Table.Briefing: ESG

Nachhaltigkeitsmanager: Verbreitete Unzufriedenheit + Lieferketten: Warum die Bundesregierung gegen EU-Recht verstoßen könnte

Liebe Leserin, lieber Leser,

Alexander Kraemer hat Anfang 2024 die Sustainability People Company mitgegründet. Ihr Ziel: Nachhaltigkeitsmanager stärken und ihnen Jobs vermitteln. “Der Beruf verändert sich gerade im Raketentempo”, sagt er. Eine Umfrage habe kürzlich ergeben, dass die Hälfte von ihnen das Unternehmen wechseln möchte. Für einige sei die Arbeitsbelastung zu hoch, viele seien desillusioniert. Lesen Sie in dieser Ausgabe das Interview meines Kollegen Nicolas Heronymus.

Wie die am vergangenen Freitag vorgestellte Wachstumsinitiative der Bundesregierung die Dekarbonisierung eher verlangsamen als beschleunigen könnte, analysiert Alex Veit. Ein internes Papier deutet zudem darauf hin, dass sich der Kohleausstieg weiter verzögern könnte – und sich das Bundeswirtschaftsministerium vom 2030er-Ziel verabschiedet.

Über die Entwicklungen rund um das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) berichtet Caspar Dohmen. Die Juristin Anne-Christin Mittwoch hat im Auftrag der NGOs Oxfam und Germanwatch ein Gutachten erstellt. Ihr Ergebnis: Die Abschwächung des LkSG durch die Bundesregierung könnte gegen EU-Recht verstoßen.

Wir laden Sie außerdem herzlich zu zwei Webinaren zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ein: Am morgigen 11. Juli um 11 Uhr diskutiert Marc Winkelmann mit zwei Gästen über die Bedeutung der Wesentlichkeitsanalyse für Unternehmen. Hier können Sie sich anmelden. Und am 19. Juli um 12 Uhr geht es darum, wie KMU die Anforderungen meistern. Dafür können Sie sich hier registrieren.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!

Ihre
Leonie Düngefeld
Bild von Leonie  Düngefeld

Analyse

Nachhaltigkeitsmanager: “Fast die Hälfte überlegt, ihr Unternehmen zu verlassen”

Alexander Kraemer arbeitet an der Stärkung von Nachhaltigkeitsverantwortlichen.

Herr Kraemer, Sie haben eine Umfrage unter Nachhaltigkeitsmanagern in Deutschland gemacht. Wie ist die Stimmung?
Anfang dieses Jahres hatte ich den Eindruck, dass es im Nachhaltigkeitsmanagement eine Kündigungswelle geben könnte. Unsere Umfrage zeigt jetzt, dass fast die Hälfte der über 500 von uns befragten Nachhaltigkeitsverantwortlichen überlegt, ihr Unternehmen zu verlassen. Für 40 Prozent ist die Arbeitsbelastung zu hoch. 65 Prozent der unzufriedenen Befragten sagen, dass sie desillusioniert sind.

Warum fühlen sich Nachhaltigkeitsverantwortliche desillusioniert?
Nachhaltigkeit ist nichts Freiwilliges mehr. Sie ist Pflicht geworden. Es gibt mehr Struktur und die Themen wandeln sich von freiwilliger Transformation in regulierte Kommunikation. Der Beruf “Nachhaltigkeitsmanager” verändert sich gerade im Raketentempo. Die Mehrheit der Nachhaltigkeitsverantwortlichen berichtet, dass mittlerweile jeder Text von einem Anwalt oder einer Anwältin geprüft wird. Dadurch scheint die Rechtsabteilung plötzlich viel wichtiger als die inhaltliche Arbeit. Die Mehrheit der Nachhaltigkeitsmanager sind Quereinsteiger, die ihren Job aus purer Leidenschaft machen und etwas verändern wollen. Diese sind gut vernetzt in den Unternehmen und verstehen, wie man intern Themen platziert und vorantreibt.

Gleichzeitig sind viele mit ihrem Job zufrieden, wie die Umfrage zeigt. Um die 90 Prozent bewerten die Arbeitsinhalte und eine hohe Gestaltungsfreiheit als positiv. Wie erklären Sie diesen scheinbaren Widerspruch?
Die Hauptaufgabe der Nachhaltigkeitsverantwortlichen ist zwar immer noch die Transformation, aber derzeit geht es viel um Regulierung – um Strukturen, Prozesse, Daten und Checkboxen. Das ist etwas anderes, als aktiv die Transformation voranzutreiben. Viele sind hochgradig intrinsisch motiviert, aber auch desillusioniert, weil sie merken, dass sie gerade viele Excellisten ausfüllen. Was sie eigentlich wollen, ist, Unternehmen zu transformieren, so dass sie im Kerngeschäft mit regenerativen, erfolgreichen Geschäftsmodellen in die Zukunft gehen.

Der Job eines Nachhaltigkeitsverantwortlichen ist geprägt von Widersprüchen gepaart mit hohen Anforderungen an Resilienz. Wenn es interne Treiber gibt für die Transformation, kann die Arbeitsbelastung hoch sein, jedoch haben die Nachhaltigkeitsverantwortlichen das Gefühl, dass sich etwas bewegt. Wenn der Gegenwind zu stark wird, laufen sie gegen Windmühlen, die sich nur sehr langsam bewegen oder gar stillstehen. Dann gehen sie, denn sie sind woanders sehr gefragt.

Liegt die Unzufriedenheit also auch an den Berichtspflichten, mit denen sich immer mehr Unternehmen beschäftigen müssen?
Total. Ich bin ein großer Fan von den Berichtspflichten, weil viele Unternehmen stärker motiviert werden müssen, überhaupt etwas zu machen. Viele Nachhaltigkeitsmanager haben sich auch Regulierung gewünscht. Jetzt ist sie da. Aber das bedeutet eben, dass sich die Aufgaben von Nachhaltigkeitsverantwortlichen ändern. Gleichzeitig sieht man bereits, dass die Unternehmen mit einem hohen Reifegrad beim Nachhaltigkeitsmanagement schon wieder inhaltlich an der Transformation arbeiten.

Wie lange dauert es für ein Durchschnittsunternehmen, die regulatorischen Anforderungen umzusetzen?
Ich gehe davon aus, dass es ungefähr zwei bis drei Jahre dauert. Im ersten Jahr baut man die Strukturen und Prozesse auf. Im zweiten Jahr validiert und korrigiert man diese. Und im dritten Jahr ist das Ganze grob eingespielt. Ein guter Trend ist, dass das Reporting in die Finanz- oder Compliance-Abteilung wandert. Die Nachhaltigkeitsabteilungen bauen die Themen mit auf und übergeben diese, und so werden wieder Kapazitäten frei.

Sie sagten, viele Nachhaltigkeitsverantwortliche sind Quereinsteiger. Erwarten Sie eine Professionalisierung der Rolle – wegen der komplexeren regulatorischen Anforderungen?
Ich glaube, dass es eine extreme Professionalisierung gibt. Man sieht jetzt auf dem Jobmarkt, dass Personen mit vier bis fünf Jahren Berufserfahrung in der Berichterstattung nach nationalen und internationalen Berichtsstandards sehr, sehr gefragt sind. Es gibt dazu eine Studie von einer Beratungsfirma, die ergab, dass die Stellenausschreibungen in dem Bereich sich in wenigen Jahren verfünffacht haben. Alle Unternehmen, die Erfahrungsträger:innen suchen, werden schwer fündig. Wir haben herausgefunden, dass die Rahmenbedingungen stimmen müssen: Es müssen flexible Arbeitszeiten und -orte ermöglicht werden.

Mit Blick auf die Zahl der Quereinsteiger würde ich behaupten, dass es erst der Anfang ist, viele Nachhaltigkeitsverantwortliche sind bereits in den Unternehmen, aktuell in anderer Funktion. Denn meine Beobachtung ist, dass sich oft sämtliche Fachabteilungen mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Es gibt dann unter anderem einen Verantwortlichen für nachhaltigen Einkauf. Oft ist das aber noch ein “Add on”. Ich hoffe, dass Nachhaltigkeit in fünf bis zehn Jahren integraler Bestandteil vom Einkauf ist. Den Anstoß dafür gibt es bereits durch die deutsche und europäische Regulierung für Lieferketten, weil sich künftig jedes Unternehmen mit diesen Themen beschäftigen muss. Andere Fachabteilungen wie Personal folgen gerade mit ersten Schritten in diese Richtung.

Wie werden sich die Aufgaben von Nachhaltigkeitsmanagern dadurch verändern, dass viele verschiedene Abteilungen im Unternehmen an Nachhaltigkeit arbeiten?
Die Rolle befindet sich gerade im Wandel. Früher waren viele Nachhaltigkeitsmanager so etwas wie ein “Jack of all trades” – sie mussten alles ein bisschen können: Umwelt, Klima, Wasser und Menschenrechte zum Beispiel. Als ich vor zwölf Jahren ins Nachhaltigkeitsmanagement eingestiegen bin, habe ich zu 80 Prozent gemeinsam mit der Geschäftsleitung und den Führungskräften internes Change-Management gemacht.

Jetzt gehen wir stärker in die Regulierungs- und Spezialisierungsphase. Wir sehen es besonders in den Großkonzernen. Da gibt es Spezialisten für fast jedes Thema. Ich glaube aber, dass es eine Art Diffusion geben wird, viele Fachabteilungen sich den Themen annehmen und so wieder Kapazitäten für die Nachhaltigkeitsverantwortlichen und die Transformation zu regenerativen Geschäftsmodellen frei wird. Meine Vermutung ist, dass es wieder kleinere Nachhaltigkeitsteams geben wird, die regelmäßig Impulse setzen, weiterhin die interne Politik machen und Veränderungsprozesse durchführen.

Welche Art von Veränderungsprozessen würden diese Teams typischerweise anstoßen?
Die Transformation hin zu einer nachhaltigen oder sogar regenerativen Wirtschaft. Das ist aus meiner Sicht der nächste Schritt – das Lösen weg von den Checkboxen und hinein in die Veränderung der Zahlen, Daten, Fakten und Geschäftsmodelle. Das heißt, da kommt – jetzt schon absehbar – die nächste Welle auf uns zu. Im positiven Sinne natürlich.

Alexander Kraemer arbeitet seit zwölf Jahren im Nachhaltigkeitsmanagement und hat Anfang 2024 die Sustainability People Company mitgegründet. Ihr Ziel: Nachhaltigkeitsverantwortliche zu stärken und Experten an Unternehmen zu vermitteln. Zudem gründete er 2018 die Peer School for Sustainable Development mit, die heute Lernraum für über 200 Nachhaltigkeitsverantwortliche ist. Die Umfrage ist hier verfügbar.

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Energie: Wie die Wachstumsinitiative der Dekarbonisierung widerspricht

Kohleausstieg bis 2030 oder Wirtschaftswachstum? Die Bundesregierung scheint letzteres vorzuziehen.

Die am Wochenende vorgestellte Wachstumsinitiative der Bundesregierung soll die Konjunktur ankurbeln, doch die Dekarbonisierung der Energieversorgung könnte dadurch eher verlangsamt werden. Immerhin legte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) nach längerer Verzögerung neue Einzelheiten zu den geplanten Back-up-Kraftwerken vor.

Ist der Kohleausstieg 2030 noch erreichbar?

Die Unterschiede im nun angekündigten “Kraftwerkssicherheitsgesetz” zu den erstmals im Februar vorgestellten Kraftwerksplänen lassen offen, ob Deutschland den von der Ampel avisierten Kohleausstieg 2030 noch erreichen kann.

  • Das BMWK erhöht die geplante Förderung für Back-up-Kapazitäten, mit denen in Zeiten einer Dunkelflaute fehlender Solar- und Windstrom ersetzt werden soll. Hinzugekommen ist die Modernisierungsförderung für bestehende Gaskraftwerke im Umfang von zwei Gigawatt (GW), die für Wasserstoff fit gemacht werden sollen, sowie eine Pilotförderung für Langzeitspeicher.
  • Trotz der Erhöhung bleibt der Ausbau von nun 13 GW Kapazität weiter unter der Marke von 17 bis 21 GW, die von der Bundesnetzagentur als notwendig berechnet worden ist, um Kohlekraftwerke zu ersetzen.
  • Auch ein internes Papier des BMWK deutet auf einen Abschied vom 2030er-Ziel hin. Gesetzlich ist 2038 das letztmögliche Ausstiegsdatum.

Hoffen kann die Bundesregierung, dass neue Speicher und flexible Verbraucher die Kohlemeiler unnötig machen werden. “Hinsichtlich der benötigten Gesamtleistung haben wir aus heutiger Sicht noch eine hohe Unsicherheit, da unklar ist, inwiefern andere Flexibilitäten im Jahr 2030 bereits genutzt werden können”, sagte dazu Patrick Jochem vom Institut für Vernetzte Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Teilrückzug vom Wasserstoff in neuen Kraftwerken

Bei den Kraftwerksneubauten rückt das BMWK teils vom grünen Wasserstoff ab:

  • Bislang sollten die geförderten Neubauten alle Wasserstoff-fähig sein. Nun gilt dies lediglich noch für etwas mehr als die Hälfte.
  • Die restlichen neuen Gaskraftwerke mit insgesamt fünf GW sollen hingegen auch mit Biogas betrieben werden oder mittels CCS-Technik entstehendes CO₂ aus der Gasverstromung abfangen und einlagern können.

Für den erwünschten “Hochlauf” des Markts für grünen Wasserstoff – der in der Wachstumsinitiative von der Bundesregierung erneut rhetorisch unterstrichen wird – entfallen diese Großverbraucher also potenziell.

 “Das Kraftwerkssicherheitsgesetz kann die Grundlage schaffen, um die dauerhafte Sicherung der Stromversorgung auch ohne die CO₂-intensiven Kohlekraftwerke zu gewährleisten”, sagte dazu Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas. “Flexible und moderne Gaskraftwerke spielen hier eine zentrale Rolle, da sie die notwendige Stabilität im Stromnetz sicherstellen und sich gleichzeitig auf den Betrieb mit Wasserstoff umstellen lassen.”

Weniger begeistert äußerte sich Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe. “Die in der Wachstumsinitiative der Bundesregierung enthaltene Kraftwerksstrategie darf kein Konjunkturprogramm für fossile Gaskraftwerke werden”, sagte er zu Table.Briefings. “Stattdessen braucht der Ausbau der erneuerbaren Energien auch weiterhin einen verlässlichen Investitionsrahmen und kostendeckende Preise.”

Systemische Änderungen bei der Erneuerbaren-Förderung

Doch gerade beim Erneuerbaren Energiegesetz, das den Ausbau der Stromerzeugung aus Wind und Sonne lukrativ macht (zugleich jedoch bei der Bundesregierung hohe Kosten verursacht), plant die Bundesregierung eine systemische Umstellung, die den weiteren Ausbau verlangsamen könnte.

Schon im nächsten Jahr soll bei Neuanlagen die Absicherung gegen negative Preise weitgehend entfallen. Später soll dann die Förderung von geliefertem erneuerbarem Strom durch bloße Investitionsbeihilfen ersetzt werden. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), in dem ein Teil der Branche organisiert ist, warnt davor. “Das Experiment eines radikalen Wechsels hin zu Investitionskostenzuschüssen birgt die Gefahr der Marktverunsicherung und Investitionszurückhaltung”, sagte BEE-Präsidentin Simone Peter.

Stabilisierung der Netzentgelte

Viele Unternehmen hatten eine Senkung der Entgelte für die Stromnetze gefordert. Der Ausbau der Stromnetze, um erneuerbare Energie im Land zu verteilen, kostet große Summen, die auf die Verbraucher umgelegt werden. Da der Strompreis maßgeblich ist für die Dekarbonisierung der Industrie wie auch für die Umstellung auf E-Autos und Wärmepumpen, stellt die Bundesregierung nun wenigstens eine Stabilisierung der Netzentgelte in Aussicht.

Geprüft werde dazu die Einführung eines so genannten Amortisationskontos: Dafür streckt die Bundesregierung einen Teil der Kosten vor, die dann über einen längeren Zeitraum von den Stromverbrauchern zurückbezahlt werden.

Förderung für weitere Gasprojekte

Der Punkt “Gasversorgung sichern und diversifizieren” der Wachstumsinitiative widerspricht der Dekarbonisierung schließlich diametral. Demnach sollen für den Import von Erdgas Ausnahmeregelungen in Garantieinstrumente der Außenwirtschaftsförderung eingebaut werden.

Voraussetzung sei, dass neue Erdgas-Projekte die globale “1,5 Grad-Grenze” der Klimaerhitzung einhalten und “Lock-in-Effekte” vermeiden, also keine bindenden Investitionen in fossiles Gas darstellen. Die neuen Gasimportprojekte sollen aber vor allem “die nationale Sicherheit oder geostrategische Versorgungssicherheitsinteressen” wahren.

“Es lässt aufhorchen, dass die Regierung offenbar weiterhin die Erschließung von Erdgasquellen im Ausland vorantreiben will”, kommentierte Tina Löffelsend, Klimaschutzexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), im Gespräch mit Table.Briefings. “Genau das ist aber klimapolitisches Harakiri und muss unbedingt vermieden werden.”

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Lieferketten: Warum die Bundesregierung gegen EU-Recht verstoßen könnte

Hat im Haushaltspoker der Bundesregierung eine möglicherweise rechtswidrige Abschwächung des Lieferkettengesetzes durchgedrückt: Finanzminister Lindner.

“Die neue EU-Lieferkettenrichtlinie zum Anlass zu nehmen, den Geltungsbereich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und die Anzahl der erfassten Unternehmen so drastisch einzuschränken, ist europarechtswidrig”, sagt die Juristin Franziska Humbert von Oxfam zu Table.Briefings mit Blick auf die geplante Abschwächung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) durch die Bundesregierung. “Würde das Lieferkettengesetz in dieser Form abgeändert, riskiert die Bundesregierung ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.”

Humbert beruft sich auf ein Gutachten, das Oxfam und Germanwatch bei der Juristin Anne-Christin Mittwoch von der Universität Halle-Wittenberg in Auftrag gegeben haben. Das Gutachten unter dem Titel “Möglichkeiten und Grenzen der Gestaltung des Anwendungsbereiches des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bei der Umsetzung der Corporate Sustainability Due Dilligence Directive (CSDDD)” liegt Table.Briefings vor. Das Bundesarbeits-, das Bundesjustiz- und das Bundeswirtschaftsministerium wollten auf Anfrage die Hauptaussage des Gutachtens nicht kommentieren, solange es ihnen nicht vorliegt.

Konkret geht es um das sogenannte Verschlechterungsverbot, geregelt in Art 1. Abs. 2 der europäischen CSDDD. Wörtlich heißt es in der EU-Richtlinie: “Diese Richtlinie darf nicht als Rechtfertigung für eine Senkung des in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten oder in zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Tarifverträgen vorgesehenen Niveaus des Schutzes der Menschenrechte, Beschäftigungs- und sozialen Rechte oder des Umwelt- oder Klimaschutzes dienen.”

Verschlechterung des Schutzniveaus ist gegeben

Genau dies wäre nach Ansicht der Wissenschaftlerin aber der Fall, wenn die Bundesregierung ihre geplanten Änderungen des LkSG umsetzen würde. Zwei Voraussetzungen gebe es laut CSDDD, um einen Verstoß zu belegen: Erstens müsse es zu einer Verschlechterung des Schutzniveaus gegenüber dem nationalen Recht kommen. Zweitens müsse die CSDDD der Rechtfertigungsgrund für die Änderung sein. Beide Bedingungen sieht die Juristin im Fall der geplanten Änderungen der Bundesregierung beim LkSG als erfüllt an. Mit Blick auf die zweite Voraussetzung verweist sie auf den engen zeitlichen Kontext der jetzigen Änderungen und der Verabschiedung der CSDDD.

Die EU-Richtlinie 2024/1760 war am 5. Juli 2024 im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden. Am selben Tag legte die Bundesregierung ihre Wachstumsinitiative vor, einschließlich der Abschwächung des LkSG. Demnach fallen rund zwei Drittel weniger Unternehmen als bislang unter das nationale LkSG. Allerdings würden sie nur für eine begrenzte Zeit befreit. Denn gemäß Art. 37 CSDDD muss “fünf Jahre nach Inkrafttreten der CSDDD die Schwelle der 1.000 Arbeitnehmer im nationalen Recht wieder erreicht werden”.

Nach Ansicht der Gutachterin spricht das Verschlechterungsgebot der CSDDD für einen Beibehalt der bestehenden Schwelle beim nationalen LkSG. Hier greift in Deutschland bereits eine Lieferkettenregulierung für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern. Manche Experten sehen das als einen Vorteil für Unternehmen an, weil diese sich einen Wettbewerbsvorteil bei der Umsetzung der Regelung erarbeiten können, andere sehen darin einen Wettbewerbsnachteil. Die Bundesregierung will ausschließen, dass für hiesige Unternehmen aufgrund der deutschen Regelung früher Lieferkettenverpflichtungen gelten als für Unternehmen aus anderen EU-Ländern durch die europäische Regulierung.

Erhebliche Folgen hätten die Veränderungen des LkSG auch für laufende Verfahren: “In der Praxis könnte das bedeuten, dass Betroffene, die derzeit vor deutschen Behörden um ihre Rechte kämpfen, mitten im Verfahren hängen gelassen werden, weil das involvierte Unternehmen plötzlich von seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen befreit wird”, sagt Cornelia Heydenreich, Leiterin des Bereichs Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. “Zudem werden Unternehmen, die aktuell unter das Gesetz fallen, zeitweise von ihren Pflichten befreit, nur um diese dann nach einem Jahr wieder erfüllen zu müssen. Das ist das Gegenteil der von Unternehmen immer geforderten Rechts- und Planungssicherheit.”

Lindner will CSDDD-Umsetzung zum spätestmöglichen Zeitpunkt

Die CSDDD werde zum “europarechtlich spätestmöglichen Zeitpunkt umgesetzt”, sagte Finanzminister Lindner am Freitag. Für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einer Umsatzschwelle von 450 Millionen Euro greift die Richtlinie dann in Deutschland ab 2029. Größere Unternehmen sind vorher betroffen. Lieferkettengesetze gibt es allerdings auch in anderen EU-Mitgliedsländern, etwa Frankreich oder den Niederlanden.

Ausgeschlossen wäre nach Ansicht der Juristin Mittwoch nach dem Verschlechterungsgebot der CSDDD auch eine Aussetzung des LkSG, weil sich damit das Schutzniveau für Menschenrechte verschlechtern würde. Eine solche Aussetzung der nationalen Regelung hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck erwogen, aber dann verworfen.

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Termine

11. Juli 2024, Berlin
Diskussion unIT-e² Talks: Elektromobilität – Netze – Klimaneutralität (Veranstalter: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V.) Info & Anmeldung

11. Juli 2024, 12-13 Uhr, Online
Webinar Technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit von Elektrolyseprojekten (Veranstalter: Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein) Info & Anmeldung

12. Juli 2024, 10:00 bis 12:00 Uhr, Online
Webinar Incentive Schemes to Promote Sustainable Mobility Behaviour (Veranstalter: Umweltbundesamt, Difu und ConPolicy GmbH) Info & Anmeldung

12. und 13. Juli 2024, Berlin
Tagung Netzwerktreffen Nachhaltigkeit – Unternehmen & Organisationen als Hebel für Female Empowerment (Veranstalter: Marziplan) Info & Anmeldung

12. bis 14. Juli 2024, Kochel am See
Seminar Alpen im Klimawandel – zukünftige Herausforderungen (Veranstalter: Georg-von-Vollmar-Akademie) Info & Anmeldung

15. Juli 2024, 13-14 Uhr, Online
Vortrag Globale Nachhaltigkeitsdiplomatie in Krisenzeiten – Bericht vom Hochrangigen Politischen Forum der UN 2024 (Veranstalter: Sustainable Development Solutions Network) Info & Anmeldung

16. Juli 2024, 18-19:30 Uhr, Leipzig
Webinar Vom Labor in die Wirtschaft – Forschungstransfer und Startup (Veranstalter: Friedrich-Naumann-Stiftung) Info & Anmeldung

16.-17. Juli 2024, Fulda
Tagung Lernwerkstatt kommunale Klimafolgenanpassung 2024 (Veranstalter: Zentrum KlimaAnpassung) Info & Anmeldung

17. Juli 2024, 13:30-16 Uhr, Online
Webinar Klimastrategie (Veranstalter: Future Camp Climate GmbH) Info & Anmeldung

News

ESG-Daten: Wie Banken- und Versicherungsverbände Unternehmen bei der Erhebung helfen wollen

Mit einem ESG-Datenkatalog wollen die Verbände der privaten und öffentlichen Banken (Bankenverband und VÖB) sowie der Versicherungswirtschaft (GDV) große Unternehmen dabei unterstützen, relevante Daten für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erheben. Der Katalog listet auf elf Seiten den Datenbedarf von Banken und Versicherungen gegenüber berichtspflichtigen Großunternehmen und soll so eine Orientierungshilfe bieten.

Zielgruppe des Katalogs sind laut den Autoren große Unternehmen, die von der europäischen Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) betroffen sind. Kleine und mittelständische Unternehmen sind explizit nicht angesprochen. Der Katalog orientiere sich an den folgenden gesetzlichen Regeln und Methoden:

  • an der CSRD und den dazugehörigen Standards (ESRS),
  • der EU-Taxonomieverordnung
  • der EU-Offenlegungsverordnung,
  • am BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken,
  • sowie den Entwürfen der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) für Leitlinien zum Management von ESG-Risiken

Er beinhaltet allgemeine Daten zur Nachhaltigkeit der Unternehmen sowie Datenpunkte zu den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Diese sind in 20 Fragenkomplexe unterteilt.

Bei der Entwicklung des Katalogs haben Bankenverband, VÖB und GDV mit Verbänden aus der Realwirtschaft wie dem Verband deutscher Treasurer (VDT) zusammengearbeitet. Ihr Ziel sei, die zunehmend detaillierteren ESG-Datenabfragen bei Unternehmen weiter zu harmonisieren. leo

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Grüne Unternehmer: Was es braucht, damit die Verkehrswende in Fahrt kommt

Die Wirtschaftsvereinigung der Grünen e. V. beklagt in einem Perspektivpapier, dass die Verkehrswende in Deutschland zu langsam vorankommt. Insbesondere der plötzliche Wegfall der Umweltprämie im Dezember habe zu einer “nachhaltigen Verunsicherung” der Autokäufer geführt. “Hier braucht es einen Kurswechsel, der Planungssicherheit und ein klares Bekenntnis zur Elektrifizierung beinhaltet”, fordert der Verein, bei dem rund 250 Unternehmen wie Aldi, Amazon Deutschland, Siemens und Audi Mitglied sind.

Finanzielle Anreize und Fördermittel

Das Papier, das Table.Briefings vorliegt, wurde vom Kompetenzcluster “Mobilität” des Verbandes erarbeitet und trägt den Titel “Elektromobilität auf die Straße bringen – was es noch braucht, damit Deutschland im emissionsfreien Verkehr richtig durchstartet”. Fünf Maßnahmen seien dafür von zentraler Bedeutung:

  • Ausbau des Ladenetzes: Ohne bedarfsgerechtes Netz keine E-Mobilität. Der Hochlauf der Fahrzeuge und der Ausbau des Netzes müssten Hand in Hand gehen.
  • E-Fahrzeuge attraktiv machen: Der entscheidende Faktor bei E-Fahrzeugen sei der höhere Anschaffungspreis. Denkbar sei daher ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer und eine Anpassung der Dienstwagenbesteuerung zugunsten von E-Autos.
  • Vorreiter bei E-Lkw werden: Um den Hochlauf von E-Lkw und deren Ladeinfrastruktur zu ermöglichen, brauche es ein investitionsfreundliches regulatorisches Umfeld und Förderungen.
  • Den Hochlauf zentral und digital organisieren: Die Ausbaustrategien für die Ladenetze müssten besser aufeinander abgestimmt werden. Mit digitalen Stromnetzen könnten Netzkapazitäten effizienter genutzt werden.
  • ÖPNV-Ausbau ohne Emissionen: Für den Ausbau und die Elektrifizierung des ÖPNV müssten mehr Mittel bereitgestellt werden. Allein für die vollständige Elektrifizierung der Stadtbusse würden 24 Milliarden Euro benötigt.

Neuzulassungen von E-Autos weiter rückläufig

Aktuelle Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes zeigen, dass der Markt für Elektroautos in Deutschland weiter schwächelt. Während im ersten Halbjahr 2024 rund 1,47 Millionen Pkw neu zugelassen wurden – und damit 5,4 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum -, gingen die Neuzulassungen von Elektroautos um 16,4 Prozent zurück. ch

  • E-Autos
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Fossile Investitionen: Aus welchen Ländern Geld in Öl, Gas und Kohle fließt

4,3 Billionen US-Dollar haben institutionelle Anleger derzeit in Anleihen und Aktien in Unternehmen investiert, die in fossilen Energieprojekten aktiv sind. Auf diese Summe kommt die Finanzrecherche “Investing in Climate Chaos“, die von der deutschen NGO Urgewald und weiteren 13 Partnerorganisationen durchgeführt wurde. Zu den 7.500 institutionellen Anlegern, deren Daten in die Recherche eingeflossen sind, gehören Pensionsfonds, Versicherer, Vermögensverwalter, Hedgefonds, Staatsfonds, Stiftungsfonds und Vermögensverwaltungstöchter von Geschäftsbanken. Abgeglichen wurden ihre Angaben mit den Datenbanken “Global Coal Exit List” und “Global Oil and Gas Exit List“, in denen 2.900 Unternehmen aus der fossilen Energieindustrie aufgeführt sind.

Mit großem Abstand führend sind die Vermögensverwalter Vanguard und Blackrock aus den USA. Beide haben jeweils mehr als 400 Milliarden US-Dollar in Öl-, Gas- und Kohlegeschäfte angelegt. Unter den zehn größten Investoren, die von Urgewald aufgeführt werden, sind acht in den Vereinigten Staaten beheimatet. Insgesamt wurden mehr als 65 Prozent der Geldanlagen in der Aufstellung von US-amerikanischen Firmen investiert.  

“Dies zeigt, dass US-Regulierungsbehörden es bisher versäumen, die Klima- und Transformationsrisiken großer institutioneller Anleger wirksam zu überwachen und anzugehen”, sagt dazu Alec Connon von der Kampagne Stop the Money Pipeline.  

Deutschland findet sich auf Rang 10 der Weltrangliste. Größter deutscher Investor ist mit 25 Milliarden Dollar die Deutsche Bank auf Rang 30 der globalen Anlegerliste, insbesondere durch ihre knapp 80-prozentige Beteiligung an der DWS-Vermögensverwaltung. Die DWS hält laut Urgewald trotz einer firmeneigenen Kohle-Richtlinie weiterhin Anteile im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar an Unternehmen in diesem Bereich. Aus Sicht der NGO sollten Ausnahmeregelungen in der Richtlinie geschlossen werden, um diese Investments zu beenden.  

Eine Sprecherin von DWS verwies auf Anfrage von Table.Briefings auf die jährliche Überprüfung der Kohle-Richtlinie. DWS-Ziel sei eine “vollständige Einstellung des Einsatzes von Kohle” in der EU und OECD-Ländern bis 2030. Dasselbe gelte für alle anderen Länder bis 2040.   

Noch größer ist das deutsche Engagement im Bereich Öl und Gas, in denen Deutsche Bank und DWS zusammen 23 Milliarden US-Dollar investiert haben – dicht gefolgt von der Allianz-Gruppe und ihren Töchtern Pimco und AGI. Urgewald kritisiert insbesondere Investitionen in das Unternehmen ExxonMobil, das im fossilen Bereich expandiert und aktivistische Aktionäre verklagt hat, die eine Kursänderung vorgeschlagen haben.

Die DWS-Sprecherin wollte sich nicht zu einzelnen Portfoliounternehmen äußern. Jedoch sei das Unternehmen “in Fällen, in denen wir keine Fortschritte durch den Dialog erkennen können” bestrebt, “unsere Stimmrechte entsprechend einzusetzen oder uns öffentlich im Rahmen der jeweiligen Hauptversammlung zu äußern.” Letztlich könnten solche Unternehmen auch “aus bestimmten Produkt-Portfolios” entfernt werden. av

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Must-reads

“Sollen wir Bürokratie ausgerechnet bei der Nachhaltigkeit abbauen?” – Spiegel
Die Nachhaltigkeitsberichtspflichten seien zwar arbeitsintensiv, sagt die grüne Finanzpolitikerin Katharina Beck im Gespräch mit Michael Sauga. Aber Unternehmen könnten mit den Daten Risiken einschätzen, Lieferketten umbauen und neue Geschäftsfelder entwickeln. Bürokratie will sie etwa durch die Harmonisierung des deutschen Lieferkettengesetzes mit den Nachhaltigkeitsberichtspflichten verringern. Zum Interview

Klimabericht: Seit einem Jahr knackt jeder Monat die 1,5-Grad-Marke – Der Standard
Der Juni 2024 war der wärmste Juni seit Beginn der Datenaufzeichnungen. Er lag 1,5 Grad über dem geschätzten Juni-Durchschnitt der vorindustriellen Referenzperiode von 1850 bis 1900, heißt es in einer Meldung im “Standard”. Dies gehe aus den Daten des EU-Klimadienstes Copernicus hervor.  Wie schon die zwölf Monate zuvor sei die 1,5-Grad-Marke erreicht oder überschritten worden. Zum Artikel

So heizen Deutschlands Millionenstädte – FAZ
Der Energieversorger Eon hat statistische Daten zu Heiztechnologien für München, Hamburg, Berlin und Köln ausgewertet, berichtet Nadine Bös. Das Ergebnis: Fernwärme sei besonders beliebt; in drei der Städte sei bereits jedes dritte Haus an das Fernwärmenetz angeschlossen. Dennoch sei der Anteil an fossilen Heizungen nach wie vor hoch: 40 Prozent aller CO₂-Emissionen sind auf den Gebäudesektor zurückzuführen. Zum Artikel

Habeck erwartet “Nachfrageschub” für E-Autos – durch Dienstwagen – Handelsblatt
Die Zahl der Neuzulassungen von Elektroautos sei nach dem Förderstopp der Bundesregierung eingebrochen, heißt es im “Handelsblatt”. Die Bundesregierung wolle nun gegensteuern und rückwirkend zum 1. Juli eine Sonderabschreibung für neu zugelassene E-Autos einführen. Außerdem sollen künftig Dienstwagen bis zu einem Listenpreis von 95.000 Euro steuerlich begünstigt werden. Zum Artikel

The Fight Over China’s Electric Cars Is Upside-Down – Foreign Policy
Umweltschützer fordern Zölle auf grüne Produkte, deutsche Autohersteller sind dagegen: Paul Hockenos wundert sich über die europäische Debatte zu E-Auto-Zöllen gegen chinesische Importe. Shang-Jin Wei von der Columbia Business School schlägt einen “Win-win-win”-Kompromiss vor: eine globale CO₂-Steuer und ein ebenso globales Subventionsschema für E-Autos. Zum Artikel

Analyse von Geldanlagen: Wie nachhaltig sind “grüne Fonds”? – Tagesspiegel
Eine Recherche der Voxeurop-Gruppe hat aufgedeckt, dass EU-regulierte grüne Fonds im letzten Jahr über 87 Milliarden US-Dollar in die emissionsstärksten Branchen investiert haben. Katharina Kalinke und ihre Co-Autoren kritisieren, dass der Begriff “Nachhaltigkeit” rechtlich nicht definiert sei und Fondsgesellschaften den Interpretationsspielraum nutzten. Auch würden ESG-Ratings für die Bewertung der Fonds keinen einheitlichen Maßstab bieten. Zum Artikel

Nachhaltiges Investieren: “Den Amerikanern sind wir fünf bis zehn Jahre voraus” – Manager Magazin
Grüne Geldanlagen geraten vor allem in den USA zunehmend in die Kritik. Im Interview mit Christian Schütte erklärt ESG-Experte Daniel Sailer, warum das Interesse der Anleger dennoch steigt. Analysen würden darlegen, dass Unternehmen mit einem guten ESG-Rating bessere Gewinne und Aktienkursrenditen erzielen als der Gesamtmarkt. Investoren in Europa hätten durch den Green Deal und die EU-Taxonomie außerdem einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Zum Artikel

It Takes Too Many Studies for the Government to Do the Right Thing – The New York Times
Das SunZia-Projekt im US-Bundesstaat New Mexico soll 2026 ans Netz gehen. Der riesige Windpark gelte als größtes Erneuerbare-Energien-Projekt in der westlichen Hemisphäre. Eine eigens gebaute, rund 800 Kilometer lange Stromleitung werde den Ökostrom ins Netz einspeisen. Aus Sicht von Robinson Meyer ist das eigentlich ein Grund zum Feiern – wären da nicht die langwierigen Genehmigungsverfahren, insbesondere für die Stromleitung. Denn SunZia sei bereits 2006 geplant worden. Zum Artikel

Northvolt: Drei Tote und 26 Unfälle in der Batteriefabrik verunsichern Schweden – Neue Zürcher Zeitung
Der schwedische Batteriehersteller Northvolt wollte eigentlich die umweltfreundlichsten Batterien der Welt herstellen, stehe aber wegen Verzögerungen und Qualitätsminderungen in der Produktion sowie Arbeitsunfällen in der Kritik, berichtet Linda Koponen. In den letzten sechs Monaten seien drei Mitarbeiter ums Leben gekommen, weitere 26 schwer verletzt worden. Die deutsche Regierung hatte Northvolt noch im März Subventionen in Höhe von 900 Millionen Euro zugesprochen. Zum Artikel

Standpunkt

Weshalb die Bundesregierung Kriterien für nachhaltige Wasserstoffimporte braucht

Von Christiane Averbeck und Joachim Fünfgelt

Die Wasserstoff-Importstrategie kommt in einer wichtigen Phase, denn die Wasserstoff-Euphorie ist vorbei. Projekte kommen schwer in Gang und es ist nicht absehbar, woher die benötigten Mengen an erneuerbarem Wasserstoff kommen sollen, wie zuletzt auch der Nationale Wasserstoffrat signalisierte.

Viele Industrieunternehmen möchten ihre Produktion auf Wasserstoff umstellen. Sie befürchten jedoch, in eine Versorgungslücke zu laufen. Deshalb will die Bundesregierung mit der Importstrategie das Tempo erhöhen und möglichst diversifizierte Bezugsquellen aufbauen. Eine einseitige Abhängigkeit wie von russischem Gas soll sich beim Wasserstoffimport nicht wiederholen. 

Mit großer Sorge beobachten wir, dass es innerhalb der Bundesregierung nun Bedenken gibt, ob angesichts der Dringlichkeit Nachhaltigkeitskriterien in die Importstrategie aufgenommen werden sollten. Manche befürchten, dass solche Kriterien die Beschleunigung und Diversifizierung der Produktion hemmen könnten.

Die Ampel-Koalition hat in ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie von 2023 jedoch zugesagt, Nachhaltigkeitskriterien gemäß der Agenda 2030 zu berücksichtigen. Dieses Versprechen zu halten, fordern weite Teile der Zivilgesellschaft, Entwicklungsorganisationen, Thinktanks und der Nationale Wasserstoffrat schon seit langem. 

Ohne Nachhaltigkeitskriterien keine Planungssicherheit, Akzeptanz und Gerechtigkeit

Für den Klimaschutz ist es wichtig, dass die Importstrategie Kriterien verankert, die sicherstellen, dass ausschließlich erneuerbarer, grüner Wasserstoff gefördert wird. Darüber hinaus darf in Erzeugerländern der Wasserstoffexport nicht dazu führen, dass erneuerbarer Strom einzig zur Produktion von Wasserstoff verwendet wird, statt fossile Energie zu verdrängen. Dann wäre für das Klima nichts gewonnen.

Für die Planungssicherheit von Unternehmen ist es entscheidend, dass rechtzeitig klare Anforderungen für die Einfuhr von Wasserstoff und Derivaten wie Ammoniak geschaffen werden. Wenn Investoren verunsichert darüber sind, welche Bedingungen nachhaltiger Wasserstoff erfüllen muss, wird die Entwicklung des Marktes gebremst.

Wasserstoffexporte müssen die Lebenssituation der Menschen vor Ort verbessern, auch damit Akzeptanz wachsen kann. Aktuell ist die Skepsis gegenüber den Projekten in der Zivilgesellschaft verschiedener Länder in Afrika oder Südamerika aber groß. Dieses Misstrauen ist nachvollziehbar angesichts des andauernden Extraktivismus wie etwa beim Rohstoffabbau, durch den natürliche Ressourcen exportiert werden, Umweltschäden aber vor Ort zurückbleiben. Gegen den Protest der Bevölkerung werden Wasserstoffprojekte kaum erfolgreich sein können.

Von Anfang an sollten im Sinne der Gerechtigkeit in Ländern des Globalen Südens Wertschöpfung, Innovationen und Jobs geschaffen sowie Schäden vermieden werden. Klare Kriterien helfen, Landnutzungskonflikte oder die Verschlechterung der lokalen Wasserversorgung zu verhindern.

Darüber hinaus leiden die Menschen in vielen potenziellen Exportländern unter Energiearmut. Milliarden Menschen haben keinen verlässlichen Zugang zu Strom oder emissionsarmen Kochmöglichkeiten. Aus solchen Regionen Energie in Form von Wasserstoff zu importieren, ohne dabei lokale Energiearmut deutlich zu verringern, wäre nicht tragbar.

Wasserstoff darf in diesen Ländern nicht nur für den Export produziert werden. Er muss zu einem relevanten Teil auch vor Ort zur Dekarbonisierung, zur Wertschöpfung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. So kann etwa der Aufbau einer eigenen Stahlindustrie neue wirtschaftliche Möglichkeiten in Ländern des Globalen Südens schaffen.

Deutschland in der Verantwortung beim Marktaufbau

Eine aktuelle Studie des Wuppertal Instituts im Auftrag von Brot für die Welt und der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, dass Nachhaltigkeitskriterien und ihre Umsetzung in einem abgestimmten Mix aus ökonomischen, regulatorischen und kooperativen Instrumenten der Bundesregierung verankert werden müssen.

Ein wichtiger Bestandteil des Instrumenten-Mix ist das Förderprogramm H2Global, das bereits einen Kriterienkatalog hat. Für seine zweite Ausschreibungsrunde sollte dieser dringend mehr Gewicht erhalten. Aber auch Sorgfaltspflichten oder Energiepartnerschaften können eine noch größere Rolle spielen. Die konkrete Ausgestaltung der Standards sollte dabei unter Konsultation der Zivilgesellschaft aus Deutschland und den Exportländern stattfinden.

Darüber hinaus sollte sich Deutschland auch international für ambitionierte Standards einsetzen. Gerade in der frühen Phase des staatlich geförderten Markthochlaufs mit wenigen Abnehmerländern kann die Bundesregierung internationale Standards mitgestalten. 

Schließlich wird auch eine Importstrategie mit guten Nachhaltigkeitstandards Deutschland und die EU nicht von der notwendigen Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs entlasten – ansonsten wird es global nicht ausreichend grünen Wasserstoff zum Erreichen der Klimaschutzziele geben.

Christiane Averbeck ist Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland.
Joachim Fünfgelt ist Referent für Energiepolitik im Referat Wirtschaft und Nachhaltigkeit bei Brot für die Welt.

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Die entscheidenden Köpfe der ESG-Szene – Unternehmen

Christian Hiß – Geschäftsführer, Regionalwert Leistungen

Christian Hiß gehört zu den Vordenkern einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Sein großes politisches Ziel ist es, dass Landwirte für ihre Gemeinwohlleistungen entlohnt werden. Ursprünglich hatte Hiß die elterliche Gärtnerei übernommen, aber dann studierte und promovierte er und gründete die Regionalwert AG in Freiburg. Die Idee: Höfe über Aktienbeteiligungen mit ihren Kunden zu verbinden. Das Konzept breitete sich aus, 2011 ehrte Angela Merkel ihn als Sozialunternehmer des Jahres. Heute leitet er die Regionalwert Leistungen GmbH und feilt an finanzbuchhalterischen Leistungsindikatoren für die Erfassung von Naturleistungen wie Artenreichtum und Bodenfruchtbarkeit.

Aysel Osmanoglu – Vorstandssprecherin, GLS Bank

Aysel Osmanoglu gehört zu den Bankerinnen, die sich bewusst politisch zu Wort melden. Die ökologische Frage sei längst eine soziale Frage, sagte sie kürzlich bei der 50-Jahr-Feier der GLS Bank. Als junge Frau hat sie das Ende der wohl politischsten Bank in Deutschland kennengelernt – sie arbeitete als Werkstudentin bei der Ökobank. Nach deren Pleite übernahm die GLS Teile des Geschäfts und Osmanoglu arbeitete während ihres VWL- und BWL-Studiums bei der GLS Bank. Inzwischen ist sie vom Trainee zur Vorstandssprecherin aufgestiegen. Damit ist sie seit 2017 unter anderem für die Strategie, Entwicklung und Kommunikation der nachhaltigen Bank verantwortlich.

Thorsten Pinkepank – Director Corporate Sustainability Relations, BASF

Als Vorsitzender im Vorstand des UN Global Compact Netzwerks Deutschland begleitet Thorsten Pinkepank die Transformation vieler Unternehmen – 1250 Unterzeichner zählt das Netzwerk zur unternehmerischen Umsetzung der SDG. Im Hauptberuf kommuniziert Pinkepank beim deutschen Chemieriesen BASF als “Director Corporate Sustainability Relations” und zählt zu den Pionieren der Nachhaltigkeitskommunikation. Respektiert ist er auch bei Kritikern von BASF, weil er diese zu Gesprächen einlädt und Konflikten nicht aus dem Weg geht, etwa nach dem Massaker an streikenden Arbeitern in der südafrikanischen Marikana-Mine, einem Zulieferer von BASF.

Gunnar Groebler – Salzgitter AG

Unter den großen Stahlproduzenten geht die Salzgitter AG voran – schon 2026 soll eine erste Anlage CO₂-emissionsreduzierten Stahl produzieren. Der Ingenieur Gunnar Groebler treibt die Transformation seit seiner Ernennung zum Vorstandvorsitzenden vor drei Jahren mit Elan voran. Auch in der Kreislaufwirtschaft, gerade im Stahlbereich ein großes Thema, soll Salzgitter führend werden. Für die Salzgitter AG sei die Dekarbonisierung die “größte Transformation unserer Unternehmensgeschichte”, sagt Groebler. Vor seinem Wechsel nach Niedersachsen verantwortete Groebler beim Energiekonzern Vattenfall Europe die erneuerbare Stromproduktion.

Jochen A. Berner – Head of Sustainability Strategy, ZF Group

Jochen A. Berner ist 2021 nach mehr als 18 Jahren bei Osram zum Autozulieferer ZF gewechselt. Bereits zuvor war der Diplom-Handelslehrer in leitender Funktion mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst. Heute ist er für die Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie verantwortlich. Dazu gehört es, das Lieferkettengesetz intelligent umzusetzen, wobei er sich für neue Ideen stark macht, etwa dem gemeinsamen Beschwerdemechanismus von Zuliefern in Mexiko. Er engagiert sich auch bei der Peer School for Sustainable Development, einem ehrenamtlich geführten Bildungsverein für Nachhaltigkeitsverantwortliche.

Frederike Boll – Senior Sustainability Managerin (Human Rights), Tchibo

Frederike Boll, seit August 2022 bei Tchibo als Senior Managerin für Nachhaltigkeit tätig, ist Überzeugungstäterin. Den Austausch zwischen Unternehmen und Zivilgesellschaft hält sie für wichtiger denn je. Lange war sie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für das Thema Lieferkettengesetz verantwortlich. Sie hat mit daran gearbeitet, dass es in Deutschland und Europa verwirklicht wird. Ihr jetziger Arbeitgeber geht an vielen Stellen voran und hat kürzlich mit der Gewerkschaft ein Abkommen zugunsten der Textilarbeiter in Kambodscha geschlossen. Boll selbst spricht von einem großen Schritt, der hoffentlich viele Nachahmer finden werde.

Matthias Berninger – Executive Vice President Public Affairs, Science and Sustainability & HSE, Bayer AG

Matthias Berninger übernahm 2019 einen der schwierigsten Jobs für einen Nachhaltigkeitskommunikator. Er ging zur Bayer AG. Diese hatte kurz zuvor Monsanto übernommen, dessen bekanntestes Produkt das Breitbandherbizid Roundup mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat ist. Unter Berningers Leitung entwickelten die Leverkusener 2019 eine globale Nachhaltigkeitsstrategie und setzten sich für ein deutsches und europäisches Lieferkettengesetz ein. Seit 2020 verfügt das Unternehmen zudem über einen unabhängigen Nachhaltigkeitsrat, der den Vorstand berät. Berninger ist heute auch Menschenrechtsbeauftragter des Konzerns. Vor seinem Wechsel in die Wirtschaft war er Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

Sandra Wolf – Geschäftsführerin, Riese & Müller

Sandra Wolf verantwortet die strategische Ausrichtung und das Thema Nachhaltigkeit beim E-Bike-Pionier Riese & Müller. Als sich die Firma 2017/18 vornahm, der nachhaltigste Fahrradhersteller zu werden, “formulierten wir dafür keine Kriterien”, so Wolf. Ihr Ziel sei es gewesen, die “Branche aufzurütteln”, weil diese sich sehr lange darauf ausgeruht habe, ein nachhaltiges Gefährt zu verkaufen, aber wenig über ihre Lieferkette wusste. Studiert hat sie BWL in den Neunzigerjahren, “als Nachhaltigkeit keinen Raum in der Wirtschaft hatte”. Anschließend arbeitete sie als Beraterin. Die Transformation versteht sie als einen generationsübergreifenden Gestaltungsprozess, der weit in die Zukunft gerichtet ist.

Kerstin Waltenberg – Menschenrechtsbeauftragte, Volkswagen

Kerstin Waltenberg hat einen der wichtigsten Posten in der deutschen Industrie inne, wenn es um Menschenrechte in Lieferketten geht. Sie ist seit 2022 Menschenrechtsbeauftragte des Volkswagen Konzerns und Human Rights Officer der Volkswagen Group. Ihre Stelle schuf VW wegen des Lieferkettengesetzes, Waltenberg berichtet von dort direkt an den Vorstand. Die promovierte Juristin war zuvor bereits Chief Compliance bei der Daimler AG und davor als Regional Compliance Officer Trucks für die Regionen Europa, Russland und Nordamerika und in der Rechtsabteilung der Daimler Financial Services AG tätig.

Antje von Dewitz – Geschäftsführerin, Vaude

Antje von Dewitz ist eine der couragiertesten Unternehmerinnen. Sie positioniert sich gegen rechts und für ein Bleiberecht für Geflüchtete, die im Arbeitsmarkt integriert sind. Ihr größtes Thema ist aber die Transformation der Wirtschaft, schon aus Verantwortung ihren Kindern gegenüber. Vor 15 Jahren übernahm sie die Geschäftsführung von Vaude, seitdem hat sie die von ihrem Vater gegründete Outdoor-Firma auf einen konsequent nachhaltigen Kurs gebracht. Das Unternehmen beschäftigt sich mit Mikroplastik und Recycling genauso wie mit der angemessenen Entlohnung aller Mitarbeitenden. Dafür wurde Antje von Dewitz bereits mehrfach ausgezeichnet.

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ESG.Table Redaktion

ESG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Alexander Kraemer hat Anfang 2024 die Sustainability People Company mitgegründet. Ihr Ziel: Nachhaltigkeitsmanager stärken und ihnen Jobs vermitteln. “Der Beruf verändert sich gerade im Raketentempo”, sagt er. Eine Umfrage habe kürzlich ergeben, dass die Hälfte von ihnen das Unternehmen wechseln möchte. Für einige sei die Arbeitsbelastung zu hoch, viele seien desillusioniert. Lesen Sie in dieser Ausgabe das Interview meines Kollegen Nicolas Heronymus.

    Wie die am vergangenen Freitag vorgestellte Wachstumsinitiative der Bundesregierung die Dekarbonisierung eher verlangsamen als beschleunigen könnte, analysiert Alex Veit. Ein internes Papier deutet zudem darauf hin, dass sich der Kohleausstieg weiter verzögern könnte – und sich das Bundeswirtschaftsministerium vom 2030er-Ziel verabschiedet.

    Über die Entwicklungen rund um das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) berichtet Caspar Dohmen. Die Juristin Anne-Christin Mittwoch hat im Auftrag der NGOs Oxfam und Germanwatch ein Gutachten erstellt. Ihr Ergebnis: Die Abschwächung des LkSG durch die Bundesregierung könnte gegen EU-Recht verstoßen.

    Wir laden Sie außerdem herzlich zu zwei Webinaren zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ein: Am morgigen 11. Juli um 11 Uhr diskutiert Marc Winkelmann mit zwei Gästen über die Bedeutung der Wesentlichkeitsanalyse für Unternehmen. Hier können Sie sich anmelden. Und am 19. Juli um 12 Uhr geht es darum, wie KMU die Anforderungen meistern. Dafür können Sie sich hier registrieren.

    Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!

    Ihre
    Leonie Düngefeld
    Bild von Leonie  Düngefeld

    Analyse

    Nachhaltigkeitsmanager: “Fast die Hälfte überlegt, ihr Unternehmen zu verlassen”

    Alexander Kraemer arbeitet an der Stärkung von Nachhaltigkeitsverantwortlichen.

    Herr Kraemer, Sie haben eine Umfrage unter Nachhaltigkeitsmanagern in Deutschland gemacht. Wie ist die Stimmung?
    Anfang dieses Jahres hatte ich den Eindruck, dass es im Nachhaltigkeitsmanagement eine Kündigungswelle geben könnte. Unsere Umfrage zeigt jetzt, dass fast die Hälfte der über 500 von uns befragten Nachhaltigkeitsverantwortlichen überlegt, ihr Unternehmen zu verlassen. Für 40 Prozent ist die Arbeitsbelastung zu hoch. 65 Prozent der unzufriedenen Befragten sagen, dass sie desillusioniert sind.

    Warum fühlen sich Nachhaltigkeitsverantwortliche desillusioniert?
    Nachhaltigkeit ist nichts Freiwilliges mehr. Sie ist Pflicht geworden. Es gibt mehr Struktur und die Themen wandeln sich von freiwilliger Transformation in regulierte Kommunikation. Der Beruf “Nachhaltigkeitsmanager” verändert sich gerade im Raketentempo. Die Mehrheit der Nachhaltigkeitsverantwortlichen berichtet, dass mittlerweile jeder Text von einem Anwalt oder einer Anwältin geprüft wird. Dadurch scheint die Rechtsabteilung plötzlich viel wichtiger als die inhaltliche Arbeit. Die Mehrheit der Nachhaltigkeitsmanager sind Quereinsteiger, die ihren Job aus purer Leidenschaft machen und etwas verändern wollen. Diese sind gut vernetzt in den Unternehmen und verstehen, wie man intern Themen platziert und vorantreibt.

    Gleichzeitig sind viele mit ihrem Job zufrieden, wie die Umfrage zeigt. Um die 90 Prozent bewerten die Arbeitsinhalte und eine hohe Gestaltungsfreiheit als positiv. Wie erklären Sie diesen scheinbaren Widerspruch?
    Die Hauptaufgabe der Nachhaltigkeitsverantwortlichen ist zwar immer noch die Transformation, aber derzeit geht es viel um Regulierung – um Strukturen, Prozesse, Daten und Checkboxen. Das ist etwas anderes, als aktiv die Transformation voranzutreiben. Viele sind hochgradig intrinsisch motiviert, aber auch desillusioniert, weil sie merken, dass sie gerade viele Excellisten ausfüllen. Was sie eigentlich wollen, ist, Unternehmen zu transformieren, so dass sie im Kerngeschäft mit regenerativen, erfolgreichen Geschäftsmodellen in die Zukunft gehen.

    Der Job eines Nachhaltigkeitsverantwortlichen ist geprägt von Widersprüchen gepaart mit hohen Anforderungen an Resilienz. Wenn es interne Treiber gibt für die Transformation, kann die Arbeitsbelastung hoch sein, jedoch haben die Nachhaltigkeitsverantwortlichen das Gefühl, dass sich etwas bewegt. Wenn der Gegenwind zu stark wird, laufen sie gegen Windmühlen, die sich nur sehr langsam bewegen oder gar stillstehen. Dann gehen sie, denn sie sind woanders sehr gefragt.

    Liegt die Unzufriedenheit also auch an den Berichtspflichten, mit denen sich immer mehr Unternehmen beschäftigen müssen?
    Total. Ich bin ein großer Fan von den Berichtspflichten, weil viele Unternehmen stärker motiviert werden müssen, überhaupt etwas zu machen. Viele Nachhaltigkeitsmanager haben sich auch Regulierung gewünscht. Jetzt ist sie da. Aber das bedeutet eben, dass sich die Aufgaben von Nachhaltigkeitsverantwortlichen ändern. Gleichzeitig sieht man bereits, dass die Unternehmen mit einem hohen Reifegrad beim Nachhaltigkeitsmanagement schon wieder inhaltlich an der Transformation arbeiten.

    Wie lange dauert es für ein Durchschnittsunternehmen, die regulatorischen Anforderungen umzusetzen?
    Ich gehe davon aus, dass es ungefähr zwei bis drei Jahre dauert. Im ersten Jahr baut man die Strukturen und Prozesse auf. Im zweiten Jahr validiert und korrigiert man diese. Und im dritten Jahr ist das Ganze grob eingespielt. Ein guter Trend ist, dass das Reporting in die Finanz- oder Compliance-Abteilung wandert. Die Nachhaltigkeitsabteilungen bauen die Themen mit auf und übergeben diese, und so werden wieder Kapazitäten frei.

    Sie sagten, viele Nachhaltigkeitsverantwortliche sind Quereinsteiger. Erwarten Sie eine Professionalisierung der Rolle – wegen der komplexeren regulatorischen Anforderungen?
    Ich glaube, dass es eine extreme Professionalisierung gibt. Man sieht jetzt auf dem Jobmarkt, dass Personen mit vier bis fünf Jahren Berufserfahrung in der Berichterstattung nach nationalen und internationalen Berichtsstandards sehr, sehr gefragt sind. Es gibt dazu eine Studie von einer Beratungsfirma, die ergab, dass die Stellenausschreibungen in dem Bereich sich in wenigen Jahren verfünffacht haben. Alle Unternehmen, die Erfahrungsträger:innen suchen, werden schwer fündig. Wir haben herausgefunden, dass die Rahmenbedingungen stimmen müssen: Es müssen flexible Arbeitszeiten und -orte ermöglicht werden.

    Mit Blick auf die Zahl der Quereinsteiger würde ich behaupten, dass es erst der Anfang ist, viele Nachhaltigkeitsverantwortliche sind bereits in den Unternehmen, aktuell in anderer Funktion. Denn meine Beobachtung ist, dass sich oft sämtliche Fachabteilungen mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Es gibt dann unter anderem einen Verantwortlichen für nachhaltigen Einkauf. Oft ist das aber noch ein “Add on”. Ich hoffe, dass Nachhaltigkeit in fünf bis zehn Jahren integraler Bestandteil vom Einkauf ist. Den Anstoß dafür gibt es bereits durch die deutsche und europäische Regulierung für Lieferketten, weil sich künftig jedes Unternehmen mit diesen Themen beschäftigen muss. Andere Fachabteilungen wie Personal folgen gerade mit ersten Schritten in diese Richtung.

    Wie werden sich die Aufgaben von Nachhaltigkeitsmanagern dadurch verändern, dass viele verschiedene Abteilungen im Unternehmen an Nachhaltigkeit arbeiten?
    Die Rolle befindet sich gerade im Wandel. Früher waren viele Nachhaltigkeitsmanager so etwas wie ein “Jack of all trades” – sie mussten alles ein bisschen können: Umwelt, Klima, Wasser und Menschenrechte zum Beispiel. Als ich vor zwölf Jahren ins Nachhaltigkeitsmanagement eingestiegen bin, habe ich zu 80 Prozent gemeinsam mit der Geschäftsleitung und den Führungskräften internes Change-Management gemacht.

    Jetzt gehen wir stärker in die Regulierungs- und Spezialisierungsphase. Wir sehen es besonders in den Großkonzernen. Da gibt es Spezialisten für fast jedes Thema. Ich glaube aber, dass es eine Art Diffusion geben wird, viele Fachabteilungen sich den Themen annehmen und so wieder Kapazitäten für die Nachhaltigkeitsverantwortlichen und die Transformation zu regenerativen Geschäftsmodellen frei wird. Meine Vermutung ist, dass es wieder kleinere Nachhaltigkeitsteams geben wird, die regelmäßig Impulse setzen, weiterhin die interne Politik machen und Veränderungsprozesse durchführen.

    Welche Art von Veränderungsprozessen würden diese Teams typischerweise anstoßen?
    Die Transformation hin zu einer nachhaltigen oder sogar regenerativen Wirtschaft. Das ist aus meiner Sicht der nächste Schritt – das Lösen weg von den Checkboxen und hinein in die Veränderung der Zahlen, Daten, Fakten und Geschäftsmodelle. Das heißt, da kommt – jetzt schon absehbar – die nächste Welle auf uns zu. Im positiven Sinne natürlich.

    Alexander Kraemer arbeitet seit zwölf Jahren im Nachhaltigkeitsmanagement und hat Anfang 2024 die Sustainability People Company mitgegründet. Ihr Ziel: Nachhaltigkeitsverantwortliche zu stärken und Experten an Unternehmen zu vermitteln. Zudem gründete er 2018 die Peer School for Sustainable Development mit, die heute Lernraum für über 200 Nachhaltigkeitsverantwortliche ist. Die Umfrage ist hier verfügbar.

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    Energie: Wie die Wachstumsinitiative der Dekarbonisierung widerspricht

    Kohleausstieg bis 2030 oder Wirtschaftswachstum? Die Bundesregierung scheint letzteres vorzuziehen.

    Die am Wochenende vorgestellte Wachstumsinitiative der Bundesregierung soll die Konjunktur ankurbeln, doch die Dekarbonisierung der Energieversorgung könnte dadurch eher verlangsamt werden. Immerhin legte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) nach längerer Verzögerung neue Einzelheiten zu den geplanten Back-up-Kraftwerken vor.

    Ist der Kohleausstieg 2030 noch erreichbar?

    Die Unterschiede im nun angekündigten “Kraftwerkssicherheitsgesetz” zu den erstmals im Februar vorgestellten Kraftwerksplänen lassen offen, ob Deutschland den von der Ampel avisierten Kohleausstieg 2030 noch erreichen kann.

    • Das BMWK erhöht die geplante Förderung für Back-up-Kapazitäten, mit denen in Zeiten einer Dunkelflaute fehlender Solar- und Windstrom ersetzt werden soll. Hinzugekommen ist die Modernisierungsförderung für bestehende Gaskraftwerke im Umfang von zwei Gigawatt (GW), die für Wasserstoff fit gemacht werden sollen, sowie eine Pilotförderung für Langzeitspeicher.
    • Trotz der Erhöhung bleibt der Ausbau von nun 13 GW Kapazität weiter unter der Marke von 17 bis 21 GW, die von der Bundesnetzagentur als notwendig berechnet worden ist, um Kohlekraftwerke zu ersetzen.
    • Auch ein internes Papier des BMWK deutet auf einen Abschied vom 2030er-Ziel hin. Gesetzlich ist 2038 das letztmögliche Ausstiegsdatum.

    Hoffen kann die Bundesregierung, dass neue Speicher und flexible Verbraucher die Kohlemeiler unnötig machen werden. “Hinsichtlich der benötigten Gesamtleistung haben wir aus heutiger Sicht noch eine hohe Unsicherheit, da unklar ist, inwiefern andere Flexibilitäten im Jahr 2030 bereits genutzt werden können”, sagte dazu Patrick Jochem vom Institut für Vernetzte Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

    Teilrückzug vom Wasserstoff in neuen Kraftwerken

    Bei den Kraftwerksneubauten rückt das BMWK teils vom grünen Wasserstoff ab:

    • Bislang sollten die geförderten Neubauten alle Wasserstoff-fähig sein. Nun gilt dies lediglich noch für etwas mehr als die Hälfte.
    • Die restlichen neuen Gaskraftwerke mit insgesamt fünf GW sollen hingegen auch mit Biogas betrieben werden oder mittels CCS-Technik entstehendes CO₂ aus der Gasverstromung abfangen und einlagern können.

    Für den erwünschten “Hochlauf” des Markts für grünen Wasserstoff – der in der Wachstumsinitiative von der Bundesregierung erneut rhetorisch unterstrichen wird – entfallen diese Großverbraucher also potenziell.

     “Das Kraftwerkssicherheitsgesetz kann die Grundlage schaffen, um die dauerhafte Sicherung der Stromversorgung auch ohne die CO₂-intensiven Kohlekraftwerke zu gewährleisten”, sagte dazu Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas. “Flexible und moderne Gaskraftwerke spielen hier eine zentrale Rolle, da sie die notwendige Stabilität im Stromnetz sicherstellen und sich gleichzeitig auf den Betrieb mit Wasserstoff umstellen lassen.”

    Weniger begeistert äußerte sich Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe. “Die in der Wachstumsinitiative der Bundesregierung enthaltene Kraftwerksstrategie darf kein Konjunkturprogramm für fossile Gaskraftwerke werden”, sagte er zu Table.Briefings. “Stattdessen braucht der Ausbau der erneuerbaren Energien auch weiterhin einen verlässlichen Investitionsrahmen und kostendeckende Preise.”

    Systemische Änderungen bei der Erneuerbaren-Förderung

    Doch gerade beim Erneuerbaren Energiegesetz, das den Ausbau der Stromerzeugung aus Wind und Sonne lukrativ macht (zugleich jedoch bei der Bundesregierung hohe Kosten verursacht), plant die Bundesregierung eine systemische Umstellung, die den weiteren Ausbau verlangsamen könnte.

    Schon im nächsten Jahr soll bei Neuanlagen die Absicherung gegen negative Preise weitgehend entfallen. Später soll dann die Förderung von geliefertem erneuerbarem Strom durch bloße Investitionsbeihilfen ersetzt werden. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), in dem ein Teil der Branche organisiert ist, warnt davor. “Das Experiment eines radikalen Wechsels hin zu Investitionskostenzuschüssen birgt die Gefahr der Marktverunsicherung und Investitionszurückhaltung”, sagte BEE-Präsidentin Simone Peter.

    Stabilisierung der Netzentgelte

    Viele Unternehmen hatten eine Senkung der Entgelte für die Stromnetze gefordert. Der Ausbau der Stromnetze, um erneuerbare Energie im Land zu verteilen, kostet große Summen, die auf die Verbraucher umgelegt werden. Da der Strompreis maßgeblich ist für die Dekarbonisierung der Industrie wie auch für die Umstellung auf E-Autos und Wärmepumpen, stellt die Bundesregierung nun wenigstens eine Stabilisierung der Netzentgelte in Aussicht.

    Geprüft werde dazu die Einführung eines so genannten Amortisationskontos: Dafür streckt die Bundesregierung einen Teil der Kosten vor, die dann über einen längeren Zeitraum von den Stromverbrauchern zurückbezahlt werden.

    Förderung für weitere Gasprojekte

    Der Punkt “Gasversorgung sichern und diversifizieren” der Wachstumsinitiative widerspricht der Dekarbonisierung schließlich diametral. Demnach sollen für den Import von Erdgas Ausnahmeregelungen in Garantieinstrumente der Außenwirtschaftsförderung eingebaut werden.

    Voraussetzung sei, dass neue Erdgas-Projekte die globale “1,5 Grad-Grenze” der Klimaerhitzung einhalten und “Lock-in-Effekte” vermeiden, also keine bindenden Investitionen in fossiles Gas darstellen. Die neuen Gasimportprojekte sollen aber vor allem “die nationale Sicherheit oder geostrategische Versorgungssicherheitsinteressen” wahren.

    “Es lässt aufhorchen, dass die Regierung offenbar weiterhin die Erschließung von Erdgasquellen im Ausland vorantreiben will”, kommentierte Tina Löffelsend, Klimaschutzexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), im Gespräch mit Table.Briefings. “Genau das ist aber klimapolitisches Harakiri und muss unbedingt vermieden werden.”

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    Lieferketten: Warum die Bundesregierung gegen EU-Recht verstoßen könnte

    Hat im Haushaltspoker der Bundesregierung eine möglicherweise rechtswidrige Abschwächung des Lieferkettengesetzes durchgedrückt: Finanzminister Lindner.

    “Die neue EU-Lieferkettenrichtlinie zum Anlass zu nehmen, den Geltungsbereich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und die Anzahl der erfassten Unternehmen so drastisch einzuschränken, ist europarechtswidrig”, sagt die Juristin Franziska Humbert von Oxfam zu Table.Briefings mit Blick auf die geplante Abschwächung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) durch die Bundesregierung. “Würde das Lieferkettengesetz in dieser Form abgeändert, riskiert die Bundesregierung ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.”

    Humbert beruft sich auf ein Gutachten, das Oxfam und Germanwatch bei der Juristin Anne-Christin Mittwoch von der Universität Halle-Wittenberg in Auftrag gegeben haben. Das Gutachten unter dem Titel “Möglichkeiten und Grenzen der Gestaltung des Anwendungsbereiches des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bei der Umsetzung der Corporate Sustainability Due Dilligence Directive (CSDDD)” liegt Table.Briefings vor. Das Bundesarbeits-, das Bundesjustiz- und das Bundeswirtschaftsministerium wollten auf Anfrage die Hauptaussage des Gutachtens nicht kommentieren, solange es ihnen nicht vorliegt.

    Konkret geht es um das sogenannte Verschlechterungsverbot, geregelt in Art 1. Abs. 2 der europäischen CSDDD. Wörtlich heißt es in der EU-Richtlinie: “Diese Richtlinie darf nicht als Rechtfertigung für eine Senkung des in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten oder in zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Tarifverträgen vorgesehenen Niveaus des Schutzes der Menschenrechte, Beschäftigungs- und sozialen Rechte oder des Umwelt- oder Klimaschutzes dienen.”

    Verschlechterung des Schutzniveaus ist gegeben

    Genau dies wäre nach Ansicht der Wissenschaftlerin aber der Fall, wenn die Bundesregierung ihre geplanten Änderungen des LkSG umsetzen würde. Zwei Voraussetzungen gebe es laut CSDDD, um einen Verstoß zu belegen: Erstens müsse es zu einer Verschlechterung des Schutzniveaus gegenüber dem nationalen Recht kommen. Zweitens müsse die CSDDD der Rechtfertigungsgrund für die Änderung sein. Beide Bedingungen sieht die Juristin im Fall der geplanten Änderungen der Bundesregierung beim LkSG als erfüllt an. Mit Blick auf die zweite Voraussetzung verweist sie auf den engen zeitlichen Kontext der jetzigen Änderungen und der Verabschiedung der CSDDD.

    Die EU-Richtlinie 2024/1760 war am 5. Juli 2024 im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden. Am selben Tag legte die Bundesregierung ihre Wachstumsinitiative vor, einschließlich der Abschwächung des LkSG. Demnach fallen rund zwei Drittel weniger Unternehmen als bislang unter das nationale LkSG. Allerdings würden sie nur für eine begrenzte Zeit befreit. Denn gemäß Art. 37 CSDDD muss “fünf Jahre nach Inkrafttreten der CSDDD die Schwelle der 1.000 Arbeitnehmer im nationalen Recht wieder erreicht werden”.

    Nach Ansicht der Gutachterin spricht das Verschlechterungsgebot der CSDDD für einen Beibehalt der bestehenden Schwelle beim nationalen LkSG. Hier greift in Deutschland bereits eine Lieferkettenregulierung für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern. Manche Experten sehen das als einen Vorteil für Unternehmen an, weil diese sich einen Wettbewerbsvorteil bei der Umsetzung der Regelung erarbeiten können, andere sehen darin einen Wettbewerbsnachteil. Die Bundesregierung will ausschließen, dass für hiesige Unternehmen aufgrund der deutschen Regelung früher Lieferkettenverpflichtungen gelten als für Unternehmen aus anderen EU-Ländern durch die europäische Regulierung.

    Erhebliche Folgen hätten die Veränderungen des LkSG auch für laufende Verfahren: “In der Praxis könnte das bedeuten, dass Betroffene, die derzeit vor deutschen Behörden um ihre Rechte kämpfen, mitten im Verfahren hängen gelassen werden, weil das involvierte Unternehmen plötzlich von seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen befreit wird”, sagt Cornelia Heydenreich, Leiterin des Bereichs Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. “Zudem werden Unternehmen, die aktuell unter das Gesetz fallen, zeitweise von ihren Pflichten befreit, nur um diese dann nach einem Jahr wieder erfüllen zu müssen. Das ist das Gegenteil der von Unternehmen immer geforderten Rechts- und Planungssicherheit.”

    Lindner will CSDDD-Umsetzung zum spätestmöglichen Zeitpunkt

    Die CSDDD werde zum “europarechtlich spätestmöglichen Zeitpunkt umgesetzt”, sagte Finanzminister Lindner am Freitag. Für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einer Umsatzschwelle von 450 Millionen Euro greift die Richtlinie dann in Deutschland ab 2029. Größere Unternehmen sind vorher betroffen. Lieferkettengesetze gibt es allerdings auch in anderen EU-Mitgliedsländern, etwa Frankreich oder den Niederlanden.

    Ausgeschlossen wäre nach Ansicht der Juristin Mittwoch nach dem Verschlechterungsgebot der CSDDD auch eine Aussetzung des LkSG, weil sich damit das Schutzniveau für Menschenrechte verschlechtern würde. Eine solche Aussetzung der nationalen Regelung hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck erwogen, aber dann verworfen.

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    Termine

    11. Juli 2024, Berlin
    Diskussion unIT-e² Talks: Elektromobilität – Netze – Klimaneutralität (Veranstalter: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V.) Info & Anmeldung

    11. Juli 2024, 12-13 Uhr, Online
    Webinar Technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit von Elektrolyseprojekten (Veranstalter: Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein) Info & Anmeldung

    12. Juli 2024, 10:00 bis 12:00 Uhr, Online
    Webinar Incentive Schemes to Promote Sustainable Mobility Behaviour (Veranstalter: Umweltbundesamt, Difu und ConPolicy GmbH) Info & Anmeldung

    12. und 13. Juli 2024, Berlin
    Tagung Netzwerktreffen Nachhaltigkeit – Unternehmen & Organisationen als Hebel für Female Empowerment (Veranstalter: Marziplan) Info & Anmeldung

    12. bis 14. Juli 2024, Kochel am See
    Seminar Alpen im Klimawandel – zukünftige Herausforderungen (Veranstalter: Georg-von-Vollmar-Akademie) Info & Anmeldung

    15. Juli 2024, 13-14 Uhr, Online
    Vortrag Globale Nachhaltigkeitsdiplomatie in Krisenzeiten – Bericht vom Hochrangigen Politischen Forum der UN 2024 (Veranstalter: Sustainable Development Solutions Network) Info & Anmeldung

    16. Juli 2024, 18-19:30 Uhr, Leipzig
    Webinar Vom Labor in die Wirtschaft – Forschungstransfer und Startup (Veranstalter: Friedrich-Naumann-Stiftung) Info & Anmeldung

    16.-17. Juli 2024, Fulda
    Tagung Lernwerkstatt kommunale Klimafolgenanpassung 2024 (Veranstalter: Zentrum KlimaAnpassung) Info & Anmeldung

    17. Juli 2024, 13:30-16 Uhr, Online
    Webinar Klimastrategie (Veranstalter: Future Camp Climate GmbH) Info & Anmeldung

    News

    ESG-Daten: Wie Banken- und Versicherungsverbände Unternehmen bei der Erhebung helfen wollen

    Mit einem ESG-Datenkatalog wollen die Verbände der privaten und öffentlichen Banken (Bankenverband und VÖB) sowie der Versicherungswirtschaft (GDV) große Unternehmen dabei unterstützen, relevante Daten für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erheben. Der Katalog listet auf elf Seiten den Datenbedarf von Banken und Versicherungen gegenüber berichtspflichtigen Großunternehmen und soll so eine Orientierungshilfe bieten.

    Zielgruppe des Katalogs sind laut den Autoren große Unternehmen, die von der europäischen Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) betroffen sind. Kleine und mittelständische Unternehmen sind explizit nicht angesprochen. Der Katalog orientiere sich an den folgenden gesetzlichen Regeln und Methoden:

    • an der CSRD und den dazugehörigen Standards (ESRS),
    • der EU-Taxonomieverordnung
    • der EU-Offenlegungsverordnung,
    • am BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken,
    • sowie den Entwürfen der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) für Leitlinien zum Management von ESG-Risiken

    Er beinhaltet allgemeine Daten zur Nachhaltigkeit der Unternehmen sowie Datenpunkte zu den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Diese sind in 20 Fragenkomplexe unterteilt.

    Bei der Entwicklung des Katalogs haben Bankenverband, VÖB und GDV mit Verbänden aus der Realwirtschaft wie dem Verband deutscher Treasurer (VDT) zusammengearbeitet. Ihr Ziel sei, die zunehmend detaillierteren ESG-Datenabfragen bei Unternehmen weiter zu harmonisieren. leo

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    Grüne Unternehmer: Was es braucht, damit die Verkehrswende in Fahrt kommt

    Die Wirtschaftsvereinigung der Grünen e. V. beklagt in einem Perspektivpapier, dass die Verkehrswende in Deutschland zu langsam vorankommt. Insbesondere der plötzliche Wegfall der Umweltprämie im Dezember habe zu einer “nachhaltigen Verunsicherung” der Autokäufer geführt. “Hier braucht es einen Kurswechsel, der Planungssicherheit und ein klares Bekenntnis zur Elektrifizierung beinhaltet”, fordert der Verein, bei dem rund 250 Unternehmen wie Aldi, Amazon Deutschland, Siemens und Audi Mitglied sind.

    Finanzielle Anreize und Fördermittel

    Das Papier, das Table.Briefings vorliegt, wurde vom Kompetenzcluster “Mobilität” des Verbandes erarbeitet und trägt den Titel “Elektromobilität auf die Straße bringen – was es noch braucht, damit Deutschland im emissionsfreien Verkehr richtig durchstartet”. Fünf Maßnahmen seien dafür von zentraler Bedeutung:

    • Ausbau des Ladenetzes: Ohne bedarfsgerechtes Netz keine E-Mobilität. Der Hochlauf der Fahrzeuge und der Ausbau des Netzes müssten Hand in Hand gehen.
    • E-Fahrzeuge attraktiv machen: Der entscheidende Faktor bei E-Fahrzeugen sei der höhere Anschaffungspreis. Denkbar sei daher ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer und eine Anpassung der Dienstwagenbesteuerung zugunsten von E-Autos.
    • Vorreiter bei E-Lkw werden: Um den Hochlauf von E-Lkw und deren Ladeinfrastruktur zu ermöglichen, brauche es ein investitionsfreundliches regulatorisches Umfeld und Förderungen.
    • Den Hochlauf zentral und digital organisieren: Die Ausbaustrategien für die Ladenetze müssten besser aufeinander abgestimmt werden. Mit digitalen Stromnetzen könnten Netzkapazitäten effizienter genutzt werden.
    • ÖPNV-Ausbau ohne Emissionen: Für den Ausbau und die Elektrifizierung des ÖPNV müssten mehr Mittel bereitgestellt werden. Allein für die vollständige Elektrifizierung der Stadtbusse würden 24 Milliarden Euro benötigt.

    Neuzulassungen von E-Autos weiter rückläufig

    Aktuelle Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes zeigen, dass der Markt für Elektroautos in Deutschland weiter schwächelt. Während im ersten Halbjahr 2024 rund 1,47 Millionen Pkw neu zugelassen wurden – und damit 5,4 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum -, gingen die Neuzulassungen von Elektroautos um 16,4 Prozent zurück. ch

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    Fossile Investitionen: Aus welchen Ländern Geld in Öl, Gas und Kohle fließt

    4,3 Billionen US-Dollar haben institutionelle Anleger derzeit in Anleihen und Aktien in Unternehmen investiert, die in fossilen Energieprojekten aktiv sind. Auf diese Summe kommt die Finanzrecherche “Investing in Climate Chaos“, die von der deutschen NGO Urgewald und weiteren 13 Partnerorganisationen durchgeführt wurde. Zu den 7.500 institutionellen Anlegern, deren Daten in die Recherche eingeflossen sind, gehören Pensionsfonds, Versicherer, Vermögensverwalter, Hedgefonds, Staatsfonds, Stiftungsfonds und Vermögensverwaltungstöchter von Geschäftsbanken. Abgeglichen wurden ihre Angaben mit den Datenbanken “Global Coal Exit List” und “Global Oil and Gas Exit List“, in denen 2.900 Unternehmen aus der fossilen Energieindustrie aufgeführt sind.

    Mit großem Abstand führend sind die Vermögensverwalter Vanguard und Blackrock aus den USA. Beide haben jeweils mehr als 400 Milliarden US-Dollar in Öl-, Gas- und Kohlegeschäfte angelegt. Unter den zehn größten Investoren, die von Urgewald aufgeführt werden, sind acht in den Vereinigten Staaten beheimatet. Insgesamt wurden mehr als 65 Prozent der Geldanlagen in der Aufstellung von US-amerikanischen Firmen investiert.  

    “Dies zeigt, dass US-Regulierungsbehörden es bisher versäumen, die Klima- und Transformationsrisiken großer institutioneller Anleger wirksam zu überwachen und anzugehen”, sagt dazu Alec Connon von der Kampagne Stop the Money Pipeline.  

    Deutschland findet sich auf Rang 10 der Weltrangliste. Größter deutscher Investor ist mit 25 Milliarden Dollar die Deutsche Bank auf Rang 30 der globalen Anlegerliste, insbesondere durch ihre knapp 80-prozentige Beteiligung an der DWS-Vermögensverwaltung. Die DWS hält laut Urgewald trotz einer firmeneigenen Kohle-Richtlinie weiterhin Anteile im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar an Unternehmen in diesem Bereich. Aus Sicht der NGO sollten Ausnahmeregelungen in der Richtlinie geschlossen werden, um diese Investments zu beenden.  

    Eine Sprecherin von DWS verwies auf Anfrage von Table.Briefings auf die jährliche Überprüfung der Kohle-Richtlinie. DWS-Ziel sei eine “vollständige Einstellung des Einsatzes von Kohle” in der EU und OECD-Ländern bis 2030. Dasselbe gelte für alle anderen Länder bis 2040.   

    Noch größer ist das deutsche Engagement im Bereich Öl und Gas, in denen Deutsche Bank und DWS zusammen 23 Milliarden US-Dollar investiert haben – dicht gefolgt von der Allianz-Gruppe und ihren Töchtern Pimco und AGI. Urgewald kritisiert insbesondere Investitionen in das Unternehmen ExxonMobil, das im fossilen Bereich expandiert und aktivistische Aktionäre verklagt hat, die eine Kursänderung vorgeschlagen haben.

    Die DWS-Sprecherin wollte sich nicht zu einzelnen Portfoliounternehmen äußern. Jedoch sei das Unternehmen “in Fällen, in denen wir keine Fortschritte durch den Dialog erkennen können” bestrebt, “unsere Stimmrechte entsprechend einzusetzen oder uns öffentlich im Rahmen der jeweiligen Hauptversammlung zu äußern.” Letztlich könnten solche Unternehmen auch “aus bestimmten Produkt-Portfolios” entfernt werden. av

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    Must-reads

    “Sollen wir Bürokratie ausgerechnet bei der Nachhaltigkeit abbauen?” – Spiegel
    Die Nachhaltigkeitsberichtspflichten seien zwar arbeitsintensiv, sagt die grüne Finanzpolitikerin Katharina Beck im Gespräch mit Michael Sauga. Aber Unternehmen könnten mit den Daten Risiken einschätzen, Lieferketten umbauen und neue Geschäftsfelder entwickeln. Bürokratie will sie etwa durch die Harmonisierung des deutschen Lieferkettengesetzes mit den Nachhaltigkeitsberichtspflichten verringern. Zum Interview

    Klimabericht: Seit einem Jahr knackt jeder Monat die 1,5-Grad-Marke – Der Standard
    Der Juni 2024 war der wärmste Juni seit Beginn der Datenaufzeichnungen. Er lag 1,5 Grad über dem geschätzten Juni-Durchschnitt der vorindustriellen Referenzperiode von 1850 bis 1900, heißt es in einer Meldung im “Standard”. Dies gehe aus den Daten des EU-Klimadienstes Copernicus hervor.  Wie schon die zwölf Monate zuvor sei die 1,5-Grad-Marke erreicht oder überschritten worden. Zum Artikel

    So heizen Deutschlands Millionenstädte – FAZ
    Der Energieversorger Eon hat statistische Daten zu Heiztechnologien für München, Hamburg, Berlin und Köln ausgewertet, berichtet Nadine Bös. Das Ergebnis: Fernwärme sei besonders beliebt; in drei der Städte sei bereits jedes dritte Haus an das Fernwärmenetz angeschlossen. Dennoch sei der Anteil an fossilen Heizungen nach wie vor hoch: 40 Prozent aller CO₂-Emissionen sind auf den Gebäudesektor zurückzuführen. Zum Artikel

    Habeck erwartet “Nachfrageschub” für E-Autos – durch Dienstwagen – Handelsblatt
    Die Zahl der Neuzulassungen von Elektroautos sei nach dem Förderstopp der Bundesregierung eingebrochen, heißt es im “Handelsblatt”. Die Bundesregierung wolle nun gegensteuern und rückwirkend zum 1. Juli eine Sonderabschreibung für neu zugelassene E-Autos einführen. Außerdem sollen künftig Dienstwagen bis zu einem Listenpreis von 95.000 Euro steuerlich begünstigt werden. Zum Artikel

    The Fight Over China’s Electric Cars Is Upside-Down – Foreign Policy
    Umweltschützer fordern Zölle auf grüne Produkte, deutsche Autohersteller sind dagegen: Paul Hockenos wundert sich über die europäische Debatte zu E-Auto-Zöllen gegen chinesische Importe. Shang-Jin Wei von der Columbia Business School schlägt einen “Win-win-win”-Kompromiss vor: eine globale CO₂-Steuer und ein ebenso globales Subventionsschema für E-Autos. Zum Artikel

    Analyse von Geldanlagen: Wie nachhaltig sind “grüne Fonds”? – Tagesspiegel
    Eine Recherche der Voxeurop-Gruppe hat aufgedeckt, dass EU-regulierte grüne Fonds im letzten Jahr über 87 Milliarden US-Dollar in die emissionsstärksten Branchen investiert haben. Katharina Kalinke und ihre Co-Autoren kritisieren, dass der Begriff “Nachhaltigkeit” rechtlich nicht definiert sei und Fondsgesellschaften den Interpretationsspielraum nutzten. Auch würden ESG-Ratings für die Bewertung der Fonds keinen einheitlichen Maßstab bieten. Zum Artikel

    Nachhaltiges Investieren: “Den Amerikanern sind wir fünf bis zehn Jahre voraus” – Manager Magazin
    Grüne Geldanlagen geraten vor allem in den USA zunehmend in die Kritik. Im Interview mit Christian Schütte erklärt ESG-Experte Daniel Sailer, warum das Interesse der Anleger dennoch steigt. Analysen würden darlegen, dass Unternehmen mit einem guten ESG-Rating bessere Gewinne und Aktienkursrenditen erzielen als der Gesamtmarkt. Investoren in Europa hätten durch den Green Deal und die EU-Taxonomie außerdem einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Zum Artikel

    It Takes Too Many Studies for the Government to Do the Right Thing – The New York Times
    Das SunZia-Projekt im US-Bundesstaat New Mexico soll 2026 ans Netz gehen. Der riesige Windpark gelte als größtes Erneuerbare-Energien-Projekt in der westlichen Hemisphäre. Eine eigens gebaute, rund 800 Kilometer lange Stromleitung werde den Ökostrom ins Netz einspeisen. Aus Sicht von Robinson Meyer ist das eigentlich ein Grund zum Feiern – wären da nicht die langwierigen Genehmigungsverfahren, insbesondere für die Stromleitung. Denn SunZia sei bereits 2006 geplant worden. Zum Artikel

    Northvolt: Drei Tote und 26 Unfälle in der Batteriefabrik verunsichern Schweden – Neue Zürcher Zeitung
    Der schwedische Batteriehersteller Northvolt wollte eigentlich die umweltfreundlichsten Batterien der Welt herstellen, stehe aber wegen Verzögerungen und Qualitätsminderungen in der Produktion sowie Arbeitsunfällen in der Kritik, berichtet Linda Koponen. In den letzten sechs Monaten seien drei Mitarbeiter ums Leben gekommen, weitere 26 schwer verletzt worden. Die deutsche Regierung hatte Northvolt noch im März Subventionen in Höhe von 900 Millionen Euro zugesprochen. Zum Artikel

    Standpunkt

    Weshalb die Bundesregierung Kriterien für nachhaltige Wasserstoffimporte braucht

    Von Christiane Averbeck und Joachim Fünfgelt

    Die Wasserstoff-Importstrategie kommt in einer wichtigen Phase, denn die Wasserstoff-Euphorie ist vorbei. Projekte kommen schwer in Gang und es ist nicht absehbar, woher die benötigten Mengen an erneuerbarem Wasserstoff kommen sollen, wie zuletzt auch der Nationale Wasserstoffrat signalisierte.

    Viele Industrieunternehmen möchten ihre Produktion auf Wasserstoff umstellen. Sie befürchten jedoch, in eine Versorgungslücke zu laufen. Deshalb will die Bundesregierung mit der Importstrategie das Tempo erhöhen und möglichst diversifizierte Bezugsquellen aufbauen. Eine einseitige Abhängigkeit wie von russischem Gas soll sich beim Wasserstoffimport nicht wiederholen. 

    Mit großer Sorge beobachten wir, dass es innerhalb der Bundesregierung nun Bedenken gibt, ob angesichts der Dringlichkeit Nachhaltigkeitskriterien in die Importstrategie aufgenommen werden sollten. Manche befürchten, dass solche Kriterien die Beschleunigung und Diversifizierung der Produktion hemmen könnten.

    Die Ampel-Koalition hat in ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie von 2023 jedoch zugesagt, Nachhaltigkeitskriterien gemäß der Agenda 2030 zu berücksichtigen. Dieses Versprechen zu halten, fordern weite Teile der Zivilgesellschaft, Entwicklungsorganisationen, Thinktanks und der Nationale Wasserstoffrat schon seit langem. 

    Ohne Nachhaltigkeitskriterien keine Planungssicherheit, Akzeptanz und Gerechtigkeit

    Für den Klimaschutz ist es wichtig, dass die Importstrategie Kriterien verankert, die sicherstellen, dass ausschließlich erneuerbarer, grüner Wasserstoff gefördert wird. Darüber hinaus darf in Erzeugerländern der Wasserstoffexport nicht dazu führen, dass erneuerbarer Strom einzig zur Produktion von Wasserstoff verwendet wird, statt fossile Energie zu verdrängen. Dann wäre für das Klima nichts gewonnen.

    Für die Planungssicherheit von Unternehmen ist es entscheidend, dass rechtzeitig klare Anforderungen für die Einfuhr von Wasserstoff und Derivaten wie Ammoniak geschaffen werden. Wenn Investoren verunsichert darüber sind, welche Bedingungen nachhaltiger Wasserstoff erfüllen muss, wird die Entwicklung des Marktes gebremst.

    Wasserstoffexporte müssen die Lebenssituation der Menschen vor Ort verbessern, auch damit Akzeptanz wachsen kann. Aktuell ist die Skepsis gegenüber den Projekten in der Zivilgesellschaft verschiedener Länder in Afrika oder Südamerika aber groß. Dieses Misstrauen ist nachvollziehbar angesichts des andauernden Extraktivismus wie etwa beim Rohstoffabbau, durch den natürliche Ressourcen exportiert werden, Umweltschäden aber vor Ort zurückbleiben. Gegen den Protest der Bevölkerung werden Wasserstoffprojekte kaum erfolgreich sein können.

    Von Anfang an sollten im Sinne der Gerechtigkeit in Ländern des Globalen Südens Wertschöpfung, Innovationen und Jobs geschaffen sowie Schäden vermieden werden. Klare Kriterien helfen, Landnutzungskonflikte oder die Verschlechterung der lokalen Wasserversorgung zu verhindern.

    Darüber hinaus leiden die Menschen in vielen potenziellen Exportländern unter Energiearmut. Milliarden Menschen haben keinen verlässlichen Zugang zu Strom oder emissionsarmen Kochmöglichkeiten. Aus solchen Regionen Energie in Form von Wasserstoff zu importieren, ohne dabei lokale Energiearmut deutlich zu verringern, wäre nicht tragbar.

    Wasserstoff darf in diesen Ländern nicht nur für den Export produziert werden. Er muss zu einem relevanten Teil auch vor Ort zur Dekarbonisierung, zur Wertschöpfung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. So kann etwa der Aufbau einer eigenen Stahlindustrie neue wirtschaftliche Möglichkeiten in Ländern des Globalen Südens schaffen.

    Deutschland in der Verantwortung beim Marktaufbau

    Eine aktuelle Studie des Wuppertal Instituts im Auftrag von Brot für die Welt und der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, dass Nachhaltigkeitskriterien und ihre Umsetzung in einem abgestimmten Mix aus ökonomischen, regulatorischen und kooperativen Instrumenten der Bundesregierung verankert werden müssen.

    Ein wichtiger Bestandteil des Instrumenten-Mix ist das Förderprogramm H2Global, das bereits einen Kriterienkatalog hat. Für seine zweite Ausschreibungsrunde sollte dieser dringend mehr Gewicht erhalten. Aber auch Sorgfaltspflichten oder Energiepartnerschaften können eine noch größere Rolle spielen. Die konkrete Ausgestaltung der Standards sollte dabei unter Konsultation der Zivilgesellschaft aus Deutschland und den Exportländern stattfinden.

    Darüber hinaus sollte sich Deutschland auch international für ambitionierte Standards einsetzen. Gerade in der frühen Phase des staatlich geförderten Markthochlaufs mit wenigen Abnehmerländern kann die Bundesregierung internationale Standards mitgestalten. 

    Schließlich wird auch eine Importstrategie mit guten Nachhaltigkeitstandards Deutschland und die EU nicht von der notwendigen Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs entlasten – ansonsten wird es global nicht ausreichend grünen Wasserstoff zum Erreichen der Klimaschutzziele geben.

    Christiane Averbeck ist Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland.
    Joachim Fünfgelt ist Referent für Energiepolitik im Referat Wirtschaft und Nachhaltigkeit bei Brot für die Welt.

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    Die entscheidenden Köpfe der ESG-Szene – Unternehmen

    Christian Hiß – Geschäftsführer, Regionalwert Leistungen

    Christian Hiß gehört zu den Vordenkern einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Sein großes politisches Ziel ist es, dass Landwirte für ihre Gemeinwohlleistungen entlohnt werden. Ursprünglich hatte Hiß die elterliche Gärtnerei übernommen, aber dann studierte und promovierte er und gründete die Regionalwert AG in Freiburg. Die Idee: Höfe über Aktienbeteiligungen mit ihren Kunden zu verbinden. Das Konzept breitete sich aus, 2011 ehrte Angela Merkel ihn als Sozialunternehmer des Jahres. Heute leitet er die Regionalwert Leistungen GmbH und feilt an finanzbuchhalterischen Leistungsindikatoren für die Erfassung von Naturleistungen wie Artenreichtum und Bodenfruchtbarkeit.

    Aysel Osmanoglu – Vorstandssprecherin, GLS Bank

    Aysel Osmanoglu gehört zu den Bankerinnen, die sich bewusst politisch zu Wort melden. Die ökologische Frage sei längst eine soziale Frage, sagte sie kürzlich bei der 50-Jahr-Feier der GLS Bank. Als junge Frau hat sie das Ende der wohl politischsten Bank in Deutschland kennengelernt – sie arbeitete als Werkstudentin bei der Ökobank. Nach deren Pleite übernahm die GLS Teile des Geschäfts und Osmanoglu arbeitete während ihres VWL- und BWL-Studiums bei der GLS Bank. Inzwischen ist sie vom Trainee zur Vorstandssprecherin aufgestiegen. Damit ist sie seit 2017 unter anderem für die Strategie, Entwicklung und Kommunikation der nachhaltigen Bank verantwortlich.

    Thorsten Pinkepank – Director Corporate Sustainability Relations, BASF

    Als Vorsitzender im Vorstand des UN Global Compact Netzwerks Deutschland begleitet Thorsten Pinkepank die Transformation vieler Unternehmen – 1250 Unterzeichner zählt das Netzwerk zur unternehmerischen Umsetzung der SDG. Im Hauptberuf kommuniziert Pinkepank beim deutschen Chemieriesen BASF als “Director Corporate Sustainability Relations” und zählt zu den Pionieren der Nachhaltigkeitskommunikation. Respektiert ist er auch bei Kritikern von BASF, weil er diese zu Gesprächen einlädt und Konflikten nicht aus dem Weg geht, etwa nach dem Massaker an streikenden Arbeitern in der südafrikanischen Marikana-Mine, einem Zulieferer von BASF.

    Gunnar Groebler – Salzgitter AG

    Unter den großen Stahlproduzenten geht die Salzgitter AG voran – schon 2026 soll eine erste Anlage CO₂-emissionsreduzierten Stahl produzieren. Der Ingenieur Gunnar Groebler treibt die Transformation seit seiner Ernennung zum Vorstandvorsitzenden vor drei Jahren mit Elan voran. Auch in der Kreislaufwirtschaft, gerade im Stahlbereich ein großes Thema, soll Salzgitter führend werden. Für die Salzgitter AG sei die Dekarbonisierung die “größte Transformation unserer Unternehmensgeschichte”, sagt Groebler. Vor seinem Wechsel nach Niedersachsen verantwortete Groebler beim Energiekonzern Vattenfall Europe die erneuerbare Stromproduktion.

    Jochen A. Berner – Head of Sustainability Strategy, ZF Group

    Jochen A. Berner ist 2021 nach mehr als 18 Jahren bei Osram zum Autozulieferer ZF gewechselt. Bereits zuvor war der Diplom-Handelslehrer in leitender Funktion mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst. Heute ist er für die Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie verantwortlich. Dazu gehört es, das Lieferkettengesetz intelligent umzusetzen, wobei er sich für neue Ideen stark macht, etwa dem gemeinsamen Beschwerdemechanismus von Zuliefern in Mexiko. Er engagiert sich auch bei der Peer School for Sustainable Development, einem ehrenamtlich geführten Bildungsverein für Nachhaltigkeitsverantwortliche.

    Frederike Boll – Senior Sustainability Managerin (Human Rights), Tchibo

    Frederike Boll, seit August 2022 bei Tchibo als Senior Managerin für Nachhaltigkeit tätig, ist Überzeugungstäterin. Den Austausch zwischen Unternehmen und Zivilgesellschaft hält sie für wichtiger denn je. Lange war sie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für das Thema Lieferkettengesetz verantwortlich. Sie hat mit daran gearbeitet, dass es in Deutschland und Europa verwirklicht wird. Ihr jetziger Arbeitgeber geht an vielen Stellen voran und hat kürzlich mit der Gewerkschaft ein Abkommen zugunsten der Textilarbeiter in Kambodscha geschlossen. Boll selbst spricht von einem großen Schritt, der hoffentlich viele Nachahmer finden werde.

    Matthias Berninger – Executive Vice President Public Affairs, Science and Sustainability & HSE, Bayer AG

    Matthias Berninger übernahm 2019 einen der schwierigsten Jobs für einen Nachhaltigkeitskommunikator. Er ging zur Bayer AG. Diese hatte kurz zuvor Monsanto übernommen, dessen bekanntestes Produkt das Breitbandherbizid Roundup mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat ist. Unter Berningers Leitung entwickelten die Leverkusener 2019 eine globale Nachhaltigkeitsstrategie und setzten sich für ein deutsches und europäisches Lieferkettengesetz ein. Seit 2020 verfügt das Unternehmen zudem über einen unabhängigen Nachhaltigkeitsrat, der den Vorstand berät. Berninger ist heute auch Menschenrechtsbeauftragter des Konzerns. Vor seinem Wechsel in die Wirtschaft war er Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

    Sandra Wolf – Geschäftsführerin, Riese & Müller

    Sandra Wolf verantwortet die strategische Ausrichtung und das Thema Nachhaltigkeit beim E-Bike-Pionier Riese & Müller. Als sich die Firma 2017/18 vornahm, der nachhaltigste Fahrradhersteller zu werden, “formulierten wir dafür keine Kriterien”, so Wolf. Ihr Ziel sei es gewesen, die “Branche aufzurütteln”, weil diese sich sehr lange darauf ausgeruht habe, ein nachhaltiges Gefährt zu verkaufen, aber wenig über ihre Lieferkette wusste. Studiert hat sie BWL in den Neunzigerjahren, “als Nachhaltigkeit keinen Raum in der Wirtschaft hatte”. Anschließend arbeitete sie als Beraterin. Die Transformation versteht sie als einen generationsübergreifenden Gestaltungsprozess, der weit in die Zukunft gerichtet ist.

    Kerstin Waltenberg – Menschenrechtsbeauftragte, Volkswagen

    Kerstin Waltenberg hat einen der wichtigsten Posten in der deutschen Industrie inne, wenn es um Menschenrechte in Lieferketten geht. Sie ist seit 2022 Menschenrechtsbeauftragte des Volkswagen Konzerns und Human Rights Officer der Volkswagen Group. Ihre Stelle schuf VW wegen des Lieferkettengesetzes, Waltenberg berichtet von dort direkt an den Vorstand. Die promovierte Juristin war zuvor bereits Chief Compliance bei der Daimler AG und davor als Regional Compliance Officer Trucks für die Regionen Europa, Russland und Nordamerika und in der Rechtsabteilung der Daimler Financial Services AG tätig.

    Antje von Dewitz – Geschäftsführerin, Vaude

    Antje von Dewitz ist eine der couragiertesten Unternehmerinnen. Sie positioniert sich gegen rechts und für ein Bleiberecht für Geflüchtete, die im Arbeitsmarkt integriert sind. Ihr größtes Thema ist aber die Transformation der Wirtschaft, schon aus Verantwortung ihren Kindern gegenüber. Vor 15 Jahren übernahm sie die Geschäftsführung von Vaude, seitdem hat sie die von ihrem Vater gegründete Outdoor-Firma auf einen konsequent nachhaltigen Kurs gebracht. Das Unternehmen beschäftigt sich mit Mikroplastik und Recycling genauso wie mit der angemessenen Entlohnung aller Mitarbeitenden. Dafür wurde Antje von Dewitz bereits mehrfach ausgezeichnet.

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    ESG.Table Redaktion

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