die ESG-Idee ist theoretisch bestechend. Gezielt Gelder nach den Kriterien Ökologie, Soziales und Unternehmensführung anlegen, um so die Wirtschaft zu transformieren – hin zu einer, die mit den planetaren Grenzen und den politisch gesetzten Entwicklungszielen (SDG) in Einklang steht.
Woran es in der Praxis hapert bei der Steuerung durch ESG, ist Thema unserer heutigen Ausgabe. Über den Stand der Transformation der deutschen Autobauer berichte ich mit Carsten Hübner.
Wie problematisch ESG-Fonds bei der Auswahl von Unternehmen vorgehen, zeigt eine aktuelle Studie – aber auch die EU-Kommission sieht Verbesserungspotenziale und will daher im Juni einen Vorschlag für die Regulierung von ESG-Ratings vorlegen. Darüber berichtet Leonie Düngefeld.
Gewaltige Investitionen braucht es in Argentinien für die Erschließung des zweitgrößten Schiefergasvorkommens der Welt. Das Land verspricht sich davon Energieunabhängigkeit, aber das Vorhaben birgt gewaltige Umweltrisiken. Dem geht Santiago Engelhardt nach.
Bert van Son spricht von der Textilindustrie als einem “Monster”, welches er mitaufgebaut hat. Aber vor 15 Jahren beschloss er es anders zu machen – seitdem arbeitet er an einer kreislauffähigen Jeans. Verena von Ondarza porträtiert ihn für unsere Serie zu 10 Jahre Rana Plaza.
Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeschickt wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Die Aktionäre dürften sich auf den Hauptversammlungen von Mercedes, VW und BMW vor allem für einen ESG-Aspekt interessieren: Environment und hierbei die Fortschritte bei der E-Mobilität. Denn davon hängt die künftige Profitabilität der Unternehmen entscheidend ab. Aber auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist ein erfolgreicher Umbau der mit 500 Milliarden Euro Umsatz und knapp 800.000 Beschäftigten wichtigsten deutschen Industriebranche elementar. Zwar verdient das Trio derzeit noch prächtig. Doch das dürfte sich ändern.
“Die Gewinne der deutschen Autobauer werden wegen der Transformation sinken”, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, gegenüber Table.Media. Manche Branchenkenner sprechen hinter vorgehaltener Hand sogar von einer künftigen Halbierung der Gewinne.
Das Problem ist teilweise hausgemacht. Die drei Hersteller haben das Thema E-Mobilität zu zögerlich angepackt. Jetzt fahren sie der Konkurrenz – allen voran dem US-Hersteller Tesla und chinesischen Anbietern wie BYD, Nio oder Xpeng – technologisch hinterher. Das wurde kürzlich auf der gerade zu Ende gegangenen Messe Auto Shanghai deutlich. “Die chinesische Dominanz ist erschreckend”, heißt es etwa im Branchenmagazin Automobil-Industrie.
Die Absatzzahlen auf dem wichtigen chinesischen Markt spiegeln dies wider. Während hier noch jeder fünfte Pkw mit Verbrennungsmotor von einem deutschen Hersteller stammt, liegt der Marktanteil bei reinen Elektrofahrzeugen unter fünf Prozent. Insgesamt wurden in China zuletzt rund 5,7 Millionen Elektroautos zugelassen – nur rund 200.000 davon stammten von deutschen Herstellern. Einer der Gründe: Es fehlt an bezahlbaren E-Autos in der Klein- und Mittelklasse.
Fanny Tausendteufel von der Denkfabrik Agora Verkehrswende ist vor diesem Hintergrund skeptisch, was das Engagement der Hersteller für die Pariser Klimaziele angeht. Sie stört besonders der hohe Anteil von SUV in den Flotten. Deren Anteil “hat sich in den letzten zehn Jahren bei den deutschen Autobauern mehr als verdreifacht”, sagt sie. “Es wäre kontraproduktiv, wenn der Verbrenner-SUV durch den E-SUV ersetzt wird, so wie es derzeit aussieht.” Als Treiber des Wandels sieht sie daher weniger die Unternehmen selbst. Wirksamer seien regulatorische Maßnahmen und der Druck des Kapitalmarkts.
Dazu wäre eine einheitliche Datenbasis notwendig. Die aber fehlt. Denn die Autohersteller geben ihre CO₂-Reduktionsziele und Emissionen noch so unterschiedlich an, dass eine Auswertung und vor allem ein Vergleich zwischen den Unternehmen kaum oder nur mit großem Aufwand möglich ist. “Deutliche Unterschiede gibt es etwas bei Scope 3, unter anderem weil die Hersteller unterschiedliche Annahmen über CO₂-Emissionen über den Lebenszyklus treffen”, sagt Tausendteufel. Diese Emissionen seien aber entscheidend, da sie mehr als 70 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der Hersteller und ihrer Zulieferer ausmachten.
Dies gilt insbesondere für den Verkauf von Pkw an Unternehmen. Firmenwagen machen in Deutschland rund zwei Drittel der jährlichen Neuzulassungen aus – mehr als in anderen Ländern. Der Anteil deutscher Hersteller ist dabei im Vergleich zum Gesamtmarkt überdurchschnittlich hoch. “Die Emissionen sind wichtig, weil sie sich auf die Flottenkosten der Unternehmen auswirken”, sagt Deka-Fondsmanager Ingo Speich. “Die Flotten sind wiederum sehr wichtig für den deutschen Markt”. Deshalb schauten Investoren hier genau hin, so Speich.
In anderen Bereichen sei dies noch nicht in dem Maße der Fall, weshalb Speich dem Kapitalmarkt eine eher einseitige Sicht auf den ökologischen Umbau der Automobilhersteller attestiert. “Hinsichtlich der Unternehmensbewertung spielt eine Kreislauffähigkeit der Automobilprodukte für die Investoren noch keine bedeutende Rolle”, sagt er. Dabei hätten die Hersteller auf der Beschaffungsseite schon einiges erreicht, etwa beim Einsatz von Recyclingmaterial. Die Erfassung des gesamten Lebens- und Lieferzyklus bleibt aber eine schwierige Aufgabe – allein schon deshalb, weil viele Gebrauchtwagen deutscher Premiumhersteller unregistriert auf dem afrikanischen Markt landen.
Neben der Dekarbonisierung und der ökologischen Nachhaltigkeit von Produkten und Produktion wird auch die soziale Transformation eine wichtige Rolle auf den diesjährigen Hauptversammlungen spielen. Grund dafür ist die Einführung des deutschen Lieferkettengesetzes Anfang des Jahres. Generell stünden die deutschen Autobauer bei der Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten vergleichsweise gut da, sagt Deka-Analyst Ingo Speich. BWM etwa habe schon vor Jahren seine Lieferketten auf menschenrechtliche Risiken beim Abbau von Seltenen Erden durchleuchtet.
Zunehmende Bauchschmerzen bereitet den Investoren allerdings die Situation in China. Zwischen 30 und 40 Prozent ihrer Fahrzeuge verkaufen die deutschen Hersteller dort. Doch längst ist das Land nicht mehr nur ein wichtiger Absatzmarkt, sondern auch ein bedeutender Produktionsstandort. Das wirft Probleme auf – aus geopolitischen Gründen, aber auch wegen menschenrechtlicher Aspekte.
Mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet die ESG-Community die Situation in der Provinz Xinjiang, wo laut Medienberichten und Menschenrechtsorganisationen Angehörige der uigurischen Minderheit seit Jahren zur Zwangsarbeit gezwungen werden – auch in Unternehmen der chinesischen Automobilzulieferindustrie. Volkswagen betreibt dort mit seinem chinesischen Partner SAIC ein eigenes Werk und hat erst kürzlich betont, dass es weder im Werk selbst noch bei direkten Zulieferern Zwangsarbeit gebe.
Branchenexperten gehen jedoch davon aus, dass die Lieferketten aller in China produzierenden Autohersteller bis nach Xinjiang reichen. Risiken könnten also überall lauern, zumal die chinesischen Behörden nicht nur in der Region zunehmend repressiv vorgehen. Bereits im Jahr 2020 haben fünf international tätige Auditfirmen, darunter der TÜV Süd, erklärt, dass sie aufgrund der politischen Lage keine Sozialaudits mehr in Xinjiang durchführen werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie in der Region tätige Unternehmen einen effektiven Beschwerdemechanismus, wie ihn das deutsche Lieferkettengesetz vorsieht, etablieren können. Carsten Hübner und Caspar Dohmen
Wie die Ratingagenturen ihre ESG-Bewertungen erstellen, ist bislang ihre Sache. Das will die EU-Kommission nun ändern und einen Rechtsrahmen für diesen Markt schaffen. Damit reagiert sie auch auf die Ergebnisse ihrer Wirkungsanalyse. Demnach hat sie Bedenken hinsichtlich der Transparenz bei der Beschaffung von Daten und den Methoden; auch seien die ESG-Ratings oft nicht aktuell, ungenau und unzuverlässig. Laut aktueller Agenda wird sie am 17. Juni einen Gesetzesentwurf vorstellen.
Der Markt für diese Ratings ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und hat sich konsolidiert. Weltweit gibt es mittlerweile rund 150 Agenturen, die ESG-Ratings anbieten. Die größten und wichtigsten Player, auf die sich der Markt stark konzentriert (wie MSCI, ISS und Moody’s), sind US-amerikanische oder britische Firmen. MSCI etwa hat einen Marktanteil von 30 Prozent. Laut der Kommission erbringen “große Anbieter von ESG-Ratings mit Sitz außerhalb der EU derzeit Dienstleistungen für Anleger in der EU”.
Diese Agenturen müssen bislang in der EU nicht zugelassen sein und unterliegen auch keiner Aufsicht. Jede Ratingagentur hat ihre eigene Methode, gewichtet die einzelnen ESG-Variablen unterschiedlich stark. Nur wenige von ihnen legen freiwillig die verwendeten Indikatoren und deren Gewichtung offen.
Bislang müsse man Detektivarbeit leisten, um die einzelnen Rating-Methoden zu verstehen, erzählt Kornelia Fabisik, die an der Universität Bern zu ESG-Ratings forscht. “Es ist derzeit nicht einfach, die ESG-Datenqualität anhand der von ESG-Ratingagenturen zur Verfügung gestellten Dokumentation zu beurteilen”. So sei meist nicht mit realistischem Zeitaufwand nachvollziehbar, ob bestimmte Daten direkt von den bewerteten Unternehmen veröffentlicht wurden oder ob die Ratingagentur den Wert einfach geschätzt habe.
Zudem gebe es zu wenig Informationen über die Bedeutung einzelner Rating-Kriterien: Oft nehmen Anleger an, die Bewertung beziehe sich auf die (positiven oder negativen) Auswirkungen eines Unternehmens auf ESG-Bereiche wie Umwelt oder Soziales. Doch oft gehe es nur um die einfache Materialität, also die Risiken von ESG-Faktoren für das Unternehmen. Während sich in Bezug auf die ESG-Kennzahl “Wasser” beispielsweise die eine Ratingagentur darauf beziehe, ob genug Wasser für die Betriebsabläufe des Unternehmens vorhanden sei, messe ein anderer Anbieter die Menge der von dem Unternehmen in das Wasser emittierten Stoffe. Fabisik sieht in der geplanten Verordnung eine Chance für Anleger, durch mehr Transparenz diese Daten besser zu verstehen.
Für Ratingagenturen, die auch andere Ratings anbieten, besteht darüber hinaus die Gefahr von Interessenskonflikten: Forscher der Universität Singapur weisen in einem Paper darauf hin, dass Interessenskonflikte der Ratingagenturen aufgrund von Geschäftsbeziehungen zu Verzerrungen bei ESG-Ratings führen. Sie stellten in den Fällen der Agenturen Moody’s und S&P fest, dass bereits (für Kreditratings) zahlende Kunden höhere ESG-Ratings erhielten als Unternehmen, zu denen sie keine Geschäftsbeziehungen pflegten.
Für das neue Gesetz nennt die EU-Kommission die folgenden Ziele:
Die ESMA schlägt in einem Brief an die EU-Kommission vor, den Gesetzesvorschlag an der Verordnung für Kreditratingagenturen zu orientieren und auch die Aufsicht über die ESG-Ratingagenturen zu übernehmen. Der rechtliche Rahmen sollte “der Größe des betreffenden Unternehmens angemessen” sein und “eine gemeinsame rechtliche Definition für ein ESG-Rating entwickeln, die das breite Spektrum an Bewertungsinstrumenten erfasst, die derzeit auf dem Markt verfügbar sind”. Die sehr großen Unterschiede zwischen den Ratings der einzelnen Anbieter führe bislang zu “Problemen in der Wertschöpfungskette von Investitionen”.
Dass sich die Ratings voneinander unterscheiden, sei nichts per se Negatives, sagt die deutsche Wissenschaftsplattform Sustainable Finance. Dies spiegele lediglich die Komplexität von Nachhaltigkeit wider – und sei Teil eines wettbewerbsfähigen, diversifizierten Marktes. “Es ist jedoch wichtig, dass sich die Nutzer von ESG-Ratings (Investoren, Vermögensverwalter) dieser Tatsache bewusst sind”, schreiben die Forscher in einem Bericht. “Dann können sie den Rating-Anbieter wählen, der am besten ihren Zielen/Werten/Erwartungen entspricht.”
Die Plattform empfiehlt, einen verbindlichen Rahmen “für die Offenlegung der wichtigsten Annahmen, der sensibelsten Methodenmerkmale und der Ziele von ESG-Ratings” zu schaffen. Dieser sollte die verschiedenen Nutzer von ESG-Ratings einbeziehen.
Laut einer Studie der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) würde ein “besseres Verständnis und eine größere Zuverlässigkeit der ESG-Ratings das Vertrauen in diesen schnell wachsenden Markt und dessen Glaubwürdigkeit stärken” und auf diese Weise nachhaltige Investitionen – und damit die Verwirklichung der Ziele des EU Green Deals – fördern.
Fabisik sieht in dem geplanten Entwurf erstmal ein Signal für die Ratingagenturen und die Chance auf eine bessere Qualität und Verfügbarkeit der Daten für deren Nutzer.
Die zweitgrößten Schiefergasreserven der Welt befinden sich in der argentinischen Provinz Neuquén. Schätzungen zufolge könnte das riesige Vorkommen Vaca Muerta (deutsch: tote Kuh) den Eigenbedarf des Landes für 150 Jahre decken und gleichzeitig zu einer wichtigen Devisenquelle werden. Präsident Alberto Angél Fernández brachte während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz im Januar sein wirtschaftlich stark angeschlagenes Land als möglichen Gaslieferanten für Deutschland ins Spiel. Mit dabei war Mario Mehren, Vorstandschef des Öl- und Gaskonzerns Wintershall DEA. Argentinien sei dabei, sagte er, für die Ausbeutung der Vorkommen notwendige große Infrastrukturprojekte wie den Ausbau des nationalen Pipelinenetzwerks umzusetzen. Das Land wolle unabhängig von Energieimporten werden, um dann über bereits existierende regionale Exporte hinaus Argentinien als Energielieferant am Weltmarkt zu etablieren. Gelinge dies, habe das Land das Potenzial, langfristig auch Europa mit Energie zu versorgen. Gas bleibt auf absehbare Zeit für Europa eine wichtige Energiequelle, gerade auch für die Transformation.
Bereits im Sommer 2022 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz selbst die Chancen betont: “Argentinien hat ein enormes Potential, insbesondere für erneuerbare Energien und zur Produktion von grünem Wasserstoff.” Inwieweit deutsche Unternehmen bereits Kontakt aufgenommen haben, ist dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nicht bekannt. Die Händler und Unternehmen machten die Verträge, sagte die zuständige Sprecherin Table.Media. Dem Ministerium würden keine Erkenntnisse zur Unterstützung solcher Projekte vorliegen.
Laut einer Studie der Ratingagentur Fitch handelt es sich bei Vaca Muerta um die zweitgrößten Schiefergasreserven und die viertgrößten Schieferölreserven der Welt. Um das enorme Potenzial zu heben, braucht es aber Investitionen und Investitionssicherheit. Wichtig für private Investitionen sind laut Erick Pastrana, Associate Director, Latin America Corporate Ratings, ein regulatorischer Rahmen, der Gewissheit biete, sei es der Zugang zu Devisen, um Dividenden außerhalb Argentiniens zu zahlen, sowie Transparenz während des gesamten Investitionszeitraums. Bei den anstehenden Wahlen im Oktober scheinen alle Parteien bislang den Ausbau des Vorhabens zu unterstützen.
Indes warnen Umweltschützer vor den Gefahren des Einsatzes der Fracking-Technik. Die Organisation 350.org spricht von einer “Kohlenstoffbombe”, die mehr als elf Prozent des zur Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles verbleibenden Kohlenstoffbudgets der Welt aufzubrauchen drohe. Aber auch das Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien, das bei dem Prozess mit Hochdruck in den Boden gepresst wird, das sogenannte Fracking Fluid, kann in manchen Fällen in das Grund- und Trinkwasser gelangen. Viele der eingesetzten Chemikalien gelten als krebserregend, Hormone verändernd oder anderweitig gesundheitsschädlich. Der Energieexpertin von Greenpeace, Anike Peters, zufolge ist Fracking immer mit massiven Umweltschäden verbunden. Deshalb müsse das Fracking-Verbot in Deutschland bestehen bleiben und der Import von Fracking-Gas schnellstmöglich beendet werden. Über weitere Gefahren berichtet das Untersekretariat für Umwelt der Provinz Neuquén:
Die schnelle Entwicklung von Vaca Muerta bringt aber auch soziale Verwerfungen mit sich. Die Bevölkerung der Stadt Añelo ist seit der Entdeckung von Vaca Muerta, vor elf Jahren von 2.500 auf 15.000 Einwohner gewachsen. Weitere 15.000 Beschäftigte pendeln jeden Tag in das neue Zentrum der Ölindustrie. Zwar sind viele Bewohner dankbar für den sozialen Aufstieg, leiden aber trotzdem unter der mangelnden Infrastruktur. Ironischerweise verfügen, die Häuser der Menschen, die über dem zweitgrößten Schiefergasvorkommen der Welt wohnen, über keinen Gasanschluss. Wiederholt hätten Bewohner die Straßen blockiert, um den Ausbau der Wasser- und Gasversorgung sowie der Straßenbeleuchtung von der überforderten Provinzregierung gefordert, sagte Table.Media Francisco Mantilaro, Geschäftsführer der NGO Otras Voces. Aber große Teile der Bevölkerung befürworte die Erdöl- und Gasindustrie.
Laut Experten bräuchte das Land vier bis fünf Jahre, um die für den Export nach Übersee nötige Infrastruktur zu bauen. Dringend notwendig ist der Ausbau dieser Infrastruktur aber auch für das Land selbst, um eine günstige Energieversorgung seiner Bevölkerung zu gewährleisten. Derzeit wendet die Regierung einen immer größeren Teil ihrer knappen Dollarreserven auf, um das Gas zu bezahlen, das konstant durch die Pipelines aus Bolivien fließt. Ein wichtiger Schritt, um diese Abhängigkeit zu reduzieren, ist die baldige Fertigstellung der Pipeline Nestor Kirchner, die Vaca Muerta mit Buenos Aires und den anderen urbanen Zentren im Norden verbinden wird. Da aber die geologische Struktur seiner Böden den Bau von Gasspeichern erschwert, wird das Land zumindest in den Wintermonaten weiter Gas importieren müssen.
Der Krieg in der Ukraine hat die Wirtschaft des südamerikanischen Landes hart getroffen, es musste 2022 fünf Milliarden Dollar mehr für Energieimporte aufwenden. Die Regierung gibt Gas zu stark subventionierten Preisen an die Verbraucher weiter, da die Hälfte von Ihnen nicht die Mittel hat, den wahren Preis für das importierte Gas zu bezahlen. Auch die Landwirtschaft, Haupteinnahmequelle des Landes, muss höhere Preise für Dünger zahlen, den sie früher größtenteils aus Russland importierte und leidet aktuell unter einer Dürre, durch die das Land schon 20 Milliarden Euro an Exportvolumen verloren hat.
Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Förderung von Vaca Muerta befürwortet und diese Haltung quer durch alle Regierungslager geht. Wie der Journalist und Autor des Buches “Vaca Muerta” Alejandro Rebossio, erklärt: “Wer direkt neben einer Förderanlage lebt, ist natürlich dagegen, aber das ist eine Minderheit. Die Mehrheit will sich heiß duschen können”. Santiago Engelhardt
3.-5.5.2023, online
Konferenz Berliner Energietage 2023 – Energiewende: jetzt! gemeinsam! (EUMB Pöschk GmbH & Co. KG) Info & Anmeldung
9.5.2023, 9:00-17:00 Uhr, Münster
Konferenz Klimaschutztag 2023 (Klimaschutz-Unternehmen e.V.) Info & Anmeldung
4.5.2023, Kirchberg an der Jagst
Konferenz BMEL-Nachhaltigkeitskonferenz 2023 Info
10.5.2023, Leipzig
Konferenz Sustainable Finance – Wie gelingt die Transformationsfinanzierung im Mittelstand und für die regionale Wertschöpfung? (B.A.U.M. e.V.) Info & Anmeldung
11.-12.5.2023, online
Konferenz Climate Transformation Summit 2023 (The Climate Choice) Info & Anmeldung
12.5.2023, Amsterdam
Konferenz B Corp Festival: 10 Years of B Lab Europe Info & Anmeldung
13.-17.5.2023, München
Messe IFAT 2023 – Weltleitmesse für Wasser-, Abwasser-, Abfall- und Rohstoffwirtschaft Info & Anmeldung
16.5.2023, 14:00-16:00 Uhr, online
Webinar Towards digital corporate reporting with CSRD (Accountancy Europe) Info & Anmeldung
22.-23.3.2023, Berlin
Konferenz Berliner Energietage 2023 – Energiewende: jetzt! gemeinsam! (EUMB Pöschk GmbH & Co. KG) Info & Anmeldung
23.5.2023, Berlin
Konferenz Umwelt-Fachtagung 2023: Aktuelle gesetzliche Änderungen und deren Umsetzung im Unternehmen (TÜV Nord) Info & Anmeldung
23.-25.5.2023, Essen
Messe E-World Energy & Water Info & Anmeldung
Viel Marktwirtschaft, etwas Ordnungsrecht und ganz viel Hoffnung auf Innovation stecken im Fit-for-55-Paket, das den Weg zum EU-Klimaziel 2030 ebnen soll. Doch kaum sind die wesentlichen Teile des Pakets in Gesetzestext gegossen, stellt sich die Frage nach dem nächsten Ziel und welche Instrumente sich dafür eignen. Liegt es für 2030 bei einer CO₂-Reduktion von rund 55 Prozent, könnte es 2040 bei bis zu 90 Prozent liegen. Die Kommission hat die Beratungen zum Ziel und die erforderlichen Maßnahmen bereits begonnen. Im Frühjahr 2024 soll eine Folgenabschätzung veröffentlicht werden, voraussichtlich 2026 soll der Gesetzesvorschlag für das neue Klimaziel folgen.
Eine wesentliche Frage, die die Kommission in ihrer Ankündigung aufwirft, ist die Rolle von CO₂-Entnahmen für das Klimaziel 2040. Aus den Reihen der EVP ist die Forderung eindeutig: negative Emissionen müssen in den Emissionshandel integriert werden. ETS-Berichterstatter Peter Liese wollte das sogar schon in der aktuellen Reform verankern, denn ohne Carbon-Removal-Technologien seien die ambitionierten Klimaziele kaum zu erreichen.
Michael Bloss, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament und bisheriger ETS-Schattenberichterstatter, befürchtet ein Aufweichen des Klimaschutzes, sollten Negativemissionen im ETS zu Geld gemacht werden können. Das ETS sei keine Gelddruckmaschine für die Wirtschaft. “Die feste Deckelung der Emissionen im ETS soll für CO₂-Reduktionen sorgen.” Sonst sei das ETS wertlos und man solle besser eine CO₂-Steuer einführen, so Bloss.
Liese argumentiert, dass die Nachfrage nach Negativemissionen steigen würde, wenn Unternehmen sie nutzen könnten, um ihre Klimaziele zu erreichen. Investitionen in Technologien wie Direct Air Capture (DAC) und der langfristigen Speicherung von CO₂ (Carbon Capture and Storage, CCS) sowie der Speicherung in Produkten (Carbon Capture and Utilization, CCU) könnten dadurch massiv zunehmen und sie profitabel machen. “Wie wollen wir negative Emissionen im großen Stil in 20 Jahren erreichen, wenn wir die Technologie nicht jetzt verbessern”, fragt Liese.
Das möge betriebswirtschaftlich zwar stimmen, sagt Anne Gläser, CO₂-Preis-Expertin bei Germanwatch, doch aus Klimaschutz-Sicht müssen CO₂-Reduktionen Vorrang haben. “Vor 2040 sollten wir keinen Schwerpunkt darauflegen, Ressourcen in die Entwicklung von Carbon-Removal-Technologien zu investieren, die uns dann bei Investitionen in Emissionsreduktion fehlen.”
Dass es diese Technologien braucht, um die Klimaziele zu erreichen, daran gibt es keinen Zweifel. Auch der Weltklimarat (IPCC) weist auf diese Möglichkeit explizit hin. So will auch Michael Bloss sie keineswegs verbieten, sondern sie nutzen, um nach 2050 die Emissionen von nicht dekarbonisierbaren Sektoren zu kompensieren. Doch die feste Deckelung der CO₂-Emissionen im ETS – das sogenannte Cap – deshalb aufzuweichen, hält er für den falschen Weg. Bloss argumentiert, es gehe nur um “drei Prozent der Bereiche, die nicht vollständig dekarbonisierbar sind”.
Auch Liese will das Cap zumindest kurzfristig nicht aufweichen. Doch der CDU-Politiker führt an, dass man schon lange vor 2040 Anreize für CO₂-Entnahmen setzen müsse, wenn Deutschland 2045 und Europa 2050 klimaneutral sein solle. “Gerade weil die Technologie im Moment noch sehr teuer und nicht marktreif ist, müssen wir schnell damit anfangen.”
Die Wissenschaft ist bislang noch zurückhaltend, inwieweit eine Integration von CO₂-Entnahmen ins ETS sinnvoll ist. Zwar halten die Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) eine Integration in naher Zukunft grundsätzlich für machbar. Carbon Farming und die permanente Speicherung in Produkten sollten dabei allerdings keine Rolle spielen, sondern lediglich die gelagerten Mengen an CO₂. Die PIK-Forscher weisen auch auf das Problem einer Angebotsunsicherheit im ETS durch die Abgabe von Negativemissionszertifikaten hin. Dies könne den Markt “destabilisieren und zu einer übermäßigen Preisvolatilität führen”. luk
Der Rat der Europäischen Union hat vergangene Woche eine neue Richtlinie gegen Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts verabschiedet – sie dürfte weitreichende Folgen haben. Die Mitgliedstaaten haben drei Jahre Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen. Künftig müssen demnach auch Unternehmen mit weniger als 200 Beschäftigten Gehaltsauskünfte erteilen – aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für Beschäftigte, die gleichwertige Arbeit machen, wie die Person, die die Auskunft verlangt. Das deutsche Entgelttransparenzgesetz verpflichtet bisher nur Firmen mit mehr als 200 Beschäftigen dazu.
Neu ist ebenfalls, dass Unternehmen über das geschlechtsspezifische Lohngefälle berichten müssen. Wenn es mehr als fünf Prozent beträgt, sind Unternehmen verpflichtet, zusammen mit Arbeitnehmervertretern eine “gemeinsame Entgeltbewertung” vorzunehmen – sofern die Gehaltsunterschiede nicht aufgrund objektiver Kriterien bestehen und der Arbeitgeber sie nicht innerhalb von sechs Monaten beseitigt hat. Wie dieser Prozess ablaufen wird, muss der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht definieren – etwa welche Organisationen dort als Arbeitnehmervertreter agieren können, wo es keine Betriebsräte gibt.
Klar ist, dass Unternehmen mit mehr als 150 Beschäftigten erstmals in vier Jahren über das geschlechtsspezifische Lohngefälle berichten müssen; solche mit 100 bis 149 in acht Jahren. Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten danach jährlich, die anderen alle drei Jahre. Ob Betriebe mit unter 100 Beschäftigten Berichtspflichten haben werden, hängt ebenfalls von der Umsetzung in Deutschland ab.
Arbeitsrechtsexperte Michael Fuhlrott sagt gegenüber Table.Media, dass die neue “umfassende Berichtspflicht für Unternehmen einen erheblichen Aufwand darstellt, der nicht unterschätzt werden darf”. Er verweist auch darauf, dass auf Unternehmen mit einem geschlechtsspezifischen Lohngefälle Schadensersatzansprüche der benachteiligten Beschäftigten zukommen könnten – wenn diese zum Beispiel aufgrund eines entsprechenden Berichts von ihrer Ungleichbehandlung erfahren.
Weitere Neuerungen durch die Richtlinie für Lohntransparenz werden unter anderem sein: Bewerber haben künftig Anspruch auf Informationen zum Einstiegsgehalt oder der Gehaltsspanne des Jobs. Zudem dürfen Unternehmen Bewerber nicht mehr nach früheren Gehältern fragen. Ebenfalls verboten sind Regelungen zur Geheimhaltung des Gehalts. nh
Unternehmen setzen Nachhaltigkeit bei der Beschaffung oft noch nicht strategisch um. Dies zeigt eine Umfrage des Jaro-Instituts von Dienstag. Demnach sei das Bewusstsein für Nachhaltigkeit im Einkauf seit der letzten Erhebung 2020 zwar gewachsen, bei den Beschaffungsentscheidungen spielten aber nach wie vor klassische Kriterien wie Qualität, Lieferzeit und Anschaffungspreis eine wichtigere Rolle als etwa die Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung eines Lieferanten oder der Lebenszykluskosten.
Für bedenklich halten die Autoren der Studie, dass über 42 Prozent der Befragten die Betrachtung der Vorlieferanten bei der Beschaffungsentscheidung für irrelevant halten. In der Umfrage von 2020, also vor der Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, waren es nur 17 Prozent. Dabei sei es wichtig, die vorgelagerten Wertschöpfungsketten in den Blick zu nehmen, “um soziale, ökologische und wirtschaftliche Risiken frühzeitig identifizieren beziehungsweise abwenden zu können”. Zudem müssen Unternehmen laut dem Lieferkettengesetz auf Missstände bei Vorlieferanten reagieren, wenn sie davon erfahren. Es müsste also eigentlich in dem Interesse von Unternehmen liegen, sich genau auch mit den Vorlieferanten zu beschäftigen.
Nur 55 Prozent der Befragten sehen eine nachhaltige Beschaffung als aufwändiger an als eine konventionelle. Dass es nicht mehr sind, könnte, laut den Autoren, “ein Indikator dafür sein, dass die Bedarfsplanung als Hebel einer innovativen und regenerativen Beschaffung noch immer nicht ausreichend im Einkauf verstanden und genutzt wird”.
Ein besonders widersprüchliches Handeln der Unternehmen sehen die Studienautoren mit Blick auf mögliche Hilfen von Dritten wie NGO. Zwar wünschten sich rund 60 Prozent der Unternehmen externe Unterstützung bei der Einbindung von Lieferanten in die nachhaltige Beschaffung. Tatsächlich greifen aber nur 16 Prozent auf solche Hilfen zurück.
Für die Studie Nachhaltige Beschaffung und Verantwortungsvolle Lieferketten 2023 hat das Jaro-Institut, ein Verein, der Unternehmen bei der Integration von Nachhaltigkeit in ihre Prozesse berät, in Kooperation mit der CBS International Business School sowie der B2B-Einkaufsplattform Unite zwischen Oktober und Dezember 2022 291 Personen, darunter 183 Einkaufsverantwortliche von Unternehmen, befragt. 71 Prozent der Befragten kommen aus der Deutschland, Österreich oder der Schweiz. nh
In Deutschland sind 422 Milliarden Euro in Fonds mit Unternehmen investiert, denen Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen vorgeworfen werden und die darauf nicht angemessen reagieren, etwa durch Entschädigungen. 174 Milliarden Euro davon befinden sich sogar in Fonds, die vom Finanzmarktanalysten Lipper als ESG-Fonds gelabelt sind. Zu diesem Ergebnis kommt das Verbraucherportal Faire Fonds Info, das von den NGOs Facing Finance und Urgewald betrieben wird.
“Investments in Unternehmen, die den Opfern ihrer menschenrechtverletzenden Geschäftspraktiken keine Entschädigung zahlen, dürften niemals unter dem Attribut ‘nachhaltig’ vermarket werden”, kritisiert Frederike Potts, Projektkoordinatorin bei Facing Finance. Dennoch sei dies bei fast jedem achten Euro, den ein ESG-Fonds verwaltet, der Fall.
Ein Viertel der untersuchten ESG-Fonds ist beispielsweise in Microsoft investiert, gefolgt von Apple und Amazon. “Insbesondere ESG-Fonds, die sich immer mehr aus fossilen Energien zurückziehen, dürfen jetzt nicht ihr Heil in Profiten suchen, die mit Verletzungen von Menschenrechten in der Lieferkette erkauft werden”, mahnt Julia Dubslaff von Urgewald.
Laut Faire Fonds Info sind 78 Prozent der ESG-Fonds der Allianz in mindestens einem Unternehmen investiert, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Ähnlich sieht es bei Union Investment (76 Prozent) und DWS (74 Prozent) aus. Lediglich bei der Deka ist der Anteil mit 23 Prozent deutlich geringer. Für die Analyse wurde der Corporate Human Rights Benchmark (CHRB) verwendet.
Untersucht wurden 2.885 in Deutschland vertriebene Publikumsfonds mit einem verwalteten Vermögen von über 2,6 Billionen Euro, darunter die Eigen- und Fremdfonds der vier größten deutschen Fondsgesellschaften Allianz Global Investors, Deka, DWS und Union Investment. Davon entfallen 1,4 Billionen Euro auf 1.782 ESG-Fonds, die nach Artikel 8 (“hellgrün”) oder Artikel 9 (“dunkelgrün”) der EU-Offenlegungsverordnung eingestuft sind. ch
Dem chinesischen Unternehmen Contemporary Ampere Technology Co. Limited (CATL) ist es gelungen, eine Natrium-Ionen-Batterie zur Großserienreife zu bringen. Die Entwicklung, die einem Durchbruch gleich kommt und im Vorfeld der Automesse in Shanghai verkündet wurde, könnte dem globalen Elektroautomarkt einen enormen Schub verleihen. Batterien sind maßgeblich für den Erfolg von E-Autos. Von ihrem Preis, ihrer Reichweite und der Ladedauer hängt es ab, ob sich Käufer für ein E-Auto entscheiden und welches Modell sie wählen.
Natrium-Ionen-Akkus können drei zentrale Probleme lösen, die bei gängigen Lithium-Ionen Akkus bestehen: Sie sind etwa 20 Prozent günstiger pro Kilowattstunde; verringern die Rohstoffabhängigkeit, weil Natrium in größeren Mengen vorhanden ist; und haben selbst bei minus 20 Grad eine Kapazitätserhaltungsrate von mehr als 90 Prozent. Der geringere Preis könnte die Akkus vor allem für Klein- und Kompaktwagen interessant machen, deren Elektrifizierung noch nicht weit vorangeschritten ist. Betrachtet man den Gesamtmarkt, boomen E-Autos jetzt bereits. Laut Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) lag der Anteil bei Neuwagen 2020 bei vier Prozent – in diesem Jahr steigt er voraussichtlich auf 18 Prozent. 2030 soll er alleine in Europa 50 Prozent betragen.
Im Vergleich zu Lithium-Ionen-Akkus schöpft die Natrium-Ionen-Batterie ihr Potenzial in der Praxis allerdings noch nicht aus. Die Energiedichte von CATLs erster Generation liegt bei bis zu 160 Wattstunden pro Kilogramm; herkömmliche LI-Batterien erreichen rund 200. CATL sagt, dass man diesen Wert mit der nächsten Generation einholen will. Perspektivisch soll sie bis zu 500 Wattstunden pro Kilogramm erreichen können. Um den momentanen Schwachpunkt auszugleichen, liefert das Unternehmen zunächst eine Kombination aus Natrium- und Lithium-Ionen-Akkus aus. Nach Angaben von CATL können sie an beiden europäischen Standorten produziert werden. Christian Domke Seidel
Studie: Jeder Bauernhof bringt 150.000 € jährliche Leistungen für Umwelt und Gemeinwohl – Top Agrar
Klaus Dorsch berichtet über ein Pilotprojekt, an dem 20 Betriebe teilnahmen. Eine Erkenntnis: Unabhängig von ihrer Größe oder der Art der Bewirtschaftung – ökologisch oder konventionell – erzielten die Höfe durchweg “hohe Nachhaltigkeitsleistungen”. Ermittelt wurden diese anhand von 300 Kennzahlen. Zum Artikel
“Abschalten der letzten AKW bedeutet, dass der Strompreis steigt” – Die Welt
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat wesentlich an der Gaspreisbremse mitgearbeitet. Einen Strompreis für die Industrie lehnt sie im Interview mit Jan Damms und Philipp Vetter jedoch ab – ein solcher Strompreis führe in die falsche Richtung. Zum Artikel
“Die Produktion kommt nicht zurück nach Europa” – FAZ
Er sehe kein Ende der internationalen Arbeitsteilung, sagt Post-Chef Frank Appel im Interview mit Helmut Bünder und Gerald Braunberger. Denn die Antriebskräfte änderten sich nicht. “Am Ende geht es immer darum, was Konsumenten bereit sind, für ein Produkt zu bezahlen.” Es sei denn, die Politik greife ein, so wie jetzt in der Chip-Industrie. Aber für die meisten Produkte gehe es um individuelle Kaufentscheidungen. Zum Artikel
Wenn Deutschland das Auto abschafft, schafft es seinen Wohlstand ab – NZZ
Jahrzehntelang hätten deutsche Automarken weltweit das Straßenbild mit ihren hochwertigen Fahrzeugen geprägt. Heute maßregelten Politiker und Aktivisten die Branche, kommentiert Beatrice Achtenberg. Die Erfolgsgeschichte könne fortgeschrieben werden, wenn man die Akteure ließe und wenn alle, die gleichzeitig den Klimawandel bekämpfen und die deutsche Schlüsselindustrie erhalten wollten, “den Mund aufmachen”. Zum Artikel
Carbon Dioxide Removal: The Tech that is polarizing Climate Science – The Guardian
Weil die Dekarbonisierung zu langsam voranschreitet, brauchen wir Methoden, um CO₂ aus der Atmosphäre zu holen. Das sagt etwa der Weltklimarat – aber stimmt das? Fiona Harvey wägt die Vor- und Nachteile ab und erklärt, dass sich vor allem Öl-Förder wie Saudi-Arabien für diese Option starkmachen. Zum Artikel
ESG fund downgrades in Europe look set to reverse – Financial Times
Die ESG-Branche steht nach Meinung von Analysten erneut vor einer Welle massiver Herabstufungen, berichtet Emma Boyde. Grund sei eine Klarstellung der Regelung durch die EU-Kommission. Damit könnte sich ein Trend fortsetzen. Im ersten Monat des Jahres seien laut Morningstar ESG-Fonds im Wert von 99 Milliarden Euro auf Artikel 8 herabgestuft worden. Im vierten Quartal 2022 seien es 300 Artikel-9-Fonds mit einem Volumen von 170 Milliarden Euro gewesen. Zum Artikel
Mercedes-Benz chief says cutting China ties would be ‘unthinkable’ – Financial Times
Ein Abbruch der Beziehungen zu China wäre “für fast die gesamte deutsche Industrie undenkbar”, sagte Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender des Automobilherstellers Mercedes-Benz, schreibt Laura Pitel. Ein Abbruch der Beziehungen zu China sei unmöglich und “nicht wünschenswert”. Zum Artikel
King Charles urged to push for breakup of UK’s ‘network of satellite tax havens’ – The Guardian
Das Netzwerk für Steuergerechtigkeit drängt König Charles, gegen das Netz von mit Großbritannien verbundenen Steueroasen vorzugehen. Das Vereinigte Königreich und die britischen Überseegebiete seien zusammen für fast 40 Prozent der Steuerausfälle verantwortlich, die Länder auf der ganzen Welt jährlich durch Gewinnverschiebung multinationaler Unternehmen und durch Offshore-Steuerhinterziehung vor allem reicher und mächtiger Einzelpersonen erleiden. Zum Artikel
Help low-paid workers or face curbs to bosses’ pay, fund managers tell UK firms – The Guardian
Große britische Vermögensverwaltungen haben im Vorfeld der Jahres-Hauptversammlungen auf das Problem niedriger Löhne entlang der Lieferketten aufmerksam gemacht, berichtet Japser Jolly. Der größte Vermögensverwalter des Vereinigten Königreichs, Legal and General Investment Management, und die größte betriebliche Altersversorgung, Nest, sowie Aviva Investors und Axa Investment Managers sowie wie CCLA riefen Unternehmen auf, Lohnerhöhungen zu gewähren, die den am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmern helfen, mit den Auswirkungen der Inflation fertig zu werden, und den tatsächlichen existenzsichernden Lohn in ihrer gesamten Lieferkette zu zahlen. Zum Artikel
How to make low-carbon concrete from old cement – The Economist
Mit einer CO₂-freien Zementherstellung tut sich die Industrie schwer. Notwendig wäre es, weil die Zementherstellung rund acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verursacht. Vielversprechend ist nun ein neues Verfahren der Universität Oxford, bei dem alter Zement aufbereitet wird, ohne, dass es wie bei früheren Verfahren zu einer deutlichen Verschlechterung des Baustoffes kommen soll. Zum Artikel
Im Gespräch mit Bert van Son klingt immer auch sein schlechtes Gewissen mit. “Wir haben mit der expandierenden Fast-Fashion-Industrie ein Monster geschaffen”, sagt er. Und mit “wir” meint er tatsächlich auch sich selbst. Seine Karriere in der Modebranche startet er vor 40 Jahren in Asien. Viele Jahre arbeitet er international als Einkäufer, Verkäufer und zuletzt mit einem eigenen Unternehmen, das mit Lizenzen von Comicfiguren für Textilunternehmen handelt. Das Unglück von Rana Plaza, bei dem 1.138 Menschen starben, überraschte ihn deshalb nicht. Fabrikgebäude wie jenes in Sabhar (nahe Dhaka) habe er jede Menge gesehen.
Vor knapp 15 Jahren sucht er den Neustart. Er ist damals fast 50 Jahre alt. “Ich bin mit einem Glauben an unendliches Wachstum groß geworden”. Die Erkenntnis, dass dieses Wirtschaftsmodell zerstörerisch ist, sei ihm langsam über die Jahre gekommen. Er verkauft sein Unternehmen. Er will weg von der linearen, auf schnellen Verschleiß gebauten Wirtschaft. Sein Antrieb: Die Kreislaufwirtschaft in (die) Mode bringen. Er nennt sein Label Mud – das englische Wort für Lehm. Ein vielseitiger Werkstoff, der vollständig recycelt werden kann.
Bewusst setzt er auf Jeans. Ein absolutes Massenprodukt. Selbst wenn man nur einen kleinen Teil dieses Marktes erobern könnte, hätte das eine messbare Wirkung, sagt van Son.
“Jeans ist das meistverkaufte und das dreckigste Produkt der Fashion-Branche.” Gleichzeitig sieht er großes Potential für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Denn in ihrer Urform ist die Jeans ein Baumwollprodukt. Die Fasern lassen sich vergleichsweise gut recyclen.
Trotzdem gibt es auch beim Jeans-Recycling viele Herausforderungen. Das beginnt laut van Son bei der Beschaffung von hochwertigem Altmaterial. Mud verwendet für das Recycling alte, getragene Jeans. Viele Wettbewerber, die ihre Jeans ebenfalls als Recyclingprodukte vermarkten, setzen dagegen auf sogenanntes Pre-Consumer-Recycling. Das heißt, aus den Zuschnittresten der frisch gewebten Stoffe machen sie neue Materialien. “Zuschnittrestesammeln, schreddern und neu verweben – das ist nichts Neues”, sagt er. Das habe die Textilbranche immer schon gemacht. Das nun als nachhaltig zu vermarkten, ist für ihn “pures Greenwashing”.
Mud benutzt für seine Produktion alte Stoffe mit einem Baumwollanteil von mindestens 96 Prozent. Damit verkaufte Ware – und bekannte Stoffqualität – wieder zum Unternehmen zurückkommt, entwickelte Bert van Son ein Leasing-Modell. Statt 130 Euro auf einen Schlag zu zahlen, können Kunden ein Jahr lang monatlich 11 Euro abstottern. Geht sie kaputt, repariert Mud sie oder nimmt sie in Zahlung.
Für van Son hat dieses Modell noch einen weiteren Vorteil: “Wir erschließen damit Kundengruppen, die sich eine nachhaltige Jeans vielleicht sonst nicht leisten könnten.” Viele Kunden seien Studierende, fügt er hinzu.
Aktuell haben Mud-Jeans einen Recycling-Anteil von 40 Prozent. Technisch möglich ist schon mehr. Mit der Saxion Hochschule in Enschede hat Mud den Prototypen für einen Jeans-Stoff aus 100 Prozent recycelten Fasern hergestellt. Ein mal ein Meter aus dem Forschungslabor reichte gerade für eine Shorts. Aber, sagt van Son, “es hat uns gezeigt, dass es technisch geht – reißfeste Jeansfasern aus alter Baumwolle herzustellen.” Für die Massenproduktion ist das Verfahren aus einer Kombination von chemischem und mechanischem Recycling noch zu teuer. Aber Mud steigert den Altfaseranteil in diesem Jahr deutlich. In Spanien will das Unternehmen ab Sommer Jeansstoffe aus 80 Prozent recyceltem Material herstellen. Damit ist Bert van Son fast an seinem Ziel, der Branche zu beweisen, dass es einen geschlossenen Kreislauf für Baumwolle geben kann. Das Geschäftsmodell am Markt groß machen, muss nun eine andere. Bert van Son hat sich Mitte April von der Geschäftsführung zurückgezogen und übergibt nun an Jolanda Brink. Verena von Ondarza
die ESG-Idee ist theoretisch bestechend. Gezielt Gelder nach den Kriterien Ökologie, Soziales und Unternehmensführung anlegen, um so die Wirtschaft zu transformieren – hin zu einer, die mit den planetaren Grenzen und den politisch gesetzten Entwicklungszielen (SDG) in Einklang steht.
Woran es in der Praxis hapert bei der Steuerung durch ESG, ist Thema unserer heutigen Ausgabe. Über den Stand der Transformation der deutschen Autobauer berichte ich mit Carsten Hübner.
Wie problematisch ESG-Fonds bei der Auswahl von Unternehmen vorgehen, zeigt eine aktuelle Studie – aber auch die EU-Kommission sieht Verbesserungspotenziale und will daher im Juni einen Vorschlag für die Regulierung von ESG-Ratings vorlegen. Darüber berichtet Leonie Düngefeld.
Gewaltige Investitionen braucht es in Argentinien für die Erschließung des zweitgrößten Schiefergasvorkommens der Welt. Das Land verspricht sich davon Energieunabhängigkeit, aber das Vorhaben birgt gewaltige Umweltrisiken. Dem geht Santiago Engelhardt nach.
Bert van Son spricht von der Textilindustrie als einem “Monster”, welches er mitaufgebaut hat. Aber vor 15 Jahren beschloss er es anders zu machen – seitdem arbeitet er an einer kreislauffähigen Jeans. Verena von Ondarza porträtiert ihn für unsere Serie zu 10 Jahre Rana Plaza.
Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeschickt wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Die Aktionäre dürften sich auf den Hauptversammlungen von Mercedes, VW und BMW vor allem für einen ESG-Aspekt interessieren: Environment und hierbei die Fortschritte bei der E-Mobilität. Denn davon hängt die künftige Profitabilität der Unternehmen entscheidend ab. Aber auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist ein erfolgreicher Umbau der mit 500 Milliarden Euro Umsatz und knapp 800.000 Beschäftigten wichtigsten deutschen Industriebranche elementar. Zwar verdient das Trio derzeit noch prächtig. Doch das dürfte sich ändern.
“Die Gewinne der deutschen Autobauer werden wegen der Transformation sinken”, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, gegenüber Table.Media. Manche Branchenkenner sprechen hinter vorgehaltener Hand sogar von einer künftigen Halbierung der Gewinne.
Das Problem ist teilweise hausgemacht. Die drei Hersteller haben das Thema E-Mobilität zu zögerlich angepackt. Jetzt fahren sie der Konkurrenz – allen voran dem US-Hersteller Tesla und chinesischen Anbietern wie BYD, Nio oder Xpeng – technologisch hinterher. Das wurde kürzlich auf der gerade zu Ende gegangenen Messe Auto Shanghai deutlich. “Die chinesische Dominanz ist erschreckend”, heißt es etwa im Branchenmagazin Automobil-Industrie.
Die Absatzzahlen auf dem wichtigen chinesischen Markt spiegeln dies wider. Während hier noch jeder fünfte Pkw mit Verbrennungsmotor von einem deutschen Hersteller stammt, liegt der Marktanteil bei reinen Elektrofahrzeugen unter fünf Prozent. Insgesamt wurden in China zuletzt rund 5,7 Millionen Elektroautos zugelassen – nur rund 200.000 davon stammten von deutschen Herstellern. Einer der Gründe: Es fehlt an bezahlbaren E-Autos in der Klein- und Mittelklasse.
Fanny Tausendteufel von der Denkfabrik Agora Verkehrswende ist vor diesem Hintergrund skeptisch, was das Engagement der Hersteller für die Pariser Klimaziele angeht. Sie stört besonders der hohe Anteil von SUV in den Flotten. Deren Anteil “hat sich in den letzten zehn Jahren bei den deutschen Autobauern mehr als verdreifacht”, sagt sie. “Es wäre kontraproduktiv, wenn der Verbrenner-SUV durch den E-SUV ersetzt wird, so wie es derzeit aussieht.” Als Treiber des Wandels sieht sie daher weniger die Unternehmen selbst. Wirksamer seien regulatorische Maßnahmen und der Druck des Kapitalmarkts.
Dazu wäre eine einheitliche Datenbasis notwendig. Die aber fehlt. Denn die Autohersteller geben ihre CO₂-Reduktionsziele und Emissionen noch so unterschiedlich an, dass eine Auswertung und vor allem ein Vergleich zwischen den Unternehmen kaum oder nur mit großem Aufwand möglich ist. “Deutliche Unterschiede gibt es etwas bei Scope 3, unter anderem weil die Hersteller unterschiedliche Annahmen über CO₂-Emissionen über den Lebenszyklus treffen”, sagt Tausendteufel. Diese Emissionen seien aber entscheidend, da sie mehr als 70 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der Hersteller und ihrer Zulieferer ausmachten.
Dies gilt insbesondere für den Verkauf von Pkw an Unternehmen. Firmenwagen machen in Deutschland rund zwei Drittel der jährlichen Neuzulassungen aus – mehr als in anderen Ländern. Der Anteil deutscher Hersteller ist dabei im Vergleich zum Gesamtmarkt überdurchschnittlich hoch. “Die Emissionen sind wichtig, weil sie sich auf die Flottenkosten der Unternehmen auswirken”, sagt Deka-Fondsmanager Ingo Speich. “Die Flotten sind wiederum sehr wichtig für den deutschen Markt”. Deshalb schauten Investoren hier genau hin, so Speich.
In anderen Bereichen sei dies noch nicht in dem Maße der Fall, weshalb Speich dem Kapitalmarkt eine eher einseitige Sicht auf den ökologischen Umbau der Automobilhersteller attestiert. “Hinsichtlich der Unternehmensbewertung spielt eine Kreislauffähigkeit der Automobilprodukte für die Investoren noch keine bedeutende Rolle”, sagt er. Dabei hätten die Hersteller auf der Beschaffungsseite schon einiges erreicht, etwa beim Einsatz von Recyclingmaterial. Die Erfassung des gesamten Lebens- und Lieferzyklus bleibt aber eine schwierige Aufgabe – allein schon deshalb, weil viele Gebrauchtwagen deutscher Premiumhersteller unregistriert auf dem afrikanischen Markt landen.
Neben der Dekarbonisierung und der ökologischen Nachhaltigkeit von Produkten und Produktion wird auch die soziale Transformation eine wichtige Rolle auf den diesjährigen Hauptversammlungen spielen. Grund dafür ist die Einführung des deutschen Lieferkettengesetzes Anfang des Jahres. Generell stünden die deutschen Autobauer bei der Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten vergleichsweise gut da, sagt Deka-Analyst Ingo Speich. BWM etwa habe schon vor Jahren seine Lieferketten auf menschenrechtliche Risiken beim Abbau von Seltenen Erden durchleuchtet.
Zunehmende Bauchschmerzen bereitet den Investoren allerdings die Situation in China. Zwischen 30 und 40 Prozent ihrer Fahrzeuge verkaufen die deutschen Hersteller dort. Doch längst ist das Land nicht mehr nur ein wichtiger Absatzmarkt, sondern auch ein bedeutender Produktionsstandort. Das wirft Probleme auf – aus geopolitischen Gründen, aber auch wegen menschenrechtlicher Aspekte.
Mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet die ESG-Community die Situation in der Provinz Xinjiang, wo laut Medienberichten und Menschenrechtsorganisationen Angehörige der uigurischen Minderheit seit Jahren zur Zwangsarbeit gezwungen werden – auch in Unternehmen der chinesischen Automobilzulieferindustrie. Volkswagen betreibt dort mit seinem chinesischen Partner SAIC ein eigenes Werk und hat erst kürzlich betont, dass es weder im Werk selbst noch bei direkten Zulieferern Zwangsarbeit gebe.
Branchenexperten gehen jedoch davon aus, dass die Lieferketten aller in China produzierenden Autohersteller bis nach Xinjiang reichen. Risiken könnten also überall lauern, zumal die chinesischen Behörden nicht nur in der Region zunehmend repressiv vorgehen. Bereits im Jahr 2020 haben fünf international tätige Auditfirmen, darunter der TÜV Süd, erklärt, dass sie aufgrund der politischen Lage keine Sozialaudits mehr in Xinjiang durchführen werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie in der Region tätige Unternehmen einen effektiven Beschwerdemechanismus, wie ihn das deutsche Lieferkettengesetz vorsieht, etablieren können. Carsten Hübner und Caspar Dohmen
Wie die Ratingagenturen ihre ESG-Bewertungen erstellen, ist bislang ihre Sache. Das will die EU-Kommission nun ändern und einen Rechtsrahmen für diesen Markt schaffen. Damit reagiert sie auch auf die Ergebnisse ihrer Wirkungsanalyse. Demnach hat sie Bedenken hinsichtlich der Transparenz bei der Beschaffung von Daten und den Methoden; auch seien die ESG-Ratings oft nicht aktuell, ungenau und unzuverlässig. Laut aktueller Agenda wird sie am 17. Juni einen Gesetzesentwurf vorstellen.
Der Markt für diese Ratings ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und hat sich konsolidiert. Weltweit gibt es mittlerweile rund 150 Agenturen, die ESG-Ratings anbieten. Die größten und wichtigsten Player, auf die sich der Markt stark konzentriert (wie MSCI, ISS und Moody’s), sind US-amerikanische oder britische Firmen. MSCI etwa hat einen Marktanteil von 30 Prozent. Laut der Kommission erbringen “große Anbieter von ESG-Ratings mit Sitz außerhalb der EU derzeit Dienstleistungen für Anleger in der EU”.
Diese Agenturen müssen bislang in der EU nicht zugelassen sein und unterliegen auch keiner Aufsicht. Jede Ratingagentur hat ihre eigene Methode, gewichtet die einzelnen ESG-Variablen unterschiedlich stark. Nur wenige von ihnen legen freiwillig die verwendeten Indikatoren und deren Gewichtung offen.
Bislang müsse man Detektivarbeit leisten, um die einzelnen Rating-Methoden zu verstehen, erzählt Kornelia Fabisik, die an der Universität Bern zu ESG-Ratings forscht. “Es ist derzeit nicht einfach, die ESG-Datenqualität anhand der von ESG-Ratingagenturen zur Verfügung gestellten Dokumentation zu beurteilen”. So sei meist nicht mit realistischem Zeitaufwand nachvollziehbar, ob bestimmte Daten direkt von den bewerteten Unternehmen veröffentlicht wurden oder ob die Ratingagentur den Wert einfach geschätzt habe.
Zudem gebe es zu wenig Informationen über die Bedeutung einzelner Rating-Kriterien: Oft nehmen Anleger an, die Bewertung beziehe sich auf die (positiven oder negativen) Auswirkungen eines Unternehmens auf ESG-Bereiche wie Umwelt oder Soziales. Doch oft gehe es nur um die einfache Materialität, also die Risiken von ESG-Faktoren für das Unternehmen. Während sich in Bezug auf die ESG-Kennzahl “Wasser” beispielsweise die eine Ratingagentur darauf beziehe, ob genug Wasser für die Betriebsabläufe des Unternehmens vorhanden sei, messe ein anderer Anbieter die Menge der von dem Unternehmen in das Wasser emittierten Stoffe. Fabisik sieht in der geplanten Verordnung eine Chance für Anleger, durch mehr Transparenz diese Daten besser zu verstehen.
Für Ratingagenturen, die auch andere Ratings anbieten, besteht darüber hinaus die Gefahr von Interessenskonflikten: Forscher der Universität Singapur weisen in einem Paper darauf hin, dass Interessenskonflikte der Ratingagenturen aufgrund von Geschäftsbeziehungen zu Verzerrungen bei ESG-Ratings führen. Sie stellten in den Fällen der Agenturen Moody’s und S&P fest, dass bereits (für Kreditratings) zahlende Kunden höhere ESG-Ratings erhielten als Unternehmen, zu denen sie keine Geschäftsbeziehungen pflegten.
Für das neue Gesetz nennt die EU-Kommission die folgenden Ziele:
Die ESMA schlägt in einem Brief an die EU-Kommission vor, den Gesetzesvorschlag an der Verordnung für Kreditratingagenturen zu orientieren und auch die Aufsicht über die ESG-Ratingagenturen zu übernehmen. Der rechtliche Rahmen sollte “der Größe des betreffenden Unternehmens angemessen” sein und “eine gemeinsame rechtliche Definition für ein ESG-Rating entwickeln, die das breite Spektrum an Bewertungsinstrumenten erfasst, die derzeit auf dem Markt verfügbar sind”. Die sehr großen Unterschiede zwischen den Ratings der einzelnen Anbieter führe bislang zu “Problemen in der Wertschöpfungskette von Investitionen”.
Dass sich die Ratings voneinander unterscheiden, sei nichts per se Negatives, sagt die deutsche Wissenschaftsplattform Sustainable Finance. Dies spiegele lediglich die Komplexität von Nachhaltigkeit wider – und sei Teil eines wettbewerbsfähigen, diversifizierten Marktes. “Es ist jedoch wichtig, dass sich die Nutzer von ESG-Ratings (Investoren, Vermögensverwalter) dieser Tatsache bewusst sind”, schreiben die Forscher in einem Bericht. “Dann können sie den Rating-Anbieter wählen, der am besten ihren Zielen/Werten/Erwartungen entspricht.”
Die Plattform empfiehlt, einen verbindlichen Rahmen “für die Offenlegung der wichtigsten Annahmen, der sensibelsten Methodenmerkmale und der Ziele von ESG-Ratings” zu schaffen. Dieser sollte die verschiedenen Nutzer von ESG-Ratings einbeziehen.
Laut einer Studie der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) würde ein “besseres Verständnis und eine größere Zuverlässigkeit der ESG-Ratings das Vertrauen in diesen schnell wachsenden Markt und dessen Glaubwürdigkeit stärken” und auf diese Weise nachhaltige Investitionen – und damit die Verwirklichung der Ziele des EU Green Deals – fördern.
Fabisik sieht in dem geplanten Entwurf erstmal ein Signal für die Ratingagenturen und die Chance auf eine bessere Qualität und Verfügbarkeit der Daten für deren Nutzer.
Die zweitgrößten Schiefergasreserven der Welt befinden sich in der argentinischen Provinz Neuquén. Schätzungen zufolge könnte das riesige Vorkommen Vaca Muerta (deutsch: tote Kuh) den Eigenbedarf des Landes für 150 Jahre decken und gleichzeitig zu einer wichtigen Devisenquelle werden. Präsident Alberto Angél Fernández brachte während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz im Januar sein wirtschaftlich stark angeschlagenes Land als möglichen Gaslieferanten für Deutschland ins Spiel. Mit dabei war Mario Mehren, Vorstandschef des Öl- und Gaskonzerns Wintershall DEA. Argentinien sei dabei, sagte er, für die Ausbeutung der Vorkommen notwendige große Infrastrukturprojekte wie den Ausbau des nationalen Pipelinenetzwerks umzusetzen. Das Land wolle unabhängig von Energieimporten werden, um dann über bereits existierende regionale Exporte hinaus Argentinien als Energielieferant am Weltmarkt zu etablieren. Gelinge dies, habe das Land das Potenzial, langfristig auch Europa mit Energie zu versorgen. Gas bleibt auf absehbare Zeit für Europa eine wichtige Energiequelle, gerade auch für die Transformation.
Bereits im Sommer 2022 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz selbst die Chancen betont: “Argentinien hat ein enormes Potential, insbesondere für erneuerbare Energien und zur Produktion von grünem Wasserstoff.” Inwieweit deutsche Unternehmen bereits Kontakt aufgenommen haben, ist dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nicht bekannt. Die Händler und Unternehmen machten die Verträge, sagte die zuständige Sprecherin Table.Media. Dem Ministerium würden keine Erkenntnisse zur Unterstützung solcher Projekte vorliegen.
Laut einer Studie der Ratingagentur Fitch handelt es sich bei Vaca Muerta um die zweitgrößten Schiefergasreserven und die viertgrößten Schieferölreserven der Welt. Um das enorme Potenzial zu heben, braucht es aber Investitionen und Investitionssicherheit. Wichtig für private Investitionen sind laut Erick Pastrana, Associate Director, Latin America Corporate Ratings, ein regulatorischer Rahmen, der Gewissheit biete, sei es der Zugang zu Devisen, um Dividenden außerhalb Argentiniens zu zahlen, sowie Transparenz während des gesamten Investitionszeitraums. Bei den anstehenden Wahlen im Oktober scheinen alle Parteien bislang den Ausbau des Vorhabens zu unterstützen.
Indes warnen Umweltschützer vor den Gefahren des Einsatzes der Fracking-Technik. Die Organisation 350.org spricht von einer “Kohlenstoffbombe”, die mehr als elf Prozent des zur Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles verbleibenden Kohlenstoffbudgets der Welt aufzubrauchen drohe. Aber auch das Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien, das bei dem Prozess mit Hochdruck in den Boden gepresst wird, das sogenannte Fracking Fluid, kann in manchen Fällen in das Grund- und Trinkwasser gelangen. Viele der eingesetzten Chemikalien gelten als krebserregend, Hormone verändernd oder anderweitig gesundheitsschädlich. Der Energieexpertin von Greenpeace, Anike Peters, zufolge ist Fracking immer mit massiven Umweltschäden verbunden. Deshalb müsse das Fracking-Verbot in Deutschland bestehen bleiben und der Import von Fracking-Gas schnellstmöglich beendet werden. Über weitere Gefahren berichtet das Untersekretariat für Umwelt der Provinz Neuquén:
Die schnelle Entwicklung von Vaca Muerta bringt aber auch soziale Verwerfungen mit sich. Die Bevölkerung der Stadt Añelo ist seit der Entdeckung von Vaca Muerta, vor elf Jahren von 2.500 auf 15.000 Einwohner gewachsen. Weitere 15.000 Beschäftigte pendeln jeden Tag in das neue Zentrum der Ölindustrie. Zwar sind viele Bewohner dankbar für den sozialen Aufstieg, leiden aber trotzdem unter der mangelnden Infrastruktur. Ironischerweise verfügen, die Häuser der Menschen, die über dem zweitgrößten Schiefergasvorkommen der Welt wohnen, über keinen Gasanschluss. Wiederholt hätten Bewohner die Straßen blockiert, um den Ausbau der Wasser- und Gasversorgung sowie der Straßenbeleuchtung von der überforderten Provinzregierung gefordert, sagte Table.Media Francisco Mantilaro, Geschäftsführer der NGO Otras Voces. Aber große Teile der Bevölkerung befürworte die Erdöl- und Gasindustrie.
Laut Experten bräuchte das Land vier bis fünf Jahre, um die für den Export nach Übersee nötige Infrastruktur zu bauen. Dringend notwendig ist der Ausbau dieser Infrastruktur aber auch für das Land selbst, um eine günstige Energieversorgung seiner Bevölkerung zu gewährleisten. Derzeit wendet die Regierung einen immer größeren Teil ihrer knappen Dollarreserven auf, um das Gas zu bezahlen, das konstant durch die Pipelines aus Bolivien fließt. Ein wichtiger Schritt, um diese Abhängigkeit zu reduzieren, ist die baldige Fertigstellung der Pipeline Nestor Kirchner, die Vaca Muerta mit Buenos Aires und den anderen urbanen Zentren im Norden verbinden wird. Da aber die geologische Struktur seiner Böden den Bau von Gasspeichern erschwert, wird das Land zumindest in den Wintermonaten weiter Gas importieren müssen.
Der Krieg in der Ukraine hat die Wirtschaft des südamerikanischen Landes hart getroffen, es musste 2022 fünf Milliarden Dollar mehr für Energieimporte aufwenden. Die Regierung gibt Gas zu stark subventionierten Preisen an die Verbraucher weiter, da die Hälfte von Ihnen nicht die Mittel hat, den wahren Preis für das importierte Gas zu bezahlen. Auch die Landwirtschaft, Haupteinnahmequelle des Landes, muss höhere Preise für Dünger zahlen, den sie früher größtenteils aus Russland importierte und leidet aktuell unter einer Dürre, durch die das Land schon 20 Milliarden Euro an Exportvolumen verloren hat.
Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Förderung von Vaca Muerta befürwortet und diese Haltung quer durch alle Regierungslager geht. Wie der Journalist und Autor des Buches “Vaca Muerta” Alejandro Rebossio, erklärt: “Wer direkt neben einer Förderanlage lebt, ist natürlich dagegen, aber das ist eine Minderheit. Die Mehrheit will sich heiß duschen können”. Santiago Engelhardt
3.-5.5.2023, online
Konferenz Berliner Energietage 2023 – Energiewende: jetzt! gemeinsam! (EUMB Pöschk GmbH & Co. KG) Info & Anmeldung
9.5.2023, 9:00-17:00 Uhr, Münster
Konferenz Klimaschutztag 2023 (Klimaschutz-Unternehmen e.V.) Info & Anmeldung
4.5.2023, Kirchberg an der Jagst
Konferenz BMEL-Nachhaltigkeitskonferenz 2023 Info
10.5.2023, Leipzig
Konferenz Sustainable Finance – Wie gelingt die Transformationsfinanzierung im Mittelstand und für die regionale Wertschöpfung? (B.A.U.M. e.V.) Info & Anmeldung
11.-12.5.2023, online
Konferenz Climate Transformation Summit 2023 (The Climate Choice) Info & Anmeldung
12.5.2023, Amsterdam
Konferenz B Corp Festival: 10 Years of B Lab Europe Info & Anmeldung
13.-17.5.2023, München
Messe IFAT 2023 – Weltleitmesse für Wasser-, Abwasser-, Abfall- und Rohstoffwirtschaft Info & Anmeldung
16.5.2023, 14:00-16:00 Uhr, online
Webinar Towards digital corporate reporting with CSRD (Accountancy Europe) Info & Anmeldung
22.-23.3.2023, Berlin
Konferenz Berliner Energietage 2023 – Energiewende: jetzt! gemeinsam! (EUMB Pöschk GmbH & Co. KG) Info & Anmeldung
23.5.2023, Berlin
Konferenz Umwelt-Fachtagung 2023: Aktuelle gesetzliche Änderungen und deren Umsetzung im Unternehmen (TÜV Nord) Info & Anmeldung
23.-25.5.2023, Essen
Messe E-World Energy & Water Info & Anmeldung
Viel Marktwirtschaft, etwas Ordnungsrecht und ganz viel Hoffnung auf Innovation stecken im Fit-for-55-Paket, das den Weg zum EU-Klimaziel 2030 ebnen soll. Doch kaum sind die wesentlichen Teile des Pakets in Gesetzestext gegossen, stellt sich die Frage nach dem nächsten Ziel und welche Instrumente sich dafür eignen. Liegt es für 2030 bei einer CO₂-Reduktion von rund 55 Prozent, könnte es 2040 bei bis zu 90 Prozent liegen. Die Kommission hat die Beratungen zum Ziel und die erforderlichen Maßnahmen bereits begonnen. Im Frühjahr 2024 soll eine Folgenabschätzung veröffentlicht werden, voraussichtlich 2026 soll der Gesetzesvorschlag für das neue Klimaziel folgen.
Eine wesentliche Frage, die die Kommission in ihrer Ankündigung aufwirft, ist die Rolle von CO₂-Entnahmen für das Klimaziel 2040. Aus den Reihen der EVP ist die Forderung eindeutig: negative Emissionen müssen in den Emissionshandel integriert werden. ETS-Berichterstatter Peter Liese wollte das sogar schon in der aktuellen Reform verankern, denn ohne Carbon-Removal-Technologien seien die ambitionierten Klimaziele kaum zu erreichen.
Michael Bloss, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament und bisheriger ETS-Schattenberichterstatter, befürchtet ein Aufweichen des Klimaschutzes, sollten Negativemissionen im ETS zu Geld gemacht werden können. Das ETS sei keine Gelddruckmaschine für die Wirtschaft. “Die feste Deckelung der Emissionen im ETS soll für CO₂-Reduktionen sorgen.” Sonst sei das ETS wertlos und man solle besser eine CO₂-Steuer einführen, so Bloss.
Liese argumentiert, dass die Nachfrage nach Negativemissionen steigen würde, wenn Unternehmen sie nutzen könnten, um ihre Klimaziele zu erreichen. Investitionen in Technologien wie Direct Air Capture (DAC) und der langfristigen Speicherung von CO₂ (Carbon Capture and Storage, CCS) sowie der Speicherung in Produkten (Carbon Capture and Utilization, CCU) könnten dadurch massiv zunehmen und sie profitabel machen. “Wie wollen wir negative Emissionen im großen Stil in 20 Jahren erreichen, wenn wir die Technologie nicht jetzt verbessern”, fragt Liese.
Das möge betriebswirtschaftlich zwar stimmen, sagt Anne Gläser, CO₂-Preis-Expertin bei Germanwatch, doch aus Klimaschutz-Sicht müssen CO₂-Reduktionen Vorrang haben. “Vor 2040 sollten wir keinen Schwerpunkt darauflegen, Ressourcen in die Entwicklung von Carbon-Removal-Technologien zu investieren, die uns dann bei Investitionen in Emissionsreduktion fehlen.”
Dass es diese Technologien braucht, um die Klimaziele zu erreichen, daran gibt es keinen Zweifel. Auch der Weltklimarat (IPCC) weist auf diese Möglichkeit explizit hin. So will auch Michael Bloss sie keineswegs verbieten, sondern sie nutzen, um nach 2050 die Emissionen von nicht dekarbonisierbaren Sektoren zu kompensieren. Doch die feste Deckelung der CO₂-Emissionen im ETS – das sogenannte Cap – deshalb aufzuweichen, hält er für den falschen Weg. Bloss argumentiert, es gehe nur um “drei Prozent der Bereiche, die nicht vollständig dekarbonisierbar sind”.
Auch Liese will das Cap zumindest kurzfristig nicht aufweichen. Doch der CDU-Politiker führt an, dass man schon lange vor 2040 Anreize für CO₂-Entnahmen setzen müsse, wenn Deutschland 2045 und Europa 2050 klimaneutral sein solle. “Gerade weil die Technologie im Moment noch sehr teuer und nicht marktreif ist, müssen wir schnell damit anfangen.”
Die Wissenschaft ist bislang noch zurückhaltend, inwieweit eine Integration von CO₂-Entnahmen ins ETS sinnvoll ist. Zwar halten die Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) eine Integration in naher Zukunft grundsätzlich für machbar. Carbon Farming und die permanente Speicherung in Produkten sollten dabei allerdings keine Rolle spielen, sondern lediglich die gelagerten Mengen an CO₂. Die PIK-Forscher weisen auch auf das Problem einer Angebotsunsicherheit im ETS durch die Abgabe von Negativemissionszertifikaten hin. Dies könne den Markt “destabilisieren und zu einer übermäßigen Preisvolatilität führen”. luk
Der Rat der Europäischen Union hat vergangene Woche eine neue Richtlinie gegen Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts verabschiedet – sie dürfte weitreichende Folgen haben. Die Mitgliedstaaten haben drei Jahre Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen. Künftig müssen demnach auch Unternehmen mit weniger als 200 Beschäftigten Gehaltsauskünfte erteilen – aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für Beschäftigte, die gleichwertige Arbeit machen, wie die Person, die die Auskunft verlangt. Das deutsche Entgelttransparenzgesetz verpflichtet bisher nur Firmen mit mehr als 200 Beschäftigen dazu.
Neu ist ebenfalls, dass Unternehmen über das geschlechtsspezifische Lohngefälle berichten müssen. Wenn es mehr als fünf Prozent beträgt, sind Unternehmen verpflichtet, zusammen mit Arbeitnehmervertretern eine “gemeinsame Entgeltbewertung” vorzunehmen – sofern die Gehaltsunterschiede nicht aufgrund objektiver Kriterien bestehen und der Arbeitgeber sie nicht innerhalb von sechs Monaten beseitigt hat. Wie dieser Prozess ablaufen wird, muss der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht definieren – etwa welche Organisationen dort als Arbeitnehmervertreter agieren können, wo es keine Betriebsräte gibt.
Klar ist, dass Unternehmen mit mehr als 150 Beschäftigten erstmals in vier Jahren über das geschlechtsspezifische Lohngefälle berichten müssen; solche mit 100 bis 149 in acht Jahren. Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten danach jährlich, die anderen alle drei Jahre. Ob Betriebe mit unter 100 Beschäftigten Berichtspflichten haben werden, hängt ebenfalls von der Umsetzung in Deutschland ab.
Arbeitsrechtsexperte Michael Fuhlrott sagt gegenüber Table.Media, dass die neue “umfassende Berichtspflicht für Unternehmen einen erheblichen Aufwand darstellt, der nicht unterschätzt werden darf”. Er verweist auch darauf, dass auf Unternehmen mit einem geschlechtsspezifischen Lohngefälle Schadensersatzansprüche der benachteiligten Beschäftigten zukommen könnten – wenn diese zum Beispiel aufgrund eines entsprechenden Berichts von ihrer Ungleichbehandlung erfahren.
Weitere Neuerungen durch die Richtlinie für Lohntransparenz werden unter anderem sein: Bewerber haben künftig Anspruch auf Informationen zum Einstiegsgehalt oder der Gehaltsspanne des Jobs. Zudem dürfen Unternehmen Bewerber nicht mehr nach früheren Gehältern fragen. Ebenfalls verboten sind Regelungen zur Geheimhaltung des Gehalts. nh
Unternehmen setzen Nachhaltigkeit bei der Beschaffung oft noch nicht strategisch um. Dies zeigt eine Umfrage des Jaro-Instituts von Dienstag. Demnach sei das Bewusstsein für Nachhaltigkeit im Einkauf seit der letzten Erhebung 2020 zwar gewachsen, bei den Beschaffungsentscheidungen spielten aber nach wie vor klassische Kriterien wie Qualität, Lieferzeit und Anschaffungspreis eine wichtigere Rolle als etwa die Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung eines Lieferanten oder der Lebenszykluskosten.
Für bedenklich halten die Autoren der Studie, dass über 42 Prozent der Befragten die Betrachtung der Vorlieferanten bei der Beschaffungsentscheidung für irrelevant halten. In der Umfrage von 2020, also vor der Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, waren es nur 17 Prozent. Dabei sei es wichtig, die vorgelagerten Wertschöpfungsketten in den Blick zu nehmen, “um soziale, ökologische und wirtschaftliche Risiken frühzeitig identifizieren beziehungsweise abwenden zu können”. Zudem müssen Unternehmen laut dem Lieferkettengesetz auf Missstände bei Vorlieferanten reagieren, wenn sie davon erfahren. Es müsste also eigentlich in dem Interesse von Unternehmen liegen, sich genau auch mit den Vorlieferanten zu beschäftigen.
Nur 55 Prozent der Befragten sehen eine nachhaltige Beschaffung als aufwändiger an als eine konventionelle. Dass es nicht mehr sind, könnte, laut den Autoren, “ein Indikator dafür sein, dass die Bedarfsplanung als Hebel einer innovativen und regenerativen Beschaffung noch immer nicht ausreichend im Einkauf verstanden und genutzt wird”.
Ein besonders widersprüchliches Handeln der Unternehmen sehen die Studienautoren mit Blick auf mögliche Hilfen von Dritten wie NGO. Zwar wünschten sich rund 60 Prozent der Unternehmen externe Unterstützung bei der Einbindung von Lieferanten in die nachhaltige Beschaffung. Tatsächlich greifen aber nur 16 Prozent auf solche Hilfen zurück.
Für die Studie Nachhaltige Beschaffung und Verantwortungsvolle Lieferketten 2023 hat das Jaro-Institut, ein Verein, der Unternehmen bei der Integration von Nachhaltigkeit in ihre Prozesse berät, in Kooperation mit der CBS International Business School sowie der B2B-Einkaufsplattform Unite zwischen Oktober und Dezember 2022 291 Personen, darunter 183 Einkaufsverantwortliche von Unternehmen, befragt. 71 Prozent der Befragten kommen aus der Deutschland, Österreich oder der Schweiz. nh
In Deutschland sind 422 Milliarden Euro in Fonds mit Unternehmen investiert, denen Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen vorgeworfen werden und die darauf nicht angemessen reagieren, etwa durch Entschädigungen. 174 Milliarden Euro davon befinden sich sogar in Fonds, die vom Finanzmarktanalysten Lipper als ESG-Fonds gelabelt sind. Zu diesem Ergebnis kommt das Verbraucherportal Faire Fonds Info, das von den NGOs Facing Finance und Urgewald betrieben wird.
“Investments in Unternehmen, die den Opfern ihrer menschenrechtverletzenden Geschäftspraktiken keine Entschädigung zahlen, dürften niemals unter dem Attribut ‘nachhaltig’ vermarket werden”, kritisiert Frederike Potts, Projektkoordinatorin bei Facing Finance. Dennoch sei dies bei fast jedem achten Euro, den ein ESG-Fonds verwaltet, der Fall.
Ein Viertel der untersuchten ESG-Fonds ist beispielsweise in Microsoft investiert, gefolgt von Apple und Amazon. “Insbesondere ESG-Fonds, die sich immer mehr aus fossilen Energien zurückziehen, dürfen jetzt nicht ihr Heil in Profiten suchen, die mit Verletzungen von Menschenrechten in der Lieferkette erkauft werden”, mahnt Julia Dubslaff von Urgewald.
Laut Faire Fonds Info sind 78 Prozent der ESG-Fonds der Allianz in mindestens einem Unternehmen investiert, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Ähnlich sieht es bei Union Investment (76 Prozent) und DWS (74 Prozent) aus. Lediglich bei der Deka ist der Anteil mit 23 Prozent deutlich geringer. Für die Analyse wurde der Corporate Human Rights Benchmark (CHRB) verwendet.
Untersucht wurden 2.885 in Deutschland vertriebene Publikumsfonds mit einem verwalteten Vermögen von über 2,6 Billionen Euro, darunter die Eigen- und Fremdfonds der vier größten deutschen Fondsgesellschaften Allianz Global Investors, Deka, DWS und Union Investment. Davon entfallen 1,4 Billionen Euro auf 1.782 ESG-Fonds, die nach Artikel 8 (“hellgrün”) oder Artikel 9 (“dunkelgrün”) der EU-Offenlegungsverordnung eingestuft sind. ch
Dem chinesischen Unternehmen Contemporary Ampere Technology Co. Limited (CATL) ist es gelungen, eine Natrium-Ionen-Batterie zur Großserienreife zu bringen. Die Entwicklung, die einem Durchbruch gleich kommt und im Vorfeld der Automesse in Shanghai verkündet wurde, könnte dem globalen Elektroautomarkt einen enormen Schub verleihen. Batterien sind maßgeblich für den Erfolg von E-Autos. Von ihrem Preis, ihrer Reichweite und der Ladedauer hängt es ab, ob sich Käufer für ein E-Auto entscheiden und welches Modell sie wählen.
Natrium-Ionen-Akkus können drei zentrale Probleme lösen, die bei gängigen Lithium-Ionen Akkus bestehen: Sie sind etwa 20 Prozent günstiger pro Kilowattstunde; verringern die Rohstoffabhängigkeit, weil Natrium in größeren Mengen vorhanden ist; und haben selbst bei minus 20 Grad eine Kapazitätserhaltungsrate von mehr als 90 Prozent. Der geringere Preis könnte die Akkus vor allem für Klein- und Kompaktwagen interessant machen, deren Elektrifizierung noch nicht weit vorangeschritten ist. Betrachtet man den Gesamtmarkt, boomen E-Autos jetzt bereits. Laut Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) lag der Anteil bei Neuwagen 2020 bei vier Prozent – in diesem Jahr steigt er voraussichtlich auf 18 Prozent. 2030 soll er alleine in Europa 50 Prozent betragen.
Im Vergleich zu Lithium-Ionen-Akkus schöpft die Natrium-Ionen-Batterie ihr Potenzial in der Praxis allerdings noch nicht aus. Die Energiedichte von CATLs erster Generation liegt bei bis zu 160 Wattstunden pro Kilogramm; herkömmliche LI-Batterien erreichen rund 200. CATL sagt, dass man diesen Wert mit der nächsten Generation einholen will. Perspektivisch soll sie bis zu 500 Wattstunden pro Kilogramm erreichen können. Um den momentanen Schwachpunkt auszugleichen, liefert das Unternehmen zunächst eine Kombination aus Natrium- und Lithium-Ionen-Akkus aus. Nach Angaben von CATL können sie an beiden europäischen Standorten produziert werden. Christian Domke Seidel
Studie: Jeder Bauernhof bringt 150.000 € jährliche Leistungen für Umwelt und Gemeinwohl – Top Agrar
Klaus Dorsch berichtet über ein Pilotprojekt, an dem 20 Betriebe teilnahmen. Eine Erkenntnis: Unabhängig von ihrer Größe oder der Art der Bewirtschaftung – ökologisch oder konventionell – erzielten die Höfe durchweg “hohe Nachhaltigkeitsleistungen”. Ermittelt wurden diese anhand von 300 Kennzahlen. Zum Artikel
“Abschalten der letzten AKW bedeutet, dass der Strompreis steigt” – Die Welt
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat wesentlich an der Gaspreisbremse mitgearbeitet. Einen Strompreis für die Industrie lehnt sie im Interview mit Jan Damms und Philipp Vetter jedoch ab – ein solcher Strompreis führe in die falsche Richtung. Zum Artikel
“Die Produktion kommt nicht zurück nach Europa” – FAZ
Er sehe kein Ende der internationalen Arbeitsteilung, sagt Post-Chef Frank Appel im Interview mit Helmut Bünder und Gerald Braunberger. Denn die Antriebskräfte änderten sich nicht. “Am Ende geht es immer darum, was Konsumenten bereit sind, für ein Produkt zu bezahlen.” Es sei denn, die Politik greife ein, so wie jetzt in der Chip-Industrie. Aber für die meisten Produkte gehe es um individuelle Kaufentscheidungen. Zum Artikel
Wenn Deutschland das Auto abschafft, schafft es seinen Wohlstand ab – NZZ
Jahrzehntelang hätten deutsche Automarken weltweit das Straßenbild mit ihren hochwertigen Fahrzeugen geprägt. Heute maßregelten Politiker und Aktivisten die Branche, kommentiert Beatrice Achtenberg. Die Erfolgsgeschichte könne fortgeschrieben werden, wenn man die Akteure ließe und wenn alle, die gleichzeitig den Klimawandel bekämpfen und die deutsche Schlüsselindustrie erhalten wollten, “den Mund aufmachen”. Zum Artikel
Carbon Dioxide Removal: The Tech that is polarizing Climate Science – The Guardian
Weil die Dekarbonisierung zu langsam voranschreitet, brauchen wir Methoden, um CO₂ aus der Atmosphäre zu holen. Das sagt etwa der Weltklimarat – aber stimmt das? Fiona Harvey wägt die Vor- und Nachteile ab und erklärt, dass sich vor allem Öl-Förder wie Saudi-Arabien für diese Option starkmachen. Zum Artikel
ESG fund downgrades in Europe look set to reverse – Financial Times
Die ESG-Branche steht nach Meinung von Analysten erneut vor einer Welle massiver Herabstufungen, berichtet Emma Boyde. Grund sei eine Klarstellung der Regelung durch die EU-Kommission. Damit könnte sich ein Trend fortsetzen. Im ersten Monat des Jahres seien laut Morningstar ESG-Fonds im Wert von 99 Milliarden Euro auf Artikel 8 herabgestuft worden. Im vierten Quartal 2022 seien es 300 Artikel-9-Fonds mit einem Volumen von 170 Milliarden Euro gewesen. Zum Artikel
Mercedes-Benz chief says cutting China ties would be ‘unthinkable’ – Financial Times
Ein Abbruch der Beziehungen zu China wäre “für fast die gesamte deutsche Industrie undenkbar”, sagte Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender des Automobilherstellers Mercedes-Benz, schreibt Laura Pitel. Ein Abbruch der Beziehungen zu China sei unmöglich und “nicht wünschenswert”. Zum Artikel
King Charles urged to push for breakup of UK’s ‘network of satellite tax havens’ – The Guardian
Das Netzwerk für Steuergerechtigkeit drängt König Charles, gegen das Netz von mit Großbritannien verbundenen Steueroasen vorzugehen. Das Vereinigte Königreich und die britischen Überseegebiete seien zusammen für fast 40 Prozent der Steuerausfälle verantwortlich, die Länder auf der ganzen Welt jährlich durch Gewinnverschiebung multinationaler Unternehmen und durch Offshore-Steuerhinterziehung vor allem reicher und mächtiger Einzelpersonen erleiden. Zum Artikel
Help low-paid workers or face curbs to bosses’ pay, fund managers tell UK firms – The Guardian
Große britische Vermögensverwaltungen haben im Vorfeld der Jahres-Hauptversammlungen auf das Problem niedriger Löhne entlang der Lieferketten aufmerksam gemacht, berichtet Japser Jolly. Der größte Vermögensverwalter des Vereinigten Königreichs, Legal and General Investment Management, und die größte betriebliche Altersversorgung, Nest, sowie Aviva Investors und Axa Investment Managers sowie wie CCLA riefen Unternehmen auf, Lohnerhöhungen zu gewähren, die den am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmern helfen, mit den Auswirkungen der Inflation fertig zu werden, und den tatsächlichen existenzsichernden Lohn in ihrer gesamten Lieferkette zu zahlen. Zum Artikel
How to make low-carbon concrete from old cement – The Economist
Mit einer CO₂-freien Zementherstellung tut sich die Industrie schwer. Notwendig wäre es, weil die Zementherstellung rund acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verursacht. Vielversprechend ist nun ein neues Verfahren der Universität Oxford, bei dem alter Zement aufbereitet wird, ohne, dass es wie bei früheren Verfahren zu einer deutlichen Verschlechterung des Baustoffes kommen soll. Zum Artikel
Im Gespräch mit Bert van Son klingt immer auch sein schlechtes Gewissen mit. “Wir haben mit der expandierenden Fast-Fashion-Industrie ein Monster geschaffen”, sagt er. Und mit “wir” meint er tatsächlich auch sich selbst. Seine Karriere in der Modebranche startet er vor 40 Jahren in Asien. Viele Jahre arbeitet er international als Einkäufer, Verkäufer und zuletzt mit einem eigenen Unternehmen, das mit Lizenzen von Comicfiguren für Textilunternehmen handelt. Das Unglück von Rana Plaza, bei dem 1.138 Menschen starben, überraschte ihn deshalb nicht. Fabrikgebäude wie jenes in Sabhar (nahe Dhaka) habe er jede Menge gesehen.
Vor knapp 15 Jahren sucht er den Neustart. Er ist damals fast 50 Jahre alt. “Ich bin mit einem Glauben an unendliches Wachstum groß geworden”. Die Erkenntnis, dass dieses Wirtschaftsmodell zerstörerisch ist, sei ihm langsam über die Jahre gekommen. Er verkauft sein Unternehmen. Er will weg von der linearen, auf schnellen Verschleiß gebauten Wirtschaft. Sein Antrieb: Die Kreislaufwirtschaft in (die) Mode bringen. Er nennt sein Label Mud – das englische Wort für Lehm. Ein vielseitiger Werkstoff, der vollständig recycelt werden kann.
Bewusst setzt er auf Jeans. Ein absolutes Massenprodukt. Selbst wenn man nur einen kleinen Teil dieses Marktes erobern könnte, hätte das eine messbare Wirkung, sagt van Son.
“Jeans ist das meistverkaufte und das dreckigste Produkt der Fashion-Branche.” Gleichzeitig sieht er großes Potential für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Denn in ihrer Urform ist die Jeans ein Baumwollprodukt. Die Fasern lassen sich vergleichsweise gut recyclen.
Trotzdem gibt es auch beim Jeans-Recycling viele Herausforderungen. Das beginnt laut van Son bei der Beschaffung von hochwertigem Altmaterial. Mud verwendet für das Recycling alte, getragene Jeans. Viele Wettbewerber, die ihre Jeans ebenfalls als Recyclingprodukte vermarkten, setzen dagegen auf sogenanntes Pre-Consumer-Recycling. Das heißt, aus den Zuschnittresten der frisch gewebten Stoffe machen sie neue Materialien. “Zuschnittrestesammeln, schreddern und neu verweben – das ist nichts Neues”, sagt er. Das habe die Textilbranche immer schon gemacht. Das nun als nachhaltig zu vermarkten, ist für ihn “pures Greenwashing”.
Mud benutzt für seine Produktion alte Stoffe mit einem Baumwollanteil von mindestens 96 Prozent. Damit verkaufte Ware – und bekannte Stoffqualität – wieder zum Unternehmen zurückkommt, entwickelte Bert van Son ein Leasing-Modell. Statt 130 Euro auf einen Schlag zu zahlen, können Kunden ein Jahr lang monatlich 11 Euro abstottern. Geht sie kaputt, repariert Mud sie oder nimmt sie in Zahlung.
Für van Son hat dieses Modell noch einen weiteren Vorteil: “Wir erschließen damit Kundengruppen, die sich eine nachhaltige Jeans vielleicht sonst nicht leisten könnten.” Viele Kunden seien Studierende, fügt er hinzu.
Aktuell haben Mud-Jeans einen Recycling-Anteil von 40 Prozent. Technisch möglich ist schon mehr. Mit der Saxion Hochschule in Enschede hat Mud den Prototypen für einen Jeans-Stoff aus 100 Prozent recycelten Fasern hergestellt. Ein mal ein Meter aus dem Forschungslabor reichte gerade für eine Shorts. Aber, sagt van Son, “es hat uns gezeigt, dass es technisch geht – reißfeste Jeansfasern aus alter Baumwolle herzustellen.” Für die Massenproduktion ist das Verfahren aus einer Kombination von chemischem und mechanischem Recycling noch zu teuer. Aber Mud steigert den Altfaseranteil in diesem Jahr deutlich. In Spanien will das Unternehmen ab Sommer Jeansstoffe aus 80 Prozent recyceltem Material herstellen. Damit ist Bert van Son fast an seinem Ziel, der Branche zu beweisen, dass es einen geschlossenen Kreislauf für Baumwolle geben kann. Das Geschäftsmodell am Markt groß machen, muss nun eine andere. Bert van Son hat sich Mitte April von der Geschäftsführung zurückgezogen und übergibt nun an Jolanda Brink. Verena von Ondarza