Table.Briefing: ESG

UBA-Chef fordert Whatever it takes + Klimaschutzverträge + Interview: ILO-Deutschlandchefin zu Lieferketten

Liebe Leserin, lieber Leser,

gestern wurde der Kachowka-Damm im Südosten der Ukraine gesprengt, wahrscheinlich von der russischen Armee. Dass jetzt im nahen Atomkraftwerk Saporischschja ein Unfall droht, scheint sie in Kauf zu nehmen. Meine Kollegen Viktor Funk vom Security.Table und Bernhard Pötter vom Climate.Table haben deshalb aufgeschrieben, was bei einer Katastrophe drohen würde. Zur Analyse.

Wie es in Deutschland um die gesellschaftliche Auseinandersetzung steht, die wir angesichts der großen Transformation führen, haben wir uns von Dirk Messner erklären lassen, dem Chef des Umweltbundesamts. Spoiler: nicht gut. Er mahnt zu gemeinsamer Anstrengung und mehr Redlichkeit.

Wie es anders gehen könnte, zeigt das Beispiel Orsted. Der dänische Energieversorger setzte vor nicht allzu langer Zeit noch auf fossile Brennstoffe – und vollzog dann eine Kehrtwende. Nicht ohne Widerstände und trotzdem zügig. Christina Keppel berichtet.

Und: Auch Mittelständler müssen ihre Lieferketten sauber halten – fürchten aber, mit dieser Aufgabe überfordert zu sein. Im Interview mit Caspar Dohmen bietet die Direktorin des deutschen ILO-Büros deshalb Hilfe an.

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Ihr
Marc Winkelmann
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Analyse

UBA-Chef Messner: “Wir brauchen einen Whatever-it-takes-Moment”

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes in Dessau.

Für Kontroversen hat Dirk Messner Verständnis. Wenn eine gesamte Wirtschaft mitsamt ihrer wichtigsten Sektoren wie dem Automobilbau, der Chemieindustrie und dem Gebäudesektor tiefgreifend umgebaut werden muss, könne das nicht stillschweigend verlaufen. “Da geht es um technologische Veränderungspfade, um Kosten und deren Verteilung, aber auch um die Verteidigung von Vergangenheitsinteressen – ‘rettet den Verbrennermotor’ ist ein Beispiel; wir hatten den Streit um das Ende der Kohlekraftwerke. Es wäre irritierend, wenn das in einer Demokratie nicht debattiert würde”, sagt Messner. Zugleich fordert er aber auch: “Wir brauchen Redlichkeit in der Diskussion.” Kritiker, die Instrumente oder neue Technologien ablehnen würden, müssten Alternativen aufzeigen – die mit wissenschaftlichen Erkenntnissen im Einklang stünden. “Wunschdenken hilft da nicht weiter. Fusionsreaktoren etwa werden wir in den nächsten Jahrzehnten nicht sehen.”

Bisher keine gezielten Angriffe auf die Wissenschaft

Darauf angesprochen, wie man als Wissenschaftler damit umgehe, dass in der politischen Debatte Lösungen propagiert werden, die den Fakten widersprechen, gibt sich Messner zurückhaltend. “Wir haben als UBA nicht die Aufgabe, die politischen Parteien jeden Tag einem Reality Check auszusetzen”. Man weise lediglich aus der wissenschaftlichen Perspektive des UBA auf die Problemlage hin und gebe Hinweise, wie Lösungen aussehen könnten. Kritik nehme man sehr ernst. Jüngste Vorwürfe der FDP, dass eine Studie zur Klimawirkung eines Tempolimits des UBA im Auftrag der Grünen erfolgt sei, weist Messner im Gespräch entschieden zurück.

Trotz weiterer Versuche, die Studien von UBA, dem Öko-Institut und den Thinktanks Agora Energiewende und Agora Verkehrswende in eine parteipolitische Ecke zu drängen, will Messner bislang keine gezielten Angriffe auf die Wissenschaft als politische Strategie erkennen – zumindest nicht aus dem Spektrum der demokratischen Parteien. Er sehe nicht, dass Zweifel aktiv gesät würden, sagte Messner. “Ich glaube, das wird sich wieder beruhigen. Diese Institutionen wurden ja auch in 16 Jahren Merkel-Regierung immer wieder wegen ihrer ausgewiesenen Expertise nachgefragt.” 

Die Notwendigkeit der Transformation dürfe nicht infrage gestellt werden

Für den effektiven Kampf gegen die Klimakrise fordert der UBA-Chef einen “What-ever-it-takes-Moment”. Messner wünscht sich dazu von den Parteien im Kampf gegen den Klimawandel ein Zeichen der Geschlossenheit. Dafür brauche es einen Moment, “in dem sich die politisch Verantwortlichen – ähnlich wie in der Finanzkrise – lagerübergreifend zusammenstellen”, so Messner gegenüber Table.Media. Sie sollten deutlich machen, dass die Notwendigkeit der Transformation von keiner demokratischen Partei infrage gestellt werde. 

Im Jahr 2021 sei er zuversichtlich gewesen, dass ein solcher Moment kurz bevorstünde. “Im Koalitionsvertrag wurde vieles zum Regierungsprogramm, was wir bereits 2011 in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen zur ,Großen Transformation’ vorgeschlagen hatten”. Gleichzeitig sei auf EU-Ebene der European Green Deal verabschiedet worden, in den USA gab es den Machtwechsel zu Biden und auf der Straße demonstrierte Fridays for Future. Sogar der BDI habe in einer eigenen Studie gezeigt, dass Klimaneutralität bis 2045 funktionieren kann. “Da hatte ich einen echten Glücksmoment.” Inzwischen sei vom “Geist des Konsenses” nicht mehr viel zu spüren. 

Das Gespräch führten Bernhard Pötter und Malte Kreutzfeldt. Das ausführliche Interview lesen Sie hier.

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Offshore-Wind: Durch die Krise zum Vorreiter

Orsted errichtet Offshore-Windanlagen.

Vor 15 Jahren war Orsted ein mittelgroßer Versorger, wie viele andere auch. Er produzierte 85 Prozent seines Stroms aus fossilen Rohstoffen, nur 15 Prozent kamen aus erneuerbaren Quellen. Dann aber begann das Unternehmen, einen bemerkenswerten Turnaround einzuleiten. Das Management beschloss: Spätestens im Jahr 2040 sollte die Energie, die Orsted erzeugte, zu 85 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen. Bereits jetzt lässt sich sagen: Das haben die Dänen geschafft – und sogar übererfüllt. 2022 kamen 91 Prozent aus erneuerbaren Quellen, 2025 wird das Unternehmen nach eigener Aussage vollständig CO₂-neutral produzieren.

Der ausschlaggebende Moment: Im Jahr 2008 sollte in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern ein Steinkohlekraftwerk entstehen, Kostenpunkt: zwei Milliarden Euro. Orsted – damals hieß das Unternehmen Dong Energy – war als Projektentwickler an Bord. Doch vor Baubeginn formierte sich Widerstand gegen die Pläne und gegen ein weiteres geplantes Kraftwerk in Emden. Die Dänen stiegen aus – und setzten ab 2009 alles auf eine Karte: Offshore-Wind. Eine riesige Herausforderung, denn Offshore war technologisch nicht entwickelt, der politische Wille fehlte und hohe Anfangsinvestitionen fielen an. Und damals wie heute gilt: Die Erzeugung ist zwar klimafreundlich, belastet aber Ökosysteme.

Lieber früh investieren, als Marktanteile zu verlieren

Im Orsted-Management gab es nach dem Debakel in Lubmin Diskussionen um einen Kurswechsel und Zweifel, das bekannte Terrain sowie langjährige Geschäftspartner zu verlassen. “Wir haben uns gefragt: Ist es noch ein nachhaltiges Geschäftsmodell, Milliarden-Summen in Projekte zu investieren, bei denen immer mehr Menschen offen dagegen sind?” So beschrieb Malte Hippe, Geschäftsführer bei Orsted Deutschland, die Gemütslage gegenüber dem NDR.

Doch schließlich gewann die Überzeugung: Besser jetzt die Segel selbst setzen, als in ein paar Jahren vom Markt vertrieben zu werden. Die Analyse im Unternehmen zeigte: Künftig hätte man lediglich in einem Geschäftsbereich einen technologischen Wettbewerbsvorteil und die Chance auf ein skalierbares Geschäftsmodell: “Und das war bei der Offshore-Windkraft”, sagt Marianne Wiinholt, die während der Transformation und bis zum Jahr 2022 Chief Financial Officer bei Orsted war.

Die Wende hat gekostet: Milliarden-Investitionen flossen in die ersten Windparks im industriellen Maßstab, zwischen 2012 und 2016 schrieb das Unternehmen hohe Verluste. “Aber sobald die Entscheidung getroffen ist, ist es wichtig, sie wirklich radikal umzusetzen und auch Entscheidungen zu treffen, die kurzfristig wehtun“, sagt Hippe.

Orsted hat die Expertise aus dem fossilen Geschäft genutzt

Inzwischen ist Orsted vom mittelgroßen fossilen Unternehmen zum Marktführer für Offshore-Windenergie geworden. Heute ist ein Drittel der weltweit installierten Offshore-Kapazität – außerhalb Chinas – das Werk von Orsted. Ende 2022 hatte das Unternehmen 8,9 Gigawatt (GW) Offshore-Windkapazität installiert, 2,2 GW im Bau und weitere Projekte mit einer Kapazität von 11,2 GW in der Pipeline. Zum Vergleich: Im Juni 2021 waren laut Deutschem Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) weltweit insgesamt 40,6 GW Offshore-Windkapazität installiert. Außerdem bauen die Dänen auch die Solarenergie aus und konnten 2022 eine installierte Photovoltaik-Kapazität von 4,2 GW sowie 2,1 GW in Vorbereitung vorweisen.

Das Unternehmen setzt globale Maßstäbe für die Branche, sagt Benedict Preu, der beim Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme die Abteilung Baugrunderkundung leitet: “Orsted ist dafür bekannt, Schlüsseltechnologien früh zu erkennen und einzusetzen und bei deren Entwicklung mitzuwirken.” Wenn die Dänen eine Technologie einsetzten, sende dies ein Signal in den Markt. Ebenso, wenn Orsted eine Technologie ablehne – diese sei dann kaum mehr am Markt zu etablieren.

Das gelte auch für den Umweltschutz. So hat Orsted etwa “Suction Buckets” entwickelt, die dazu dienen, Windräder am Meeresboden durch eine Ansaugtechnik zu montieren. Bohrungen werden so überflüssig, es entsteht weniger Lärm unter Wasser. Das Unternehmen sei insbesondere in der Transformationsphase schlau vorgegangen, sagt Preu: “Orsted hat das vorhandene Wissen aus der Erdölindustrie mitgenommen, verfeinert und auf erneuerbare Energien angewandt.” Dazu gehörten etwa Analysetechniken von Meereshabitaten und die Frage, wie man Eingriffe in die Ökosysteme unter Wasser möglichst schonend durchführen kann. “Präzisere Verfahren, die mit weniger Materialaufwand und Wartung auskommen, können die negativen Einflüsse von Offshore-Anlagen auf die Umwelt reduzieren.” So werde weniger schwerer Stahl auf See verbaut und es falle weniger Schiffsverkehr an.

“Umweltschutz bedeutet auch Planungssicherheit für Unternehmen”

Der Umweltschutz ist relevant für die nachhaltige Weiterentwicklung der Offshore-Energie. Windparks sind riesige Industrieanlagen auf dem Meer und damit “massive Eingriffe in die Natur“, sagt Dominik Auch, Referent für Marine Raumordnung und Offshore-Windenergie des NABU. Kollisionsrisiken für wandernde Vögel und Fledermäuse sowie der Habitatverlust während Bau und Betrieb für Schweinswale und manche Seevögel sind einige der ökologischen Folgen.

Bislang gehen politische Ausbauziele mit geringen oder gar keinen Umweltschutzauflagen einher. In vielen Ländern, auch in Deutschland, ist keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben, wenn Unternehmen neue Gebiete für Windparks erschließen.

Das ist allerdings gar nicht unbedingt im Interesse der Offshore-Branche. Einige Unternehmen beabsichtigen daher, freiwillige Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen. “Das ist ein wichtiges Zeichen für den Naturschutz, und für die Unternehmen bedeutet es auch Planungssicherheit“, sagt Auch. Vollständig vermeiden könne man Naturschäden nicht, aber: “Wichtig ist, dass effektive Schutzmaßnahmen gefunden und gefördert werden, die den störungsempfindlichen Arten zugutekommen”, so Auch. Er hofft, dass diese Erkenntnisse später Eingang in den Gesetzgebungsprozess finden. 

In einer grünen Zukunft sieht Fraunhofer-Wissenschaftler Benedict Preu die Rolle von Firmen wie Orsted so: “Die Offshore-Unternehmen, die ihre Arbeit heute mit einem hohen Anspruch an den Umweltschutz verbinden, müssen sich in der Hinsicht treu bleiben.” Um dann weiter hohe technologische und Umweltschutz-Standards zu setzen: mit Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft – und der Politik. Christina Keppel

  • Erneuerbare Energien
  • Windkraft

Lieferketten: Wie die Arbeitsorganisation Mittelständlern helfen kann

Annette Niederfranke, Deutschlandchefin der ILO
Annette Niederfranke, Deutschlandchefin der ILO.

Frau Niederfranke, was halten Sie von dem Votum des EU-Parlaments vergangene Woche für die Richtlinie für Sorgfaltspflichten in Lieferketten?
Das ist ein gutes Signal. Aber damit ist längst nicht allen geholfen. Denn ein Großteil der Menschen im globalen Süden ist gar nicht in Lieferketten des globalen Nordens eingebunden, sondern arbeitet in regionalen oder Süd-Süd-Lieferketten. Dennoch: Mit der geplanten Richtlinie würde Europa einen wichtigen Pflock einschlagen.

In den Lieferkettengesetzen sind die ILO-Kernarbeitsnormen ein zentraler Bezugspunkt – stärkt das deren Umsetzung?
Davon gehe ich aus, weil die Unternehmen nun systematisch entlang dieser Normen eine Risikoanalyse durchführen müssen anhand von Indikatoren. Wie messe ich die Risiken? Was sind etwa die Indikatoren für Kinderarbeit? Zentral ist, dass die Risikobeurteilung und -prävention staatlicherseits kontrolliert werden, ebenfalls ausgehend von den ILO-Kernarbeitsnormen. Das wird einen erheblichen Schub für die Einhaltung der Kernarbeitsnormen geben. Die Staaten müssen nationale Überprüfungsmechanismen aufbauen, ungeachtet der bestehenden Überwachungsmechanismen der ILO. Bezogen auf diese zehn Kernarbeitsnormen entsteht so ein Netzwerk von Überprüfungsmaßnahmen, denen man schwer entfliehen kann.

Gerade große deutsche Wirtschaftsverbände haben erhebliche Einwände gegen die geplante europäische Richtlinie zu Sorgfaltspflichten, zu Recht?
Diese Bedenken kommen reflexartig, aber sind sehr viel leiser geworden, nachdem das Lieferkettengesetz in Deutschland implementiert worden ist. Viele Unternehmen investieren nun Energie in die Umsetzung. 

Haben die Unternehmen die notwendigen Ressourcen?
Die großen multinationalen Player auf jeden Fall.

Und die kleinen Firmen und Mittelständler?
Da braucht es mehr Unterstützungsmechanismen und vor allem klare Indikatoren, damit Unternehmen sicher sein können, dass sie ein richtiges Bild der Lage vor Ort haben. Hier können internationale Organisationen helfen, insbesondere die ILO.

Wie?
Wir haben eine exzellente statistische Grundlage für alle Arbeitsnormen. In manchen Bereichen sind die Indikatoren sehr stark, in anderen Bereichen mit erheblichen Dunkelfeldern schwächer, aber immer noch das Beste, was es weltweit gibt. Und wir haben Programme, um diese Informationen Unternehmen zu vermitteln, gerade kleinen und mittleren Unternehmen.

Angenommen, ich habe als KMU in Südostasien einen Zulieferer. Kann mir die ILO die Informationen geben, damit ich die Lage arbeits- und menschenrechtlich beurteilen kann?
Viele Informationen können wir liefern. Wir scannen immer nach Sektoren und Länder- und regionalen Daten. Alles drei ist wichtig. Bei Kinderarbeit zum Beispiel ist der Sektor ein entscheidender Punkt. Wenn ich im Sektor Kaffee oder Kakao unterwegs bin, dann ist die Wahrscheinlichkeit in manchen Regionen und Ländern groß, dass dort Kinder arbeiten. Das heißt, man muss die verschiedenen Parameter zusammenführen und das tun wir durch unsere datenbasierten Indikatoren.

Werden diese Daten Unternehmen zur Verfügung gestellt?
Ja, die Daten sind frei zugänglich auf unserer Webseite und wir sind mit dem BAFA, also der zuständigen deutschen Behörde, im Gespräch, wie man diese Indikatoren gut und einfach abbilden kann, sodass sie auch jeder nutzen kann.

Bei der Einschätzung von menschenrechtlichen Risiken bieten Dienstleister Bezahllösungen an. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann gibt es bei der ILO die entscheidenden Daten kostenlos?
Ja, beispielsweise die evidenzbasierten Daten zu den ILO-Kernarbeitsnormen. Zu zentralen menschen- und arbeitsrechtlichen Bereichen stellt die ILO die entscheidenden Daten – etwa zu Arbeitnehmerrechten oder Zwangsarbeit. Wir haben die Zugänge zu den statistischen Landesämtern unserer Mitgliedsstaaten und beraten die Staaten des globalen Südens dabei, wie solche Daten objektiv erhoben werden können. Diese Daten bereiten wir dann für jedermann einsehbar auf unserer Website auf.

Neuerdings führt ein Vertreter des globalen Südens die ILO, Gilbert F. Houngbo. Was bedeutet das für die Organisation?
Das bringt Veränderungen mit sich. Denn mit einer Ausnahme stammten alle ILO-Generaldirektoren bisher aus Staaten des globalen Nordens, meist Staaten mit einer starken gewerkschaftlichen Struktur. Oft entstammten sie sogar aus den Gewerkschaften. Mit dem neuen Generaldirektor werden die Belange des globalen Südens noch stärker ins Zentrum rücken.

Was steht nun oben auf der Agenda?
Das Thema Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit in Ländern, aber auch zwischen Ländern und Kontinenten. Soziale Gerechtigkeit ist kein neues Ziel für die ILO, Gilbert F. Houngbo macht aber deutlich, dass die ILO mit anderen globalen und nationalen Akteuren größere Fortschritte erreichen kann.

Mit welchen?
Wir müssen das in einer Koalition mit anderen UN-Organisationen, vor allem auch den globalen Finanzinstitutionen wie Weltbank und IWF organisieren, in einer Global Social Justice Coalition. Hier könnte man die ohnehin vorhandenen Mittel nutzen, um etwa den Aufbau einer Basis-Sozialversicherung in den Ländern des globalen Südens voranzubringen. Die Notwendigkeit hat die Corona-Pandemie allen vor Augen geführt.

Wie könnte das aussehen?
Neben traditionellen Formen der sozialen Sicherung wie Arbeitslosen- oder Unfallversicherung sollten wir auch an Ernteausfallversicherungen denken. Gerade in Südamerika, aber auch in Afrika und Asien ist entscheidend, dass die Menschen bei Ernteausfällen eine Existenzsicherung haben und so weiter die Felder bewirtschaften können. Eine ganz andere Baustelle ist die Erosion abgesicherter Arbeitsverhältnisse durch die Plattformökonomie. Davon sind auch viele Menschen im globalen Norden betroffen. Das verlieren wir aus den Augen, auch, weil es dazu kaum Vorstellungen in der breiten Öffentlichkeit gibt.

Vielfach ist vor allem von der Klimakrise und der ökologischen Transformation die Rede. Kann die ohne eine soziale Transformation gelingen, also echte Verbesserungen für große Teile der Weltbevölkerung?
Nein. Wir reden viel über die Zumutungen für Menschen in Deutschland, aber kaum darüber, was Menschen im globalen Süden zugemutet wird. Eine erfolgreiche ökologische Transformation ohne eine soziale Abfederung halte ich für vollkommen ausgeschlossen. Eine solche Abfederung könnte den Anspruch auf eine Ausbildung oder eine Stärkung der Eigenkräfte umfassen. Ohne diese soziale Flanke wird es nicht gehen.

  • Arbeitnehmerrechte
  • Arbeitsschutz
  • Globaler Süden
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Termine

20.-21.6.2023, Gelsenkirchen
Konferenz 15. Branchentag Windenergie NRW Info & Anmeldung

20.-21.6.2023, München
Tagung Jahrestagung Klimaschutzrecht 2023: Wie die Energiewende trotz Energiekrise gelingt (Deutscher Fachverlag) Info

20.-21.6.2023, Hamburg
Kostenpflichtiges Seminar Nachhaltiges Lieferkettenmanagement – Compliance entlang der Supply Chain (TÜV Nord) Info & Anmeldung

21.6.2023
Online-Konferenz Fachtag Produktkennzeichnungen (Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung) Info & Anmeldung

24.6.2023, Kassel
Konferenz Bundesversammlung des kooperativen Wirtschaftens in Deutschland (Teilgabe) Info & Anmeldung

27.6.2023, Dresden
Exkursion ‘Bauwende unterwegs’ in Dresden (RNE & DGNB) Info & Anmeldung

27.-29.6.2023, Berlin
Messe Weltkongress Gebäudebegrünung 2023 Info & Anmeldung

28.6.2023, 18:30-21:00 Uhr, Stuttgart
Diskussion Die Transformation der globalen Automobilindustrie (Rosa-Luxemburg-Stiftung) Info & Anmeldung

28-29.6.2023, Braunschweig
Tagung 3. Jahrestagung des Experten-Netzwerks THeKLa – Klimaschutz in der Landwirtschaft (FNR) Info & Anmeldung

29.6.2023, Berlin
Konferenz Tag der öffentlichen Auftraggeber 2023 (BME) Info & Anmeldung

30.6.2023, Berlin
Tagung UPJ-Jahrestagung 2023 Info & Anmeldung

News

Klimaschutzverträge: Unternehmen können Vorhaben einreichen

Seit Dienstag können Unternehmen Pläne zur Dekarbonisierung beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einreichen, wenn sie einen Klimaschutzvertrag mit dem Bund abschließen wollen. Dieses “vorbereitende Verfahren” endet in zwei Monaten. Im Winter soll dann ein “Gebotsverfahren” folgen, an dem nur Firmen teilnehmen können, die jetzt im Sommer ihre Pläne übermitteln. Ende des Jahres will der Bund über die Zuschläge entscheiden. Noch hat die EU das Instrument beihilferechtlich nicht genehmigt, eine grundsätzliche Zustimmung gebe es aber, so Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Mit Klimaschutzverträgen will das BMWK Unternehmen finanziell unterstützen, die ihre CO₂-intensiven Prozesse auf erneuerbare Energie umstellen – etwa in der Stahl-, Zement-, Papier- oder Glasindustrie. Klimaschutzverträge sollen Unternehmen gegen Preisschwankungen von Energieträgern wie Wasserstoff absichern und die Anschubfinanzierung gewährleisten. Insgesamt soll ein mittlerer zweistelliger Milliardenbetrag zur Verfügung stehen. Reuters berichtet unter Berufung auf Regierungskreise von bis zu 50 Milliarden Euro. Wie hoch die Summe wird, hängt von der Haushaltsplanung des Bundes ab – noch laufen die Verhandlungen.

Der Staat trägt die Mehrkosten für klimafreundlichere Prozesse

Klimaschutzverträge funktionieren wie folgt: Die Unternehmen kalkulieren, wie viel die Dekarbonisierung ihrer Prozesse pro Tonne CO₂ kostet. Diesen Betrag reichen sie später in diesem Jahr als Gebot beim BMWK ein. Die Unternehmen, die am günstigsten ihre Prozesse umstellen können, bekommen den Zuschlag. Die über 15 Jahre laufenden Verträge garantieren dem Unternehmen, dass der Staat die für Investition und Betrieb anfallenden Mehrkosten für die klimafreundlicheren Prozesse übernimmt. Wird die konventionelle Art zu produzieren im Zeitverlauf teurer als die klimafreundlichere, kehrt sich die Zahlungsrichtung um – dann zahlt das Unternehmen an den Staat.

Laut des überarbeiteten Entwurfs der Förderrichtlinie können Unternehmen profitieren, die Anlagen mit einem CO₂-Ausstoß von mindestens zehn Kilotonnen betreiben. Eine Bewerbung von verschiedenen Unternehmen mit mehreren Anlagen als Konsortium ist möglich. Zwingende Voraussetzung ist, dass Strom zur Industrieproduktion zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien stammt. Wird Wasserstoff genutzt, muss er die Anforderungen an die EU-Taxonomie erfüllen. nh

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  • Transformation

Schwierige Verhandlungen über EU-Lieferkettengesetz erwartet

Am Donnerstag beginnen in Brüssel die Trilog-Verhandlungen zur Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Die Richtlinie soll die Sorgfaltspflichten von EU-Unternehmen in ihren Lieferketten regeln. Als letzte der drei beteiligten Institutionen hat sich das Europäische Parlament am vergangenen Donnerstag mit 366 zu 225 Stimmen auf einen Forderungskatalog geeinigt. Der Vorschlag der Europäischen Kommission stammt aus dem Februar 2022. Der Rat der Europäischen Union hatte sich bereits im vergangenen Dezember auf eine allgemeine Ausrichtung seiner Verhandlungsposition verständigt.

Parlament und Rat liegen weit auseinander

Beobachter rechnen mit zähen Verhandlungen, die bis in die im Juli beginnende, spanische EU-Ratspräsidentschaft hineinreichen, denn Rat und Parlament liegen in zentralen Fragen weit auseinander. Dies war auch Gegenstand eines Table.Live-Briefings am vergangen Freitag. Ziel aller Beteiligten ist es aber, die Richtlinie noch vor den Europawahlen im kommenden Jahr zu verabschieden. Danach muss sie binnen zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Strittig sind unter anderem folgende Punkte:

  • die vom Rat abgelehnte grundsätzliche Einbeziehung des Finanzsektors in die CSDDD,
  • die vom EP geforderte Ausweitung der Richtlinie auf Unternehmen ab 250 Beschäftigten und einem EU-weiten Umsatz von mindestens 40 Millionen Euro sowie einem weltweiten Umsatz von mindestens 150 Millionen Euro, 
  • die vom Parlament beschlossene Verantwortlichkeit der Geschäftsführer von Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern für die Sorgfaltsprüfung und die Koppelung ihrer variablen Vergütung an Klimaschutzmaßnahmen,
  • die zivilrechtliche Haftung und der Zugang zu Gerichten bei Verstößen gegen die CSDDD sowie
  • die Definition dessen, was im CSDDD überhaupt als Wertschöpfungskette gelten soll.

Während aus Sicht des Parlaments die Sorgfaltspflicht auch den Verkauf, den Vertrieb, die Lagerung, den Transport und die Entsorgung von Produkten umfasst, bevorzugt der Rat eine möglichst enge Auslegung des Begriffs. Er will unter Wertschöpfungskette eher eine Lieferkette verstanden wissen, die beim auftraggebenden Unternehmen endet. 

Betriebsräte unterstützen Position des Parlaments

Diese Auffassung teilt auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). In einer Stellungnahme sagte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Görner, es sei realitätsfern, dass sich die CSDDD auf die gesamte Wertschöpfungskette erstreckt. “Die Verpflichtungen müssen sich auf die direkten Zulieferer beschränken, sonst sind sie in der Unternehmenspraxis nicht umsetzbar”, so Görner.

Viele Betriebsräte großer deutscher Industrieunternehmen teilen hingegen die Position des Parlaments. “Unsere Erwartung ist, dass die Sorgfaltspflichten die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen gleichermaßen erfassen und neben universellen Menschenrechten auch Umweltstandards und den Klimaschutz umfassend einschließen”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Unterzeichnet wurde sie von 36 Betriebsratsvorsitzenden aus Unternehmen mit weltweit mehr als drei Millionen Beschäftigten, darunter Airbus, BMW, Mercedes-Benz, Miele, Siemens, ThyssenKrupp und Volkswagen. ch

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Studie: Globaler Süden hat Anspruch auf 170 Billionen US-Dollar CO₂-Kompensation

Um ihre übermäßigen Treibhausgasemissionen zu kompensieren, müssten die Industriestaaten des Nordens Ausgleichszahlungen in Höhe von 170 Billionen US-Dollar an die Länder des Globalen Südens leisten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Forschergruppe um Andrew Fanning von der britischen Universität Leeds. Ihre Studie ist am Montag in der Fachzeitschrift Nature Sustainability erschienen.

Für ihre Berechnungen haben die Wissenschaftler ein Modell entwickelt, das davon ausgeht, dass die Erdatmosphäre eine natürliche Ressource ist, die allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung steht. “Es ist eine Frage der Klimagerechtigkeit, dass die Länder, von denen wir eine rasche Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft verlangen, obwohl sie nicht für die übermäßigen Emissionen verantwortlich sind, die das Klima destabilisieren, für diese ungerechte Belastung entschädigt werden”, sagt Fanning.

Das Forscherteam hat mithilfe von Daten des Weltklimarats (IPCC) die historischen CO₂-Emissionen seit 1960 mit den zu erwartenden Emissionen bis 2050 verrechnet. So konnte für jedes Land auf Basis der Bevölkerungszahl ermittelt werden, wie viel CO₂ es in diesen 90 Jahren insgesamt ausstoßen darf, um einen fairen Anteil am globalen Kohlenstoffbudget zu erhalten. Für ihre Zukunftsberechnungen gingen die Forscher davon aus, dass sich alle Staaten tatsächlich an das Ziel halten, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen und im Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Demnach dürfen insgesamt noch 1,8 Billionen Tonnen CO₂ emittiert werden.

Der Studie zufolge müssten die USA mit rund 80 Billionen US-Dollar die höchsten Ausgleichszahlungen leisten. Die EU inklusive Großbritannien käme auf 46 Billionen US-Dollar. Die Belastung für Deutschland würde sich bis 2050 auf 4.619 Euro pro Kopf und Jahr belaufen. Das wäre der zweithöchste Wert nach den USA, gefolgt von Russland, Großbritannien und Japan. Indien hingegen hätte als größter Nutznießer Anspruch auf Kompensationszahlungen in Höhe von 57 Billionen US-Dollar. An zweiter Stelle läge China mit 15 Billionen US-Dollar. Es folgen Indonesien, Pakistan und Nigeria. ch

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SDG 7: “Energiezugang für alle” könnte verfehlt werden

Das siebte Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) sieht vor, dass alle Menschen bis 2030 einen Zugang zu sauberer, verlässlicher und bezahlbarer Energie haben. Einem neuen Bericht der Weltbank, der IRENA, der IEA und anderer Organisationen zufolge könnte dieses Ziel allerdings verfehlt werden. Demnach dürften bis 2030 weiterhin 660 Millionen Menschen ohne Stromzugang und 1,9 Milliarden ohne Zugang zu sauberen Kochmöglichkeiten sein.

Zwar gab es bei einigen Indikatoren von SDG 7 Fortschritte, doch die Geschwindigkeit ist zu gering, um das Ziel bis 2030 zu erreichen. 2021 hatten 91 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zu Strom. 2010 lag die Zahl noch bei 84 Prozent. 567 Millionen Menschen in Afrika haben jedoch weiterhin keinen Zugang. Das Zugangsdefizit in der Region blieb laut Bericht gegenüber 2010 nahezu unverändert.

Die Energieintensität des globalen Wachstums hat sich demnach zwischen 2010 und 2020 pro Jahr um 1,8 Prozent verbessert. Im Jahrzehnt davor waren es lediglich 1,2 Prozent. Allerdings braucht es Effizienz-Verbesserungen von 3,4 Prozent pro Jahr, um das SDG 7.3 zur Energieeffizienz noch zu erreichen.

Schon vor der Pandemie begannen die internationalen, öffentlichen Finanzströme zum Ausbau einer sauberen Energieversorgung zurückzugehen, so die IRENA. 2021 wurden gut elf Milliarden US-Dollar bereitgestellt – 35 Prozent weniger als im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2019. Die Finanzierung sei zudem auf eine kleine Anzahl von Ländern beschränkt: 19 Staaten erhielten 2021 80 Prozent der Finanzierung. Der Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken ist deshalb ins Stocken geraten. Ein weiterer Grund liegt in dem Rückzug von privatem Kapital aus diesen Ländern. nib

  • Energie
  • Nachhaltigkeit
  • SDG

Industrie: Wenige Anlagen – hohe Emissionen

Das produzierende Gewerbe ist in Deutschland von großer Bedeutung. 23,5 Prozent macht sein Anteil an der Bruttowertschöpfung aus. Zugleich zieht diese wirtschaftliche Leistung auch viele Emissionen nach sich: Ein Viertel aller Treibhausgase ging im Jahr 2021 auf die Industrie zurück. Und rund ein Drittel davon wurde von nur 30 Anlagen verursacht. 

Zu diesem Ergebnis kommt die Untersuchung “Dirty Thirty”, die das Öko-Institut mit der Umweltschutzorganisation WWF veröffentlicht hat. Dem Report zufolge machten diese wenigen Produktionsstätten zusammen acht Prozent der gesamten CO₂-Emissionen des vergangenen Jahres aus. An der Spitze der Verschmutzerliste stand die Eisen- und Stahlerzeugung, gefolgt von der Zement- und Kalk-Produktion sowie der Chemieindustrie; allein ThyssenKrupps Hüttenwerk in Duisburg emittierte 2022 knapp acht Millionen Tonnen CO₂.

“Einzelne Unternehmen haben einen enormen Einfluss darauf, ob Deutschland seine Klimaziele erreichen kann”, schreiben die Autoren und weisen darauf hin, dass die “anstehenden großen Investitionszyklen jetzt genutzt werden müssen, um Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 zu erreichen”; die Laufzeit von Industrieanlagen beträgt zum Teil Jahrzehnte. Die Technologien für den Wandel seien bereits vorhanden: Die Stahlproduktion sollte auf grünen Wasserstoff umgestellt werden, die Zementindustrie müsse ihren Klinkeranteil im Zement reduzieren. Notwendig sei auch eine konsequente Kreislaufwirtschaft, eine nachhaltige öffentliche Beschaffung und ein zügiges Ende der Vergabe kostenloser Verschmutzungsrechte im Europäischen Emissionshandel. maw

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  • Industrie
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Presseschau

“Ich zweifle, ob es klug ist, New Yorker Bankern das Schicksal des Planeten anzuvertrauen” – NZZ
Im Interview sagt der frühere Blackrock-Nachhaltigkeitschef, Tariq Fancy, dass Investieren nach ESG-Kriterien ein gefährliches Placebo sei, mit dem die Menschheit ihre Zeit im Kampf gegen den Klimawandel verschwende. Grund: Mit dieser Art des Investierens erziele man keine Wirkung. Zum Artikel

Die Welt muss warten – SZ
Michael Bauchmüller zeichnet Steffi Lemkes Weg von der Mitgründung der Grünen Partei in der DDR bis an die Spitze des Umweltministeriums nach. Bei der Bewertung ihrer aktuellen Situation kommt er zu dem Ergebnis, dass die Ministerin “im Haifischbecken dieser Bundesregierung abzusaufen droht”. Zum Artikel

Why are Electric Car Names so Bad? – Bloomberg
E-Autos tragen keine regulären Namen, sondern heißen bZ4X, EQE oder e:Ny1. Warum nur?, fragt Kyle Stock – und erklärt, dass mit der Verkehrswende ein guter Teil der uns vertrauten Namen der fossilen Modelle durch die Hieroglyphen der Neuzeit ersetzt werden dürfte. Zum Artikel

Ab ins Mehrwegparadies – SZ
Die kommunale Steuer für Einwegverpackungen in Tübingen ist laut Bundesverwaltungsgericht rechtmäßig. Thomas Hummel erklärt die Hintergründe und hat sich angesehen, wie die Stadt die Unternehmen bei der Gestaltung der Steuer eingebunden hat. Zum Artikel

Solar panels – an eco-disaster waiting to happen? – BBC
Daniel Gordon geht der Frage nach, wie die absehbar große Menge an ausgemusterten Solaranlagen in Zukunft recycelt werden kann. Dabei berichtet er über ROSI, eine Spezialfirma für das Recycling von Solarpanelen, die Ende des Monats eine Fabrik eröffnet, in der sie 99 Prozent der Bestandteile dem Kreislauf zuführen will. Zum Artikel

Großinvestoren stellen ESG-Muffeln ein Ultimatum – FAZ
Mark Fehr berichtet über einen Aufruf des Carbon Disclosure Project und 288 Finanzinstituten: Demnach sollen Unternehmen wie Tesla, Volvo, Spotify und weitere Firmen bis zum 26. Juli Daten zu ihrem CO₂-Ausstoß auf der Plattform des Projekts offenlegen. Zum Artikel

Umweltfreundlicher Luxus: Nachhaltigere Ansätze für die Innenraumgestaltung – Automobil Produktion
Immer mehr Autohersteller aus den Volumensegmenten verzichten bei ihren Modellen auf Tierhäute. Dabei ist das edle Material für Sitze und Verkleidungen gerade in den höheren Fahrzeugsegmenten unverzichtbar. Wie es trotzdem nachhaltig geht, berichtet Patrick Solberg. Zum Artikel

Start-ups: Einhörner in Grün – Mit Nachhaltigkeit gutes Geld verdienen – Handelsblatt
Die Geschäftsmodelle von immer mehr deutschen Gründern sind auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Ihr Ziel: Sie wollen die Welt verändern, schreibt Marie Wellling. Zum Artikel

What ESG Investors Must Demand For Credible Sustainability Reporting – Forbes
Dhimitris Lefteri ist der Frage nachgegangen, wie wichtig transparente, standardisierte und glaubwürdige ESG-Daten sind, um als Investor die Nachhaltigkeitspraktiken eines Unternehmens beurteilen zu können. Zum Artikel

The Money behind the Coming Wave of Climate Litigation – Financial Times
Unternehmen werden immer häufiger wegen Natur- und Klimaschäden verklagt. Camilla Hodgson geht davon aus, dass die Zahl der Rechtsstreits weiter steigt und erklärt, wie sich Non-Profits, Anwälte und Wissenschaftler auf solche Fälle spezialisieren. Zum Artikel

Am Ende des Wärmepumpenbooms – FAZ
In Italien wurden im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Wärmepumpen verkauft. Doch nun sei der Markt tot, weil die massive Förderung durch den Staat zurückgefahren wurde: Zwischen 2020 und 2022 konnten sich Eigentümer demnach Wärmepumpen einbauen lassen, ohne etwas zu zahlen. Zum Artikel

Standpunkt

“Die Greenwashing-Vermutung basiert auf einem fundamentalen Missverständnis”

Von Rene Wienholtz und Susanna Krüger
Rene Wienholtz von Loom Impact und Susanna Krüger von project Brause

Im vergangenen Jahr schloss der “Economist” seine ESG-Sonderausgabe mit den Worten “ESG is at the moment exaggerated superficial guff” und bezeichnete das Konzept als “broken idea”. Auch die “New York Times” resümierte ein wenig süffisant: “The current system for ESG investing is just regular capitalism at its slickest: ingenious marketing in the service of profits.” 

Kritik gibt es nicht nur von den Medien und nicht nur an der Sustainable-Finance-Industrie. Neuerdings geht es auch Europas Nachhaltigkeitsagenda an den Kragen. Sabine Weyand, Handelsgeneraldirektorin der EU-Kommission, warnte kürzlich vor “grünem Protektionismus und extraterritorialer Regulierung”, der viele Länder Afrikas und Asiens mit den eigenen hohen Standards überrolle. Und die Kompensation von CO₂-Emissionen ist ebenfalls in Verruf geraten. Der aufgedeckte Verra-Skandal im Februar hatte folgenden Tenor: schwer nachzuweisende Wirkung des Geldes und im Grunde wenig Wirkung in Sachen CO₂-Bindung. Die in den “leeren” Zertifikaten verbriefte ökologische Leistung sei massiv überschätzt. Alles zum Wohle des schnellen Geldes und für ein gutes Gewissen der Firmen, damit diese ihre Schornsteine weiterlaufen lassen können. 

Taxonomie spielt entscheidende Rolle

Wir meinen: Diese Beiträge sind zwar wirklich wichtig, aber oft auch eindimensional und irreführend. Weil sie – bewusst oder unbewusst – nicht erwähnen, welch langen Weg die Debatte in den vergangenen 20 Jahren genommen hat. Damit verkennen sie viele Fortschritte, die gemacht worden sind. Fakt ist: In nahezu jedem Unternehmen, das strategisch über Risikobewertung nachdenkt, sind Nachhaltigkeitsaspekte inzwischen Topthemen. Im grünen Markt stecken nicht mehr nur idealistische Hoffnungen, sondern Investitionen in substanzieller Höhe. Das erkennt man allein daran, dass es Greenwashing gibt: Das Mitmachen scheint sich – finanziell – zu lohnen.

Diese Praxis zu kritisieren, ist richtig. Darüber hinaus aber gibt es ein fundamentales Missverständniss im ESG-Diskurs. Es wird insbesondere dann sichtbar, wenn private Investorinnen, aber auch semi-professionelle Anleger ihr Geld in ESG-Fonds oder grüne Anleihen investieren. Dabei spielt das Ziel der EU-Taxonomie, solche Kapitalmarktprodukte in das grüne Spektrum einzusortieren, die entscheidende Rolle. 

Dunkelgrüne Produkte bislang Seltenheit

Dieses grüne Spektrum wird von zwei Taxonomie-Fachbegriffen grob definiert. Artikel 8 der Verordnung sieht vor, dass so eingestufte Kapitalmarktprodukte lediglich ökologische und/oder soziale Aspekte als Investment-Auswahlkriterien berücksichtigen und ausweisen müssen. Hier wird keine Aussage darüber getroffen, in welchem Umfang ökologische und soziale Ziele messbar erreicht werden sollen. Die meisten dieser hellgrünen, allgemein etwa als ESG-Fonds bezeichneten Produkte, tragen diese Klassierung.

Nach Artikel 9 eingestufte Produkte hingegen müssen explizit Nachhaltigkeitsziele definieren und kontinuierlich berichten, in welchem Maße sie zu einer besseren Welt beitragen. Von diesen dunkelgrünen, Impact-orientierten Kapitalmarktinstrumenten gibt es bislang nur sehr wenige.

Nur wenige Fachleute verstehen die Kriterien

Betrachten wir also die Greenwashing-Debatte, dann kreist sie vorrangig darum, dass es die Taxonomie erlaubt, auch Portfolios den Artikel-8-Stempel zuzuweisen und sich also als “wirklich nachhaltig” ausgeben zu dürfen. Oft beinhalten diese Portfolios jedoch keine konkret öko-sozial fokussierten Unternehmen. Das grundlegende Problem der Greenwashing-Vermutung besteht darin, dass bis auf wenige Expertinnen kaum jemand Interesse daran zeigt oder auch in der Lage ist, die komplexen EU-Taxonomiekriterien überhaupt zu verstehen. 

Aus Laien-Sicht erweckt das verständlicherweise den Eindruck: “Da steht nachhaltig drauf, also ist meine Erwartung, dass dieser Fonds die Welt aktiv ein Stück besser macht.” Die Aussage der EU-Taxonomie lautet am unteren Ende des grünen Spektrums jedoch vereinfacht ausgedrückt nur: “Das hier betrachtete und als nachhaltig eingestufte Kapitalmarktprodukt besteht aus Investitionstiteln, die nach diversen Ausschlusskriterien ausgesucht wurden und ihren ökologischen und sozialen Footprint verringern wollen.” Der Anspruch der EU-Taxonomie und die Erwartung der Investierenden klaffen also auseinander. Die Greenwashing-Vermutung basiert also zu einem Gutteil auf diesem fundamentalen Missverständnis. 

Ausweg aus dem Dilemma 

Was also tun? Aus unserer Sicht gibt es mehrere Ansätze, die zusammenspielen müssen. Es bräuchte: 

  • eine laienverständliche Aufklärung über die aktuellen Einstufungen als “nachhaltiges Finanzprodukt”; 
  • ein klares Bekenntnis der EU dazu, dass die Einstufung nach Artikel 8 der Taxonomie nur übergangsweise als nachhaltig im ESG-Kapitalmarktbereich gelten darf;
  • ein transparentes, ebenfalls allgemeinverständliches Reporting der Nachhaltigkeitsziele aller im Fonds befindlichen Portfolio-Mitglieder;
  • eine Förderung des Impact Investings, also der nach Artikel 9 der Taxonomie agierenden Investitionsziele, da diese aktiv ihren positiven ökologischen Beitrag beziffern und für die Zukunft planen und berichten müssen. 

Momentan werden im Emissionszertifikatshandel ungeprüfte Annahmen auf die Zukunft getroffen. Heißt: Frisch gepflanzten Bäumen wird eine CO₂-Bindungsleistung zugerechnet, die sie naturgemäß erst über Jahre und Jahrzehnte erbringen können – vorausgesetzt, sie bleiben gesund und es kommt nicht zu einem Waldbrand. Dann wird das angegebene CO₂-Volumen nie erreicht, obwohl es bereits über ein Zertifikat verkauft wurde. Unsere Forderung ist, dass kein in der Zukunft liegender Impact berücksichtigt werden darf, sondern nur bereits nachgewiesener.

Wirken diese Maßnahmen zusammen und rechnen wir uns die Welt nicht mehr schön, kann das momentan angeschlagene Image des Nachhaltigkeitstrends deutlich verbessert werden.

Susanna Krüger ist Mitgründerin von project bcause, einem Start-up, das den Zugang zur eigenen Online Stiftung und das Engagement in wirksame Non-Profit-Organisationen & For-Profit-Impact-Investments für jede Person ermöglicht.

Rene Wienholtz ist Mitgründer von LOOM IMPACT, einer Impact Finance Boutique, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Impact-Unternehmen zu besseren Finanzierungsmöglichkeiten zu verhelfen – durch das Aufsetzen von passenden Finanzmarktprodukten, aber auch durch den digitalen Handel mit Impact-Assets über die LOOMPACT-Plattform.

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Heads

Milena Glimbovski – Aktivistin für Klima-Psychologie und Anpassung

Klimaaktivistin Milena Glimbovski
Milena Glimbovski: “Die Klimakrise hat mich gelähmt”.

Milena Glimbovski gehört bereits seit Jahren zu den bekanntesten Stimmen im deutschen Klima-Aktivismus. 2014, da war sie gerade mal 24, eröffnete sie “Original Unverpackt”, einen der ersten Unverpacktläden der Republik und wurde zu einer Vorreiterin der Zero-Waste-Bewegung. 2017 erschien ihr Buch “Ohne Wenn und Abfall”. Kurz darauf kürten der Berliner Senat und die Industrie- und Handelskammer sie zur Unternehmerin des Jahres. Inzwischen war Glimbovski auch Verlagsgründerin – der von ihr und ihrem Partner entwickelte Kalender “Ein guter Plan” gewann zahlreiche Design- und Nachhaltigkeitspreise. Und die Deutsche Welle bezeichnete sie als “Climate Hero”. 

Doch wenn Klimaheldinnentum auf Wirklichkeit trifft, tritt unweigerlich auch Ernüchterung ein. Die intensive Beschäftigung mit Klima- und Umweltthemen führte bei Milena Glimbovski zu Angst und Hilflosigkeit. “Ich habe mich erschlagen gefühlt. Nicht nur von den Nachrichten, sondern von dem, was man alles machen müsste”, sagt die heute 33-Jährige. “Ich konnte nicht verstehen, was eigentlich in den nächsten Jahren in Deutschland passieren wird. Das hat mir Angst gemacht, besonders vor fünf Jahren, als ich meinen Sohn bekommen habe.”

Mangelnde Vorsorge in Politik und Wirtschaft

Seitdem hat sie sich deshalb intensiv mit den Möglichkeiten der Anpassung an die Klimafolgen beschäftigt. Nun ist ihr Buch “Über Leben in der Klimakrise” erschienen. Sie kritisiert darin die mangelnde Vorsorgebereitschaft in Politik und Wirtschaft und benennt die strukturellen und sozialen Ebenen, auf denen Klimaanpassung notwendig ist. Die Liste ist lang: Hochwasserschutz, Trinkwasserversorgung, Meeresspiegelanstieg, Landwirtschaft, Energie, Katastrophenschutz, Stadtplanung, Migration. Zahlreiche Wirtschaftsbranchen müssen sich umstellen: Logistik, Bauindustrie, Tourismus und die Versicherungsbranche sind nur einige Beispiele. 

Bei näherem Hinsehen wird auch deutlich, dass die verschiedenen Bereiche miteinander in Konflikt geraten können, wie Glimbovski am Beispiel der Flutkatastrophe 2021 zeigt: “Viele Versicherungen sind so gestaltet, dass Menschen an der gleichen Stelle das gleiche Haus wieder bauen müssen, sonst zahlt die Versicherung nicht. Diese Menschen müssten aber an anderer Stelle neu bauen oder umziehen.” Es sei ein großes Problem, dass bestimmte Gegenden als gutes Bauland ausgewiesen werden, obwohl sie in einer Hochwassergefahrenlage lägen. “Da waren Wirtschaftsinteressen wichtiger als die Sicherheit der Menschen.”

Wie regenerative Landwirtschaft helfen könnte

Wasser ist, wenig überraschend, eines der Hauptthemen ihres Buchs. Neben einem besseren Hochwasserschutz mahnt sie grundlegende Veränderungen in der Landwirtschaft an, die auch in Deutschland seit Jahren unter massiver Dürre leidet. “Dort ist die Frage: Braucht die Landwirtschaft Wasser, um Lebensmittel herzustellen? Oder braucht sie Wasser zur Herstellung von Getreide, das in Biogasanlagen wandert oder für Tierfutter verwendet wird?”

Die Autorin spricht sich für eine regenerative Landwirtschaft aus, welche die Bio-Kriterien noch übersteigt und sich vor allem auf die Gesundheit von Böden und Pflanzen konzentriert. Das könne besonders in trockenen Zeiten helfen. Untersuchungen, wie zuletzt etwa der Boston Consulting Group und des Naturschutzbundes NABU, deuten darauf hin, dass eine Umstellung auf regenerative Landwirtschaft, die die Böden nicht auslaugt, nach sechs bis zehn Jahren zu bis zu 60 Prozent höheren Gewinnen führen kann. Risiken in den Lieferketten könnten in Dürrejahren um etwa die Hälfte reduziert werden, heißt es in der Studie. “Das ist ein langer und teurer Weg”, räumt Glimbovski ein. Die Alternative sei aber, Menschen verhungern zu lassen. “Wir haben gar keine andere Wahl, als die Landwirtschaft anzupassen, wenn wir uns in Zukunft sicher, fair, sozialverträglich und gesund ernähren wollen. Dafür müssen wir Böden, Wasser und Ökosysteme besser schützen.”

Psychische Bewältigung der Klimakrise

Neben allen technischen Seiten der Klimaanpassung verliert Milena Glimbovski aber auch eine weitere Maßnahme nicht aus dem Blick, die ihr anfangs selbst so schwergefallen ist: die emotionale und psychische Bewältigung der Klimakrise. “Die Psychologie ist mir deshalb so wichtig, weil ich in meiner Arbeit immer wieder gemerkt habe, wie mich das gelähmt hat.” Das Schreiben des Buchs, die Recherche, die Gespräche mit Expertinnen und Experten und das Verstehen, was da eigentlich psychologisch passiert, hätten ihr geholfen. “Ich muss eine Sache nicht kontrollieren, aber ich muss sie verstehen.” Sie konsumiere Klimanachrichten bewusst nur zu einer bestimmten Tageszeit. “Ich mache Pausen, ich rede mit Menschen darüber und habe Leute um mich, die das auch ernstnehmen. Es hilft, wenn man ein Gefühl von Gemeinschaft hat.”

Deshalb wünscht sich die Aktivistin, dass die realen Folgen stärker thematisiert werden. “Wir müssen jetzt über Klimaanpassung sprechen”, sagt sie. Aber bedeutet das, dass der Kampf gegen den Klimawandel schon verloren ist? Und es nun vor allem auf die Vorsorge ankommt? Einen solchen Fatalismus weist die Aktivistin von sich: “Beides ist eine Jahrhundertaufgabe.” Die Eindämmung ist wichtig, es zähle jede Kommastelle. “Aber ich bin auch Realistin und ich sehe: Die Klimakrise ist hier. Und wir müssen lernen, uns anzupassen.” Stefan Boes

  • Klimaanpassung

ESG.Table Redaktion

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    gestern wurde der Kachowka-Damm im Südosten der Ukraine gesprengt, wahrscheinlich von der russischen Armee. Dass jetzt im nahen Atomkraftwerk Saporischschja ein Unfall droht, scheint sie in Kauf zu nehmen. Meine Kollegen Viktor Funk vom Security.Table und Bernhard Pötter vom Climate.Table haben deshalb aufgeschrieben, was bei einer Katastrophe drohen würde. Zur Analyse.

    Wie es in Deutschland um die gesellschaftliche Auseinandersetzung steht, die wir angesichts der großen Transformation führen, haben wir uns von Dirk Messner erklären lassen, dem Chef des Umweltbundesamts. Spoiler: nicht gut. Er mahnt zu gemeinsamer Anstrengung und mehr Redlichkeit.

    Wie es anders gehen könnte, zeigt das Beispiel Orsted. Der dänische Energieversorger setzte vor nicht allzu langer Zeit noch auf fossile Brennstoffe – und vollzog dann eine Kehrtwende. Nicht ohne Widerstände und trotzdem zügig. Christina Keppel berichtet.

    Und: Auch Mittelständler müssen ihre Lieferketten sauber halten – fürchten aber, mit dieser Aufgabe überfordert zu sein. Im Interview mit Caspar Dohmen bietet die Direktorin des deutschen ILO-Büros deshalb Hilfe an.

    Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeschickt wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.

    Ihr
    Marc Winkelmann
    Bild von Marc  Winkelmann

    Analyse

    UBA-Chef Messner: “Wir brauchen einen Whatever-it-takes-Moment”

    Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes in Dessau.

    Für Kontroversen hat Dirk Messner Verständnis. Wenn eine gesamte Wirtschaft mitsamt ihrer wichtigsten Sektoren wie dem Automobilbau, der Chemieindustrie und dem Gebäudesektor tiefgreifend umgebaut werden muss, könne das nicht stillschweigend verlaufen. “Da geht es um technologische Veränderungspfade, um Kosten und deren Verteilung, aber auch um die Verteidigung von Vergangenheitsinteressen – ‘rettet den Verbrennermotor’ ist ein Beispiel; wir hatten den Streit um das Ende der Kohlekraftwerke. Es wäre irritierend, wenn das in einer Demokratie nicht debattiert würde”, sagt Messner. Zugleich fordert er aber auch: “Wir brauchen Redlichkeit in der Diskussion.” Kritiker, die Instrumente oder neue Technologien ablehnen würden, müssten Alternativen aufzeigen – die mit wissenschaftlichen Erkenntnissen im Einklang stünden. “Wunschdenken hilft da nicht weiter. Fusionsreaktoren etwa werden wir in den nächsten Jahrzehnten nicht sehen.”

    Bisher keine gezielten Angriffe auf die Wissenschaft

    Darauf angesprochen, wie man als Wissenschaftler damit umgehe, dass in der politischen Debatte Lösungen propagiert werden, die den Fakten widersprechen, gibt sich Messner zurückhaltend. “Wir haben als UBA nicht die Aufgabe, die politischen Parteien jeden Tag einem Reality Check auszusetzen”. Man weise lediglich aus der wissenschaftlichen Perspektive des UBA auf die Problemlage hin und gebe Hinweise, wie Lösungen aussehen könnten. Kritik nehme man sehr ernst. Jüngste Vorwürfe der FDP, dass eine Studie zur Klimawirkung eines Tempolimits des UBA im Auftrag der Grünen erfolgt sei, weist Messner im Gespräch entschieden zurück.

    Trotz weiterer Versuche, die Studien von UBA, dem Öko-Institut und den Thinktanks Agora Energiewende und Agora Verkehrswende in eine parteipolitische Ecke zu drängen, will Messner bislang keine gezielten Angriffe auf die Wissenschaft als politische Strategie erkennen – zumindest nicht aus dem Spektrum der demokratischen Parteien. Er sehe nicht, dass Zweifel aktiv gesät würden, sagte Messner. “Ich glaube, das wird sich wieder beruhigen. Diese Institutionen wurden ja auch in 16 Jahren Merkel-Regierung immer wieder wegen ihrer ausgewiesenen Expertise nachgefragt.” 

    Die Notwendigkeit der Transformation dürfe nicht infrage gestellt werden

    Für den effektiven Kampf gegen die Klimakrise fordert der UBA-Chef einen “What-ever-it-takes-Moment”. Messner wünscht sich dazu von den Parteien im Kampf gegen den Klimawandel ein Zeichen der Geschlossenheit. Dafür brauche es einen Moment, “in dem sich die politisch Verantwortlichen – ähnlich wie in der Finanzkrise – lagerübergreifend zusammenstellen”, so Messner gegenüber Table.Media. Sie sollten deutlich machen, dass die Notwendigkeit der Transformation von keiner demokratischen Partei infrage gestellt werde. 

    Im Jahr 2021 sei er zuversichtlich gewesen, dass ein solcher Moment kurz bevorstünde. “Im Koalitionsvertrag wurde vieles zum Regierungsprogramm, was wir bereits 2011 in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen zur ,Großen Transformation’ vorgeschlagen hatten”. Gleichzeitig sei auf EU-Ebene der European Green Deal verabschiedet worden, in den USA gab es den Machtwechsel zu Biden und auf der Straße demonstrierte Fridays for Future. Sogar der BDI habe in einer eigenen Studie gezeigt, dass Klimaneutralität bis 2045 funktionieren kann. “Da hatte ich einen echten Glücksmoment.” Inzwischen sei vom “Geist des Konsenses” nicht mehr viel zu spüren. 

    Das Gespräch führten Bernhard Pötter und Malte Kreutzfeldt. Das ausführliche Interview lesen Sie hier.

    • Green Deal
    • Ökobilanz
    • Transformation

    Offshore-Wind: Durch die Krise zum Vorreiter

    Orsted errichtet Offshore-Windanlagen.

    Vor 15 Jahren war Orsted ein mittelgroßer Versorger, wie viele andere auch. Er produzierte 85 Prozent seines Stroms aus fossilen Rohstoffen, nur 15 Prozent kamen aus erneuerbaren Quellen. Dann aber begann das Unternehmen, einen bemerkenswerten Turnaround einzuleiten. Das Management beschloss: Spätestens im Jahr 2040 sollte die Energie, die Orsted erzeugte, zu 85 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen. Bereits jetzt lässt sich sagen: Das haben die Dänen geschafft – und sogar übererfüllt. 2022 kamen 91 Prozent aus erneuerbaren Quellen, 2025 wird das Unternehmen nach eigener Aussage vollständig CO₂-neutral produzieren.

    Der ausschlaggebende Moment: Im Jahr 2008 sollte in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern ein Steinkohlekraftwerk entstehen, Kostenpunkt: zwei Milliarden Euro. Orsted – damals hieß das Unternehmen Dong Energy – war als Projektentwickler an Bord. Doch vor Baubeginn formierte sich Widerstand gegen die Pläne und gegen ein weiteres geplantes Kraftwerk in Emden. Die Dänen stiegen aus – und setzten ab 2009 alles auf eine Karte: Offshore-Wind. Eine riesige Herausforderung, denn Offshore war technologisch nicht entwickelt, der politische Wille fehlte und hohe Anfangsinvestitionen fielen an. Und damals wie heute gilt: Die Erzeugung ist zwar klimafreundlich, belastet aber Ökosysteme.

    Lieber früh investieren, als Marktanteile zu verlieren

    Im Orsted-Management gab es nach dem Debakel in Lubmin Diskussionen um einen Kurswechsel und Zweifel, das bekannte Terrain sowie langjährige Geschäftspartner zu verlassen. “Wir haben uns gefragt: Ist es noch ein nachhaltiges Geschäftsmodell, Milliarden-Summen in Projekte zu investieren, bei denen immer mehr Menschen offen dagegen sind?” So beschrieb Malte Hippe, Geschäftsführer bei Orsted Deutschland, die Gemütslage gegenüber dem NDR.

    Doch schließlich gewann die Überzeugung: Besser jetzt die Segel selbst setzen, als in ein paar Jahren vom Markt vertrieben zu werden. Die Analyse im Unternehmen zeigte: Künftig hätte man lediglich in einem Geschäftsbereich einen technologischen Wettbewerbsvorteil und die Chance auf ein skalierbares Geschäftsmodell: “Und das war bei der Offshore-Windkraft”, sagt Marianne Wiinholt, die während der Transformation und bis zum Jahr 2022 Chief Financial Officer bei Orsted war.

    Die Wende hat gekostet: Milliarden-Investitionen flossen in die ersten Windparks im industriellen Maßstab, zwischen 2012 und 2016 schrieb das Unternehmen hohe Verluste. “Aber sobald die Entscheidung getroffen ist, ist es wichtig, sie wirklich radikal umzusetzen und auch Entscheidungen zu treffen, die kurzfristig wehtun“, sagt Hippe.

    Orsted hat die Expertise aus dem fossilen Geschäft genutzt

    Inzwischen ist Orsted vom mittelgroßen fossilen Unternehmen zum Marktführer für Offshore-Windenergie geworden. Heute ist ein Drittel der weltweit installierten Offshore-Kapazität – außerhalb Chinas – das Werk von Orsted. Ende 2022 hatte das Unternehmen 8,9 Gigawatt (GW) Offshore-Windkapazität installiert, 2,2 GW im Bau und weitere Projekte mit einer Kapazität von 11,2 GW in der Pipeline. Zum Vergleich: Im Juni 2021 waren laut Deutschem Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) weltweit insgesamt 40,6 GW Offshore-Windkapazität installiert. Außerdem bauen die Dänen auch die Solarenergie aus und konnten 2022 eine installierte Photovoltaik-Kapazität von 4,2 GW sowie 2,1 GW in Vorbereitung vorweisen.

    Das Unternehmen setzt globale Maßstäbe für die Branche, sagt Benedict Preu, der beim Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme die Abteilung Baugrunderkundung leitet: “Orsted ist dafür bekannt, Schlüsseltechnologien früh zu erkennen und einzusetzen und bei deren Entwicklung mitzuwirken.” Wenn die Dänen eine Technologie einsetzten, sende dies ein Signal in den Markt. Ebenso, wenn Orsted eine Technologie ablehne – diese sei dann kaum mehr am Markt zu etablieren.

    Das gelte auch für den Umweltschutz. So hat Orsted etwa “Suction Buckets” entwickelt, die dazu dienen, Windräder am Meeresboden durch eine Ansaugtechnik zu montieren. Bohrungen werden so überflüssig, es entsteht weniger Lärm unter Wasser. Das Unternehmen sei insbesondere in der Transformationsphase schlau vorgegangen, sagt Preu: “Orsted hat das vorhandene Wissen aus der Erdölindustrie mitgenommen, verfeinert und auf erneuerbare Energien angewandt.” Dazu gehörten etwa Analysetechniken von Meereshabitaten und die Frage, wie man Eingriffe in die Ökosysteme unter Wasser möglichst schonend durchführen kann. “Präzisere Verfahren, die mit weniger Materialaufwand und Wartung auskommen, können die negativen Einflüsse von Offshore-Anlagen auf die Umwelt reduzieren.” So werde weniger schwerer Stahl auf See verbaut und es falle weniger Schiffsverkehr an.

    “Umweltschutz bedeutet auch Planungssicherheit für Unternehmen”

    Der Umweltschutz ist relevant für die nachhaltige Weiterentwicklung der Offshore-Energie. Windparks sind riesige Industrieanlagen auf dem Meer und damit “massive Eingriffe in die Natur“, sagt Dominik Auch, Referent für Marine Raumordnung und Offshore-Windenergie des NABU. Kollisionsrisiken für wandernde Vögel und Fledermäuse sowie der Habitatverlust während Bau und Betrieb für Schweinswale und manche Seevögel sind einige der ökologischen Folgen.

    Bislang gehen politische Ausbauziele mit geringen oder gar keinen Umweltschutzauflagen einher. In vielen Ländern, auch in Deutschland, ist keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben, wenn Unternehmen neue Gebiete für Windparks erschließen.

    Das ist allerdings gar nicht unbedingt im Interesse der Offshore-Branche. Einige Unternehmen beabsichtigen daher, freiwillige Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen. “Das ist ein wichtiges Zeichen für den Naturschutz, und für die Unternehmen bedeutet es auch Planungssicherheit“, sagt Auch. Vollständig vermeiden könne man Naturschäden nicht, aber: “Wichtig ist, dass effektive Schutzmaßnahmen gefunden und gefördert werden, die den störungsempfindlichen Arten zugutekommen”, so Auch. Er hofft, dass diese Erkenntnisse später Eingang in den Gesetzgebungsprozess finden. 

    In einer grünen Zukunft sieht Fraunhofer-Wissenschaftler Benedict Preu die Rolle von Firmen wie Orsted so: “Die Offshore-Unternehmen, die ihre Arbeit heute mit einem hohen Anspruch an den Umweltschutz verbinden, müssen sich in der Hinsicht treu bleiben.” Um dann weiter hohe technologische und Umweltschutz-Standards zu setzen: mit Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft – und der Politik. Christina Keppel

    • Erneuerbare Energien
    • Windkraft

    Lieferketten: Wie die Arbeitsorganisation Mittelständlern helfen kann

    Annette Niederfranke, Deutschlandchefin der ILO
    Annette Niederfranke, Deutschlandchefin der ILO.

    Frau Niederfranke, was halten Sie von dem Votum des EU-Parlaments vergangene Woche für die Richtlinie für Sorgfaltspflichten in Lieferketten?
    Das ist ein gutes Signal. Aber damit ist längst nicht allen geholfen. Denn ein Großteil der Menschen im globalen Süden ist gar nicht in Lieferketten des globalen Nordens eingebunden, sondern arbeitet in regionalen oder Süd-Süd-Lieferketten. Dennoch: Mit der geplanten Richtlinie würde Europa einen wichtigen Pflock einschlagen.

    In den Lieferkettengesetzen sind die ILO-Kernarbeitsnormen ein zentraler Bezugspunkt – stärkt das deren Umsetzung?
    Davon gehe ich aus, weil die Unternehmen nun systematisch entlang dieser Normen eine Risikoanalyse durchführen müssen anhand von Indikatoren. Wie messe ich die Risiken? Was sind etwa die Indikatoren für Kinderarbeit? Zentral ist, dass die Risikobeurteilung und -prävention staatlicherseits kontrolliert werden, ebenfalls ausgehend von den ILO-Kernarbeitsnormen. Das wird einen erheblichen Schub für die Einhaltung der Kernarbeitsnormen geben. Die Staaten müssen nationale Überprüfungsmechanismen aufbauen, ungeachtet der bestehenden Überwachungsmechanismen der ILO. Bezogen auf diese zehn Kernarbeitsnormen entsteht so ein Netzwerk von Überprüfungsmaßnahmen, denen man schwer entfliehen kann.

    Gerade große deutsche Wirtschaftsverbände haben erhebliche Einwände gegen die geplante europäische Richtlinie zu Sorgfaltspflichten, zu Recht?
    Diese Bedenken kommen reflexartig, aber sind sehr viel leiser geworden, nachdem das Lieferkettengesetz in Deutschland implementiert worden ist. Viele Unternehmen investieren nun Energie in die Umsetzung. 

    Haben die Unternehmen die notwendigen Ressourcen?
    Die großen multinationalen Player auf jeden Fall.

    Und die kleinen Firmen und Mittelständler?
    Da braucht es mehr Unterstützungsmechanismen und vor allem klare Indikatoren, damit Unternehmen sicher sein können, dass sie ein richtiges Bild der Lage vor Ort haben. Hier können internationale Organisationen helfen, insbesondere die ILO.

    Wie?
    Wir haben eine exzellente statistische Grundlage für alle Arbeitsnormen. In manchen Bereichen sind die Indikatoren sehr stark, in anderen Bereichen mit erheblichen Dunkelfeldern schwächer, aber immer noch das Beste, was es weltweit gibt. Und wir haben Programme, um diese Informationen Unternehmen zu vermitteln, gerade kleinen und mittleren Unternehmen.

    Angenommen, ich habe als KMU in Südostasien einen Zulieferer. Kann mir die ILO die Informationen geben, damit ich die Lage arbeits- und menschenrechtlich beurteilen kann?
    Viele Informationen können wir liefern. Wir scannen immer nach Sektoren und Länder- und regionalen Daten. Alles drei ist wichtig. Bei Kinderarbeit zum Beispiel ist der Sektor ein entscheidender Punkt. Wenn ich im Sektor Kaffee oder Kakao unterwegs bin, dann ist die Wahrscheinlichkeit in manchen Regionen und Ländern groß, dass dort Kinder arbeiten. Das heißt, man muss die verschiedenen Parameter zusammenführen und das tun wir durch unsere datenbasierten Indikatoren.

    Werden diese Daten Unternehmen zur Verfügung gestellt?
    Ja, die Daten sind frei zugänglich auf unserer Webseite und wir sind mit dem BAFA, also der zuständigen deutschen Behörde, im Gespräch, wie man diese Indikatoren gut und einfach abbilden kann, sodass sie auch jeder nutzen kann.

    Bei der Einschätzung von menschenrechtlichen Risiken bieten Dienstleister Bezahllösungen an. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann gibt es bei der ILO die entscheidenden Daten kostenlos?
    Ja, beispielsweise die evidenzbasierten Daten zu den ILO-Kernarbeitsnormen. Zu zentralen menschen- und arbeitsrechtlichen Bereichen stellt die ILO die entscheidenden Daten – etwa zu Arbeitnehmerrechten oder Zwangsarbeit. Wir haben die Zugänge zu den statistischen Landesämtern unserer Mitgliedsstaaten und beraten die Staaten des globalen Südens dabei, wie solche Daten objektiv erhoben werden können. Diese Daten bereiten wir dann für jedermann einsehbar auf unserer Website auf.

    Neuerdings führt ein Vertreter des globalen Südens die ILO, Gilbert F. Houngbo. Was bedeutet das für die Organisation?
    Das bringt Veränderungen mit sich. Denn mit einer Ausnahme stammten alle ILO-Generaldirektoren bisher aus Staaten des globalen Nordens, meist Staaten mit einer starken gewerkschaftlichen Struktur. Oft entstammten sie sogar aus den Gewerkschaften. Mit dem neuen Generaldirektor werden die Belange des globalen Südens noch stärker ins Zentrum rücken.

    Was steht nun oben auf der Agenda?
    Das Thema Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit in Ländern, aber auch zwischen Ländern und Kontinenten. Soziale Gerechtigkeit ist kein neues Ziel für die ILO, Gilbert F. Houngbo macht aber deutlich, dass die ILO mit anderen globalen und nationalen Akteuren größere Fortschritte erreichen kann.

    Mit welchen?
    Wir müssen das in einer Koalition mit anderen UN-Organisationen, vor allem auch den globalen Finanzinstitutionen wie Weltbank und IWF organisieren, in einer Global Social Justice Coalition. Hier könnte man die ohnehin vorhandenen Mittel nutzen, um etwa den Aufbau einer Basis-Sozialversicherung in den Ländern des globalen Südens voranzubringen. Die Notwendigkeit hat die Corona-Pandemie allen vor Augen geführt.

    Wie könnte das aussehen?
    Neben traditionellen Formen der sozialen Sicherung wie Arbeitslosen- oder Unfallversicherung sollten wir auch an Ernteausfallversicherungen denken. Gerade in Südamerika, aber auch in Afrika und Asien ist entscheidend, dass die Menschen bei Ernteausfällen eine Existenzsicherung haben und so weiter die Felder bewirtschaften können. Eine ganz andere Baustelle ist die Erosion abgesicherter Arbeitsverhältnisse durch die Plattformökonomie. Davon sind auch viele Menschen im globalen Norden betroffen. Das verlieren wir aus den Augen, auch, weil es dazu kaum Vorstellungen in der breiten Öffentlichkeit gibt.

    Vielfach ist vor allem von der Klimakrise und der ökologischen Transformation die Rede. Kann die ohne eine soziale Transformation gelingen, also echte Verbesserungen für große Teile der Weltbevölkerung?
    Nein. Wir reden viel über die Zumutungen für Menschen in Deutschland, aber kaum darüber, was Menschen im globalen Süden zugemutet wird. Eine erfolgreiche ökologische Transformation ohne eine soziale Abfederung halte ich für vollkommen ausgeschlossen. Eine solche Abfederung könnte den Anspruch auf eine Ausbildung oder eine Stärkung der Eigenkräfte umfassen. Ohne diese soziale Flanke wird es nicht gehen.

    • Arbeitnehmerrechte
    • Arbeitsschutz
    • Globaler Süden
    • ILO

    Termine

    20.-21.6.2023, Gelsenkirchen
    Konferenz 15. Branchentag Windenergie NRW Info & Anmeldung

    20.-21.6.2023, München
    Tagung Jahrestagung Klimaschutzrecht 2023: Wie die Energiewende trotz Energiekrise gelingt (Deutscher Fachverlag) Info

    20.-21.6.2023, Hamburg
    Kostenpflichtiges Seminar Nachhaltiges Lieferkettenmanagement – Compliance entlang der Supply Chain (TÜV Nord) Info & Anmeldung

    21.6.2023
    Online-Konferenz Fachtag Produktkennzeichnungen (Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung) Info & Anmeldung

    24.6.2023, Kassel
    Konferenz Bundesversammlung des kooperativen Wirtschaftens in Deutschland (Teilgabe) Info & Anmeldung

    27.6.2023, Dresden
    Exkursion ‘Bauwende unterwegs’ in Dresden (RNE & DGNB) Info & Anmeldung

    27.-29.6.2023, Berlin
    Messe Weltkongress Gebäudebegrünung 2023 Info & Anmeldung

    28.6.2023, 18:30-21:00 Uhr, Stuttgart
    Diskussion Die Transformation der globalen Automobilindustrie (Rosa-Luxemburg-Stiftung) Info & Anmeldung

    28-29.6.2023, Braunschweig
    Tagung 3. Jahrestagung des Experten-Netzwerks THeKLa – Klimaschutz in der Landwirtschaft (FNR) Info & Anmeldung

    29.6.2023, Berlin
    Konferenz Tag der öffentlichen Auftraggeber 2023 (BME) Info & Anmeldung

    30.6.2023, Berlin
    Tagung UPJ-Jahrestagung 2023 Info & Anmeldung

    News

    Klimaschutzverträge: Unternehmen können Vorhaben einreichen

    Seit Dienstag können Unternehmen Pläne zur Dekarbonisierung beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einreichen, wenn sie einen Klimaschutzvertrag mit dem Bund abschließen wollen. Dieses “vorbereitende Verfahren” endet in zwei Monaten. Im Winter soll dann ein “Gebotsverfahren” folgen, an dem nur Firmen teilnehmen können, die jetzt im Sommer ihre Pläne übermitteln. Ende des Jahres will der Bund über die Zuschläge entscheiden. Noch hat die EU das Instrument beihilferechtlich nicht genehmigt, eine grundsätzliche Zustimmung gebe es aber, so Wirtschaftsminister Robert Habeck.

    Mit Klimaschutzverträgen will das BMWK Unternehmen finanziell unterstützen, die ihre CO₂-intensiven Prozesse auf erneuerbare Energie umstellen – etwa in der Stahl-, Zement-, Papier- oder Glasindustrie. Klimaschutzverträge sollen Unternehmen gegen Preisschwankungen von Energieträgern wie Wasserstoff absichern und die Anschubfinanzierung gewährleisten. Insgesamt soll ein mittlerer zweistelliger Milliardenbetrag zur Verfügung stehen. Reuters berichtet unter Berufung auf Regierungskreise von bis zu 50 Milliarden Euro. Wie hoch die Summe wird, hängt von der Haushaltsplanung des Bundes ab – noch laufen die Verhandlungen.

    Der Staat trägt die Mehrkosten für klimafreundlichere Prozesse

    Klimaschutzverträge funktionieren wie folgt: Die Unternehmen kalkulieren, wie viel die Dekarbonisierung ihrer Prozesse pro Tonne CO₂ kostet. Diesen Betrag reichen sie später in diesem Jahr als Gebot beim BMWK ein. Die Unternehmen, die am günstigsten ihre Prozesse umstellen können, bekommen den Zuschlag. Die über 15 Jahre laufenden Verträge garantieren dem Unternehmen, dass der Staat die für Investition und Betrieb anfallenden Mehrkosten für die klimafreundlicheren Prozesse übernimmt. Wird die konventionelle Art zu produzieren im Zeitverlauf teurer als die klimafreundlichere, kehrt sich die Zahlungsrichtung um – dann zahlt das Unternehmen an den Staat.

    Laut des überarbeiteten Entwurfs der Förderrichtlinie können Unternehmen profitieren, die Anlagen mit einem CO₂-Ausstoß von mindestens zehn Kilotonnen betreiben. Eine Bewerbung von verschiedenen Unternehmen mit mehreren Anlagen als Konsortium ist möglich. Zwingende Voraussetzung ist, dass Strom zur Industrieproduktion zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien stammt. Wird Wasserstoff genutzt, muss er die Anforderungen an die EU-Taxonomie erfüllen. nh

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    • Transformation

    Schwierige Verhandlungen über EU-Lieferkettengesetz erwartet

    Am Donnerstag beginnen in Brüssel die Trilog-Verhandlungen zur Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Die Richtlinie soll die Sorgfaltspflichten von EU-Unternehmen in ihren Lieferketten regeln. Als letzte der drei beteiligten Institutionen hat sich das Europäische Parlament am vergangenen Donnerstag mit 366 zu 225 Stimmen auf einen Forderungskatalog geeinigt. Der Vorschlag der Europäischen Kommission stammt aus dem Februar 2022. Der Rat der Europäischen Union hatte sich bereits im vergangenen Dezember auf eine allgemeine Ausrichtung seiner Verhandlungsposition verständigt.

    Parlament und Rat liegen weit auseinander

    Beobachter rechnen mit zähen Verhandlungen, die bis in die im Juli beginnende, spanische EU-Ratspräsidentschaft hineinreichen, denn Rat und Parlament liegen in zentralen Fragen weit auseinander. Dies war auch Gegenstand eines Table.Live-Briefings am vergangen Freitag. Ziel aller Beteiligten ist es aber, die Richtlinie noch vor den Europawahlen im kommenden Jahr zu verabschieden. Danach muss sie binnen zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Strittig sind unter anderem folgende Punkte:

    • die vom Rat abgelehnte grundsätzliche Einbeziehung des Finanzsektors in die CSDDD,
    • die vom EP geforderte Ausweitung der Richtlinie auf Unternehmen ab 250 Beschäftigten und einem EU-weiten Umsatz von mindestens 40 Millionen Euro sowie einem weltweiten Umsatz von mindestens 150 Millionen Euro, 
    • die vom Parlament beschlossene Verantwortlichkeit der Geschäftsführer von Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern für die Sorgfaltsprüfung und die Koppelung ihrer variablen Vergütung an Klimaschutzmaßnahmen,
    • die zivilrechtliche Haftung und der Zugang zu Gerichten bei Verstößen gegen die CSDDD sowie
    • die Definition dessen, was im CSDDD überhaupt als Wertschöpfungskette gelten soll.

    Während aus Sicht des Parlaments die Sorgfaltspflicht auch den Verkauf, den Vertrieb, die Lagerung, den Transport und die Entsorgung von Produkten umfasst, bevorzugt der Rat eine möglichst enge Auslegung des Begriffs. Er will unter Wertschöpfungskette eher eine Lieferkette verstanden wissen, die beim auftraggebenden Unternehmen endet. 

    Betriebsräte unterstützen Position des Parlaments

    Diese Auffassung teilt auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). In einer Stellungnahme sagte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Görner, es sei realitätsfern, dass sich die CSDDD auf die gesamte Wertschöpfungskette erstreckt. “Die Verpflichtungen müssen sich auf die direkten Zulieferer beschränken, sonst sind sie in der Unternehmenspraxis nicht umsetzbar”, so Görner.

    Viele Betriebsräte großer deutscher Industrieunternehmen teilen hingegen die Position des Parlaments. “Unsere Erwartung ist, dass die Sorgfaltspflichten die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen gleichermaßen erfassen und neben universellen Menschenrechten auch Umweltstandards und den Klimaschutz umfassend einschließen”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Unterzeichnet wurde sie von 36 Betriebsratsvorsitzenden aus Unternehmen mit weltweit mehr als drei Millionen Beschäftigten, darunter Airbus, BMW, Mercedes-Benz, Miele, Siemens, ThyssenKrupp und Volkswagen. ch

    • EU
    • Lieferketten
    • Sorgfaltspflichten

    Studie: Globaler Süden hat Anspruch auf 170 Billionen US-Dollar CO₂-Kompensation

    Um ihre übermäßigen Treibhausgasemissionen zu kompensieren, müssten die Industriestaaten des Nordens Ausgleichszahlungen in Höhe von 170 Billionen US-Dollar an die Länder des Globalen Südens leisten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Forschergruppe um Andrew Fanning von der britischen Universität Leeds. Ihre Studie ist am Montag in der Fachzeitschrift Nature Sustainability erschienen.

    Für ihre Berechnungen haben die Wissenschaftler ein Modell entwickelt, das davon ausgeht, dass die Erdatmosphäre eine natürliche Ressource ist, die allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung steht. “Es ist eine Frage der Klimagerechtigkeit, dass die Länder, von denen wir eine rasche Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft verlangen, obwohl sie nicht für die übermäßigen Emissionen verantwortlich sind, die das Klima destabilisieren, für diese ungerechte Belastung entschädigt werden”, sagt Fanning.

    Das Forscherteam hat mithilfe von Daten des Weltklimarats (IPCC) die historischen CO₂-Emissionen seit 1960 mit den zu erwartenden Emissionen bis 2050 verrechnet. So konnte für jedes Land auf Basis der Bevölkerungszahl ermittelt werden, wie viel CO₂ es in diesen 90 Jahren insgesamt ausstoßen darf, um einen fairen Anteil am globalen Kohlenstoffbudget zu erhalten. Für ihre Zukunftsberechnungen gingen die Forscher davon aus, dass sich alle Staaten tatsächlich an das Ziel halten, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen und im Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Demnach dürfen insgesamt noch 1,8 Billionen Tonnen CO₂ emittiert werden.

    Der Studie zufolge müssten die USA mit rund 80 Billionen US-Dollar die höchsten Ausgleichszahlungen leisten. Die EU inklusive Großbritannien käme auf 46 Billionen US-Dollar. Die Belastung für Deutschland würde sich bis 2050 auf 4.619 Euro pro Kopf und Jahr belaufen. Das wäre der zweithöchste Wert nach den USA, gefolgt von Russland, Großbritannien und Japan. Indien hingegen hätte als größter Nutznießer Anspruch auf Kompensationszahlungen in Höhe von 57 Billionen US-Dollar. An zweiter Stelle läge China mit 15 Billionen US-Dollar. Es folgen Indonesien, Pakistan und Nigeria. ch

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    • Globaler Süden
    • Klimawandel

    SDG 7: “Energiezugang für alle” könnte verfehlt werden

    Das siebte Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) sieht vor, dass alle Menschen bis 2030 einen Zugang zu sauberer, verlässlicher und bezahlbarer Energie haben. Einem neuen Bericht der Weltbank, der IRENA, der IEA und anderer Organisationen zufolge könnte dieses Ziel allerdings verfehlt werden. Demnach dürften bis 2030 weiterhin 660 Millionen Menschen ohne Stromzugang und 1,9 Milliarden ohne Zugang zu sauberen Kochmöglichkeiten sein.

    Zwar gab es bei einigen Indikatoren von SDG 7 Fortschritte, doch die Geschwindigkeit ist zu gering, um das Ziel bis 2030 zu erreichen. 2021 hatten 91 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zu Strom. 2010 lag die Zahl noch bei 84 Prozent. 567 Millionen Menschen in Afrika haben jedoch weiterhin keinen Zugang. Das Zugangsdefizit in der Region blieb laut Bericht gegenüber 2010 nahezu unverändert.

    Die Energieintensität des globalen Wachstums hat sich demnach zwischen 2010 und 2020 pro Jahr um 1,8 Prozent verbessert. Im Jahrzehnt davor waren es lediglich 1,2 Prozent. Allerdings braucht es Effizienz-Verbesserungen von 3,4 Prozent pro Jahr, um das SDG 7.3 zur Energieeffizienz noch zu erreichen.

    Schon vor der Pandemie begannen die internationalen, öffentlichen Finanzströme zum Ausbau einer sauberen Energieversorgung zurückzugehen, so die IRENA. 2021 wurden gut elf Milliarden US-Dollar bereitgestellt – 35 Prozent weniger als im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2019. Die Finanzierung sei zudem auf eine kleine Anzahl von Ländern beschränkt: 19 Staaten erhielten 2021 80 Prozent der Finanzierung. Der Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken ist deshalb ins Stocken geraten. Ein weiterer Grund liegt in dem Rückzug von privatem Kapital aus diesen Ländern. nib

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    • Nachhaltigkeit
    • SDG

    Industrie: Wenige Anlagen – hohe Emissionen

    Das produzierende Gewerbe ist in Deutschland von großer Bedeutung. 23,5 Prozent macht sein Anteil an der Bruttowertschöpfung aus. Zugleich zieht diese wirtschaftliche Leistung auch viele Emissionen nach sich: Ein Viertel aller Treibhausgase ging im Jahr 2021 auf die Industrie zurück. Und rund ein Drittel davon wurde von nur 30 Anlagen verursacht. 

    Zu diesem Ergebnis kommt die Untersuchung “Dirty Thirty”, die das Öko-Institut mit der Umweltschutzorganisation WWF veröffentlicht hat. Dem Report zufolge machten diese wenigen Produktionsstätten zusammen acht Prozent der gesamten CO₂-Emissionen des vergangenen Jahres aus. An der Spitze der Verschmutzerliste stand die Eisen- und Stahlerzeugung, gefolgt von der Zement- und Kalk-Produktion sowie der Chemieindustrie; allein ThyssenKrupps Hüttenwerk in Duisburg emittierte 2022 knapp acht Millionen Tonnen CO₂.

    “Einzelne Unternehmen haben einen enormen Einfluss darauf, ob Deutschland seine Klimaziele erreichen kann”, schreiben die Autoren und weisen darauf hin, dass die “anstehenden großen Investitionszyklen jetzt genutzt werden müssen, um Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 zu erreichen”; die Laufzeit von Industrieanlagen beträgt zum Teil Jahrzehnte. Die Technologien für den Wandel seien bereits vorhanden: Die Stahlproduktion sollte auf grünen Wasserstoff umgestellt werden, die Zementindustrie müsse ihren Klinkeranteil im Zement reduzieren. Notwendig sei auch eine konsequente Kreislaufwirtschaft, eine nachhaltige öffentliche Beschaffung und ein zügiges Ende der Vergabe kostenloser Verschmutzungsrechte im Europäischen Emissionshandel. maw

    • Emissionen
    • Industrie
    • Zementindustrie

    Presseschau

    “Ich zweifle, ob es klug ist, New Yorker Bankern das Schicksal des Planeten anzuvertrauen” – NZZ
    Im Interview sagt der frühere Blackrock-Nachhaltigkeitschef, Tariq Fancy, dass Investieren nach ESG-Kriterien ein gefährliches Placebo sei, mit dem die Menschheit ihre Zeit im Kampf gegen den Klimawandel verschwende. Grund: Mit dieser Art des Investierens erziele man keine Wirkung. Zum Artikel

    Die Welt muss warten – SZ
    Michael Bauchmüller zeichnet Steffi Lemkes Weg von der Mitgründung der Grünen Partei in der DDR bis an die Spitze des Umweltministeriums nach. Bei der Bewertung ihrer aktuellen Situation kommt er zu dem Ergebnis, dass die Ministerin “im Haifischbecken dieser Bundesregierung abzusaufen droht”. Zum Artikel

    Why are Electric Car Names so Bad? – Bloomberg
    E-Autos tragen keine regulären Namen, sondern heißen bZ4X, EQE oder e:Ny1. Warum nur?, fragt Kyle Stock – und erklärt, dass mit der Verkehrswende ein guter Teil der uns vertrauten Namen der fossilen Modelle durch die Hieroglyphen der Neuzeit ersetzt werden dürfte. Zum Artikel

    Ab ins Mehrwegparadies – SZ
    Die kommunale Steuer für Einwegverpackungen in Tübingen ist laut Bundesverwaltungsgericht rechtmäßig. Thomas Hummel erklärt die Hintergründe und hat sich angesehen, wie die Stadt die Unternehmen bei der Gestaltung der Steuer eingebunden hat. Zum Artikel

    Solar panels – an eco-disaster waiting to happen? – BBC
    Daniel Gordon geht der Frage nach, wie die absehbar große Menge an ausgemusterten Solaranlagen in Zukunft recycelt werden kann. Dabei berichtet er über ROSI, eine Spezialfirma für das Recycling von Solarpanelen, die Ende des Monats eine Fabrik eröffnet, in der sie 99 Prozent der Bestandteile dem Kreislauf zuführen will. Zum Artikel

    Großinvestoren stellen ESG-Muffeln ein Ultimatum – FAZ
    Mark Fehr berichtet über einen Aufruf des Carbon Disclosure Project und 288 Finanzinstituten: Demnach sollen Unternehmen wie Tesla, Volvo, Spotify und weitere Firmen bis zum 26. Juli Daten zu ihrem CO₂-Ausstoß auf der Plattform des Projekts offenlegen. Zum Artikel

    Umweltfreundlicher Luxus: Nachhaltigere Ansätze für die Innenraumgestaltung – Automobil Produktion
    Immer mehr Autohersteller aus den Volumensegmenten verzichten bei ihren Modellen auf Tierhäute. Dabei ist das edle Material für Sitze und Verkleidungen gerade in den höheren Fahrzeugsegmenten unverzichtbar. Wie es trotzdem nachhaltig geht, berichtet Patrick Solberg. Zum Artikel

    Start-ups: Einhörner in Grün – Mit Nachhaltigkeit gutes Geld verdienen – Handelsblatt
    Die Geschäftsmodelle von immer mehr deutschen Gründern sind auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Ihr Ziel: Sie wollen die Welt verändern, schreibt Marie Wellling. Zum Artikel

    What ESG Investors Must Demand For Credible Sustainability Reporting – Forbes
    Dhimitris Lefteri ist der Frage nachgegangen, wie wichtig transparente, standardisierte und glaubwürdige ESG-Daten sind, um als Investor die Nachhaltigkeitspraktiken eines Unternehmens beurteilen zu können. Zum Artikel

    The Money behind the Coming Wave of Climate Litigation – Financial Times
    Unternehmen werden immer häufiger wegen Natur- und Klimaschäden verklagt. Camilla Hodgson geht davon aus, dass die Zahl der Rechtsstreits weiter steigt und erklärt, wie sich Non-Profits, Anwälte und Wissenschaftler auf solche Fälle spezialisieren. Zum Artikel

    Am Ende des Wärmepumpenbooms – FAZ
    In Italien wurden im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Wärmepumpen verkauft. Doch nun sei der Markt tot, weil die massive Förderung durch den Staat zurückgefahren wurde: Zwischen 2020 und 2022 konnten sich Eigentümer demnach Wärmepumpen einbauen lassen, ohne etwas zu zahlen. Zum Artikel

    Standpunkt

    “Die Greenwashing-Vermutung basiert auf einem fundamentalen Missverständnis”

    Von Rene Wienholtz und Susanna Krüger
    Rene Wienholtz von Loom Impact und Susanna Krüger von project Brause

    Im vergangenen Jahr schloss der “Economist” seine ESG-Sonderausgabe mit den Worten “ESG is at the moment exaggerated superficial guff” und bezeichnete das Konzept als “broken idea”. Auch die “New York Times” resümierte ein wenig süffisant: “The current system for ESG investing is just regular capitalism at its slickest: ingenious marketing in the service of profits.” 

    Kritik gibt es nicht nur von den Medien und nicht nur an der Sustainable-Finance-Industrie. Neuerdings geht es auch Europas Nachhaltigkeitsagenda an den Kragen. Sabine Weyand, Handelsgeneraldirektorin der EU-Kommission, warnte kürzlich vor “grünem Protektionismus und extraterritorialer Regulierung”, der viele Länder Afrikas und Asiens mit den eigenen hohen Standards überrolle. Und die Kompensation von CO₂-Emissionen ist ebenfalls in Verruf geraten. Der aufgedeckte Verra-Skandal im Februar hatte folgenden Tenor: schwer nachzuweisende Wirkung des Geldes und im Grunde wenig Wirkung in Sachen CO₂-Bindung. Die in den “leeren” Zertifikaten verbriefte ökologische Leistung sei massiv überschätzt. Alles zum Wohle des schnellen Geldes und für ein gutes Gewissen der Firmen, damit diese ihre Schornsteine weiterlaufen lassen können. 

    Taxonomie spielt entscheidende Rolle

    Wir meinen: Diese Beiträge sind zwar wirklich wichtig, aber oft auch eindimensional und irreführend. Weil sie – bewusst oder unbewusst – nicht erwähnen, welch langen Weg die Debatte in den vergangenen 20 Jahren genommen hat. Damit verkennen sie viele Fortschritte, die gemacht worden sind. Fakt ist: In nahezu jedem Unternehmen, das strategisch über Risikobewertung nachdenkt, sind Nachhaltigkeitsaspekte inzwischen Topthemen. Im grünen Markt stecken nicht mehr nur idealistische Hoffnungen, sondern Investitionen in substanzieller Höhe. Das erkennt man allein daran, dass es Greenwashing gibt: Das Mitmachen scheint sich – finanziell – zu lohnen.

    Diese Praxis zu kritisieren, ist richtig. Darüber hinaus aber gibt es ein fundamentales Missverständniss im ESG-Diskurs. Es wird insbesondere dann sichtbar, wenn private Investorinnen, aber auch semi-professionelle Anleger ihr Geld in ESG-Fonds oder grüne Anleihen investieren. Dabei spielt das Ziel der EU-Taxonomie, solche Kapitalmarktprodukte in das grüne Spektrum einzusortieren, die entscheidende Rolle. 

    Dunkelgrüne Produkte bislang Seltenheit

    Dieses grüne Spektrum wird von zwei Taxonomie-Fachbegriffen grob definiert. Artikel 8 der Verordnung sieht vor, dass so eingestufte Kapitalmarktprodukte lediglich ökologische und/oder soziale Aspekte als Investment-Auswahlkriterien berücksichtigen und ausweisen müssen. Hier wird keine Aussage darüber getroffen, in welchem Umfang ökologische und soziale Ziele messbar erreicht werden sollen. Die meisten dieser hellgrünen, allgemein etwa als ESG-Fonds bezeichneten Produkte, tragen diese Klassierung.

    Nach Artikel 9 eingestufte Produkte hingegen müssen explizit Nachhaltigkeitsziele definieren und kontinuierlich berichten, in welchem Maße sie zu einer besseren Welt beitragen. Von diesen dunkelgrünen, Impact-orientierten Kapitalmarktinstrumenten gibt es bislang nur sehr wenige.

    Nur wenige Fachleute verstehen die Kriterien

    Betrachten wir also die Greenwashing-Debatte, dann kreist sie vorrangig darum, dass es die Taxonomie erlaubt, auch Portfolios den Artikel-8-Stempel zuzuweisen und sich also als “wirklich nachhaltig” ausgeben zu dürfen. Oft beinhalten diese Portfolios jedoch keine konkret öko-sozial fokussierten Unternehmen. Das grundlegende Problem der Greenwashing-Vermutung besteht darin, dass bis auf wenige Expertinnen kaum jemand Interesse daran zeigt oder auch in der Lage ist, die komplexen EU-Taxonomiekriterien überhaupt zu verstehen. 

    Aus Laien-Sicht erweckt das verständlicherweise den Eindruck: “Da steht nachhaltig drauf, also ist meine Erwartung, dass dieser Fonds die Welt aktiv ein Stück besser macht.” Die Aussage der EU-Taxonomie lautet am unteren Ende des grünen Spektrums jedoch vereinfacht ausgedrückt nur: “Das hier betrachtete und als nachhaltig eingestufte Kapitalmarktprodukt besteht aus Investitionstiteln, die nach diversen Ausschlusskriterien ausgesucht wurden und ihren ökologischen und sozialen Footprint verringern wollen.” Der Anspruch der EU-Taxonomie und die Erwartung der Investierenden klaffen also auseinander. Die Greenwashing-Vermutung basiert also zu einem Gutteil auf diesem fundamentalen Missverständnis. 

    Ausweg aus dem Dilemma 

    Was also tun? Aus unserer Sicht gibt es mehrere Ansätze, die zusammenspielen müssen. Es bräuchte: 

    • eine laienverständliche Aufklärung über die aktuellen Einstufungen als “nachhaltiges Finanzprodukt”; 
    • ein klares Bekenntnis der EU dazu, dass die Einstufung nach Artikel 8 der Taxonomie nur übergangsweise als nachhaltig im ESG-Kapitalmarktbereich gelten darf;
    • ein transparentes, ebenfalls allgemeinverständliches Reporting der Nachhaltigkeitsziele aller im Fonds befindlichen Portfolio-Mitglieder;
    • eine Förderung des Impact Investings, also der nach Artikel 9 der Taxonomie agierenden Investitionsziele, da diese aktiv ihren positiven ökologischen Beitrag beziffern und für die Zukunft planen und berichten müssen. 

    Momentan werden im Emissionszertifikatshandel ungeprüfte Annahmen auf die Zukunft getroffen. Heißt: Frisch gepflanzten Bäumen wird eine CO₂-Bindungsleistung zugerechnet, die sie naturgemäß erst über Jahre und Jahrzehnte erbringen können – vorausgesetzt, sie bleiben gesund und es kommt nicht zu einem Waldbrand. Dann wird das angegebene CO₂-Volumen nie erreicht, obwohl es bereits über ein Zertifikat verkauft wurde. Unsere Forderung ist, dass kein in der Zukunft liegender Impact berücksichtigt werden darf, sondern nur bereits nachgewiesener.

    Wirken diese Maßnahmen zusammen und rechnen wir uns die Welt nicht mehr schön, kann das momentan angeschlagene Image des Nachhaltigkeitstrends deutlich verbessert werden.

    Susanna Krüger ist Mitgründerin von project bcause, einem Start-up, das den Zugang zur eigenen Online Stiftung und das Engagement in wirksame Non-Profit-Organisationen & For-Profit-Impact-Investments für jede Person ermöglicht.

    Rene Wienholtz ist Mitgründer von LOOM IMPACT, einer Impact Finance Boutique, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Impact-Unternehmen zu besseren Finanzierungsmöglichkeiten zu verhelfen – durch das Aufsetzen von passenden Finanzmarktprodukten, aber auch durch den digitalen Handel mit Impact-Assets über die LOOMPACT-Plattform.

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    Heads

    Milena Glimbovski – Aktivistin für Klima-Psychologie und Anpassung

    Klimaaktivistin Milena Glimbovski
    Milena Glimbovski: “Die Klimakrise hat mich gelähmt”.

    Milena Glimbovski gehört bereits seit Jahren zu den bekanntesten Stimmen im deutschen Klima-Aktivismus. 2014, da war sie gerade mal 24, eröffnete sie “Original Unverpackt”, einen der ersten Unverpacktläden der Republik und wurde zu einer Vorreiterin der Zero-Waste-Bewegung. 2017 erschien ihr Buch “Ohne Wenn und Abfall”. Kurz darauf kürten der Berliner Senat und die Industrie- und Handelskammer sie zur Unternehmerin des Jahres. Inzwischen war Glimbovski auch Verlagsgründerin – der von ihr und ihrem Partner entwickelte Kalender “Ein guter Plan” gewann zahlreiche Design- und Nachhaltigkeitspreise. Und die Deutsche Welle bezeichnete sie als “Climate Hero”. 

    Doch wenn Klimaheldinnentum auf Wirklichkeit trifft, tritt unweigerlich auch Ernüchterung ein. Die intensive Beschäftigung mit Klima- und Umweltthemen führte bei Milena Glimbovski zu Angst und Hilflosigkeit. “Ich habe mich erschlagen gefühlt. Nicht nur von den Nachrichten, sondern von dem, was man alles machen müsste”, sagt die heute 33-Jährige. “Ich konnte nicht verstehen, was eigentlich in den nächsten Jahren in Deutschland passieren wird. Das hat mir Angst gemacht, besonders vor fünf Jahren, als ich meinen Sohn bekommen habe.”

    Mangelnde Vorsorge in Politik und Wirtschaft

    Seitdem hat sie sich deshalb intensiv mit den Möglichkeiten der Anpassung an die Klimafolgen beschäftigt. Nun ist ihr Buch “Über Leben in der Klimakrise” erschienen. Sie kritisiert darin die mangelnde Vorsorgebereitschaft in Politik und Wirtschaft und benennt die strukturellen und sozialen Ebenen, auf denen Klimaanpassung notwendig ist. Die Liste ist lang: Hochwasserschutz, Trinkwasserversorgung, Meeresspiegelanstieg, Landwirtschaft, Energie, Katastrophenschutz, Stadtplanung, Migration. Zahlreiche Wirtschaftsbranchen müssen sich umstellen: Logistik, Bauindustrie, Tourismus und die Versicherungsbranche sind nur einige Beispiele. 

    Bei näherem Hinsehen wird auch deutlich, dass die verschiedenen Bereiche miteinander in Konflikt geraten können, wie Glimbovski am Beispiel der Flutkatastrophe 2021 zeigt: “Viele Versicherungen sind so gestaltet, dass Menschen an der gleichen Stelle das gleiche Haus wieder bauen müssen, sonst zahlt die Versicherung nicht. Diese Menschen müssten aber an anderer Stelle neu bauen oder umziehen.” Es sei ein großes Problem, dass bestimmte Gegenden als gutes Bauland ausgewiesen werden, obwohl sie in einer Hochwassergefahrenlage lägen. “Da waren Wirtschaftsinteressen wichtiger als die Sicherheit der Menschen.”

    Wie regenerative Landwirtschaft helfen könnte

    Wasser ist, wenig überraschend, eines der Hauptthemen ihres Buchs. Neben einem besseren Hochwasserschutz mahnt sie grundlegende Veränderungen in der Landwirtschaft an, die auch in Deutschland seit Jahren unter massiver Dürre leidet. “Dort ist die Frage: Braucht die Landwirtschaft Wasser, um Lebensmittel herzustellen? Oder braucht sie Wasser zur Herstellung von Getreide, das in Biogasanlagen wandert oder für Tierfutter verwendet wird?”

    Die Autorin spricht sich für eine regenerative Landwirtschaft aus, welche die Bio-Kriterien noch übersteigt und sich vor allem auf die Gesundheit von Böden und Pflanzen konzentriert. Das könne besonders in trockenen Zeiten helfen. Untersuchungen, wie zuletzt etwa der Boston Consulting Group und des Naturschutzbundes NABU, deuten darauf hin, dass eine Umstellung auf regenerative Landwirtschaft, die die Böden nicht auslaugt, nach sechs bis zehn Jahren zu bis zu 60 Prozent höheren Gewinnen führen kann. Risiken in den Lieferketten könnten in Dürrejahren um etwa die Hälfte reduziert werden, heißt es in der Studie. “Das ist ein langer und teurer Weg”, räumt Glimbovski ein. Die Alternative sei aber, Menschen verhungern zu lassen. “Wir haben gar keine andere Wahl, als die Landwirtschaft anzupassen, wenn wir uns in Zukunft sicher, fair, sozialverträglich und gesund ernähren wollen. Dafür müssen wir Böden, Wasser und Ökosysteme besser schützen.”

    Psychische Bewältigung der Klimakrise

    Neben allen technischen Seiten der Klimaanpassung verliert Milena Glimbovski aber auch eine weitere Maßnahme nicht aus dem Blick, die ihr anfangs selbst so schwergefallen ist: die emotionale und psychische Bewältigung der Klimakrise. “Die Psychologie ist mir deshalb so wichtig, weil ich in meiner Arbeit immer wieder gemerkt habe, wie mich das gelähmt hat.” Das Schreiben des Buchs, die Recherche, die Gespräche mit Expertinnen und Experten und das Verstehen, was da eigentlich psychologisch passiert, hätten ihr geholfen. “Ich muss eine Sache nicht kontrollieren, aber ich muss sie verstehen.” Sie konsumiere Klimanachrichten bewusst nur zu einer bestimmten Tageszeit. “Ich mache Pausen, ich rede mit Menschen darüber und habe Leute um mich, die das auch ernstnehmen. Es hilft, wenn man ein Gefühl von Gemeinschaft hat.”

    Deshalb wünscht sich die Aktivistin, dass die realen Folgen stärker thematisiert werden. “Wir müssen jetzt über Klimaanpassung sprechen”, sagt sie. Aber bedeutet das, dass der Kampf gegen den Klimawandel schon verloren ist? Und es nun vor allem auf die Vorsorge ankommt? Einen solchen Fatalismus weist die Aktivistin von sich: “Beides ist eine Jahrhundertaufgabe.” Die Eindämmung ist wichtig, es zähle jede Kommastelle. “Aber ich bin auch Realistin und ich sehe: Die Klimakrise ist hier. Und wir müssen lernen, uns anzupassen.” Stefan Boes

    • Klimaanpassung

    ESG.Table Redaktion

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