigen.

Innovation soll Niedrigwasser schiffbar halten

Neben dem Ausbau der Wasserstraßen und ihrer Infrastruktur sollen vor allem Schiffe mit geringerem Tiefgang das Problem entschärfen. Der VBW hat errechnet, dass der Um- oder Neubau von Schiffen auf Niedrigwassertauglichkeit einen zusätzlichen Spielraum von zehn bis dreißig Zentimetern bei Niedrigwasser bringen würde. Doch das ist teuer. Bei mindestens 300 solcher Schiffe, die für die Versorgungssicherheit der Schlüsselindustrien am Rhein notwendig wären, läge das Investitionsvolumen bei rund einer Milliarde Euro.

Dafür gebe es auch Fördermittel aus dem Bundesprogramm “Nachhaltige Modernisierung von Binnenschiffen”, so VBW-Geschäftsführer Lohbeck. “Die zeitnahe Transformation der gesamten Branche oder eines großen Teils der Binnenschiffsflotte wird über dieses Programm ehrlicherweise jedoch nicht finanziert werden können.”

BASF stellt Niedrigwasserschiff in Dienst

Die BASF hat diesen Schritt bereits vollzogen. Seit einigen Wochen ist der auf Werften in Yangzhou (China) und Rotterdam gebaute Tanker Stolt Ludwigshafen auf dem Rhein unterwegs. “Nach dem Extrem-Niedrigwasser des Rheins im Jahr 2018 haben wir ein umfassendes Programm zur Verbesserung der Klimaresilienz des Standorts Ludwigshafen aufgelegt”, sagt BASF-Topmanager Uwe Liebelt. Das Unternehmen verfüge nun über das leistungsfähigste Niedrigwasserschiff auf dem Rhein. “So sichern wir die Versorgung unserer Kunden und Produktionsstätten.” Die Bauzeit betrug knapp zwei Jahre. Ende Mai wurde das schätzungsweise 15 Millionen Euro teure Schiff getauft.

Mit einer Länge von 135 Metern und einer Breite von 17,5 Metern ist sie nicht nur deutlich größer als die üblichen Tankschiffe auf dem Rhein. Ein optimierter Rumpf und ein spezielles Antriebssystem ermöglichen einen sicheren Betrieb auch bei extremem Niedrigwasser. Selbst die kritische Stelle in der Nähe der rheinland-pfälzischen Stadt Kaub kann das Schiff bei einem Pegelstand von 30 Zentimetern noch mit 800 Tonnen Zuladung passieren. Bei einem Pegelstand von einem Meter können bereits 2.300 Tonnen transportiert werden. Das ist doppelt so viel wie bei einem konventionellen Binnenschiff.

Das BASF-Werk in Ludwigshafen bezieht nach Unternehmensangaben rund 40 Prozent seiner Rohstoffe per Schiff. Unternehmen wie ThyssenKrupp oder das Spezialchemieunternehmen Covestro sind ebenfalls auf den Transport auf dem Wasserweg angewiesen. Auch sie haben angekündigt, künftig Schiffe mit geringerem Tiefgang einzusetzen, um unabhängiger von Niedrigwasser zu werden.

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  • Lieferketten
  • Verkehrswende

“Die Verteilungsfrage entscheidet über den Erfolg der klimaneutralen Transformation”

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin.

Wie wichtig sind die SDG zur Umsetzung der ökologischen Transformation?
Das ist für mich der Fokus und führt zu den wichtigsten Fragen: Wie kann die Politik in einer Zeit multipler Krisen die Transformationen hin zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz meistern? Und wie können wir den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft so gestalten, dass alle Menschen mitmachen? Denn die Transformation wird scheitern, wenn sie nicht in der gesellschaftlichen Breite auf soziale Akzeptanz stößt. Darin sehe ich heute das größte Problem. 

Das scheint selbst in Deutschland schwierig, wie die Diskussion um das sogenannte Heizungsgesetz zeigt.
Viele Menschen hatten das Gefühl, hier wird ihnen was aufgezwungen, was sie nicht stemmen können. Also: Sie brauchen Hilfe und der Staat ignoriert das. Die entscheidende Frage ist, ob wir in den nächsten zehn Jahren die soziale Akzeptanz für einen Wandel in der Art wie wir leben und wirtschaften schaffen, innerhalb unserer Gesellschaft und auch global. Wenn wir die Ärmsten der Armen im globalen Süden vergessen, deren Lebensgrundlage durch die Klimaerwärmung, durch Dürren oder Fluten schwindet, dann wird es Kriege und Konflikte geben, Menschen werden fliehen und ihre Heimat verlassen. Chaos droht auch innerhalb unserer Gesellschaft als Folge des Klimawandels. Für mich ist die große Frage die des sozialen Friedens, der sozialen Akzeptanz, der sozialen Transformation.

Das bedeutet, die Verteilungsfrage innergesellschaftlich und auch international mit einer ganz anderen Ernsthaftigkeit als bisher anzugehen?
Die Verteilungsfrage entscheidet über den Erfolg der klimaneutralen Transformation – weltweit. Wir tun leider auch in Deutschland immer noch so, als würde uns der Rest der Welt nichts angehen. In der Ukrainekrise fokussieren wir uns auf die hiesige Inflation und vergessen, dass hunderte Millionen Menschen weltweit unter höheren Energiepreisen und Nahrungsmittelpreisen viel stärker leiden als fast jeder hierzulande. Wir haben uns im Klimaschutzabkommen von Paris 2015 und auch im vergangenen Jahr dazu verpflichtet, dem globalen Süden finanziell zu helfen, damit dieser die Transformation bewerkstelligt. Aber nichts passiert, gar nichts.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse vom Gipfel in Paris vergangene Woche?
Es braucht ein stabiles globales Finanzsystem, das bei Problemen im Norden nicht die ärmsten Länder im Süden in Finanzkrisen treibt. Ich hoffe, dass es zu einem ultimativen Umdenken im globalen Norden kommt, denn natürlich geht es darum, dem globalen Süden zu helfen, eigene Probleme selbst zu lösen. Aber letztlich sind das Probleme, die wir im globalen Norden ausgelöst haben. Dafür müssen auch direkte finanzielle Transfers vom globalen Norden an den globalen Süden fließen, um der eigenen Verantwortung gegenüber dem Klimaschutz gerecht zu werden.

Und wie steht es um die Verteilungsfrage in Deutschland?
Viel zu viele Menschen denken immer noch, dass die, die wenig haben, zum Teil selbst schuld sind. Und wenn wir nur genug Wachstum schaffen, dann werde schon genug für die ärmeren Menschen abfallen und die sollen sich mal nicht so haben. Das ist arrogant, falsch, überheblich und kontraproduktiv. Diese Haltung bereitet mir größte Sorge. Als Gesellschaft müssen wir wieder eine soziale Brücke zwischen den Bevölkerungsgruppen bauen. Wir müssen die soziale Polarisierung reduzieren. 

Haben Sie den Eindruck, dass das den Eliten in der Politik bewusst ist?
Politik greift viel zu kurz an der Stelle. Es geht genauso um Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Die große Transformation verlangt große Veränderungen, ökologische, wirtschaftliche und soziale. Dafür sind auch Veränderungen in der Demokratie notwendig, und darauf sind wir zumindest kurzfristig nicht vorbereitet. Denn Menschen mit wenig sozialer Teilhabe und einem geringen Einkommen haben meist keine politische Stimme. Sie gehen häufig nicht wählen und es gibt auch keine Lobbyisten, die ihre Interessen vertreten. Leider erreichen oft die am meisten in der Demokratie, die am lautesten schreien und sich am meisten engagieren.

Ein Wettbewerb in der Demokratie …
Ja, das ist nicht schlecht, aber das macht es schwierig für die Politik, die langfristigen, schwierigen Weichen gegen das Interesse der mächtigen Lobbys zu stellen. Viele Studien zeigen, dass diejenigen mit dem meisten Vermögen die meiste Macht haben und am wenigsten durch die Klimakrise oder eine globale Transformation verlieren. Das ist der grundlegende Konflikt. Es gibt zu wenig Anreize für die Mächtigen in den Industrieländern, die Veränderung als Chance zu verstehen und sie massiv zu unterstützen. Solange das nicht gelingt, wird es schwierig sein, die Transformation voranzubringen.

Wie könnte man einen Anreiz schaffen, damit sich dieser Zustand ändert?
Global brauchen wir in den Demokratien eine klügere Politik, die klare Regeln setzt. Ohne Verbote funktioniert auch unser tägliches Leben nicht und klare Regeln schaffen finanzielle Anreize für Investitionen in neue Technologien und Nachhaltigkeit, und sie ermöglichen dann auch, finanzielle Transfers für Menschen mit wenig Einkommen gesetzlich zu verankern. Menschen sollten für die notwendigen Veränderungen nicht bestraft, sondern unterstützt werden. Für diese gewaltigen Aufgaben müssen die Länder viel stärker zusammenarbeiten in Europa und weltweit – kein Land kann das allein machen.

Deutschland wirkt gerade nicht so, als ob wir das schaffen würden?
Ja, im Augenblick habe ich das Gefühl, gerade wir in Deutschland sind noch so ein bisschen melancholisch, schauen auf die 2010er Jahre, denken, wir wollen wieder zurück in die Vergangenheit und den Status quo ante zementieren. Das wird nicht gelingen. Solange wir nicht verstehen, dass wir schnell diese Transformation bewerkstelligen müssen, auch um im globalen Wettbewerb unseren Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit wahren zu können, befürchte ich, dass wir in Deutschland einen sehr hohen Preis zahlen werden für dieses Verzögern und Verhindern, das wir im Augenblick in der deutschen Politik sehen.

  • SDG
  • Transformation

Termine

4.7.2023, 13:30-18:00 Uhr
FNG-Dialog Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen Info

4.-5.7.2023
Kongress 4. Deutscher Holzbau-Kongress (DHK) “Bauen mit Holz im urbanen Raum” Info

5.7.2023, 9:00-16:30 Uhr
Jahreskonferenz des Verbunds Transformationsforschung agrar Niedersachsen: “Agrarwandel managen: Nachhaltigkeit gemeinsam umsetzen” Info

5.7.2023, 10:00-14:30 Uhr
Konferenz Energie-Konferenz LATAM: Energ(et)isch und nachhaltig! Info

5.7.2023
Sommerfest BEE-Sommerfest 2023: das Get-together der Erneuerbaren-Branche Info

6.7.2023, 18:30-22:00 Uhr
Konferenz Energy Sharing – Ein erfolgreiches Modell für Deutschland? Info

6.7.2023, 15:00 Uhr
Webinar What to Expect at the HLPF? Building Momentum towards the SDG Summit and Beyond (ISSD) Info

10.-20.7.2023
High Level Forum High-level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) 2023 Info

11.7.2023, 14:00-16:00 Uhr
Webinar RENN.mitte: Die Bauwende nachhaltig gestalten – Aktivitäten und Mitwirkungsmöglichkeiten Info

11.7.2023, 9:30-17:00 Uhr
Branchentag Windbranchentag Rhein/Main/Saar Info

News

Kritische Rohstoffe: Deutschland, Frankreich und Italien richten Arbeitsgruppe ein

Bei einem Treffen in Berlin haben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine Amtskollegen aus Frankreich und Italien, Bruno Le Maire und Adolfo Urso, gestern eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich kritischer Rohstoffe angekündigt. Zu diesem Zweck wollen die drei Länder eine hochrangige Arbeitsgruppe einrichten, die sich zu Fragen einer nachhaltigen Rohstoffversorgung und zur Umsetzung strategischer Projekte bei der Gewinnung, Weiterverarbeitung und dem Recycling austauschen soll.

Die Wirtschaftsminister haben gestern gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern aller drei Länder über dieses Thema gesprochen. “Wir haben diskutiert, welche Maßnahmen gemeinsam ergriffen werden müssen, um die strategischen Schlüsseltechnologien und -sektoren zu stärken“, sagte Habeck bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. “Und wie Deutschland, Frankreich und Italien die trilaterale Zusammenarbeit im Rohstoffbereich, insbesondere bei kritischen Rohstoffen, für die Industrie stärken können.”

Abstimmungen zum Critical Raw Materials Act

Neben den allgemeinen Rahmenbedingungen seien insbesondere die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und die Sicherstellung der Finanzierung für strategische Projekte zur Sprache gekommen. In diesen Bereichen sei eine engere Zusammenarbeit dringend notwendig. Die hochrangige Arbeitsgruppe solle deshalb eine “enge und koordinierte Abstimmung bzw. einen Gedankenaustausch” gewährleisten und die Rohstoffthemen schneller voranbringen, sagte Habeck.

Insbesondere im Kontext der Verhandlungen zum Critical Raw Materials Act wollen sich die drei Länder eng abstimmen. Im Rat soll bis Ende Juni eine Einigung erreicht werden. leo

  • Critical Raw Materials Act
  • kritische Rohstoffe
  • Rohstoffe

Nachhaltigkeitsrat legt Schwerpunkt auf sozialen Zusammenhalt

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat am Montag in Berlin sein Arbeitsprogramm bis 2026 vorgestellt. Schwerpunktthemen der nächsten drei Jahre sind Wege zu Netto-Null- Emissionen in der Klimapolitik, eine Trendwende beim Verlust der Artenvielfalt und vor allem der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Transformation.

“Der Umbau Deutschlands in ein zukunftsfähiges Land ist wichtig und bereits in vollem Gange. Entscheidend ist aber, diese Transformations- und Strukturwandelprozesse auch sozial zu flankieren und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern”, erklärt der RNE-Vorsitzende Reiner Hoffmann anlässlich der Vorstellung des Papiers.

Nur wenn sich alle am Wandel beteiligen und diese Zukunft mitgestalten können, wenn offen über Chancen und Risiken gesprochen wird und sich der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft fair und demokratisch gestaltet, werden wir die Transformation zum Erfolg führen können“, sagt der ehemalige DGB-Chef. Hoffmann ist seit Anfang des Jahres neuer Vorsitzender des RNE.

Darüber hinaus will das Gremium sowohl auf EU-Ebene als auch im Rahmen des ressortübergreifenden Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung beratend tätig sein. Im Mittelpunkt stehen dabei die europäische Nachhaltigkeitspolitik sowie die Begleitung und Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.

Der RNE mit seinen 15 Mitgliedern aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wird alle drei Jahre von der Bundesregierung berufen, ist aber in seiner Arbeit unabhängig. ch

  • Transformation

Studie: Dem Mittelstand drohen Schwierigkeiten bei der Finanzierung durch ESG-Anforderungen

Zusätzliche ESG-Anforderungen der EU wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mit ihren umfassenden Berichtspflichten “könnten bald auch auf KMU ausgedehnt werden”, heißt es in der Studie “Nachhaltigkeitskriterien im Mittelstand”, in der es um die Frage geht, ob aktuelle Regularien im Bereich Nachhaltigkeit zu Finanzierungsschwierigkeiten im deutschen Mittelstand führen könnten. Herausgeber ist die der CSU nahestehende Hanns-Seidel-Stiftung.

KMU seien für 60 bis 70 Prozent der industriellen Umweltverschmutzung in Europa verantwortlich. Wenn die EU bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen kommen wolle, werde dies “ohne eine Ausdehnung auf diese Unternehmen nicht möglich” sein, schreiben die Autoren. Die drei Controlling-Experten Maximilian Blaschke und Gunter Friedl von der TU München und Markus Frank von der TUM School of Management, erwarten, dass die “unmittelbare Pflicht zur Berichterstattung” zunächst “schätzungsweise 15.000 der 3,5 Millionen KMU treffen” wird.

Laut der Studie drohen im Bereich der Unternehmensfinanzierung mittelbar Einschränkungen, “da Banken aufgrund aktueller EU-Gesetzgebung immer stärker ESG-Informationen bei der Kreditvergabe anfragen”. KMU könnten diese Informationen jedoch häufig nicht liefern, weswegen ihnen mittelfristig schlechtere Finanzierungskonditionen drohten.

Zusätzliches ESG-Reporting biete kurz bis mittelfristig aber auch Chancen für die KMU, heißt es. Schon die “bloße Berichterstattung” verringere bereits Informationsasymmetrien und Risiken im Verhältnis von Banken und Unternehmen, was sogar “unabhängig von der Nachhaltigkeit der KMU geringere Zinskosten” ermöglichen könnte. KMU zahlen im Schnitt höhere Zinsen als Großunternehmen. Gründe dafür seien:

  • häufig ungewisse Informationslagen, beispielsweise eine mangelnde oder fehlerhafte Kredithistorie,
  • fehlende Sicherheiten,
  • sowie eine grundsätzlich geringere Kreditwürdigkeit verglichen mit Großunternehmen.

KMU sollten “schnellstmöglich in ein ESG-Berichtswesen investieren”, um sich auf die nahenden Regularien vorzubereiten, empfehlen die Wissenschaftler. Besonders wichtig seien hierbei Umweltthemen, auf die sowohl Banken als auch der Gesetzgeber besonders Wert legten. KMU sind in erheblichem Maße auf Bankkredite angewiesen, liegt der durchschnittliche Anteil der Fremdfinanzierung doch bei 69 Prozent und dürfte nach Ansicht von Fachleuten angesichts der Herausforderungen der Transformation weiter steigen. cd

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ILO stärkt Berufsausbildung und UN-Entwicklungsziele 

Mitte Juni ist in Genf die 111. Arbeitskonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu Ende gegangen. Höhepunkt des diesjährigen Treffens war der zweitägige World of Work Summit unter dem Motto “Social Justice for All”. An der Konferenz nahmen hochrangige Vertreter der 187 ILO-Mitgliedstaaten, von UN-Organisationen sowie internationaler Finanzorganisationen teil. Deutschland war durch Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil vertreten. 

Zentrales Thema der Konferenz war die Verabschiedung globaler Standards für eine qualitativ hochwertige Berufsbildung. Aus Sicht der ILO sind starke Berufsbildungssysteme eine wesentliche Voraussetzung für einen guten und sicheren Arbeitsplatz. Deshalb sollten “Menschen aller Altersgruppen die Möglichkeit haben, sich zu qualifizieren, umzuschulen und weiterzubilden, um den sich rasch verändernden Arbeitsmärkten gerecht zu werden”, heißt es im Beschlusstext. Die vorgelegten Empfehlungen, die sich im Wesentlichen auf die institutionellen Rahmenbedingungen der beruflichen Bildung beziehen, wurden mit großer Mehrheit angenommen. 

Ebenfalls auf den Weg gebracht wurde die von ILO-Generalsekretär Gilbert Houngbo initiierte Global Coalition for Social Justice. “Wenn wir einen erneuerten Gesellschaftsvertrag schließen wollen, muss dieser von Solidarität, Fairness und vor allem von sozialer Gerechtigkeit getragen sein”, sagte Houngbo in seiner Eröffnungsrede. Dies müsse zur Richtschnur sowohl für die Politik als auch für das eigene Handeln werden. Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht die Unterstützung der Umsetzung der UN-Agenda 2030 mit ihren 17 Sustainable Development Goals (SDG). ch

  • Arbeit
  • Bildung
  • ILO

Whistleblower-Schutz kommt im Juli

Am 2. Juli tritt das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft. Dann müssen alle Unternehmen und Behörden mit mehr als 250 Mitarbeitenden eine interne Meldestelle einrichten, an die sich Beschäftigte wenden können, um auf Rechtsverstöße aufmerksam zu machen. Die Stellen sind verpflichtet, den Hinweisen nachzugehen. Ab dem 17. Dezember 2023 gilt die Regelung auch für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten.

Damit wird die Whistleblower-Richtlinie der EU nach kontroversen Debatten auch in Deutschland in geltendes Recht umgesetzt. Eigentlich hätte dies bereits bis zum 17. Dezember 2021 geschehen müssen. Doch erst eine Einigung im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat machte den Weg schließlich frei.

Ziel des Gesetzes ist es, dass Hinweisgeber leichter und ohne Angst vor Repressalien auf Rechts- und Regelverstöße in Unternehmen und Behörden aufmerksam machen können, sofern diese Verstöße straf- oder bußgeldbewehrt sind. Auch Hinweisen auf mangelnde Verfassungstreue von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes soll künftig nachgegangen werden, selbst wenn keine konkreten Straftaten vorliegen. Gleichzeitig regelt das Gesetz Haftungsfragen, Schadensersatz und Bußgelder bei vorsätzlich falschen Angaben. Unternehmen und Behörden, die sechs Monate nach Verkündung des Gesetzes kein Hinweisgebersystem eingerichtet haben, müssen mit Strafen bis zu 50.000 Euro rechnen. ch

Studie: Rohstoffverbrauch mehr als halbieren, um planetare Grenzen einzuhalten

Bis zum Jahr 2045 sollte sich der Pro-Kopf-Rohstoffverbrauch in Deutschland von ungefähr 16 Tonnen auf 7 Tonnen pro Jahr mehr als halbieren, um die planetaren Grenzen einhalten zu können – dies empfehlen der WWF Deutschland, das Öko-Institut, Fraunhofer ISI und die Forschungsgruppe Policy Assessment FU Berlin in der am Dienstag vorgestellten Studie “Modell Deutschland Circular Economy“. Der gesamte Rohstoffkonsum sollte demnach:

  • Von 1,3 Milliarden Tonnen auf ungefähr 500 Millionen Tonnen im Jahr 2045 sinken,
  • Die Verwendungsrate kreislauffähiger Materialien sollte sich bis 2030 hingegen auf 25 Prozent verdoppeln.

Erreicht werden soll dies mit dem von den Institutionen entwickeltem Modell einer Kreislaufwirtschaft für Deutschland. Die Autoren betonten dabei die Notwendigkeit einer absoluten Reduzierung des Rohstoffverbrauchs sowie eines starken regulatorischen Rahmens.

“Die zirkuläre Transformation könnte die Treibhausgasemissionen um bis zu 26 Prozent reduzieren und den Rohstoffkonsum um bis zu 27 Prozent bis zum Jahr 2045 senken“, sagt Siddharth Prakash, Projektleiter und Leiter Zirkuläres Wirtschaften & Globale Wertschöpfungsketten beim Öko-Institut. Klaus Jacob, Leiter der Forschungsgruppe Policy Assessment an der FU Berlin, ergänzt: “Damit die Vision, Leitprinzipien und Ziele einer Circular Economy umgesetzt werden können, braucht es Verbindlichkeit. Dafür ist eine Governance-Struktur für ein Ressourcenschutzgesetz, analog zum Klimaschutzgesetz, zentral.”

Mit der Studie wollen die Institutionen zur Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie beitragen, die das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahres erarbeitet. Derzeit laufen zu verschiedenen Handlungsfeldern Stakeholder-Dialoge. nh

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Seeleute streiken wegen schlechter Arbeitsbedingungen und niedriger Löhne

Afrikanische Seeleute auf EU-Fangschiffen vor Westafrika und im Indischen Ozean haben Mitte Juni für mehrere Tage die Arbeit niedergelegt. Sie protestierten damit gegen schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne. Gleichzeitig warfen sie den spanischen und französischen Eignern der Trawler vor, internationale Abkommen zu brechen und die Thunfischbestände zu überfischen. 2.000 Seeleute aus dem Senegal und der Elfenbeinküste beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben an dem Streik. Betroffen waren 64 Schiffe und damit 80 Prozent der Fangflotte in der Region.

“Wir haben den Streik einen ganzen Monat im Voraus angekündigt, um ihnen zu zeigen, wie ernst es uns ist. Aber das reichte nicht aus, um sie dazu zu bewegen, in Einklang mit internationalen Abkommen eine Einigung zu erzielen”, sagt Yoro Kane, Generalsekretär der Gewerkschaft der Fischer im Senegal (UDTS). Er verweist auf die Abkommen über den küstennahen Thunfischfang, die die EU-Kommission und mehrere Länder des globalen Südens unterzeichnet haben.

Danach haben die Crewmitglieder mindestens Anspruch auf die von der ILO festgelegte Mindestheuer in Höhe von derzeit 658 US-Dollar pro Monat. “In Wirklichkeit wird das nicht eingehalten, manche von ihnen erhalten nur ein Drittel dieses Betrags”, so Kane. “Die EU-Kommission und die örtlichen Behörden werden uns die Frage beantworten müssen, warum wir derart massiv kämpfen müssen, um zu erhalten, was uns in den partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei bereits schwarz auf weiß zugesichert wurde?”

Kritik kommt auch von Johnny Hansen, Vorsitzender der Sektion Fischereiwirtschaft der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF). “Es ist kaum zu fassen, dass hochprofitable Unternehmen, die von äußerst vorteilhaften Fischereiabkommen profitieren, es für akzeptabel halten, die eindeutige Regelung zur Mindestheuer für Vollmatrosen einfach zu ignorieren“, kritisiert Hansen.

Opagac, eine spanische Lobbyorganisation, der mehrere betroffene Fischereiunternehmen angehören, wies die Vorwürfe zurück. Gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian hieß es, die Unternehmen hielten sich “strikt an die nationalen und internationalen Rechtsvorschriften”. Die Seeleute verdienten sogar mehr als die von der ILO festgelegte Mindestheuer. ch

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  • Nachhaltigkeit

Rechnungshof sieht EU-Klimaziele in Gefahr

Der Europäische Rechnungshof hat dem Kampf gegen den Klimawandel in der EU deutliche Mängel bescheinigt – und sieht wenig Aussicht auf Besserung. Es sei zu bezweifeln, dass die EU ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 wie angestrebt um 55 Prozent gegenüber 1990 senken könne, hieß es in einem am Montag veröffentlichten Sonderbericht des Rechnungshofs. Besonders besorgniserregend sei, dass es keine Anzeichen für eine ausreichende Finanzierung gebe, um die Ziele zu erreichen.

Nach Angaben des Rechnungshofs machen die jährlichen Ausgaben aus dem EU-Haushalt im Zeitraum von 2021 bis 2027 weniger als 10 Prozent der geschätzten Gesamtinvestitionen aus, die erforderlich sind, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Die Investitionen müssten daher zu einem großen Teil aus nationalen und privaten Mitteln finanziert werden.

Was die Reduktion von Emissionen angeht, wird Deutschland in dem Bericht als schlechtes Beispiel genannt. Demnach gehört die Bundesrepublik gemeinsam mit Irland und Malta zu den Staaten, die ihre Treibhausgasziele für 2020 nicht eigenständig erreichen konnten. Sie erwarben demnach im Zeitraum von 2013 bis 2020 17 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent an Zuweisungen für Treibhausgasemissionen von anderen Mitgliedstaaten, die ihre Ziele übertroffen hatten. dpa

  • EU
  • Klimapolitik

Erste Wasserstoffproduktion auf hoher See

Das französische Unternehmen Lhyfe hat seine Offshore-Pilotanlage für die Wasserstoffproduktion Seahyfe über eine Strecke von 20 Kilometern mit einem Energiezentrum auf dem Festland angeschlossen. Laut Unternehmen produziert die Anlage erste kleine Mengen von Wasserstoff. Die Firma will die technische Machbarkeit solcher Anlagen nachweisen und Erfahrungen sammeln. Aus diesem Grund teste es die realen Bedingungen auf einer schwimmenden Plattform, heißt es.

Die Anlage ist mit einem Testzentrum in Nantes verbunden, das von der Stiftung OPEN-C betrieben wird – sie vereint alle französischen Offshore-Testressourcen für schwimmende Offshore-Windenergie, Gezeiten- und Wellenenergie, Offshore-Wasserstoff sowie schwimmende Photovoltaik.

Die Pilotanlage ist 200 Quadratmeter groß und kann bis zu 400 Kilogramm Wasserstoff täglich herstellen. Künftig will die Firma Wasserstoff auf hoher See im industriellen Maßstab produzieren. Ein entsprechendes Projekt fördere die EU-Kommission im Rahmen der Europäischen Partnerschaft für sauberen Wasserstoff mit 20 Millionen Euro, gab die Firma am Dienstag bekannt. Das Projekt mit zehn Megawatt soll nach Fertigstellung täglich vier Tonnen grünen Wasserstoff produzieren.

Die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, dass innerhalb der Gemeinschaft bis 2030 zehn Millionen Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden. Lhyfe ist in elf europäischen Ländern vertreten und hatte Ende 2022 149 Mitarbeitende. cd

  • Energiewende

Presseschau

Tropical forests shrunk by 10 % in 2022 – Financial Times
Der jährliche Rückgang der tropischen Primärwälder habe sich 2022 beschleunigt, obwohl sich 145 Länder im Jahr zuvor verpflichtet hätten, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen, schreiben die Autoren Camilla Hodgson, Steven Bernard und Bryan Harris, mit Bezug auf einen am Dienstag veröffentlichten Bericht der University of Maryland und des World Resources Institute’s Global Forest Watch. Zum Artikel

Uganda shows LGBT+ people face growing danger globally – Financial Times
Die Gesetzgebung in Uganda sei kein Einzelfall, sondern findet ihr Echo in homosexuellenfeindlichen Maßnahmen und Rhetorik in den USA und der Türkei, schreibt Josh Spero. Zum Artikel

Die Ineffizienz des Wachstums bei der Armutsbekämpfung – Makronom
Arthur Zito Guerriero beschäftigt sich in der Serie Ungleichheit und Macht mit den Faktoren, die zu einem Rückgang der Armut seit der Jahrtausendwende geführt haben. Gelungen sei dies nur dank hoher Wachstumsraten und großer Umweltbelastungen. Zudem hätten die Armen nur in geringem Umfang von der zusätzlichen Wertschöpfung profitiert. Zum Artikel

Tesla May Have Already Won the Charging Wars – The New York Times
Vereinbarungen mit den Konkurrenten Ford und GM werden Autofahrern die Suche nach einer Ladestation erleichtern, schreibt Jack Ewing. Dadurch könnte Elon Musk Kontrolle über wichtige Infrastrukturen gewinnen. Zum Artikel

Amid the battle of Xi Jinping and Joe Biden, a new global order struggles to take shape – The Guardian
Mit der künftigen globalen Ordnung beschäftigt sich Simon Tisdall. Die Dynamik verschiebe sich. Mittelgroße Länder forderten ein größeres Mitspracherecht in globalen Angelegenheiten, einige von ihnen hätten entsprechende Druckmittel. Auch die schwächeren Länder meldeten sich zu Wort, wenn es um existenzielle Fragen wie Klima gehe. Ihnen laufe die Zeit weg, sagen sie und hätten damit recht, schreibt der Autor. Zum Artikel

Paris climate finance summit fails to deliver debt forgiveness plan – The Guardian
Den ärmeren Ländern, die in einem zunehmenden Ausmaß mit der Schuldenkrise kämpfen, sei in Paris ein Rettungsanker zugeworfen worden, doch die Pläne blieben hinter dem zurück, was manche erwartet hätten, schreibt Fiona Harvey mit Blick auf den Finanzgipfel in Paris. Zum Artikel

Wie gelingt die Wärmewende – und wer trägt die Kosten? – Der Spiegel
Aufhänger des Artikels ist eine neue Studie des Potsdam-Instituts, des Wissenschaftlers Ottmar Edenhofer und anderen. Sie hätten berechnet, wie sinnvoll ein höherer CO₂-Preis und wie viel teurer er für Mieter und Eigentümer wäre. Mit überraschenden Ergebnissen: Gemessen an dem Anteil der CO₂-Kosten an den Gesamtausgaben eines Haushalts, würden etwa Immobilieneigentümer mit unterdurchschnittlichem Verdienst fast viermal so stark belastet wie Mieter derselben Einkommensgruppe. Zusätzlich zum Klimageld solle die Regierung einen Teil der Hilfen an die CO₂-Emissionen pro Quadratmeter koppeln, raten die Experten. Zum Artikel

“Wir haben in Deutschland viel zu verlieren” – Der Spiegel
Ifo-Ökonom Andreas Peichl spricht unter anderem über die Abstiegsängste der Deutschen und fehlgeleitete Subventionen für die Transformation, beispielsweise mit Blick auf die Autobauer in Deutschland. Man müsse sich fragen, ob das Geld nicht eher bei den Aktionären lande. Ihm erscheint “die Höhe der Subventionen für eine bestimmte Branche eher mit der Zahl der Lobbyisten in Berlin zu korrelieren”. Das sei für eine Demokratie gefährlich. Zum Artikel

Intel-Subventionen: Deutschland haut die Milliarden raus – Süddeutsche Zeitung
Die Milliarden für Intel verschöben gerade die Maßstäbe, schreiben Capar Busse, Alexander Hagelüken und Claus Hulverscheid. Wie sehr zeige der Subenventionsbericht 2022. Demnach flossen in dem Jahr knapp 21 Milliarden Euro an die gesamte Wirtschaft – “also gerade einmal das Doppelte dessen, was nun ein einziges Unternehmen erhalten soll”. Zum Artikel

Standpunkt

Nach dem Pariser Gipfel: Eine globale Finanzarchitektur, die für Afrika funktioniert

Von Mavis Owusu-Gyamfi
Mavis Owusu-Gyamfi: In Paris wurde der Tisch für Afrika gedeckt, und wir haben uns laut und deutlich Gehör verschafft. Lassen Sie uns diese Energie beibehalten.

Der Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt in Paris ist zu Ende gegangen. Wir sind zwar noch lange nicht da, wo wir sein müssen, um die globale Finanzarchitektur für Afrika heute fit zu machen. Aber einige der in den vergangenen Tagen unternommenen Schritte und eingegangenen Verpflichtungen ermutigen mich

Lassen Sie mich vier Beispiele nennen.

1. Eine starke Koalition für eine Reform

Erstens sahen wir eine Koalition starker Stimmen, die sich einig waren, dass die derzeitige internationale Finanzarchitektur für die Welt, in der wir jetzt leben, nicht funktioniert – vor allem nicht in sich überschneidenden Krisen -, und dass wir dringend Lösungen brauchen. Diese Stimmen kamen nicht nur aus dem globalen Süden oder dem globalen Norden, sondern von überall her, auch aus den multilateralen Entwicklungsbanken, von Philanthropen und aus der Zivilgesellschaft.

2. Die gemeinsame Stimme Afrikas

Zweitens sprachen die afrikanischen Staats- und Regierungschefs mit einer Stimme. Während des vergangenen Jahres waren wir noch besorgt darüber, dass die afrikanischen Staats- und Regierungschefs keine gemeinsame Position hatten. Das hat dazu geführt, dass es an einer starken afrikanischen Stimme fehlt, wenn es darum geht, wie wir mit Herausforderungen wie der Klimafinanzierung, einem Schuldenerlass, Handel, Sicherheit und mehr umgehen. Aber in Paris haben wir von unseren Staats- und Regierungschefs sehr klare Forderungen gehört:

  • eine Umschuldung, die den Krisenländern mehr Spielraum und Liquidität verschafft;
  • eine echte Lösung für die drohende Verschlechterung der konzessionären Finanzierung durch die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA), die voraussichtlich 2024 eintreten wird;
  • eine Klimafinanzierung, die frühere Versprechen einlöst und neue Möglichkeiten für grüne Investitionen in Afrika schafft;
  • einen Übergang vom Reden zum Handeln; und
  • einen gleichberechtigten Platz am Tisch.

3. Alle Probleme zugleich angehen

Drittens scheint der Pariser Gipfel endlich jeden wirklichen oder vermeintlichen Zielkonflikt zwischen den Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen, der Bridgetown-Agenda und der afrikanischen Agenda, von Klimafinanzierung versus Entwicklungsfinanzierung ad acta gelegt zu haben. In diesen beiden Tagen wurde mehr als deutlich, dass eine Finanzierungsarchitektur, die wirklich für die heutige Welt geeignet ist, all diese Probleme zugleich angehen muss. Für echte Fortschritte müssen diese Dinge Hand in Hand bearbeitet werden.

4. Lang erwartete Ankündigungen und Maßnahmen

Und schließlich war es großartig, mehrere lang erwartete Ankündigungen und Maßnahmen zu sehen, die auf die Diskussionen während der Frühjahrstagung von Weltbank und IWF im April folgten:

  • Die Schuldenpause der Weltbank für Länder, die von Naturkatastrophen heimgesucht wurden,
  • Sambias Umschuldung,
  • eine Partnerschaft für eine gerechte Energiewende im Senegal,
  • eine starke Forderung nach einem Sitz der Afrikanischen Union bei der G20 und
  • positive Fortschritte bei der Erreichung der erforderlichen 100-Milliarden-Dollar-Zusagen für das Recycling der Sonderziehungsrechte, das den afrikanischen Ländern, die mit wirtschaftlichen Schocks, Klimakrisen und Finanzierungsengpässen konfrontiert sind, die dringend benötigte Liquidität zur Verfügung stellen würde.

Künftige Schlüsselmomente

Das ist ein guter Anfang, aber nicht ausreichend. Wir haben in den kommenden Monaten einen langen Weg vor uns, um diese Dynamik aufrechtzuerhalten. Der Pariser Gipfel hat einen Fahrplan für Maßnahmen bis 2024 veröffentlicht, in dem Schlüsselmomente für die Umsetzung der auf diesem Gipfel und in früheren Tagungen gemachten Versprechen aufgeführt sind.

Für mich und meine Kolleginnen und Kollegen vom African Center for Economic Transformation gibt es zwei sehr wichtige Dinge, auf die wir uns auf dem Weg zum Afrika-Klimagipfel in Nairobi, dem Weltbank-IWF-Treffen in Marrakesch, der COP28 in Dubai und darüber hinaus konzentrieren sollten.

Die Position Afrikas weiter stärken

Wir werden weiterhin eine starke Koalition afrikanischer Staats- und Regierungschefs und Organisationen aufbauen, die sich für konkrete Veränderungen im globalen Finanzsystem einsetzen. Auf Ersuchen der Finanzminister entwickeln wir eine Erklärung von Marrakesch, die im Oktober verabschiedet werden soll und die Position Afrikas festschreibt und darlegt, was erforderlich ist, um diese Agenda Wirklichkeit werden zu lassen – mit der Unterstützung eines breiten Spektrums von Zivilgesellschaft, Think Tanks und Regierungspartnern auf dem gesamten Kontinent und weltweit.

Gleichberechtigung für Afrika

Gleichzeitig werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass Afrika eine gleichberechtigte Stimme und eine gleichberechtigte Teilnahme an globalen Foren und globalen Institutionen hat, in denen Entscheidungen getroffen werden, die Afrikanerinnen und Afrikaner betreffen. Ein guter Anfang wird der Sitz der AU auf dem G20-Gipfel sein – wir hoffen, dass er im kommenden Jahr Wirklichkeit werden wird, nachdem Indiens Premierminister Modi ermutigende Maßnahmen ergriffen hat. Aber dies muss sich auch auf die Weltbank, den IWF und andere globale Institutionen ausweiten, in denen Afrikas Stimme allzu oft von größeren Aktionären übertönt wird.

Wir müssen uns von einer Situation verabschieden, in der wir, wann immer Afrika eine Idee hat, eine umständliche und teure Advocacy-Kampagne starten müssen, anstatt uns mit anderen Ländern zusammenzusetzen und einfach unsere Bedürfnisse darzulegen. In Paris wurde der Tisch für Afrika gedeckt, und wir haben uns laut und deutlich Gehör verschafft. Lassen Sie uns diese Energie beibehalten, bis wir eine globale Finanzarchitektur erreicht haben, die allen Afrikanern zugutekommt.

Mavis Owusu-Gyamfi ist die Exekutiv-Vizepräsidentin des Afrikanischen Zentrums für wirtschaftliche Transformation (ACET).

  • Afrika
  • Transformation

Heads

Diana Nabiruma gibt ugandischen Communities eine Stimme

Diana Nabiruma setzt sich in Uganda für eine saubere Energieversorgung ein.

Diana Nabiruma kommt zum Gespräch in die Redaktion von Table.Media – nach einem Treffen mit Jennifer Morgan, der Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, und vor einem Austausch mit Bundestagsabgeordneten. Sie ist zwei Tage in Berlin, um ihre Sicht auf Energieprojekte in Afrika zu schildern.

Jennifer Morgan habe sie gesagt, es sei falsch, dass afrikanische Staaten Öl- und Gasvorkommen erschließen müssten, um sich zu entwickeln. Dieses Argument verbreite die Fossilindustrie – durch afrikanische Regierungen, die “manchmal nicht nach den Bedürfnissen der Menschen fragen, sondern nach dem Nutzen für sich selbst”. Es ist ein altes Muster, dass die Interessen der Eliten in Afrika häufig eher mit denen der Eliten im globalen Norden übereinstimmen als mit denen der eigenen Bevölkerung.

AFIEGO klagte wegen Sorgfaltspflichten gegen TotalEnergies

Die 37-jährige Sprecherin des African Institute for Energy Governance (AFIEGO), nimmt für sich in Anspruch, mit ihrer Sichtweise die Interessen weiter Teile der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen. Die ugandische NGO setzt sich für saubere Energie, Umweltschutz und Menschenrechte ein. Bekannter wurde sie hierzulande, weil sie mit den französischen NGO Amis de la Terre sowie Survie und drei ugandischen Organisationen gegen den französischen Energiekonzern TotalEnergies geklagt hatte. Dieser ist Teil eines Konsortiums, das am Albertsee im Westen des ostafrikanischen Landes, Öl fördern und es über die längste beheizte Öl-Pipeline der Welt an die Küste des Indischen Ozeans im angrenzenden Tansania pumpen will. Das Fördergebiet, das TotalEnergies betreibt, liegt zum Teil im artenreichen Nationalpark Murchison Falls, wo Antilopen, Elefanten und hunderte Vogelarten leben.

Mit der Klage wollten die NGO erreichen, dass das Projekt gestoppt wird, bis TotalEnergies die Sorgfaltspflichten erfüllt, die sich aus ihrer Sicht aus dem französischen Lieferkettengesetz (Loi de vigilance) ergeben. Konkret ging es darum, dass der Konzern die Folgen für das Ökosystem stärker berücksichtigen und den Menschen, die für das Projekt umsiedeln mussten, angemessen entschädigt. Das zuständige Gericht lehnte die Klage aus formalen Gründen ab.

Europäische Regeln zu Sorgfaltspflichten können Betroffenen in Afrika helfen

Auf die Frage, wie die Aktivistin den Ausgang des Verfahrens bewertet, antwortet sie: “Wichtig ist, was die betroffenen Communities denken, weil es um ihre Lebensgrundlage geht, die durch das Projekt gefährdet ist.” Nabiruma erzählt von Betroffenen, die nicht verstehen, dass das Gericht die Klage aus formalen Gründen ablehnte, obwohl es doch derart wichtig sei, Umwelt und Menschen zu schützen. Doch im eigenen Land gebe es kaum Wege, multinationale Konzerne zur Verantwortung zu ziehen.

Europäische Regulierung zu Sorgfaltspflichten schüfe zumindest die Möglichkeit dazu. “Aber dann müssen die Gesetze auch stark sein und Betroffene ihre Rechte leicht durchsetzen können”, sagt die Aktivistin. Sie vergleicht den Kampf gegen große Konzerne wie TotalEnergies, mit dem des Davids gegen Goliath. Sie hofft, dass Gott den Betroffenen in diesem Fall ebenso hilft, wie er David geholfen hat – ein Hinweis darauf, dass eben vieles nicht unter der eigenen Kontrolle liegt, egal wie sehr man sich engagiert.

“Es kann Menschen nur gut gehen, wenn sie im Einklang mit der Natur leben”

Wie lebenswert eine saubere Umwelt ist, hat die aus der Hauptstadt Ugandas, Kampala, stammende Nabiruma selbst erfahren. Mit sieben Jahren zog sie aufs Land, um dort ein Internat zu besuchen. Anders als in der Millionenstadt war dort das Wasser sauber und die Luft rein. Als sie elf Jahre später nach Kampala zurückkehrte, habe sie die von Verbrenner-Autos verseuchte Luft als noch schmutziger erlebt als früher, sagt die Aktivistin. Sie bekam dann allergisches Asthma.

Nach einem Kommunikations- und Journalismus-Studium arbeitete Nabiruma sechs Jahre als Journalistin für die privatwirtschaftlich geführte ugandische Zeitung The Observer, berichtete über Umweltpolitik. In der Zeit habe sie gelernt, “dass es Menschen nur gut gehen kann, wenn sie in Einklang mit der Natur leben“. Ohnehin spiele eigenes Land eine wichtige Rolle für die Menschen in Uganda, wo 70 Prozent von Landwirtschaft leben, die meisten als Kleinbäuerinnen und -bauern. Obwohl Uganda nach konventionellen Maßstäben zu den ärmsten Staaten der Welt gehört, seien viele Menschen glücklich und großzügig, weil die Natur ihnen ermögliche, ihr Land ertragreich zu bewirtschaften, sagt die Aktivistin. Wer selbst genug zu essen hat und das wertschätzen kann, ist also zufriedener und eher bereit zu teilen.

Aktivisten in Uganda arbeiten unter schwierigen Bedingungen

Doch der Kampf gegen die Zerstörung der Natur ist mühsam – nicht nur, weil multinationale Konzerne großen politischen Einfluss haben, sondern auch, weil Umweltaktivisten in Uganda unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Im Zeitraum von September 2020 bis Oktober 2021 sind acht Mitarbeitende von AFIEGO verhaftet worden – insgesamt arbeiten 14 Menschen für die NGO.

“Wir arbeiten in Angst, aber es ist Arbeit, die erledigt werden muss, weil wir zu den Wenigen gehören, die sich noch für die Communities einsetzen”, sagt Nabiruma. Kraft dafür gebe ihr der Austausch mit den Menschen, der ihr immer wieder zeige, dass es nötig sei, sich für sie zu engagieren – und die Überzeugung, dass es einen Unterschied machen könne, wenn man mit einer gemeinsamen Stimme spricht. Nicolas Heronymus

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  • Fossile Brennstoffe
  • Klimaschutz
  • Nachhaltigkeit

ESG.Table Redaktion

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Transformation ist ein großes Wort, das sicherlich angemessen ist für die Herausforderungen, vor der die Gesellschaften der Erde mit Blick auf die planetaren Grenzen stehen. Es kann aber manchmal auch dazu verleiten, die ganz spezifischen Hürden – und damit die Lösungen – für sozial-ökologischen Wandel in den diversen Bereichen des Wirtschaftens zu übersehen. Darum geht es heute.

    Bevor sich in zwei Wochen das High-Level Political Forum on Sustainable Development trifft, um an der Halbzeitbilanz für die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele zu arbeiten, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, im Interview mit Caspar Dohmen, dass aus seiner Sicht die Antwort auf die Verteilungsfrage über den Erfolg der klimaneutralen Transformation entscheiden werde.

    Mit ganz konkreten Hürden konfrontiert sind auch alle Unternehmen, die auf Binnengewässer wie den Rhein angewiesen sind, um Güter zu transportieren. Für Europas meistbefahrene Wasserstraße besteht durch den Klimawandel bedingt mittlerweile ein höheres Risiko für Niedrigwasser. Carsten Hübner berichtet über die Transformation der Binnenschifffahrt.

    Einen Konflikt über das Tempo der Transformation gibt es anscheinend im Bündnis für nachhaltige Textilien. Wie Table.Media erfuhr, haben die beiden Verbandsvertreter überraschend nicht genug Stimmen bekommen bei der Wahl des Steuerungsgremiums. Caspar Dohmen zu den Hintergründen.

    Um kleine Fortschritte geht es im Standpunkt von Mavis Owusu-Gyamfi, Vizepräsidentin des African Center for Economic Transformation, die den Paris-Gipfel für eine neue globale Finanzarchitektur von vergangener Woche aus Sicht afrikanischer Staaten einordnet.

    Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeschickt wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.

    Ihr
    Nicolas Heronymus
    Bild von Nicolas  Heronymus

    Analyse

    Überraschung beim Textilbündnis: Vertreter der Wirtschaft wählen Verbandsvertreter nicht wieder

    Harsche Kritik an der fehlenden Wirksamkeit des Textilbündnisses für Beschäftigte vor Ort kam immer wieder von NGO.

    Die Wahlen für den zwölfköpfigen Steuerungskreis des Bündnisses für nachhaltige Textilien haben zu einem überraschenden Ergebnis auf Seiten der vier Wirtschaftsvertreter geführt: Uwe Mazura vom Gesamtverband textil+mode und Stefan Genth vom Handelsverband Deutschland (HDE) wurden von den Mitgliedsunternehmen nach acht Jahren nicht wiedergewählt. An ihrer Stelle zogen nur noch Unternehmensvertreterinnen ein: Kristina Seidler-Lynders (C&A Mode GmbH & Co. KG), Anna Rüchhardt (Hakro GmbH), Katrin Kinza (Deerberg GmbH) sowie Tobias Wollermann (Otto Group), der aber einen Rückzieher machte.

    “Tobias Wollermann nimmt die Wahl nicht an und scheidet damit vorzeitig wieder aus dem Steuerungskreis aus”, heißt es in internen Mails des Textilbündnisses, die Table.Media vorliegen. Wollermann begründete seinen Schritt damit, dass er gemeinsam mit den beiden Verbandsvertretern Genth und Mazura angetreten sei. Da der Gesamtverband textil+mode und der HDE nicht erneut in den Steuerungskreis gewählt worden seien, “fehlt die Basis für eine Fortführung der erfolgreichen Zusammenarbeit, sodass ich als Vertreter der Otto Group die Wahl nicht angenommen habe”. Das bestätigte ein Otto-Sprecher auf Anfrage. Notwendig wird nun eine Nachwahl.

    “Stille Revolution” der beteiligten Unternehmen

    Vertreter anderer Unternehmen bedauerten gegenüber Table.Media die Entscheidung von Wollermann, den sie als “exzellenten Fachmann” beschreiben. Gleichzeitig berichten mehrere Unternehmensvertreter ebenfalls gegenüber Table.Media über zwei unterschiedliche Lager im Kreis der Wirtschaftsvertreter, fortschrittlich eingestellten und bremsenden Kräften. Aus Sicht der fortschrittlichen Kräfte seien die beiden nicht wiedergewählten Verbandsvertreter “Blockierer”, angesichts von deren Auswechslung bestünde jetzt eine Chance für “echte Veränderung” im Textilbündnis. Die Rede ist von einer “stillen Revolution” der Mehrheit der beteiligten Unternehmen gegen die Verbände. Die Wahl beim Textilbündnis ist ein weiterer Beleg dafür, dass es zwischen einzelnen Verbänden und ihren Mitgliedsunternehmen unterschiedliche Vorstellungen über notwendige Veränderungen in der Transformation gibt. Das hatten zuletzt auch Unternehmen in einer Studie der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik deutlich gemacht.

    Wegen Nachwahl könnten Verbandsvertreter zweite Chance erhalten

    Bei den Nachwahlen könnte einer der abgewählten Verbandsvertreter doch wieder in den Steuerungskreis gewählt werden. Auf Anfrage teilte ein Sprecher des HDE mit, Stefan Genth habe noch keine Entscheidung über seine Kandidatur bei einer Nachwahl getroffen. Eine Sprecherin von textil+mode ließ eine entsprechende Anfrage hinsichtlich Uwe Mazura unbeantwortet. Ein Sprecher von Otto verneinte die Frage, ob Tobias Wollermann mit seinem Rückzug den Weg frei gemacht habe für einen Verbandsvertreter: “Damit machen wir keinen Weg für andere frei”, heißt es.

    Für Anfang September haben Verbände und Unternehmen nach Informationen von Table.Media einen Termin angesetzt, um über die Gemengelage zu sprechen.

    Der Steuerungskreis ist das höchste Entscheidungsgremium im Bündnis für nachhaltige Textilien. Ihm gehören insgesamt zwölf Vertreter an, vier aus der Wirtschaft, je drei von Bundesregierung und Zivilgesellschaft sowie ein Vertreter der Gewerkschaften und der Standardsetzungsorganisation GOTS. Entscheidungen im Steuerungskreis müssen einstimmig getroffen werden, weswegen bereits ein Mitglied Entscheidungen blockieren kann. Zuletzt büßte der Steuerungskreis zwar etwas an Bedeutung ein, weil die vier Strategie-Arbeitskreise aufgewertet wurden, dennoch entscheiden seine Mitglieder am Ende bei strittigen Fragen.

    Zivilgesellschaft bescheinigt Textilbündnis weitgehende Wirkungslosigkeit

    Das Bündnis für nachhaltige Textilien wurde 2014 infolge des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch von der damaligen Bundesregierung aus der Taufe gehoben. Es soll die Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern, durch freiwillige Zusammenarbeit von Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften in einer Multi-Stakeholder-Initiative. Vertreter der Zivilgesellschaft hatten das Textilbündnis immer wieder kritisiert, mehrere Organisationen traten im Laufe der Zeit mit Verweis auf mangelnde Erfolge aus, darunter die Kampagne für Saubere Kleidung und Transparency Deutschland. Für Unmut hatte unter anderem das mangelnde Engagement der beteiligten Unternehmen für eine Initiative für bessere Löhne gesorgt. Zivilgesellschaftliche Akteure hatten dem Bündnis kürzlich erneut Wirkungslosigkeit bescheinigt. Es sei “nicht hinnehmbar, dass die Beschlüsse und Aktivitäten des Textilbündnisses in den letzten sieben Jahren kaum Fortschritte bei der Verbesserung von Arbeitsbedingungen vor Ort brachten”, war im Februar die miserable Bilanz.

    Mittlerweile haben sich jedoch die regulatorischen Rahmenbedingungen verändert. Seit Anfang des Jahres gilt das Lieferkettengesetz: Es verpflichtet große Unternehmen auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten. Zudem änderte sich die Situation auch durch die Einführung des Grünen Knopfes, eines staatlichen Siegels für nachhaltig hergestellte Textilien. Das Textilbündnis hatte zunächst wichtige Hilfestellungen für Unternehmen geliefert, den mit dem Grünen Knopf verbundenen Verpflichtungen nachzukommen, etwa für das Berichtswesen. Mittlerweile sei es allerdings eher umgekehrt, berichten beteiligte Unternehmen. “Für wirklich nachhaltige Unternehmen ist das Textilbündnis nicht mehr relevant“, sagen sie. Mit Blick auf die Zukunft nennen Unternehmensvertreter zwei Optionen für das Textilbündnis: Entweder verfolge es künftig ambitioniertere Ziele oder die ambitionierteren Unternehmen würden es verlassen, “in jedem Fall wird es knallen”, erwartet ein Unternehmen.

    Wichtig dürfte auch sein, welche Rolle Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) für das Textilbündnis sieht, das immerhin zu den Projekten zählte, die ihrem Amtsvorgänger Gerd Müller (CSU) besonders wichtig waren.

    • Nachhaltigkeit
    • Textilindustrie
    • Transformation

    Binnenschifffahrt: Niedrigwasser am Rhein gefährdet Lieferketten

    Niedrigwasserschiffe sollen künftig Güterverkehre auch bei geringen Wasserständen gewährleisten.

    Die deutsche Wirtschaft blickt mit Sorge auf den Rhein. Auch in diesen Tagen sind die Pegelstände so niedrig wie sonst nur im Hochsommer. Das erinnert an die historischen Niedrigwasser vergangener Jahre. “Sollten sich die Pegel den Tiefstständen von 2018 oder 2022 annähern oder diese erreichen, könnte dies die wirtschaftliche Erholung beeinträchtigen, die wir bereits jetzt als eher bescheiden einschätzen”, warnt Analyst Marc Schattenberg in einem aktuellen Kommentar für Deutsche Bank Research. Zwar lägen die aktuellen Wasserstände noch deutlich über dem für die Schifffahrt kritischen Niveau. Dennoch sei “die Entwicklung besorgniserregend“, so Schattenberg, “da die Pegel bereits deutlich unter dem zehnjährigen Durchschnitt liegen”.

    Hohe Schäden aufgrund von Niedrigwasser

    Die Konsequenzen der extremen Niedrigwasser sind gravierend, sagt Marcel Lohbeck, Geschäftsführer des Vereins für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen (VBW), gegenüber Table.Media. “Insbesondere im Rheinstromgebiet mit seinen umsatzstarken Industrien ergaben sich aus dem Niedrigwasserereignis 2018 volkswirtschaftliche Folgekosten von über zwei Milliarden Euro“.

    Die finanziellen Einbußen durch das Niedrigwasser 2022 waren nicht ganz so hoch. “Dafür hat es einen deutlich größeren Imageschaden verursacht”, sagt Lohbeck. Der Grund: Die Zuverlässigkeit des Güterverkehrs auf dem Wasser steht zunehmend infrage. “Sollten sich derartige Niedrigwassersituationen künftig häufen, wird es zu erheblichen Verwerfungen an den Märkten kommen. Kunden werden ihre Lieferketten diversifizieren und weniger Produkte aus der Rheinregion beziehen”, befürchtet Lohbeck, was schwerwiegende Folgen für Produzenten und Transporteure hätte.

    “Ohne Schiff keine Verkehrswende”

    Entsprechend alarmiert zeigt sich Oliver Krischer, grüner Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen. Er sieht die Bundesregierung in der Pflicht. Anlässlich der Unterzeichnung der fortgeschriebenen “Düsseldorfer Liste“, einem Forderungskatalog mehrerer Bundesländer mit Infrastrukturmaßnahmen für die Binnenschifffahrt, warnte er davor, das Problem zu unterschätzen. “Beinahe eine Dekade nach Verabschiedung der ursprünglichen Liste ist viel zu wenig passiert. Wir sagen: Der Rhein ist die Lebensader der deutschen Wirtschaft. Die Schiffbarkeit des Rheins ist Wohlstandserhalt und Klimaschutz zugleich. Ohne Wasser kein Schiff, ohne Schiff keine Wirtschaft, ohne Wirtschaft keine Verkehrswende.”

    Auch Fabian Spieß, Sprecher des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), richtet den Blick nach Berlin und betont gegenüber Table.Media die Bedeutung der im Bundesverkehrswegeplan 2030 verankerten Wasserstraßenprojekte. Vor allem “die Abladeoptimierung am Mittelrhein und der Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen” müssten schnellstmöglich umgesetzt werden, um Engpässe zu beseitigen und Transporte bei Niedrigwasser besser plan- und durchführbar zu machen. Darüber hinaus fordert der BDB Fahrrinnenvertiefungen an neuralgischen Stellen.

    Das sieht zwar auch der Aktionsplan “Niedrigwasser Rhein” vor, den die Bundesregierung 2019 unter dem Eindruck des extremen Niedrigwassers im Jahr 2018 ins Leben gerufen hat. Passiert ist in der Zwischenzeit jedoch nicht viel. Nun soll eine von Bundesverkehrsminister Volker Wissing eingesetzte Beschleunigungskommission aus Politik, Behörden und Wirtschaft dafür sorgen, dass die notwendigen Ressourcen gebündelt werden, um kritische Engpässe zu beseitigen. “Wir stehen vor einer immensen logistischen Herausforderung. Die zuverlässige Nutzbarkeit der Wasserstraßen hat für uns höchste Priorität”, so Wissing.

    Binnenschifffahrt stagniert

    Der Anteil der Binnenschifffahrt am Güterverkehr in Deutschland sank in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich. Er liegt nur noch bei knapp sieben Prozent. Dabei sind Teile der Industrie, der Energiewirtschaft und der Landwirtschaft auf ihre spezifischen Kapazitäten angewiesen, um beispielsweise große Mengen an Futter- und Düngemitteln, Chemikalien, Kraftstoffen, Kohle, Gas oder Öl zu transportieren. Um die Ladung eines 3.000-Tonnen-Schiffes aufzunehmen, wären 150 und mehr LKW nötig. Eine Verlagerung auf die Straße verschlechtert die Umweltbilanz.

    Denn das Binnenschiff ist ein vergleichsweise umweltfreundlicher Verkehrsträger, zumindest was die Treibhausgasemissionen angeht. Das belegen aktuelle Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA). Danach emittiert ein Binnenschiff 33 Gramm pro Tonnenkilometer. Beim LKW ist der Ausstoß mit 118 Gramm rund dreieinhalbmal so hoch. Nur die Güterbahn liegt mit 16 Gramm noch deutlich darunter. Die Binnenschifffahrt ist damit ein fester Bestandteil der angestrebten Verkehrswende. Dazu muss sie aber in die Lage versetzt werden, die zunehmenden Niedrigwasser zu bewältigen.

    Innovation soll Niedrigwasser schiffbar halten

    Neben dem Ausbau der Wasserstraßen und ihrer Infrastruktur sollen vor allem Schiffe mit geringerem Tiefgang das Problem entschärfen. Der VBW hat errechnet, dass der Um- oder Neubau von Schiffen auf Niedrigwassertauglichkeit einen zusätzlichen Spielraum von zehn bis dreißig Zentimetern bei Niedrigwasser bringen würde. Doch das ist teuer. Bei mindestens 300 solcher Schiffe, die für die Versorgungssicherheit der Schlüsselindustrien am Rhein notwendig wären, läge das Investitionsvolumen bei rund einer Milliarde Euro.

    Dafür gebe es auch Fördermittel aus dem Bundesprogramm “Nachhaltige Modernisierung von Binnenschiffen”, so VBW-Geschäftsführer Lohbeck. “Die zeitnahe Transformation der gesamten Branche oder eines großen Teils der Binnenschiffsflotte wird über dieses Programm ehrlicherweise jedoch nicht finanziert werden können.”

    BASF stellt Niedrigwasserschiff in Dienst

    Die BASF hat diesen Schritt bereits vollzogen. Seit einigen Wochen ist der auf Werften in Yangzhou (China) und Rotterdam gebaute Tanker Stolt Ludwigshafen auf dem Rhein unterwegs. “Nach dem Extrem-Niedrigwasser des Rheins im Jahr 2018 haben wir ein umfassendes Programm zur Verbesserung der Klimaresilienz des Standorts Ludwigshafen aufgelegt”, sagt BASF-Topmanager Uwe Liebelt. Das Unternehmen verfüge nun über das leistungsfähigste Niedrigwasserschiff auf dem Rhein. “So sichern wir die Versorgung unserer Kunden und Produktionsstätten.” Die Bauzeit betrug knapp zwei Jahre. Ende Mai wurde das schätzungsweise 15 Millionen Euro teure Schiff getauft.

    Mit einer Länge von 135 Metern und einer Breite von 17,5 Metern ist sie nicht nur deutlich größer als die üblichen Tankschiffe auf dem Rhein. Ein optimierter Rumpf und ein spezielles Antriebssystem ermöglichen einen sicheren Betrieb auch bei extremem Niedrigwasser. Selbst die kritische Stelle in der Nähe der rheinland-pfälzischen Stadt Kaub kann das Schiff bei einem Pegelstand von 30 Zentimetern noch mit 800 Tonnen Zuladung passieren. Bei einem Pegelstand von einem Meter können bereits 2.300 Tonnen transportiert werden. Das ist doppelt so viel wie bei einem konventionellen Binnenschiff.

    Das BASF-Werk in Ludwigshafen bezieht nach Unternehmensangaben rund 40 Prozent seiner Rohstoffe per Schiff. Unternehmen wie ThyssenKrupp oder das Spezialchemieunternehmen Covestro sind ebenfalls auf den Transport auf dem Wasserweg angewiesen. Auch sie haben angekündigt, künftig Schiffe mit geringerem Tiefgang einzusetzen, um unabhängiger von Niedrigwasser zu werden.

    • Klimaanpassung
    • Lieferketten
    • Verkehrswende

    “Die Verteilungsfrage entscheidet über den Erfolg der klimaneutralen Transformation”

    Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin.

    Wie wichtig sind die SDG zur Umsetzung der ökologischen Transformation?
    Das ist für mich der Fokus und führt zu den wichtigsten Fragen: Wie kann die Politik in einer Zeit multipler Krisen die Transformationen hin zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz meistern? Und wie können wir den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft so gestalten, dass alle Menschen mitmachen? Denn die Transformation wird scheitern, wenn sie nicht in der gesellschaftlichen Breite auf soziale Akzeptanz stößt. Darin sehe ich heute das größte Problem. 

    Das scheint selbst in Deutschland schwierig, wie die Diskussion um das sogenannte Heizungsgesetz zeigt.
    Viele Menschen hatten das Gefühl, hier wird ihnen was aufgezwungen, was sie nicht stemmen können. Also: Sie brauchen Hilfe und der Staat ignoriert das. Die entscheidende Frage ist, ob wir in den nächsten zehn Jahren die soziale Akzeptanz für einen Wandel in der Art wie wir leben und wirtschaften schaffen, innerhalb unserer Gesellschaft und auch global. Wenn wir die Ärmsten der Armen im globalen Süden vergessen, deren Lebensgrundlage durch die Klimaerwärmung, durch Dürren oder Fluten schwindet, dann wird es Kriege und Konflikte geben, Menschen werden fliehen und ihre Heimat verlassen. Chaos droht auch innerhalb unserer Gesellschaft als Folge des Klimawandels. Für mich ist die große Frage die des sozialen Friedens, der sozialen Akzeptanz, der sozialen Transformation.

    Das bedeutet, die Verteilungsfrage innergesellschaftlich und auch international mit einer ganz anderen Ernsthaftigkeit als bisher anzugehen?
    Die Verteilungsfrage entscheidet über den Erfolg der klimaneutralen Transformation – weltweit. Wir tun leider auch in Deutschland immer noch so, als würde uns der Rest der Welt nichts angehen. In der Ukrainekrise fokussieren wir uns auf die hiesige Inflation und vergessen, dass hunderte Millionen Menschen weltweit unter höheren Energiepreisen und Nahrungsmittelpreisen viel stärker leiden als fast jeder hierzulande. Wir haben uns im Klimaschutzabkommen von Paris 2015 und auch im vergangenen Jahr dazu verpflichtet, dem globalen Süden finanziell zu helfen, damit dieser die Transformation bewerkstelligt. Aber nichts passiert, gar nichts.

    Wie bewerten Sie die Ergebnisse vom Gipfel in Paris vergangene Woche?
    Es braucht ein stabiles globales Finanzsystem, das bei Problemen im Norden nicht die ärmsten Länder im Süden in Finanzkrisen treibt. Ich hoffe, dass es zu einem ultimativen Umdenken im globalen Norden kommt, denn natürlich geht es darum, dem globalen Süden zu helfen, eigene Probleme selbst zu lösen. Aber letztlich sind das Probleme, die wir im globalen Norden ausgelöst haben. Dafür müssen auch direkte finanzielle Transfers vom globalen Norden an den globalen Süden fließen, um der eigenen Verantwortung gegenüber dem Klimaschutz gerecht zu werden.

    Und wie steht es um die Verteilungsfrage in Deutschland?
    Viel zu viele Menschen denken immer noch, dass die, die wenig haben, zum Teil selbst schuld sind. Und wenn wir nur genug Wachstum schaffen, dann werde schon genug für die ärmeren Menschen abfallen und die sollen sich mal nicht so haben. Das ist arrogant, falsch, überheblich und kontraproduktiv. Diese Haltung bereitet mir größte Sorge. Als Gesellschaft müssen wir wieder eine soziale Brücke zwischen den Bevölkerungsgruppen bauen. Wir müssen die soziale Polarisierung reduzieren. 

    Haben Sie den Eindruck, dass das den Eliten in der Politik bewusst ist?
    Politik greift viel zu kurz an der Stelle. Es geht genauso um Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Die große Transformation verlangt große Veränderungen, ökologische, wirtschaftliche und soziale. Dafür sind auch Veränderungen in der Demokratie notwendig, und darauf sind wir zumindest kurzfristig nicht vorbereitet. Denn Menschen mit wenig sozialer Teilhabe und einem geringen Einkommen haben meist keine politische Stimme. Sie gehen häufig nicht wählen und es gibt auch keine Lobbyisten, die ihre Interessen vertreten. Leider erreichen oft die am meisten in der Demokratie, die am lautesten schreien und sich am meisten engagieren.

    Ein Wettbewerb in der Demokratie …
    Ja, das ist nicht schlecht, aber das macht es schwierig für die Politik, die langfristigen, schwierigen Weichen gegen das Interesse der mächtigen Lobbys zu stellen. Viele Studien zeigen, dass diejenigen mit dem meisten Vermögen die meiste Macht haben und am wenigsten durch die Klimakrise oder eine globale Transformation verlieren. Das ist der grundlegende Konflikt. Es gibt zu wenig Anreize für die Mächtigen in den Industrieländern, die Veränderung als Chance zu verstehen und sie massiv zu unterstützen. Solange das nicht gelingt, wird es schwierig sein, die Transformation voranzubringen.

    Wie könnte man einen Anreiz schaffen, damit sich dieser Zustand ändert?
    Global brauchen wir in den Demokratien eine klügere Politik, die klare Regeln setzt. Ohne Verbote funktioniert auch unser tägliches Leben nicht und klare Regeln schaffen finanzielle Anreize für Investitionen in neue Technologien und Nachhaltigkeit, und sie ermöglichen dann auch, finanzielle Transfers für Menschen mit wenig Einkommen gesetzlich zu verankern. Menschen sollten für die notwendigen Veränderungen nicht bestraft, sondern unterstützt werden. Für diese gewaltigen Aufgaben müssen die Länder viel stärker zusammenarbeiten in Europa und weltweit – kein Land kann das allein machen.

    Deutschland wirkt gerade nicht so, als ob wir das schaffen würden?
    Ja, im Augenblick habe ich das Gefühl, gerade wir in Deutschland sind noch so ein bisschen melancholisch, schauen auf die 2010er Jahre, denken, wir wollen wieder zurück in die Vergangenheit und den Status quo ante zementieren. Das wird nicht gelingen. Solange wir nicht verstehen, dass wir schnell diese Transformation bewerkstelligen müssen, auch um im globalen Wettbewerb unseren Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit wahren zu können, befürchte ich, dass wir in Deutschland einen sehr hohen Preis zahlen werden für dieses Verzögern und Verhindern, das wir im Augenblick in der deutschen Politik sehen.

    • SDG
    • Transformation

    Termine

    4.7.2023, 13:30-18:00 Uhr
    FNG-Dialog Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen Info

    4.-5.7.2023
    Kongress 4. Deutscher Holzbau-Kongress (DHK) “Bauen mit Holz im urbanen Raum” Info

    5.7.2023, 9:00-16:30 Uhr
    Jahreskonferenz des Verbunds Transformationsforschung agrar Niedersachsen: “Agrarwandel managen: Nachhaltigkeit gemeinsam umsetzen” Info

    5.7.2023, 10:00-14:30 Uhr
    Konferenz Energie-Konferenz LATAM: Energ(et)isch und nachhaltig! Info

    5.7.2023
    Sommerfest BEE-Sommerfest 2023: das Get-together der Erneuerbaren-Branche Info

    6.7.2023, 18:30-22:00 Uhr
    Konferenz Energy Sharing – Ein erfolgreiches Modell für Deutschland? Info

    6.7.2023, 15:00 Uhr
    Webinar What to Expect at the HLPF? Building Momentum towards the SDG Summit and Beyond (ISSD) Info

    10.-20.7.2023
    High Level Forum High-level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) 2023 Info

    11.7.2023, 14:00-16:00 Uhr
    Webinar RENN.mitte: Die Bauwende nachhaltig gestalten – Aktivitäten und Mitwirkungsmöglichkeiten Info

    11.7.2023, 9:30-17:00 Uhr
    Branchentag Windbranchentag Rhein/Main/Saar Info

    News

    Kritische Rohstoffe: Deutschland, Frankreich und Italien richten Arbeitsgruppe ein

    Bei einem Treffen in Berlin haben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine Amtskollegen aus Frankreich und Italien, Bruno Le Maire und Adolfo Urso, gestern eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich kritischer Rohstoffe angekündigt. Zu diesem Zweck wollen die drei Länder eine hochrangige Arbeitsgruppe einrichten, die sich zu Fragen einer nachhaltigen Rohstoffversorgung und zur Umsetzung strategischer Projekte bei der Gewinnung, Weiterverarbeitung und dem Recycling austauschen soll.

    Die Wirtschaftsminister haben gestern gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern aller drei Länder über dieses Thema gesprochen. “Wir haben diskutiert, welche Maßnahmen gemeinsam ergriffen werden müssen, um die strategischen Schlüsseltechnologien und -sektoren zu stärken“, sagte Habeck bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. “Und wie Deutschland, Frankreich und Italien die trilaterale Zusammenarbeit im Rohstoffbereich, insbesondere bei kritischen Rohstoffen, für die Industrie stärken können.”

    Abstimmungen zum Critical Raw Materials Act

    Neben den allgemeinen Rahmenbedingungen seien insbesondere die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und die Sicherstellung der Finanzierung für strategische Projekte zur Sprache gekommen. In diesen Bereichen sei eine engere Zusammenarbeit dringend notwendig. Die hochrangige Arbeitsgruppe solle deshalb eine “enge und koordinierte Abstimmung bzw. einen Gedankenaustausch” gewährleisten und die Rohstoffthemen schneller voranbringen, sagte Habeck.

    Insbesondere im Kontext der Verhandlungen zum Critical Raw Materials Act wollen sich die drei Länder eng abstimmen. Im Rat soll bis Ende Juni eine Einigung erreicht werden. leo

    • Critical Raw Materials Act
    • kritische Rohstoffe
    • Rohstoffe

    Nachhaltigkeitsrat legt Schwerpunkt auf sozialen Zusammenhalt

    Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat am Montag in Berlin sein Arbeitsprogramm bis 2026 vorgestellt. Schwerpunktthemen der nächsten drei Jahre sind Wege zu Netto-Null- Emissionen in der Klimapolitik, eine Trendwende beim Verlust der Artenvielfalt und vor allem der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Transformation.

    “Der Umbau Deutschlands in ein zukunftsfähiges Land ist wichtig und bereits in vollem Gange. Entscheidend ist aber, diese Transformations- und Strukturwandelprozesse auch sozial zu flankieren und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern”, erklärt der RNE-Vorsitzende Reiner Hoffmann anlässlich der Vorstellung des Papiers.

    Nur wenn sich alle am Wandel beteiligen und diese Zukunft mitgestalten können, wenn offen über Chancen und Risiken gesprochen wird und sich der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft fair und demokratisch gestaltet, werden wir die Transformation zum Erfolg führen können“, sagt der ehemalige DGB-Chef. Hoffmann ist seit Anfang des Jahres neuer Vorsitzender des RNE.

    Darüber hinaus will das Gremium sowohl auf EU-Ebene als auch im Rahmen des ressortübergreifenden Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung beratend tätig sein. Im Mittelpunkt stehen dabei die europäische Nachhaltigkeitspolitik sowie die Begleitung und Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.

    Der RNE mit seinen 15 Mitgliedern aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wird alle drei Jahre von der Bundesregierung berufen, ist aber in seiner Arbeit unabhängig. ch

    • Transformation

    Studie: Dem Mittelstand drohen Schwierigkeiten bei der Finanzierung durch ESG-Anforderungen

    Zusätzliche ESG-Anforderungen der EU wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mit ihren umfassenden Berichtspflichten “könnten bald auch auf KMU ausgedehnt werden”, heißt es in der Studie “Nachhaltigkeitskriterien im Mittelstand”, in der es um die Frage geht, ob aktuelle Regularien im Bereich Nachhaltigkeit zu Finanzierungsschwierigkeiten im deutschen Mittelstand führen könnten. Herausgeber ist die der CSU nahestehende Hanns-Seidel-Stiftung.

    KMU seien für 60 bis 70 Prozent der industriellen Umweltverschmutzung in Europa verantwortlich. Wenn die EU bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen kommen wolle, werde dies “ohne eine Ausdehnung auf diese Unternehmen nicht möglich” sein, schreiben die Autoren. Die drei Controlling-Experten Maximilian Blaschke und Gunter Friedl von der TU München und Markus Frank von der TUM School of Management, erwarten, dass die “unmittelbare Pflicht zur Berichterstattung” zunächst “schätzungsweise 15.000 der 3,5 Millionen KMU treffen” wird.

    Laut der Studie drohen im Bereich der Unternehmensfinanzierung mittelbar Einschränkungen, “da Banken aufgrund aktueller EU-Gesetzgebung immer stärker ESG-Informationen bei der Kreditvergabe anfragen”. KMU könnten diese Informationen jedoch häufig nicht liefern, weswegen ihnen mittelfristig schlechtere Finanzierungskonditionen drohten.

    Zusätzliches ESG-Reporting biete kurz bis mittelfristig aber auch Chancen für die KMU, heißt es. Schon die “bloße Berichterstattung” verringere bereits Informationsasymmetrien und Risiken im Verhältnis von Banken und Unternehmen, was sogar “unabhängig von der Nachhaltigkeit der KMU geringere Zinskosten” ermöglichen könnte. KMU zahlen im Schnitt höhere Zinsen als Großunternehmen. Gründe dafür seien:

    • häufig ungewisse Informationslagen, beispielsweise eine mangelnde oder fehlerhafte Kredithistorie,
    • fehlende Sicherheiten,
    • sowie eine grundsätzlich geringere Kreditwürdigkeit verglichen mit Großunternehmen.

    KMU sollten “schnellstmöglich in ein ESG-Berichtswesen investieren”, um sich auf die nahenden Regularien vorzubereiten, empfehlen die Wissenschaftler. Besonders wichtig seien hierbei Umweltthemen, auf die sowohl Banken als auch der Gesetzgeber besonders Wert legten. KMU sind in erheblichem Maße auf Bankkredite angewiesen, liegt der durchschnittliche Anteil der Fremdfinanzierung doch bei 69 Prozent und dürfte nach Ansicht von Fachleuten angesichts der Herausforderungen der Transformation weiter steigen. cd

    • Berichtspflichten
    • CSRD
    • ESG
    • KMU

    ILO stärkt Berufsausbildung und UN-Entwicklungsziele 

    Mitte Juni ist in Genf die 111. Arbeitskonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu Ende gegangen. Höhepunkt des diesjährigen Treffens war der zweitägige World of Work Summit unter dem Motto “Social Justice for All”. An der Konferenz nahmen hochrangige Vertreter der 187 ILO-Mitgliedstaaten, von UN-Organisationen sowie internationaler Finanzorganisationen teil. Deutschland war durch Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil vertreten. 

    Zentrales Thema der Konferenz war die Verabschiedung globaler Standards für eine qualitativ hochwertige Berufsbildung. Aus Sicht der ILO sind starke Berufsbildungssysteme eine wesentliche Voraussetzung für einen guten und sicheren Arbeitsplatz. Deshalb sollten “Menschen aller Altersgruppen die Möglichkeit haben, sich zu qualifizieren, umzuschulen und weiterzubilden, um den sich rasch verändernden Arbeitsmärkten gerecht zu werden”, heißt es im Beschlusstext. Die vorgelegten Empfehlungen, die sich im Wesentlichen auf die institutionellen Rahmenbedingungen der beruflichen Bildung beziehen, wurden mit großer Mehrheit angenommen. 

    Ebenfalls auf den Weg gebracht wurde die von ILO-Generalsekretär Gilbert Houngbo initiierte Global Coalition for Social Justice. “Wenn wir einen erneuerten Gesellschaftsvertrag schließen wollen, muss dieser von Solidarität, Fairness und vor allem von sozialer Gerechtigkeit getragen sein”, sagte Houngbo in seiner Eröffnungsrede. Dies müsse zur Richtschnur sowohl für die Politik als auch für das eigene Handeln werden. Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht die Unterstützung der Umsetzung der UN-Agenda 2030 mit ihren 17 Sustainable Development Goals (SDG). ch

    • Arbeit
    • Bildung
    • ILO

    Whistleblower-Schutz kommt im Juli

    Am 2. Juli tritt das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft. Dann müssen alle Unternehmen und Behörden mit mehr als 250 Mitarbeitenden eine interne Meldestelle einrichten, an die sich Beschäftigte wenden können, um auf Rechtsverstöße aufmerksam zu machen. Die Stellen sind verpflichtet, den Hinweisen nachzugehen. Ab dem 17. Dezember 2023 gilt die Regelung auch für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten.

    Damit wird die Whistleblower-Richtlinie der EU nach kontroversen Debatten auch in Deutschland in geltendes Recht umgesetzt. Eigentlich hätte dies bereits bis zum 17. Dezember 2021 geschehen müssen. Doch erst eine Einigung im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat machte den Weg schließlich frei.

    Ziel des Gesetzes ist es, dass Hinweisgeber leichter und ohne Angst vor Repressalien auf Rechts- und Regelverstöße in Unternehmen und Behörden aufmerksam machen können, sofern diese Verstöße straf- oder bußgeldbewehrt sind. Auch Hinweisen auf mangelnde Verfassungstreue von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes soll künftig nachgegangen werden, selbst wenn keine konkreten Straftaten vorliegen. Gleichzeitig regelt das Gesetz Haftungsfragen, Schadensersatz und Bußgelder bei vorsätzlich falschen Angaben. Unternehmen und Behörden, die sechs Monate nach Verkündung des Gesetzes kein Hinweisgebersystem eingerichtet haben, müssen mit Strafen bis zu 50.000 Euro rechnen. ch

    Studie: Rohstoffverbrauch mehr als halbieren, um planetare Grenzen einzuhalten

    Bis zum Jahr 2045 sollte sich der Pro-Kopf-Rohstoffverbrauch in Deutschland von ungefähr 16 Tonnen auf 7 Tonnen pro Jahr mehr als halbieren, um die planetaren Grenzen einhalten zu können – dies empfehlen der WWF Deutschland, das Öko-Institut, Fraunhofer ISI und die Forschungsgruppe Policy Assessment FU Berlin in der am Dienstag vorgestellten Studie “Modell Deutschland Circular Economy“. Der gesamte Rohstoffkonsum sollte demnach:

    • Von 1,3 Milliarden Tonnen auf ungefähr 500 Millionen Tonnen im Jahr 2045 sinken,
    • Die Verwendungsrate kreislauffähiger Materialien sollte sich bis 2030 hingegen auf 25 Prozent verdoppeln.

    Erreicht werden soll dies mit dem von den Institutionen entwickeltem Modell einer Kreislaufwirtschaft für Deutschland. Die Autoren betonten dabei die Notwendigkeit einer absoluten Reduzierung des Rohstoffverbrauchs sowie eines starken regulatorischen Rahmens.

    “Die zirkuläre Transformation könnte die Treibhausgasemissionen um bis zu 26 Prozent reduzieren und den Rohstoffkonsum um bis zu 27 Prozent bis zum Jahr 2045 senken“, sagt Siddharth Prakash, Projektleiter und Leiter Zirkuläres Wirtschaften & Globale Wertschöpfungsketten beim Öko-Institut. Klaus Jacob, Leiter der Forschungsgruppe Policy Assessment an der FU Berlin, ergänzt: “Damit die Vision, Leitprinzipien und Ziele einer Circular Economy umgesetzt werden können, braucht es Verbindlichkeit. Dafür ist eine Governance-Struktur für ein Ressourcenschutzgesetz, analog zum Klimaschutzgesetz, zentral.”

    Mit der Studie wollen die Institutionen zur Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie beitragen, die das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahres erarbeitet. Derzeit laufen zu verschiedenen Handlungsfeldern Stakeholder-Dialoge. nh

    • Circular Economy
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    • Zirkuläres Wirtschaften

    Seeleute streiken wegen schlechter Arbeitsbedingungen und niedriger Löhne

    Afrikanische Seeleute auf EU-Fangschiffen vor Westafrika und im Indischen Ozean haben Mitte Juni für mehrere Tage die Arbeit niedergelegt. Sie protestierten damit gegen schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne. Gleichzeitig warfen sie den spanischen und französischen Eignern der Trawler vor, internationale Abkommen zu brechen und die Thunfischbestände zu überfischen. 2.000 Seeleute aus dem Senegal und der Elfenbeinküste beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben an dem Streik. Betroffen waren 64 Schiffe und damit 80 Prozent der Fangflotte in der Region.

    “Wir haben den Streik einen ganzen Monat im Voraus angekündigt, um ihnen zu zeigen, wie ernst es uns ist. Aber das reichte nicht aus, um sie dazu zu bewegen, in Einklang mit internationalen Abkommen eine Einigung zu erzielen”, sagt Yoro Kane, Generalsekretär der Gewerkschaft der Fischer im Senegal (UDTS). Er verweist auf die Abkommen über den küstennahen Thunfischfang, die die EU-Kommission und mehrere Länder des globalen Südens unterzeichnet haben.

    Danach haben die Crewmitglieder mindestens Anspruch auf die von der ILO festgelegte Mindestheuer in Höhe von derzeit 658 US-Dollar pro Monat. “In Wirklichkeit wird das nicht eingehalten, manche von ihnen erhalten nur ein Drittel dieses Betrags”, so Kane. “Die EU-Kommission und die örtlichen Behörden werden uns die Frage beantworten müssen, warum wir derart massiv kämpfen müssen, um zu erhalten, was uns in den partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei bereits schwarz auf weiß zugesichert wurde?”

    Kritik kommt auch von Johnny Hansen, Vorsitzender der Sektion Fischereiwirtschaft der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF). “Es ist kaum zu fassen, dass hochprofitable Unternehmen, die von äußerst vorteilhaften Fischereiabkommen profitieren, es für akzeptabel halten, die eindeutige Regelung zur Mindestheuer für Vollmatrosen einfach zu ignorieren“, kritisiert Hansen.

    Opagac, eine spanische Lobbyorganisation, der mehrere betroffene Fischereiunternehmen angehören, wies die Vorwürfe zurück. Gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian hieß es, die Unternehmen hielten sich “strikt an die nationalen und internationalen Rechtsvorschriften”. Die Seeleute verdienten sogar mehr als die von der ILO festgelegte Mindestheuer. ch

    • Arbeitnehmerrechte
    • Fischerei
    • ILO
    • Nachhaltigkeit

    Rechnungshof sieht EU-Klimaziele in Gefahr

    Der Europäische Rechnungshof hat dem Kampf gegen den Klimawandel in der EU deutliche Mängel bescheinigt – und sieht wenig Aussicht auf Besserung. Es sei zu bezweifeln, dass die EU ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 wie angestrebt um 55 Prozent gegenüber 1990 senken könne, hieß es in einem am Montag veröffentlichten Sonderbericht des Rechnungshofs. Besonders besorgniserregend sei, dass es keine Anzeichen für eine ausreichende Finanzierung gebe, um die Ziele zu erreichen.

    Nach Angaben des Rechnungshofs machen die jährlichen Ausgaben aus dem EU-Haushalt im Zeitraum von 2021 bis 2027 weniger als 10 Prozent der geschätzten Gesamtinvestitionen aus, die erforderlich sind, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Die Investitionen müssten daher zu einem großen Teil aus nationalen und privaten Mitteln finanziert werden.

    Was die Reduktion von Emissionen angeht, wird Deutschland in dem Bericht als schlechtes Beispiel genannt. Demnach gehört die Bundesrepublik gemeinsam mit Irland und Malta zu den Staaten, die ihre Treibhausgasziele für 2020 nicht eigenständig erreichen konnten. Sie erwarben demnach im Zeitraum von 2013 bis 2020 17 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent an Zuweisungen für Treibhausgasemissionen von anderen Mitgliedstaaten, die ihre Ziele übertroffen hatten. dpa

    • EU
    • Klimapolitik

    Erste Wasserstoffproduktion auf hoher See

    Das französische Unternehmen Lhyfe hat seine Offshore-Pilotanlage für die Wasserstoffproduktion Seahyfe über eine Strecke von 20 Kilometern mit einem Energiezentrum auf dem Festland angeschlossen. Laut Unternehmen produziert die Anlage erste kleine Mengen von Wasserstoff. Die Firma will die technische Machbarkeit solcher Anlagen nachweisen und Erfahrungen sammeln. Aus diesem Grund teste es die realen Bedingungen auf einer schwimmenden Plattform, heißt es.

    Die Anlage ist mit einem Testzentrum in Nantes verbunden, das von der Stiftung OPEN-C betrieben wird – sie vereint alle französischen Offshore-Testressourcen für schwimmende Offshore-Windenergie, Gezeiten- und Wellenenergie, Offshore-Wasserstoff sowie schwimmende Photovoltaik.

    Die Pilotanlage ist 200 Quadratmeter groß und kann bis zu 400 Kilogramm Wasserstoff täglich herstellen. Künftig will die Firma Wasserstoff auf hoher See im industriellen Maßstab produzieren. Ein entsprechendes Projekt fördere die EU-Kommission im Rahmen der Europäischen Partnerschaft für sauberen Wasserstoff mit 20 Millionen Euro, gab die Firma am Dienstag bekannt. Das Projekt mit zehn Megawatt soll nach Fertigstellung täglich vier Tonnen grünen Wasserstoff produzieren.

    Die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, dass innerhalb der Gemeinschaft bis 2030 zehn Millionen Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden. Lhyfe ist in elf europäischen Ländern vertreten und hatte Ende 2022 149 Mitarbeitende. cd

    • Energiewende

    Presseschau

    Tropical forests shrunk by 10 % in 2022 – Financial Times
    Der jährliche Rückgang der tropischen Primärwälder habe sich 2022 beschleunigt, obwohl sich 145 Länder im Jahr zuvor verpflichtet hätten, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen, schreiben die Autoren Camilla Hodgson, Steven Bernard und Bryan Harris, mit Bezug auf einen am Dienstag veröffentlichten Bericht der University of Maryland und des World Resources Institute’s Global Forest Watch. Zum Artikel

    Uganda shows LGBT+ people face growing danger globally – Financial Times
    Die Gesetzgebung in Uganda sei kein Einzelfall, sondern findet ihr Echo in homosexuellenfeindlichen Maßnahmen und Rhetorik in den USA und der Türkei, schreibt Josh Spero. Zum Artikel

    Die Ineffizienz des Wachstums bei der Armutsbekämpfung – Makronom
    Arthur Zito Guerriero beschäftigt sich in der Serie Ungleichheit und Macht mit den Faktoren, die zu einem Rückgang der Armut seit der Jahrtausendwende geführt haben. Gelungen sei dies nur dank hoher Wachstumsraten und großer Umweltbelastungen. Zudem hätten die Armen nur in geringem Umfang von der zusätzlichen Wertschöpfung profitiert. Zum Artikel

    Tesla May Have Already Won the Charging Wars – The New York Times
    Vereinbarungen mit den Konkurrenten Ford und GM werden Autofahrern die Suche nach einer Ladestation erleichtern, schreibt Jack Ewing. Dadurch könnte Elon Musk Kontrolle über wichtige Infrastrukturen gewinnen. Zum Artikel

    Amid the battle of Xi Jinping and Joe Biden, a new global order struggles to take shape – The Guardian
    Mit der künftigen globalen Ordnung beschäftigt sich Simon Tisdall. Die Dynamik verschiebe sich. Mittelgroße Länder forderten ein größeres Mitspracherecht in globalen Angelegenheiten, einige von ihnen hätten entsprechende Druckmittel. Auch die schwächeren Länder meldeten sich zu Wort, wenn es um existenzielle Fragen wie Klima gehe. Ihnen laufe die Zeit weg, sagen sie und hätten damit recht, schreibt der Autor. Zum Artikel

    Paris climate finance summit fails to deliver debt forgiveness plan – The Guardian
    Den ärmeren Ländern, die in einem zunehmenden Ausmaß mit der Schuldenkrise kämpfen, sei in Paris ein Rettungsanker zugeworfen worden, doch die Pläne blieben hinter dem zurück, was manche erwartet hätten, schreibt Fiona Harvey mit Blick auf den Finanzgipfel in Paris. Zum Artikel

    Wie gelingt die Wärmewende – und wer trägt die Kosten? – Der Spiegel
    Aufhänger des Artikels ist eine neue Studie des Potsdam-Instituts, des Wissenschaftlers Ottmar Edenhofer und anderen. Sie hätten berechnet, wie sinnvoll ein höherer CO₂-Preis und wie viel teurer er für Mieter und Eigentümer wäre. Mit überraschenden Ergebnissen: Gemessen an dem Anteil der CO₂-Kosten an den Gesamtausgaben eines Haushalts, würden etwa Immobilieneigentümer mit unterdurchschnittlichem Verdienst fast viermal so stark belastet wie Mieter derselben Einkommensgruppe. Zusätzlich zum Klimageld solle die Regierung einen Teil der Hilfen an die CO₂-Emissionen pro Quadratmeter koppeln, raten die Experten. Zum Artikel

    “Wir haben in Deutschland viel zu verlieren” – Der Spiegel
    Ifo-Ökonom Andreas Peichl spricht unter anderem über die Abstiegsängste der Deutschen und fehlgeleitete Subventionen für die Transformation, beispielsweise mit Blick auf die Autobauer in Deutschland. Man müsse sich fragen, ob das Geld nicht eher bei den Aktionären lande. Ihm erscheint “die Höhe der Subventionen für eine bestimmte Branche eher mit der Zahl der Lobbyisten in Berlin zu korrelieren”. Das sei für eine Demokratie gefährlich. Zum Artikel

    Intel-Subventionen: Deutschland haut die Milliarden raus – Süddeutsche Zeitung
    Die Milliarden für Intel verschöben gerade die Maßstäbe, schreiben Capar Busse, Alexander Hagelüken und Claus Hulverscheid. Wie sehr zeige der Subenventionsbericht 2022. Demnach flossen in dem Jahr knapp 21 Milliarden Euro an die gesamte Wirtschaft – “also gerade einmal das Doppelte dessen, was nun ein einziges Unternehmen erhalten soll”. Zum Artikel

    Standpunkt

    Nach dem Pariser Gipfel: Eine globale Finanzarchitektur, die für Afrika funktioniert

    Von Mavis Owusu-Gyamfi
    Mavis Owusu-Gyamfi: In Paris wurde der Tisch für Afrika gedeckt, und wir haben uns laut und deutlich Gehör verschafft. Lassen Sie uns diese Energie beibehalten.

    Der Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt in Paris ist zu Ende gegangen. Wir sind zwar noch lange nicht da, wo wir sein müssen, um die globale Finanzarchitektur für Afrika heute fit zu machen. Aber einige der in den vergangenen Tagen unternommenen Schritte und eingegangenen Verpflichtungen ermutigen mich

    Lassen Sie mich vier Beispiele nennen.

    1. Eine starke Koalition für eine Reform

    Erstens sahen wir eine Koalition starker Stimmen, die sich einig waren, dass die derzeitige internationale Finanzarchitektur für die Welt, in der wir jetzt leben, nicht funktioniert – vor allem nicht in sich überschneidenden Krisen -, und dass wir dringend Lösungen brauchen. Diese Stimmen kamen nicht nur aus dem globalen Süden oder dem globalen Norden, sondern von überall her, auch aus den multilateralen Entwicklungsbanken, von Philanthropen und aus der Zivilgesellschaft.

    2. Die gemeinsame Stimme Afrikas

    Zweitens sprachen die afrikanischen Staats- und Regierungschefs mit einer Stimme. Während des vergangenen Jahres waren wir noch besorgt darüber, dass die afrikanischen Staats- und Regierungschefs keine gemeinsame Position hatten. Das hat dazu geführt, dass es an einer starken afrikanischen Stimme fehlt, wenn es darum geht, wie wir mit Herausforderungen wie der Klimafinanzierung, einem Schuldenerlass, Handel, Sicherheit und mehr umgehen. Aber in Paris haben wir von unseren Staats- und Regierungschefs sehr klare Forderungen gehört:

    • eine Umschuldung, die den Krisenländern mehr Spielraum und Liquidität verschafft;
    • eine echte Lösung für die drohende Verschlechterung der konzessionären Finanzierung durch die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA), die voraussichtlich 2024 eintreten wird;
    • eine Klimafinanzierung, die frühere Versprechen einlöst und neue Möglichkeiten für grüne Investitionen in Afrika schafft;
    • einen Übergang vom Reden zum Handeln; und
    • einen gleichberechtigten Platz am Tisch.

    3. Alle Probleme zugleich angehen

    Drittens scheint der Pariser Gipfel endlich jeden wirklichen oder vermeintlichen Zielkonflikt zwischen den Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen, der Bridgetown-Agenda und der afrikanischen Agenda, von Klimafinanzierung versus Entwicklungsfinanzierung ad acta gelegt zu haben. In diesen beiden Tagen wurde mehr als deutlich, dass eine Finanzierungsarchitektur, die wirklich für die heutige Welt geeignet ist, all diese Probleme zugleich angehen muss. Für echte Fortschritte müssen diese Dinge Hand in Hand bearbeitet werden.

    4. Lang erwartete Ankündigungen und Maßnahmen

    Und schließlich war es großartig, mehrere lang erwartete Ankündigungen und Maßnahmen zu sehen, die auf die Diskussionen während der Frühjahrstagung von Weltbank und IWF im April folgten:

    • Die Schuldenpause der Weltbank für Länder, die von Naturkatastrophen heimgesucht wurden,
    • Sambias Umschuldung,
    • eine Partnerschaft für eine gerechte Energiewende im Senegal,
    • eine starke Forderung nach einem Sitz der Afrikanischen Union bei der G20 und
    • positive Fortschritte bei der Erreichung der erforderlichen 100-Milliarden-Dollar-Zusagen für das Recycling der Sonderziehungsrechte, das den afrikanischen Ländern, die mit wirtschaftlichen Schocks, Klimakrisen und Finanzierungsengpässen konfrontiert sind, die dringend benötigte Liquidität zur Verfügung stellen würde.

    Künftige Schlüsselmomente

    Das ist ein guter Anfang, aber nicht ausreichend. Wir haben in den kommenden Monaten einen langen Weg vor uns, um diese Dynamik aufrechtzuerhalten. Der Pariser Gipfel hat einen Fahrplan für Maßnahmen bis 2024 veröffentlicht, in dem Schlüsselmomente für die Umsetzung der auf diesem Gipfel und in früheren Tagungen gemachten Versprechen aufgeführt sind.

    Für mich und meine Kolleginnen und Kollegen vom African Center for Economic Transformation gibt es zwei sehr wichtige Dinge, auf die wir uns auf dem Weg zum Afrika-Klimagipfel in Nairobi, dem Weltbank-IWF-Treffen in Marrakesch, der COP28 in Dubai und darüber hinaus konzentrieren sollten.

    Die Position Afrikas weiter stärken

    Wir werden weiterhin eine starke Koalition afrikanischer Staats- und Regierungschefs und Organisationen aufbauen, die sich für konkrete Veränderungen im globalen Finanzsystem einsetzen. Auf Ersuchen der Finanzminister entwickeln wir eine Erklärung von Marrakesch, die im Oktober verabschiedet werden soll und die Position Afrikas festschreibt und darlegt, was erforderlich ist, um diese Agenda Wirklichkeit werden zu lassen – mit der Unterstützung eines breiten Spektrums von Zivilgesellschaft, Think Tanks und Regierungspartnern auf dem gesamten Kontinent und weltweit.

    Gleichberechtigung für Afrika

    Gleichzeitig werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass Afrika eine gleichberechtigte Stimme und eine gleichberechtigte Teilnahme an globalen Foren und globalen Institutionen hat, in denen Entscheidungen getroffen werden, die Afrikanerinnen und Afrikaner betreffen. Ein guter Anfang wird der Sitz der AU auf dem G20-Gipfel sein – wir hoffen, dass er im kommenden Jahr Wirklichkeit werden wird, nachdem Indiens Premierminister Modi ermutigende Maßnahmen ergriffen hat. Aber dies muss sich auch auf die Weltbank, den IWF und andere globale Institutionen ausweiten, in denen Afrikas Stimme allzu oft von größeren Aktionären übertönt wird.

    Wir müssen uns von einer Situation verabschieden, in der wir, wann immer Afrika eine Idee hat, eine umständliche und teure Advocacy-Kampagne starten müssen, anstatt uns mit anderen Ländern zusammenzusetzen und einfach unsere Bedürfnisse darzulegen. In Paris wurde der Tisch für Afrika gedeckt, und wir haben uns laut und deutlich Gehör verschafft. Lassen Sie uns diese Energie beibehalten, bis wir eine globale Finanzarchitektur erreicht haben, die allen Afrikanern zugutekommt.

    Mavis Owusu-Gyamfi ist die Exekutiv-Vizepräsidentin des Afrikanischen Zentrums für wirtschaftliche Transformation (ACET).

    • Afrika
    • Transformation

    Heads

    Diana Nabiruma gibt ugandischen Communities eine Stimme

    Diana Nabiruma setzt sich in Uganda für eine saubere Energieversorgung ein.

    Diana Nabiruma kommt zum Gespräch in die Redaktion von Table.Media – nach einem Treffen mit Jennifer Morgan, der Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, und vor einem Austausch mit Bundestagsabgeordneten. Sie ist zwei Tage in Berlin, um ihre Sicht auf Energieprojekte in Afrika zu schildern.

    Jennifer Morgan habe sie gesagt, es sei falsch, dass afrikanische Staaten Öl- und Gasvorkommen erschließen müssten, um sich zu entwickeln. Dieses Argument verbreite die Fossilindustrie – durch afrikanische Regierungen, die “manchmal nicht nach den Bedürfnissen der Menschen fragen, sondern nach dem Nutzen für sich selbst”. Es ist ein altes Muster, dass die Interessen der Eliten in Afrika häufig eher mit denen der Eliten im globalen Norden übereinstimmen als mit denen der eigenen Bevölkerung.

    AFIEGO klagte wegen Sorgfaltspflichten gegen TotalEnergies

    Die 37-jährige Sprecherin des African Institute for Energy Governance (AFIEGO), nimmt für sich in Anspruch, mit ihrer Sichtweise die Interessen weiter Teile der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen. Die ugandische NGO setzt sich für saubere Energie, Umweltschutz und Menschenrechte ein. Bekannter wurde sie hierzulande, weil sie mit den französischen NGO Amis de la Terre sowie Survie und drei ugandischen Organisationen gegen den französischen Energiekonzern TotalEnergies geklagt hatte. Dieser ist Teil eines Konsortiums, das am Albertsee im Westen des ostafrikanischen Landes, Öl fördern und es über die längste beheizte Öl-Pipeline der Welt an die Küste des Indischen Ozeans im angrenzenden Tansania pumpen will. Das Fördergebiet, das TotalEnergies betreibt, liegt zum Teil im artenreichen Nationalpark Murchison Falls, wo Antilopen, Elefanten und hunderte Vogelarten leben.

    Mit der Klage wollten die NGO erreichen, dass das Projekt gestoppt wird, bis TotalEnergies die Sorgfaltspflichten erfüllt, die sich aus ihrer Sicht aus dem französischen Lieferkettengesetz (Loi de vigilance) ergeben. Konkret ging es darum, dass der Konzern die Folgen für das Ökosystem stärker berücksichtigen und den Menschen, die für das Projekt umsiedeln mussten, angemessen entschädigt. Das zuständige Gericht lehnte die Klage aus formalen Gründen ab.

    Europäische Regeln zu Sorgfaltspflichten können Betroffenen in Afrika helfen

    Auf die Frage, wie die Aktivistin den Ausgang des Verfahrens bewertet, antwortet sie: “Wichtig ist, was die betroffenen Communities denken, weil es um ihre Lebensgrundlage geht, die durch das Projekt gefährdet ist.” Nabiruma erzählt von Betroffenen, die nicht verstehen, dass das Gericht die Klage aus formalen Gründen ablehnte, obwohl es doch derart wichtig sei, Umwelt und Menschen zu schützen. Doch im eigenen Land gebe es kaum Wege, multinationale Konzerne zur Verantwortung zu ziehen.

    Europäische Regulierung zu Sorgfaltspflichten schüfe zumindest die Möglichkeit dazu. “Aber dann müssen die Gesetze auch stark sein und Betroffene ihre Rechte leicht durchsetzen können”, sagt die Aktivistin. Sie vergleicht den Kampf gegen große Konzerne wie TotalEnergies, mit dem des Davids gegen Goliath. Sie hofft, dass Gott den Betroffenen in diesem Fall ebenso hilft, wie er David geholfen hat – ein Hinweis darauf, dass eben vieles nicht unter der eigenen Kontrolle liegt, egal wie sehr man sich engagiert.

    “Es kann Menschen nur gut gehen, wenn sie im Einklang mit der Natur leben”

    Wie lebenswert eine saubere Umwelt ist, hat die aus der Hauptstadt Ugandas, Kampala, stammende Nabiruma selbst erfahren. Mit sieben Jahren zog sie aufs Land, um dort ein Internat zu besuchen. Anders als in der Millionenstadt war dort das Wasser sauber und die Luft rein. Als sie elf Jahre später nach Kampala zurückkehrte, habe sie die von Verbrenner-Autos verseuchte Luft als noch schmutziger erlebt als früher, sagt die Aktivistin. Sie bekam dann allergisches Asthma.

    Nach einem Kommunikations- und Journalismus-Studium arbeitete Nabiruma sechs Jahre als Journalistin für die privatwirtschaftlich geführte ugandische Zeitung The Observer, berichtete über Umweltpolitik. In der Zeit habe sie gelernt, “dass es Menschen nur gut gehen kann, wenn sie in Einklang mit der Natur leben“. Ohnehin spiele eigenes Land eine wichtige Rolle für die Menschen in Uganda, wo 70 Prozent von Landwirtschaft leben, die meisten als Kleinbäuerinnen und -bauern. Obwohl Uganda nach konventionellen Maßstäben zu den ärmsten Staaten der Welt gehört, seien viele Menschen glücklich und großzügig, weil die Natur ihnen ermögliche, ihr Land ertragreich zu bewirtschaften, sagt die Aktivistin. Wer selbst genug zu essen hat und das wertschätzen kann, ist also zufriedener und eher bereit zu teilen.

    Aktivisten in Uganda arbeiten unter schwierigen Bedingungen

    Doch der Kampf gegen die Zerstörung der Natur ist mühsam – nicht nur, weil multinationale Konzerne großen politischen Einfluss haben, sondern auch, weil Umweltaktivisten in Uganda unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Im Zeitraum von September 2020 bis Oktober 2021 sind acht Mitarbeitende von AFIEGO verhaftet worden – insgesamt arbeiten 14 Menschen für die NGO.

    “Wir arbeiten in Angst, aber es ist Arbeit, die erledigt werden muss, weil wir zu den Wenigen gehören, die sich noch für die Communities einsetzen”, sagt Nabiruma. Kraft dafür gebe ihr der Austausch mit den Menschen, der ihr immer wieder zeige, dass es nötig sei, sich für sie zu engagieren – und die Überzeugung, dass es einen Unterschied machen könne, wenn man mit einer gemeinsamen Stimme spricht. Nicolas Heronymus

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    ESG.Table Redaktion

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