in den vergangenen 15 Jahren haben die Menschen in Europa erst eine Finanzkrise erlebt, dann eine Pandemie und nun einen Krieg. Dazu kommen eine Energiekrise sowie eine hohe Inflation. Von einer Polycrisis ist die Rede. Dies hat das Leben vieler Menschen in Europa auf den Kopf gestellt. Aber für einen Großteil der Menschen, die außerhalb von Europa leben, war und ist es zeit ihres Lebens normal, Mehrfachkrisen zu erleben. Es könnte hilfreich sein, ihre Erfahrungen und Perspektiven stärker bei der Lösung von Problemen einzubeziehen – gerade bei ESG-Themen.
Exemplarisch zeigt dies eine Analyse über den Ostkongo, wo wie schon so oft in der Vergangenheit kriegerische Konflikte ausgebrochen sind. Europa und auch die USA wollten durch gesetzliche Regelungen zumindest verhindern, dass Warlords den Krieg nicht über den Verkauf sogenannter Konfliktmineralien finanzieren können. Aber in der Praxis spielen eben auch ganz andere Motive eine Rolle für den Konflikt. Darüber berichtet Jonas Gerding aus Afrika. Wo wir erst mal bleiben. Hätte das BMZ bei seiner neuen Afrika-Strategie stärker auf Akteure auf dem Nachbarkontinent hören sollen? Robert Kappel, ausgewiesener Experte für Afrika, äußert sich dazu klar im Interview mit Harald Prokosch.
Wie schwierig selbst mitten in Europa die Umsetzung von Regeln für die Wirtschaft in der Praxis sein kann, beschreibt Clair Stam anhand des Beispiels Frankreich, das gerade einen Strategiewechsel bei der Dekarbonisierung seiner Industrie vollzieht. Wie wichtig bereits ein einzelnes Unternehmen wie Steinbeis Papier für die Transformation eines Sektors sein kann, zeigt Annette Mühlberger. Euphorisch berichteten die Medien Mitte Januar über den Fund seltener Erden in Schweden. Der Standpunkt des Aktivisten und Rohstoffexperten Michael Reckordt dürfte für viele ernüchternd sein. Er erklärt, welches Potenzial die Vorkommen für Europa tatsächlich haben könnten.
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Der Ostkongo steht wieder in den Schlagzeilen. Erneut ist es die Rebellengruppe M23, die sich in Gebieten ausbreitet, aus denen die Armee und UN-Truppen sie vor zehn Jahren verdrängt hatten. Mehr als eine halbe Million Menschen sind bereits geflohen. Abermals unterstützt das Nachbarland Ruanda die Rebellen.
Félix Tshisekedi, Präsident der Demokratischen Republik Kongo, will dafür ein wiederkehrendes Motiv ausgemacht haben: “In Wahrheit hat Ruanda expansionistische Bestrebungen mit dem Hauptinteresse, sich unserer Rohstoffe zu bedienen”, sagte er im vergangenen November im Staatsfernsehen. Von “einem Stellvertreterkrieg um wertvolle Rohstoffe” schrieb jüngst auch die Financial Times.
Dabei hat die Europäische Union seit der vergangenen M23-Rebellion die Verordnung 2017/821 ausgearbeitet. Sie legt Firmen Sorgfaltspflichten auf, die Coltan, Wolfram, Zinn und Gold aus dem Kongo und anderen Regionen einführen, “wo die Einnahmen daraus gewaltsame Konflikte auslösen oder am Laufen halten“, heißt es in der Begründung der EU-Konfliktminerale-Verordnung. Im Januar 2021 trat sie vollumfänglich in Kraft. Bereits im Jahr 2010 verabschiedeten die USA den Dodd-Frank Act, der US-amerikanische Firmen verpflichtet, über Konfliktrohstoffe in ihren Lieferketten aufzuklären.
Onesphore Sematumba ist Analyst bei der International Crisis Group. Er zweifelt daran, dass Rohstoffe der Hauptgrund für die Kriege sind. Er war lange für das Pole Institute in Goma tätig, das um die Jahrtausendwende recherchierte, wie ruandisch unterstützte Rebellengruppe bedeutende Coltan-Minen in der Provinz Nord-Kivu kontrollierten. “Es herrschte das Coltan-Fieber“, sagt er. Es folgten Medienberichte und NGO-Kampagnen, die das Narrativ der “Blutrohstoffe” verfestigten. Doch dann fielen die Preise auf dem Weltmarkt. Die Rebellen zogen sich zurück. “Man hat versäumt, die Analyse auf den neusten Stand zu bringen”, sagt Sematumba.
Er will damit nicht sagen, dass Rohstoffe keine Rolle spielen. Vereinzelt kontrollieren Rebellen heute Minen, insbesondere im Goldabbau. “Aber es gibt Konflikte dort, wo es Rohstoffe gibt und dort, wo es keine gibt“, sagt der Analyst. Mehr als 120 bewaffnete Gruppen zählen Beobachter in der Region. Sie haben allerlei Einkommensquellen: Plünderungen, Zölle oder das Geschäft mit Holzkohle. Selten sind sie jedoch allein von Gier angetrieben.
Beispiel M23: Auf den besetzten Gebieten werden aktuell keine Rohstoffe gefördert, sagt Sematumba. Vielmehr geht es um eine regionale Machtdemonstration Ruandas. Zudem verteidigen die Rebellen ethnische Interessen und lehnen sich gegen ein Demobilisierungsprogramm der Regierung auf.
Auch Bernd Lange, der für die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament sitzt, dämpft die Erwartungen an die EU-Verordnung: “Ich glaube, man kann damit die Finanzierung einzelner Gruppen austrocknen. Aber allein damit wird man die Konflikte nicht überwinden”. Als Vorsitzender des Internationalen Handelsausschusses hat er die Gesetzgebung maßgeblich vorangetrieben und damals sowohl mit Vertretern der kongolesischen Zivilgesellschaft als auch mit europäischen Verbrauchergruppen und der Industrie gesprochen. “Wir wollten Transparenz in den Markt bekommen”, sagt er. Damit sollte beispielsweise verhindert werden, dass europäische Zentralbanken Gold kaufen, das der Finanzierung von Bürgerkriegen dient.
Im Zusammenhang mit dem Dodd-Frank Acts entwickelte der Weltverband der Zinnproduzenten ein System zur Rückverfolgbarkeit – das ITSCI. Säcke mit den Rohstoffen wie Coltan werden in der ausgewählten Mine verschlossen und mit einem Siegel versehen. Jeder Schritt der Lieferkette bis hin zur Schmelze wird dokumentiert. Unternehmen, die dort einkaufen, haben ihre Sorgfaltspflichten weitgehend erfüllt.
“Durch die Initiative hat man ein Käufermonopol geschaffen”, sagt Christoph Vogel, Forscher an der Universität Gent. Und mit den Preisen des ITSCI seien viele unzufrieden. Im Ostkongo arbeiten zwischen 200.000 und 550.000 Kleinbergleute, die mit einfachem Gerät und wenig Schutz schuften. Meist sind sie in Kooperativen organisiert und suchen den höchstbietenden Abnehmer. Aber nun gilt die Schuldvermutung. Problemlos verkaufen kann oft nur noch, wer mit Initiativen wie ITSCI kooperiert. Das schaffe laut Vogel Fehlanreize. Er ergänzt: “Es gibt Bergleute, die sozusagen nicht-saubere Rohstoffe in das System hineinschmuggeln”.
Mickaël Daudin ist Programmleiter bei ITSCI. Er widerspricht. Preise hingen nicht allein von ITSCI ab, sondern von vielen Umständen. Außerdem gehe es um die Gesamtlage vor Ort, um bessere Arbeitsbedingungen und Schutz: “Wo es keine Regulierung, keine Kontrolle und kein fortlaufendes Monitoring gibt, kann jeder grundsätzlich Opfer von allerlei Arten illegaler Besteuerung, Menschenrechtsverletzungen und Korruption werden”, sagt er.
ITSCI streitet gar nicht ab, dass es auch Probleme bei den 2.500 Minen gibt, die sie im Blick haben. Im Jahr 2021 hätte nicht-staatliche bewaffnete Gruppen 14-mal einen direkten Einfluss auf das Minengeschäft gehabt; 38 Fälle von Kinderarbeit wurden gemeldet.
“Oft gibt es ein Missverständnis“, sagt Daudin. “Wir zertifizieren Rohstoffe nicht als konfliktfrei mit einem Stempel auf Papier. Was zählt, sind die fortlaufenden Bemühungen, dass alle Beteiligten sich einbringen, reagieren und Risiken vermindern”. Diese Logik liegt generell auch Lieferkettengesetzen zugrunde, die nach den Ideen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechten konzipiert werden – wie derzeit auf EU-Ebene.
Für Bernd Lange enthält die EU-Verordnung wichtige Lektionen: “Das ist ein bisschen der Vorläufer des Lieferkettengesetzes.” In einem halben Jahr soll eine erste Bilanz gezogen werden. “Dann werden wir noch mal darüber nachdenken, was die materielle Situation vor Ort stärken könnte”, sagt Lange. Das Gesetz soll schließlich nicht nur Gewissen in Europa beruhigen, sondern auch im Kongo für bessere Arbeitsbedingungen sorgen – wenn es schon nicht den Krieg beenden kann. Jonas Gerding
Die Dekarbonisierung der Industrie ist ein wichtiger Baustein für die Transformation zu einer CO₂-neutralen Wirtschaft – insbesondere in den Industrieländern der EU. In Frankreich etwa entfallen auf den Industriesektor rund 20 Prozent der nationalen CO₂-Emissionen. Bis 2030 will die französische Regierung daher eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 35 Prozent in diesem Sektor erreichen. Dabei helfen sollten Dekarbonisierungsfahrpläne für 19 Industriezweige, die die Sektoren bis Ende Dezember 2022 vorlegen mussten. Allerdings folgten nur vier von ihnen der Verpflichtung: Chemie, Bergbau und Metallurgie, Zement sowie die Papier- und Kartonindustrie. Die französische Regierung ändert deshalb ihre Strategie und legt den Fokus in Zukunft auf die 50 Industriestandorte mit der höchsten Emissionsintensität.
Im Mai 2021 ging die Chemiebranche voran, obwohl sie als die umweltschädlichste Branche der verarbeitenden Industrie gilt – 2018 machte der Sektor 25,3 Prozent der Gesamtemissionen der verarbeitenden Industrie aus. In einem öffentlichen Dokument verpflichtete sich die Branche, ihre Emissionen bis 2030 um 26 Prozent im Vergleich zu 2015 zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt der Sektor auf eine verbesserte Energieeffizienz, kohlenstoffarme Wärmeerzeugung und die Senkung der Emissionen von Fluorkohlenwasserstoffen (starken Treibhausgasen, die bei der Kälteerzeugung eingesetzt werden).
Die Bergbau- und Metallindustrie, die mit einem Anteil von 24 Prozent an den Emissionen der Industrie den zweithöchsten Treibhausgasausstoß aufweist, zog im Juni 2021 nach. Sie will ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 31 Prozent senken. Ihre Strategie beruht auf der Erhöhung der Stahlrecyclingquote, der Verringerung des Einsatzes von Kohle in Hochöfen, der Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff aus Hochöfen und der Nutzung von Wasserstoff.
An dritter Stelle bei den Emissionen liegt die Zementindustrie. Auf sie entfallen 23 Prozent der Emissionen des verarbeitenden Gewerbes. Ebenfalls im Juni 2021 setzte sich die Branche das Ziel, die Emissionen bis 2030 um 24 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen die Zementhersteller auch auf die Energieeffizienz der Produktionsprozesse, die Nutzung erneuerbarer Energien und von Biomasse. Eine Recyclingkette für Beton wird ebenfalls erwähnt.
Als vierte Branche hat die Papier- und Kartonindustrie ihren Fahrplan veröffentlicht. Im März 2022 verpflichtete sie sich, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2015 um 39 Prozent zu senken, und zwar durch Energieeffizienz und kohlenstoffarme Wärmeerzeugung.
Diese vier Branchen sind jedoch die Minderheit, denn alle anderen der 19 verpflichteten Branchen haben keine Dekarbonisierungsstrategien vorgelegt, wollen es teilweise aber noch tun. “Wir arbeiten derzeit an dem Dokument und es sollte noch Anfang dieses Jahres fertig sein”, kündigt ein Sprecher von Ania, dem Verband, der die Lebensmittelindustrie vertritt, an. Der Lobbyverband, der mehr als dreißig Branchen “mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften” vertritt, erklärte zudem, dass die drei Branchen mit den höchsten Emissionen im Lebensmittelsektor ihre eigenen Strategien für einen geringen CO₂-Ausstoß definieren werden. Dabei handelt es sich um die Stärke-Herstellung, die Zuckerfabriken und die Herstellung von Milchprodukten. Bisher wurden jedoch noch keine Dokumente veröffentlicht.
Dasselbe gilt für den strategischen Branchenausschuss “Gesundheitsindustrie und -technologie”. Der Hauptgrund für die Verzögerung sei die Zusammensetzung des Ausschusses, sagt Thomas Borel, Direktor für wissenschaftliche Angelegenheiten bei der Organisation Leem, die Arzneimittelunternehmen vertritt. Ihm zufolge handelt es sich um eine Branche, die sowohl Akteure aus der Chemie, dem Vertrieb als auch aus der Pharmaindustrie umfasst. “Wir haben begonnen, die Hebel zu identifizieren, die wir aktivieren könnten, wie das Ökodesign von Medikamenten und Verpackungen”, verteidigte der Leem-Vertreter. “Aber um auf Branchenebene voranzukommen, muss die Arbeit über alle Glieder hinweg durchgeführt werden.” Eine Strategie soll trotzdem bis zum ersten Quartal 2023 vorgelegt werden.
“Letztendlich handelt es sich um ein ziemlich administratives Vorgehen“, bedauert ein Experte für das Thema im Wirtschafts- und Finanzministerium, der die geringe politische Tragweite des Ansatzes hervorhebt.
Um dem Projekt doch noch Schwung zu verleihen, hat sich das Ministerium für eine neue Strategie entschieden und will sich auf die 50 Industriestandorte des Landes mit der höchsten Emissionsintensität konzentrieren. Die Regierung möchte die Strategie der Dekarbonisierung der Industrie gemeinsam mit den Wirtschaftsakteuren voranbringen. Dazu setzt das Ministerium auf sogenannte “Verträge zur ökologischen Wende” mit den Unternehmen. Deren Logik e bestehe darin, dass der Staat Investitionen in neue Technologien zur Dekarbonisierung unterstützen werde, wenn sich ein Unternehmen zu einem ehrgeizigen Fahrplan für die Dekarbonisierung verpflichte, heißt es in Paris.
“Branchenspezifische Fahrpläne ermöglichen es, die technologischen Hebel für eine ganze Branche zu identifizieren, können aber nicht zu genau sein. Indem wir uns für einen standortbezogenen Ansatz für die 50 größten Emittenten entscheiden, die für mehr als die Hälfte der Industrieemissionen verantwortlich sind, wollen wir effizienter sein und die Bewegung beschleunigen“, begründet das Kabinett seine Entscheidung.
Im März wird die im Finanz- und Wirtschaftsministerium ansässige Generaldirektion für Unternehmen eine erste Version der Verträge mit den betroffenen Standorten erstellen. Diese haben dann bis Juni Zeit, um sie umzusetzen. Claire Stam
Steinbeis Papier ist ein Kreislaufpionier. Um die Stoffkreisläufe für all seine Produkte zu schließen, entwickelt der Papierhersteller für diese sogar neue Recyclingverfahren. So wie für das jüngste Produkt, ein laugen- und nassfestes Etikettenpapier. Etikettenpapiere ließen sich bisher nicht recyclen. Deshalb startete man in Glückstadt in Schleswig-Holstein – parallel zur Entwicklung der neuen Papiersorte – die Entwicklung einer passenden Recyclingmethode. Mit dem neuen Verfahren lassen sich alle schwer auflösbare Altpapiersorten in den Kreislauf zurückführen.
Einen zirkulären Ansatz fordert die neue EU-Ökodesign-Verordnung bald von allen Herstellern. Was das für die Produktentwicklung in Unternehmen bedeutet, beschreibt Steinbeis-Geschäftsführer Ulrich Feuersinger: “Die Herausforderung ist, sich bereits bei der Idee neuer Prozesse und Produkte mit der Wiederverwertbarkeit aller Komponenten auseinanderzusetzen und nach Mitteln und Wegen zu suchen, diese möglichst effizient einer stofflichen Wiederverwertung zuzuführen. Genau das ist es, was wir bei Steinbeis schon immer beherzigen.” Das verlange in der Produktentstehung einige Schleifen mehr und erfordere oft weitere Investitionen, sagt Feuersinger: “Nachhaltigkeit ist Kern unseres Geschäftsmodells und die Optimierung und Überprüfung unserer Prozesse sind unser ständiger Wegbegleiter.”
Aus einem neuen Produkt (Etikettenpapier) entstand so bei Steinbeis eine Kreislauf-Innovation (neues Recyclingverfahren), die das Potenzial hat, eine ganze Branche voranzubringen: Denn die gemeinsam mit dem Technologiekonzern Andritz entwickelte Methode funktioniert nicht nur für Etiketten, sondern für alle beschichteten, nassfesten Papiere. Selbst die problematischen Verbundstoffe (kunststofflaminierte Altpapiere) oder feuchte Brauereietiketten lassen sich damit recyceln. “Heute werden diese Papiere der Verbrennung zugeführt. In Zukunft werden wir diese stofflich verwerten und wieder neues Papier daraus fertigen”, sagt Feuersinger.
Eine aktuelle Untersuchung der TU Darmstadt zeigt, dass selbst noch nach 25 Zyklen Papierfasern immer noch genügend Festigkeitspotential aufweisen, um daraus wieder Papier herstellen zu können. Die Autoren der Studie widersprechen damit der verbreiteten Meinung, Papierfasern könnten nur vier- bis siebenmal rezykliert werden. Voraussetzung für eine häufigere Wiederverwendung ist allerdings die saubere Abtrennung von Verunreinigungen und die Abtrennung von Papierproduktbegleitstoffen. Beides ermöglicht das von Steinbeis entwickelte Recyclingverfahren nun. “Man könnte also sagen, Papierfasern sind fast unendlich recyclingfähig”, kommentiert der Papierhersteller die Entwicklung.
30.000 Tonnen Altpapierrohstoff jährlich will sich das Unternehmen durch das Verfahren erschließen. In den Betrieb geht die neue Aufbereitungsanlage im laufenden Jahr. Jedes Jahr produziert Steinbeis in Glückstadt insgesamt 300.000 Tonnen Kopier-, Offset-, Etiketten- und Digitaldruckpapier aus 100 Prozent Altpapier. Die Produkte sind alle mit dem Blauen Engel zertifiziert.
In Kreisläufen nutzt Steinbeis Papier auch Energie und Wasser. Seit 2010 deckt ein CO2 armes Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk mit Wirbelschichttechnologie den kompletten thermischen und die Hälfte des elektrischen Energiebedarfes. Das Kraftwerk nutzt die Abfälle aus der eigenen Altpapieraufbereitung sowie Sekundärbrennstoffe aus gewerblichen und Siedlungsabfällen mit hohem biogenem Anteil. Die Ersatzbrennstoffe bereitet das Unternehmen in einer eigenen Anlage auf. Die Asche wiederum geht an das benachbarte Zementwerk und in den regionalen Straßenbau. Nach der geplanten Erweiterung des Kraftwerks sollen die letzten Reststoffe aus der Papierproduktion am Standort einer thermischen Verwertung zugeführt werden. “Damit werden wir für den gesamten Standort in Glückstadt und nicht nur für die Papierfabrik eine fast hundertprozentige Verwertungstiefe erreichen”, sagt Feuersinger.
Grüne Energie erzeugt die Steinbeis-Gruppe außerdem in Biogasanlagen, Solar- und Windparks. Für den weitgehend geschlossenen Wasserkreislauf wird Oberflächenwasser (kein Grundwasser) im hauseigenen Wasserwerk zu Betriebswasser aufbereitet, über in den Produktionsprozess integrierte Reinigungsanlagen mehrfach genutzt, bevor es über eine vollbiologische Kläranlage vollständig gereinigt zurück in die Elbe fließt.
Altpapierbeschaffung und Vorsortierung laufen ebenfalls in Eigenregie über eine Schwesterfirma. “Der direkte Kontakt zu den Entsorgern gibt uns die Nähe zum Markt und sichert unsere Rohstoffquellen. Darüber hinaus erlaubt uns diese Vorgehenseise eine möglichst regionale Beschaffung und damit die optimale Gestaltung kurzer Transportwege mit wenig Transport-Emissionen”, erklärt Feuersinger den Grund, warum man den Altpapierkauf nicht einfach den gängigen Strukturen überlässt.
Herr Kappel, Afrika wird das 21. Jahrhundert prägen, heißt es im neuen Konzept des BMZ. Findet sich das im Strategiepapier?
Wenn man das mal in den Mittelpunkt gestellt hätte. So etwas muss sich dann auch an Perspektiven beweisen. Was wir brauchen, ist ein Plan für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit. Doch Wirtschaftskooperation fehlt in der neuen Strategie fast völlig. Sie finden nichts zu der Frage, wie wir dem chinesischen Einfluss entgegenwirken wollen, aber viermal das Kürzel LGBT. Ich muss sagen: Dieses Konzept ist ein Rückschritt: zu wenig Perspektiven, zu unscharf.
Das BMZ setzt stark auf sozial-ökologischen Wandel, eine feministische Entwicklungspolitik und Wertevermittlung. Sind das die richtigen Schwerpunkte?
Die wirtschaftliche Dynamik des Kontinents wird viel zu wenig berücksichtigt. Das moderne Afrika ist in seiner Entwicklung viel weiter, als es in diesem paternalistischen Konzept erscheint. Bildung hat sich verbessert, es gibt Urbanisierung, eine wachsende Zahl von Unternehmen und Industrialisierung, Modernisierung der Landwirtschaft. Das genau ist die Schwäche dieser Strategie: Sie behandelt die Dynamik auf dem afrikanischen Kontinent nicht ausreichend.
Wie reagieren die Afrikaner eigentlich auf dieses Papier?
Das Erstaunen ist groß, dass schon wieder eine neue Strategie aus Deutschland kommt. In der afrikanischen Presse hat das zum Beispiel überhaupt kein Interesse gefunden. Wir sollten endlich akzeptieren, dass Afrika unseren bisherigen Approach in der Entwicklungspolitik nicht mehr will. Viele Staaten sind geradezu “entwicklungshilfemüde”. Sie wollen nicht mehr als Länder mit großem Nachholbedarf betrachtet werden, sondern als chancenreich. Genau das ist auch mein großer Kritikpunkt an dieser Strategie.
Entwicklungspolitik müsste doch Teil eines Gesamtkonzepts sein, zu dem auch Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik gehören. Es scheint allerdings, dass im Fall von Afrika die verschiedenen Ministerien wenig verzahnt sind?
Ich halte es für ein großes Versäumnis der Bundesregierung, dass es bis heute kein gemeinsames Vorgehen gibt. Das erklärt auch, weshalb es erneut eine Schlagseite hin zur Entwicklungskooperation gibt. Immerhin verfügt das BMZ für 2023 über einen Etat von zwölf Milliarden Euro. Das Auswärtige Amt sollte doch an Geostrategie und Sicherheitsfragen interessiert sein, das Wirtschaftsministerium an Außenhandel und Unternehmertum. Und das muss zu einer gemeinsamen Strategie gebündelt werden. Aber nach wie vor wirkt die deutsche Entwicklungspolitik wie in einem Kokon gefangen.
Was haben Sie gedacht, nachdem Sie die neue Afrika-Strategie gelesen hatten?
Eine Unmenge Details, aber kein Gesamtkonzept. Ein Bauchladen teils interessanter, aber auch widersprüchlicher Ideen. Ehrlich gesagt, war ich ziemlich enttäuscht.
6.2.2023, 12 Uhr
Online-Seminar Zukunft der Arbeitswelt: Digitalen Wandel gestalten für gute Arbeit (FES)
Das Seminar will auf Herausforderungen, Auswirkungen und Potenziale digitaler Technologien in der Arbeitswelt blicken, aktuelle Erkenntnisse der Forschung zum digitalen Wandel der Arbeitswelt vermitteln und praktische Beispiele diskutieren, wie Digitalisierung so gestaltet werden kann, dass sie zu besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten beiträgt. Info & Anmeldung
7.2.2023, 10:30 Uhr, Frankfurt am Main
Thementag im Rahmen der Ambiente 2023 Sustainable Office Day 2023 (B.A.U.M. e.V.)
Regelmäßig organisiert B.A.U.M. e.V. in Zusammenarbeit mit der Messe Frankfurt den Sustainable Office Day, den Thementag rund um das “grüne Büro”. Hier werden Praxisbeispiele und Lösungsansätze präsentiert. Darüber hinaus werden am Nachmittag die Preisträger des Wettbewerbs “Büro & Umwelt 2022” ausgezeichnet. Info & Anmeldung
7.2.2023, 17 Uhr
Webinar Sustainable.circular – Ist Circular Economy gleich nachhaltig? (BNW)
Im Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projektes “sustainable.circular” analysieren das Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production (CSCP) und der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) Potenziale, Problemstellungen sowie Unterstützungsbedarfe von KMU als Anbieter von “sustainable.circular”-Produkten & Dienstleistungen. Info & Anmeldung
8.2.2023, 14 Uhr
Online-Veranstaltung 2. Online-Themenforum “Wie können Wirtschaftende Energie einsparen und resilienter werden?” (Initiative nachhaltiges Wirtschaften)
Anhand von Praxisbeispielen werden Ansätze zur Implementierung von Nachhaltigkeitsaspekten sowie Förderungsmöglichkeiten aufgezeigt. Wirtschaftende können sich zu Herausforderungen, Lösungen und Erfahrungen austauschen. Info & Anmeldung
9.2.2023, 9:30 Uhr
Virtuelles Fachforum Nachhaltig und krisenfest – Fashionlogistik zukunftssicher aufstellen (Logistik Heute)
Experten aus Modeindustrie und Logistik diskutieren, wie Fashionanbieter und Logistikverantwortliche die richtige Nachhaltigkeitsstrategie finden sowie festigen und wie sie ihre Lieferkette zukunfts- und kreislauffähig aufstellen können. Info & Anmeldung
16.2.2023, 10:30 Uhr
Online-Seminar Einstieg in den Kompass Nachhaltigkeit (SKEW)
Wie können Vergabestellen den Kompass Nachhaltigkeit nutzen, um Ausschreibungen mit sozialen und ökologischen Kriterien erfolgreich durchzuführen? Info & Anmeldung
18.2.2023, Berlin
Symposium 50 Jahre Grenzen des Wachstums – wie weiter? (VDW)
Auf der Präsenz-Veranstaltung sollen die Entwicklungen der letzten 50 Jahre kritisch analysiert und das heutige Wissen genutzt werden, um Wege aufzuzeigen, wie die Klimaziele deutlich schneller zu erreichen sind. Auf einem eintägigen Symposium werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Konzepte zu deren Umsetzung diskutiert und der Öffentlichkeit präsentiert. Info & Anmeldung
Heute will die EU-Kommission ihre Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA präsentieren. Aus dem 18-seitigen Entwurf geht hervor, dass sich neue Produktionsbeihilfen auf Branchen konzentrieren sollen, die von Abwanderung bedroht sind. Um frisches Geld aus EU-Mitteln soll es später gehen. Das zeigt ein Entwurf des Hauptdokumentes, an den Contexte am Montag gelangte.
Für strategische grüne Industrien sollen Investitionsbeihilfen wie zum Beispiel Steuererleichterungen für Produktionskapazitäten ausgedehnt werden, um “mit Hilfen gleichzuziehen, die Wettbewerber für ähnliche Projekte außerhalb der EU erhalten”. Dies ist der direkteste Bezug auf die staatliche Unterstützung der USA in dem Entwurf. Mitgliedstaaten sollen aber auch “globale Finanzierungslücken” berücksichtigen können.
Die Investitionshilfen für Produktionskapazitäten sollen aber nicht nur zeitlich befristet sein, sondern auch “auf die Sektoren ausgerichtet [sein], in denen ein solches Verlagerungsrisiko festgestellt wurde”. Damit versucht die Kommission offensichtlich, Trittbrettfahrer in der Industrie von dem Geldregen auszuschließen.
Zudem ist die Kommission darauf bedacht, die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den EU-Ländern nicht zu verzerren: “Die Bestimmungen über Steuervergünstigungen würden es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre nationalen steuerlichen Anreize an ein gemeinsames System anzugleichen und so den Unternehmen in der gesamten EU mehr Transparenz und Berechenbarkeit zu bieten.”
Weitere Erleichterungen betreffen erneuerbare Energien. Beihilfefähig sind nun Investitionen in alle Technologien im Sinne der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Neu hinzu kommen damit vor allem Biomasseanlagen und Wasserkraftwerke. Förderfähig sind jetzt zudem Speicher für grünen Wasserstoff und Biokraftstoffe. Außerdem sollen die Fristen für die Inbetriebnahme ausgedehnt werden.
Zweitens soll es leichter Beihilfen für die Dekarbonisierung der Industrie geben. Wollte ein Betrieb bisher von der Verbrennung von Gas oder Kohle auf die Nutzung von Strom oder Wasserstoff umstellen, musste er zunächst umständlich Kosteneinsparungen über die gesamte Lebensdauer der Anlage ermitteln, um die beihilfefähigen Kosten zu bestimmen. Künftig soll ein pauschaler Anteil der Investitionskosten förderfähig sein.
Von dem vorübergehenden Krisenrahmen (TCF), also den befristet gelockerten Beihilferegeln, würden vor allem Unternehmen in reichen Mitgliedstaaten profitieren wie etwa Deutschland, Frankreich, Niederlande und Dänemark. Kleinere Mitgliedstaaten verfügen nicht über die notwendigen Haushaltsmittel, um von diesen Ausnahmen Gebrauch zu machen und Investitionen in nennenswerten Kategorien anzuschieben. Dieses Ungleichgewicht bei den finanziellen Ressourcen droht für Verwerfungen auf dem Binnenmarkt zu sorgen. Um zu verhindern, dass die innovativen Industrien in ärmeren Mitgliedstaaten zurückbleiben, schlägt die Kommission eine Flankierung aus EU-Mitteln vor. mb/mg
Mit dem Programm “REACT with impact” will das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ab März gemeinwohlorientierte Unternehmen unterstützen. Zur Begründung sagte Staatssekretär Sven Giegold (Grüne) am Freitag: “Sozialunternehmen stärken das Gemeinwohl mit wirtschaftlichen Mitteln, ab jetzt stärkt auch der Staat Sozialunternehmen.”
Das Förderprogramm richtet sich an Unternehmen, deren primäres Ziel es ist, sozial und ökologisch zu wirken. Dies könne eine Bürgergenossenschaft sein, ein Start-up, das Lebensmittel vor dem Verfall rette oder ein Unternehmen, das geflüchteten Menschen Arbeit biete. Laut Ministerium können die Förderungen ab Anfang März beantragt werden, allerdings nicht in Form von direkten Zuschüssen. Gefördert würden individuell durchgeführte Beratungs- und Unterstützungsleistungen, die den Unternehmen bei der Professionalisierung und Stabilisierung helfen.
So solle zum Beispiel die Attraktivität von Start-up-Unternehmen für Investoren erhöht werden, indem ihr Geschäftsmodell überprüft werde, unternehmerische Kompetenzen gestärkt und Methoden zur quantitativen Wirkungsmessung vermittelt werden. Vom Gesamtprogramm sollen laut BMWK mehrere hundert Unternehmen und Unterstützungsstrukturen wie Gründungszentren profitieren. Insgesamt stünden 89,6 Millionen Euro zur Verfügung. Die Richtlinie des Förderprogramms wird Anfang Februar im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Auf das ursprünglich für 2021 angekündigte Förderprogramm wartet das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) schon ungeduldig. Die drei größten Herausforderungen von Sozialunternehmen seien eine fehlende Startfinanzierung, zu wenig Möglichkeiten der Anschlussfinanzierung und die Komplexität öffentlicher Finanzmittel. In einem offenen Brief an Robert Habeck und Bettina Stark-Watzinger forderte das Netzwerk Anfang Januar unter anderem eine verbesserte Finanzierung für Sozialunternehmen.
Zur anstehenden Veröffentlichung des Programms sagt Arnd Boekhoff, Mitglied im Vorstand von SEND: “Das Programm REACT with Impact ist seit eineinhalb Jahren überfällig. Viele Sozialunternehmen und ihr Ökosystem hätten insbesondere seit letztem Frühjahr diese und weitere Unterstützung bitter nötig gehabt.” Nun sei es wichtig, von der Bundesregierung schnell zu erfahren, wie das Ökosystem für Sozialunternehmen über 2023 hinaus gestärkt würde und wann endlich direkt wirksame Unterstützung durch geeignete Finanzierungsinstrumente kommen. sk
Mit einer Grundgesetzänderung sollen Kommunen in Deutschland befähigt werden, die notwendigen Maßnahmen gegen die Klimakrise zu finanzieren. Umweltorganisationen, Gewerkschaften, Sozial- und Kommunalverbände haben deshalb ein gemeinsames Forderungspapier vorgelegt. Es trägt den Titel “Allen Kommunen sozial gerechten Klimaschutz ermöglichen”. Zentraler Punkt: Klimaschutz und Klimaanpassung sollen als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz.
“Wir Kommunen wollen Treiber des sozial-ökologischen Wandels werden, brauchen aber die Unterstützung von Bund und Ländern bei dieser globalen Herausforderung”, sagte Kölns Bürgermeister Andreas Wolter (Grüne) anlässlich der Vorstellung des Papiers. Wolter ist gleichzeitig Vorsitzender des Klima-Bündnisses, das zu den Initiatoren gehört. Weitere Unterzeichner sind der DGB, die IG BAU, ver.di, die Umwelthilfe, Germanwatch, die Klima-Allianz, das Institut für Kirche und Gesellschaft sowie Misereor und der WWF.
Die Kommunen sind entscheidend bei der Eindämmung der Klimakrise. Auf sie entfällt der Großteil der Investitionen der öffentlichen Hand, alleine rund 60 Prozent beim Bau der öffentlichen Infrastruktur. Doch gerade kleinere Städte und Gemeinden fehlen dafür oft die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen.
Laut Grundgesetz gelten Aufgaben als Gemeinschaftsaufgaben, wenn sie für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse erfordern. Das treffe auf den kommunalen Klimaschutz zu, ist sich die bekannte Klima-Anwältin Roda Verheyen sicher – und rät in einem Rechtsgutachten zur Ergänzung des Grundgesetzes. Eine Mischfinanzierung durch Bund, Länder und Kommunen werde dadurch zulässig. Darauf setzen auch die Verfasser des Forderungskatalogs. Sie rechnen für den kommunalen Klimaschutz mit Ausgaben in Milliardenhöhe – bei einem bereits bestehenden Investitionsstau auf kommunaler Ebene von 159 Milliarden Euro.
Neben einer angemessenen Finanzierung wird die bessere Schulung der Beschäftigten, eine Aufstockung des Personals in den Verwaltungen und ein umfassendes kommunales Klimaschutzmanagement gefordert. Nur so sei zu erreichen, dass bei der Fülle von Aufgaben bis spätestens 2045 fast alle 11.000 Kommunen klimaneutral sind. ch
Am 9. Februar stimmt der Umweltausschuss (ENVI) über seine Stellungnahme zum Sorgfaltspflichten-Gesetz ab. Die EU-Abgeordneten, allen voran ENVI-Berichterstatter Tiemo Wölken (SPD), wollen sich unter anderem darauf einigen, dass weitaus mehr Unternehmen unter das Gesetz fallen, als die Kommission vorschlägt. Das geht aus den vorläufigen Kompromissen hervor, die Europe.Table einsehen konnte.
Demnach sollen Unternehmen ab 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Jahresumsatz unter das Gesetz fallen. Der Ausschuss will zudem vorschlagen, die Risikobranchen insbesondere um den Energiesektor zu erweitern. Zudem sehen die Kompromisse einen risikobasierten Ansatz vor. Der Ausschuss nimmt damit die Forderungen der federführenden Berichterstatterin Lara Wolters auf, die wie Tiemo Wölken der S&D-Fraktion angehört.
Alles in allem orientieren sich die Kompromisse stark an der EU -Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (CRSD). Das wird etwa an der Definition der nachteiligen Umwelteinwirkungen ersichtlich. Folgende Kategorien sollen abgedeckt werden:
Zu weiteren Änderungen gehört, dass Klima als impliziter Teil des Sorgfaltspflichten-Prozesses abgehandelt wird. Unternehmen sollen zudem Klimaübergangspläne ausarbeiten, angelehnt an die Vorgaben des CRSD. Bei Firmen mit rund 1.000 Mitarbeitern soll sich die Bezahlung von Direktoren danach richten, wie sie die Klimaübergangspläne umsetzen.
Neben dem ENVI müssen noch drei weitere Ausschüsse ihre Stellungnahmen abgeben. Im März stimmt der federführende JURI-Ausschuss ab, im Mai geht der Text ins Plenum. cw
Der ökologische Landbau verursacht im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft deutlich geringere gesellschaftliche Folgekosten. Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie der TU München, die auf der Internationalen Grünen Woche vorgestellt wurde. Danach beträgt die Ersparnis pro Hektar etwa 750 bis 800 Euro. Hochgerechnet auf die Öko-Anbaufläche in Deutschland von 1,8 Millionen Hektar (2021) entspricht dies jährlich 1,5 Milliarden Euro.
Hubert Heigl, Vorsitzender der bayerischen Landesvereinigung für den ökologischen Landbau (LVÖ), begrüßte den klaren Befund: “Wer die Umwelt belastet, verursacht Kosten, die letztlich die gesamte Gesellschaft aufbringen muss. Wer die Umwelt entlastet, erspart der Gesellschaft diese Kosten.” Heigl sprach sich deshalb für “die möglichst schnelle Erreichung des 30-Prozent-Ziels” aus. Gemeint sind die Pläne der Bundesregierung, wonach bis zum Jahr 2030 mindestens dreißig Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet werden sollen. Derzeit sind es knapp zehn Prozent.
Laut Studie trägt der ökologische Landbau vor allem durch fünf Maßnahmen zur Verminderung von Umweltkosten bei:
Die Studie “Umwelt- und Klimawirkungen des ökologischen Landbaus” wurde an der TU München unter Leitung von Professor Kurt-Jürgen Hülsbergen erstellt. Als Datenbasis dienten vor allem Untersuchungsergebnissen im “Netzwerk von Pilotbetrieben”. Das Forschungsprojekt hat zwischen 2009 und 2021 die Umwelt- und Klimawirkungen von vierzig ökologischen und vierzig konventionellen Betrieben in verschiedenen Agrarregionen Deutschlands untersucht.
Ihr Fazit: “Je schneller die Umstellung auf ökologischen Landbau erfolgt und je größer die Öko-Anbaufläche ist, umso größer ist die Umweltentlastung und Kosteneinsparung für die Gesellschaft”. ch
Viele Unternehmen des produzierenden Gewerbes haben kaum Fortschritte bei der Ausrichtung ihrer Lieferketten an ESG- und Nachhaltigkeitskriterien gemacht.
Das zeigt die Umfrage “The State of ESG in Manufacturing”, die jüngst von der Unternehmensberatung Assent in Zusammenarbeit mit der Fachpublikation Industry Week veröffentlicht wurde. Befragt wurden rund 150 Führungskräfte aus den USA und Europa.
Danach haben bisher nur 24 Prozent der Unternehmen Maßnahmen zur Umsetzung und Kontrolle von ESG- und Nachhaltigkeitskriterien etabliert, einschließlich ihrer Lieferketten. 35 Prozent der Firmen sind erst dabei, solche Strukturen zu entwickeln, während 41 Prozent damit noch am Anfang stehen. Das birgt erhebliche Gefahren. Denn laut UN Principles for Responsible Investment ist der überwiegende Teil von Verstößen gegen Nachhaltigkeits- und ESG-Prinzipien auf Aktivitäten lokaler Zulieferer zurückzuführen. Dessen sind sich auch die Befragten bewusst. 47 Prozent bejahen schon jetzt eine große Abhängigkeit, wenn es um die Einhaltung von ESG- und Nachhaltigkeitskriterien geht. 59 Prozent erwarten, dass diese in den kommenden Jahren sogar noch zunehmen wird.
Gleichzeitig ist das Verhältnis zu den Zulieferern häufig nicht gut. So glauben 26 Prozent der Befragten, die Zulieferer könnten oder wollten die ESG- und Nachhaltigkeitsziele überhaupt nicht erreichen. 49 Prozent beschreiben ihre Erwartungen als neutral. Nur ein Viertel der Manager zeigen sich in dieser Hinsicht optimistisch. ch
Republicans vow to probe US banks and asset managers’ ‘ESG agenda’ in Congress – Financial Times
Der Kulturkampf um “Woke Capitalism” geht in den USA in die nächste Runde. Nach Plänen der Republikaner sollen Banken und Investmentfirmen demnächst vor dem Kongress Rede und Antwort stehen. Ihr Frontmann Andy Barr ist überzeugt: Das Finanzsystem wurde durch die “intolerante Linke” okkupiert. Zum Artikel
Investoren fordern mehr Diversität in Führungsgremien deutscher Unternehmen – HANDELSBLATT
Tanja Kewes berichtet über einen steigenden Druck von Geldgebern auf Unternehmen beim Thema Diversität. Allianz Global Investors ist beispielsweise davon überzeugt, dass vielfältig besetzte Führungsmannschaften “bessere Ergebnisse liefern und innovativer sind”. Unternehmen, die den steigenden Anforderungen nicht genügen, drohen demnach schlechtere Zugangsbedingungen zu Eigenkapital. Zum Artikel
Reichen die Rohstoffe für die E-Auto-Pläne? – FAZ
Corinna Budras und Tobias Piller berichten in der FAZ über eine Prognose des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) zu den Rohstoffmengen für die 15 Millionen E-Autos, die bis 2030 auf deutschen Straßen fahren sollen. Zum Artikel
Wie nachhaltig wird das Automobil der Zukunft? – PLASTIKVERARBEITER
Der PLASTVERARBEITER berichtet über ein Konsortialprojekt von Industrie und Wissenschaft zur Reduktion des CO₂-Fußabdrucks künftiger Automobile. Das Projekt “Future Sustainable Car Materials” wird von BMW geleitet. Es geht um neue Recyclingverfahren und alternative Materialkonzepte. Der Automobilkonzern treibt parallel die branchenweite Plattform Catena-X voran, die als “branchenweites Daten-Ökosystem” das Zusammenspiel von Herstellern und Zulieferern verbessern soll, schreibt das Magazin. Zum Artikel
“Slow Food ist heute politischer” – SZ
Anika Mester interviewt Edward Mukibi, den neuen Präsidenten von Slow Food. Er berichtet unter anderem von dem Projekt “10.000 Gärten in Afrika”, bei dem Gemeinschaftsgärten angelegt und Wissen geteilt werden. Nach drei bis vier Jahren würden die Bauern das Gelernte anwenden, sagt Mukibi: “Saatgutbänke entstehen. Erträge und Vielfalt steigen”. Das Einkommen steige und die Lebensverhältnisse verbesserten sich. Bislang gebe es rund 5.000 solcher Gärten in Afrika. Zum Artikel
Pilotprojekt: Flächenschonende biobasierte Rohstoffe – CHEMANAGER
Bio-Chemikalien gelten als klimafreundliche Alternative zur Petrochemie. In der Kritik steht bei der Nutzung von Biomasse jedoch der Flächenverbrauch. Über eine neue, flächenschonende Alternative berichten Wolf Raber und Kai Bastuck im CHEMMANAGER. Dabei produzieren Mikroalgen die Bio-Chemikalien ressourcenschonend aus bisher ungenutzten organischen Abfallreststoffen. Zum Artikel
Der Stoff, den alle wollen … – DIE ZEIT
Marc Widmann berichtet über den Versuch von Timo Bollerhey und Markus Exenberger, einen Markt für grünen Wasserstoff zu schaffen, der bisher nicht existiert. Beide waren Berater für die deutsche Entwicklungshilfe und haben sich gefragt, wie man einen geregelten Markt für grünen Wasserstoff schaffen will. Organisiert werden soll der Handel über die Stiftung H”H, der sich 54 Unternehmen angeschlossen haben. Die Gründer erwarten hohe Anlaufverluste, sie werden daher von der Bundesregierung mit einer Zuwendung von 900 Millionen Euro unterstützt. Zum Artikel
“Das Label ist im Grunde tot” – DIE ZEIT
Astrid Geisler und Hannah Knuth im Gespräch mit Raul Roßman: Der Geschäftsführer von Rossmann erläutert, warum die Drogeriemarktkette ihre eigenen Produkte nicht mehr als klimaneutral bewerben und das Budget für Kompensation anderweitig ausgeben will. Der Manager hält Klimaneutral-Label im Grunde “für tot” und bedauert, dass damit ein Anreiz für Unternehmen verloren gehe, “Geld für den Klimaschutz auszugeben”. Zum Artikel
Indonesia embraces resource nationalism – THE ECONOMIST
Die Autoren des Economist berichten, Indonesien wolle seinen protektionistischen Kurs bei der Rohstoffgewinnung weiterverfolgen und denke etwa über ein Ausfuhrverbot von Bauxit nach, was für die Aluminiumherstellung gebraucht wird. Nach dem Verbot der Ausfuhr von Rohnickel 2020 seien im ganzen Land Nickel-Hütten entstanden und die Hersteller von Batterien bauten Fabriken. Die Ausfuhren von Nickel-Erzeugnissen seien um den Faktor zehn höher als 2013. Zum Artikel
Wie das Gift auf den Apfel kommt – SZ
Uwe Ritzer, Sophie Menner und Natalie Sablowski berichten in einem lesenswerten Schwerpunkt über den Einsatz von Pestiziden beim Obstanbau in Südtirol. Grundlage ist die Auswertung von Betriebsheften von 681 Apfelbauern aus dem Vinschgau im Jahr 2017. In der Anbausaison wurden die Plantagen demnach im Schnitt alleine 38-mal mit Pestziden behandelt. Forscher stufen dies als “sehr viel” ein. Zum Artikel
Best Practise: Fertigung mit Gleichstrom klimaneutral stellen – PRODUKTION
Am Beispiel der Schaltbau GmbH zeigt die PRODUKTION, wie sich Ökonomie und Ökologie bei der Umstellung auf eine klimaneutrale Fertigung (Scope 1 und Scope 2) für mittelständische Unternehmen in Deutschland verbinden lassen. Gesamtprojektleiter Michael Ettl gibt im Interview mit Dietmar Poll Tipps für die Konzepterstellung und Umsetzung. Zum Artikel
Kapitalismus in der Klimakrise – OXI
Der Agrarökonom Alfred Müller legt im linken OXI-Blog (Motto: Wirtschaft anders denken) dar, warum die Bewältigung der Klimakrise nicht ohne den Aufbau einer post-kapitalistischen Gesellschaft zu haben ist. Und das alles “so schnell wie möglich”. Zum Artikel
Für Tagesschau und Tagesthemen gehörte es am 12. Januar zu den wichtigsten Nachrichten: Der schwedische Staatskonzern LKAB hatte bei der Suche nach Eisenerz zufällig mehr als eine Million Tonnen Seltene Erden gefunden, mehr als das Vierfache der derzeitigen weltweiten Jahresproduktion.
Seltene Erden, das sind 17 Elemente, die für die Herstellung von Dauermagneten für Windkraftanlagen, Elektromotoren, Brennstoffzellen oder Leuchtmitteln gebraucht werden – also für Technologien, die in der Klimawende unabdingbar sind. Die Elemente heißen Neodym, Praseodym, Lanthan oder Yttrium. Noch nie wurden sie in so großer Menge in Europa gefunden. Entsprechend groß war die mediale Aufmerksamkeit.
Bislang bezieht Europa die Seltenen Erden, die es für eine klimafreundliche Transformation dringend benötigt, vor allem aus China. Die Abhängigkeit von dem asiatischen Land ist groß, obwohl die Seltenen Erden – anders als ihr Name vermuten lässt – gar nicht so selten sind. Beispielsweise kommen sie auch im sächsischen Storkwitz vor. Nur werden sie dort nicht abgebaut, weil das nicht wirtschaftlich wäre.
Doch leider ist der schwedische Fund kein Gamechanger, der Europa helfen könnte, seine Abhängigkeit von China in diesem für eine klimafreundlichere Wirtschaft so wichtigen Bereich zu reduzieren.
Schon in den 2010er-Jahren wurde 95 Prozent der globalen Fördermenge Seltener Erden in China abgebaut. Ihre hohe technologische Bedeutung machte sie schon damals zu einem potenziellen Druckmittel. Bis heute hängt unsere Versorgung mit Seltenen Erden von China ab: Von den 280.000 Tonnen Seltener Erden, die im Jahr 2021 weltweit bergbaulich gefördert wurden, kamen 70 Prozent über China auf den Markt – entweder weil man sie in dem Land selbst abbaute, oder weil China sie kaufte, bevor sie im Inland weiter verwendet oder erneut exportiert wurden.
Wir brauchen neue Bezugsquellen. Doch die schwedische Entdeckung hilft uns dabei nur begrenzt weiter: Die Konzentration an Seltenen Erden im erzhaltigen Gestein beträgt am Fundort nur 0,2 Prozent, sagt Jens Gutzmer, Leiter des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie in Freiberg und einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet: viel niedriger als beispielsweise in den Minen Mountain Pass (USA) mit 3,8 Prozent oder in Bayan Obo (China), mit drei bis fünf Prozent Erzgehalt. Das bedeutet, dass in den neuen Lagerstätten sehr viel Gestein bewegt werden muss, um vergleichsweise wenig Seltene Erden zu fördern. Es macht den Abbau teuer und die ökologischen Schäden groß.
Selbst wenn die Förderung der Seltenen Erden in Schweden in den kommenden zehn bis 20 Jahren einen gewissen Anteil der Weltproduktion erreichen würde, bleibt die Frage ihrer Verarbeitung ungeklärt. Auch hier hat China aktuell einen Marktanteil von 85 Prozent, wie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe mitteilt. Und die chinesischen Reserven an Seltenen Erden werden auf bis zu 44 Millionen Tonnen geschätzt.
Unsere Abhängigkeit von China wird also bestehen bleiben – es sei denn, wir lernen, besser mit wertvollen Rohstoffen wie den Seltenen Erden umzugehen. Wir hätten die Möglichkeiten dazu. Seltene Erden können recycelt werden, doch obwohl sie für die Zukunftstechnologien so wichtig sind, ist die Kreislaufwirtschaft für Seltene Erden in Europa bisher nur mangelhaft etabliert. Immer wieder wird darauf verwiesen, wie wichtig Seltenen Erden für Windanlagen oder Elektromotoren sind, und damit dafür, dass die Energiewende gelingt.
Dennoch werden sie verschwendet. Dem Klima schadet das ganz erheblich, denn der Bergbau und die Weiterverarbeitung von Metallen tragen zwischen zehn und 15 Prozent zu den globalen CO₂-Emissionen bei.
Aktuell liegt der Anteil von recyceltem Material an der Gesamtnutzung von Seltenen Erden in Deutschland bei deutlich unter zehn Prozent. Das heißt, mehr als 90 Prozent muss durch Bergbau gewonnen werden. Ansätze wie Substitution – denn tatsächlich gibt es auch Windkraftanlagen ohne Seltene Erden – oder ein Ausbau der Kreislaufführung, erhalten zu wenig Aufmerksamkeit.
Das für März von der EU-Kommission angekündigte Kritische Rohstoffgesetz (Critical Raw Materials Act) wird hier entscheidende Rahmenbedingungen richtig setzen müssen:
Ganz grundsätzlich muss der Anteil des Bergbaus an der Metallnutzung reduziert werden – und mit ihm die Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen, die so häufig mit dem Bergbau einhergehen. Deutschland und Europa brauchen eine echte Rohstoffwende, die den Schutz von Mensch und Umwelt ins Zentrum der Politik stellt.
Die neu entdeckten schwedischen Vorräte sind unter den aktuellen Umständen schnell verbraucht – falls sie überhaupt abgebaut werden können. Denn eine Sache ging in der Euphorie der Berichterstattung völlig unter: Die Sami, auf deren Land die Seltenen Erden gefunden wurden, haben ihre Zustimmung zum Abbau noch nicht erteilt.
Michael Reckordt ist Programmleiter Rohstoffe und Ressourcengerechtigkeit bei PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie-& Weltwirtschaft e.V. in Berlin.
Das Spezialgebiet von Constanze Haug ist der Emissionshandel, in der EU und in anderen Staaten weltweit der wichtigste Mechanismus, um Emissionen zu senken und die Klimakrise zu bekämpfen. Mehr als zwei Dutzend Systeme gibt es, ähnlich viele sind in der Planung. Da braucht es viel Fachwissen.
Anfang des Jahres ist Haug bei Adelphi zur Geschäftsführerin aufgestiegen. Die Denkfabrik berät Ministerien, Organisationen und Unternehmen unter anderem mit Blick auf die Klimakrise. Haug ist seit 2013 dabei, leitete mehr als sechs Jahre dort das Büro der International Carbon Action Partnership (ICAP), wo sie Vertreter von Regierungen aus mehr als 40 Ländern an den Tisch brachte. So könne zum Beispiel Japan von Erfahrungen aus Kalifornien lernen – “das geht viel besser hinter verschlossenen Türen”, sagt Haug.
Die EU beschloss im Dezember ihren Emissionshandel (ETS) auszubauen, für Gebäude und Verkehr kommt ein zweiter Mechanismus dazu. Angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage war Constanze Haug überrascht über “so ein ambitioniertes Ergebnis“.
Klimapolitik ist international, es geht um Verhandlungen zwischen Staaten, Regionen, Kontinenten. Auch darum geht es Constanze Haug, sie hat zunächst Internationale Beziehungen studiert, Anfang der 2000er Jahre spezialisierte sie sich dann auf Klimapolitik und den Emissionshandel. Ein internationales Thema, aber auch ein interdisziplinäres, für das Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen zusammenarbeiten müssen. Das mache die Verhandlungen so spannend, sagt Constanze Haug.
Sie kennt aber auch die Grenzen des ETS. Der Emissionshandel sei da gut, wo Vermeidungskosten für Unternehmen und Haushalte nicht exorbitant hoch seien, und wo es auch realistische umweltfreundliche Alternativen gebe. Und da seien die Unterschiede zwischen den EU-Staaten riesig, etwa zwischen West- und Osteuropa. Mit Adelphi hat Haug ein Projekt in Mittel- und Osteuropa begleitet. In Rumänien zum Beispiel würden viele Menschen aus Kostengründen wieder auf Holz umsteigen, so Haug – ein Problem für Wälder und die Feinstaubbelastung.
Der ETS sieht auch vor, dass Verbraucherinnen und Verbraucher künftig für ihre Emissionen zahlen. Deshalb stelle sich überall die Frage, wie die Mitgliedsstaaten Haushalte mit niedrigem Einkommen entlasten können. Auch in Deutschland: “Wir scheinen nicht dazu in der Lage zu sein, direkte Zahlungen an die Haushalte zu organisieren”, sagt Haug. Sie ergänzt: “Ich hoffe, dass jemand im Ministerium gerade daran arbeitet”.
Adelphi hat bisher vor allem Ministerien und internationale Organisationen beraten, die ICAP organisiert. In Zukunft soll der Fokus auch auf privaten Unternehmen liegen, die sich auf die Klimakrise einstellen wollen. Mit dem ETS habe die EU einen stabilen Rahmen geschaffen, mit dem Unternehmen planen können. Jetzt müsse es in die Tiefe gehen, sagt Haug. “Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, sich langfristig, strategisch darauf einzustellen.” Jana Hemmersmeier
Seit vergangener Woche sind in der EU ganz offiziell Hausgrillen als Lebensmittelzutat erlaubt. Eine Ausweitung der “Novel-Food-Verordnung” ermöglicht, die Insekten gefroren, getrocknet oder als Pulver zu verarbeiten. Ab morgen gilt das auch für Larven des Getreideschimmelkäfers.
“Äußerst nahrhaft, reich an Proteinen und Omega-3-Fettsären”, freuen sich die einen. “Absolut ekelhaft”, sagen die anderen. In jedem Fall: genug Sprengstoff. Dabei ist die Debatte nicht neu. Wanderheuschrecken und Mehlwürmer sind schon seit Monaten als Novel Food auf dem Markt. In manchen Regionen der Welt gehören Insekten seit Jahrhunderten zu den Grundnahrungsmitteln.
Doch die Diskussion wird in schöner Regelmäßigkeit aufgewärmt. Und jede Fliege – respektive Grille – in der Suppe ist ein gefundenes Fressen für die Nörgler-Community, um sich beim Koch oder in den sozialen Netzwerken über die Gesamtsituation zu beschweren.
Der bayrische Teilzeit-Ernährungswissenschaftler Hubert Aiwanger (freie Wähler) etwa hat es satt, “dass Fleischverzehr von Rind/Schwein/Geflügel kritisiert wird, aber Insekten ins Essen sollen. Früher wurde ein Lebensmittelbetrieb bei Mehlwürmern und Schaben geschlossen, heute soll es ,in’ sein, damit Veganer ihr tierisches Eiweiß bekommen”, schrieb der Landes-Wirtschaftsminister auf Twitter.
Und weil die Idee der veganen Ernährung darin besteht, auf tierische Produkte generell und damit auch auf Insekten zu verzichten, setzte Aiwanger nach: “Der Veganer weiß am Ende gar nicht, dass ihm Insekten untergemischt werden.” Das geschehe ohne das Wissen der Konsumenten und womöglich sogar aus Fürsorge.
Die EU-Kommission erklärte: “Niemand wird gezwungen, Insekten zu essen. Nein: Die EU mischt nicht heimlich Insektenpulver in den Kuchenteig.” Vielmehr gebe es eine klare Kennzeichnungspflicht.
Doch was ist mit dem Wohl der Insekten? Die bestehenden EU-Vorschriften für Nutztierhaltung sind kaum auf die Aufzucht und Schlachtung von Grillen, Heuschrecken oder Mehlwürmern anwendbar, da sind sich die meisten Experten einig.
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, fordert, “dass die Insekten ohne Antibiotika, Hormone oder andere Chemikalien produziert werden” und der Bioverband Naturland hat eigene Richtlinien für die ökologische Insektenzucht inklusive Fütterung festgelegt.
Bis zum Ende des Jahres will die Kommission die EU-Vorschriften zum Tierschutz überarbeiten. Dass es dann ein eigenes Kapitel für intensive Massen-Insektenhaltung geben wird, gilt aber als unwahrscheinlich. Denn es fehlt schlicht die Zeit für eine umfangreiche Folgenabschätzung. Timo Landenberger
in den vergangenen 15 Jahren haben die Menschen in Europa erst eine Finanzkrise erlebt, dann eine Pandemie und nun einen Krieg. Dazu kommen eine Energiekrise sowie eine hohe Inflation. Von einer Polycrisis ist die Rede. Dies hat das Leben vieler Menschen in Europa auf den Kopf gestellt. Aber für einen Großteil der Menschen, die außerhalb von Europa leben, war und ist es zeit ihres Lebens normal, Mehrfachkrisen zu erleben. Es könnte hilfreich sein, ihre Erfahrungen und Perspektiven stärker bei der Lösung von Problemen einzubeziehen – gerade bei ESG-Themen.
Exemplarisch zeigt dies eine Analyse über den Ostkongo, wo wie schon so oft in der Vergangenheit kriegerische Konflikte ausgebrochen sind. Europa und auch die USA wollten durch gesetzliche Regelungen zumindest verhindern, dass Warlords den Krieg nicht über den Verkauf sogenannter Konfliktmineralien finanzieren können. Aber in der Praxis spielen eben auch ganz andere Motive eine Rolle für den Konflikt. Darüber berichtet Jonas Gerding aus Afrika. Wo wir erst mal bleiben. Hätte das BMZ bei seiner neuen Afrika-Strategie stärker auf Akteure auf dem Nachbarkontinent hören sollen? Robert Kappel, ausgewiesener Experte für Afrika, äußert sich dazu klar im Interview mit Harald Prokosch.
Wie schwierig selbst mitten in Europa die Umsetzung von Regeln für die Wirtschaft in der Praxis sein kann, beschreibt Clair Stam anhand des Beispiels Frankreich, das gerade einen Strategiewechsel bei der Dekarbonisierung seiner Industrie vollzieht. Wie wichtig bereits ein einzelnes Unternehmen wie Steinbeis Papier für die Transformation eines Sektors sein kann, zeigt Annette Mühlberger. Euphorisch berichteten die Medien Mitte Januar über den Fund seltener Erden in Schweden. Der Standpunkt des Aktivisten und Rohstoffexperten Michael Reckordt dürfte für viele ernüchternd sein. Er erklärt, welches Potenzial die Vorkommen für Europa tatsächlich haben könnten.
Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Der Ostkongo steht wieder in den Schlagzeilen. Erneut ist es die Rebellengruppe M23, die sich in Gebieten ausbreitet, aus denen die Armee und UN-Truppen sie vor zehn Jahren verdrängt hatten. Mehr als eine halbe Million Menschen sind bereits geflohen. Abermals unterstützt das Nachbarland Ruanda die Rebellen.
Félix Tshisekedi, Präsident der Demokratischen Republik Kongo, will dafür ein wiederkehrendes Motiv ausgemacht haben: “In Wahrheit hat Ruanda expansionistische Bestrebungen mit dem Hauptinteresse, sich unserer Rohstoffe zu bedienen”, sagte er im vergangenen November im Staatsfernsehen. Von “einem Stellvertreterkrieg um wertvolle Rohstoffe” schrieb jüngst auch die Financial Times.
Dabei hat die Europäische Union seit der vergangenen M23-Rebellion die Verordnung 2017/821 ausgearbeitet. Sie legt Firmen Sorgfaltspflichten auf, die Coltan, Wolfram, Zinn und Gold aus dem Kongo und anderen Regionen einführen, “wo die Einnahmen daraus gewaltsame Konflikte auslösen oder am Laufen halten“, heißt es in der Begründung der EU-Konfliktminerale-Verordnung. Im Januar 2021 trat sie vollumfänglich in Kraft. Bereits im Jahr 2010 verabschiedeten die USA den Dodd-Frank Act, der US-amerikanische Firmen verpflichtet, über Konfliktrohstoffe in ihren Lieferketten aufzuklären.
Onesphore Sematumba ist Analyst bei der International Crisis Group. Er zweifelt daran, dass Rohstoffe der Hauptgrund für die Kriege sind. Er war lange für das Pole Institute in Goma tätig, das um die Jahrtausendwende recherchierte, wie ruandisch unterstützte Rebellengruppe bedeutende Coltan-Minen in der Provinz Nord-Kivu kontrollierten. “Es herrschte das Coltan-Fieber“, sagt er. Es folgten Medienberichte und NGO-Kampagnen, die das Narrativ der “Blutrohstoffe” verfestigten. Doch dann fielen die Preise auf dem Weltmarkt. Die Rebellen zogen sich zurück. “Man hat versäumt, die Analyse auf den neusten Stand zu bringen”, sagt Sematumba.
Er will damit nicht sagen, dass Rohstoffe keine Rolle spielen. Vereinzelt kontrollieren Rebellen heute Minen, insbesondere im Goldabbau. “Aber es gibt Konflikte dort, wo es Rohstoffe gibt und dort, wo es keine gibt“, sagt der Analyst. Mehr als 120 bewaffnete Gruppen zählen Beobachter in der Region. Sie haben allerlei Einkommensquellen: Plünderungen, Zölle oder das Geschäft mit Holzkohle. Selten sind sie jedoch allein von Gier angetrieben.
Beispiel M23: Auf den besetzten Gebieten werden aktuell keine Rohstoffe gefördert, sagt Sematumba. Vielmehr geht es um eine regionale Machtdemonstration Ruandas. Zudem verteidigen die Rebellen ethnische Interessen und lehnen sich gegen ein Demobilisierungsprogramm der Regierung auf.
Auch Bernd Lange, der für die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament sitzt, dämpft die Erwartungen an die EU-Verordnung: “Ich glaube, man kann damit die Finanzierung einzelner Gruppen austrocknen. Aber allein damit wird man die Konflikte nicht überwinden”. Als Vorsitzender des Internationalen Handelsausschusses hat er die Gesetzgebung maßgeblich vorangetrieben und damals sowohl mit Vertretern der kongolesischen Zivilgesellschaft als auch mit europäischen Verbrauchergruppen und der Industrie gesprochen. “Wir wollten Transparenz in den Markt bekommen”, sagt er. Damit sollte beispielsweise verhindert werden, dass europäische Zentralbanken Gold kaufen, das der Finanzierung von Bürgerkriegen dient.
Im Zusammenhang mit dem Dodd-Frank Acts entwickelte der Weltverband der Zinnproduzenten ein System zur Rückverfolgbarkeit – das ITSCI. Säcke mit den Rohstoffen wie Coltan werden in der ausgewählten Mine verschlossen und mit einem Siegel versehen. Jeder Schritt der Lieferkette bis hin zur Schmelze wird dokumentiert. Unternehmen, die dort einkaufen, haben ihre Sorgfaltspflichten weitgehend erfüllt.
“Durch die Initiative hat man ein Käufermonopol geschaffen”, sagt Christoph Vogel, Forscher an der Universität Gent. Und mit den Preisen des ITSCI seien viele unzufrieden. Im Ostkongo arbeiten zwischen 200.000 und 550.000 Kleinbergleute, die mit einfachem Gerät und wenig Schutz schuften. Meist sind sie in Kooperativen organisiert und suchen den höchstbietenden Abnehmer. Aber nun gilt die Schuldvermutung. Problemlos verkaufen kann oft nur noch, wer mit Initiativen wie ITSCI kooperiert. Das schaffe laut Vogel Fehlanreize. Er ergänzt: “Es gibt Bergleute, die sozusagen nicht-saubere Rohstoffe in das System hineinschmuggeln”.
Mickaël Daudin ist Programmleiter bei ITSCI. Er widerspricht. Preise hingen nicht allein von ITSCI ab, sondern von vielen Umständen. Außerdem gehe es um die Gesamtlage vor Ort, um bessere Arbeitsbedingungen und Schutz: “Wo es keine Regulierung, keine Kontrolle und kein fortlaufendes Monitoring gibt, kann jeder grundsätzlich Opfer von allerlei Arten illegaler Besteuerung, Menschenrechtsverletzungen und Korruption werden”, sagt er.
ITSCI streitet gar nicht ab, dass es auch Probleme bei den 2.500 Minen gibt, die sie im Blick haben. Im Jahr 2021 hätte nicht-staatliche bewaffnete Gruppen 14-mal einen direkten Einfluss auf das Minengeschäft gehabt; 38 Fälle von Kinderarbeit wurden gemeldet.
“Oft gibt es ein Missverständnis“, sagt Daudin. “Wir zertifizieren Rohstoffe nicht als konfliktfrei mit einem Stempel auf Papier. Was zählt, sind die fortlaufenden Bemühungen, dass alle Beteiligten sich einbringen, reagieren und Risiken vermindern”. Diese Logik liegt generell auch Lieferkettengesetzen zugrunde, die nach den Ideen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechten konzipiert werden – wie derzeit auf EU-Ebene.
Für Bernd Lange enthält die EU-Verordnung wichtige Lektionen: “Das ist ein bisschen der Vorläufer des Lieferkettengesetzes.” In einem halben Jahr soll eine erste Bilanz gezogen werden. “Dann werden wir noch mal darüber nachdenken, was die materielle Situation vor Ort stärken könnte”, sagt Lange. Das Gesetz soll schließlich nicht nur Gewissen in Europa beruhigen, sondern auch im Kongo für bessere Arbeitsbedingungen sorgen – wenn es schon nicht den Krieg beenden kann. Jonas Gerding
Die Dekarbonisierung der Industrie ist ein wichtiger Baustein für die Transformation zu einer CO₂-neutralen Wirtschaft – insbesondere in den Industrieländern der EU. In Frankreich etwa entfallen auf den Industriesektor rund 20 Prozent der nationalen CO₂-Emissionen. Bis 2030 will die französische Regierung daher eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 35 Prozent in diesem Sektor erreichen. Dabei helfen sollten Dekarbonisierungsfahrpläne für 19 Industriezweige, die die Sektoren bis Ende Dezember 2022 vorlegen mussten. Allerdings folgten nur vier von ihnen der Verpflichtung: Chemie, Bergbau und Metallurgie, Zement sowie die Papier- und Kartonindustrie. Die französische Regierung ändert deshalb ihre Strategie und legt den Fokus in Zukunft auf die 50 Industriestandorte mit der höchsten Emissionsintensität.
Im Mai 2021 ging die Chemiebranche voran, obwohl sie als die umweltschädlichste Branche der verarbeitenden Industrie gilt – 2018 machte der Sektor 25,3 Prozent der Gesamtemissionen der verarbeitenden Industrie aus. In einem öffentlichen Dokument verpflichtete sich die Branche, ihre Emissionen bis 2030 um 26 Prozent im Vergleich zu 2015 zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt der Sektor auf eine verbesserte Energieeffizienz, kohlenstoffarme Wärmeerzeugung und die Senkung der Emissionen von Fluorkohlenwasserstoffen (starken Treibhausgasen, die bei der Kälteerzeugung eingesetzt werden).
Die Bergbau- und Metallindustrie, die mit einem Anteil von 24 Prozent an den Emissionen der Industrie den zweithöchsten Treibhausgasausstoß aufweist, zog im Juni 2021 nach. Sie will ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 31 Prozent senken. Ihre Strategie beruht auf der Erhöhung der Stahlrecyclingquote, der Verringerung des Einsatzes von Kohle in Hochöfen, der Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff aus Hochöfen und der Nutzung von Wasserstoff.
An dritter Stelle bei den Emissionen liegt die Zementindustrie. Auf sie entfallen 23 Prozent der Emissionen des verarbeitenden Gewerbes. Ebenfalls im Juni 2021 setzte sich die Branche das Ziel, die Emissionen bis 2030 um 24 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen die Zementhersteller auch auf die Energieeffizienz der Produktionsprozesse, die Nutzung erneuerbarer Energien und von Biomasse. Eine Recyclingkette für Beton wird ebenfalls erwähnt.
Als vierte Branche hat die Papier- und Kartonindustrie ihren Fahrplan veröffentlicht. Im März 2022 verpflichtete sie sich, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2015 um 39 Prozent zu senken, und zwar durch Energieeffizienz und kohlenstoffarme Wärmeerzeugung.
Diese vier Branchen sind jedoch die Minderheit, denn alle anderen der 19 verpflichteten Branchen haben keine Dekarbonisierungsstrategien vorgelegt, wollen es teilweise aber noch tun. “Wir arbeiten derzeit an dem Dokument und es sollte noch Anfang dieses Jahres fertig sein”, kündigt ein Sprecher von Ania, dem Verband, der die Lebensmittelindustrie vertritt, an. Der Lobbyverband, der mehr als dreißig Branchen “mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften” vertritt, erklärte zudem, dass die drei Branchen mit den höchsten Emissionen im Lebensmittelsektor ihre eigenen Strategien für einen geringen CO₂-Ausstoß definieren werden. Dabei handelt es sich um die Stärke-Herstellung, die Zuckerfabriken und die Herstellung von Milchprodukten. Bisher wurden jedoch noch keine Dokumente veröffentlicht.
Dasselbe gilt für den strategischen Branchenausschuss “Gesundheitsindustrie und -technologie”. Der Hauptgrund für die Verzögerung sei die Zusammensetzung des Ausschusses, sagt Thomas Borel, Direktor für wissenschaftliche Angelegenheiten bei der Organisation Leem, die Arzneimittelunternehmen vertritt. Ihm zufolge handelt es sich um eine Branche, die sowohl Akteure aus der Chemie, dem Vertrieb als auch aus der Pharmaindustrie umfasst. “Wir haben begonnen, die Hebel zu identifizieren, die wir aktivieren könnten, wie das Ökodesign von Medikamenten und Verpackungen”, verteidigte der Leem-Vertreter. “Aber um auf Branchenebene voranzukommen, muss die Arbeit über alle Glieder hinweg durchgeführt werden.” Eine Strategie soll trotzdem bis zum ersten Quartal 2023 vorgelegt werden.
“Letztendlich handelt es sich um ein ziemlich administratives Vorgehen“, bedauert ein Experte für das Thema im Wirtschafts- und Finanzministerium, der die geringe politische Tragweite des Ansatzes hervorhebt.
Um dem Projekt doch noch Schwung zu verleihen, hat sich das Ministerium für eine neue Strategie entschieden und will sich auf die 50 Industriestandorte des Landes mit der höchsten Emissionsintensität konzentrieren. Die Regierung möchte die Strategie der Dekarbonisierung der Industrie gemeinsam mit den Wirtschaftsakteuren voranbringen. Dazu setzt das Ministerium auf sogenannte “Verträge zur ökologischen Wende” mit den Unternehmen. Deren Logik e bestehe darin, dass der Staat Investitionen in neue Technologien zur Dekarbonisierung unterstützen werde, wenn sich ein Unternehmen zu einem ehrgeizigen Fahrplan für die Dekarbonisierung verpflichte, heißt es in Paris.
“Branchenspezifische Fahrpläne ermöglichen es, die technologischen Hebel für eine ganze Branche zu identifizieren, können aber nicht zu genau sein. Indem wir uns für einen standortbezogenen Ansatz für die 50 größten Emittenten entscheiden, die für mehr als die Hälfte der Industrieemissionen verantwortlich sind, wollen wir effizienter sein und die Bewegung beschleunigen“, begründet das Kabinett seine Entscheidung.
Im März wird die im Finanz- und Wirtschaftsministerium ansässige Generaldirektion für Unternehmen eine erste Version der Verträge mit den betroffenen Standorten erstellen. Diese haben dann bis Juni Zeit, um sie umzusetzen. Claire Stam
Steinbeis Papier ist ein Kreislaufpionier. Um die Stoffkreisläufe für all seine Produkte zu schließen, entwickelt der Papierhersteller für diese sogar neue Recyclingverfahren. So wie für das jüngste Produkt, ein laugen- und nassfestes Etikettenpapier. Etikettenpapiere ließen sich bisher nicht recyclen. Deshalb startete man in Glückstadt in Schleswig-Holstein – parallel zur Entwicklung der neuen Papiersorte – die Entwicklung einer passenden Recyclingmethode. Mit dem neuen Verfahren lassen sich alle schwer auflösbare Altpapiersorten in den Kreislauf zurückführen.
Einen zirkulären Ansatz fordert die neue EU-Ökodesign-Verordnung bald von allen Herstellern. Was das für die Produktentwicklung in Unternehmen bedeutet, beschreibt Steinbeis-Geschäftsführer Ulrich Feuersinger: “Die Herausforderung ist, sich bereits bei der Idee neuer Prozesse und Produkte mit der Wiederverwertbarkeit aller Komponenten auseinanderzusetzen und nach Mitteln und Wegen zu suchen, diese möglichst effizient einer stofflichen Wiederverwertung zuzuführen. Genau das ist es, was wir bei Steinbeis schon immer beherzigen.” Das verlange in der Produktentstehung einige Schleifen mehr und erfordere oft weitere Investitionen, sagt Feuersinger: “Nachhaltigkeit ist Kern unseres Geschäftsmodells und die Optimierung und Überprüfung unserer Prozesse sind unser ständiger Wegbegleiter.”
Aus einem neuen Produkt (Etikettenpapier) entstand so bei Steinbeis eine Kreislauf-Innovation (neues Recyclingverfahren), die das Potenzial hat, eine ganze Branche voranzubringen: Denn die gemeinsam mit dem Technologiekonzern Andritz entwickelte Methode funktioniert nicht nur für Etiketten, sondern für alle beschichteten, nassfesten Papiere. Selbst die problematischen Verbundstoffe (kunststofflaminierte Altpapiere) oder feuchte Brauereietiketten lassen sich damit recyceln. “Heute werden diese Papiere der Verbrennung zugeführt. In Zukunft werden wir diese stofflich verwerten und wieder neues Papier daraus fertigen”, sagt Feuersinger.
Eine aktuelle Untersuchung der TU Darmstadt zeigt, dass selbst noch nach 25 Zyklen Papierfasern immer noch genügend Festigkeitspotential aufweisen, um daraus wieder Papier herstellen zu können. Die Autoren der Studie widersprechen damit der verbreiteten Meinung, Papierfasern könnten nur vier- bis siebenmal rezykliert werden. Voraussetzung für eine häufigere Wiederverwendung ist allerdings die saubere Abtrennung von Verunreinigungen und die Abtrennung von Papierproduktbegleitstoffen. Beides ermöglicht das von Steinbeis entwickelte Recyclingverfahren nun. “Man könnte also sagen, Papierfasern sind fast unendlich recyclingfähig”, kommentiert der Papierhersteller die Entwicklung.
30.000 Tonnen Altpapierrohstoff jährlich will sich das Unternehmen durch das Verfahren erschließen. In den Betrieb geht die neue Aufbereitungsanlage im laufenden Jahr. Jedes Jahr produziert Steinbeis in Glückstadt insgesamt 300.000 Tonnen Kopier-, Offset-, Etiketten- und Digitaldruckpapier aus 100 Prozent Altpapier. Die Produkte sind alle mit dem Blauen Engel zertifiziert.
In Kreisläufen nutzt Steinbeis Papier auch Energie und Wasser. Seit 2010 deckt ein CO2 armes Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk mit Wirbelschichttechnologie den kompletten thermischen und die Hälfte des elektrischen Energiebedarfes. Das Kraftwerk nutzt die Abfälle aus der eigenen Altpapieraufbereitung sowie Sekundärbrennstoffe aus gewerblichen und Siedlungsabfällen mit hohem biogenem Anteil. Die Ersatzbrennstoffe bereitet das Unternehmen in einer eigenen Anlage auf. Die Asche wiederum geht an das benachbarte Zementwerk und in den regionalen Straßenbau. Nach der geplanten Erweiterung des Kraftwerks sollen die letzten Reststoffe aus der Papierproduktion am Standort einer thermischen Verwertung zugeführt werden. “Damit werden wir für den gesamten Standort in Glückstadt und nicht nur für die Papierfabrik eine fast hundertprozentige Verwertungstiefe erreichen”, sagt Feuersinger.
Grüne Energie erzeugt die Steinbeis-Gruppe außerdem in Biogasanlagen, Solar- und Windparks. Für den weitgehend geschlossenen Wasserkreislauf wird Oberflächenwasser (kein Grundwasser) im hauseigenen Wasserwerk zu Betriebswasser aufbereitet, über in den Produktionsprozess integrierte Reinigungsanlagen mehrfach genutzt, bevor es über eine vollbiologische Kläranlage vollständig gereinigt zurück in die Elbe fließt.
Altpapierbeschaffung und Vorsortierung laufen ebenfalls in Eigenregie über eine Schwesterfirma. “Der direkte Kontakt zu den Entsorgern gibt uns die Nähe zum Markt und sichert unsere Rohstoffquellen. Darüber hinaus erlaubt uns diese Vorgehenseise eine möglichst regionale Beschaffung und damit die optimale Gestaltung kurzer Transportwege mit wenig Transport-Emissionen”, erklärt Feuersinger den Grund, warum man den Altpapierkauf nicht einfach den gängigen Strukturen überlässt.
Herr Kappel, Afrika wird das 21. Jahrhundert prägen, heißt es im neuen Konzept des BMZ. Findet sich das im Strategiepapier?
Wenn man das mal in den Mittelpunkt gestellt hätte. So etwas muss sich dann auch an Perspektiven beweisen. Was wir brauchen, ist ein Plan für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit. Doch Wirtschaftskooperation fehlt in der neuen Strategie fast völlig. Sie finden nichts zu der Frage, wie wir dem chinesischen Einfluss entgegenwirken wollen, aber viermal das Kürzel LGBT. Ich muss sagen: Dieses Konzept ist ein Rückschritt: zu wenig Perspektiven, zu unscharf.
Das BMZ setzt stark auf sozial-ökologischen Wandel, eine feministische Entwicklungspolitik und Wertevermittlung. Sind das die richtigen Schwerpunkte?
Die wirtschaftliche Dynamik des Kontinents wird viel zu wenig berücksichtigt. Das moderne Afrika ist in seiner Entwicklung viel weiter, als es in diesem paternalistischen Konzept erscheint. Bildung hat sich verbessert, es gibt Urbanisierung, eine wachsende Zahl von Unternehmen und Industrialisierung, Modernisierung der Landwirtschaft. Das genau ist die Schwäche dieser Strategie: Sie behandelt die Dynamik auf dem afrikanischen Kontinent nicht ausreichend.
Wie reagieren die Afrikaner eigentlich auf dieses Papier?
Das Erstaunen ist groß, dass schon wieder eine neue Strategie aus Deutschland kommt. In der afrikanischen Presse hat das zum Beispiel überhaupt kein Interesse gefunden. Wir sollten endlich akzeptieren, dass Afrika unseren bisherigen Approach in der Entwicklungspolitik nicht mehr will. Viele Staaten sind geradezu “entwicklungshilfemüde”. Sie wollen nicht mehr als Länder mit großem Nachholbedarf betrachtet werden, sondern als chancenreich. Genau das ist auch mein großer Kritikpunkt an dieser Strategie.
Entwicklungspolitik müsste doch Teil eines Gesamtkonzepts sein, zu dem auch Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik gehören. Es scheint allerdings, dass im Fall von Afrika die verschiedenen Ministerien wenig verzahnt sind?
Ich halte es für ein großes Versäumnis der Bundesregierung, dass es bis heute kein gemeinsames Vorgehen gibt. Das erklärt auch, weshalb es erneut eine Schlagseite hin zur Entwicklungskooperation gibt. Immerhin verfügt das BMZ für 2023 über einen Etat von zwölf Milliarden Euro. Das Auswärtige Amt sollte doch an Geostrategie und Sicherheitsfragen interessiert sein, das Wirtschaftsministerium an Außenhandel und Unternehmertum. Und das muss zu einer gemeinsamen Strategie gebündelt werden. Aber nach wie vor wirkt die deutsche Entwicklungspolitik wie in einem Kokon gefangen.
Was haben Sie gedacht, nachdem Sie die neue Afrika-Strategie gelesen hatten?
Eine Unmenge Details, aber kein Gesamtkonzept. Ein Bauchladen teils interessanter, aber auch widersprüchlicher Ideen. Ehrlich gesagt, war ich ziemlich enttäuscht.
6.2.2023, 12 Uhr
Online-Seminar Zukunft der Arbeitswelt: Digitalen Wandel gestalten für gute Arbeit (FES)
Das Seminar will auf Herausforderungen, Auswirkungen und Potenziale digitaler Technologien in der Arbeitswelt blicken, aktuelle Erkenntnisse der Forschung zum digitalen Wandel der Arbeitswelt vermitteln und praktische Beispiele diskutieren, wie Digitalisierung so gestaltet werden kann, dass sie zu besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten beiträgt. Info & Anmeldung
7.2.2023, 10:30 Uhr, Frankfurt am Main
Thementag im Rahmen der Ambiente 2023 Sustainable Office Day 2023 (B.A.U.M. e.V.)
Regelmäßig organisiert B.A.U.M. e.V. in Zusammenarbeit mit der Messe Frankfurt den Sustainable Office Day, den Thementag rund um das “grüne Büro”. Hier werden Praxisbeispiele und Lösungsansätze präsentiert. Darüber hinaus werden am Nachmittag die Preisträger des Wettbewerbs “Büro & Umwelt 2022” ausgezeichnet. Info & Anmeldung
7.2.2023, 17 Uhr
Webinar Sustainable.circular – Ist Circular Economy gleich nachhaltig? (BNW)
Im Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projektes “sustainable.circular” analysieren das Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production (CSCP) und der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) Potenziale, Problemstellungen sowie Unterstützungsbedarfe von KMU als Anbieter von “sustainable.circular”-Produkten & Dienstleistungen. Info & Anmeldung
8.2.2023, 14 Uhr
Online-Veranstaltung 2. Online-Themenforum “Wie können Wirtschaftende Energie einsparen und resilienter werden?” (Initiative nachhaltiges Wirtschaften)
Anhand von Praxisbeispielen werden Ansätze zur Implementierung von Nachhaltigkeitsaspekten sowie Förderungsmöglichkeiten aufgezeigt. Wirtschaftende können sich zu Herausforderungen, Lösungen und Erfahrungen austauschen. Info & Anmeldung
9.2.2023, 9:30 Uhr
Virtuelles Fachforum Nachhaltig und krisenfest – Fashionlogistik zukunftssicher aufstellen (Logistik Heute)
Experten aus Modeindustrie und Logistik diskutieren, wie Fashionanbieter und Logistikverantwortliche die richtige Nachhaltigkeitsstrategie finden sowie festigen und wie sie ihre Lieferkette zukunfts- und kreislauffähig aufstellen können. Info & Anmeldung
16.2.2023, 10:30 Uhr
Online-Seminar Einstieg in den Kompass Nachhaltigkeit (SKEW)
Wie können Vergabestellen den Kompass Nachhaltigkeit nutzen, um Ausschreibungen mit sozialen und ökologischen Kriterien erfolgreich durchzuführen? Info & Anmeldung
18.2.2023, Berlin
Symposium 50 Jahre Grenzen des Wachstums – wie weiter? (VDW)
Auf der Präsenz-Veranstaltung sollen die Entwicklungen der letzten 50 Jahre kritisch analysiert und das heutige Wissen genutzt werden, um Wege aufzuzeigen, wie die Klimaziele deutlich schneller zu erreichen sind. Auf einem eintägigen Symposium werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Konzepte zu deren Umsetzung diskutiert und der Öffentlichkeit präsentiert. Info & Anmeldung
Heute will die EU-Kommission ihre Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA präsentieren. Aus dem 18-seitigen Entwurf geht hervor, dass sich neue Produktionsbeihilfen auf Branchen konzentrieren sollen, die von Abwanderung bedroht sind. Um frisches Geld aus EU-Mitteln soll es später gehen. Das zeigt ein Entwurf des Hauptdokumentes, an den Contexte am Montag gelangte.
Für strategische grüne Industrien sollen Investitionsbeihilfen wie zum Beispiel Steuererleichterungen für Produktionskapazitäten ausgedehnt werden, um “mit Hilfen gleichzuziehen, die Wettbewerber für ähnliche Projekte außerhalb der EU erhalten”. Dies ist der direkteste Bezug auf die staatliche Unterstützung der USA in dem Entwurf. Mitgliedstaaten sollen aber auch “globale Finanzierungslücken” berücksichtigen können.
Die Investitionshilfen für Produktionskapazitäten sollen aber nicht nur zeitlich befristet sein, sondern auch “auf die Sektoren ausgerichtet [sein], in denen ein solches Verlagerungsrisiko festgestellt wurde”. Damit versucht die Kommission offensichtlich, Trittbrettfahrer in der Industrie von dem Geldregen auszuschließen.
Zudem ist die Kommission darauf bedacht, die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den EU-Ländern nicht zu verzerren: “Die Bestimmungen über Steuervergünstigungen würden es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre nationalen steuerlichen Anreize an ein gemeinsames System anzugleichen und so den Unternehmen in der gesamten EU mehr Transparenz und Berechenbarkeit zu bieten.”
Weitere Erleichterungen betreffen erneuerbare Energien. Beihilfefähig sind nun Investitionen in alle Technologien im Sinne der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Neu hinzu kommen damit vor allem Biomasseanlagen und Wasserkraftwerke. Förderfähig sind jetzt zudem Speicher für grünen Wasserstoff und Biokraftstoffe. Außerdem sollen die Fristen für die Inbetriebnahme ausgedehnt werden.
Zweitens soll es leichter Beihilfen für die Dekarbonisierung der Industrie geben. Wollte ein Betrieb bisher von der Verbrennung von Gas oder Kohle auf die Nutzung von Strom oder Wasserstoff umstellen, musste er zunächst umständlich Kosteneinsparungen über die gesamte Lebensdauer der Anlage ermitteln, um die beihilfefähigen Kosten zu bestimmen. Künftig soll ein pauschaler Anteil der Investitionskosten förderfähig sein.
Von dem vorübergehenden Krisenrahmen (TCF), also den befristet gelockerten Beihilferegeln, würden vor allem Unternehmen in reichen Mitgliedstaaten profitieren wie etwa Deutschland, Frankreich, Niederlande und Dänemark. Kleinere Mitgliedstaaten verfügen nicht über die notwendigen Haushaltsmittel, um von diesen Ausnahmen Gebrauch zu machen und Investitionen in nennenswerten Kategorien anzuschieben. Dieses Ungleichgewicht bei den finanziellen Ressourcen droht für Verwerfungen auf dem Binnenmarkt zu sorgen. Um zu verhindern, dass die innovativen Industrien in ärmeren Mitgliedstaaten zurückbleiben, schlägt die Kommission eine Flankierung aus EU-Mitteln vor. mb/mg
Mit dem Programm “REACT with impact” will das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ab März gemeinwohlorientierte Unternehmen unterstützen. Zur Begründung sagte Staatssekretär Sven Giegold (Grüne) am Freitag: “Sozialunternehmen stärken das Gemeinwohl mit wirtschaftlichen Mitteln, ab jetzt stärkt auch der Staat Sozialunternehmen.”
Das Förderprogramm richtet sich an Unternehmen, deren primäres Ziel es ist, sozial und ökologisch zu wirken. Dies könne eine Bürgergenossenschaft sein, ein Start-up, das Lebensmittel vor dem Verfall rette oder ein Unternehmen, das geflüchteten Menschen Arbeit biete. Laut Ministerium können die Förderungen ab Anfang März beantragt werden, allerdings nicht in Form von direkten Zuschüssen. Gefördert würden individuell durchgeführte Beratungs- und Unterstützungsleistungen, die den Unternehmen bei der Professionalisierung und Stabilisierung helfen.
So solle zum Beispiel die Attraktivität von Start-up-Unternehmen für Investoren erhöht werden, indem ihr Geschäftsmodell überprüft werde, unternehmerische Kompetenzen gestärkt und Methoden zur quantitativen Wirkungsmessung vermittelt werden. Vom Gesamtprogramm sollen laut BMWK mehrere hundert Unternehmen und Unterstützungsstrukturen wie Gründungszentren profitieren. Insgesamt stünden 89,6 Millionen Euro zur Verfügung. Die Richtlinie des Förderprogramms wird Anfang Februar im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Auf das ursprünglich für 2021 angekündigte Förderprogramm wartet das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) schon ungeduldig. Die drei größten Herausforderungen von Sozialunternehmen seien eine fehlende Startfinanzierung, zu wenig Möglichkeiten der Anschlussfinanzierung und die Komplexität öffentlicher Finanzmittel. In einem offenen Brief an Robert Habeck und Bettina Stark-Watzinger forderte das Netzwerk Anfang Januar unter anderem eine verbesserte Finanzierung für Sozialunternehmen.
Zur anstehenden Veröffentlichung des Programms sagt Arnd Boekhoff, Mitglied im Vorstand von SEND: “Das Programm REACT with Impact ist seit eineinhalb Jahren überfällig. Viele Sozialunternehmen und ihr Ökosystem hätten insbesondere seit letztem Frühjahr diese und weitere Unterstützung bitter nötig gehabt.” Nun sei es wichtig, von der Bundesregierung schnell zu erfahren, wie das Ökosystem für Sozialunternehmen über 2023 hinaus gestärkt würde und wann endlich direkt wirksame Unterstützung durch geeignete Finanzierungsinstrumente kommen. sk
Mit einer Grundgesetzänderung sollen Kommunen in Deutschland befähigt werden, die notwendigen Maßnahmen gegen die Klimakrise zu finanzieren. Umweltorganisationen, Gewerkschaften, Sozial- und Kommunalverbände haben deshalb ein gemeinsames Forderungspapier vorgelegt. Es trägt den Titel “Allen Kommunen sozial gerechten Klimaschutz ermöglichen”. Zentraler Punkt: Klimaschutz und Klimaanpassung sollen als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz.
“Wir Kommunen wollen Treiber des sozial-ökologischen Wandels werden, brauchen aber die Unterstützung von Bund und Ländern bei dieser globalen Herausforderung”, sagte Kölns Bürgermeister Andreas Wolter (Grüne) anlässlich der Vorstellung des Papiers. Wolter ist gleichzeitig Vorsitzender des Klima-Bündnisses, das zu den Initiatoren gehört. Weitere Unterzeichner sind der DGB, die IG BAU, ver.di, die Umwelthilfe, Germanwatch, die Klima-Allianz, das Institut für Kirche und Gesellschaft sowie Misereor und der WWF.
Die Kommunen sind entscheidend bei der Eindämmung der Klimakrise. Auf sie entfällt der Großteil der Investitionen der öffentlichen Hand, alleine rund 60 Prozent beim Bau der öffentlichen Infrastruktur. Doch gerade kleinere Städte und Gemeinden fehlen dafür oft die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen.
Laut Grundgesetz gelten Aufgaben als Gemeinschaftsaufgaben, wenn sie für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse erfordern. Das treffe auf den kommunalen Klimaschutz zu, ist sich die bekannte Klima-Anwältin Roda Verheyen sicher – und rät in einem Rechtsgutachten zur Ergänzung des Grundgesetzes. Eine Mischfinanzierung durch Bund, Länder und Kommunen werde dadurch zulässig. Darauf setzen auch die Verfasser des Forderungskatalogs. Sie rechnen für den kommunalen Klimaschutz mit Ausgaben in Milliardenhöhe – bei einem bereits bestehenden Investitionsstau auf kommunaler Ebene von 159 Milliarden Euro.
Neben einer angemessenen Finanzierung wird die bessere Schulung der Beschäftigten, eine Aufstockung des Personals in den Verwaltungen und ein umfassendes kommunales Klimaschutzmanagement gefordert. Nur so sei zu erreichen, dass bei der Fülle von Aufgaben bis spätestens 2045 fast alle 11.000 Kommunen klimaneutral sind. ch
Am 9. Februar stimmt der Umweltausschuss (ENVI) über seine Stellungnahme zum Sorgfaltspflichten-Gesetz ab. Die EU-Abgeordneten, allen voran ENVI-Berichterstatter Tiemo Wölken (SPD), wollen sich unter anderem darauf einigen, dass weitaus mehr Unternehmen unter das Gesetz fallen, als die Kommission vorschlägt. Das geht aus den vorläufigen Kompromissen hervor, die Europe.Table einsehen konnte.
Demnach sollen Unternehmen ab 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Jahresumsatz unter das Gesetz fallen. Der Ausschuss will zudem vorschlagen, die Risikobranchen insbesondere um den Energiesektor zu erweitern. Zudem sehen die Kompromisse einen risikobasierten Ansatz vor. Der Ausschuss nimmt damit die Forderungen der federführenden Berichterstatterin Lara Wolters auf, die wie Tiemo Wölken der S&D-Fraktion angehört.
Alles in allem orientieren sich die Kompromisse stark an der EU -Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (CRSD). Das wird etwa an der Definition der nachteiligen Umwelteinwirkungen ersichtlich. Folgende Kategorien sollen abgedeckt werden:
Zu weiteren Änderungen gehört, dass Klima als impliziter Teil des Sorgfaltspflichten-Prozesses abgehandelt wird. Unternehmen sollen zudem Klimaübergangspläne ausarbeiten, angelehnt an die Vorgaben des CRSD. Bei Firmen mit rund 1.000 Mitarbeitern soll sich die Bezahlung von Direktoren danach richten, wie sie die Klimaübergangspläne umsetzen.
Neben dem ENVI müssen noch drei weitere Ausschüsse ihre Stellungnahmen abgeben. Im März stimmt der federführende JURI-Ausschuss ab, im Mai geht der Text ins Plenum. cw
Der ökologische Landbau verursacht im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft deutlich geringere gesellschaftliche Folgekosten. Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie der TU München, die auf der Internationalen Grünen Woche vorgestellt wurde. Danach beträgt die Ersparnis pro Hektar etwa 750 bis 800 Euro. Hochgerechnet auf die Öko-Anbaufläche in Deutschland von 1,8 Millionen Hektar (2021) entspricht dies jährlich 1,5 Milliarden Euro.
Hubert Heigl, Vorsitzender der bayerischen Landesvereinigung für den ökologischen Landbau (LVÖ), begrüßte den klaren Befund: “Wer die Umwelt belastet, verursacht Kosten, die letztlich die gesamte Gesellschaft aufbringen muss. Wer die Umwelt entlastet, erspart der Gesellschaft diese Kosten.” Heigl sprach sich deshalb für “die möglichst schnelle Erreichung des 30-Prozent-Ziels” aus. Gemeint sind die Pläne der Bundesregierung, wonach bis zum Jahr 2030 mindestens dreißig Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet werden sollen. Derzeit sind es knapp zehn Prozent.
Laut Studie trägt der ökologische Landbau vor allem durch fünf Maßnahmen zur Verminderung von Umweltkosten bei:
Die Studie “Umwelt- und Klimawirkungen des ökologischen Landbaus” wurde an der TU München unter Leitung von Professor Kurt-Jürgen Hülsbergen erstellt. Als Datenbasis dienten vor allem Untersuchungsergebnissen im “Netzwerk von Pilotbetrieben”. Das Forschungsprojekt hat zwischen 2009 und 2021 die Umwelt- und Klimawirkungen von vierzig ökologischen und vierzig konventionellen Betrieben in verschiedenen Agrarregionen Deutschlands untersucht.
Ihr Fazit: “Je schneller die Umstellung auf ökologischen Landbau erfolgt und je größer die Öko-Anbaufläche ist, umso größer ist die Umweltentlastung und Kosteneinsparung für die Gesellschaft”. ch
Viele Unternehmen des produzierenden Gewerbes haben kaum Fortschritte bei der Ausrichtung ihrer Lieferketten an ESG- und Nachhaltigkeitskriterien gemacht.
Das zeigt die Umfrage “The State of ESG in Manufacturing”, die jüngst von der Unternehmensberatung Assent in Zusammenarbeit mit der Fachpublikation Industry Week veröffentlicht wurde. Befragt wurden rund 150 Führungskräfte aus den USA und Europa.
Danach haben bisher nur 24 Prozent der Unternehmen Maßnahmen zur Umsetzung und Kontrolle von ESG- und Nachhaltigkeitskriterien etabliert, einschließlich ihrer Lieferketten. 35 Prozent der Firmen sind erst dabei, solche Strukturen zu entwickeln, während 41 Prozent damit noch am Anfang stehen. Das birgt erhebliche Gefahren. Denn laut UN Principles for Responsible Investment ist der überwiegende Teil von Verstößen gegen Nachhaltigkeits- und ESG-Prinzipien auf Aktivitäten lokaler Zulieferer zurückzuführen. Dessen sind sich auch die Befragten bewusst. 47 Prozent bejahen schon jetzt eine große Abhängigkeit, wenn es um die Einhaltung von ESG- und Nachhaltigkeitskriterien geht. 59 Prozent erwarten, dass diese in den kommenden Jahren sogar noch zunehmen wird.
Gleichzeitig ist das Verhältnis zu den Zulieferern häufig nicht gut. So glauben 26 Prozent der Befragten, die Zulieferer könnten oder wollten die ESG- und Nachhaltigkeitsziele überhaupt nicht erreichen. 49 Prozent beschreiben ihre Erwartungen als neutral. Nur ein Viertel der Manager zeigen sich in dieser Hinsicht optimistisch. ch
Republicans vow to probe US banks and asset managers’ ‘ESG agenda’ in Congress – Financial Times
Der Kulturkampf um “Woke Capitalism” geht in den USA in die nächste Runde. Nach Plänen der Republikaner sollen Banken und Investmentfirmen demnächst vor dem Kongress Rede und Antwort stehen. Ihr Frontmann Andy Barr ist überzeugt: Das Finanzsystem wurde durch die “intolerante Linke” okkupiert. Zum Artikel
Investoren fordern mehr Diversität in Führungsgremien deutscher Unternehmen – HANDELSBLATT
Tanja Kewes berichtet über einen steigenden Druck von Geldgebern auf Unternehmen beim Thema Diversität. Allianz Global Investors ist beispielsweise davon überzeugt, dass vielfältig besetzte Führungsmannschaften “bessere Ergebnisse liefern und innovativer sind”. Unternehmen, die den steigenden Anforderungen nicht genügen, drohen demnach schlechtere Zugangsbedingungen zu Eigenkapital. Zum Artikel
Reichen die Rohstoffe für die E-Auto-Pläne? – FAZ
Corinna Budras und Tobias Piller berichten in der FAZ über eine Prognose des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) zu den Rohstoffmengen für die 15 Millionen E-Autos, die bis 2030 auf deutschen Straßen fahren sollen. Zum Artikel
Wie nachhaltig wird das Automobil der Zukunft? – PLASTIKVERARBEITER
Der PLASTVERARBEITER berichtet über ein Konsortialprojekt von Industrie und Wissenschaft zur Reduktion des CO₂-Fußabdrucks künftiger Automobile. Das Projekt “Future Sustainable Car Materials” wird von BMW geleitet. Es geht um neue Recyclingverfahren und alternative Materialkonzepte. Der Automobilkonzern treibt parallel die branchenweite Plattform Catena-X voran, die als “branchenweites Daten-Ökosystem” das Zusammenspiel von Herstellern und Zulieferern verbessern soll, schreibt das Magazin. Zum Artikel
“Slow Food ist heute politischer” – SZ
Anika Mester interviewt Edward Mukibi, den neuen Präsidenten von Slow Food. Er berichtet unter anderem von dem Projekt “10.000 Gärten in Afrika”, bei dem Gemeinschaftsgärten angelegt und Wissen geteilt werden. Nach drei bis vier Jahren würden die Bauern das Gelernte anwenden, sagt Mukibi: “Saatgutbänke entstehen. Erträge und Vielfalt steigen”. Das Einkommen steige und die Lebensverhältnisse verbesserten sich. Bislang gebe es rund 5.000 solcher Gärten in Afrika. Zum Artikel
Pilotprojekt: Flächenschonende biobasierte Rohstoffe – CHEMANAGER
Bio-Chemikalien gelten als klimafreundliche Alternative zur Petrochemie. In der Kritik steht bei der Nutzung von Biomasse jedoch der Flächenverbrauch. Über eine neue, flächenschonende Alternative berichten Wolf Raber und Kai Bastuck im CHEMMANAGER. Dabei produzieren Mikroalgen die Bio-Chemikalien ressourcenschonend aus bisher ungenutzten organischen Abfallreststoffen. Zum Artikel
Der Stoff, den alle wollen … – DIE ZEIT
Marc Widmann berichtet über den Versuch von Timo Bollerhey und Markus Exenberger, einen Markt für grünen Wasserstoff zu schaffen, der bisher nicht existiert. Beide waren Berater für die deutsche Entwicklungshilfe und haben sich gefragt, wie man einen geregelten Markt für grünen Wasserstoff schaffen will. Organisiert werden soll der Handel über die Stiftung H”H, der sich 54 Unternehmen angeschlossen haben. Die Gründer erwarten hohe Anlaufverluste, sie werden daher von der Bundesregierung mit einer Zuwendung von 900 Millionen Euro unterstützt. Zum Artikel
“Das Label ist im Grunde tot” – DIE ZEIT
Astrid Geisler und Hannah Knuth im Gespräch mit Raul Roßman: Der Geschäftsführer von Rossmann erläutert, warum die Drogeriemarktkette ihre eigenen Produkte nicht mehr als klimaneutral bewerben und das Budget für Kompensation anderweitig ausgeben will. Der Manager hält Klimaneutral-Label im Grunde “für tot” und bedauert, dass damit ein Anreiz für Unternehmen verloren gehe, “Geld für den Klimaschutz auszugeben”. Zum Artikel
Indonesia embraces resource nationalism – THE ECONOMIST
Die Autoren des Economist berichten, Indonesien wolle seinen protektionistischen Kurs bei der Rohstoffgewinnung weiterverfolgen und denke etwa über ein Ausfuhrverbot von Bauxit nach, was für die Aluminiumherstellung gebraucht wird. Nach dem Verbot der Ausfuhr von Rohnickel 2020 seien im ganzen Land Nickel-Hütten entstanden und die Hersteller von Batterien bauten Fabriken. Die Ausfuhren von Nickel-Erzeugnissen seien um den Faktor zehn höher als 2013. Zum Artikel
Wie das Gift auf den Apfel kommt – SZ
Uwe Ritzer, Sophie Menner und Natalie Sablowski berichten in einem lesenswerten Schwerpunkt über den Einsatz von Pestiziden beim Obstanbau in Südtirol. Grundlage ist die Auswertung von Betriebsheften von 681 Apfelbauern aus dem Vinschgau im Jahr 2017. In der Anbausaison wurden die Plantagen demnach im Schnitt alleine 38-mal mit Pestziden behandelt. Forscher stufen dies als “sehr viel” ein. Zum Artikel
Best Practise: Fertigung mit Gleichstrom klimaneutral stellen – PRODUKTION
Am Beispiel der Schaltbau GmbH zeigt die PRODUKTION, wie sich Ökonomie und Ökologie bei der Umstellung auf eine klimaneutrale Fertigung (Scope 1 und Scope 2) für mittelständische Unternehmen in Deutschland verbinden lassen. Gesamtprojektleiter Michael Ettl gibt im Interview mit Dietmar Poll Tipps für die Konzepterstellung und Umsetzung. Zum Artikel
Kapitalismus in der Klimakrise – OXI
Der Agrarökonom Alfred Müller legt im linken OXI-Blog (Motto: Wirtschaft anders denken) dar, warum die Bewältigung der Klimakrise nicht ohne den Aufbau einer post-kapitalistischen Gesellschaft zu haben ist. Und das alles “so schnell wie möglich”. Zum Artikel
Für Tagesschau und Tagesthemen gehörte es am 12. Januar zu den wichtigsten Nachrichten: Der schwedische Staatskonzern LKAB hatte bei der Suche nach Eisenerz zufällig mehr als eine Million Tonnen Seltene Erden gefunden, mehr als das Vierfache der derzeitigen weltweiten Jahresproduktion.
Seltene Erden, das sind 17 Elemente, die für die Herstellung von Dauermagneten für Windkraftanlagen, Elektromotoren, Brennstoffzellen oder Leuchtmitteln gebraucht werden – also für Technologien, die in der Klimawende unabdingbar sind. Die Elemente heißen Neodym, Praseodym, Lanthan oder Yttrium. Noch nie wurden sie in so großer Menge in Europa gefunden. Entsprechend groß war die mediale Aufmerksamkeit.
Bislang bezieht Europa die Seltenen Erden, die es für eine klimafreundliche Transformation dringend benötigt, vor allem aus China. Die Abhängigkeit von dem asiatischen Land ist groß, obwohl die Seltenen Erden – anders als ihr Name vermuten lässt – gar nicht so selten sind. Beispielsweise kommen sie auch im sächsischen Storkwitz vor. Nur werden sie dort nicht abgebaut, weil das nicht wirtschaftlich wäre.
Doch leider ist der schwedische Fund kein Gamechanger, der Europa helfen könnte, seine Abhängigkeit von China in diesem für eine klimafreundlichere Wirtschaft so wichtigen Bereich zu reduzieren.
Schon in den 2010er-Jahren wurde 95 Prozent der globalen Fördermenge Seltener Erden in China abgebaut. Ihre hohe technologische Bedeutung machte sie schon damals zu einem potenziellen Druckmittel. Bis heute hängt unsere Versorgung mit Seltenen Erden von China ab: Von den 280.000 Tonnen Seltener Erden, die im Jahr 2021 weltweit bergbaulich gefördert wurden, kamen 70 Prozent über China auf den Markt – entweder weil man sie in dem Land selbst abbaute, oder weil China sie kaufte, bevor sie im Inland weiter verwendet oder erneut exportiert wurden.
Wir brauchen neue Bezugsquellen. Doch die schwedische Entdeckung hilft uns dabei nur begrenzt weiter: Die Konzentration an Seltenen Erden im erzhaltigen Gestein beträgt am Fundort nur 0,2 Prozent, sagt Jens Gutzmer, Leiter des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie in Freiberg und einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet: viel niedriger als beispielsweise in den Minen Mountain Pass (USA) mit 3,8 Prozent oder in Bayan Obo (China), mit drei bis fünf Prozent Erzgehalt. Das bedeutet, dass in den neuen Lagerstätten sehr viel Gestein bewegt werden muss, um vergleichsweise wenig Seltene Erden zu fördern. Es macht den Abbau teuer und die ökologischen Schäden groß.
Selbst wenn die Förderung der Seltenen Erden in Schweden in den kommenden zehn bis 20 Jahren einen gewissen Anteil der Weltproduktion erreichen würde, bleibt die Frage ihrer Verarbeitung ungeklärt. Auch hier hat China aktuell einen Marktanteil von 85 Prozent, wie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe mitteilt. Und die chinesischen Reserven an Seltenen Erden werden auf bis zu 44 Millionen Tonnen geschätzt.
Unsere Abhängigkeit von China wird also bestehen bleiben – es sei denn, wir lernen, besser mit wertvollen Rohstoffen wie den Seltenen Erden umzugehen. Wir hätten die Möglichkeiten dazu. Seltene Erden können recycelt werden, doch obwohl sie für die Zukunftstechnologien so wichtig sind, ist die Kreislaufwirtschaft für Seltene Erden in Europa bisher nur mangelhaft etabliert. Immer wieder wird darauf verwiesen, wie wichtig Seltenen Erden für Windanlagen oder Elektromotoren sind, und damit dafür, dass die Energiewende gelingt.
Dennoch werden sie verschwendet. Dem Klima schadet das ganz erheblich, denn der Bergbau und die Weiterverarbeitung von Metallen tragen zwischen zehn und 15 Prozent zu den globalen CO₂-Emissionen bei.
Aktuell liegt der Anteil von recyceltem Material an der Gesamtnutzung von Seltenen Erden in Deutschland bei deutlich unter zehn Prozent. Das heißt, mehr als 90 Prozent muss durch Bergbau gewonnen werden. Ansätze wie Substitution – denn tatsächlich gibt es auch Windkraftanlagen ohne Seltene Erden – oder ein Ausbau der Kreislaufführung, erhalten zu wenig Aufmerksamkeit.
Das für März von der EU-Kommission angekündigte Kritische Rohstoffgesetz (Critical Raw Materials Act) wird hier entscheidende Rahmenbedingungen richtig setzen müssen:
Ganz grundsätzlich muss der Anteil des Bergbaus an der Metallnutzung reduziert werden – und mit ihm die Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen, die so häufig mit dem Bergbau einhergehen. Deutschland und Europa brauchen eine echte Rohstoffwende, die den Schutz von Mensch und Umwelt ins Zentrum der Politik stellt.
Die neu entdeckten schwedischen Vorräte sind unter den aktuellen Umständen schnell verbraucht – falls sie überhaupt abgebaut werden können. Denn eine Sache ging in der Euphorie der Berichterstattung völlig unter: Die Sami, auf deren Land die Seltenen Erden gefunden wurden, haben ihre Zustimmung zum Abbau noch nicht erteilt.
Michael Reckordt ist Programmleiter Rohstoffe und Ressourcengerechtigkeit bei PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie-& Weltwirtschaft e.V. in Berlin.
Das Spezialgebiet von Constanze Haug ist der Emissionshandel, in der EU und in anderen Staaten weltweit der wichtigste Mechanismus, um Emissionen zu senken und die Klimakrise zu bekämpfen. Mehr als zwei Dutzend Systeme gibt es, ähnlich viele sind in der Planung. Da braucht es viel Fachwissen.
Anfang des Jahres ist Haug bei Adelphi zur Geschäftsführerin aufgestiegen. Die Denkfabrik berät Ministerien, Organisationen und Unternehmen unter anderem mit Blick auf die Klimakrise. Haug ist seit 2013 dabei, leitete mehr als sechs Jahre dort das Büro der International Carbon Action Partnership (ICAP), wo sie Vertreter von Regierungen aus mehr als 40 Ländern an den Tisch brachte. So könne zum Beispiel Japan von Erfahrungen aus Kalifornien lernen – “das geht viel besser hinter verschlossenen Türen”, sagt Haug.
Die EU beschloss im Dezember ihren Emissionshandel (ETS) auszubauen, für Gebäude und Verkehr kommt ein zweiter Mechanismus dazu. Angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage war Constanze Haug überrascht über “so ein ambitioniertes Ergebnis“.
Klimapolitik ist international, es geht um Verhandlungen zwischen Staaten, Regionen, Kontinenten. Auch darum geht es Constanze Haug, sie hat zunächst Internationale Beziehungen studiert, Anfang der 2000er Jahre spezialisierte sie sich dann auf Klimapolitik und den Emissionshandel. Ein internationales Thema, aber auch ein interdisziplinäres, für das Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen zusammenarbeiten müssen. Das mache die Verhandlungen so spannend, sagt Constanze Haug.
Sie kennt aber auch die Grenzen des ETS. Der Emissionshandel sei da gut, wo Vermeidungskosten für Unternehmen und Haushalte nicht exorbitant hoch seien, und wo es auch realistische umweltfreundliche Alternativen gebe. Und da seien die Unterschiede zwischen den EU-Staaten riesig, etwa zwischen West- und Osteuropa. Mit Adelphi hat Haug ein Projekt in Mittel- und Osteuropa begleitet. In Rumänien zum Beispiel würden viele Menschen aus Kostengründen wieder auf Holz umsteigen, so Haug – ein Problem für Wälder und die Feinstaubbelastung.
Der ETS sieht auch vor, dass Verbraucherinnen und Verbraucher künftig für ihre Emissionen zahlen. Deshalb stelle sich überall die Frage, wie die Mitgliedsstaaten Haushalte mit niedrigem Einkommen entlasten können. Auch in Deutschland: “Wir scheinen nicht dazu in der Lage zu sein, direkte Zahlungen an die Haushalte zu organisieren”, sagt Haug. Sie ergänzt: “Ich hoffe, dass jemand im Ministerium gerade daran arbeitet”.
Adelphi hat bisher vor allem Ministerien und internationale Organisationen beraten, die ICAP organisiert. In Zukunft soll der Fokus auch auf privaten Unternehmen liegen, die sich auf die Klimakrise einstellen wollen. Mit dem ETS habe die EU einen stabilen Rahmen geschaffen, mit dem Unternehmen planen können. Jetzt müsse es in die Tiefe gehen, sagt Haug. “Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, sich langfristig, strategisch darauf einzustellen.” Jana Hemmersmeier
Seit vergangener Woche sind in der EU ganz offiziell Hausgrillen als Lebensmittelzutat erlaubt. Eine Ausweitung der “Novel-Food-Verordnung” ermöglicht, die Insekten gefroren, getrocknet oder als Pulver zu verarbeiten. Ab morgen gilt das auch für Larven des Getreideschimmelkäfers.
“Äußerst nahrhaft, reich an Proteinen und Omega-3-Fettsären”, freuen sich die einen. “Absolut ekelhaft”, sagen die anderen. In jedem Fall: genug Sprengstoff. Dabei ist die Debatte nicht neu. Wanderheuschrecken und Mehlwürmer sind schon seit Monaten als Novel Food auf dem Markt. In manchen Regionen der Welt gehören Insekten seit Jahrhunderten zu den Grundnahrungsmitteln.
Doch die Diskussion wird in schöner Regelmäßigkeit aufgewärmt. Und jede Fliege – respektive Grille – in der Suppe ist ein gefundenes Fressen für die Nörgler-Community, um sich beim Koch oder in den sozialen Netzwerken über die Gesamtsituation zu beschweren.
Der bayrische Teilzeit-Ernährungswissenschaftler Hubert Aiwanger (freie Wähler) etwa hat es satt, “dass Fleischverzehr von Rind/Schwein/Geflügel kritisiert wird, aber Insekten ins Essen sollen. Früher wurde ein Lebensmittelbetrieb bei Mehlwürmern und Schaben geschlossen, heute soll es ,in’ sein, damit Veganer ihr tierisches Eiweiß bekommen”, schrieb der Landes-Wirtschaftsminister auf Twitter.
Und weil die Idee der veganen Ernährung darin besteht, auf tierische Produkte generell und damit auch auf Insekten zu verzichten, setzte Aiwanger nach: “Der Veganer weiß am Ende gar nicht, dass ihm Insekten untergemischt werden.” Das geschehe ohne das Wissen der Konsumenten und womöglich sogar aus Fürsorge.
Die EU-Kommission erklärte: “Niemand wird gezwungen, Insekten zu essen. Nein: Die EU mischt nicht heimlich Insektenpulver in den Kuchenteig.” Vielmehr gebe es eine klare Kennzeichnungspflicht.
Doch was ist mit dem Wohl der Insekten? Die bestehenden EU-Vorschriften für Nutztierhaltung sind kaum auf die Aufzucht und Schlachtung von Grillen, Heuschrecken oder Mehlwürmern anwendbar, da sind sich die meisten Experten einig.
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, fordert, “dass die Insekten ohne Antibiotika, Hormone oder andere Chemikalien produziert werden” und der Bioverband Naturland hat eigene Richtlinien für die ökologische Insektenzucht inklusive Fütterung festgelegt.
Bis zum Ende des Jahres will die Kommission die EU-Vorschriften zum Tierschutz überarbeiten. Dass es dann ein eigenes Kapitel für intensive Massen-Insektenhaltung geben wird, gilt aber als unwahrscheinlich. Denn es fehlt schlicht die Zeit für eine umfangreiche Folgenabschätzung. Timo Landenberger