Table.Briefing: ESG

Standards für Berichterstattung beschlossen + Özdemir zur Transformation der Landwirtschaft + Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute ist “Earth Overshoot Day”, ab heute leben wir wieder auf Pump. Die Ressourcen, die unser Planet innerhalb eines Jahres wiederherstellen kann, sind aufgebraucht. Aber bitte nicht falsch verstehen – das gilt nur global. Wenn alle so leben würden wie wir in Deutschland, wäre dieser Tag bereits am 4. Mai. Lässt sich das ändern?

Cem Özdemir versucht, den Hebel bei der Landwirtschaft anzusetzen. Henrike Schirmacher hat den Minister dazu befragt, ob er bereits alles dafür tut, den Sektor vor Klimawandel und Wasserknappheit zu schützen und wie er zum Einsatz von Gentechnik steht, um den von Pestiziden zu reduzieren.

Die EU-Kommission wiederum hat Anfang der Woche ihre neuen Standards für die ESG-Berichterstattung angenommen. Präsidentin Ursula von der Leyen wollte nicht zu viel Bürokratie für die Wirtschaft, damit die Regelungen praxistauglich bleiben. Jetzt allerdings sagen Kritiker, dass man sich zu sehr auf die Freiwilligkeit von Unternehmen verlassen müsse. Leonie Düngefeld und ich haben zusammengetragen, was sie bemängeln.

Offen ist auch, wie die neue Wasserstoffstrategie zu mehr Nachhaltigkeit beitragen soll. Die Bundesregierung versucht, die eigene Versorgung mit der Entwicklung in Partnerländern in Einklang zu bringen, sodass beide Seiten profitieren. Noch aber sind wichtige Fragen ungeklärt, analysiert Nico Beckert.

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Ihr
Marc Winkelmann
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Analyse

Neue Berichtsstandards: Kritiker bezweifeln Wirksamkeit

Rund drei Jahre ist es her, dass die EU-Kommission eine Arbeitsgruppe beauftragt hat, auf Grundlage der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD-Richtlinie) neue Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erarbeiten. Am Montag nun nahm die Kommission ihre Version der erarbeiteten Vorschläge an. Große Unternehmen, die unter die kommenden Regelungen fallen, müssen sie ab dem 1. Januar 2024 befolgen, kleinere haben zwei Jahre länger Zeit. Europaweit steigt die Zahl der Firmen, die zur Berichterstattung verpflichtet sind, damit stufenweise von rund 12.000 auf mehr als 50.000 an. Allein in Deutschland könnten es 15.000 sein und nicht mehr 500 wie bislang. 

Das erklärte Ziel der EU ist es, die Wirtschaft dazu anzuhalten, ihre Wertschöpfung zu durchleuchten und ihre Geschäftsmodelle so zu modifizieren, dass sie im Einklang mit den Klimazielen stehen, die Natur schonen und sozialverträglich sind. Um das zu erreichen, hatte das Beratungsgremium EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group) einen Kriterienkatalog mit mehr als 2.000 Datenpunkten vorgelegt, die Unternehmen bei sich abfragen sollten – der Wirtschaft und der Kommission war das allerdings zu umfangreich. In den Verhandlungen wurden die Zahl deutlich reduziert, auf weniger als ein Drittel, damit die Berichterstattung in der Praxis umsetzbar bleibt und die Bürokratie Unternehmen nicht überfordert, so das Argument.

Abweichungen sind “Anlass zur Sorge”

Was aus Sicht der Wirtschaft zu begrüßen ist, wird von einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Investoren, die sich an ESG-Kriterien orientieren, kritisiert. “Die Abweichungen von den von der EFRAG vorgeschlagenen Standards geben Anlass zur Sorge”, sagt Vincent Vandeloise, Senior Research und Advocacy Officer der NGO Finance Watch. Zum einen sei die signifikante Reduzierung der Datenpunkte problematisch, zum anderen seien die meisten Regelungen nicht mehr verpflichtend. Vielmehr würde es jetzt den Unternehmen und ihren Wesentlichkeitsanalysen überlassen sein, wozu und in welcher Tiefe sie berichten. 

Der Vorschlag der Kommission sieht eine deutlich größere Flexibilität für Firmen vor. Bei einigen Daten wie den Scope-3-Emissionen müssen sie nur noch erklären, warum sie diese gegebenenfalls nicht als wesentlich erachten. Auch Angaben zu den Umstellungsplänen für die biologische Vielfalt sind freiwillig und nicht mehr verpflichtend. 

Der WWF hält das nicht für akzeptabel. Philippe Diaz, verantwortlich für Sustainable Finance bei der Umweltschutzorganisation, erinnert daran, dass Standards wie die Global Reporting Initiative schon seit vielen Jahren existieren – die Kommission aber trotzdem dem Druck von konservativen Lobbygruppen nachgegeben und Löcher zugelassen hätte, die jetzt zum Greenwashing einladen würden. “Das ist ein schwerer Vertrauensbruch und untergräbt den Führungsanspruch Europas beim Aufbau einer Wirtschaft, die sozial gerecht und mit den Grenzen unseres Planeten vereinbar ist.”

Investoren benötigen Daten

Unzufrieden sind auch ESG-Anleger. Man begrüße die neuen Standards grundsätzlich, aber: “Wir bedauern, dass die Forderung von Investoren nicht berücksichtigt wurde, wichtige ESG-Indikatoren verpflichtend zu machen. Wir zählen jetzt darauf, dass Firmen sie freiwillig vorlegen”, sagt Aleksandra Palinska, die Geschäftsführerin von EuroSIF, dem europäischen Netzwerk der nationalen Fachverbände für nachhaltige Geldanlagen. Investoren bräuchten “hochqualitative” Daten, um Entscheidungen treffen und eigene Berichte erstellen zu können. 

Beim Carbon Disclosure Project (CDP) ist man zwiegestalten. Die internationale Organisation, die eigene Standards für die Offenlegung von Umweltdaten und Treibhausgasemissionen etabliert hat, erklärt, dass von den knapp 19.000 Unternehmen, die nach CDP-Fragebogen berichten, die meisten mindestens in Teilen vorbereitet seien auf die kommenden EU-Regeln und dass sie aufgrund dieser Vorarbeit einen Vorteil hätten gegenüber anderen Wettbewerbern. Allerdings müsse es sich ab 2024 in der Praxis noch beweisen, wie gut die Firmen ihre Prozesse anpassen können. Mirjam Wolfrum, Policy Engagement Director Europe: “Es wird essentiell sein zu verstehen, warum Firmen bestimmte Themen ausblenden und außen vor lassen. Es ist wichtig, vergleichbare und bedeutende Informationen für Investoren, Auditoren und Regulierer bereitzustellen.”

Berichte kein Allheilmittel

Erwartet wird, dass die EFRAG in den kommenden Wochen einen Leitfaden für die Umsetzung und die Wesentlichkeitsanalysen herausgeben wird. Dieser soll zur weiteren Klärung beitragen. Allerdings zeigt die Arbeit des Carbon Disclosure Project auch, dass die Berichterstattung allein kein Allheilmittel ist: Von den knapp 19.000 CDP-Unternehmen geben gerade einmal 4.100 an, dass sie über die Offenlegung hinaus ein Konzept erarbeitet haben, um ihr jeweiliges Geschäftsmodell kompatibel mit dem 1,5 Grad-Ziel zu machen. 

Nach der Entscheidung der EU-Kommission haben das Europäische Parlament und der Rat jetzt zwei Monate Zeit, die Vorschläge zu prüfen. Sie können sie ablehnen, aber nicht ändern. Im Parlament hatten Abgeordnete der Fraktionen der S&D, Renew, Grünen und Linken sich gegen die Kommission gestellt und eine Beibehaltung der EFRAG-Empfehlungen gefordert. Trotzdem wird nicht damit gerechnet, dass der zuständige Rechtsausschuss oder das Plenum den Entwurf ablehnen.

Kern bleibe trotzdem erhalten

Aus Sicht von Pascal Durand (S&D, Frankreich), dem Berichterstatter der CSRD im EU-Parlament, sind die Lockerungen der Standards ein Ergebnis der “intensiven Lobbyarbeit der rechten politischen Gruppen”. Der zwingende und systematische Charakter der Übergangspläne, der ursprünglich von der EU-Kommission, dem Rat und dem Parlament vorgesehen war, sei teilweise abgeschwächt worden. “Dennoch bleibt der Kern der Normen und Standards erhalten und ebnet den Weg für einen neuen großen Schritt für Transparenz und Nachhaltigkeit in der EU und darüber hinaus”, sagte der Sozialist Table.Media. Die gute Nachricht sei, dass nun die Umsetzung beginnen könne.

Wenn voraussichtlich im Oktober die erste Reihe Standards verabschiedet wird, wartet bereits die nächste Aufgabe: Bis zum Sommer 2024 müssen laut der CSRD-Richtlinie eine weitere Reihe mit sektorspezifischen Standards angenommen werden. Marc Winkelmann, Leonie Düngefeld

  • Berichtspflichten
  • CSRD
  • Nachhaltigkeitsberichterstattung

Cem Özdemir: “Ich warne vor alten Schwarz-Weiß-Debatten”

Seit 2021 Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Cem Özdemir setzt sich mit dem Green Deal für eine resiliente und nachhaltige Landwirtschaft ein.

Herr Özdemir, die Landwirtschaft ist schon jetzt unmittelbar vom Klimawandel betroffen und muss sich in den kommenden Jahrzehnten vor Wetterextremen schützen. Tun Sie als Bundeslandwirtschaftsminister genug, damit das sowohl kurz- als auch langfristig gelingt?

Cem Özdemir: Wenige Wirtschaftsbereiche spüren die Klimakrise und ihre Folgen so unmittelbar wie die Landwirtschaft. Während gerade einige – sei es im Netz, im Fernsehen, aber auch in der Politik – gegen jede Evidenz so tun, als wären die klimatischen Bedingungen total normal, weil es ja früher auch schon mal heiß gewesen sei, muss man die Landwirtinnen und Landwirte nicht davon überzeugen, dass die Klimakrise massive Auswirkungen auf unser Leben hat und auch das Wirtschaften verändert. In manchen Regionen regnet es kaum noch, Wasser ist ein knappes und kostbares Gut – da verdorrt das Getreide am Halm. Und anderswo schwemmen Starkregenfälle ganze Ernten weg. Da geht es ganz konkret um die Ernten von heute, morgen und um die in 20, 30 und 50 Jahren.

Dennoch gibt es jetzt einige Stimmen, die meinen, dass es angesichts der Folgen des Ukraine-Krieges weniger Einschränkungen bräuchte und man nicht starr an Klimaschutzzielen festhalten dürfte.

Wer jetzt im politischen Raum davon spricht, dass es den Green Deal nicht mehr bräuchte, wer hinter die gemeinsam ausgehandelten Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft zurückfallen und am liebsten alte Gräben zwischen Naturschutz und Landwirtschaft aufbrechen möchte, dem sage ich, das wird nicht gelingen. Ich fühle mich einer Politik verpflichtet, die mühsam ausgehandelte und gemeinsam erreichte Kompromisse umsetzen will, statt wieder in Extreme zurückzufallen. Wir müssen die Klimakrise bekämpfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Landwirtschaft sich krisenfest aufstellt und auch anpassen kann.

Was meinen Sie mit dem Anpassen?

Eine Politik der Vernunft schützt nicht nur, sondern sorgt vor, etwa indem wir klimaangepasste Sorten nutzen oder Anbautechniken anwenden, die die Resilienz stärken. In Brandenburg kommen etwa Kichererbsen mit der Trockenheit gut zurecht, und solche Ansätze unterstützen wir mit unserer Eiweißpflanzenstrategie. Schließlich heben wir auch die Potentiale der Landwirtschaft als Klimaschützer. Nehmen Sie den Humusaufbau. Jedes Prozent mehr Humus bedeutet auch mehr Kohlenstoffspeicher im Boden. Hier investieren wir viele Millionen in konkrete Projekte und die praxisrelevante Forschung.

“Wir nutzen zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren”

Ist damit beim Klimaschutz in der Landwirtschaft das Ende der Fahnenstange erreicht?

Die Landwirtschaft hat ihre Sektorziele aktuell erreicht und das ist eine große Leistung. Gerade die Bäuerinnen und Bauern haben ein Interesse daran und ein Recht darauf, dass auch andere Bereiche beim Klimaschutz liefern. Mir geht es darum, dass wir dazu beitragen, die Landwirtschaft auch langfristig krisenfest zu machen. Ein großer Hebel liegt in der Tierhaltung, die fast 70 Prozent der Emissionen im Agrarsektor ausmacht. Ich will ganz klar sagen: Wenn Landwirtschaft nachhaltig sein soll, brauchen wir Tierhaltung in Deutschland. Deshalb müssen wir sie zukunftsfest aufstellen. Das ist auch eine Ressourcen- und Verteilungsfrage, mehr als die Hälfte des Getreides landet nicht bei uns auf dem Teller, sondern im Trog. Wir nutzen also zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren. Gleichzeitig geht der Fleischkonsum in Deutschland zurück. Da docke ich an mit meinem Prinzip “weniger Tiere besser halten”. Dafür ist mein verpflichtendes, staatliches Tierhaltungskennzeichen, das gerade final beschlossen wurde, ein zentraler Baustein. Und wir werden die Landwirte fördern, die ihren Tieren eben mehr Platz geben.

Sind Sie mit Blick auf die laufende hiesige Ernte froh darüber, dass Landwirte und Landwirtinnen in Deutschland in diesem Jahr noch nicht dazu gezwungen worden sind, Flächen brach liegen zu lassen und weniger Weizen anzubauen?

Ich nehme bei der Ernte verhaltenen Optimismus wahr. Aber in die Glaskugel zu schauen, das gehört auf den Jahrmarkt und nicht in ein Ministerium. Wie gut unsere Kornspeicher am Ende des Sommers gefüllt sein werden, das hängt letztendlich stark vom Wetter ab. Und das Wetter fährt wegen der Klimakrise immer öfter Achterbahn. Wir müssen deshalb alles dransetzen, dass die Landwirtschaft sich klima- und krisenfest aufstellen kann. Wie schon angesprochen war das eigentlich Konsens in Deutschland und in der EU – und da wundert es mich schon, was da gerade seitens der Union in Brüssel passiert. Da verneinen CDU und CSU plötzlich die Kompromisse, die sie selbst mitverhandelt hatten, und attackieren ihre eigene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die aus gutem Grunde den Green Deal vorantreibt. Das sind durchschaubare Wahlkampfmanöver. Wer die Folgen der Klimakrise, Bodenprobleme und Wassermangel ignoriert, ist wahrlich kein Freund der Bauern.

“All das Leid ist Putin bekanntlich vollkommen egal”

Der russische Präsident Wladimir Putin hat kürzlich das Getreideabkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über die Schwarzmeerhäfen gestoppt. Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, fordert vor diesem Hintergrund einen “Krisenstab für Ernährungssicherheit.” Sind Sie ebenfalls alarmiert?

Ich war letzte Woche in Rom beim UN-Sondergipfel zum Thema Ernährungssysteme und diskutierte dort über die Folgen des russischen Angriffskrieges für die globale Ernährungssicherheit. Putin benutzt den Hunger als Waffe. Das beobachten wir seit Beginn des Krieges. Die Folgen für die Menschen und all das Leid sind ihm dabei bekanntlich vollkommen egal. Russlands einseitiges Aufkünden des Getreideabkommens heizt bestehende Hungersnöte auf der Welt an. Ukrainisches Getreide gelangt nun nicht mehr dorthin, wo Menschen ums Überleben kämpfen, etwa in Afrika. Das World Food Programme hatte beispielsweise mit Unterstützung der Bundesregierung ukrainisches Getreide nach Äthiopien gebracht. Das wird es nun erstmal nicht mehr geben. Andererseits hat Getreide aus der Ukraine mitgeholfen, dass sich die Weltmarktpreise etwa für Weizen normalisieren, und sich die Ärmsten dieser Welt Brot leisten können.

Was tut die Bundesregierung?

Es zahlt sich deshalb aus, dass die EU schon früh aktiv wurde, damit ukrainisches Getreide über Schienen und Straßen zu anderen europäischen Seehäfen kommt. Gerade, weil auf Putin kein Verlass ist, müssen dauerhafte Alternativrouten etabliert werden. Da braucht es weitere Anstrengungen auch seitens der EU und ich würde mich natürlich freuen, wenn auch die CDU ihre guten Drähte nach Brüssel nutzen würde, um da in diesem Sinne zu unterstützen.

“Europäische Ziele für die Pestizidreduktion liegen im Interesse der deutschen Landwirtschaft”

Eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln, wie sie die EU-Kommission plant, würde Ihrem gesteckten Ziel, den Ökolandbau in Deutschland auszubauen, Rückenwind verleihen. Welche Position zur “Sustainable Use Regulation” (SUR) vertreten Sie vor diesem Hintergrund im Rat der EU-Mitgliedstaaten?

Ich unterstütze die Einsparziele und eine gemeinsame Regelung, aber sage auch: Es muss auch machbar sein und darf diejenigen, die schon vorangegangen sind, nicht nachträglich bestrafen. Es nützt nichts, wenn wir in Europa virtuelle Einsparziele haben, an die sich keiner hält. Es ist auch im Interesse der deutschen Landwirtschaft, dass wir europäische Ziele für die Reduktion von Pestiziden definieren. Denn das schafft ein level playing field in Europa. Gerade weil wir uns in vielen Fragen in Deutschland schon früh auf den Weg gemacht haben, ist es für uns von Vorteil, wenn die Reduktionsziele auch für andere gelten. Also: Unterstützung zum Ziel der SUR. Aber die Regelung braucht dringend Anpassungen, die auf unsere spezifischen Voraussetzungen in Deutschland eingehen. Das ist die Frage des Referenzjahres für die Reduktionsziele. Das ist auch eine Frage des bürokratischen Umfangs und natürlich geht es auch um die Definition von sensiblen Gebieten. Sonderkulturen müssen weiterhin möglich sein. Es kann ja niemand ernsthaft ein Interesse daran haben, wenn bei uns der Wein- und Obstanbau zurückgeht. Ich halte es aber für einigungsfähig -guten Willen aller Beteiligten in der EU vorausgesetzt.

“Mir ist Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, wichtig”

Darüber hinaus verspricht sich ein Teil der Agrarbranche über die Lockerung des EU-Gentechnikrechts, den Einsatz von Pestiziden reduzieren zu können. Die Biobranche fürchtet hingegen um ihr Versprechen der Gentechnikfreiheit. Könnte dies das Öko-Ausbauziel in Deutschland gefährden?

Auch viele konventionelle Betriebe werben mit der Gentechnikfreiheit. Das ist ein milliardenschwerer und funktionierender Markt, das bestreiten ja weder Gegner noch Befürworter. Ich rate auch bei diesem Thema, nicht auf diejenigen zu hören, die auch hier am liebsten in alte Schwarz-Weiß-Debatten zurückfallen wollen, weil das die Welt so schön einfach macht. Auf der einen Seite diejenigen, die pauschal alles verteufeln, auf der anderen Seite die anderen, die darin die großen Heilsversprechen sehen. Daher freue ich mich, dass es viele gibt, die sehr pragmatisch diskutieren. Mein Haus ist innerhalb der Bundesregierung federführend und für uns sind bei einer gemeinsamen Positionsfindung zwei Aspekte bei der Neuregelung zentral: Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, sowie Patentfreiheit. Unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch, darf durch neue Regeln nicht in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet werden. Kurz: Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können. Das muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten.

“Es ist nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist”


Noch ein anderes Thema zum Schluss: Nach einer Untersuchung vom Max Rubner-Institut (MRI) sind besonders zuckerhaltige Kindergetränke sogar noch zuckriger geworden. Wollen Sie da regulativ eingreifen, analog zu den Plänen für ein Verbot von gesundheitsschädlicher Kinderwerbung?

Es ist völlig absurd, dass gerade in einigen an Kinder gerichteten Lebensmitteln der Zuckergehalt weiter steigt. Getränke sind da nur ein Beispiel, wie das Monitoring des MRI ergeben hat. Es gibt Frühstückscerealien für Kinder, die bestehen zur Hälfte aus Zucker! Bis zu zwei Millionen Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland unter Übergewicht oder Adipositas. Das ist auch eine Frage der Chancengerechtigkeit. In anderen Ländern, etwa Großbritannien, wurde der Zuckergehalt teils drastisch gesenkt – und die Menschen haben die Produkte dann trotzdem gekauft. Es ist also nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist. Mir geht es darum, dass jedes Kind die Chance hat, gesund aufzuwachsen. Einen Beitrag dazu erfüllen wir jetzt durch mehr Kinderschutz in der Werbung. Alle drei Ampelparteien haben sich darauf geeinigt, dass es an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt nicht mehr geben soll. Diesen Auftrag nehme ich ernst.

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Wasserstoff-Strategie: Details noch unklar

Die Bundesregierung hat vergangene Woche ihre neue Wasserstoffstrategie vorgestellt. Damit will sie die Versorgung Deutschlands mit diesem Energieträger sicherstellen und gleichzeitig eine nachhaltige Wirtschaft in den Kooperationsländern befördern. Allerdings fehlen noch konkrete Leitplanken, wie diese Ziele in Einklang zu bringen sind.

Die Versorgung mit “nachhaltigem und klimaneutralen Wasserstoff” gilt in der jetzt beschlossenen Überarbeitung der Strategie von 2020 als “unabdingbar” für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045. Gleichzeitig will die Bundesregierung in den Partnerländern “maximale Synergien mit einer lokalen sozial-ökologischen Gesellschafts- und Wirtschaftstransformation und Energiewende sowie den Nachhaltigkeitszielen (SDG) sicherstellen”.

Die Kooperation mit Partnerländern ist wichtig: 2030 sollen etwa 50 bis 70 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs importiert werden soll. Den Gesamtbedarf schätzt die Strategie auf 95 bis 130 Terawattstunden (TWh). Um 50 bis 90 Terawattstunden importieren zu können, muss auch in den Exportländern eine Wasserstoffwirtschaft entstehen.

Wasserstoffwirtschaft als “wirklicher Gamechanger” für die SDG?

Im BMZ zeigt man sich überzeugt von den entwicklungspolitischen Potenzialen. Die Wasserstoffwirtschaft könne “ein wirklicher Gamechanger für die Umsetzung der Agenda 2030 werden”, sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit Blick auf die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDG). Man müsse Nachhaltigkeit von Anfang an in den Strategien mitdenken, so Flasbarth. Wasserstoff könne zur Dekarbonisierung und Diversifizierung der Industrien in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern beitragen.

Das BMZ mahnt dann auch an, Risikofaktoren zu beachten, um negative Folgen der Wasserstoffproduktion in den Partnerländern zu vermeiden:

  • Die Wasserstoffproduktion dürfe nicht dazu führen, dass fossile Kraftwerke länger laufen müssten,
  • deshalb müsse man die Energiewende in den Partnerländern voranbringen.
  • Wenn die Nutzung von Wasserstoff in den Herkunftsländern insgesamt mehr Emissionen einspare, müsste diese lokale Wasserstoffnutzung “priorisiert werden”.
  • Eine nachhaltige Wasser- und Flächennutzung müsse sichergestellt werden und Wasserstoff-Projekte dürften nicht zu höheren Energiekosten im Partnerland führen. Davor warnt auch Christoph Heinemann, Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz, beim Öko-Institut. “In Staaten, die bisher kaum Windenergie nutzen, wie beispielsweise in Marrokko, könnte es zu einem Wettlauf um die besten Standorte kommen.” Sichern sich Wasserstoff-Projekte diese Standorte, könne “die Energiewende für das Inland teurer und eventuell verzögert werden”, so der Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz am Öko-Institut.
  • Auch der Nationale Wasserstoffrat hatte schon vor Risiken wie Wasserknappheit, Landnutzungskonflikten, Verschuldung und Energiearmut gewarnt, die bei Projekten in Partnerländern beachtet werden müssten.

Eine Strategie, um diesen Risiken zu begegnen, gibt es bislang noch nicht. Flasbarth räumt ein, man könne den positiven Nutzen einer Wasserstoffwirtschaft nicht “100 Prozent sicherstellen”, aber man müsse die Politik darauf ausrichten. Konkreter solle das in der Wasserstoff-Importstrategie ausgearbeitet werden, die soll bis Ende des Jahres erarbeitet werden.

Zudem will die Bundesregierung auf G7/G20-Ebene für “Good Governance-Standards” werben, um die angestrebten positiven Effekte einer Wasserstoffwirtschaft zu erreichen – allerdings konnten sich die G20-Energieminister am Wochenende nur auf sehr vage gemeinsame Positionen zum Thema grüner Wasserstoff einigen.

Kritiker fürchten “signifikantes Risiko”

“Es besteht ein signifikantes Risiko, dass die Wasserstoffprojekte nicht den versprochenen Nutzen für produzierende Länder bringen”, sagt Leonie Beaucamp, Referentin für erneuerbare Energien und Wasserstoff bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch gegenüber Table.Media. “Der zeitliche und preisliche Druck, der durch den Hochlauf des globalen Wasserstoffhandels aufgebaut wird, kann sich negativ auf die Erfüllung der lokalen Bedürfnisse auswirken. Deshalb sollten in den Importstrategien strenge Nachhaltigkeitsstandards festgeschrieben werden.”

Auch Christoph Heinemann vom Öko-Institut mahnt: “Auf die Wasserstoffstrategie muss nun die Ausarbeitung von konkreten Kriterien folgen, die positive Effekte wie den Ausbau der Erneuerbaren oder die Verbesserung der Wasserversorgung in den Partnerländern anreizen.” Konkret könne die Bundesregierung solche Kriterien bei der Bewilligung von Fördergeldern und der Ausschreibung neuer Projekte vorschreiben.

Grüne Vorgaben seien auf dem Weltmarkt nicht unbedingt ein Wettbewerbsnachteil für Europa. “Bei Pipeline-Distanzen, also beispielsweise Importen aus Staaten in Nordafrika, ist der Kostenvorteil beim Transport so groß, dass die Fokussierung sehr stark auf den Markt Europa sein wird und strengere Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden müssten”, sagt Heinemann.

29 Partnerschaften, Kooperationen und Allianzen

Die Bundesregierung will laut Strategie zum Wasserstoff mit einer Reihe von Ländern “grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten” aufbauen. Derzeit gibt es solche Allianzen mit 29 Partnerstaaten verschiedener Ausrichtung. Ein erster Überblick zeigt die verschiedenen Kategorien:

  • Abkommen zum Import von Wasserstoff oder Derivaten gibt es mit Kanada und Namibia (erste Lieferung ab 2025 bzw. 2026).
  • Vereinbarungen zum Bau von Anlagen: Eine Referenzanlage in Marokko (100 MW Elektrolyseleistung) und PtX-Pilotanlage in Tunesien (10MW). In Chile fördert das BMWK ein Projekt zur Herstellung von eFuels aus Wasserstoff und CO₂ (“Haru Oni”).
  • Abmachungen zum technischen und wissenschaftlichen Austausch über H2-Produktion, -Transport oder Dekarbonisierung der Industrie unter anderem mit Algerien (BMZ-Projekt: 6 Millionen Euro), Israel, Japan, Saudi-Arabien, Türkei, Indien VAE, USA, Australien und Südkorea.
  • Austausch über nationale Wasserstoffstrategien etwa mit Brasilien, Kasachstan, VAE, Algerien oder Mexiko und Südafrika, teilweise gefördert über BMZ-Projekte.
  • Gespräche über Standards zur H2-Produktion mit China, sowie erste Projekte deutscher Unternehmen (Oman).
  • Austausch über mögliche H2-Potenziale mit Jordanien, Neuseeland und Katar.
  • Büros für Wasserstoffdiplomatie, die das Auswärtige Amt in Angola, Nigeria, Russland (Arbeit ausgesetzt), Saudi-Arabien, Ukraine (in Vorbereitung) und Kasachstan eingerichtet hat.

Viele Projekte sind noch in der Planungsphase. Trotzdem gibt es auch bei vermeintlichen Vorzeigeprojekten schon Kritik. “Das HYPHEN Projekt in Namibia wird oft als Vorbildprojekt kommuniziert bezüglich der lokalen Entwicklungsmöglichkeiten. Zugleich werden hier bei genauerem Hinsehen aber auch Schwachstellen sichtbar. So fehlt es beispielsweise an Transparenz und Präsenz der Zivilgesellschaft in der Planung und auf dem Weg zur Implementierung des Projekts“, sagt Beaucamp von Germanwatch.

BMZ: 270 Millionen, um private Investitionen zu hebeln

Das BMZ hat zudem einen mit 270 Millionen Euro ausgestatteten “PtX-Entwicklungsfonds” aufgelegt, der im Herbst 2023 mit ersten Ausschreibungen an den Markt gehen soll. Über den Fonds sollen private Investitionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro “entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette in den Partnerländern” gehebelt werden, so Jochen Flasbarth. Mit dem Förderprogramm H2Uppp unterstützt das BMWK zudem den Markthochlauf von grünem Wasserstoff und Derivaten in 15 Staaten, darunter Brasilien, Südafrika, Türkei, Indien und Nigeria.

  • Energiewende
  • Nachhaltigkeitsstandards
  • SDG
  • Wasserstoff

Termine

4. August 2023, 9:30-16:30 Uhr, Freiburg
Workshop Die Klimakrise ist eine Wasserkrise (Heinrich Böll Stiftung) Info & Anmeldung

9. August 2023, 17:30-19:30 Uhr, Mannheim
Podiumsdiskussion Neue Lebensmittel auf dem Teller – Was erwartet uns? (Bundesgartenschau Mannheim) Info & Anmeldung

10. August 2023, 17:00-19:00 Uhr, Donaueschingen
Stadtrundgang Städtebau mal ländlich – Ökologie und Moderne gekonnt verbinden (Friedrich Naumann Stiftung) Info & Anmeldung

11.-13. August 2023, Kochel am See
Wochenendseminar Alpen im Klimawandel – zukünftige Herausforderungen (Georg-von-Vollmar-Akademie) Info & Anmeldung

17. August 2023, 10:00-12:30 Uhr, Online
Webseminar Klimaanpassungs-Check von kommunalen Entscheidungen und Beschlüssen (Deutsches Institut für Urbanistik) Info & Anmeldung

18. August 2023, 19:00 Uhr, Bielefeld
Vortrag Klimawandel – Steht die Katastrophe bevor? (Konrad Adenauer Stiftung) Info & Anmeldung

23. August, 10:00-11:00 Uhr, Online
Webinar Praktische Hilfe zum Lieferkettengesetz – die häufigsten Fragen und hilfreiche Antworten (TÜV Rheinland) Info & Anmeldung

23.August 2023, 17:30 Uhr, Illertissen
Diskussion Hightech & Heimat. Wo steht Bayern? (Hanns-Seidel-Stiftung) Info & Anmeldung

24. August 2023, 18:00 Uhr, Online
Info-Veranstaltung Reparaturbonus jetzt! Infos für Reparatur-Initiativen (Inkota) Info & Anmeldung

25.-26. August 2023, Online
Webinar Innovationspolitik und Strukturwandel in NRW (Friederich Ebert Stiftung) Info & Anmeldung

News

Lösungen für Erdüberlastung

An diesem Mittwoch haben die auf der Erde lebenden Menschen die Ressourcen verbraucht, die die Ökosysteme des Planeten innerhalb eines Jahres wiederherstellen können. Wollten die Menschen diesen Ressourcenbedarf langfristig decken, bräuchten sie jedes Jahr rechnerisch 1,7 Erden. Die Berechnungen stammen vom Global Footprint Network, das jedes Jahr den Tag identifiziert, ab dem die natürlichen Ressourcen der Erde aufgebraucht sind. In den 1970er-Jahren lag der Tag noch im November oder Dezember. Der Überlastungstag Deutschlands war dieses Jahr am 4. Mai. Lebten alle Menschen wie jene in Deutschland, bräuchte die Weltgemeinschaft drei Erden.

Auf seiner Website listet das Netzwerk mögliche Lösungen auf, um den ökologischen Fußabdruck der Menschen zu verringern. Die Vorschläge gliedern sich in die Bereiche Energie, Städte, Ernährung, Biodiversität und Bevölkerung.

  • Der größte Hebel liege in der Bepreisung von Kohlenstoffdioxid – 100 US-Dollar pro Tonne CO₂ könnten demnach den Überlastungstag um 63 Tage in Richtung Ende des Jahres verschieben.
  • Eine größere reproduktive Selbstbestimmung sowie Gesundheit von Frauen und Mädchen könne den Tag bis 2050 um 49 Tage verzögern – unter der Annahme, dass Frauen im Durchschnitt zwei Jahre später ein Kind weniger bekämen.
  • Wenn die Hälfte der Welt einen Green Deal mit dem Ambitionsniveau der EU verfolgte, könne der Überlastungstag in zehn Jahren 42 Tage später sein.

Einen übergreifenden Rahmen, um den absoluten Ressourcenverbrauch zu reduzieren, können laut Experten Kreislaufwirtschaftsansätze bilden, die darauf abzielen, in den Umlauf gebrachte Ressourcen wiederzuverwenden und so wenig wie möglich neue Rohstoffe in den Kreislauf zu bringen. Der WWF erneuert deshalb zum diesjährigen Überlastungstag seine Forderung nach einem nationalen Ressourcenschutzgesetz für Deutschland. Als Grundlage dafür solle die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie dienen, die das Umweltbundesministerium bis zum kommenden Jahr erarbeiten will. nh

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Verpackungen: Spanien schlägt Kompromisse vor

Die spanische Ratspräsidentschaft erarbeitet bis zum 15. September einen neuen Kompromissvorschlag zur EU-Verpackungsverordnung. Bis Anfang dieser Woche hat sie Stellungnahmen der Mitgliedstaaten zu einem Arbeitspapier gesammelt, in dem sie einige neue Wege zu einer möglichen Einigung aufzeigt. Das von der französischen Medienplattform Contexte veröffentlichte Papier wurde am 14. Juli bereits in einer Arbeitsgruppe diskutiert.

Demnach schlägt Spanien für den umstrittenen Artikel 26 zum Thema Mehrwegsysteme die Möglichkeit vor, anhand unterschiedlicher Ziele zwischen Wiederverwendung und Wiederbefüllung zu unterscheiden. Ähnlich hatte es auch das Parlament vorgeschlagen. Der Vorschlag der EU-Kommission vermischt die beiden Systeme mit gemeinsamen Zielen.

Spanien eröffnet auch eine Debatte über die Definition des Begriffs “zum Mitnehmen” (für Restaurants), ebenfalls im Hinblick auf die Mehrwegziele. Die Ratspräsidentschaft erwägt auch die Möglichkeit, den Weinsektor von der Verpflichtung zur Bereitstellung von Mehrwegflaschen auszunehmen.

Debatte um biobasierte Kunststoffe

In einem weiteren Arbeitspapier geht die Ratspräsidentschaft auf Artikel 7 der Verordnung ein, der einen Mindestanteil an recyceltem Material in Kunststoffverpackungen festlegt. Mehrere Mitgliedstaaten setzen sich jedoch für eine Anerkennung der Verwendung von biobasiertem Kunststoff ein, um die Ziele zu erreichen. Spanien erklärt, biobasierte Kunststoffe sollten nicht verwendet werden, um die Zielvorgaben für den Recyclinganteil zu erreichen, und schlägt vier Szenarien vor:

  1. Förderung biobasierter Kunststoffe, insbesondere über Ökomodulation
  2. Festlegung separater Ziele für einen Mindestgehalt an biobasiertem Material (in einem separaten Artikel)
  3. Schaffung einer Hierarchie, in dem recyceltes Material die erste Wahl ist (im selben Artikel)
  4. Verpackungen aus biobasierten Kunststoffen werden von der Verpflichtung zur Beimischung von recyceltem Material ausgenommen

In jedem Fall müssten biobasierte Kunststoffe strenge Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, schlussfolgert die Ratspräsidentschaft – die jedoch erst noch entwickelt werden müssen.

Die EU-Kommission hatte den Entwurf für die Verpackungsverordnung im November 2022 vorgelegt. Zurzeit verhandeln Rat und Parlament intern über ihre jeweilige Position. leo

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Batterieverordnung tritt Anfang 2024 in Kraft

Die Batterieverordnung ist am vergangenen Freitag offiziell im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden. Mit einigen Ausnahmen gelten die neuen Vorgaben demnach ab dem 18. Februar 2024. Die in der Verordnung enthaltenen Vorgaben zur Abfallbewirtschaftung, zu denen unter anderem das System der erweiterten Herstellerverantwortung und die Sammlung von Batterien gehören, gelten erst ab dem 18. August 2025. Die Verpflichtung, tragbare Batterien und Batterien, die in E-Rollern oder Elektrofahrrädern verwendet werden, leicht entfernbar und ersetzbar zu gestalten, gilt ab 2027.

Mit der Batterieverordnung tritt Anfang 2024 das erste Gesetz, das aus dem Aktionsplan der Kommission für die Kreislaufwirtschaft 2020 hervorgegangen ist, in Kraft. Die EU-Kommission hatte den Gesetzesvorschlag 2020 vorgelegt. Im Dezember 2022 einigten sich Rat und Parlament auf einen Kompromissleo

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UK vergibt hunderte Öl- und Gas-Lizenzen und fördert CO₂-Speicherung

Der britische Premierminister Rishi Sunak kündigte am Montag an, dass seine Regierung hunderte neue ­­Lizenzen für die Förderung von Öl und Gas in der Nordsee vergibt. Dies solle die Energieversorgung im Vereinigten Königreich sichern und das Land unabhängiger von Importen machen. Aus seiner Sicht gibt es keinen Widerspruch zwischen neuen Förderkapazitäten für fossile Energien und dem Ziel, im Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Auch dann würden Öl und Gas noch ein Viertel des britischen Energiebedarfs decken, heißt es in einer Regierungserklärung. Heimisches Öl und Gas dafür zu nutzen, sei umweltfreundlicher, weil dieses, sagt Sunak, deutlich mehr Emissionen spare als importiertes, das weite Wege zurücklegt.

Kritiker werfen Sunak vor, dass dieser den Kurs in der Klima-Politik ändere, weil er die Chance sehe, dass die Konservativen damit vor der Wahl im nächsten Jahr gegenüber der Labour-Partei noch aufholen könnten. Hintergrund: Bei Nachwahlen fürs Unterhaus im Westen Londons konnten die Tories aus ihrer Sicht mit Kritik an Umweltmaßnahmen im Verkehr Stimmen gewinnen. Bereits Ende vergangener Woche sagte Sunak, dass seine Regierung die Netto-Null-Strategie weiterverfolge, dies aber in einer angemessenen, pragmatischen Weise geschehen müsse. Die Organisation Oxfam kritisiert die Entscheidung, neue Lizenzen für Öl- und Gasförderung zu vergeben als “heuchlerisch” und “gefährlich inkonsequent”. Sie werde wie eine “Abrissbirne” durch die Klimaschutzverpflichtungen des Vereinigten Königreichs schwingen.

Die britische Regierung hat zudem zwei weitere Projekte bekannt gegeben, die von ihr Fördergeld für Projekte bekommen, mit denen Kohlenstoffdioxid abgeschnitten, genutzt und gespeichert (CCUS) werden soll: Acorn im Nordosten Schottlands und Viking im Nordosten Englands. Zuvor hatte sich die Regierung bereits verpflichtet, die Projekte HyNet cluster im Nordwesten Englands und Nordwales sowie East Coast Cluster im Nordosten Englands zu fördern. Insgesamt will die britische Regierung 20 Milliarden Pfund bereitstellen, um im Bereich CCUS private Investitionen anzukurbeln. nh

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UN Global Compact Netzwerk Deutschland gründet Verein

Das deutsche Netzwerk der globalen Initiative UN Global Compact wird künftig als eingetragener Verein auftreten. Damit will der Zusammenschluss aus rund 900 Unternehmen und 100 weiteren Akteuren “ein solides institutionelles Fundament” schaffen, um “das Engagement der Wirtschaft und relevanter Stakeholder für die Zehn universellen Prinzipien unternehmerischer Nachhaltigkeit und die Agenda 2030 zielgerichtet und langfristig” weiterzuführen. Das gibt das Netzwerk an diesem Mittwoch bekannt. Um Teil der Initiative zu bleiben, müssen bisherige Teilnehmer dem Verein beitreten. Zu den über 100 Gründungsmitgliedern gehören unter anderem BASF, SAP und Transparency International. Bislang hatte das Netzwerk zwar eine unabhängige Governance-Struktur, war aber bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit angesiedelt.

Der Global Compact ist eine Vereinbarung, die vor allem Unternehmen mit den Vereinten Nationen eingehen. Damit verpflichten sie sich den zehn Prinzipien nachhaltiger, verantwortungsvoller Unternehmensführung und den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (SDG). Der Global Compact startete vor 23 Jahren auf Initiative des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Inzwischen haben sich laut des deutschen Netzwerks rund 19.000 Unternehmen weltweit den 70 regionalen Netzwerken der Initiative angeschlossen. nh

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Nachhaltigkeitssiegel: Studie bewertet vier als mangelhaft

Nicht alle Siegel für Nachhaltigkeit halten, was sie versprechen – das ist das Ergebnis einer Untersuchung von 63 Gütesiegel für Lebensmittel und Textilien durch die österreichische Menschenrechtsorganisation Südwind, die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 und die deutschen Romero-Initiative (CIR).

Am besten schnitten die Siegel “FairBio”, “Fairtrade”, “Rapunzel Hand in Hand” und “Naturland fair” ab, die in den drei Bereichen Soziales, Ökologie sowie Transparenz und Effizienz mindestens einmal die Bestnote “anspruchsvoll” und ansonsten “gut” erhielten. Vier Siegel erhielten in mindestens einer Kategorie die schlechteste Bewertung “mangelhaft”: das “AMA Gütesiegel”, “MSC”, “RSPO” und “amfori BEPI”. Der Label-Check steht als Online-Tool zur Verfügung oder kann als Broschüre bestellt werden.

Siegel sind hilfreich, reichen aber nicht

“Ein perfektes, allumfassendes Gütesiegel gibt es nicht, trotzdem sind Gütesiegel ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung”, so Südwind-Sprecherin Derfler. Um ökologischen und sozial gerechten Konsum zu gewährleisten, brauche es aber auch gesetzliche Verpflichtungen, die die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der Lieferkette verbindlich vorschreiben, so Derfler. Das sieht Martin Wildenberg, Experte für Nachhaltigkeit GLOBAL 2000, ähnlich. Er begrüßt die Bemühungen der EU, mit der Green-Claims-Richtlinie einen möglichen Wildwuchs zu regulieren. Ein entsprechender Vorschlag der EU-Kommission derzeit in Brüssel diskutiert. Die Umsetzung wird aber noch einige Jahre dauern.

Urteil: DM darf nicht mit “klimaneutral” werben

Bis dahin werden wohl weiter Gerichte entscheiden müssen, ob Nachhaltigkeitsversprechen beim Verbraucher falsche Erwartungen wecken. Erst in der vergangenen Woche untersagte das Landgericht Karlsruhe der Drogeriemarktkette DM die Verwendung der Begriffe “klimaneutral” und “umweltneutral”. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH).

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sprach angesichts des Urteils von einem “Meilenstein für den Verbraucherschutz” und einem “wichtigen Erfolg gegen Greenwashing im Handel”. Die DUH hat seit Mai 2022 gegen 24 Unternehmen geklagt und sie aus verschiedenen Gründen aufgefordert, die Werbung mit angeblicher Klimaneutralität zu unterlassen.

Fairtrade profitiert von Bekanntheit

Dass sich strenge Kriterien und Glaubwürdigkeit auszahlen, zeigt eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts Global Scan. Demnach kennen 92 Prozent der deutschen Verbraucher das Fairtrade-Siegel. “Nachhaltigkeit sowie gute Lebens- und Arbeitsbedingungen im globalen Süden spielen trotz multipler Krisen eine große Rolle im Einkaufsverhalten”, sagt Claudia Brück, Vorstandsmitglied von Fairtrade Deutschland, dem gemeinnützigen Verein, der das Siegel vergibt. So stieg der Umsatz mit Fairtrade-Produkten in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent auf 2,36 Milliarden Euro im Jahr 2022. ch

  • Nachhaltiger Konsum

16 Prozent der Verbraucher wollen “wahre Preise” beim Discounter zahlen

Nur wenige Verbraucherinnen und Verbraucher wollen die “Wahre-Preise-Aktion” des Discounters Penny unterstützen, indem sie die mit einem deutlichen Preisaufschlag versehenen Produkte kaufen. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, das am Montag 3.315 Personen befragt hat.

Nur 16 Prozent der Deutschen planen demnach, Produkte zu den “wahren Preisen” zu erwerben, bei denen auch die durch die Produktion verursachten Umweltschäden berücksichtigt werden. 44 Prozent planen dies nicht. Rund 30 Prozent gaben an, dass sie in ihrer Nachbarschaft keinen Penny-Markt hätten, wo sie einkaufen könnten. Zehn Prozent machten keine Angaben. Am seltensten sagten Befragte ab 55 Jahren, dass sie die Aktion unterstützen wollen (8 Prozent).

Seit Montag verlangt der Discounter Penny für 9 seiner mehr als 3.000 Produkte eine Woche lang die “wahren Preise” – also den Betrag, der bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden berechnet werden müsste. Die Produkte vom Käse bis zum Wiener Würstchen werden dadurch um bis zu 94 Prozent teurer, wie die Handelskette mitteilte. Die Mehreinnahmen will die zur Rewe-Gruppe gehörende Kette für ein Projekt zum Klimaschutz und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum spenden. Der Händler will mit dem Schritt nach eignen Angaben mehr Bewusstsein für die Umweltbelastungen durch die Lebensmittelproduktion schaffen. dpa

  • Nachhaltiger Konsum
  • Nachhaltigkeit

Presseschau

“Klimawende wird nur mit Familienunternehmen gelingen” – Handelsblatt
Der Mittelstand ist per se nachhaltig – Forscherin Nadine Kammerlander erklärt, dass diese häufig vertretene Sichtweise nicht stimmt. Die meisten Familienunternehmen müssten deutlich mehr tun. Sie sollten sich als Teil der Lösung begreifen, mehr investieren, Nachhaltigkeit als Geschäftsstrategie begreifen und von der Politik besser unterstützt werden. Zum Artikel

Einzelhandel: Pennys Preisaufschlag: Hilft oder schadet die Umweltaktion Landwirten? – Agrarheute
Penny-Kunden zahlen für neun Produkte des Einzelhändlers in dieser Woche Preise in Höhe der errechneten wahren Kosten. Kommt die Aktion Landwirten zugute, oder rückt Penny die Bauern als Umwelt- und Klimasünder in den Fokus, hat sich Johanna Michel gefragt. Zum Artikel

“Deutschland ist das Wurstland Nummer Eins” – FAZ
Im Interview erklären Geschäftsführer Maximilian Tönnies und ESG-Vorstand Gereon Schulze Althoff, wie die Zukunft des Fleisch-Verarbeiters Tönnies aussehen soll. Tierwohl, Fleischersatz, künstlich erzeugtes Fleisch: “Wir wollen das Thema Nachhaltigkeit stärker in die Unternehmensführung einbringen”, sagt Tönnies. Zum Artikel

It’s not just hot. Climate anomalies are emerging around the globe. – The Washington Post
Der Juli scheint einen Vorgeschmack auf turbulente Zeiten gegeben zu haben – mit weltweiten Wetteranomalien, die jede Definition von Normalität sprengten. Brady Dennis und Scott Dance berichten über eine Wissenschaftsgemeinde, die am Verzweifeln ist. Zum Artikel

Heat Is Costing the U.S. Economy Billions in Lost Productivity – The New York Times
Ob Fleisch-Verpacker, Amazon-Fahrer oder Haushaltshilfe: Die Beschäftigten kämpfen mit den hohen Temperaturen. Darunter leidet auch die Produktivität, wie Coral Davenport berichtet. Zum Artikel

Antrieb: Einige Autohersteller in China setzen weiter auf den Verbrennungsmotor – Automobil Industrie
Allen Unkenrufen zum Trotz wird in China kräftig in Verbrennungsmotoren investiert. Große Autohersteller wie Geely, GAC, Dongfeng, Changan oder Chery sind überzeugt, dass die Zukunft nicht nur E-Fahrzeugen gehört, hat Henrik Bork recherchiert. Zum Artikel

“Das US-Programm ist für Investoren einfach gigantisch” – Die Zeit
Welcher Standort ist der beste, um eine Solarfabrik zu betreiben? Algerien, sagt der Experte Peter Fath im Interview mit Annette Beutler – das Land bringe momentan viele Vorteile mit sich. Aber auch andere Länder ziehen mit Subventionen nach, insbesondere die USA, während Deutschland sehr zurückhaltend bleibt. Zum Artikel

Großes Solarpotenzial bei Speditions- und Logistikhallen – Logistik Heute
Mit öffentlichen Förderungen und Leasing könnte sich die Wirtschaftlichkeit von Solaranlagen weiter erhöhen. Das Potenzial sei gewaltig, zitiert Matthias Pieringer eine Studie des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg. Demnach könnten etwa zwei Drittel des städtischen Strombedarfs in Hamburg bilanziell durch Solaranlagen auf Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie Gewerbe- und Industriehallen abgedeckt werden. Zum Artikel

Standpunkt

JETPs brauchen mehr soziale Gerechtigkeit

Von Michael Jakob
Erforscht die soziale Dimension der globalen Energiewende: Michael Jakob.

Wenn die 1,5-Grad-Grenze nicht überschritten werden soll, müssen die globalen Treibhausgasemissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Netto-Null sinken. Das betrifft insbesondere die Industrie-, aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer. Just Energy Transition Partnershops (JETPs) stellen einen neuen Ansatz dar, um die Transformation voranzutreiben – vor dem Hintergrund, dass die Industriestaaten sich aufgrund ihrer historischen Verantwortung für die globale Erwärmung verpflichtet haben, Klimaschutzbemühungen in ärmeren Ländern finanziell zu unterstützen.

Die ersten JETPs gibt es bereits. Ihre klimapolitischen Zielsetzungen sind klar. Doch soziale Ziele werden in den Vereinbarungen vernachlässigt. Das birgt die Gefahr, dass vulnerable Bevölkerungsgruppen bei der Transformation des Energiesystems auf der Verliererseite stehen. Solche sozialen Schieflagen wären nicht nur ungerecht. Sie würden auch starke politische Widerstände gegen die Dekarbonisierung wecken – ein Risiko für die globale Transformation.

JETPs mit Südafrika, Indonesien, Vietnam und Senegal

Im Rahmen von JETPs stellt die International Partners Group (IPG) Kredite, Zuschüsse und technische Unterstützung für Partnerländer zur Verfügung. Die IPG besteht aus den G7, der EU und einzelnen EU-Ländern. Zusätzlich sind in manchen JETPs auch internationale Finanzinstitutionen und Fonds direkt involviert.

Die erste JETP wurde bei der COP26 Ende 2021 mit Südafrika geschlossen. Sie verspricht dem Land 8,5 Milliarden US-Dollar für Investitionen in klimafreundliche Energieerzeugung, -übertragung und -nutzung. Im Fokus steht dabei der Ausstieg aus der Kohle. Im Jahr 2022 wurden weitere JETPs in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar mit Indonesien und 15,5 Milliarden US-Dollar mit Vietnam beschlossen. Es sind zwei weitere Länder, in deren Energiesystem die Kohle eine zentrale Rolle spielt. Am 22. Juni wurde im Rahmen des Pariser Klimafinanzgipfels eine vierte JETP mit Senegal in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vereinbart.

Diese JETPs sind sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung: Sie stellen gezielt Gelder bereit, um den Treibhausgasausstoß der Partnerländer zu senken. Sie lassen sich einfacher und schneller vereinbaren als beispielsweise Abkommen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Deshalb könnten sie zukünftig auch für weitere Länder eine Motivation bieten, verstärkt auf erneuerbare Energien zu setzen.

Fossile Schlupflöcher; wenig Konkretes zu Gerechtigkeit

Dennoch besteht Nachbesserungsbedarf. So ist unklar, welche konkreten Vorteile den Partnerländern aus den Finanzzusagen, die überwiegend in Form von Krediten vergeben wurden, im Vergleich zu Krediten zu Marktkonditionen tatsächlich erwachsen. Zusätzlich erlauben einige JETPs, dass mittelfristig die Nutzung fossiler Energien noch zunehmen kann. Besonders auffällig jedoch ist, dass die soziale Gerechtigkeit in den Vereinbarungen zwar als zentrales Element genannt wird – doch konkretes wird zu ihr kaum gesagt.

Im Rahmen der JETPs wird Gerechtigkeit in erster Linie aus einer Nord-Süd-Perspektive gedacht. Das heißt vor allem, dass reichere Länder Finanzmittel zur Verfügung stellen. Die Frage, für wen die Vereinbarungen im Partnerland am Ende gerecht sein sollen, wird nicht ausreichend berücksichtigt. So gibt es in den Abkommen keine Definition, welche Gerechtigkeitsaspekte durch die JETPs adressiert werden sollen. Auch fehlen Vorgaben, um negative Auswirkungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie Beschäftigte in Kohleminen oder energieintensiven Industrien, zu vermeiden,

Die JETPs wurden großteils ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft verhandelt. Das bedeutet, dass viele Stimmen nicht gehört wurden. Ob nun in ihrer Umsetzung die Perspektiven zentraler Stakeholder, wie beispielsweise Gewerkschaften, berücksichtigt werden, hängt stark von der politischen Kultur des Partnerlandes ab. Doch in keinem der vier bisherigen JETP-Partnerländer sind inklusive Beteiligungsprozesse bisher tief verankert. Dennoch müssen sie der Anspruch sein. Denn mangelnde Beteiligung birgt das Risiko, dass JETPs von den Vorstellungen der Geberländer und Interessen der Entscheidungsträger im Partnerland geprägt werden, während die Gesamtbevölkerung insgesamt nur wenig von ihnen profitiert.

Mehr Transparenz und Beteiligung nötig

Um sicherzustellen, dass JETPs der breiten Bevölkerung zugutekommen, benötigt es eine klare Definition, welche gesellschaftlichen Ziele – neben den klimapolitischen – durch sie erreicht werden sollen und auf welchem Weg. Um die möglichen negativen Auswirkungen einer Transformation der Energiesysteme bereits im Vorfeld zu antizipieren und die Maßnahmen entsprechend ausgestalten zu können, ist die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern unerlässlich. Hier sollten JETPs Mindeststandards verankern. Sie sollten vorgeben, wie die Bevölkerung der Partnerländer in die Entscheidung eingebunden wird, und wie verfügbare Mittel investiert werden. Auf Geberseite bedarf es hierfür aber auch Geduld. Beteiligung braucht Zeit.

Geberländer können eine sozial gerechte Energiewende aktiv unterstützen. So können sie ihren Fokus darauf legen, den wirtschaftlichen Strukturwandel in den Partnerländern etwa durch Ausbildungsprogramme für Berufe in den erneuerbaren Energiebranchen zu fördern. Eine vernünftige Gesellschaftsbeteiligung können sie unterstützen, indem sie den Aufbau der erforderlichen institutionellen Kapazitäten fördern. Damit eine “Just Energy Transition” nicht nur dem Namen nach, sondern auch tatsächlich sozial gerecht ist.

Dr. Michael Jakob beschäftigt sich als unabhängiger Forscher und Berater mit den sozialen und politischen Implikationen von Maßnahmen zur Emissionsminderung.

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Heads

Meriem Tazir – Transformation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft

Die Bau- und Umweltingenieurin Meriem Tazir berät Firmen bei der sozial-ökologischen Transformation.

Als Meriem Tazir vor mehr als zwölf Jahren die Geschäftsführung der Beratungsfirma e-hoch-3 in Darmstadt übernahm, interessierten sich nur wenige Unternehmen dafür, nachhaltiger zu werden. Mittlerweile wollen fast alle grün sein. “Seit Fridays for Future hat sich das geändert”, sagt sie – und beobachtet, wie sich alle neu positionieren wollen. Das ist allerdings nicht immer so einfach. “Es ist wichtig, Nachhaltigkeit im Kontext des eigenen Geschäftsmodells zu verstehen. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ist per se ein guter Schritt, trifft den Kern des Geschäftsmodells jedoch nicht immer.”

Tazirs Aufgabe ist es, beides zusammenzubringen. Mit ihrem Team, das aus 16 Kolleginnen und Kollegen besteht, untersucht sie, welches die jeweils größten sozialen und ökologischen Hebel sind und wie diese in der Praxis umgelegt werden können. Das zu analysieren ist nicht immer selbstverständlich. Viele ihrer Kunden würden die Relevanz von Daten unterschätzen, so Tazir. Sie wüssten noch gar nicht, welche negativen Folgen ihr Handeln im Einzelnen hat.

Die Expertin, die in Landau in der Pfalz als Tochter algerisch-britischer Eltern geboren wurde, hat ihr Abitur in Darmstadt gemacht, dort anschließend Bauingenieurswesen mit einem Fokus auf Umwelttechnik studiert und in Edinburgh einen MBA absolviert. Danach dann folgte der Einstieg bei e-hoch-3, für den sie dem Ruf ihrer Freundin und heutigen Geschäftspartnerin Maike Hora folgte. Vor zwei Jahren schloss sie zusätzlich noch ihre Promotion ab.

Geschäftsmodelle radikal hinterfragen

Tazirs Arbeit an der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft ist vielfältig. Sie und ihr Team beraten quer durch die Branchen: Chemie, Automobil, Bildung, Gesundheit, Finanzen – fast alles ist dabei. Mal geht es um die Analyse der Supply Chain, dann wieder um das Ressourcenmanagement, eine Umwelt-Due-Diligence oder die Berichterstattung. In den 15 Jahren, die e-hoch-3 bislang existiert, wurden nach eigenen Angaben mehr als 500 Projekte in 30 Ländern durchgeführt.

Maßgeblich geprägt wird diese Arbeit auch durch die Politik. Vor allem die Vorgaben der Europäischen Union zum Green Deal oder der Taxonomie zwingen Tazirs Kunden zum Handeln. Darin können allerdings auch Wettbewerbsvorteile liegen, sagt sie, etwa beim Lieferkettengesetz. Die EU plant, Menschenrechtsverstöße in der Wertschöpfung einheitlich zu regeln und so für alle europäischen Unternehmen gleiche Bedingungen zu schaffen. Dadurch aber, dass ein entsprechendes Gesetz in Deutschland bereits in Kraft ist, sieht Meriem Tazir bei Firmen hierzulande bereits eine gewisse Übung – und also einen Vorsprung gegenüber Unternehmen in anderen Ländern.

Das gesteigerte Interesse für Nachhaltigkeit bedeutet jedoch auch, dass manche Kunden ihre gesamten Geschäftsmodelle infrage stellen müssen. Etwa, wenn sie von fossilen Energien abhängen oder ihren Produkten absichtlich eine kurze Lebensdauer geben. Eine Lösung sieht Tazir darin, den Gewinn vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. “Wer vorher versucht hat, so viel wie möglich von etwas zu verkaufen, will jetzt die Essenz dessen, was es ist, verkaufen”, sagt sie. Vermarktet beispielsweise eine Firma nicht länger das Produkt “Auto”, sondern verdient sein Geld mit dem Angebot, Kunden bequem und klimafreundlich von A nach B zu bringen, entfällt der Anreiz, so viele Autos wie möglich herzustellen. So könnte nachhaltiges Wirtschaften die Umwelt schonen. Und das ohne Verzicht. Jakob Arnold

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ESG.Table Redaktion

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    heute ist “Earth Overshoot Day”, ab heute leben wir wieder auf Pump. Die Ressourcen, die unser Planet innerhalb eines Jahres wiederherstellen kann, sind aufgebraucht. Aber bitte nicht falsch verstehen – das gilt nur global. Wenn alle so leben würden wie wir in Deutschland, wäre dieser Tag bereits am 4. Mai. Lässt sich das ändern?

    Cem Özdemir versucht, den Hebel bei der Landwirtschaft anzusetzen. Henrike Schirmacher hat den Minister dazu befragt, ob er bereits alles dafür tut, den Sektor vor Klimawandel und Wasserknappheit zu schützen und wie er zum Einsatz von Gentechnik steht, um den von Pestiziden zu reduzieren.

    Die EU-Kommission wiederum hat Anfang der Woche ihre neuen Standards für die ESG-Berichterstattung angenommen. Präsidentin Ursula von der Leyen wollte nicht zu viel Bürokratie für die Wirtschaft, damit die Regelungen praxistauglich bleiben. Jetzt allerdings sagen Kritiker, dass man sich zu sehr auf die Freiwilligkeit von Unternehmen verlassen müsse. Leonie Düngefeld und ich haben zusammengetragen, was sie bemängeln.

    Offen ist auch, wie die neue Wasserstoffstrategie zu mehr Nachhaltigkeit beitragen soll. Die Bundesregierung versucht, die eigene Versorgung mit der Entwicklung in Partnerländern in Einklang zu bringen, sodass beide Seiten profitieren. Noch aber sind wichtige Fragen ungeklärt, analysiert Nico Beckert.

    Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeschickt wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.

    Ihr
    Marc Winkelmann
    Bild von Marc  Winkelmann

    Analyse

    Neue Berichtsstandards: Kritiker bezweifeln Wirksamkeit

    Rund drei Jahre ist es her, dass die EU-Kommission eine Arbeitsgruppe beauftragt hat, auf Grundlage der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD-Richtlinie) neue Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erarbeiten. Am Montag nun nahm die Kommission ihre Version der erarbeiteten Vorschläge an. Große Unternehmen, die unter die kommenden Regelungen fallen, müssen sie ab dem 1. Januar 2024 befolgen, kleinere haben zwei Jahre länger Zeit. Europaweit steigt die Zahl der Firmen, die zur Berichterstattung verpflichtet sind, damit stufenweise von rund 12.000 auf mehr als 50.000 an. Allein in Deutschland könnten es 15.000 sein und nicht mehr 500 wie bislang. 

    Das erklärte Ziel der EU ist es, die Wirtschaft dazu anzuhalten, ihre Wertschöpfung zu durchleuchten und ihre Geschäftsmodelle so zu modifizieren, dass sie im Einklang mit den Klimazielen stehen, die Natur schonen und sozialverträglich sind. Um das zu erreichen, hatte das Beratungsgremium EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group) einen Kriterienkatalog mit mehr als 2.000 Datenpunkten vorgelegt, die Unternehmen bei sich abfragen sollten – der Wirtschaft und der Kommission war das allerdings zu umfangreich. In den Verhandlungen wurden die Zahl deutlich reduziert, auf weniger als ein Drittel, damit die Berichterstattung in der Praxis umsetzbar bleibt und die Bürokratie Unternehmen nicht überfordert, so das Argument.

    Abweichungen sind “Anlass zur Sorge”

    Was aus Sicht der Wirtschaft zu begrüßen ist, wird von einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Investoren, die sich an ESG-Kriterien orientieren, kritisiert. “Die Abweichungen von den von der EFRAG vorgeschlagenen Standards geben Anlass zur Sorge”, sagt Vincent Vandeloise, Senior Research und Advocacy Officer der NGO Finance Watch. Zum einen sei die signifikante Reduzierung der Datenpunkte problematisch, zum anderen seien die meisten Regelungen nicht mehr verpflichtend. Vielmehr würde es jetzt den Unternehmen und ihren Wesentlichkeitsanalysen überlassen sein, wozu und in welcher Tiefe sie berichten. 

    Der Vorschlag der Kommission sieht eine deutlich größere Flexibilität für Firmen vor. Bei einigen Daten wie den Scope-3-Emissionen müssen sie nur noch erklären, warum sie diese gegebenenfalls nicht als wesentlich erachten. Auch Angaben zu den Umstellungsplänen für die biologische Vielfalt sind freiwillig und nicht mehr verpflichtend. 

    Der WWF hält das nicht für akzeptabel. Philippe Diaz, verantwortlich für Sustainable Finance bei der Umweltschutzorganisation, erinnert daran, dass Standards wie die Global Reporting Initiative schon seit vielen Jahren existieren – die Kommission aber trotzdem dem Druck von konservativen Lobbygruppen nachgegeben und Löcher zugelassen hätte, die jetzt zum Greenwashing einladen würden. “Das ist ein schwerer Vertrauensbruch und untergräbt den Führungsanspruch Europas beim Aufbau einer Wirtschaft, die sozial gerecht und mit den Grenzen unseres Planeten vereinbar ist.”

    Investoren benötigen Daten

    Unzufrieden sind auch ESG-Anleger. Man begrüße die neuen Standards grundsätzlich, aber: “Wir bedauern, dass die Forderung von Investoren nicht berücksichtigt wurde, wichtige ESG-Indikatoren verpflichtend zu machen. Wir zählen jetzt darauf, dass Firmen sie freiwillig vorlegen”, sagt Aleksandra Palinska, die Geschäftsführerin von EuroSIF, dem europäischen Netzwerk der nationalen Fachverbände für nachhaltige Geldanlagen. Investoren bräuchten “hochqualitative” Daten, um Entscheidungen treffen und eigene Berichte erstellen zu können. 

    Beim Carbon Disclosure Project (CDP) ist man zwiegestalten. Die internationale Organisation, die eigene Standards für die Offenlegung von Umweltdaten und Treibhausgasemissionen etabliert hat, erklärt, dass von den knapp 19.000 Unternehmen, die nach CDP-Fragebogen berichten, die meisten mindestens in Teilen vorbereitet seien auf die kommenden EU-Regeln und dass sie aufgrund dieser Vorarbeit einen Vorteil hätten gegenüber anderen Wettbewerbern. Allerdings müsse es sich ab 2024 in der Praxis noch beweisen, wie gut die Firmen ihre Prozesse anpassen können. Mirjam Wolfrum, Policy Engagement Director Europe: “Es wird essentiell sein zu verstehen, warum Firmen bestimmte Themen ausblenden und außen vor lassen. Es ist wichtig, vergleichbare und bedeutende Informationen für Investoren, Auditoren und Regulierer bereitzustellen.”

    Berichte kein Allheilmittel

    Erwartet wird, dass die EFRAG in den kommenden Wochen einen Leitfaden für die Umsetzung und die Wesentlichkeitsanalysen herausgeben wird. Dieser soll zur weiteren Klärung beitragen. Allerdings zeigt die Arbeit des Carbon Disclosure Project auch, dass die Berichterstattung allein kein Allheilmittel ist: Von den knapp 19.000 CDP-Unternehmen geben gerade einmal 4.100 an, dass sie über die Offenlegung hinaus ein Konzept erarbeitet haben, um ihr jeweiliges Geschäftsmodell kompatibel mit dem 1,5 Grad-Ziel zu machen. 

    Nach der Entscheidung der EU-Kommission haben das Europäische Parlament und der Rat jetzt zwei Monate Zeit, die Vorschläge zu prüfen. Sie können sie ablehnen, aber nicht ändern. Im Parlament hatten Abgeordnete der Fraktionen der S&D, Renew, Grünen und Linken sich gegen die Kommission gestellt und eine Beibehaltung der EFRAG-Empfehlungen gefordert. Trotzdem wird nicht damit gerechnet, dass der zuständige Rechtsausschuss oder das Plenum den Entwurf ablehnen.

    Kern bleibe trotzdem erhalten

    Aus Sicht von Pascal Durand (S&D, Frankreich), dem Berichterstatter der CSRD im EU-Parlament, sind die Lockerungen der Standards ein Ergebnis der “intensiven Lobbyarbeit der rechten politischen Gruppen”. Der zwingende und systematische Charakter der Übergangspläne, der ursprünglich von der EU-Kommission, dem Rat und dem Parlament vorgesehen war, sei teilweise abgeschwächt worden. “Dennoch bleibt der Kern der Normen und Standards erhalten und ebnet den Weg für einen neuen großen Schritt für Transparenz und Nachhaltigkeit in der EU und darüber hinaus”, sagte der Sozialist Table.Media. Die gute Nachricht sei, dass nun die Umsetzung beginnen könne.

    Wenn voraussichtlich im Oktober die erste Reihe Standards verabschiedet wird, wartet bereits die nächste Aufgabe: Bis zum Sommer 2024 müssen laut der CSRD-Richtlinie eine weitere Reihe mit sektorspezifischen Standards angenommen werden. Marc Winkelmann, Leonie Düngefeld

    • Berichtspflichten
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    Cem Özdemir: “Ich warne vor alten Schwarz-Weiß-Debatten”

    Seit 2021 Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Cem Özdemir setzt sich mit dem Green Deal für eine resiliente und nachhaltige Landwirtschaft ein.

    Herr Özdemir, die Landwirtschaft ist schon jetzt unmittelbar vom Klimawandel betroffen und muss sich in den kommenden Jahrzehnten vor Wetterextremen schützen. Tun Sie als Bundeslandwirtschaftsminister genug, damit das sowohl kurz- als auch langfristig gelingt?

    Cem Özdemir: Wenige Wirtschaftsbereiche spüren die Klimakrise und ihre Folgen so unmittelbar wie die Landwirtschaft. Während gerade einige – sei es im Netz, im Fernsehen, aber auch in der Politik – gegen jede Evidenz so tun, als wären die klimatischen Bedingungen total normal, weil es ja früher auch schon mal heiß gewesen sei, muss man die Landwirtinnen und Landwirte nicht davon überzeugen, dass die Klimakrise massive Auswirkungen auf unser Leben hat und auch das Wirtschaften verändert. In manchen Regionen regnet es kaum noch, Wasser ist ein knappes und kostbares Gut – da verdorrt das Getreide am Halm. Und anderswo schwemmen Starkregenfälle ganze Ernten weg. Da geht es ganz konkret um die Ernten von heute, morgen und um die in 20, 30 und 50 Jahren.

    Dennoch gibt es jetzt einige Stimmen, die meinen, dass es angesichts der Folgen des Ukraine-Krieges weniger Einschränkungen bräuchte und man nicht starr an Klimaschutzzielen festhalten dürfte.

    Wer jetzt im politischen Raum davon spricht, dass es den Green Deal nicht mehr bräuchte, wer hinter die gemeinsam ausgehandelten Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft zurückfallen und am liebsten alte Gräben zwischen Naturschutz und Landwirtschaft aufbrechen möchte, dem sage ich, das wird nicht gelingen. Ich fühle mich einer Politik verpflichtet, die mühsam ausgehandelte und gemeinsam erreichte Kompromisse umsetzen will, statt wieder in Extreme zurückzufallen. Wir müssen die Klimakrise bekämpfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Landwirtschaft sich krisenfest aufstellt und auch anpassen kann.

    Was meinen Sie mit dem Anpassen?

    Eine Politik der Vernunft schützt nicht nur, sondern sorgt vor, etwa indem wir klimaangepasste Sorten nutzen oder Anbautechniken anwenden, die die Resilienz stärken. In Brandenburg kommen etwa Kichererbsen mit der Trockenheit gut zurecht, und solche Ansätze unterstützen wir mit unserer Eiweißpflanzenstrategie. Schließlich heben wir auch die Potentiale der Landwirtschaft als Klimaschützer. Nehmen Sie den Humusaufbau. Jedes Prozent mehr Humus bedeutet auch mehr Kohlenstoffspeicher im Boden. Hier investieren wir viele Millionen in konkrete Projekte und die praxisrelevante Forschung.

    “Wir nutzen zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren”

    Ist damit beim Klimaschutz in der Landwirtschaft das Ende der Fahnenstange erreicht?

    Die Landwirtschaft hat ihre Sektorziele aktuell erreicht und das ist eine große Leistung. Gerade die Bäuerinnen und Bauern haben ein Interesse daran und ein Recht darauf, dass auch andere Bereiche beim Klimaschutz liefern. Mir geht es darum, dass wir dazu beitragen, die Landwirtschaft auch langfristig krisenfest zu machen. Ein großer Hebel liegt in der Tierhaltung, die fast 70 Prozent der Emissionen im Agrarsektor ausmacht. Ich will ganz klar sagen: Wenn Landwirtschaft nachhaltig sein soll, brauchen wir Tierhaltung in Deutschland. Deshalb müssen wir sie zukunftsfest aufstellen. Das ist auch eine Ressourcen- und Verteilungsfrage, mehr als die Hälfte des Getreides landet nicht bei uns auf dem Teller, sondern im Trog. Wir nutzen also zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren. Gleichzeitig geht der Fleischkonsum in Deutschland zurück. Da docke ich an mit meinem Prinzip “weniger Tiere besser halten”. Dafür ist mein verpflichtendes, staatliches Tierhaltungskennzeichen, das gerade final beschlossen wurde, ein zentraler Baustein. Und wir werden die Landwirte fördern, die ihren Tieren eben mehr Platz geben.

    Sind Sie mit Blick auf die laufende hiesige Ernte froh darüber, dass Landwirte und Landwirtinnen in Deutschland in diesem Jahr noch nicht dazu gezwungen worden sind, Flächen brach liegen zu lassen und weniger Weizen anzubauen?

    Ich nehme bei der Ernte verhaltenen Optimismus wahr. Aber in die Glaskugel zu schauen, das gehört auf den Jahrmarkt und nicht in ein Ministerium. Wie gut unsere Kornspeicher am Ende des Sommers gefüllt sein werden, das hängt letztendlich stark vom Wetter ab. Und das Wetter fährt wegen der Klimakrise immer öfter Achterbahn. Wir müssen deshalb alles dransetzen, dass die Landwirtschaft sich klima- und krisenfest aufstellen kann. Wie schon angesprochen war das eigentlich Konsens in Deutschland und in der EU – und da wundert es mich schon, was da gerade seitens der Union in Brüssel passiert. Da verneinen CDU und CSU plötzlich die Kompromisse, die sie selbst mitverhandelt hatten, und attackieren ihre eigene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die aus gutem Grunde den Green Deal vorantreibt. Das sind durchschaubare Wahlkampfmanöver. Wer die Folgen der Klimakrise, Bodenprobleme und Wassermangel ignoriert, ist wahrlich kein Freund der Bauern.

    “All das Leid ist Putin bekanntlich vollkommen egal”

    Der russische Präsident Wladimir Putin hat kürzlich das Getreideabkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über die Schwarzmeerhäfen gestoppt. Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, fordert vor diesem Hintergrund einen “Krisenstab für Ernährungssicherheit.” Sind Sie ebenfalls alarmiert?

    Ich war letzte Woche in Rom beim UN-Sondergipfel zum Thema Ernährungssysteme und diskutierte dort über die Folgen des russischen Angriffskrieges für die globale Ernährungssicherheit. Putin benutzt den Hunger als Waffe. Das beobachten wir seit Beginn des Krieges. Die Folgen für die Menschen und all das Leid sind ihm dabei bekanntlich vollkommen egal. Russlands einseitiges Aufkünden des Getreideabkommens heizt bestehende Hungersnöte auf der Welt an. Ukrainisches Getreide gelangt nun nicht mehr dorthin, wo Menschen ums Überleben kämpfen, etwa in Afrika. Das World Food Programme hatte beispielsweise mit Unterstützung der Bundesregierung ukrainisches Getreide nach Äthiopien gebracht. Das wird es nun erstmal nicht mehr geben. Andererseits hat Getreide aus der Ukraine mitgeholfen, dass sich die Weltmarktpreise etwa für Weizen normalisieren, und sich die Ärmsten dieser Welt Brot leisten können.

    Was tut die Bundesregierung?

    Es zahlt sich deshalb aus, dass die EU schon früh aktiv wurde, damit ukrainisches Getreide über Schienen und Straßen zu anderen europäischen Seehäfen kommt. Gerade, weil auf Putin kein Verlass ist, müssen dauerhafte Alternativrouten etabliert werden. Da braucht es weitere Anstrengungen auch seitens der EU und ich würde mich natürlich freuen, wenn auch die CDU ihre guten Drähte nach Brüssel nutzen würde, um da in diesem Sinne zu unterstützen.

    “Europäische Ziele für die Pestizidreduktion liegen im Interesse der deutschen Landwirtschaft”

    Eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln, wie sie die EU-Kommission plant, würde Ihrem gesteckten Ziel, den Ökolandbau in Deutschland auszubauen, Rückenwind verleihen. Welche Position zur “Sustainable Use Regulation” (SUR) vertreten Sie vor diesem Hintergrund im Rat der EU-Mitgliedstaaten?

    Ich unterstütze die Einsparziele und eine gemeinsame Regelung, aber sage auch: Es muss auch machbar sein und darf diejenigen, die schon vorangegangen sind, nicht nachträglich bestrafen. Es nützt nichts, wenn wir in Europa virtuelle Einsparziele haben, an die sich keiner hält. Es ist auch im Interesse der deutschen Landwirtschaft, dass wir europäische Ziele für die Reduktion von Pestiziden definieren. Denn das schafft ein level playing field in Europa. Gerade weil wir uns in vielen Fragen in Deutschland schon früh auf den Weg gemacht haben, ist es für uns von Vorteil, wenn die Reduktionsziele auch für andere gelten. Also: Unterstützung zum Ziel der SUR. Aber die Regelung braucht dringend Anpassungen, die auf unsere spezifischen Voraussetzungen in Deutschland eingehen. Das ist die Frage des Referenzjahres für die Reduktionsziele. Das ist auch eine Frage des bürokratischen Umfangs und natürlich geht es auch um die Definition von sensiblen Gebieten. Sonderkulturen müssen weiterhin möglich sein. Es kann ja niemand ernsthaft ein Interesse daran haben, wenn bei uns der Wein- und Obstanbau zurückgeht. Ich halte es aber für einigungsfähig -guten Willen aller Beteiligten in der EU vorausgesetzt.

    “Mir ist Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, wichtig”

    Darüber hinaus verspricht sich ein Teil der Agrarbranche über die Lockerung des EU-Gentechnikrechts, den Einsatz von Pestiziden reduzieren zu können. Die Biobranche fürchtet hingegen um ihr Versprechen der Gentechnikfreiheit. Könnte dies das Öko-Ausbauziel in Deutschland gefährden?

    Auch viele konventionelle Betriebe werben mit der Gentechnikfreiheit. Das ist ein milliardenschwerer und funktionierender Markt, das bestreiten ja weder Gegner noch Befürworter. Ich rate auch bei diesem Thema, nicht auf diejenigen zu hören, die auch hier am liebsten in alte Schwarz-Weiß-Debatten zurückfallen wollen, weil das die Welt so schön einfach macht. Auf der einen Seite diejenigen, die pauschal alles verteufeln, auf der anderen Seite die anderen, die darin die großen Heilsversprechen sehen. Daher freue ich mich, dass es viele gibt, die sehr pragmatisch diskutieren. Mein Haus ist innerhalb der Bundesregierung federführend und für uns sind bei einer gemeinsamen Positionsfindung zwei Aspekte bei der Neuregelung zentral: Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, sowie Patentfreiheit. Unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch, darf durch neue Regeln nicht in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet werden. Kurz: Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können. Das muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten.

    “Es ist nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist”


    Noch ein anderes Thema zum Schluss: Nach einer Untersuchung vom Max Rubner-Institut (MRI) sind besonders zuckerhaltige Kindergetränke sogar noch zuckriger geworden. Wollen Sie da regulativ eingreifen, analog zu den Plänen für ein Verbot von gesundheitsschädlicher Kinderwerbung?

    Es ist völlig absurd, dass gerade in einigen an Kinder gerichteten Lebensmitteln der Zuckergehalt weiter steigt. Getränke sind da nur ein Beispiel, wie das Monitoring des MRI ergeben hat. Es gibt Frühstückscerealien für Kinder, die bestehen zur Hälfte aus Zucker! Bis zu zwei Millionen Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland unter Übergewicht oder Adipositas. Das ist auch eine Frage der Chancengerechtigkeit. In anderen Ländern, etwa Großbritannien, wurde der Zuckergehalt teils drastisch gesenkt – und die Menschen haben die Produkte dann trotzdem gekauft. Es ist also nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist. Mir geht es darum, dass jedes Kind die Chance hat, gesund aufzuwachsen. Einen Beitrag dazu erfüllen wir jetzt durch mehr Kinderschutz in der Werbung. Alle drei Ampelparteien haben sich darauf geeinigt, dass es an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt nicht mehr geben soll. Diesen Auftrag nehme ich ernst.

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    Wasserstoff-Strategie: Details noch unklar

    Die Bundesregierung hat vergangene Woche ihre neue Wasserstoffstrategie vorgestellt. Damit will sie die Versorgung Deutschlands mit diesem Energieträger sicherstellen und gleichzeitig eine nachhaltige Wirtschaft in den Kooperationsländern befördern. Allerdings fehlen noch konkrete Leitplanken, wie diese Ziele in Einklang zu bringen sind.

    Die Versorgung mit “nachhaltigem und klimaneutralen Wasserstoff” gilt in der jetzt beschlossenen Überarbeitung der Strategie von 2020 als “unabdingbar” für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045. Gleichzeitig will die Bundesregierung in den Partnerländern “maximale Synergien mit einer lokalen sozial-ökologischen Gesellschafts- und Wirtschaftstransformation und Energiewende sowie den Nachhaltigkeitszielen (SDG) sicherstellen”.

    Die Kooperation mit Partnerländern ist wichtig: 2030 sollen etwa 50 bis 70 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs importiert werden soll. Den Gesamtbedarf schätzt die Strategie auf 95 bis 130 Terawattstunden (TWh). Um 50 bis 90 Terawattstunden importieren zu können, muss auch in den Exportländern eine Wasserstoffwirtschaft entstehen.

    Wasserstoffwirtschaft als “wirklicher Gamechanger” für die SDG?

    Im BMZ zeigt man sich überzeugt von den entwicklungspolitischen Potenzialen. Die Wasserstoffwirtschaft könne “ein wirklicher Gamechanger für die Umsetzung der Agenda 2030 werden”, sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit Blick auf die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDG). Man müsse Nachhaltigkeit von Anfang an in den Strategien mitdenken, so Flasbarth. Wasserstoff könne zur Dekarbonisierung und Diversifizierung der Industrien in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern beitragen.

    Das BMZ mahnt dann auch an, Risikofaktoren zu beachten, um negative Folgen der Wasserstoffproduktion in den Partnerländern zu vermeiden:

    • Die Wasserstoffproduktion dürfe nicht dazu führen, dass fossile Kraftwerke länger laufen müssten,
    • deshalb müsse man die Energiewende in den Partnerländern voranbringen.
    • Wenn die Nutzung von Wasserstoff in den Herkunftsländern insgesamt mehr Emissionen einspare, müsste diese lokale Wasserstoffnutzung “priorisiert werden”.
    • Eine nachhaltige Wasser- und Flächennutzung müsse sichergestellt werden und Wasserstoff-Projekte dürften nicht zu höheren Energiekosten im Partnerland führen. Davor warnt auch Christoph Heinemann, Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz, beim Öko-Institut. “In Staaten, die bisher kaum Windenergie nutzen, wie beispielsweise in Marrokko, könnte es zu einem Wettlauf um die besten Standorte kommen.” Sichern sich Wasserstoff-Projekte diese Standorte, könne “die Energiewende für das Inland teurer und eventuell verzögert werden”, so der Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz am Öko-Institut.
    • Auch der Nationale Wasserstoffrat hatte schon vor Risiken wie Wasserknappheit, Landnutzungskonflikten, Verschuldung und Energiearmut gewarnt, die bei Projekten in Partnerländern beachtet werden müssten.

    Eine Strategie, um diesen Risiken zu begegnen, gibt es bislang noch nicht. Flasbarth räumt ein, man könne den positiven Nutzen einer Wasserstoffwirtschaft nicht “100 Prozent sicherstellen”, aber man müsse die Politik darauf ausrichten. Konkreter solle das in der Wasserstoff-Importstrategie ausgearbeitet werden, die soll bis Ende des Jahres erarbeitet werden.

    Zudem will die Bundesregierung auf G7/G20-Ebene für “Good Governance-Standards” werben, um die angestrebten positiven Effekte einer Wasserstoffwirtschaft zu erreichen – allerdings konnten sich die G20-Energieminister am Wochenende nur auf sehr vage gemeinsame Positionen zum Thema grüner Wasserstoff einigen.

    Kritiker fürchten “signifikantes Risiko”

    “Es besteht ein signifikantes Risiko, dass die Wasserstoffprojekte nicht den versprochenen Nutzen für produzierende Länder bringen”, sagt Leonie Beaucamp, Referentin für erneuerbare Energien und Wasserstoff bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch gegenüber Table.Media. “Der zeitliche und preisliche Druck, der durch den Hochlauf des globalen Wasserstoffhandels aufgebaut wird, kann sich negativ auf die Erfüllung der lokalen Bedürfnisse auswirken. Deshalb sollten in den Importstrategien strenge Nachhaltigkeitsstandards festgeschrieben werden.”

    Auch Christoph Heinemann vom Öko-Institut mahnt: “Auf die Wasserstoffstrategie muss nun die Ausarbeitung von konkreten Kriterien folgen, die positive Effekte wie den Ausbau der Erneuerbaren oder die Verbesserung der Wasserversorgung in den Partnerländern anreizen.” Konkret könne die Bundesregierung solche Kriterien bei der Bewilligung von Fördergeldern und der Ausschreibung neuer Projekte vorschreiben.

    Grüne Vorgaben seien auf dem Weltmarkt nicht unbedingt ein Wettbewerbsnachteil für Europa. “Bei Pipeline-Distanzen, also beispielsweise Importen aus Staaten in Nordafrika, ist der Kostenvorteil beim Transport so groß, dass die Fokussierung sehr stark auf den Markt Europa sein wird und strengere Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden müssten”, sagt Heinemann.

    29 Partnerschaften, Kooperationen und Allianzen

    Die Bundesregierung will laut Strategie zum Wasserstoff mit einer Reihe von Ländern “grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten” aufbauen. Derzeit gibt es solche Allianzen mit 29 Partnerstaaten verschiedener Ausrichtung. Ein erster Überblick zeigt die verschiedenen Kategorien:

    • Abkommen zum Import von Wasserstoff oder Derivaten gibt es mit Kanada und Namibia (erste Lieferung ab 2025 bzw. 2026).
    • Vereinbarungen zum Bau von Anlagen: Eine Referenzanlage in Marokko (100 MW Elektrolyseleistung) und PtX-Pilotanlage in Tunesien (10MW). In Chile fördert das BMWK ein Projekt zur Herstellung von eFuels aus Wasserstoff und CO₂ (“Haru Oni”).
    • Abmachungen zum technischen und wissenschaftlichen Austausch über H2-Produktion, -Transport oder Dekarbonisierung der Industrie unter anderem mit Algerien (BMZ-Projekt: 6 Millionen Euro), Israel, Japan, Saudi-Arabien, Türkei, Indien VAE, USA, Australien und Südkorea.
    • Austausch über nationale Wasserstoffstrategien etwa mit Brasilien, Kasachstan, VAE, Algerien oder Mexiko und Südafrika, teilweise gefördert über BMZ-Projekte.
    • Gespräche über Standards zur H2-Produktion mit China, sowie erste Projekte deutscher Unternehmen (Oman).
    • Austausch über mögliche H2-Potenziale mit Jordanien, Neuseeland und Katar.
    • Büros für Wasserstoffdiplomatie, die das Auswärtige Amt in Angola, Nigeria, Russland (Arbeit ausgesetzt), Saudi-Arabien, Ukraine (in Vorbereitung) und Kasachstan eingerichtet hat.

    Viele Projekte sind noch in der Planungsphase. Trotzdem gibt es auch bei vermeintlichen Vorzeigeprojekten schon Kritik. “Das HYPHEN Projekt in Namibia wird oft als Vorbildprojekt kommuniziert bezüglich der lokalen Entwicklungsmöglichkeiten. Zugleich werden hier bei genauerem Hinsehen aber auch Schwachstellen sichtbar. So fehlt es beispielsweise an Transparenz und Präsenz der Zivilgesellschaft in der Planung und auf dem Weg zur Implementierung des Projekts“, sagt Beaucamp von Germanwatch.

    BMZ: 270 Millionen, um private Investitionen zu hebeln

    Das BMZ hat zudem einen mit 270 Millionen Euro ausgestatteten “PtX-Entwicklungsfonds” aufgelegt, der im Herbst 2023 mit ersten Ausschreibungen an den Markt gehen soll. Über den Fonds sollen private Investitionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro “entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette in den Partnerländern” gehebelt werden, so Jochen Flasbarth. Mit dem Förderprogramm H2Uppp unterstützt das BMWK zudem den Markthochlauf von grünem Wasserstoff und Derivaten in 15 Staaten, darunter Brasilien, Südafrika, Türkei, Indien und Nigeria.

    • Energiewende
    • Nachhaltigkeitsstandards
    • SDG
    • Wasserstoff

    Termine

    4. August 2023, 9:30-16:30 Uhr, Freiburg
    Workshop Die Klimakrise ist eine Wasserkrise (Heinrich Böll Stiftung) Info & Anmeldung

    9. August 2023, 17:30-19:30 Uhr, Mannheim
    Podiumsdiskussion Neue Lebensmittel auf dem Teller – Was erwartet uns? (Bundesgartenschau Mannheim) Info & Anmeldung

    10. August 2023, 17:00-19:00 Uhr, Donaueschingen
    Stadtrundgang Städtebau mal ländlich – Ökologie und Moderne gekonnt verbinden (Friedrich Naumann Stiftung) Info & Anmeldung

    11.-13. August 2023, Kochel am See
    Wochenendseminar Alpen im Klimawandel – zukünftige Herausforderungen (Georg-von-Vollmar-Akademie) Info & Anmeldung

    17. August 2023, 10:00-12:30 Uhr, Online
    Webseminar Klimaanpassungs-Check von kommunalen Entscheidungen und Beschlüssen (Deutsches Institut für Urbanistik) Info & Anmeldung

    18. August 2023, 19:00 Uhr, Bielefeld
    Vortrag Klimawandel – Steht die Katastrophe bevor? (Konrad Adenauer Stiftung) Info & Anmeldung

    23. August, 10:00-11:00 Uhr, Online
    Webinar Praktische Hilfe zum Lieferkettengesetz – die häufigsten Fragen und hilfreiche Antworten (TÜV Rheinland) Info & Anmeldung

    23.August 2023, 17:30 Uhr, Illertissen
    Diskussion Hightech & Heimat. Wo steht Bayern? (Hanns-Seidel-Stiftung) Info & Anmeldung

    24. August 2023, 18:00 Uhr, Online
    Info-Veranstaltung Reparaturbonus jetzt! Infos für Reparatur-Initiativen (Inkota) Info & Anmeldung

    25.-26. August 2023, Online
    Webinar Innovationspolitik und Strukturwandel in NRW (Friederich Ebert Stiftung) Info & Anmeldung

    News

    Lösungen für Erdüberlastung

    An diesem Mittwoch haben die auf der Erde lebenden Menschen die Ressourcen verbraucht, die die Ökosysteme des Planeten innerhalb eines Jahres wiederherstellen können. Wollten die Menschen diesen Ressourcenbedarf langfristig decken, bräuchten sie jedes Jahr rechnerisch 1,7 Erden. Die Berechnungen stammen vom Global Footprint Network, das jedes Jahr den Tag identifiziert, ab dem die natürlichen Ressourcen der Erde aufgebraucht sind. In den 1970er-Jahren lag der Tag noch im November oder Dezember. Der Überlastungstag Deutschlands war dieses Jahr am 4. Mai. Lebten alle Menschen wie jene in Deutschland, bräuchte die Weltgemeinschaft drei Erden.

    Auf seiner Website listet das Netzwerk mögliche Lösungen auf, um den ökologischen Fußabdruck der Menschen zu verringern. Die Vorschläge gliedern sich in die Bereiche Energie, Städte, Ernährung, Biodiversität und Bevölkerung.

    • Der größte Hebel liege in der Bepreisung von Kohlenstoffdioxid – 100 US-Dollar pro Tonne CO₂ könnten demnach den Überlastungstag um 63 Tage in Richtung Ende des Jahres verschieben.
    • Eine größere reproduktive Selbstbestimmung sowie Gesundheit von Frauen und Mädchen könne den Tag bis 2050 um 49 Tage verzögern – unter der Annahme, dass Frauen im Durchschnitt zwei Jahre später ein Kind weniger bekämen.
    • Wenn die Hälfte der Welt einen Green Deal mit dem Ambitionsniveau der EU verfolgte, könne der Überlastungstag in zehn Jahren 42 Tage später sein.

    Einen übergreifenden Rahmen, um den absoluten Ressourcenverbrauch zu reduzieren, können laut Experten Kreislaufwirtschaftsansätze bilden, die darauf abzielen, in den Umlauf gebrachte Ressourcen wiederzuverwenden und so wenig wie möglich neue Rohstoffe in den Kreislauf zu bringen. Der WWF erneuert deshalb zum diesjährigen Überlastungstag seine Forderung nach einem nationalen Ressourcenschutzgesetz für Deutschland. Als Grundlage dafür solle die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie dienen, die das Umweltbundesministerium bis zum kommenden Jahr erarbeiten will. nh

    • CO2-Preis
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    • NKWS

    Verpackungen: Spanien schlägt Kompromisse vor

    Die spanische Ratspräsidentschaft erarbeitet bis zum 15. September einen neuen Kompromissvorschlag zur EU-Verpackungsverordnung. Bis Anfang dieser Woche hat sie Stellungnahmen der Mitgliedstaaten zu einem Arbeitspapier gesammelt, in dem sie einige neue Wege zu einer möglichen Einigung aufzeigt. Das von der französischen Medienplattform Contexte veröffentlichte Papier wurde am 14. Juli bereits in einer Arbeitsgruppe diskutiert.

    Demnach schlägt Spanien für den umstrittenen Artikel 26 zum Thema Mehrwegsysteme die Möglichkeit vor, anhand unterschiedlicher Ziele zwischen Wiederverwendung und Wiederbefüllung zu unterscheiden. Ähnlich hatte es auch das Parlament vorgeschlagen. Der Vorschlag der EU-Kommission vermischt die beiden Systeme mit gemeinsamen Zielen.

    Spanien eröffnet auch eine Debatte über die Definition des Begriffs “zum Mitnehmen” (für Restaurants), ebenfalls im Hinblick auf die Mehrwegziele. Die Ratspräsidentschaft erwägt auch die Möglichkeit, den Weinsektor von der Verpflichtung zur Bereitstellung von Mehrwegflaschen auszunehmen.

    Debatte um biobasierte Kunststoffe

    In einem weiteren Arbeitspapier geht die Ratspräsidentschaft auf Artikel 7 der Verordnung ein, der einen Mindestanteil an recyceltem Material in Kunststoffverpackungen festlegt. Mehrere Mitgliedstaaten setzen sich jedoch für eine Anerkennung der Verwendung von biobasiertem Kunststoff ein, um die Ziele zu erreichen. Spanien erklärt, biobasierte Kunststoffe sollten nicht verwendet werden, um die Zielvorgaben für den Recyclinganteil zu erreichen, und schlägt vier Szenarien vor:

    1. Förderung biobasierter Kunststoffe, insbesondere über Ökomodulation
    2. Festlegung separater Ziele für einen Mindestgehalt an biobasiertem Material (in einem separaten Artikel)
    3. Schaffung einer Hierarchie, in dem recyceltes Material die erste Wahl ist (im selben Artikel)
    4. Verpackungen aus biobasierten Kunststoffen werden von der Verpflichtung zur Beimischung von recyceltem Material ausgenommen

    In jedem Fall müssten biobasierte Kunststoffe strenge Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, schlussfolgert die Ratspräsidentschaft – die jedoch erst noch entwickelt werden müssen.

    Die EU-Kommission hatte den Entwurf für die Verpackungsverordnung im November 2022 vorgelegt. Zurzeit verhandeln Rat und Parlament intern über ihre jeweilige Position. leo

    • EU
    • Verpackungen

    Batterieverordnung tritt Anfang 2024 in Kraft

    Die Batterieverordnung ist am vergangenen Freitag offiziell im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden. Mit einigen Ausnahmen gelten die neuen Vorgaben demnach ab dem 18. Februar 2024. Die in der Verordnung enthaltenen Vorgaben zur Abfallbewirtschaftung, zu denen unter anderem das System der erweiterten Herstellerverantwortung und die Sammlung von Batterien gehören, gelten erst ab dem 18. August 2025. Die Verpflichtung, tragbare Batterien und Batterien, die in E-Rollern oder Elektrofahrrädern verwendet werden, leicht entfernbar und ersetzbar zu gestalten, gilt ab 2027.

    Mit der Batterieverordnung tritt Anfang 2024 das erste Gesetz, das aus dem Aktionsplan der Kommission für die Kreislaufwirtschaft 2020 hervorgegangen ist, in Kraft. Die EU-Kommission hatte den Gesetzesvorschlag 2020 vorgelegt. Im Dezember 2022 einigten sich Rat und Parlament auf einen Kompromissleo

    • Batterien
    • EU
    • EU-Batterieverordnung

    UK vergibt hunderte Öl- und Gas-Lizenzen und fördert CO₂-Speicherung

    Der britische Premierminister Rishi Sunak kündigte am Montag an, dass seine Regierung hunderte neue ­­Lizenzen für die Förderung von Öl und Gas in der Nordsee vergibt. Dies solle die Energieversorgung im Vereinigten Königreich sichern und das Land unabhängiger von Importen machen. Aus seiner Sicht gibt es keinen Widerspruch zwischen neuen Förderkapazitäten für fossile Energien und dem Ziel, im Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Auch dann würden Öl und Gas noch ein Viertel des britischen Energiebedarfs decken, heißt es in einer Regierungserklärung. Heimisches Öl und Gas dafür zu nutzen, sei umweltfreundlicher, weil dieses, sagt Sunak, deutlich mehr Emissionen spare als importiertes, das weite Wege zurücklegt.

    Kritiker werfen Sunak vor, dass dieser den Kurs in der Klima-Politik ändere, weil er die Chance sehe, dass die Konservativen damit vor der Wahl im nächsten Jahr gegenüber der Labour-Partei noch aufholen könnten. Hintergrund: Bei Nachwahlen fürs Unterhaus im Westen Londons konnten die Tories aus ihrer Sicht mit Kritik an Umweltmaßnahmen im Verkehr Stimmen gewinnen. Bereits Ende vergangener Woche sagte Sunak, dass seine Regierung die Netto-Null-Strategie weiterverfolge, dies aber in einer angemessenen, pragmatischen Weise geschehen müsse. Die Organisation Oxfam kritisiert die Entscheidung, neue Lizenzen für Öl- und Gasförderung zu vergeben als “heuchlerisch” und “gefährlich inkonsequent”. Sie werde wie eine “Abrissbirne” durch die Klimaschutzverpflichtungen des Vereinigten Königreichs schwingen.

    Die britische Regierung hat zudem zwei weitere Projekte bekannt gegeben, die von ihr Fördergeld für Projekte bekommen, mit denen Kohlenstoffdioxid abgeschnitten, genutzt und gespeichert (CCUS) werden soll: Acorn im Nordosten Schottlands und Viking im Nordosten Englands. Zuvor hatte sich die Regierung bereits verpflichtet, die Projekte HyNet cluster im Nordwesten Englands und Nordwales sowie East Coast Cluster im Nordosten Englands zu fördern. Insgesamt will die britische Regierung 20 Milliarden Pfund bereitstellen, um im Bereich CCUS private Investitionen anzukurbeln. nh

    • Fossile Brennstoffe

    UN Global Compact Netzwerk Deutschland gründet Verein

    Das deutsche Netzwerk der globalen Initiative UN Global Compact wird künftig als eingetragener Verein auftreten. Damit will der Zusammenschluss aus rund 900 Unternehmen und 100 weiteren Akteuren “ein solides institutionelles Fundament” schaffen, um “das Engagement der Wirtschaft und relevanter Stakeholder für die Zehn universellen Prinzipien unternehmerischer Nachhaltigkeit und die Agenda 2030 zielgerichtet und langfristig” weiterzuführen. Das gibt das Netzwerk an diesem Mittwoch bekannt. Um Teil der Initiative zu bleiben, müssen bisherige Teilnehmer dem Verein beitreten. Zu den über 100 Gründungsmitgliedern gehören unter anderem BASF, SAP und Transparency International. Bislang hatte das Netzwerk zwar eine unabhängige Governance-Struktur, war aber bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit angesiedelt.

    Der Global Compact ist eine Vereinbarung, die vor allem Unternehmen mit den Vereinten Nationen eingehen. Damit verpflichten sie sich den zehn Prinzipien nachhaltiger, verantwortungsvoller Unternehmensführung und den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (SDG). Der Global Compact startete vor 23 Jahren auf Initiative des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Inzwischen haben sich laut des deutschen Netzwerks rund 19.000 Unternehmen weltweit den 70 regionalen Netzwerken der Initiative angeschlossen. nh

    • Nachhaltigkeit
    • Unternehmen

    Nachhaltigkeitssiegel: Studie bewertet vier als mangelhaft

    Nicht alle Siegel für Nachhaltigkeit halten, was sie versprechen – das ist das Ergebnis einer Untersuchung von 63 Gütesiegel für Lebensmittel und Textilien durch die österreichische Menschenrechtsorganisation Südwind, die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 und die deutschen Romero-Initiative (CIR).

    Am besten schnitten die Siegel “FairBio”, “Fairtrade”, “Rapunzel Hand in Hand” und “Naturland fair” ab, die in den drei Bereichen Soziales, Ökologie sowie Transparenz und Effizienz mindestens einmal die Bestnote “anspruchsvoll” und ansonsten “gut” erhielten. Vier Siegel erhielten in mindestens einer Kategorie die schlechteste Bewertung “mangelhaft”: das “AMA Gütesiegel”, “MSC”, “RSPO” und “amfori BEPI”. Der Label-Check steht als Online-Tool zur Verfügung oder kann als Broschüre bestellt werden.

    Siegel sind hilfreich, reichen aber nicht

    “Ein perfektes, allumfassendes Gütesiegel gibt es nicht, trotzdem sind Gütesiegel ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung”, so Südwind-Sprecherin Derfler. Um ökologischen und sozial gerechten Konsum zu gewährleisten, brauche es aber auch gesetzliche Verpflichtungen, die die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der Lieferkette verbindlich vorschreiben, so Derfler. Das sieht Martin Wildenberg, Experte für Nachhaltigkeit GLOBAL 2000, ähnlich. Er begrüßt die Bemühungen der EU, mit der Green-Claims-Richtlinie einen möglichen Wildwuchs zu regulieren. Ein entsprechender Vorschlag der EU-Kommission derzeit in Brüssel diskutiert. Die Umsetzung wird aber noch einige Jahre dauern.

    Urteil: DM darf nicht mit “klimaneutral” werben

    Bis dahin werden wohl weiter Gerichte entscheiden müssen, ob Nachhaltigkeitsversprechen beim Verbraucher falsche Erwartungen wecken. Erst in der vergangenen Woche untersagte das Landgericht Karlsruhe der Drogeriemarktkette DM die Verwendung der Begriffe “klimaneutral” und “umweltneutral”. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH).

    DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sprach angesichts des Urteils von einem “Meilenstein für den Verbraucherschutz” und einem “wichtigen Erfolg gegen Greenwashing im Handel”. Die DUH hat seit Mai 2022 gegen 24 Unternehmen geklagt und sie aus verschiedenen Gründen aufgefordert, die Werbung mit angeblicher Klimaneutralität zu unterlassen.

    Fairtrade profitiert von Bekanntheit

    Dass sich strenge Kriterien und Glaubwürdigkeit auszahlen, zeigt eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts Global Scan. Demnach kennen 92 Prozent der deutschen Verbraucher das Fairtrade-Siegel. “Nachhaltigkeit sowie gute Lebens- und Arbeitsbedingungen im globalen Süden spielen trotz multipler Krisen eine große Rolle im Einkaufsverhalten”, sagt Claudia Brück, Vorstandsmitglied von Fairtrade Deutschland, dem gemeinnützigen Verein, der das Siegel vergibt. So stieg der Umsatz mit Fairtrade-Produkten in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent auf 2,36 Milliarden Euro im Jahr 2022. ch

    • Nachhaltiger Konsum

    16 Prozent der Verbraucher wollen “wahre Preise” beim Discounter zahlen

    Nur wenige Verbraucherinnen und Verbraucher wollen die “Wahre-Preise-Aktion” des Discounters Penny unterstützen, indem sie die mit einem deutlichen Preisaufschlag versehenen Produkte kaufen. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, das am Montag 3.315 Personen befragt hat.

    Nur 16 Prozent der Deutschen planen demnach, Produkte zu den “wahren Preisen” zu erwerben, bei denen auch die durch die Produktion verursachten Umweltschäden berücksichtigt werden. 44 Prozent planen dies nicht. Rund 30 Prozent gaben an, dass sie in ihrer Nachbarschaft keinen Penny-Markt hätten, wo sie einkaufen könnten. Zehn Prozent machten keine Angaben. Am seltensten sagten Befragte ab 55 Jahren, dass sie die Aktion unterstützen wollen (8 Prozent).

    Seit Montag verlangt der Discounter Penny für 9 seiner mehr als 3.000 Produkte eine Woche lang die “wahren Preise” – also den Betrag, der bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden berechnet werden müsste. Die Produkte vom Käse bis zum Wiener Würstchen werden dadurch um bis zu 94 Prozent teurer, wie die Handelskette mitteilte. Die Mehreinnahmen will die zur Rewe-Gruppe gehörende Kette für ein Projekt zum Klimaschutz und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum spenden. Der Händler will mit dem Schritt nach eignen Angaben mehr Bewusstsein für die Umweltbelastungen durch die Lebensmittelproduktion schaffen. dpa

    • Nachhaltiger Konsum
    • Nachhaltigkeit

    Presseschau

    “Klimawende wird nur mit Familienunternehmen gelingen” – Handelsblatt
    Der Mittelstand ist per se nachhaltig – Forscherin Nadine Kammerlander erklärt, dass diese häufig vertretene Sichtweise nicht stimmt. Die meisten Familienunternehmen müssten deutlich mehr tun. Sie sollten sich als Teil der Lösung begreifen, mehr investieren, Nachhaltigkeit als Geschäftsstrategie begreifen und von der Politik besser unterstützt werden. Zum Artikel

    Einzelhandel: Pennys Preisaufschlag: Hilft oder schadet die Umweltaktion Landwirten? – Agrarheute
    Penny-Kunden zahlen für neun Produkte des Einzelhändlers in dieser Woche Preise in Höhe der errechneten wahren Kosten. Kommt die Aktion Landwirten zugute, oder rückt Penny die Bauern als Umwelt- und Klimasünder in den Fokus, hat sich Johanna Michel gefragt. Zum Artikel

    “Deutschland ist das Wurstland Nummer Eins” – FAZ
    Im Interview erklären Geschäftsführer Maximilian Tönnies und ESG-Vorstand Gereon Schulze Althoff, wie die Zukunft des Fleisch-Verarbeiters Tönnies aussehen soll. Tierwohl, Fleischersatz, künstlich erzeugtes Fleisch: “Wir wollen das Thema Nachhaltigkeit stärker in die Unternehmensführung einbringen”, sagt Tönnies. Zum Artikel

    It’s not just hot. Climate anomalies are emerging around the globe. – The Washington Post
    Der Juli scheint einen Vorgeschmack auf turbulente Zeiten gegeben zu haben – mit weltweiten Wetteranomalien, die jede Definition von Normalität sprengten. Brady Dennis und Scott Dance berichten über eine Wissenschaftsgemeinde, die am Verzweifeln ist. Zum Artikel

    Heat Is Costing the U.S. Economy Billions in Lost Productivity – The New York Times
    Ob Fleisch-Verpacker, Amazon-Fahrer oder Haushaltshilfe: Die Beschäftigten kämpfen mit den hohen Temperaturen. Darunter leidet auch die Produktivität, wie Coral Davenport berichtet. Zum Artikel

    Antrieb: Einige Autohersteller in China setzen weiter auf den Verbrennungsmotor – Automobil Industrie
    Allen Unkenrufen zum Trotz wird in China kräftig in Verbrennungsmotoren investiert. Große Autohersteller wie Geely, GAC, Dongfeng, Changan oder Chery sind überzeugt, dass die Zukunft nicht nur E-Fahrzeugen gehört, hat Henrik Bork recherchiert. Zum Artikel

    “Das US-Programm ist für Investoren einfach gigantisch” – Die Zeit
    Welcher Standort ist der beste, um eine Solarfabrik zu betreiben? Algerien, sagt der Experte Peter Fath im Interview mit Annette Beutler – das Land bringe momentan viele Vorteile mit sich. Aber auch andere Länder ziehen mit Subventionen nach, insbesondere die USA, während Deutschland sehr zurückhaltend bleibt. Zum Artikel

    Großes Solarpotenzial bei Speditions- und Logistikhallen – Logistik Heute
    Mit öffentlichen Förderungen und Leasing könnte sich die Wirtschaftlichkeit von Solaranlagen weiter erhöhen. Das Potenzial sei gewaltig, zitiert Matthias Pieringer eine Studie des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg. Demnach könnten etwa zwei Drittel des städtischen Strombedarfs in Hamburg bilanziell durch Solaranlagen auf Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie Gewerbe- und Industriehallen abgedeckt werden. Zum Artikel

    Standpunkt

    JETPs brauchen mehr soziale Gerechtigkeit

    Von Michael Jakob
    Erforscht die soziale Dimension der globalen Energiewende: Michael Jakob.

    Wenn die 1,5-Grad-Grenze nicht überschritten werden soll, müssen die globalen Treibhausgasemissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Netto-Null sinken. Das betrifft insbesondere die Industrie-, aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer. Just Energy Transition Partnershops (JETPs) stellen einen neuen Ansatz dar, um die Transformation voranzutreiben – vor dem Hintergrund, dass die Industriestaaten sich aufgrund ihrer historischen Verantwortung für die globale Erwärmung verpflichtet haben, Klimaschutzbemühungen in ärmeren Ländern finanziell zu unterstützen.

    Die ersten JETPs gibt es bereits. Ihre klimapolitischen Zielsetzungen sind klar. Doch soziale Ziele werden in den Vereinbarungen vernachlässigt. Das birgt die Gefahr, dass vulnerable Bevölkerungsgruppen bei der Transformation des Energiesystems auf der Verliererseite stehen. Solche sozialen Schieflagen wären nicht nur ungerecht. Sie würden auch starke politische Widerstände gegen die Dekarbonisierung wecken – ein Risiko für die globale Transformation.

    JETPs mit Südafrika, Indonesien, Vietnam und Senegal

    Im Rahmen von JETPs stellt die International Partners Group (IPG) Kredite, Zuschüsse und technische Unterstützung für Partnerländer zur Verfügung. Die IPG besteht aus den G7, der EU und einzelnen EU-Ländern. Zusätzlich sind in manchen JETPs auch internationale Finanzinstitutionen und Fonds direkt involviert.

    Die erste JETP wurde bei der COP26 Ende 2021 mit Südafrika geschlossen. Sie verspricht dem Land 8,5 Milliarden US-Dollar für Investitionen in klimafreundliche Energieerzeugung, -übertragung und -nutzung. Im Fokus steht dabei der Ausstieg aus der Kohle. Im Jahr 2022 wurden weitere JETPs in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar mit Indonesien und 15,5 Milliarden US-Dollar mit Vietnam beschlossen. Es sind zwei weitere Länder, in deren Energiesystem die Kohle eine zentrale Rolle spielt. Am 22. Juni wurde im Rahmen des Pariser Klimafinanzgipfels eine vierte JETP mit Senegal in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vereinbart.

    Diese JETPs sind sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung: Sie stellen gezielt Gelder bereit, um den Treibhausgasausstoß der Partnerländer zu senken. Sie lassen sich einfacher und schneller vereinbaren als beispielsweise Abkommen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Deshalb könnten sie zukünftig auch für weitere Länder eine Motivation bieten, verstärkt auf erneuerbare Energien zu setzen.

    Fossile Schlupflöcher; wenig Konkretes zu Gerechtigkeit

    Dennoch besteht Nachbesserungsbedarf. So ist unklar, welche konkreten Vorteile den Partnerländern aus den Finanzzusagen, die überwiegend in Form von Krediten vergeben wurden, im Vergleich zu Krediten zu Marktkonditionen tatsächlich erwachsen. Zusätzlich erlauben einige JETPs, dass mittelfristig die Nutzung fossiler Energien noch zunehmen kann. Besonders auffällig jedoch ist, dass die soziale Gerechtigkeit in den Vereinbarungen zwar als zentrales Element genannt wird – doch konkretes wird zu ihr kaum gesagt.

    Im Rahmen der JETPs wird Gerechtigkeit in erster Linie aus einer Nord-Süd-Perspektive gedacht. Das heißt vor allem, dass reichere Länder Finanzmittel zur Verfügung stellen. Die Frage, für wen die Vereinbarungen im Partnerland am Ende gerecht sein sollen, wird nicht ausreichend berücksichtigt. So gibt es in den Abkommen keine Definition, welche Gerechtigkeitsaspekte durch die JETPs adressiert werden sollen. Auch fehlen Vorgaben, um negative Auswirkungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie Beschäftigte in Kohleminen oder energieintensiven Industrien, zu vermeiden,

    Die JETPs wurden großteils ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft verhandelt. Das bedeutet, dass viele Stimmen nicht gehört wurden. Ob nun in ihrer Umsetzung die Perspektiven zentraler Stakeholder, wie beispielsweise Gewerkschaften, berücksichtigt werden, hängt stark von der politischen Kultur des Partnerlandes ab. Doch in keinem der vier bisherigen JETP-Partnerländer sind inklusive Beteiligungsprozesse bisher tief verankert. Dennoch müssen sie der Anspruch sein. Denn mangelnde Beteiligung birgt das Risiko, dass JETPs von den Vorstellungen der Geberländer und Interessen der Entscheidungsträger im Partnerland geprägt werden, während die Gesamtbevölkerung insgesamt nur wenig von ihnen profitiert.

    Mehr Transparenz und Beteiligung nötig

    Um sicherzustellen, dass JETPs der breiten Bevölkerung zugutekommen, benötigt es eine klare Definition, welche gesellschaftlichen Ziele – neben den klimapolitischen – durch sie erreicht werden sollen und auf welchem Weg. Um die möglichen negativen Auswirkungen einer Transformation der Energiesysteme bereits im Vorfeld zu antizipieren und die Maßnahmen entsprechend ausgestalten zu können, ist die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern unerlässlich. Hier sollten JETPs Mindeststandards verankern. Sie sollten vorgeben, wie die Bevölkerung der Partnerländer in die Entscheidung eingebunden wird, und wie verfügbare Mittel investiert werden. Auf Geberseite bedarf es hierfür aber auch Geduld. Beteiligung braucht Zeit.

    Geberländer können eine sozial gerechte Energiewende aktiv unterstützen. So können sie ihren Fokus darauf legen, den wirtschaftlichen Strukturwandel in den Partnerländern etwa durch Ausbildungsprogramme für Berufe in den erneuerbaren Energiebranchen zu fördern. Eine vernünftige Gesellschaftsbeteiligung können sie unterstützen, indem sie den Aufbau der erforderlichen institutionellen Kapazitäten fördern. Damit eine “Just Energy Transition” nicht nur dem Namen nach, sondern auch tatsächlich sozial gerecht ist.

    Dr. Michael Jakob beschäftigt sich als unabhängiger Forscher und Berater mit den sozialen und politischen Implikationen von Maßnahmen zur Emissionsminderung.

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    Meriem Tazir – Transformation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft

    Die Bau- und Umweltingenieurin Meriem Tazir berät Firmen bei der sozial-ökologischen Transformation.

    Als Meriem Tazir vor mehr als zwölf Jahren die Geschäftsführung der Beratungsfirma e-hoch-3 in Darmstadt übernahm, interessierten sich nur wenige Unternehmen dafür, nachhaltiger zu werden. Mittlerweile wollen fast alle grün sein. “Seit Fridays for Future hat sich das geändert”, sagt sie – und beobachtet, wie sich alle neu positionieren wollen. Das ist allerdings nicht immer so einfach. “Es ist wichtig, Nachhaltigkeit im Kontext des eigenen Geschäftsmodells zu verstehen. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ist per se ein guter Schritt, trifft den Kern des Geschäftsmodells jedoch nicht immer.”

    Tazirs Aufgabe ist es, beides zusammenzubringen. Mit ihrem Team, das aus 16 Kolleginnen und Kollegen besteht, untersucht sie, welches die jeweils größten sozialen und ökologischen Hebel sind und wie diese in der Praxis umgelegt werden können. Das zu analysieren ist nicht immer selbstverständlich. Viele ihrer Kunden würden die Relevanz von Daten unterschätzen, so Tazir. Sie wüssten noch gar nicht, welche negativen Folgen ihr Handeln im Einzelnen hat.

    Die Expertin, die in Landau in der Pfalz als Tochter algerisch-britischer Eltern geboren wurde, hat ihr Abitur in Darmstadt gemacht, dort anschließend Bauingenieurswesen mit einem Fokus auf Umwelttechnik studiert und in Edinburgh einen MBA absolviert. Danach dann folgte der Einstieg bei e-hoch-3, für den sie dem Ruf ihrer Freundin und heutigen Geschäftspartnerin Maike Hora folgte. Vor zwei Jahren schloss sie zusätzlich noch ihre Promotion ab.

    Geschäftsmodelle radikal hinterfragen

    Tazirs Arbeit an der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft ist vielfältig. Sie und ihr Team beraten quer durch die Branchen: Chemie, Automobil, Bildung, Gesundheit, Finanzen – fast alles ist dabei. Mal geht es um die Analyse der Supply Chain, dann wieder um das Ressourcenmanagement, eine Umwelt-Due-Diligence oder die Berichterstattung. In den 15 Jahren, die e-hoch-3 bislang existiert, wurden nach eigenen Angaben mehr als 500 Projekte in 30 Ländern durchgeführt.

    Maßgeblich geprägt wird diese Arbeit auch durch die Politik. Vor allem die Vorgaben der Europäischen Union zum Green Deal oder der Taxonomie zwingen Tazirs Kunden zum Handeln. Darin können allerdings auch Wettbewerbsvorteile liegen, sagt sie, etwa beim Lieferkettengesetz. Die EU plant, Menschenrechtsverstöße in der Wertschöpfung einheitlich zu regeln und so für alle europäischen Unternehmen gleiche Bedingungen zu schaffen. Dadurch aber, dass ein entsprechendes Gesetz in Deutschland bereits in Kraft ist, sieht Meriem Tazir bei Firmen hierzulande bereits eine gewisse Übung – und also einen Vorsprung gegenüber Unternehmen in anderen Ländern.

    Das gesteigerte Interesse für Nachhaltigkeit bedeutet jedoch auch, dass manche Kunden ihre gesamten Geschäftsmodelle infrage stellen müssen. Etwa, wenn sie von fossilen Energien abhängen oder ihren Produkten absichtlich eine kurze Lebensdauer geben. Eine Lösung sieht Tazir darin, den Gewinn vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. “Wer vorher versucht hat, so viel wie möglich von etwas zu verkaufen, will jetzt die Essenz dessen, was es ist, verkaufen”, sagt sie. Vermarktet beispielsweise eine Firma nicht länger das Produkt “Auto”, sondern verdient sein Geld mit dem Angebot, Kunden bequem und klimafreundlich von A nach B zu bringen, entfällt der Anreiz, so viele Autos wie möglich herzustellen. So könnte nachhaltiges Wirtschaften die Umwelt schonen. Und das ohne Verzicht. Jakob Arnold

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    ESG.Table Redaktion

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