Table.Briefing: ESG

Stahlindustrie: Thyssenkrupp-Steel taumelt ohne Führung + Verkehrswende: Güterverkehr steht im Stau

Liebe Leserin, lieber Leser,

vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen an diesem Sonntag haben verschiedene Wirtschaftsverbände vor den Folgen einer Regierungsbeteiligung der AfD gewarnt. BDI-Präsident Siegfried Russwurm bezeichnete Äußerungen von AfD-Spitzenvertretern als “für die Wirtschaft alarmierend”. Viele Forderungen seien eine “echte unternehmerische Bedrohung“, sagte Russwurm der Welt. Er befürchte, “die aggressive Ausländerfeindlichkeit der AfD” werde das Problem des Fachkräftemangels in Deutschland noch weiter verschärfen.

Aber Sorgen machen sich Vertreter aus der Wirtschaft gerade auch wegen der Transformation. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft, appellierte an die künftigen Landesregierungen, die für die Wirtschaft zentralen Transformationspfade nicht zu verlassen. “Die Demokratie ist zentraler Standortfaktor für die Wirtschaft”, sagte sie. “Menschen- und demokratiefeindliche Strömungen und Parteien gefährden unseren Wohlstand.”

Im heutigen ESG.Table erfahren Sie, wie die SMS Group aus Mönchengladbach von der Transformation der Stahlproduktion profitiert. Das Unternehmen baut in Schweden und Deutschland klimafreundliche Stahlwerke und rüstet klassische Hochöfen um. Günter Heismann hat sich den – in der Öffentlichkeit kaum bekannten – Weltmarktführer genauer angesehen.

Mit deutlich höheren Kosten für den Transport auf Schienen rechnen Experten aufgrund der geplanten Erhöhung der Trassenpreise, berichtet Søren Maas. Immer mehr Güter könnten deshalb von Lkw auf der Straße transportiert werden. Die Folgen – vollere Straßen, höhere Emissionen – stehen im Widerspruch zu einem nachhaltigeren Verkehr in Deutschland.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende!

Ihre
Leonie Düngefeld
Bild von Leonie  Düngefeld

Analyse

Stahlindustrie: Thyssenkrupp-Tochter taumelt ohne Führung in die Transformation

Gewerkschafter in Duisburg: Seit Wochen demonstriert die IG Metall gegen den Vorstand.

Rücktritte, Beleidigungen, Streikdrohungen – bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) droht die Transformation zum “grünen” Stahlkonzern im Chaos unterzugehen. Am Donnerstag legte Sigmar Gabriel, Aufsichtsratsvorsitzender des größten deutschen Stahlherstellers mit 27.000 Beschäftigten, sein Mandat nieder. Mit ihm gingen auch sein Stellvertreter, der ehemalige IG-Metall-Chef Detlef Wetzel, sowie zwei weitere Aufsichtsratsmitglieder. Als letzte Amtshandlung stimmten sie den Aufhebungsverträgen von drei Vorstandsmitgliedern um TKSE-Chef Bernhard Osburg zu. Das Vertrauen zum Vorstand des Mutterkonzerns Thyssenkrupp AG sei zerstört.

Bei einer Pressekonferenz sparten Gabriel und Wetzel nicht mit Kritik. “Meine Frau hat mich gefragt: ‘Detlef, bist Du unter die Räuber gefallen?‘”, sagte Wetzel. Er habe nicht widersprechen können. Beide sprachen von einer “Denunziation”, “öffentlicher Demütigung” und einer “beispiellosen Kampagne” gegen Stahlvorstand Osburg. Dieser hatte Anfang August ein Konzept zur Reduzierung von Arbeitsplätzen und Produktionskapazitäten vorgelegt, das dem Chef des Mutterkonzerns, Miguel López, nicht weit genug ging.

Die IG Metall müsse nun überlegen, im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG die Ablösung von Vorstand Miguel López zu fordern, so Wetzel. Im Anschluss kündigte die Gewerkschaft an, eine Sondersitzung des Aufsichtsrats des Mutterkonzerns zu beantragen.

IG Metall steht nun ohne Verbündete in der TKSE da

In dem Konflikt stehen sich einerseits die Anteilseigner der Thyssenkrupp AG, vertreten durch den Aufsichtsratsvorsitzenden und BDI-Präsidenten Siegfried Russwurm und Ursula Gather, Chefin der Krupp-Stiftung als größtem Einzelaktionär, und andererseits die IG Metall als Vertreterin der Arbeitnehmer gegenüber. Die Arbeitgeberseite versucht, den Verkauf der Stahlsparte zu eigenen Bedingungen gegen die IG Metall durchzusetzen.

Hinzu kam eine zweite Konfliktebene zwischen dem Vorstand und den Eigentümern des Mutterkonzerns auf der einen Seite, und der Führung der Stahltochter um Gabriel und Ex-Vorstand Bernhard Osburg auf der anderen. Mit dem Abgang von Osburg und Gabriel ist nun offen, ob der Mutterkonzern eine gefügigere TKSE-Führung berufen kann – oder aber, ob die in der Stahlbranche mächtigen Arbeitnehmervertreter ihre Interessen bei der Bestimmung einer neuen Führungsspitze wahren können.

Bei den Konflikten um die TKSE geht es im Kern darum,

  • wie groß die Reduktion der Produktionskapazitäten ausfallen soll, um sich an die Veränderungen im europäischen Stahlmarkt und die zukünftig höheren Kosten von “grünem” Stahl anzupassen,
  • wie hoch die sogenannte “Mitgift” des Mutterkonzerns ausfallen muss, um eine Sanierung und den Umbau der Hochöfen in klimafreundliche Produktionsanlagen zu stemmen, und
  • welche Rolle der Investor Daniel Křetínský in der Transformation spielt, der bereits ein Fünftel der TKSE-Anteile übernommen hat und seinen Anteil weiter aufstocken will.

Zwei Milliarden Euro Staatshilfe zur Dekarbonisierung teilweise ausbezahlt

Vor etwas mehr als einem Jahr überbrachten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Mona Neubaur, Wirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen, einen gemeinsamen Zuwendungsbescheid an TKSE über zwei Milliarden Euro. Damit unterstützen Bund und Land das Dekarbonisierungsprojekt “tkH2Steel”. Thyssenkrupp stellte eine weitere Milliarde Eigenmittel in Aussicht.

Eine wasserstoffbasierte Direktreduktionsanlage (DRI) soll 2027 etwa 2,5 Millionen Tonnen Eisen pro Jahr herstellen können, das in einem weiteren Schritt zu Stahl verarbeitet wird. “Das Unternehmen zeigt mit seinem sehr ambitionierten Projekt, dass es durch konsequenten Einsatz von Wasserstoff möglich ist, den Stahlsektor als größten industriellen CO₂-Emittenten in Deutschland zu dekarbonisieren”, sagte Habeck damals.

“Entsprechend dem Projektfortschritt wurden bereits Fördermittel ausgezahlt“, sagte dazu nun eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage von Table.Briefings. “Mit Blick auf Förderung gilt bei allen Projekten grundsätzlich, dass Geld erst nach nachgewiesenem Projektfortschritt fließt.” Bei Abweichungen von der verabredeten Ausgestaltung und des Betriebs stünden “übliche Widerrufsrechte” zur Verfügung. Das BMWK gehe davon aus, dass das “zentrale Zukunftsprojekt” wie geplant in Duisburg umgesetzt werde.

Aus der IG Metall kommen hingegen Zweifel, ob Thyssenkrupp das Projekt sinnvoll umsetzt. “Das Kostenmanagement für den Bau der DRI-Anlage ist mir nicht bekannt,” sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Thyssenkrupp AG, am Donnerstagabend zum Thema.

Gabriel sieht Eigentümer als eigentliche Blockierer

Ohnehin soll durch “tkH2Steel” nur ein Viertel der derzeitigen Produktionskapazität klimaneutral umgebaut werden. Sigmar Gabriel verwies am späten Nachmittag darauf, dass ein Abgang von Konzernchef López allein dieses “strukturelle Problem” der TKSE nicht lösen würde. Es gäbe weiterhin eine Lücke von 1,5 bis 2,5 Milliarden Euro zwischen dem “Mitgift”-Angebot des Mutterkonzerns und dem tatsächlichen Bedarf. Hier sah Gabriel eine Blockade durch den größten Einzelaktionär, die Krupp-Stiftung.

Wetzel von der IG Metall sah nun die Politik in einer zentralen Rolle, um die Konflikte zu moderieren. Sowohl Robert Habeck als auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hatten sich im Vorfeld der TKSE-Aufsichtsratssitzung bereits vergeblich für eine Kampfpause eingesetzt.

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Stahlindustrie: Wie die SMS Group zum Pionier grüner Produktionstechnologie wurde

Produktion bei der SMS Group: Pionier klimafreundlicher Stahltechnologien.

Die SMS Group ist ein klassischer deutscher Weltmarktführer – in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, in seiner Branche jedoch umso mehr. Die Firma, kürzlich von Düsseldorf nach Mönchengladbach umgezogen, ist der weltweit größte Lieferant von Hochofen- und Walzwerktechnik für die Stahlindustrie. Auch Aluminiumhütten stattet das Familienunternehmen mit Produktionstechnologie aus.

Doch das Geschäft mit der Stahlindustrie läuft schleppend. Die Branche baut in Europa keine neuen Hochöfen mehr. SMS trat die Flucht nach vorn an und spezialisierte sich auf ein zukunftsträchtiges neues Geschäftsfeld – nämlich Technologie für klimafreundliche Stahlwerke.

Das erste Großprojekt entsteht derzeit in Boden, einer Kleinstadt in Nord-Schweden. Dort baut das Start-up H2 Green Steel das erste “grüne” Stahlwerk der Welt. Wenn die Anlage 2026 in Betrieb geht, kann sie pro Jahr 2,5 Millionen Tonnen Stahl produzieren. Bei einem herkömmlichen Stahlwerk mit gleicher Leistung würden Jahr für Jahr 3,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt.

Alte Technologie für Wasserstoff fit gemacht

Die Anlage von H2 Green Steel hat jedoch keinen Hochofen, der mit Koks beschickt würde, sondern eine Direktreduktionsanlage, die mit grünem Wasserstoff betrieben wird. Hiermit können 95 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen unterbunden werden. “Völlig vermeiden lassen sich CO₂-Emissionen bei der Stahlerzeugung leider nicht”, sagt Thomas Hansmann, Chief Technology Officer der SMS Group.

Das Unternehmen darf sich als einen der Pioniere klimafreundlicher Stahltechnologien betrachten. Die Direktreduktion, die SMS in Boden einsetzt, ist jedoch keineswegs eine völlig neue Technologie. “Sie wurde bereits vor 40 Jahren entwickelt”, sagt Hansmann. Auch liefert SMS mit Midrex, einer Partnerfirma in den USA, bereits seit langem Direktreduktionsanlagen für Stahlwerke. Doch herkömmlich wird hierbei Erdgas eingesetzt.

Jetzt produzieren die Unternehmen erstmals eine Anlage, in denen Wasserstoff genutzt werden kann. Damit die Technologie auch mit diesem Energieträger funktioniert, musste sie weiterentwickelt werden. SMS investiert pro Jahr rund drei Prozent der Umsätze in die Forschung und Entwicklung.  

Standort und passende Partner waren entscheidende Faktoren

Gemeinsam mit H2 Green Steel hat SMS das Konzept für das grüne Stahlwerk erarbeitet. Die Partner seien dabei mit großer Sorgfalt vorgegangen, um einen Misserfolg zu vermeiden, sagt Geschäftsführer Hansmann: “Von der ersten Idee bis zur Unterschrift des Vertrages vergingen mehr als drei Jahre.”

Im nordschwedischen Boden, nur 80 Kilometer vom Polarkreis entfernt, ist Wasserkraft reichlich vorhanden. Der hiermit gewonnene CO₂-freie Strom wird benötigt, um mittels Elektrolyseuren Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zu trennen. “Der Strom in Boden kostet rund 30 Euro pro Megawattstunde. Das ist extrem günstig”, sagt Hansmann. Überdies ist Wasserkraft eine stabile Energiequelle, die sich 24 Stunden am Tag nutzen lässt. Eine Direktreduktionsanlage kann nicht einfach des Nachts abgeschaltet werden.

Flexible Lösungen für unterschiedliche Kunden

Das Stahlwerk in Boden verschlingt bis zur Fertigstellung voraussichtlich vier Milliarden Euro, wovon rund ein Viertel auf die von SMS gelieferte Technologie entfällt. Solche Summen finanzieren die Banken nur, wenn die Unternehmen langfristige Abnahmeverträge mit liquiden Großunternehmen vorzeigen können.

Den Initiatoren von H2 Green Steel gelang es, einige der renommiertesten deutschen Unternehmen als Großabnehmer zu verpflichten. Hierzu gehören Autokonzerne wie Mercedes-Benz, aber auch Miele, der westfälische Hersteller von Hausgeräten. “Diese Unternehmen können ihre Produkte künftig damit bewerben, dass sie aus grünem Stahl hergestellt wurden”, stellt Hansmann fest.

Nach dem Pilotprojekt in Schweden erhielt SMS einen weiteren Großauftrag: das erste “grüne” Stahlwerk von ThyssenKrupp in Duisburg. Zwischen den Vorhaben besteht jedoch ein fundamentaler Unterschied: In Boden wird auf der grünen Wiese ein komplett neues, integriertes Stahlwerk gebaut.

Hingegen wird in Duisburg lediglich ein inzwischen abgerissener Hochofen durch eine Direktreduktionsanlage ersetzt. Die nachgelagerten Produktionsstufen, also etwa das Walzwerk, bleiben jedoch erhalten. Dies stellte die Ingenieure von SMS vor besonders große Herausforderungen: Sie mussten die Direktreduktionsanlage in eine bestehende Infrastruktur integrieren. Das ließ sich nur mit einer tiefgreifenden Modifizierung der Technologie bewerkstelligen.

Auch ein Umbau von Hochöfen wird erprobt

Allerdings gibt es weltweit rund 1.400 Hochöfen. “Die können wir unmöglich alle bis 2050 durch Direktreduktionsanlagen ersetzen”, sagt Chief Technology Officer Hansmann. Das wäre überdies viel zu teuer. Das grüne Stahlwerk in Duisburg wird vom Staat mit insgesamt zwei Milliarden Euro subventioniert, die sich jeweils zur Hälfte auf die Investitionen und die Betriebskosten verteilen.

Ein anderer Weg ist die CO₂-Reduzierung in bestehenden Hochöfen. SMS hat dafür eine kostengünstige Alternative entwickelt, das sogenannte EasyMelt-Verfahren. Hierbei wird ein Hochofen nicht abgerissen, sondern von Grund auf modernisiert, sodass er mit einem Gemisch aus Koks und Wasserstoff betrieben werden kann.

Mit diesem Verfahren lassen sich allerdings nur bis zu 70 Prozent der CO₂-Emissionen eines herkömmlichen Hochofens vermeiden, räumt SMS ein. Auf der anderen Seite kostet die Modernisierung lediglich ein Drittel so viel wie eine Direktreduktionsanlage mit gleicher Leistung. Allerdings hat die Technologie aus Sicht der potenziellen Kunden einen gravierenden Nachteil: Im Gegensatz zur Direktreduktion ist das EasyMelt-Verfahren in Deutschland nicht förderfähig. SMS wird die Technologie daher in Indien gemeinsam mit Tata Steel erproben. Günter Heismann

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Verkehrswende: Treibt die Bundesregierung den Güterverkehr auf die Straße?

Lkws könnte es auf deutschen Autobahnen künftig noch mehr geben.

Die Haushaltspläne der Bundesregierung dürften eine Erhöhung der Trassenpreise nach sich ziehen und so auch den Bahngüterverkehr treffen. Branchenkenner rechnen mit deutlich höheren Kosten für den Transport auf der Schiene. Dadurch könnten Lkw immer mehr Güter auf der Straße transportieren. Der Effekt: vollere Straßen, höhere Emissionen – ein Widerspruch zu den Plänen der Bundesregierung für einen nachhaltigeren Verkehr in Deutschland. Unglücklich über die Erhöhung ist auch die Gütertransporttochter der Deutschen Bahn.

Bei den Trassenpreisen handelt es sich um eine Art Schienenmaut. Die Bahntochter InfraGo verwaltet die Bahninfrastruktur und erhebt die Trassenpreise von allen Unternehmen, welche diese nutzen – auch von den Unternehmen der Deutschen Bahn selbst wie der DB Cargo. Seit einigen Jahren steigen diese Trassenpreise stark an. Ab 2026 soll die “Maut” nach dem Haushaltsentwurf 2025 erneut steigen – im Güterverkehr im Schnitt um bis zu 14,8 Prozent.

Hinter der geplanten Preiserhöhung steckt ein intransparentes und schwer durchschaubares System. Der Bund plant, das Eigenkapital der Deutschen Bahn um 4,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Insgesamt soll die Bahn mehr als 20 Milliarden Euro frisches Geld erhalten, unter anderem in Form von Darlehen. Auf dieses Geld soll die Bahn allerdings “kapitalmarktgerechte Zinsen” zahlen. Die finanziert sie durch die Trassenpreise. Die Folge: Die Schienenmaut steigt.

Güterbahnbranche sorgt sich um ihr Geschäftsmodell

Vertreter der Güterbahnbranche sorgen sich um ihr Geschäftsmodell. Peter Westenberger vom Verband “Die Güterbahnen” sagt: “Wir haben im Wettbewerb mit dem Lkw seit Ende 2022 vor allem durch steigende Kosten deutlich an Ladung verloren.” Auch die neuen Preiserhöhungen müssten die Logistikunternehmen direkt an die Kunden weitergeben. Das könnte dazu führen, dass die Bahn im Wettbewerb mit dem Transport auf der Straße weiter an Boden verliert, wie auch Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HWT) Berlin betont: “Wenn die Bahn verliert, verliert sie an den Lkw.” Manche Segmente – wie der Transport von Containern – seien besonders preissensibel. Dementsprechend führten geringe Preissteigerungen dort schnell zu Veränderungen, sagt Böttger.

Chemieindustrie auf die Bahn angewiesen

Bei der DB Cargo, die bei der Deutschen Bahn für den Güterverkehr zuständig ist, hadern ebenfalls viele mit den Plänen der Bundesregierung, erfuhr Table.Briefings aus Bahnkreisen. Es fehle die Fantasie, wie man die erneuten Preissteigerungen nach den hohen Energiekosten und der Inflation der vergangenen  Jahre auch noch weitergeben solle. Die DB Cargo habe zudem viele Industriekunden mit langfristigen Rahmenverträgen, da sei das schlicht unmöglich. Der Bundesregierung müsse klar werden, was sie eigentlich wolle, und das dann mit Geld hinterlegen. So rechne man durch die höheren Kosten mit einer Verlagerung auf andere Verkehrsarten.

Manche Industrien sind für ihre Produkte auf den Güterbahnverkehr angewiesen, können nicht einfach auf die Straße wechseln. Dazu gehört die Chemieindustrie. Tilman Benzing vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) erklärt: “Unsere Logistik ist oft auf die Bahn ausgerichtet. Besonders für Basischemikalien und chemische Zwischenprodukte ist sie das wichtigste Verkehrsmittel.”  Und dass trotz der häufigen Verspätungen oder Umleitungen. Bis jetzt sei aber der Preis im Güterbahnverkehr bei gewissen Produkten ein Vorteil gewesen. Wenn dieser auch noch wegfalle, würde es schwierig. “Aus unserer Sicht muss man sich die Finanzierung der Bahninfrastruktur ganz grundsätzlich ansehen”, sagt Benzing. Es gebe bei den Trassenpreisen politischen Handlungsspielraum, sodass diese nicht immer weiter steigen müssten.

“Trassenpreislogik komplett absurd”

Das Bundesverkehrsministerium plant, die Preiserhöhungen abzumildern, beispielsweise mit der Fortsetzung der Trassenpreisförderung. Dabei subventioniert die Bundesregierung die Trassenpreise, die durch ihre Maßnahmen steigen. Auch die Senkung der Verzinsung des Eigenkapitals der InfraGo ist ein Vorschlag aus dem Ministerium. Eine umfassende Reform des Systems sei aber unabdingbar, findet Böttger: “Die Trassenpreislogik ist komplett absurd. Niemand überblickt dieses System mehr.” Auch bei der DB Cargo können wenige die Logik hinter den Finanzierungen nachvollziehen. So erhalte das Unternehmen zwar Geld vom Bund, müsse aber mehr zurückzahlen.

Die kleine Lösung sei, dass der Bund wieder Baukostenzuschüsse zahle, sagt Böttger. Diese Meinung teilt auch Westenberger: “Baukostenzuschüsse waren und sind das richtige Instrument.” Dabei handelt es sich um einmalige Zahlungen des Bundes, die in die Infrastruktur investiert werden. Längerfristig müsse der Gesetzgeber allerdings den bestehenden gesetzlichen Anspruch der Deutschen Bahn auf “kapitalmarktgerechte Verzinsung des Eigenkapitals” streichen, um das System grundlegend zu reformieren, findet Böttger. “Das gesamte chaotische und widersprüchliche System der Infrastrukturfinanzierung und Trassenpreise muss neu geordnet werden. Søren Maas

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News

Gebäude: Organisationen fordern Priorisierung von Bestandserhalt in Kreislaufwirtschaftsstrategie

Die Leitlinie “Bestandserhalt vor Neubau” für den Gebäudesektor müsse Kern der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) bleiben, fordern 23 Organisationen und Unternehmen – darunter der World Wide Fund For Nature (WWF), die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und die Triodos Bank. Das Papier liegt Table.Briefings exklusiv vorab vor.

Die Unterzeichner befürchten, dass der NKWS-Entwurf in der Ressortabstimmung “verwässert” werden könnte, weil “einige Industrieverbände” die Priorisierung des Bestandserhalts “als Hürde für den Klimaschutz” dargestellt hätten. Dabei beziehen sie sich auch auf eine Stellungnahme des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) von Anfang Juli, wonach “ohne Neubau” weder die Klimaschutzziele in dem Sektor noch die Ziele für neuen Wohnraum erreicht würden.

WWF: Bestandserhalt mit positiven Effekte für Arbeitsplätze, neue Wohnungen und Klima

Aus Sicht von WWF und Co. sprechen aber gute Gründe für den Fokus auf Bestandserhalt:

  • Demnach könnten bis 2050 durch die Sanierung von Gebäuden über 200.000 Arbeitsplätze entstehen – was dreimal so viel sei wie durch Neubau.
  • Zudem gebe es ein Potenzial von über vier Millionen neuer Wohnungen durch Aufstockung, Umbau und Umnutzung.
  • Auch beim Klima habe Bestandsschutz im Vergleich zum Neubau die bessere Bilanz: Sanierung verursache ein Viertel weniger CO₂-Emissionen.

Der Gebäudesektor sei “ausschlaggebend, um die Ressourcenschutzziele der NKWS zu erreichen”, sagt Silke Küstner, Expertin für Kreislaufwirtschaft und Bauwirtschaft beim WWF. Dafür zentral sei jedoch, dass Bestandserhalt Vorrang erhalte vor Neubau. Zur Umsetzung müsse die Bundesregierung Sanierung stärker fördern und bürokratische Hürden abbauen.

ZDB: Bestandserhalt rechnet sich bisher oft nicht

Studien zeigten zwar, dass Bestandserhalt große Potenziale biete – etwa bei Nachverdichtung. “Diese lassen sich bislang aber nicht im notwendigen Maße aktivieren, weil Bestandserhalt sich ökonomisch oft nicht rechnet”, sagt Andreas Geyer, Hauptabteilungsleiter Wirtschaft beim ZDB.  Der Verband setze sich daher für eine “realistische Abwägung zwischen ökologischen und ökonomischen Faktoren ein, weil sonst nicht investiert und dringend benötigter Wohnraum nicht geschaffen wird”, ergänzt Geyer.

Mit der NKWS will die Bundesregierung die Transformation von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft beschleunigen. Dass Materialien möglichst lange genutzt werden, soll Ressourcen schonen und die deutsche Wirtschaft unabhängiger von Importen machen. Aktuell befindet sich die Strategie in der Ressortabstimmung. Im Herbst will das Bundeskabinett sie verabschieden. nh

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Metallische Rohstoffe: Warum die Lieferketten intransparent sind

Es gebe eine “große Transparenzlücke” in metallischen Lieferketten, sagte Vanessa Fischer von der NGO Powershift am Donnerstag bei der Veröffentlichung der – laut der Organisation – ersten Studie zu metallischen Lieferketten in Deutschland. Maßgeblich verantwortlich sei das Gebaren von Rohstoffhändlern. Es gebe für Medien, kritische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft “keinerlei zugängliche Daten über die Handelsbeziehungen und das Handelsverhalten dieser Unternehmen”.

Sowohl Rohstoffhändler als auch verarbeitende Unternehmen und die Endabnehmer begründeten dies damit, dass es sich bei den Daten um wichtige Geschäftsgeheimnisse handele, heißt es. Die Intransparenz mache es schwierig, die ökologischen und sozialen Zustände von metallischen Lieferketten zu beurteilen. Die NGO hat Unternehmensberichte, Abnahmeverträge, Gerichtsdokumente, Medienberichte und Studien analysiert und Interviews mit Akteuren der Lieferkette geführt.

Nachverfolgbarkeit in den meisten Fällen ausgeschlossen

Rohstoffhändlern kommt in den metallischen Lieferketten eine zentrale Bedeutung zu. Dafür nennt die Studie einige Gründe: Sie finanzieren heute in großem Umfang die Erschließung von Minen und die Weiterverarbeitung von Metallrohstoffen. Allein der größte Rohstoffkonzern Trafigura verfüge über Kreditlinien von 75 Milliarden US-Dollar bei 150 Banken. Sie spielten eine zentrale Rolle für den Transport der Mineralien, unterhielten allein eine Flotte von 2.200 Hochseeschiffen. Zudem würden sie in großem Ausmaß die Lagerhaltung erledigen. Wenn dort, wie üblich, Rohstoffe vermischt würden, sei eine Nachverfolgbarkeit so gut wie ausgeschlossen.

Für Metalle, die in der EU verarbeitet werden, spielen Schweizer Rohstoffhändler eine zentrale Rolle. Sie wickeln 60 Prozent des globalen Metallhandels ab. Es gibt schätzungsweise 950 Rohstoffhändler, von Briefkastenfirmen bis hin zu großen Konzernen. Der einzige an der Börse notierte Rohstoffhändler ist jedoch Glencore. Er muss dementsprechend Informationen vorlegen, alle anderen nicht. Problematisch sei die schwache Regulierung in der Schweiz, heißt es in der Studie. Das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz griffen dort nicht, sagte Fischer. Statt freiwilliger Offenlegungspflichten brauche es daher mehr Regulierung. cd

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Europäische Umweltagentur: EU muss nachhaltige Fischerei stärken

Um den Zustand der europäischen Meere und ihrer Ökosysteme zu verbessern, muss die EU den Übergang zu einer nachhaltigen Fischerei forcieren. Das konstatiert die Europäische Umweltagentur (EUA) in einem neuen Briefing. Sie plädiert darin für eine nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen und die Abkehr von schädlichen Praktiken.

Die Fischerei sei von gesunden und produktiven Meeresökosystemen abhängig. Laut der EUA stehen 93 Prozent der europäischen Meeresgebiete jedoch durch menschliche Aktivitäten unter Druck. Dazu gehören etwa der Klimawandel, Umweltverschmutzung und Störungen durch intensive Fischerei sowie Küstentätigkeiten. Zwölf Prozent der Meeresfläche der EU sind laut dem Briefing Schutzgebiete. Diese würden aber nur wenig oder gar keine Entlastung bieten. Für nur zwei Prozent der Fläche gebe es Bewirtschaftungspläne; weniger als ein Prozent würde unter strengem Schutz stehen und auch Fischerei ausschließen.

Die EU hat sich in ihrer Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) von 2008 und in der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) 2013 zur Umsetzung eines ökosystembasierten Ansatzes zur Steuerung menschlicher Aktivitäten verpflichtet. So wollte die EU bis 2020 einen “guten Umweltzustand” der europäischen Meere erreichen. Dies sei jedoch nicht gelungen, schreibt die EUA. Stattdessen

  • sei die biologische Vielfalt weiterhin bedroht und gehe zurück,
  • habe die Fischerei nicht bei allen Beständen in allen EU-Gewässern ein nachhaltiges Niveau erreicht,
  • und die Aquakultur habe ihr Potenzial nicht ausgeschöpft, den Druck auf die Wildfischbestände zu mindern und zur Ernährungssicherheit beizutragen.

Als geeignete Maßnahmen nennt die Umweltagentur eine nachhaltige Nutzung aller befischten Bestände, die Förderung von Aktivitäten mit geringen Auswirkungen und die Einrichtung eines groß angelegten und effektiv verwalteten Netzes von Meeresschutzgebieten. Praktiken wie Überfischung, Beifang sowie der Einsatz von Fanggeräten müssten schrittweise abgeschafft werden. leo

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Effort Sharing: Deshalb verklagen NGOs die EU-Kommission

Die Umweltschutzorganisationen Climate Action Network Europe (CAN Europe) und Global Legal Action Network (GLAN) haben die Europäische Kommission wegen ihrer 2030er-Klimaziele vor dem Europäischen Gericht (EuG) verklagt. Sie wollen erreichen, dass die EU durch möglichst schnell einzuleitende Maßnahmen ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 senkt. Das teilten die NGOs am Dienstag mit. Derzeit liegt das Ziel bei minus 55 Prozent. Das EuG ist das zweithöchste Gericht der EU und dem EuGH untergeordnet; seine Urteile können vor dem EuGH angefochten werden.

Konkret geht es in der Klage um die nationalen Ziele zur Treibhausgassenkung in der Effort Sharing Regulation (ESR) – auch Lastenteilung genannt. Sie umfasst die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude, Abfall und Teile der Industrie, die nicht im europäischen Emissionshandel erfasst sind, und gibt nationale Reduktionsziele bis zum Jahr 2030 vor.

NGOs: 55 Prozent nicht im Einklang mit den Pariser Klimazielen

Die NGOs sind der Auffassung, dass die Grenzwerte nicht ausreichen, um Europas Treibhausgasemissionen schnell genug zu reduzieren und so die Pariser Klimaziele einzuhalten. Man habe dargelegt, dass die EU-Ziele weder wissenschaftsbasiert noch im Einklang mit der 1,5-Grad-Grenze seien, sagte GLAN-Anwalt Gerry Liston, und er verwies auf das historische Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) im Fall der Schweizer Klimaseniorinnen: “Die Essenz dieses Urteils ist, dass Staaten wissenschaftsbasierte Emissionsziele verabschieden müssen, die im Einklang mit 1,5 Grad sind.” Das müsse das EuG nun berücksichtigen.

Allerdings nutzen die Organisationen für ihre Klage einen Umweg: Statt das 2030er-Ziel direkt anzugreifen, gehen sie gegen den Verwaltungsakt vor, der es in jährliche nationale Emissionsziele übersetzt. Dazu sind sie als NGOs auf Basis der Aarhus-Verordnung der EU berechtigt. Ihr Kernargument dabei: Weil die jährlichen nationalen Emissionsziele auf den minus 55 Prozent basieren, dieses Ziel aber nicht im Einklang mit geltendem Recht stehe, sei der Verwaltungsakt nicht rechtmäßig, und die jährlichen nationalen Ziele müssten nachgebessert werden. Sofern das EuG in ihrem Sinne urteilt, ergäbe sich damit eine Pflicht zur Verschärfung auch des übergeordneten EU-Ziels für 2030. Die EU-Kommission bezweifelt das und hält die Klage für unzulässig.

Knackpunkt Zulässigkeit

Der Umweg über die Aarhus-Verordnung macht den Fall juristisch interessant. Zwar sei eine Klage gegen die jährlichen nationalen Emissionsziele auf Basis der Aarhus-Verordnung “grundsätzlich zulässig”, sagte Niklas Täuber, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenznetzwerk Zukunftsherausforderungen des Umweltrechts an der FU Berlin, auf Anfrage von Table.Briefings. “Doch dass sich die Gerichte der EU auf eine Überprüfung der übergeordneten, per Gesetz erlassenen Klimaziele durch die Hintertür der Aarhus-Verordnung einlassen, erscheint mir unwahrscheinlich.”

Dennoch könne das EuG “die Klage beispielsweise auf Grundlage einer erweiterten Auslegung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zulassen” – und sobald “die Hürde der Zulässigkeit einmal überwunden ist, halten die Europäischen Verträge einige Vorschriften bereit, auf deren Grundlage sich ein progressiverer Klimaschutz begründen ließe”, so Täuber.

Laut einem Schreiben des Gerichts an die Anwälte der Kläger, das Table.Briefings vorliegt, hat das Gericht den Fall als vorrangig eingestuft. Das könnte bedeuten, dass er bereits im Jahr 2025 verhandelt wird. Die Klage wurde ursprünglich im Februar eingereicht, aber damals nicht veröffentlicht. ae/luk/rtr

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Wirtschaftslage: Warum soziale Unruhen zunehmen

Proteste und Demonstrationen gibt es im autoritär geführten China im Vergleich zu anderen Staaten eher wenig. Doch im Zuge der wirtschaftlichen Probleme häufen sie sich zuletzt wieder. Erhebungen der US-Organisation Freedom House zufolge verzeichneten Beobachter allein im zweiten Quartal dieses Jahres 805 Fälle von “Widerspruch” und damit 18 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Den Großteil hätten Proteste von Arbeitern (44 Prozent) und Wohnungsbesitzern (21 Prozent) ausgemacht, schreibt die in Washington ansässige regierungsunabhängige Organisation.

Dem Bericht zufolge protestierten nicht nur Käufer von nicht fertiggestellten Wohnprojekten, sondern auch Arbeiter, die ausstehende Löhne von den Immobilienunternehmen forderten. Aber auch Proteste von Menschen auf dem Land häufen sich, die bestimmte Landkäufe als unfair empfinden. Darüber hinaus dokumentierten die Experten zunehmende Proteste etwa von Taxi-Fahrern, und Proteste ethnischer Minderheiten wie Mongolen und Tibeter gegen großangelegte Energieprojekte. 

Die Experten betonen, die Daten zeigten lediglich einen Teilausschnitt der Lage in der Volksrepublik. Umfassende unabhängige Erhebungen gibt es in China keine. Die Organisation Freedom House wertet für ihre Studien Medienberichte, soziale Medien und Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen aus. flee 

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Must-reads

Half of EIB staff fear reprisals for whistleblowing, survey finds – Financial Times
Bei der Europäischen Investitionsbank scheint die Arbeitsatmosphäre miserabel. Alice Hancock und Paola Tamma berichten von internen Umfragen beim zentralen Finanzakteur des Green New Deal: Die Hälfte der Beschäftigten habe demnach kein Vertrauen in Schutzmechanismen für Whistleblower, die Korruption, Belästigung oder Mobbing anprangern. Zum Artikel

Warentransport per Frachtsegler: Jede Windböe zählt – Spiegel
Ein Frachtsegler überquert den Atlantik und bringt Kaffee und Kakao: Benjamin Eckert und Fabian Pieper segelten auf der Avontuur mit nach Hamburg und sprachen mit der Crew und Auftraggebern über das “Fairtransport”-Projekt. In der Videoreportage wird die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Handelsschifffahrt einmal anders gestellt. Zum Video

Keine Kohle für Reparatur – taz
Aus Kostengründen lehne die Bundesregierung auch nach der Einführung eines Rechts auf Reparatur durch die EU einen Reparaturbonus ab, berichtet Svenja Bergt. Laut der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken würde eine Förderung von Reparaturen nach thüringischem Vorbild 34 Millionen Euro kosten. Zum Artikel

Deutsche Umwelthilfe wirft Adidas Greenwashing vor – Süddeutsche Zeitung
Bis 2050 will Adidas klimaneutral werden. Dies sei laut der Deutschen Umwelthilfe Greenwashing und damit rechtswidrig, schreibt Uwe Ritzer. Deshalb habe sie dem Sportartikelhersteller eine Abmahnung geschickt und drohe mit einer Klage. Adidas weise die Vorwürfe von sich. Der Fall sei nur ein Beispiel dafür, dass der Unterschied zwischen Show und wirksamem Umweltschutz oft nicht nachzuvollziehen sei. Zum Artikel

Zu heiß für Salat – Süddeutsche Zeitung
Die extremen Wechsel zwischen Dürre und regenreichen Unwettern hätten erhebliche Folgen für die Landwirtschaft, schreibt Tanja Busse: Für Gemüsesorten wie Salat sei es im Sommer mittlerweile zu trocken, für Milchkühe herrsche vielerorts Futtermangel. Bio-Bauern und Anhänger der aufbauenden Landwirtschaft setzen nun auf den Anbau alter Getreidesorten und die Entwicklung nachhaltiger Klimalandschaften. Zum Artikel

BDI-Präsident kritisiert Höckes Äußerungen zu Familienunternehmen – Zeit Online
BDI-Präsident Siegfried Russwurm habe vor den Folgen einer Regierungsbeteiligung der AfD für die Wirtschaft gewarnt. Nachdem der thüringische AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke eine Kampagne deutscher Familienunternehmen für Demokratie und Vielfalt verunglimpft hatte, habe Russwurm gewarnt, dass “die aggressive Ausländerfeindlichkeit der AfD das bestehende Problem des Fachkräftemangels in Deutschland zu verschärfen droht”. Zum Artikel

Umweltexperte über Argentinien: “Für Milei nur ein Kostenfaktor” – taz
Andrés Nápoli von der Umwelt-NGO Fundación Ambiente y Recursos Naturales kritisiert im Interview mit Jürgen Vogt die Auflösung des Umweltministeriums durch Präsident Javier Milei. Immerhin müsse sich das Exportland Argentinien trotzdem an bestimmte Standards halten, denn: “Man kann keinen wichtigen Markt erschließen und teils sogar juristisch haftbar gemacht werden, wenn man sich nicht an die internationalen Vereinbarungen hält.” Zum Artikel

Will A.I. Ruin the Planet or Save the Planet? – The New York Times
Steve Lohr argumentiert, dass sich der Energiebedarf durch KI in den nächsten Jahren zwar mindestens verdoppeln wird, die Effizienz der Technologie aber noch stärker steigen könnte. Dafür gebe es einen Präzedenzfall: die Verbreitung des Cloud Computing in den frühen 2000er-Jahren. Während sich die Leistung der globalen Rechenzentren zwischen 2010 und 2018 versechsfachte, stieg ihr Energieverbrauch nur um sechs Prozent. Zum Artikel

Standpunkt

Für die Transformation von Unternehmen braucht es Veränderer, Raum und Vertrauen

Von Marc-Aurel Boersch
Menschen bei Veränderungsprozessen ohne “Hierarchiegedöns” mitnehmen, ist das Anliegen von Ex-Nestlé-CEO Marc-Aurel Boersch.

Alle Unternehmen müssen sich verändern, wenn sie erfolgreich sein wollen. Dafür gibt es viele Gründe, zum Beispiel können sich Märkte oder Rahmenbedingungen ändern. Im Laufe meines Berufslebens habe ich viele Transformationsprojekte begleitet, bei denen es darum ging, Geschäftsfelder zukunftssicher zu gestalten. Mittlerweile achte ich neben der Umsetzung der Ziele viel mehr als früher auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Veränderungen umsetzen. Das ist das Ergebnis eines Lernprozesses, den ich durchlaufen habe, als sich Nestlé Deutschland auf den Weg machte, sein Produktportfolio auf Klimaneutralität umzustellen – ein wahres Mammutprojekt.

Uns war von Beginn an klar: Um das zu schaffen, würde es nicht ausreichen, noch härter und länger zu arbeiten oder die Prozesse noch mehr zu beschleunigen. Vielmehr hielten wir es für zwingend notwendig, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Unternehmens in den Mittelpunkt zu stellen, um mithilfe ihrer vielfältigen Perspektiven und Möglichkeiten Neues denken und erschaffen zu können.

Veränderung ermöglichen

Doch was genau braucht es, um das in der Praxis erfolgreich umzusetzen? Aus meiner Sicht sind für Transformationsprojekte jeder Art drei Punkte absolut wesentlich. Zuallererst sind das Veränderer. Dabei handelt es sich um Menschen, die gerne etwas erreichen, keine Angst davor haben, Neuland zu betreten, und meist über ein sehr hohes Energielevel verfügen. Sie haben Freude daran, Veränderungen anzustoßen und andere durch diesen Prozess zu führen.

Was das eigene Leben betrifft, ist im Kleinen natürlich jeder ein Veränderer. Wenn es aber um die wirklich großen Transformationen geht, gibt es nur wenige, die dafür das nötige Rüstzeug mitbringen. Diese “echten” Veränderer gilt es zu finden und ihnen den Rücken zu stärken, damit sie auf dem Weg in eine bessere Zukunft voranschreiten. Wir brauchen sie dringend – sei es für unternehmerische, politische oder gesellschaftliche Veränderungen.

Die zweite entscheidende Grundlage erfolgreicher Veränderungen: ein Raum, in dem alle Teil der Lösung sein können. In diesem Raum stehen der Mensch und das, was ihn ausmacht, im Mittelpunkt: seine individuelle Perspektive und Kreativität, sein persönlicher Wunsch nach Fortschritt sowie die Fähigkeit, entscheidende Fragen zu stellen.

Führungskräfte und Mitarbeitende stehen dabei vor einer großen Herausforderung. Denn dieser Ansatz ist das völlige Gegenteil unseres gewohnten Modells von Führung, bei dem Vorgesetzte vorgeben, was bis wann getan werden soll und dies natürlich auch kontrollieren. Stattdessen ist nun ein Umdenken gefragt: Jeder Mitarbeiter ist Teil der Lösung – und kann zur Entwicklung der Ziele und zu deren Umsetzung etwas beitragen. Je nach Typus haben manche Mitarbeitende direkt große Freude an Veränderungsprozessen, andere wünschen sich hingegen klare Vorgaben, was sie mit diesem “Raum” konkret anstellen sollen.

Dabei hilft nicht zuletzt auch die dritte wesentliche Zutat einer erfolgreichen Veränderung: Vertrauen. Es ist meist nicht von Beginn eines Transformationsprozesses an da, sondern entsteht im Idealfall im Laufe der Zeit durch verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu gehört an erster Stelle ein Arbeitsumfeld, in dem die Mitarbeitenden gemeinsam Neues denken können, ohne dass jemand mit den Augen rollt. Die Gestaltung dieses Umfelds ist Aufgabe der Führungskräfte.

Führung neu denken

Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, wie groß die Bedeutung der Führungskräfte für den nachhaltigen Erfolg von Veränderungen ist. Sie müssen nicht nur den Wandel anführen und ermöglichen, sondern auch ihr eigenes Führungsverhalten ändern. Um ihnen dabei konkrete Hilfestellung zu leisten, haben wir bei Nestlé Deutschland gemeinsam mit TheNextWe, einer Organisation, die skalierbaren Mindset-Wandel ermöglicht, ein zwölfwöchiges Coachingprogramm zum Thema Führungskultur durchgeführt.

In den ersten vier Wochen wurden dabei zunächst die persönlichen Einstellungen und Vorbehalte zum Thema Führung erarbeitet und so das individuelle Mindset auf den Punkt gebracht. Danach half TheNextWe, ein neues kollektives Mindset zu etablieren, das auf die neue Führungskultur ausgerichtet ist. Das Besondere: Es wurden zeitgleich rund 500 Führungskräfte gecoacht, und jedem Teilnehmenden war dafür ein eigener Coach zugeteilt.

Als Teil des Führungskreises habe auch ich das Programm vollständig durchlaufen, bevor es unternehmensweit zum Einsatz kam. Das Resultat war überwältigend: Nach diesem Eye-Opener habe ich mein Verhalten – beruflich wie privat – komplett geändert und setze nun den Menschen und seine Freude am Tun mindestens gleichauf mit dem anvisierten Ergebnis.

Wenn es gelingt, eine neue Kultur der Veränderungsfähigkeit und Führung einzuführen, lässt sich viel erreichen. So verkürzte sich unser Innovationszyklus – die Zeit von der Idee bis zum verkaufbaren Produkt – von teilweise mehr als zwei Jahren auf sechs Monate. Das geht nur, wenn man Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Verantwortung übergibt und ihnen vermittelt: Sie dürfen ausprobieren, Risiken eingehen und Fehler machen.

Für die anstehenden großen Aufgaben war es auch wichtig, Ressourcen freizusetzen. Das erreicht man nur, indem man das “Hierarchiegedöns” entfernt: Oft müssen Mitarbeiter permanent Bericht erstatten, und viele Meetings gelten erst als sinnvoll, wenn der Vorgesetzte dabei ist. Erst wenn sich das ändert, können Veränderer an relevanten Zukunftsthemen arbeiten.

Freude an Veränderung

Veränderung braucht Zeit. Sie in Gang zu bringen, ist das Allerschwierigste überhaupt. Ein paar Leute sind meist von Anfang an mit an Bord. Die große Herausforderung ist jedoch, alle Beteiligten auf dem Weg mitzunehmen. Von “oben” kommt nur der Impuls zur Veränderung, der Wandel selbst muss von den Mitarbeitenden ausgehen. Das heißt auch, dass sie selbst die zu verändernden Themen festlegen und bearbeiten. Ist die Bewegung in Gang, muss das Momentum erhalten werden. Bei Nestlé Deutschland kam dafür TheNextWe zum Einsatz. Das Programm macht unternehmensweiten Mindset-Wandel möglich, und genau das braucht es, wenn Organisationen bei einer wichtigen Veränderung an Barrieren stoßen. Die Freude muss im Mittelpunkt stehen. Mein persönliches Credo dazu: “Die Menschen sollten an möglichst vielen Tagen mit Energie nach Hause gehen”.

Marc-Aurel Boersch bekleidete im Laufe der Zeit verschiedene Führungspositionen, darunter Geschäftsführer von Nestlé Niederlande und ab 2019 Vorstand der Nestlé Deutschland AG. Nach seinem Ausscheiden als CEO engagiert er sich weiterhin für nachhaltige Entwicklung und verantwortungsbewusstes Unternehmertum, unter anderem im Beirat von TheNextWe.

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Personalien

Franziska Tanneberger (46), Biologin und Leiterin des Greifswald Moor Centrum, und Thomas Speidel (57), Ingenieur und CEO des Unternehmens ads-tec in Nürtingen, werden in diesem Jahr mit dem Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) ausgezeichnet, der mit insgesamt 500.000 Euro dotiert ist.

Tanneberger erforscht, wie trockengelegte Moore, eine große Treibhausgasquelle, wiedervernässt werden können. Sie entwickelt zudem Finanzierungskonzepte und schreibt Bücher. Das Greifswald Moor Centrum ist ein gemeinsames Projekt der Universität Greifswald, der Michael Succow Stiftung und des Instituts für Nachhaltige Entwicklung der Naturräume der Erde.

Speidel erhält den Preis für die Entwicklung batteriegepufferter Energiesysteme, die ein schnelleres Laden von E-Autos ermöglichen, sowie für die Transformation seines Familienunternehmens Ads-tec. Der Elektroingenieur hat den mittelständischen Zulieferbetrieb für Verbrenner-Motoren zu einem Innovationsbetrieb für Energiewende und Elektromobilität umgebaut.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

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ESG.Table Redaktion

ESG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen an diesem Sonntag haben verschiedene Wirtschaftsverbände vor den Folgen einer Regierungsbeteiligung der AfD gewarnt. BDI-Präsident Siegfried Russwurm bezeichnete Äußerungen von AfD-Spitzenvertretern als “für die Wirtschaft alarmierend”. Viele Forderungen seien eine “echte unternehmerische Bedrohung“, sagte Russwurm der Welt. Er befürchte, “die aggressive Ausländerfeindlichkeit der AfD” werde das Problem des Fachkräftemangels in Deutschland noch weiter verschärfen.

    Aber Sorgen machen sich Vertreter aus der Wirtschaft gerade auch wegen der Transformation. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft, appellierte an die künftigen Landesregierungen, die für die Wirtschaft zentralen Transformationspfade nicht zu verlassen. “Die Demokratie ist zentraler Standortfaktor für die Wirtschaft”, sagte sie. “Menschen- und demokratiefeindliche Strömungen und Parteien gefährden unseren Wohlstand.”

    Im heutigen ESG.Table erfahren Sie, wie die SMS Group aus Mönchengladbach von der Transformation der Stahlproduktion profitiert. Das Unternehmen baut in Schweden und Deutschland klimafreundliche Stahlwerke und rüstet klassische Hochöfen um. Günter Heismann hat sich den – in der Öffentlichkeit kaum bekannten – Weltmarktführer genauer angesehen.

    Mit deutlich höheren Kosten für den Transport auf Schienen rechnen Experten aufgrund der geplanten Erhöhung der Trassenpreise, berichtet Søren Maas. Immer mehr Güter könnten deshalb von Lkw auf der Straße transportiert werden. Die Folgen – vollere Straßen, höhere Emissionen – stehen im Widerspruch zu einem nachhaltigeren Verkehr in Deutschland.

    Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende!

    Ihre
    Leonie Düngefeld
    Bild von Leonie  Düngefeld

    Analyse

    Stahlindustrie: Thyssenkrupp-Tochter taumelt ohne Führung in die Transformation

    Gewerkschafter in Duisburg: Seit Wochen demonstriert die IG Metall gegen den Vorstand.

    Rücktritte, Beleidigungen, Streikdrohungen – bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) droht die Transformation zum “grünen” Stahlkonzern im Chaos unterzugehen. Am Donnerstag legte Sigmar Gabriel, Aufsichtsratsvorsitzender des größten deutschen Stahlherstellers mit 27.000 Beschäftigten, sein Mandat nieder. Mit ihm gingen auch sein Stellvertreter, der ehemalige IG-Metall-Chef Detlef Wetzel, sowie zwei weitere Aufsichtsratsmitglieder. Als letzte Amtshandlung stimmten sie den Aufhebungsverträgen von drei Vorstandsmitgliedern um TKSE-Chef Bernhard Osburg zu. Das Vertrauen zum Vorstand des Mutterkonzerns Thyssenkrupp AG sei zerstört.

    Bei einer Pressekonferenz sparten Gabriel und Wetzel nicht mit Kritik. “Meine Frau hat mich gefragt: ‘Detlef, bist Du unter die Räuber gefallen?‘”, sagte Wetzel. Er habe nicht widersprechen können. Beide sprachen von einer “Denunziation”, “öffentlicher Demütigung” und einer “beispiellosen Kampagne” gegen Stahlvorstand Osburg. Dieser hatte Anfang August ein Konzept zur Reduzierung von Arbeitsplätzen und Produktionskapazitäten vorgelegt, das dem Chef des Mutterkonzerns, Miguel López, nicht weit genug ging.

    Die IG Metall müsse nun überlegen, im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG die Ablösung von Vorstand Miguel López zu fordern, so Wetzel. Im Anschluss kündigte die Gewerkschaft an, eine Sondersitzung des Aufsichtsrats des Mutterkonzerns zu beantragen.

    IG Metall steht nun ohne Verbündete in der TKSE da

    In dem Konflikt stehen sich einerseits die Anteilseigner der Thyssenkrupp AG, vertreten durch den Aufsichtsratsvorsitzenden und BDI-Präsidenten Siegfried Russwurm und Ursula Gather, Chefin der Krupp-Stiftung als größtem Einzelaktionär, und andererseits die IG Metall als Vertreterin der Arbeitnehmer gegenüber. Die Arbeitgeberseite versucht, den Verkauf der Stahlsparte zu eigenen Bedingungen gegen die IG Metall durchzusetzen.

    Hinzu kam eine zweite Konfliktebene zwischen dem Vorstand und den Eigentümern des Mutterkonzerns auf der einen Seite, und der Führung der Stahltochter um Gabriel und Ex-Vorstand Bernhard Osburg auf der anderen. Mit dem Abgang von Osburg und Gabriel ist nun offen, ob der Mutterkonzern eine gefügigere TKSE-Führung berufen kann – oder aber, ob die in der Stahlbranche mächtigen Arbeitnehmervertreter ihre Interessen bei der Bestimmung einer neuen Führungsspitze wahren können.

    Bei den Konflikten um die TKSE geht es im Kern darum,

    • wie groß die Reduktion der Produktionskapazitäten ausfallen soll, um sich an die Veränderungen im europäischen Stahlmarkt und die zukünftig höheren Kosten von “grünem” Stahl anzupassen,
    • wie hoch die sogenannte “Mitgift” des Mutterkonzerns ausfallen muss, um eine Sanierung und den Umbau der Hochöfen in klimafreundliche Produktionsanlagen zu stemmen, und
    • welche Rolle der Investor Daniel Křetínský in der Transformation spielt, der bereits ein Fünftel der TKSE-Anteile übernommen hat und seinen Anteil weiter aufstocken will.

    Zwei Milliarden Euro Staatshilfe zur Dekarbonisierung teilweise ausbezahlt

    Vor etwas mehr als einem Jahr überbrachten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Mona Neubaur, Wirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen, einen gemeinsamen Zuwendungsbescheid an TKSE über zwei Milliarden Euro. Damit unterstützen Bund und Land das Dekarbonisierungsprojekt “tkH2Steel”. Thyssenkrupp stellte eine weitere Milliarde Eigenmittel in Aussicht.

    Eine wasserstoffbasierte Direktreduktionsanlage (DRI) soll 2027 etwa 2,5 Millionen Tonnen Eisen pro Jahr herstellen können, das in einem weiteren Schritt zu Stahl verarbeitet wird. “Das Unternehmen zeigt mit seinem sehr ambitionierten Projekt, dass es durch konsequenten Einsatz von Wasserstoff möglich ist, den Stahlsektor als größten industriellen CO₂-Emittenten in Deutschland zu dekarbonisieren”, sagte Habeck damals.

    “Entsprechend dem Projektfortschritt wurden bereits Fördermittel ausgezahlt“, sagte dazu nun eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage von Table.Briefings. “Mit Blick auf Förderung gilt bei allen Projekten grundsätzlich, dass Geld erst nach nachgewiesenem Projektfortschritt fließt.” Bei Abweichungen von der verabredeten Ausgestaltung und des Betriebs stünden “übliche Widerrufsrechte” zur Verfügung. Das BMWK gehe davon aus, dass das “zentrale Zukunftsprojekt” wie geplant in Duisburg umgesetzt werde.

    Aus der IG Metall kommen hingegen Zweifel, ob Thyssenkrupp das Projekt sinnvoll umsetzt. “Das Kostenmanagement für den Bau der DRI-Anlage ist mir nicht bekannt,” sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Thyssenkrupp AG, am Donnerstagabend zum Thema.

    Gabriel sieht Eigentümer als eigentliche Blockierer

    Ohnehin soll durch “tkH2Steel” nur ein Viertel der derzeitigen Produktionskapazität klimaneutral umgebaut werden. Sigmar Gabriel verwies am späten Nachmittag darauf, dass ein Abgang von Konzernchef López allein dieses “strukturelle Problem” der TKSE nicht lösen würde. Es gäbe weiterhin eine Lücke von 1,5 bis 2,5 Milliarden Euro zwischen dem “Mitgift”-Angebot des Mutterkonzerns und dem tatsächlichen Bedarf. Hier sah Gabriel eine Blockade durch den größten Einzelaktionär, die Krupp-Stiftung.

    Wetzel von der IG Metall sah nun die Politik in einer zentralen Rolle, um die Konflikte zu moderieren. Sowohl Robert Habeck als auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hatten sich im Vorfeld der TKSE-Aufsichtsratssitzung bereits vergeblich für eine Kampfpause eingesetzt.

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    Stahlindustrie: Wie die SMS Group zum Pionier grüner Produktionstechnologie wurde

    Produktion bei der SMS Group: Pionier klimafreundlicher Stahltechnologien.

    Die SMS Group ist ein klassischer deutscher Weltmarktführer – in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, in seiner Branche jedoch umso mehr. Die Firma, kürzlich von Düsseldorf nach Mönchengladbach umgezogen, ist der weltweit größte Lieferant von Hochofen- und Walzwerktechnik für die Stahlindustrie. Auch Aluminiumhütten stattet das Familienunternehmen mit Produktionstechnologie aus.

    Doch das Geschäft mit der Stahlindustrie läuft schleppend. Die Branche baut in Europa keine neuen Hochöfen mehr. SMS trat die Flucht nach vorn an und spezialisierte sich auf ein zukunftsträchtiges neues Geschäftsfeld – nämlich Technologie für klimafreundliche Stahlwerke.

    Das erste Großprojekt entsteht derzeit in Boden, einer Kleinstadt in Nord-Schweden. Dort baut das Start-up H2 Green Steel das erste “grüne” Stahlwerk der Welt. Wenn die Anlage 2026 in Betrieb geht, kann sie pro Jahr 2,5 Millionen Tonnen Stahl produzieren. Bei einem herkömmlichen Stahlwerk mit gleicher Leistung würden Jahr für Jahr 3,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt.

    Alte Technologie für Wasserstoff fit gemacht

    Die Anlage von H2 Green Steel hat jedoch keinen Hochofen, der mit Koks beschickt würde, sondern eine Direktreduktionsanlage, die mit grünem Wasserstoff betrieben wird. Hiermit können 95 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen unterbunden werden. “Völlig vermeiden lassen sich CO₂-Emissionen bei der Stahlerzeugung leider nicht”, sagt Thomas Hansmann, Chief Technology Officer der SMS Group.

    Das Unternehmen darf sich als einen der Pioniere klimafreundlicher Stahltechnologien betrachten. Die Direktreduktion, die SMS in Boden einsetzt, ist jedoch keineswegs eine völlig neue Technologie. “Sie wurde bereits vor 40 Jahren entwickelt”, sagt Hansmann. Auch liefert SMS mit Midrex, einer Partnerfirma in den USA, bereits seit langem Direktreduktionsanlagen für Stahlwerke. Doch herkömmlich wird hierbei Erdgas eingesetzt.

    Jetzt produzieren die Unternehmen erstmals eine Anlage, in denen Wasserstoff genutzt werden kann. Damit die Technologie auch mit diesem Energieträger funktioniert, musste sie weiterentwickelt werden. SMS investiert pro Jahr rund drei Prozent der Umsätze in die Forschung und Entwicklung.  

    Standort und passende Partner waren entscheidende Faktoren

    Gemeinsam mit H2 Green Steel hat SMS das Konzept für das grüne Stahlwerk erarbeitet. Die Partner seien dabei mit großer Sorgfalt vorgegangen, um einen Misserfolg zu vermeiden, sagt Geschäftsführer Hansmann: “Von der ersten Idee bis zur Unterschrift des Vertrages vergingen mehr als drei Jahre.”

    Im nordschwedischen Boden, nur 80 Kilometer vom Polarkreis entfernt, ist Wasserkraft reichlich vorhanden. Der hiermit gewonnene CO₂-freie Strom wird benötigt, um mittels Elektrolyseuren Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zu trennen. “Der Strom in Boden kostet rund 30 Euro pro Megawattstunde. Das ist extrem günstig”, sagt Hansmann. Überdies ist Wasserkraft eine stabile Energiequelle, die sich 24 Stunden am Tag nutzen lässt. Eine Direktreduktionsanlage kann nicht einfach des Nachts abgeschaltet werden.

    Flexible Lösungen für unterschiedliche Kunden

    Das Stahlwerk in Boden verschlingt bis zur Fertigstellung voraussichtlich vier Milliarden Euro, wovon rund ein Viertel auf die von SMS gelieferte Technologie entfällt. Solche Summen finanzieren die Banken nur, wenn die Unternehmen langfristige Abnahmeverträge mit liquiden Großunternehmen vorzeigen können.

    Den Initiatoren von H2 Green Steel gelang es, einige der renommiertesten deutschen Unternehmen als Großabnehmer zu verpflichten. Hierzu gehören Autokonzerne wie Mercedes-Benz, aber auch Miele, der westfälische Hersteller von Hausgeräten. “Diese Unternehmen können ihre Produkte künftig damit bewerben, dass sie aus grünem Stahl hergestellt wurden”, stellt Hansmann fest.

    Nach dem Pilotprojekt in Schweden erhielt SMS einen weiteren Großauftrag: das erste “grüne” Stahlwerk von ThyssenKrupp in Duisburg. Zwischen den Vorhaben besteht jedoch ein fundamentaler Unterschied: In Boden wird auf der grünen Wiese ein komplett neues, integriertes Stahlwerk gebaut.

    Hingegen wird in Duisburg lediglich ein inzwischen abgerissener Hochofen durch eine Direktreduktionsanlage ersetzt. Die nachgelagerten Produktionsstufen, also etwa das Walzwerk, bleiben jedoch erhalten. Dies stellte die Ingenieure von SMS vor besonders große Herausforderungen: Sie mussten die Direktreduktionsanlage in eine bestehende Infrastruktur integrieren. Das ließ sich nur mit einer tiefgreifenden Modifizierung der Technologie bewerkstelligen.

    Auch ein Umbau von Hochöfen wird erprobt

    Allerdings gibt es weltweit rund 1.400 Hochöfen. “Die können wir unmöglich alle bis 2050 durch Direktreduktionsanlagen ersetzen”, sagt Chief Technology Officer Hansmann. Das wäre überdies viel zu teuer. Das grüne Stahlwerk in Duisburg wird vom Staat mit insgesamt zwei Milliarden Euro subventioniert, die sich jeweils zur Hälfte auf die Investitionen und die Betriebskosten verteilen.

    Ein anderer Weg ist die CO₂-Reduzierung in bestehenden Hochöfen. SMS hat dafür eine kostengünstige Alternative entwickelt, das sogenannte EasyMelt-Verfahren. Hierbei wird ein Hochofen nicht abgerissen, sondern von Grund auf modernisiert, sodass er mit einem Gemisch aus Koks und Wasserstoff betrieben werden kann.

    Mit diesem Verfahren lassen sich allerdings nur bis zu 70 Prozent der CO₂-Emissionen eines herkömmlichen Hochofens vermeiden, räumt SMS ein. Auf der anderen Seite kostet die Modernisierung lediglich ein Drittel so viel wie eine Direktreduktionsanlage mit gleicher Leistung. Allerdings hat die Technologie aus Sicht der potenziellen Kunden einen gravierenden Nachteil: Im Gegensatz zur Direktreduktion ist das EasyMelt-Verfahren in Deutschland nicht förderfähig. SMS wird die Technologie daher in Indien gemeinsam mit Tata Steel erproben. Günter Heismann

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    Verkehrswende: Treibt die Bundesregierung den Güterverkehr auf die Straße?

    Lkws könnte es auf deutschen Autobahnen künftig noch mehr geben.

    Die Haushaltspläne der Bundesregierung dürften eine Erhöhung der Trassenpreise nach sich ziehen und so auch den Bahngüterverkehr treffen. Branchenkenner rechnen mit deutlich höheren Kosten für den Transport auf der Schiene. Dadurch könnten Lkw immer mehr Güter auf der Straße transportieren. Der Effekt: vollere Straßen, höhere Emissionen – ein Widerspruch zu den Plänen der Bundesregierung für einen nachhaltigeren Verkehr in Deutschland. Unglücklich über die Erhöhung ist auch die Gütertransporttochter der Deutschen Bahn.

    Bei den Trassenpreisen handelt es sich um eine Art Schienenmaut. Die Bahntochter InfraGo verwaltet die Bahninfrastruktur und erhebt die Trassenpreise von allen Unternehmen, welche diese nutzen – auch von den Unternehmen der Deutschen Bahn selbst wie der DB Cargo. Seit einigen Jahren steigen diese Trassenpreise stark an. Ab 2026 soll die “Maut” nach dem Haushaltsentwurf 2025 erneut steigen – im Güterverkehr im Schnitt um bis zu 14,8 Prozent.

    Hinter der geplanten Preiserhöhung steckt ein intransparentes und schwer durchschaubares System. Der Bund plant, das Eigenkapital der Deutschen Bahn um 4,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Insgesamt soll die Bahn mehr als 20 Milliarden Euro frisches Geld erhalten, unter anderem in Form von Darlehen. Auf dieses Geld soll die Bahn allerdings “kapitalmarktgerechte Zinsen” zahlen. Die finanziert sie durch die Trassenpreise. Die Folge: Die Schienenmaut steigt.

    Güterbahnbranche sorgt sich um ihr Geschäftsmodell

    Vertreter der Güterbahnbranche sorgen sich um ihr Geschäftsmodell. Peter Westenberger vom Verband “Die Güterbahnen” sagt: “Wir haben im Wettbewerb mit dem Lkw seit Ende 2022 vor allem durch steigende Kosten deutlich an Ladung verloren.” Auch die neuen Preiserhöhungen müssten die Logistikunternehmen direkt an die Kunden weitergeben. Das könnte dazu führen, dass die Bahn im Wettbewerb mit dem Transport auf der Straße weiter an Boden verliert, wie auch Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HWT) Berlin betont: “Wenn die Bahn verliert, verliert sie an den Lkw.” Manche Segmente – wie der Transport von Containern – seien besonders preissensibel. Dementsprechend führten geringe Preissteigerungen dort schnell zu Veränderungen, sagt Böttger.

    Chemieindustrie auf die Bahn angewiesen

    Bei der DB Cargo, die bei der Deutschen Bahn für den Güterverkehr zuständig ist, hadern ebenfalls viele mit den Plänen der Bundesregierung, erfuhr Table.Briefings aus Bahnkreisen. Es fehle die Fantasie, wie man die erneuten Preissteigerungen nach den hohen Energiekosten und der Inflation der vergangenen  Jahre auch noch weitergeben solle. Die DB Cargo habe zudem viele Industriekunden mit langfristigen Rahmenverträgen, da sei das schlicht unmöglich. Der Bundesregierung müsse klar werden, was sie eigentlich wolle, und das dann mit Geld hinterlegen. So rechne man durch die höheren Kosten mit einer Verlagerung auf andere Verkehrsarten.

    Manche Industrien sind für ihre Produkte auf den Güterbahnverkehr angewiesen, können nicht einfach auf die Straße wechseln. Dazu gehört die Chemieindustrie. Tilman Benzing vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) erklärt: “Unsere Logistik ist oft auf die Bahn ausgerichtet. Besonders für Basischemikalien und chemische Zwischenprodukte ist sie das wichtigste Verkehrsmittel.”  Und dass trotz der häufigen Verspätungen oder Umleitungen. Bis jetzt sei aber der Preis im Güterbahnverkehr bei gewissen Produkten ein Vorteil gewesen. Wenn dieser auch noch wegfalle, würde es schwierig. “Aus unserer Sicht muss man sich die Finanzierung der Bahninfrastruktur ganz grundsätzlich ansehen”, sagt Benzing. Es gebe bei den Trassenpreisen politischen Handlungsspielraum, sodass diese nicht immer weiter steigen müssten.

    “Trassenpreislogik komplett absurd”

    Das Bundesverkehrsministerium plant, die Preiserhöhungen abzumildern, beispielsweise mit der Fortsetzung der Trassenpreisförderung. Dabei subventioniert die Bundesregierung die Trassenpreise, die durch ihre Maßnahmen steigen. Auch die Senkung der Verzinsung des Eigenkapitals der InfraGo ist ein Vorschlag aus dem Ministerium. Eine umfassende Reform des Systems sei aber unabdingbar, findet Böttger: “Die Trassenpreislogik ist komplett absurd. Niemand überblickt dieses System mehr.” Auch bei der DB Cargo können wenige die Logik hinter den Finanzierungen nachvollziehen. So erhalte das Unternehmen zwar Geld vom Bund, müsse aber mehr zurückzahlen.

    Die kleine Lösung sei, dass der Bund wieder Baukostenzuschüsse zahle, sagt Böttger. Diese Meinung teilt auch Westenberger: “Baukostenzuschüsse waren und sind das richtige Instrument.” Dabei handelt es sich um einmalige Zahlungen des Bundes, die in die Infrastruktur investiert werden. Längerfristig müsse der Gesetzgeber allerdings den bestehenden gesetzlichen Anspruch der Deutschen Bahn auf “kapitalmarktgerechte Verzinsung des Eigenkapitals” streichen, um das System grundlegend zu reformieren, findet Böttger. “Das gesamte chaotische und widersprüchliche System der Infrastrukturfinanzierung und Trassenpreise muss neu geordnet werden. Søren Maas

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    Gebäude: Organisationen fordern Priorisierung von Bestandserhalt in Kreislaufwirtschaftsstrategie

    Die Leitlinie “Bestandserhalt vor Neubau” für den Gebäudesektor müsse Kern der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) bleiben, fordern 23 Organisationen und Unternehmen – darunter der World Wide Fund For Nature (WWF), die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und die Triodos Bank. Das Papier liegt Table.Briefings exklusiv vorab vor.

    Die Unterzeichner befürchten, dass der NKWS-Entwurf in der Ressortabstimmung “verwässert” werden könnte, weil “einige Industrieverbände” die Priorisierung des Bestandserhalts “als Hürde für den Klimaschutz” dargestellt hätten. Dabei beziehen sie sich auch auf eine Stellungnahme des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) von Anfang Juli, wonach “ohne Neubau” weder die Klimaschutzziele in dem Sektor noch die Ziele für neuen Wohnraum erreicht würden.

    WWF: Bestandserhalt mit positiven Effekte für Arbeitsplätze, neue Wohnungen und Klima

    Aus Sicht von WWF und Co. sprechen aber gute Gründe für den Fokus auf Bestandserhalt:

    • Demnach könnten bis 2050 durch die Sanierung von Gebäuden über 200.000 Arbeitsplätze entstehen – was dreimal so viel sei wie durch Neubau.
    • Zudem gebe es ein Potenzial von über vier Millionen neuer Wohnungen durch Aufstockung, Umbau und Umnutzung.
    • Auch beim Klima habe Bestandsschutz im Vergleich zum Neubau die bessere Bilanz: Sanierung verursache ein Viertel weniger CO₂-Emissionen.

    Der Gebäudesektor sei “ausschlaggebend, um die Ressourcenschutzziele der NKWS zu erreichen”, sagt Silke Küstner, Expertin für Kreislaufwirtschaft und Bauwirtschaft beim WWF. Dafür zentral sei jedoch, dass Bestandserhalt Vorrang erhalte vor Neubau. Zur Umsetzung müsse die Bundesregierung Sanierung stärker fördern und bürokratische Hürden abbauen.

    ZDB: Bestandserhalt rechnet sich bisher oft nicht

    Studien zeigten zwar, dass Bestandserhalt große Potenziale biete – etwa bei Nachverdichtung. “Diese lassen sich bislang aber nicht im notwendigen Maße aktivieren, weil Bestandserhalt sich ökonomisch oft nicht rechnet”, sagt Andreas Geyer, Hauptabteilungsleiter Wirtschaft beim ZDB.  Der Verband setze sich daher für eine “realistische Abwägung zwischen ökologischen und ökonomischen Faktoren ein, weil sonst nicht investiert und dringend benötigter Wohnraum nicht geschaffen wird”, ergänzt Geyer.

    Mit der NKWS will die Bundesregierung die Transformation von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft beschleunigen. Dass Materialien möglichst lange genutzt werden, soll Ressourcen schonen und die deutsche Wirtschaft unabhängiger von Importen machen. Aktuell befindet sich die Strategie in der Ressortabstimmung. Im Herbst will das Bundeskabinett sie verabschieden. nh

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    Metallische Rohstoffe: Warum die Lieferketten intransparent sind

    Es gebe eine “große Transparenzlücke” in metallischen Lieferketten, sagte Vanessa Fischer von der NGO Powershift am Donnerstag bei der Veröffentlichung der – laut der Organisation – ersten Studie zu metallischen Lieferketten in Deutschland. Maßgeblich verantwortlich sei das Gebaren von Rohstoffhändlern. Es gebe für Medien, kritische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft “keinerlei zugängliche Daten über die Handelsbeziehungen und das Handelsverhalten dieser Unternehmen”.

    Sowohl Rohstoffhändler als auch verarbeitende Unternehmen und die Endabnehmer begründeten dies damit, dass es sich bei den Daten um wichtige Geschäftsgeheimnisse handele, heißt es. Die Intransparenz mache es schwierig, die ökologischen und sozialen Zustände von metallischen Lieferketten zu beurteilen. Die NGO hat Unternehmensberichte, Abnahmeverträge, Gerichtsdokumente, Medienberichte und Studien analysiert und Interviews mit Akteuren der Lieferkette geführt.

    Nachverfolgbarkeit in den meisten Fällen ausgeschlossen

    Rohstoffhändlern kommt in den metallischen Lieferketten eine zentrale Bedeutung zu. Dafür nennt die Studie einige Gründe: Sie finanzieren heute in großem Umfang die Erschließung von Minen und die Weiterverarbeitung von Metallrohstoffen. Allein der größte Rohstoffkonzern Trafigura verfüge über Kreditlinien von 75 Milliarden US-Dollar bei 150 Banken. Sie spielten eine zentrale Rolle für den Transport der Mineralien, unterhielten allein eine Flotte von 2.200 Hochseeschiffen. Zudem würden sie in großem Ausmaß die Lagerhaltung erledigen. Wenn dort, wie üblich, Rohstoffe vermischt würden, sei eine Nachverfolgbarkeit so gut wie ausgeschlossen.

    Für Metalle, die in der EU verarbeitet werden, spielen Schweizer Rohstoffhändler eine zentrale Rolle. Sie wickeln 60 Prozent des globalen Metallhandels ab. Es gibt schätzungsweise 950 Rohstoffhändler, von Briefkastenfirmen bis hin zu großen Konzernen. Der einzige an der Börse notierte Rohstoffhändler ist jedoch Glencore. Er muss dementsprechend Informationen vorlegen, alle anderen nicht. Problematisch sei die schwache Regulierung in der Schweiz, heißt es in der Studie. Das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz griffen dort nicht, sagte Fischer. Statt freiwilliger Offenlegungspflichten brauche es daher mehr Regulierung. cd

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    Europäische Umweltagentur: EU muss nachhaltige Fischerei stärken

    Um den Zustand der europäischen Meere und ihrer Ökosysteme zu verbessern, muss die EU den Übergang zu einer nachhaltigen Fischerei forcieren. Das konstatiert die Europäische Umweltagentur (EUA) in einem neuen Briefing. Sie plädiert darin für eine nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen und die Abkehr von schädlichen Praktiken.

    Die Fischerei sei von gesunden und produktiven Meeresökosystemen abhängig. Laut der EUA stehen 93 Prozent der europäischen Meeresgebiete jedoch durch menschliche Aktivitäten unter Druck. Dazu gehören etwa der Klimawandel, Umweltverschmutzung und Störungen durch intensive Fischerei sowie Küstentätigkeiten. Zwölf Prozent der Meeresfläche der EU sind laut dem Briefing Schutzgebiete. Diese würden aber nur wenig oder gar keine Entlastung bieten. Für nur zwei Prozent der Fläche gebe es Bewirtschaftungspläne; weniger als ein Prozent würde unter strengem Schutz stehen und auch Fischerei ausschließen.

    Die EU hat sich in ihrer Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) von 2008 und in der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) 2013 zur Umsetzung eines ökosystembasierten Ansatzes zur Steuerung menschlicher Aktivitäten verpflichtet. So wollte die EU bis 2020 einen “guten Umweltzustand” der europäischen Meere erreichen. Dies sei jedoch nicht gelungen, schreibt die EUA. Stattdessen

    • sei die biologische Vielfalt weiterhin bedroht und gehe zurück,
    • habe die Fischerei nicht bei allen Beständen in allen EU-Gewässern ein nachhaltiges Niveau erreicht,
    • und die Aquakultur habe ihr Potenzial nicht ausgeschöpft, den Druck auf die Wildfischbestände zu mindern und zur Ernährungssicherheit beizutragen.

    Als geeignete Maßnahmen nennt die Umweltagentur eine nachhaltige Nutzung aller befischten Bestände, die Förderung von Aktivitäten mit geringen Auswirkungen und die Einrichtung eines groß angelegten und effektiv verwalteten Netzes von Meeresschutzgebieten. Praktiken wie Überfischung, Beifang sowie der Einsatz von Fanggeräten müssten schrittweise abgeschafft werden. leo

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    Effort Sharing: Deshalb verklagen NGOs die EU-Kommission

    Die Umweltschutzorganisationen Climate Action Network Europe (CAN Europe) und Global Legal Action Network (GLAN) haben die Europäische Kommission wegen ihrer 2030er-Klimaziele vor dem Europäischen Gericht (EuG) verklagt. Sie wollen erreichen, dass die EU durch möglichst schnell einzuleitende Maßnahmen ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 senkt. Das teilten die NGOs am Dienstag mit. Derzeit liegt das Ziel bei minus 55 Prozent. Das EuG ist das zweithöchste Gericht der EU und dem EuGH untergeordnet; seine Urteile können vor dem EuGH angefochten werden.

    Konkret geht es in der Klage um die nationalen Ziele zur Treibhausgassenkung in der Effort Sharing Regulation (ESR) – auch Lastenteilung genannt. Sie umfasst die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude, Abfall und Teile der Industrie, die nicht im europäischen Emissionshandel erfasst sind, und gibt nationale Reduktionsziele bis zum Jahr 2030 vor.

    NGOs: 55 Prozent nicht im Einklang mit den Pariser Klimazielen

    Die NGOs sind der Auffassung, dass die Grenzwerte nicht ausreichen, um Europas Treibhausgasemissionen schnell genug zu reduzieren und so die Pariser Klimaziele einzuhalten. Man habe dargelegt, dass die EU-Ziele weder wissenschaftsbasiert noch im Einklang mit der 1,5-Grad-Grenze seien, sagte GLAN-Anwalt Gerry Liston, und er verwies auf das historische Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) im Fall der Schweizer Klimaseniorinnen: “Die Essenz dieses Urteils ist, dass Staaten wissenschaftsbasierte Emissionsziele verabschieden müssen, die im Einklang mit 1,5 Grad sind.” Das müsse das EuG nun berücksichtigen.

    Allerdings nutzen die Organisationen für ihre Klage einen Umweg: Statt das 2030er-Ziel direkt anzugreifen, gehen sie gegen den Verwaltungsakt vor, der es in jährliche nationale Emissionsziele übersetzt. Dazu sind sie als NGOs auf Basis der Aarhus-Verordnung der EU berechtigt. Ihr Kernargument dabei: Weil die jährlichen nationalen Emissionsziele auf den minus 55 Prozent basieren, dieses Ziel aber nicht im Einklang mit geltendem Recht stehe, sei der Verwaltungsakt nicht rechtmäßig, und die jährlichen nationalen Ziele müssten nachgebessert werden. Sofern das EuG in ihrem Sinne urteilt, ergäbe sich damit eine Pflicht zur Verschärfung auch des übergeordneten EU-Ziels für 2030. Die EU-Kommission bezweifelt das und hält die Klage für unzulässig.

    Knackpunkt Zulässigkeit

    Der Umweg über die Aarhus-Verordnung macht den Fall juristisch interessant. Zwar sei eine Klage gegen die jährlichen nationalen Emissionsziele auf Basis der Aarhus-Verordnung “grundsätzlich zulässig”, sagte Niklas Täuber, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenznetzwerk Zukunftsherausforderungen des Umweltrechts an der FU Berlin, auf Anfrage von Table.Briefings. “Doch dass sich die Gerichte der EU auf eine Überprüfung der übergeordneten, per Gesetz erlassenen Klimaziele durch die Hintertür der Aarhus-Verordnung einlassen, erscheint mir unwahrscheinlich.”

    Dennoch könne das EuG “die Klage beispielsweise auf Grundlage einer erweiterten Auslegung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zulassen” – und sobald “die Hürde der Zulässigkeit einmal überwunden ist, halten die Europäischen Verträge einige Vorschriften bereit, auf deren Grundlage sich ein progressiverer Klimaschutz begründen ließe”, so Täuber.

    Laut einem Schreiben des Gerichts an die Anwälte der Kläger, das Table.Briefings vorliegt, hat das Gericht den Fall als vorrangig eingestuft. Das könnte bedeuten, dass er bereits im Jahr 2025 verhandelt wird. Die Klage wurde ursprünglich im Februar eingereicht, aber damals nicht veröffentlicht. ae/luk/rtr

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    Wirtschaftslage: Warum soziale Unruhen zunehmen

    Proteste und Demonstrationen gibt es im autoritär geführten China im Vergleich zu anderen Staaten eher wenig. Doch im Zuge der wirtschaftlichen Probleme häufen sie sich zuletzt wieder. Erhebungen der US-Organisation Freedom House zufolge verzeichneten Beobachter allein im zweiten Quartal dieses Jahres 805 Fälle von “Widerspruch” und damit 18 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Den Großteil hätten Proteste von Arbeitern (44 Prozent) und Wohnungsbesitzern (21 Prozent) ausgemacht, schreibt die in Washington ansässige regierungsunabhängige Organisation.

    Dem Bericht zufolge protestierten nicht nur Käufer von nicht fertiggestellten Wohnprojekten, sondern auch Arbeiter, die ausstehende Löhne von den Immobilienunternehmen forderten. Aber auch Proteste von Menschen auf dem Land häufen sich, die bestimmte Landkäufe als unfair empfinden. Darüber hinaus dokumentierten die Experten zunehmende Proteste etwa von Taxi-Fahrern, und Proteste ethnischer Minderheiten wie Mongolen und Tibeter gegen großangelegte Energieprojekte. 

    Die Experten betonen, die Daten zeigten lediglich einen Teilausschnitt der Lage in der Volksrepublik. Umfassende unabhängige Erhebungen gibt es in China keine. Die Organisation Freedom House wertet für ihre Studien Medienberichte, soziale Medien und Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen aus. flee 

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    Must-reads

    Half of EIB staff fear reprisals for whistleblowing, survey finds – Financial Times
    Bei der Europäischen Investitionsbank scheint die Arbeitsatmosphäre miserabel. Alice Hancock und Paola Tamma berichten von internen Umfragen beim zentralen Finanzakteur des Green New Deal: Die Hälfte der Beschäftigten habe demnach kein Vertrauen in Schutzmechanismen für Whistleblower, die Korruption, Belästigung oder Mobbing anprangern. Zum Artikel

    Warentransport per Frachtsegler: Jede Windböe zählt – Spiegel
    Ein Frachtsegler überquert den Atlantik und bringt Kaffee und Kakao: Benjamin Eckert und Fabian Pieper segelten auf der Avontuur mit nach Hamburg und sprachen mit der Crew und Auftraggebern über das “Fairtransport”-Projekt. In der Videoreportage wird die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Handelsschifffahrt einmal anders gestellt. Zum Video

    Keine Kohle für Reparatur – taz
    Aus Kostengründen lehne die Bundesregierung auch nach der Einführung eines Rechts auf Reparatur durch die EU einen Reparaturbonus ab, berichtet Svenja Bergt. Laut der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken würde eine Förderung von Reparaturen nach thüringischem Vorbild 34 Millionen Euro kosten. Zum Artikel

    Deutsche Umwelthilfe wirft Adidas Greenwashing vor – Süddeutsche Zeitung
    Bis 2050 will Adidas klimaneutral werden. Dies sei laut der Deutschen Umwelthilfe Greenwashing und damit rechtswidrig, schreibt Uwe Ritzer. Deshalb habe sie dem Sportartikelhersteller eine Abmahnung geschickt und drohe mit einer Klage. Adidas weise die Vorwürfe von sich. Der Fall sei nur ein Beispiel dafür, dass der Unterschied zwischen Show und wirksamem Umweltschutz oft nicht nachzuvollziehen sei. Zum Artikel

    Zu heiß für Salat – Süddeutsche Zeitung
    Die extremen Wechsel zwischen Dürre und regenreichen Unwettern hätten erhebliche Folgen für die Landwirtschaft, schreibt Tanja Busse: Für Gemüsesorten wie Salat sei es im Sommer mittlerweile zu trocken, für Milchkühe herrsche vielerorts Futtermangel. Bio-Bauern und Anhänger der aufbauenden Landwirtschaft setzen nun auf den Anbau alter Getreidesorten und die Entwicklung nachhaltiger Klimalandschaften. Zum Artikel

    BDI-Präsident kritisiert Höckes Äußerungen zu Familienunternehmen – Zeit Online
    BDI-Präsident Siegfried Russwurm habe vor den Folgen einer Regierungsbeteiligung der AfD für die Wirtschaft gewarnt. Nachdem der thüringische AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke eine Kampagne deutscher Familienunternehmen für Demokratie und Vielfalt verunglimpft hatte, habe Russwurm gewarnt, dass “die aggressive Ausländerfeindlichkeit der AfD das bestehende Problem des Fachkräftemangels in Deutschland zu verschärfen droht”. Zum Artikel

    Umweltexperte über Argentinien: “Für Milei nur ein Kostenfaktor” – taz
    Andrés Nápoli von der Umwelt-NGO Fundación Ambiente y Recursos Naturales kritisiert im Interview mit Jürgen Vogt die Auflösung des Umweltministeriums durch Präsident Javier Milei. Immerhin müsse sich das Exportland Argentinien trotzdem an bestimmte Standards halten, denn: “Man kann keinen wichtigen Markt erschließen und teils sogar juristisch haftbar gemacht werden, wenn man sich nicht an die internationalen Vereinbarungen hält.” Zum Artikel

    Will A.I. Ruin the Planet or Save the Planet? – The New York Times
    Steve Lohr argumentiert, dass sich der Energiebedarf durch KI in den nächsten Jahren zwar mindestens verdoppeln wird, die Effizienz der Technologie aber noch stärker steigen könnte. Dafür gebe es einen Präzedenzfall: die Verbreitung des Cloud Computing in den frühen 2000er-Jahren. Während sich die Leistung der globalen Rechenzentren zwischen 2010 und 2018 versechsfachte, stieg ihr Energieverbrauch nur um sechs Prozent. Zum Artikel

    Standpunkt

    Für die Transformation von Unternehmen braucht es Veränderer, Raum und Vertrauen

    Von Marc-Aurel Boersch
    Menschen bei Veränderungsprozessen ohne “Hierarchiegedöns” mitnehmen, ist das Anliegen von Ex-Nestlé-CEO Marc-Aurel Boersch.

    Alle Unternehmen müssen sich verändern, wenn sie erfolgreich sein wollen. Dafür gibt es viele Gründe, zum Beispiel können sich Märkte oder Rahmenbedingungen ändern. Im Laufe meines Berufslebens habe ich viele Transformationsprojekte begleitet, bei denen es darum ging, Geschäftsfelder zukunftssicher zu gestalten. Mittlerweile achte ich neben der Umsetzung der Ziele viel mehr als früher auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Veränderungen umsetzen. Das ist das Ergebnis eines Lernprozesses, den ich durchlaufen habe, als sich Nestlé Deutschland auf den Weg machte, sein Produktportfolio auf Klimaneutralität umzustellen – ein wahres Mammutprojekt.

    Uns war von Beginn an klar: Um das zu schaffen, würde es nicht ausreichen, noch härter und länger zu arbeiten oder die Prozesse noch mehr zu beschleunigen. Vielmehr hielten wir es für zwingend notwendig, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Unternehmens in den Mittelpunkt zu stellen, um mithilfe ihrer vielfältigen Perspektiven und Möglichkeiten Neues denken und erschaffen zu können.

    Veränderung ermöglichen

    Doch was genau braucht es, um das in der Praxis erfolgreich umzusetzen? Aus meiner Sicht sind für Transformationsprojekte jeder Art drei Punkte absolut wesentlich. Zuallererst sind das Veränderer. Dabei handelt es sich um Menschen, die gerne etwas erreichen, keine Angst davor haben, Neuland zu betreten, und meist über ein sehr hohes Energielevel verfügen. Sie haben Freude daran, Veränderungen anzustoßen und andere durch diesen Prozess zu führen.

    Was das eigene Leben betrifft, ist im Kleinen natürlich jeder ein Veränderer. Wenn es aber um die wirklich großen Transformationen geht, gibt es nur wenige, die dafür das nötige Rüstzeug mitbringen. Diese “echten” Veränderer gilt es zu finden und ihnen den Rücken zu stärken, damit sie auf dem Weg in eine bessere Zukunft voranschreiten. Wir brauchen sie dringend – sei es für unternehmerische, politische oder gesellschaftliche Veränderungen.

    Die zweite entscheidende Grundlage erfolgreicher Veränderungen: ein Raum, in dem alle Teil der Lösung sein können. In diesem Raum stehen der Mensch und das, was ihn ausmacht, im Mittelpunkt: seine individuelle Perspektive und Kreativität, sein persönlicher Wunsch nach Fortschritt sowie die Fähigkeit, entscheidende Fragen zu stellen.

    Führungskräfte und Mitarbeitende stehen dabei vor einer großen Herausforderung. Denn dieser Ansatz ist das völlige Gegenteil unseres gewohnten Modells von Führung, bei dem Vorgesetzte vorgeben, was bis wann getan werden soll und dies natürlich auch kontrollieren. Stattdessen ist nun ein Umdenken gefragt: Jeder Mitarbeiter ist Teil der Lösung – und kann zur Entwicklung der Ziele und zu deren Umsetzung etwas beitragen. Je nach Typus haben manche Mitarbeitende direkt große Freude an Veränderungsprozessen, andere wünschen sich hingegen klare Vorgaben, was sie mit diesem “Raum” konkret anstellen sollen.

    Dabei hilft nicht zuletzt auch die dritte wesentliche Zutat einer erfolgreichen Veränderung: Vertrauen. Es ist meist nicht von Beginn eines Transformationsprozesses an da, sondern entsteht im Idealfall im Laufe der Zeit durch verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu gehört an erster Stelle ein Arbeitsumfeld, in dem die Mitarbeitenden gemeinsam Neues denken können, ohne dass jemand mit den Augen rollt. Die Gestaltung dieses Umfelds ist Aufgabe der Führungskräfte.

    Führung neu denken

    Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, wie groß die Bedeutung der Führungskräfte für den nachhaltigen Erfolg von Veränderungen ist. Sie müssen nicht nur den Wandel anführen und ermöglichen, sondern auch ihr eigenes Führungsverhalten ändern. Um ihnen dabei konkrete Hilfestellung zu leisten, haben wir bei Nestlé Deutschland gemeinsam mit TheNextWe, einer Organisation, die skalierbaren Mindset-Wandel ermöglicht, ein zwölfwöchiges Coachingprogramm zum Thema Führungskultur durchgeführt.

    In den ersten vier Wochen wurden dabei zunächst die persönlichen Einstellungen und Vorbehalte zum Thema Führung erarbeitet und so das individuelle Mindset auf den Punkt gebracht. Danach half TheNextWe, ein neues kollektives Mindset zu etablieren, das auf die neue Führungskultur ausgerichtet ist. Das Besondere: Es wurden zeitgleich rund 500 Führungskräfte gecoacht, und jedem Teilnehmenden war dafür ein eigener Coach zugeteilt.

    Als Teil des Führungskreises habe auch ich das Programm vollständig durchlaufen, bevor es unternehmensweit zum Einsatz kam. Das Resultat war überwältigend: Nach diesem Eye-Opener habe ich mein Verhalten – beruflich wie privat – komplett geändert und setze nun den Menschen und seine Freude am Tun mindestens gleichauf mit dem anvisierten Ergebnis.

    Wenn es gelingt, eine neue Kultur der Veränderungsfähigkeit und Führung einzuführen, lässt sich viel erreichen. So verkürzte sich unser Innovationszyklus – die Zeit von der Idee bis zum verkaufbaren Produkt – von teilweise mehr als zwei Jahren auf sechs Monate. Das geht nur, wenn man Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Verantwortung übergibt und ihnen vermittelt: Sie dürfen ausprobieren, Risiken eingehen und Fehler machen.

    Für die anstehenden großen Aufgaben war es auch wichtig, Ressourcen freizusetzen. Das erreicht man nur, indem man das “Hierarchiegedöns” entfernt: Oft müssen Mitarbeiter permanent Bericht erstatten, und viele Meetings gelten erst als sinnvoll, wenn der Vorgesetzte dabei ist. Erst wenn sich das ändert, können Veränderer an relevanten Zukunftsthemen arbeiten.

    Freude an Veränderung

    Veränderung braucht Zeit. Sie in Gang zu bringen, ist das Allerschwierigste überhaupt. Ein paar Leute sind meist von Anfang an mit an Bord. Die große Herausforderung ist jedoch, alle Beteiligten auf dem Weg mitzunehmen. Von “oben” kommt nur der Impuls zur Veränderung, der Wandel selbst muss von den Mitarbeitenden ausgehen. Das heißt auch, dass sie selbst die zu verändernden Themen festlegen und bearbeiten. Ist die Bewegung in Gang, muss das Momentum erhalten werden. Bei Nestlé Deutschland kam dafür TheNextWe zum Einsatz. Das Programm macht unternehmensweiten Mindset-Wandel möglich, und genau das braucht es, wenn Organisationen bei einer wichtigen Veränderung an Barrieren stoßen. Die Freude muss im Mittelpunkt stehen. Mein persönliches Credo dazu: “Die Menschen sollten an möglichst vielen Tagen mit Energie nach Hause gehen”.

    Marc-Aurel Boersch bekleidete im Laufe der Zeit verschiedene Führungspositionen, darunter Geschäftsführer von Nestlé Niederlande und ab 2019 Vorstand der Nestlé Deutschland AG. Nach seinem Ausscheiden als CEO engagiert er sich weiterhin für nachhaltige Entwicklung und verantwortungsbewusstes Unternehmertum, unter anderem im Beirat von TheNextWe.

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    Personalien

    Franziska Tanneberger (46), Biologin und Leiterin des Greifswald Moor Centrum, und Thomas Speidel (57), Ingenieur und CEO des Unternehmens ads-tec in Nürtingen, werden in diesem Jahr mit dem Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) ausgezeichnet, der mit insgesamt 500.000 Euro dotiert ist.

    Tanneberger erforscht, wie trockengelegte Moore, eine große Treibhausgasquelle, wiedervernässt werden können. Sie entwickelt zudem Finanzierungskonzepte und schreibt Bücher. Das Greifswald Moor Centrum ist ein gemeinsames Projekt der Universität Greifswald, der Michael Succow Stiftung und des Instituts für Nachhaltige Entwicklung der Naturräume der Erde.

    Speidel erhält den Preis für die Entwicklung batteriegepufferter Energiesysteme, die ein schnelleres Laden von E-Autos ermöglichen, sowie für die Transformation seines Familienunternehmens Ads-tec. Der Elektroingenieur hat den mittelständischen Zulieferbetrieb für Verbrenner-Motoren zu einem Innovationsbetrieb für Energiewende und Elektromobilität umgebaut.

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