vom Krieg gegen die Ukraine haben vor allem Unternehmen profitiert, die fossile Energie oder Rüstungsgüter verkaufen – zwei Sektoren, die gemeinhin nicht als ESG-konform gelten. Trotzdem investierten laut einer aktuellen Studie der NGO Finanzwende als nachhaltig beworbene Fonds zwischen Dezember 2021 und März 2022 fast eine Milliarde Dollar in fossile Energien. Mehr dazu in den News.
Der Krieg habe auch gezeigt, dass die Rüstungsindustrie bei Fragen nach ethischer Geldanlage eine wichtigere Rolle spiele als von vielen gewünscht, sagt Christian Klein, Professor für Sustainable Finance an der Universität Kassel, im Interview mit Caspar Dohmen. Der Wissenschaftler sieht das Hautproblem von ESG-Fonds darin, dass sie Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen, statt auf die Umweltwirkungen zu schauen, die Unternehmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen auslösen.
Neben Aktionären können auch Mitarbeitende wichtige Impulse für Transformation von Unternehmen geben. Bislang sind die Mitbestimmungsrechte dafür allerdings begrenzt. Das will Die Linke ändern. Sie bringt kommende Woche im Bundestag einen Antrag ein, der die Rechte von Betriebsräten stärken soll. Wie wichtig Gewerkschaften die Transformation mittlerweile ist, zeigt das Beispiel von Reiner Hoffmann. Der ehemalige DGB-Chef ist neuer Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung. Carsten Hübner berichtet über beide Entwicklungen.
Bleibt noch der Staat, der in der Transformation eine stärkere Rolle spielt, wie bei öffentlichen Aufträgen. Sie sollen nur noch an Unternehmen vergeben werden, die sich an Tarifverträge halten. Doch das Vorhaben könnte dazu führen, dass sich noch weniger Unternehmen um öffentliche Aufträge bewerben – das zeigt meine Analyse.
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Bei Umwelt, Klima und Digitalisierung sollen Betriebsräte in Unternehmen nach dem Willen der Linksfraktion mehr Mitbestimmungsrechte erhalten. Über ihren Antrag debattiert der Bundestag in der kommenden Woche. Beim Arbeitgeberverband und der Union regt sich Widerspruch. Die Wissenschaft hingegen stellt der Mitbestimmung gerade in Zeiten des Umbruchs ein gutes Zeugnis aus.
Der Umbau der Wirtschaft ist in vollem Gange. Wesentliche Treiber sind die Digitalisierung und der Klimawandel. Damit Arbeitnehmerrechte im Zuge dieser doppelten Transformation nicht auf der Strecke bleiben, fordert die Fraktion Die Linke im Bundestag eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). “Die neue Wirtschaftsweise und Arbeitswelt wird nur demokratisch, sozial und ökologisch sein, wenn die Beschäftigten an diesem Umbauprozess aktiv beteiligt sind”, heißt es einleitend in ihrem Antrag.
Der zentrale Hebel ist aus Sicht der Linksfraktion ein Upgrade der Mitbestimmungsrechte in wesentlichen Tätigkeitsfeldern von Unternehmen. An die Stelle derzeit geltender Unterrichtungs- und Beratungsrechte sollen “zwingende Mitbestimmungsrechte” treten. Zwingend bedeutet, der Arbeitgeber kann die jeweiligen Vorhaben nicht ohne die Zustimmung des Betriebsrates umsetzen. Mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten sind im § 87 BetrVG geregelt, etwa die Arbeitszeit oder die Arbeitsorganisation.
Dem Antrag zufolge soll dieses Mitbestimmungsrecht künftig auch für Maßnahmen gelten, die “eine Gefahr für die natürlichen Lebensgrundlagen darstellen” oder “zu höheren Umwelt- oder Klimabelastungen führen können”. Der Betriebsrat erhielte außerdem ein Initiativrecht für Vorschläge zur Verringerung solcher Belastungen. Voll mitbestimmungspflichtig würden darüber hinaus der Bereich Berufsbildung, inklusive der Fort- und Weiterbildung, der Beschäftigtendatenschutz entlang der gesamten datenschutzrechtlichen Verarbeitungskette sowie die Einführung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz. Damit erhielten die Betriebsräte eine zentrale Rolle bei der Transformation der Unternehmen.
“Erheblichen Reformbedarf” beim BetrVG sieht auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Jan Dieren. Er ist Berichterstatter für den Wandel der Arbeit, Arbeit 4.0 und betriebliche Mitbestimmung seiner Fraktion. Gegenüber Table.Media begrüßte er den Antrag der Linken. Die Arbeitswelt habe sich stark gewandelt. Beschäftigte wollten sich einbringen “und mit ihren Unternehmen zu etwas Sinnvollem für unsere Gesellschaft beitragen”. Dieser “gestiegene Anspruch sollte seinen Ausdruck in der Mitbestimmung finden”, ist Dieren überzeugt.
Stephan Stracke, Vorsitzender der AG Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist da ganz anderer Meinung. Für ihn liegt die Grenze der Mitbestimmung dort, wo in den Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungen eingegriffen wird. Darum aber gehe es im Antrag der Linksfraktion. Sie hänge damit “weiterhin ihren alten sozialistischen Fantasien an”, so Stracke. Gleichzeitig hob der CSU-Politiker die hervorragende Arbeit der Betriebsräte hervor. Sie würden auch “in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, indem sie innerbetriebliche Transformationsprozesse begleiten und unterstützen”.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht ebenfalls keine Notwendigkeit für neue Mitwirkungsrechte. Schon heute hätten Betriebsräte “vielfältige Handlungsmöglichkeiten, sich in den Prozess der Transformation einzubringen”, konstatiert BDA-Sprecherin Birgit Strahlendorff. Was es stattdessen bräuchte, sei “eine Betriebsverfassung 4.0 mit klaren Zeitvorgaben und Fristen für Mitbestimmungsverfahren”.
Aber ein Ausbau der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei der Transformation würde nur bei der Minderheit der Betriebe greifen. Denn laut IAB-Betriebspanel 2021 haben in der deutschen Privatwirtschaft nur rund acht Prozent aller Betriebe mit fünf oder mehr Beschäftigten einen Betriebsrat. Der Anteil stagniert seit Jahren. Da jedoch besonders mittlere und große Unternehmen mitbestimmt sind, arbeiten durchschnittlich noch immer 38 Prozent der Beschäftigten (2010: 44 Prozent) in Betrieben mit Betriebsräten.
Traditionell höher ist der Anteil im Organisationsbereich der IG Metall. Nach ihren Angaben haben hier aktuell 56 Prozent der Betriebe Arbeitnehmervertretungen mit insgesamt 65.775 Betriebsräten. 47.066 davon sind Mitglied der IG Metall. In der von der Transformation besonders betroffenen Automobilwirtschaft hat die Gewerkschaft eine besonders starke Stellung.
IG Metall-Sprecherin Alina Heisig betont daher auch, ihre Gewerkschaft präge die Debatte über einen Umbau der Wirtschaft wesentlich mit. “Unter dem Begriff ‘Fairwandel’ setzen wir uns für eine Transformation ein, die sozial, ökologisch und digital vereint”, erläutert sie. Im Juni 2019 hatten unter diesem Motto 50.000 Gewerkschaftsmitglieder in Berlin demonstriert. Einen Monat später legten IG Metall, NABU und BUND ihr gemeinsames Eckwertepapier vor. Es trägt den Titel “Die Klima- und Mobilitätswende gestalten”. Kritiker werfen der IG Metall hingegen immer wieder vor, gemeinsam mit der Industrie auf der Bremse zu stehen.
Einzelne Vorzeigeprojekte in Sachen Umwelt- und Klimaschutz gibt es auf jeden Fall. Beispielsweise die “Volkswagen Belegschaftsgenossenschaft für regenerative Energien”. Sie wurde auf Initiative von IG Metall-Betriebsräten bei VW in Emden gegründet und betreibt seit 2008 ein stetig wachsendes Solarkraftwerk auf dem Werksgelände. Bei VW in Salzgitter wiederum drängten die Arbeitnehmervertreter auf die Erweiterung der Produktpalette. Seit 2010 werden dort nicht nur Automotoren, sondern auch hocheffiziente Blockheizkraftwerke (A++) gebaut.
Außer Frage steht, dass Unternehmen und Belegschaften von der Mitbestimmung profitieren können. Das zeigt eine Vielzahl von Studien, sowohl im Bereich der betrieblichen als auch der Unternehmensmitbestimmung. So hat das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle im Jahr 2020 eine um 12,8 Prozent höhere Produktivität und um 14 Prozent höhere Gewinne im Vergleich zu nicht mitbestimmten Unternehmen ermittelt. Belegt sind auch höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und eine größere Arbeitsplatzsicherheit. Gerade in Krisen und Umbruchsituationen zeigen sich mitbestimmte Unternehmen sozial und wirtschaftlich stabiler und resilienter.
“In einer Krise müssen Unternehmen sich schnell verändern. Da ist es gut, wenn die wesentlichen Beteiligten von Anfang an mit am Tisch vertreten sind”, sagt Marc Steffen Rapp, der Betriebswirtschaftslehre an der Philipps-Universität in Marburg lehrt. Unternehmen seien deshalb gut beraten, “die Einbindung der Belegschaft in Veränderungsprozesse explizit vorzusehen”. Rapp hat 2019 eine Studie über die Mitbestimmung in Aufsichtsräten vorgelegt. Darin ging es um die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009.
Ob mitbestimmte Unternehmen jedoch auch in Klima- und Umweltfragen nachhaltiger agieren, ist wissenschaftlich noch nicht hinreichend untersucht. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat deshalb ein Forschungsprojekt initiiert, das die “betriebliche Mitbestimmung der nachhaltigen Transformation” untersucht. Es läuft bis Sommer dieses Jahres.
In einer früheren Version des Artikels haben wir den Namen des SPD-Bundestagsabgeordneten Jan Dieren versehentlich falsch geschrieben. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Wirtschafts- und Arbeitsministerium arbeiten an einem Referentenentwurf für ein Bundestariftreuegesetz. Danach soll der Bund Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, die ihre Beschäftigten nach dem Tarifvertrag bezahlen, den der Bund als repräsentativ für die jeweilige Branche einstuft. Dies soll die Tarifbindung, den fairen Wettbewerb sowie die soziale Nachhaltigkeit stärken.
Die Befürworter versprechen sich eine große Hebelwirkung angesichts der schätzungsweise 34 Milliarden Euro, die allein der Bund jährlich für öffentliche Aufträge ausgibt. Das entspricht fast 10 Prozent des gesamten Beschaffungsvolumens in Deutschland. In den meisten Bundesländern, wo durch Kommunen der Großteil der öffentlichen Aufträge vergeben wird, gibt es schon Tariftreue-Regelungen mit unterschiedlicher Reichweite.
Kritiker bemängelten im öffentlichen Konsultationsverfahren im Wesentlichen drei Punkte: Die Regelung sei verfassungswidrig, da sie Firmen in die Tarifbindung zwinge; sie benachteilige nicht-tarifgebundene Unternehmen im Wettbewerb – besonders kleine und mittlere – und führe dazu, dass weniger Unternehmen an Vergabeverfahren teilnehmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2006 entschieden, dass Tariftreue-Regelungen verfassungskonform sind. Damals ging es um die Tarifbindung bei öffentlichen Bauaufträgen in Berlin. Die Entscheidung erlaubt Bund und Ländern aus Sicht der herrschenden juristischen Meinung in Vergabeverfahren entsprechende Vorgaben zu machen.
Eine Wende gab es im EU-Recht: 2008 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch entschieden, dass eine Tariftreue-Regelung mit EU-Recht unvereinbar sei (Rüffert-Urteil). Aber seitdem haben sich Recht und Rechtsprechung verändert.
Denn seit 2014 erlaubt die EU-Vergaberichtlinie öffentlichen Auftraggebern, ökologische und soziale Faktoren bei Vergabe zu berücksichtigen. Und schon 2015 rückte der EuGH klar von der Rüffert-Entscheidung ab – mit einem Urteil in einem ähnlichen Fall (RegioPost). Laut Experten wäre eine Tariftreue-Pflicht bei der öffentlichen Vergabe europarechtskonform. Denn außer der Vergaberichtlinie wäre sie legitimiert durch die reformierte EU-Arbeitnehmerentsenderichtlinie (2018) sowie den EU-Richtlinienvorschlag über angemessene Mindestlöhne (2020).
Unter anderem die DIHK befürchtet, dass eine Tariftreue-Regelung das ohnehin schon vielschichtige Vergaberecht noch komplexer mache. Der Mehraufwand an Bürokratie sei für nicht-tarifgebundene Unternehmen – insbesondere KMU – “kaum zu stemmen“, wehrt sich die IHK Auftragsberatungsstelle Baden-Württemberg. Betriebe müssten dann unter Umständen zweierlei Löhne kalkulieren: Einen Lohn für Mitarbeitende, die öffentliche Aufträge ausführen, und einen anderen für solche Mitarbeiter, die für private Auftraggeber arbeiten. Thorsten Schulten, Forscher am gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans Böckler Stiftung, hält das Argument für vorgeschoben: “Es ist für jeden Betrieb zumutbar, zwei Löhne zu kalkulieren.”
Geht es nach dem Preis, sind es bislang tarifgebundene Betriebe, die einen Wettbewerbsnachteil haben. Öffentliche Aufträge an die Einhaltung von Tarifverträgen zu binden, sei notwendig, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, sagen Befürworter. Denn die Tarifbindung ist in den vergangenen 20 Jahren stetig gesunken. Inzwischen gilt nur noch für rund 43 Prozent der Angestellten in Deutschland ein Tarifvertrag.
Selbst wenn das Bundestariftreuegesetz für einen fairen Wettbewerb sorgen würde, sind erhebliche negative Folgen möglich: Noch weniger Unternehmen könnten sich an Vergabeverfahren beteiligen. Schon heute beklagten sich Vergabestellen, dass es nur wenig Bieter gebe, heißt es in Stellungnahmen. Und die Zahl der Bieter ist tatsächlich stark gesunken bei europaweiten Verfahren, die über das digitale Supplement zum Amtsblatt der EU (TED) laufen.
So zeigt eine Untersuchung des Vergabeforschers Michael Eßig, dass die Zahl der Bieter zwischen 2009 und 2018 von durchschnittlich neun auf vier zurückging. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Vergaben, in denen sich nur ein Bieter beteiligte, von zehn auf 20 Prozent. Allerdings weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die TED-Datenbank nur einen Bruchteil des jährlichen Beschaffungsvolumens abdeckt, im Fall von Deutschland rund 13 Prozent. Daher lassen sich aus diesen Zahlen keine Schlüsse ziehen, die für die öffentliche Vergabe in Deutschland generelle Aussagen zuließen.
Die erste bundesweite Vergabestatistik (1. Halbjahr 2021) zeigt: In rund 17 Prozent der Verfahren gab es im Durchschnitt über alle staatlichen Ebenen nur einen Bieter – beim Bund waren es ungefähr 26 Prozent. Die Berichtsstellen haben allerdings je nach Ebene auch in 25 bis 30 Prozent der Fälle keine Angaben zur Zahl der Bieter gemacht. Zudem deckt die Statistik nur etwa 15 Prozent des hiesigen Beschaffungsvolumens ab. Denn die meisten Berichtstellen haben keine Daten gemeldet. Die Datenlage ist also noch dürftig für Deutschland.
Theoretisch können Aufträge des Staates als Hebel für einen fairen Wettbewerb eingesetzt werden, um ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu fördern. In der Praxis würde dieses Ziel aber verfehlt, wenn Firmen sich in großer Zahl wegen Tariftreue-Regelungen nicht mehr an Vergabeverfahren beteiligten.
Kurz nach dem Beginn des Ukrainekrieges sprachen Sie mit Blick auf die Rüstungsindustrie und ESG von einer Zeitenwende, hat sie stattgefunden?
Das älteste Instrument von ethischen Geldanlagern ist der Ausschluss von Wirtschaftstätigkeiten, die von vielen als unethisch ansehen. Dazu gehören klassischerweise Kinderarbeit, Pornografie, Alkohol, Tabak und natürlich Rüstung. Aber mit dem Krieg in der Ukraine haben wir gemerkt, dass Waffen offensichtlich doch eine wichtigere Rolle spielen, als die meisten das gerne hätten. Allerdings wird in der Debatte einiges vermengt, wenn es um nachhaltig oder nicht nachhaltig geht.
Woran denken Sie?
Einerseits gibt es Wirtschaftstätigkeiten, die als nachhaltig definiert werden, wie Windkraft oder Solar. Aber Bereiche, die nicht dermaßen klassifiziert werden, sind ja nicht automatisch das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Farblich ausgedrückt, was nicht grün ist, ist nicht automatisch braun, sondern kann auch farblos sein. Aber nun macht sich die Waffenlobby in Brüssel stark dafür, dass Waffen in die soziale Taxonomie kommen. Davon bin ich doch überrascht. Wir können gerne darüber diskutieren, ob Waffen künftig kein Ausschlusskriterium mehr sein sollten. Aber zu sagen, Waffen sind nachhaltig, das finde ich reichlich erstaunlich.
Aber die EU stuft in ihrer Taxonomie auch Kernkraft und Erdgas als grün ein?
Da hat die Rüstungslobby gesehen, was möglich ist. Aber das hat die Politik gegen den Rat der Fachleute entschieden, also den Menschen aus Wissenschaft, Praxis und NGOs, welche die Taxonomie ehrenamtlich entworfen hatten. Wir waren alle sauer, wie das am Ende lief. Mir wurde gesagt, dass es ein politischer Kuhhandel von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Bundeskanzler Olaf Scholz war, Frankreich bekam die Atomkraft, Deutschland das Erdgas.
Die Rüstungsindustrie verweist auf Finanzierungsprobleme wegen der Berücksichtigung von ESG-Kriterien durch Anleger und Banken- zu Recht?
Ich kann das nachvollziehen. Viele Banken werden aus Image-Gründen – sie wollen nachhaltiger sein -, einen Teufel tun, einem Rüstungsunternehmen einen günstigen Kredit zu geben. Aber genau das ist so gewollt bei Geldanlagen nach ESG-Kriterien.
Um die Kapitalkosten zu erhöhen…
Unternehmen aus Bereichen wie Tabak, Pornografie, Alkohol und Rüstung sollen sich eben schwerer tun, diese Geschäfte sollen weniger lukrativ sein und am besten verschwinden. Aber die Wertentscheidungen, die letztlich jeder nachhaltigen Geldanlage zugrunde liegen, können sich wandeln. Deswegen diskutieren wir jetzt darüber, ob es noch angemessen ist, die Kapitalkosten von Rüstungsunternehmen künstlich zu erhöhen. Auf die Diskussion lasse ich mich gerne ein. Ich bin gerne bereit zu diskutieren, ob wir die Rüstungsindustrie künftig nicht mehr als braun betrachten, sondern als farblos. Aber ich bin dagegen, sie als ESG-konform zu deklarieren und damit ihre Kapitalkosten zu senken.
Wenn dies geschieht, dürfen ja auch weitere Wirtschaftsbereiche auf Änderungen drängen?
Ich werde oft bei Veranstaltungen darauf angesprochen. Jemand von einer Bäckerei-Innung beschwerte sich beispielsweise, warum sie nicht in der Taxonomie seien. Brot backen sei doch nachhaltig. Dann sage ich immer, nur weil ihr nicht in der Taxonomie seid, seid ihr nicht braun. Ihr seid halt neutral. Bei der Taxonomie geht vor allem um den Kampf gegen die Klimakrise, damit habt ihr wenig zu tun. Sollte die Rüstungsindustrie bevorzugte Finanzierungskonditionen aufgrund der ESG-Taxonomie bekommen, könnte ich verstehen, wenn die Bäcker und andere Branchen auf die Barrikade gehen, weil sie die Welt nicht mehr verstehen.
Gemessen an den Börsenkursen waren Rüstungsunternehmen aber zuletzt bei Anlegern wesentlich mehr gefragt als nachhaltige Unternehmen?
Vor dem Krieg wiesen nachhaltige Geldanlagen tendenziell im Mittel eine bessere Performance auf als konventionelle Geldanlagen. Damit ist auch die Wirtschaft hausieren gegangen, nach dem Motto: Tue Gutes und werde damit reich. Es ist eine andere Diskussion, ob das überhaupt funktionieren kann. Aber 2022 war es tragischerweise so, Sie konnten nur gut an der Börse abschneiden, wenn Sie in Waffen, Öl oder Erdgas investiert haben. Daran knabbern die ganzen nachhaltigen Fonds.
Ist die Vorstellung, die Transformation durchzuführen und damit mehr verdienen zu können als mit dem konventionellen Wirtschaften falsch?
Ich persönlich finde ich diese Vorstellung absurd. Wenn es möglich wäre, die Welt zu retten und dabei eine Überrendite zu erzielen, dann hätten wir die Welt doch schon längst gerettet. Dann hätte sogar Donald Trump für uns die Welt gerettet. Ich glaube, wir müssen uns an die Idee gewöhnen, dass Nachhaltigkeit etwas kosten könnte.
Brauchen nachhaltige Unternehmen günstigere Mittel, um sich überhaupt im Markt durchsetzen zu können?
Die ganze Debatte, was labeln wir als nachhaltig und was nicht, macht nur Sinn, wenn wir irgendwann nachhaltigen wirtschaftlichen Aktivitäten bessere Finanzierungskonditionen verschaffen und damit nachhaltigen Unternehmen vergleichsweise geringere Kapitalkosten ermöglichen.
ESG ist schwer unter Beschuss geraten – hat es irgendetwas verändert?
Definitiv eine Menge. Sie finden kein Finanzhaus mehr, in dem das Thema nicht ganz groß wäre. Früher haben Banken das Thema im Bereich Kommunikation oder Regulierung aufgehängt. In allen Häusern, die ich kenne, gehört es heute zum Bereich Strategie, weil allen klar geworden ist, das Thema bleibt. Aber wir müssen differenzieren.
Inwiefern?
Unter dem Thema Nachhaltigkeit laufen zwei völlig getrennte Dinge ab. Einerseits der Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken und andererseits Impact. Nehmen wir den Klimawandel. Die Welt hat sich das Zweigradziel gesetzt. Um es zu erreichen, muss sich die Industrie umstellen, weswegen wir mehr regenerative Energien benötigen. Logischerweise ist es dann keine gute Idee mehr, langfristig in Kohle, Öl und Gas zu investieren. Solar und grüner Wasserstoff sind dann wahrscheinlich eine gute Idee. Aber solche Überlegungen haben aus meiner Sicht vor allem etwas mit Risikomanagement zu tun. Denn es geht darum, dass Investoren darauf wetten, dass das Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten wird, nicht mehr und nicht weniger. Solche Risiken bei der Investitionsentscheidung zu berücksichtigen ist für mich aber nicht Sustainable Finance, sondern nur Finance. Das läuft aber jetzt noch unter diesem Überbegriff.
Und was bedeutet dann Impact?
Dabei überlegen wir, wie können wir Geld für Investitionen nutzen, um unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen. Wie kann ich beispielsweise so in eine Produktion investieren, dass nachher weniger CO₂ in der Luft ist? Wie kann ich mit meiner Geldanlage dafür sorgen, dass unsere Welt enkeltauglich bleibt? Und das ist ein komplett anderer Ansatz. Aber diese beiden Sachen werden oft miteinander vermengt.
Können Sie das praktisch festmachen?
Die meisten nachhaltigen Fonds enthalten als größte Positionen Amazon, Alphabet, Microsoft und Apple. Die übliche Reaktion ist zu sagen, das ist Greenwashing und hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Müssten da nicht lauter Windradhersteller drin sein, die mindestens 50 Prozent Frauenanteil im Vorstand haben und die mir garantieren können, dass in der gesamten Wertschöpfungskette keine Kinderarbeit ist? Aber hier liegt ein Missverständnis vor. Die meisten nachhaltigen Fonds machen nichts anderes, als sich zu fragen, welche Geschäftstätigkeiten sind mit dem Zweigradziel kompatibel und dazu gehöre eben die großen Tech-Plattformen.
Wie geht es weiter?
Wir werden in Zukunft sehr viel darüber reden, was wirklich Greenwashing ist und über die ganzen Missverständnisse, die es dabei gibt. Impact wird ein Riesenthema, spätestens, wenn die ganzen großen Häuser, die jetzt nachhaltige Geldanlagen verkaufen, merken, dass auch die Kunden verstehen, dass vieles von dem, was da gemacht wird, eigentlich nur Risikomanagement ist. Sie werden sich dann auch in Richtung Impact orientieren.
Die GLS-Bank ist desillusioniert aus der Net-Zero Banking Alliance ausgetreten?
Diese verschiedenen Allianzen, wo sich Banken verpflichten Klimaneutral zu werden, haben einen Riesenzulauf gehabt, was toll und positiv ist. Aber wir befinden uns jetzt an einem Punkt, wo viele merken, es ist ja gar nicht so einfach. Tatsächlich ist es alles andere als trivial für eine Bank, ihr Kreditportfolio klimaneutral zu bekommen. Das ist schwer. Deswegen steigen jetzt große Häuser aus, weil sie überfordert sind. Gleichzeitig steigen Pioniere aus, weil es ihnen zu langsam vorwärtsgeht. Ich bin froh über diese Entwicklung, es ist Zeit, dass wir generell Dinge bei ESG mit Blick auf die Transformationswirkungen kritischer hinterfragen.
2.3.2023, 9 Uhr, München
Konferenz Erfolgsfaktor Nachhaltigkeit (Automobilwoche)
Es ist eine der größten Herausforderungen der Automobilindustrie: den Wandel zum nachhaltigen Wirken zu schaffen. Klimaschutz sowie soziale Aspekte und Führungsprinzipien sind eng verknüpft mit unternehmerischem Erfolg. Ihre Zukunftssicherheit sichert sich die Branche nur mit Nachhaltigkeit. Info & Anmeldung
6.3.2023, 9:30 Uhr
Virtueller Workshop Was uns die Folgen des Klimawandels kosten
Ein Vorhaben im Auftrag des BMWK, hat die gesamtwirtschaftlichen Schadens- und Anpassungskosten erforscht und aufgezeigt, welche Kostendimensionen bislang noch nicht bewertet werden können. Info & Anmeldung
13.-14.3.2023, Paris und online
Konferenz Sustain 2023 (Ecovadis)
Sustain will bring together thousands of attendees from the world of sustainability, procurement, compliance and responsible investment, to exchange knowledge, best practices and inspiration. Info & Anmeldung
15.3.2023, Leipzig
Kongress WasserDialog 2023 (Veolia)
Der WasserDialog, das Forum für den Austausch zwischen Wasserwirtschaft und Kommunen, geht in die nächste Runde. Das Rahmenthema: “Klima im Wandel, Wasser im Wandel”. Info & Anmeldung
16.3.2023, 9:30 Uhr
Workshop Mobilität gestalten und Klima schützen (Nationalen Kompetenznetzwerks für nachhaltige Mobilität)
Thorsten Koska, Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal Institut, präsentiert die Perspektive der Wissenschaft und berichtet über den Status quo sowie Handlungsfelder und -empfehlungen. Info & Anmeldung
28.-29.3.2023, Frankfurt am Main
Konferenz ESG-Tagung des Deutschen Investor Relations Verbands
Im Zentrum der Veranstaltung stehen die Herausforderungen durch die CSRD und das Human Capital Management als soziale Komponente von ESG. Außerdem gibt es Case Studies zum Dialog zwischen ESG-Analysten und IROs und zur Erstellung einer ESG Road Map. Info & Anmeldung
28.-31.3.2023, online
Konferenz Greentech.LIVE
Fachleute sprechen über Lösungen zur Verringerung von CO₂, nachhaltige Lieferketten, zukunftsfähige Mobilität, grüne Treibstoffe, klimaneutrale Energie, die Anpassung von Städten an den Klimawandel, effektive Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Repair-Konzepte, den Schutz von Wäldern und vieles mehr. Info & Anmeldung
29.-30.3.2023, Wien
Konferenz MIT Europe Conference
Als Ableger der Konferenz des weltberühmten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) bietet die Konferenz tiefgehende Business-Deep-Dives in die Themen Energie, Materialwissenschaften, Gesundheitstechnologien und Nachhaltigkeit. Info & Anmeldung
29.-30.3.2023, Darmstadt
Fachtagung 5. Praxisforum Kunststoffrezyklate 2023 (Fraunhofer LBF)
Das Praxisforum richtet sich an Kunststofferzeuger- und -verarbeiter, sowie Recycler und die Anwenderindustrien Fahrzeug, Weißware, Bau und Verpackung. Die Tagung findet in englischer Sprache statt und steht somit auch einem internationalen Publikum offen. Info & Anmeldung
29.-31.3.2023
Konferenz Sustainability Week (The Economist)
The 8th annual Sustainability Week focuses on helping businesses become sustainable faster. Info & Anmeldung
30.-31.3.2023, Dresden
Tagung sicher + gesund = nachhaltig!? Die Zukunft der Arbeit 2023 (IAG der DGUV)
Ziel der Veranstaltung ist, das Thema Nachhaltigkeit in der Präventionsarbeit kritisch zu hinterfragen und dabei komplexe Zusammenhänge freizulegen sowie neue Diskussions- und Beteiligungsformate anzuregen und auszuprobieren. Info & Anmeldung
30.-31.3.2023, Berlin
Tagung Deutscher Verpackungskongress
Der Branchengipfel steht unter dem Motto “Wie VUCA die (Verpackungs-)Welt verändert”. Das Wort VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Info & Anmeldung
Öl- und Gaskonzerne setzen derzeit vermehrt auf den Ausbau fossiler Reserven und wenden sich von ihren ursprünglichen Planungen für mehr Klimaschutz ab. Angesichts von Rekordgewinnen durch die internationale Energiekrise in Folge des Ukrainekriegs überdenken Industrie und Politik gerade ihre bislang gefassten Pläne, Reserven an Öl und Gas für den Klimaschutz im Boden zu lassen. Das gefährdet die Einhaltung der Klimapläne aus dem Pariser Abkommen.
Der Trend zeigt sich über die vergangenen Wochen in mehreren Einzel-Entscheidungen:
Die Ausweitung der Gas- und Ölförderung gefährdet nach einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) allerdings die Erreichung der globalen Klimaziele. Um sie zu halten und 2050 bei Null-Emission zu landen, so die OECD-Behörde in ihrem Fahrplan “Net Zero by 2050”, dürften nach 2021 “keine neuen Öl- und Gasfelder und keine neuen oder erweiterten Kohlegruben zugelassen werden.” Diese Warnung wurde durch einen Überblick über alle relevanten Studien zum Thema im Herbst 2022 bestätigt.
Die Pläne der Unternehmen sehen anders aus. Laut einer Studie des Thinktanks “Carbon Tracker” von Ende 2022 haben die einzelnen Firmen gegenüber 2019 folgende Pläne:
Von den staatlichen Energiekonzernen etwa aus Saudi-Arabien, China oder Russland sind langfristige Pläne zur Drosselung der Produktion nicht bekannt.
Die Öl- und Gaskonzerne haben im letzten Jahr durch die sprunghaft gestiegenen Preise Rekordprofite gemacht. Insgesamt habe die Industrie rund vier Billionen US-Dollar verdient, so die IEA. Die sechs großen privaten Firmen verdoppelten ihren Gewinn gegenüber dem Vorjahr auf 219 Milliarden Dollar. Sie steckten 110 Milliarden in Dividenden oder den Rückkauf eigener Aktien. Einige Firmen schrieben aber auch große Summen durch den Rückzug aus Russland nach dem Überfall auf die Ukraine ab.
Die bisherige Geschäftspolitik vor allem der privaten Ölkonzerne ist allerdings ohnehin kaum an den Pariser Klimazielen ausgerichtet. Laut Carbon Tracker haben Chevron, Eni, Shell und TotalEnergies seit 2021 insgesamt mindestens 58 Milliarden Dollar für neue Projekte freigegeben. Sollten alle diese Vorhaben umgesetzt werden, führe das zu einem Öl- und Gasverbrauch, der die globale Temperatur über 2,5 Grad treibt. bp
Als nachhaltig beworbene Fonds sind zuletzt deutlich CO₂-lastiger geworden, weil sie mehr Anlagegelder in fossile Unternehmen investiert haben. Das ist das Ergebnis einer am Dienstag veröffentlichten Studie der NGO Finanzwende. Sie untersuchte Portfolio-Bewegungen von 2.434 aktiv gemanagten und in Europa erhältlichen Fonds aus der Datenbank von Morningstar, die nach Artikel 8 und Artikel 9 der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SDFR) als nachhaltig vermarktet werden dürfen.
Um deren Reaktion auf die veränderte Marktsituation zu erfassen, verglichen die Autoren der Studie die Portfolios Ende Dezember 2021 mit März 2022, also vor und kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24.2.2022. In dieser Zeitspanne seien die untersuchen Portfolios um 7,9 Prozent CO₂-intensiver geworden, schreiben die Autoren Alison Schultz und Magdalena Senn. Ihr Fazit: Das Greenwashing in vermeintlich nachhaltigen Fonds habe in Reaktion auf Techflaute, Ukrainekrise und Energiekrise “zugenommen”. Als Greenwashing definiert die NGO Investitionen es, wenn entgegen dem UN-Nachhaltigkeitsziel 13 “Maßnahmen zum Klimaschutz” in Unternehmen aus dem fossilen Sektor investiert werde, deren Geschäftsmodelle mit dem Pariser Klimaschutzabkommen unvereinbar seien.
Die Nachhaltigkeitsfonds stellten diese Ereignisse vor eine große Herausforderung, weil sich an den Aktienmärkten fast nur Rendite erzielen ließen, wenn Anleger in fossile Energie oder Rüstungsgüter investierten (siehe Interview mit Christian Klein in dieser Ausgabe). Zudem verloren Tech-Unternehmen deutlich, die einen großen Anteil an Nachhaltigkeitsfonds ausmachen. Unter dem Strich schnitten nachhaltige Fonds bei der Performance deswegen zuletzt deutlich schlechter ab als konventionelle Fonds. Zudem änderte sich die EU-Regulatorik am grünen Anlagemarkt, weswegen viele Anbieter Fonds aus der strengeren Artikel-9-Kategorie in die weniger strenge Artikel-8-Kategorie herabstuften.
Vor allem letzterer Gruppe zugehörige Fonds hätten Energieaktien gekauft und sich von Aktien aus dem Tech- und Finanzsektor getrennt, heißt es in der Studie. In beiden Kategorien zusammen stieg der Anteil von Energieaktien am Gesamtportfolio von knapp 2,5 Prozent Ende 2021 bis Ende Dezember auf 2022 auf 3,3 Prozent, wovon vor allem europäische und indische Öl-Unternehmen profitiert hätten. Der Anteil von Tech-Aktien (Apple, Alphabet, Microsoft und so weiter) sank von über 23 Prozent auf unter 20 Prozent. Nur wenige Fonds seien über den gesamten Untersuchungszeitraum gar nicht in fossile Energie investiert gewesen.
Allerdings sei die Wirkung von nachhaltigen Geldanlagen, besonders von Aktienfonds, für die Transformation begrenzt, heißt es bei Finanzwende. Erheblich wichtiger seien adäquate politischen Rahmenbedingungen, eine nachhaltige Industriepolitik und die Bepreisung von CO₂. Denn eine solche Politik führe dazu, dass klimaschädliche Investitionen automatisch unrentabel würden “und eine nachhaltige Geldanlage die Regel”. cd
Die Kommission will im März ihren Vorschlag für eine unabhängige Ethikbehörde vorlegen. Dies kündigte EU-Kommissarin Věra Jourová im Europaparlament an. Die Brüsseler Behörde reagiert damit auf den als Katargate bekannten Korruptionsskandal, der seit Dezember das Parlament erschüttert und das Vertrauen in die EU beschädigt.
Die Abgeordneten begrüßten den Vorstoß, forderten jedoch mehr Tempo und größeren Ehrgeiz. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe die ordnungsgemäße Durchsetzung der Ethikregeln und eine unabhängige Aufsicht bereits 2019 versprochen, sagte Daniel Freund (Grüne), Berichterstatter des Parlaments. Geliefert habe sie bisher aber nicht.
Wenn die Vorlage wie angekündigt im März kommt, müssten die Verhandlungen mit dem Parlament noch vor der Sommerpause abgeschlossen werden, heißt es in der am Donnerstag verabschiedeten Entschließung. Die neue Behörde solle eine Schlüsselrolle beim Schutz von Whistleblowern spielen und eng mit anderen EU-Behörden wie OLAF oder der europäischen Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten.
In einer weiteren Resolution fordern die Abgeordneten eine bessere Umsetzung des bestehenden Code of Conduct in den EU-Institutionen. Der Strafkatalog müsse ausgeweitet werden, zudem müsse es bei Verstößen auch Geldstrafen geben. Teure Luxusreisen in ferne Länder auf Kosten der Gastgeber dürfe es nicht mehr geben, heißt es in Anspielung auf vergangene Einladungen aus Katar.
Katargate habe gezeigt, dass schon ein einzelner Fehltritt reichen könne, um die EU in Misskredit zu bringen, sagte Stéphane Séjourné, Chef der liberalen Renew-Fraktion. Eine unabhängige Ethikbehörde sei die “Antwort auf diese inakzeptablen Fehltritte”. Es gehe um “eine der wichtigsten Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung in den EU-Institutionen”, meint auch Daniel Freund.
Allerdings sind die Ankündigungen der Kommission noch vage. Jourová bekannte sich zwar zu gemeinsamen und hohen Ethikstandards in allen Institutionen. Sie ließ aber durchblicken, dass die Kommission die bisherige Selbstkontrolle von Politikern nicht durch unabhängige Experten ersetzen wolle. Damit würde sie hinter den Forderungen des Parlaments zurückbleiben, warnt Freund. ebo
Dass ein Mann ein höheres Gehalt bekommt als eine Frau in gleicher Position, nur weil er besser verhandelt hat oder einer besser bezahlten Kollegin folgt, ist kein berechtigter Grund, der Frau weniger Lohn zu zahlen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Donnerstag. Sarah Lincoln von der am Prozess beteiligten Gesellschaft für Freiheitsrechte hält das Urteil für einen “Meilenstein auf dem Weg zu mehr Entgeltgleichheit”.
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, nachdem sie erfahren hatte, dass ein männlicher Kollege mehr verdiente als sie. Er hatte zwei Monate vor ihr als Vertriebsmitarbeiter im Unternehmen angefangen. Die Firma argumentierte, dass der Kollege erst ein höheres Gehalt ausgehandelt und dann eine besser bezahlte Kollegin ersetzt habe, weshalb das niedrigere Gehalt gerechtfertigt sei. Das BAG überzeugte dies nicht. Es stellte fest, dass die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts schlechter bezahlt und damit benachteiligt worden sei. Sie bekommt nun den entgangenen Lohn in Höhe von 14.500 Euro und eine Entschädigung von 2.000 Euro.
Der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott geht davon aus, dass die Entscheidung eine “große Bedeutung für die Arbeitswelt haben wird”. “Sie kann dazu beitragen, das statistisch nachgewiesene Gender Pay Gap effektiv abzubauen“, sagte er Table.Media. Gleichzeitig erwartet der Jurist, dass außerhalb von Tarifverträgen, “künftig viel mehr einzelfallbezogen diskutiert werden muss und Unternehmen ihre Vergütungsentscheidung stärker dokumentieren müssen”, wenn sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in gleicher Position unterschiedlich bezahlen.
Denn laut Entgelttransparenzgesetz dürfen Angestellte, die gleiche oder gleichwertige Arbeit machen, nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden. Nur objektive Gründe wie Ausbildung, Berufserfahrung oder besondere Kenntnisse erlauben eine unterschiedliche Bezahlung. Diese Regelung ist auch eine Reaktion auf die nach wie vor bestehende Lohn-Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. So verdienten Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien 2022 in Deutschland im Durchschnitt immer noch sieben Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Der unbereinigte Gender Pay Gap liegt sogar bei 18 Prozent, weil Frauen häufig in Teilzeit oder in schlechter entlohnten Berufen arbeiten. Dabei ist unbezahlte Arbeit wie Kindererziehung noch nicht einmal berücksichtigt. nh
Wegen Nicht-Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie hat die EU-Kommission acht Mitgliedsstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt, darunter Deutschland. Bereits Anfang 2022 hatte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Denn die Ende 2019 in Kraft getretene Richtlinie hätten alle Mitgliedsstaaten bis zum 17.12.2021 in nationales Recht umsetzen müssen. Im Bundesrat hatte kürzlich die CDU/CSU-Fraktion die Verabschiedung eines Hinweisgeberschutzgesetzes in Deutschland blockiert.
Whistleblower weisen auf staatliche Kontroll- und Regelungslücken hin und stärken den demokratischen Diskurs. Vor kurzem hatte dies auch der europäische Menschengerichtshof in dem Urteil im Fall Halet v. Luxemburg anerkannt und klargestellt, dass die Offenlegung von gravierenden Missständen im öffentlichen Interesse liegt.
Wirtschaft und Politik zögern den Whistleblower-Schutz aber seit Jahren hinaus. “Der deutsche Gesetzgeber muss jetzt dringend ein umfassendes Hinweisgeberschutzgesetz verabschieden, wenn er erhebliche Strafzahlungen vermeiden will”, sagt der Geschäftsführer des Whistleblower-Netzwerks, Kosmas Zittel. “Außerdem ist es im Lichte des EGMR-Urteils geboten, den Gesetzesbeschluss des Bundestags nachzubessern und öffentliches Whistleblowing zu erleichtern.”
Der Gesetzesbeschluss des Bundestags erlaubt eine Offenlegung nur in Ausnahmefällen. Das Whistleblower-Netzwerk fordert dagegen seit langem, Hinweise zu erheblichen Missständen unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes aufzunehmen und deren Offenlegung zu schützen, wenn dies im Interesse der demokratischen Öffentlichkeit liegt. cd
Der europäische CO₂-Preis hat am Dienstag erstmals die Schwelle von 100 Euro pro Tonne überschritten. Das neue Rekordhoch – für das Recht, innerhalb des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) eine Tonne CO₂ zu emittieren – lag am Dienstagmittag bei 101,25 Euro. Es handelte sich dabei um den Future-Preis für Dezember 2023 an der Terminbörse.
In den vergangenen vier Wochen war der Preis schon mehrfach bis knapp unter die 100-Euro-Marke gestiegen. Der jetzige Preisanstieg ist allerdings nicht auf ein bestimmtes Ereignis zurückzuführen, sondern das Resultat der derzeitigen europäischen Klimapolitik und der Reform des ETS. Die Menge der verfügbaren Emissionsrechte wird in absehbarer Zeit sinken, was den Preis an den Terminbörsen schon jetzt stetig in die Höhe treibt. Seit Jahresbeginn ist der CO₂-Preis im ETS um 20 Prozent gestiegen.
Direkte Auswirkungen durch den Preisanstieg sind nicht zu erwarten, da sich Industrieanlagen, Energieerzeuger und Fluggesellschaften, die unter das ETS fallen, für gewöhnlich vorzeitig mit reichlich Zertifikaten eindecken. Dennoch wird das Überschreiten der 100-Euro-Marke als psychologisches und historisches Ereignis interpretiert. “Das ist ein wichtiges Signal für Investitionen in den Klimaschutz: Das knapper werdende #CO2Budget spiegelt sich in den steigenden Preisen wider”, schrieb Klimawissenschaftlerin Brigitte Knopf auf Twitter. Experten und Analysten sehen hohe CO₂-Preise als eines der wichtigsten Instrumente, die industrielle Transformation voranzutreiben, da die Kosten, um CO₂ zu vermeiden, relativ betrachtet sinken. luk
Der Automobilsektor wird das für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gegebene Treibhausgasbudget für Pkw schon 2035 aufgebraucht haben, wenn er sich nicht verändert. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung Kearney im Auftrag der Elektroautohersteller Polestar und Rivian. Im Jahr 2050 wäre das Budget demzufolge bereits um 75 Prozent überschritten.
Einhalten könne die Branche das Pariser Klimaziel nur noch, wenn Emissionen über den gesamten Zyklus der Fahrzeuge gesenkt würden. Künftig müssten alle Neuwagen E-Fahrzeuge sein, der Ladestrom müsste ausschließlich aus erneuerbaren Energien kommen und die Emissionen der Produktion müssten bis 2032 um 81 Prozent sinken.
Mit Blick auf Fortschritte empfehlen die Autoren der Studie den Herstellern zu überlegen, wo sie zusammenarbeiten können. Potenzial sehen sie bei der gemeinsamen Senkung von Emissionen der Zulieferer. Aktuell entstehen bei der Produktion von E-Autos besonders aufgrund der Batterien 35 bis 50 Prozent mehr Emissionen als bei Verbrennern. Verbesserungen könnten auf drei Wegen geschehen: weniger Emissionen bei der Produktion von Material, weniger Material oder anderes Material.
Weitere Felder für Kooperationen seien die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen und ihr sozial-verträglicher Abbau sowie die Wiederverwendung von Ressourcen. Zudem halten die Autoren die Festlegung von gemeinsamen Standards für entscheidend, etwa für die Berechnung von Lebenszykluskosten und internen CO2-Preisen oder die Bewertung von Zulieferer-Emissionen. nh
Das öffentliche Konsultationsverfahren für eine umfassende Reform des Vergaberechts endete zwar vergangene Woche, Interessierte können aber weiterhin Stellungnahmen beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einreichen. Das teilte Staatssekretär Sven Giegold am Dienstagmorgen in seinem Newsletter mit. Bis dato hätten bereits 150 Akteure ihre Ideen übermittelt. Einen Fragebogen stellt das Ministerium auf seiner Website zur Verfügung.
Der Fragebogen zur Transformation des Vergaberechts umfasst 21 Fragen in fünf Kategorien. Es geht um die Stärkung der umwelt- und klimafreundlichen sowie der sozial-nachhaltigen Beschaffung, die Digitalisierung des Beschaffungswesens, die Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren sowie um die Förderung des Mittelstands, von Start-up-Unternehmen und Innovationen. Mit dem Vorhaben will die Ampel-Koalition die Vergabe von öffentlichen Aufträgen vor allem “wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ” ausrichten. nh
Die ESG-Illusion – Manager Magazin
Christian Schütte beschreibt die ESG-Ideen des früheren Blackrockmanagers Terrence Keley. Dieser lässt wenig gute Haare an den gängigen ESG-Strategien. Sein Rat: Aktionäre sollten eine Strategie einschlagen, bei der sie auf den Umbau von Unternehmen drängen. Zudem sollten die Investoren 1,6 Prozent ihrer Gelder in Projekte und Unternehmen investieren, die nachweislich eine Ökowirkung haben. Denn damit würden schon einmal die notwendigsten Teile der Transformation finanziert, findet der Finanzmanager. Zum Artikel
Frankreich kämpft für die Faulheit – SZ
Nils Minkmar analysiert, warum es bei der Rentenreform in Frankreich nicht nur darum geht, länger arbeiten zu müssen. Verhandelt würden damit auch Fragen, die Franzosen den Schlaf rauben. So sei das Land auf fitte Rentner angewiesen, weil sie in vielen Familien, aber auch in der Gesellschaft wichtige soziale Funktionen erfüllen. Der Kampf gegen die Rentenreform erscheine “wie eine viel umfassendere Revolution gegen Sachzwänge und Marktmechanismen”, die anderswo nicht mehr hinterfragt würden. Zum Artikel
A new way to clean up the steel industry – The Economist
Die Autoren beschäftigten sich mit einem neuen Verfahren für die Stahlherstellung, mit dem die CO2-Emmissionen um 90 Prozent gesenkt werden können sollen. Vorgestellt haben es die Wissenschaftler Yulong Ding und Harriet Kildahl von der britischen Universität Birmingham. Herzstück des Verfahrens sei ein geschlossenes Kohlenstoff-Recycling-System, das den Großteil des Koks ersetze. Zum Artikel
Auf der Suche nach Sinn – Harvard Business Manager
Die Autoren beschäftigten sich mit Strategien von Unternehmen mit Blick auf Purpose. Es sei wichtig, dass Manager sich darüber Gedanken machten, aber es bestehe die Gefahr, “dass Zeitdruck und PR-Maßnahmen aus einem wohlüberlegten Purpose ein Fantasiegebilde machen”, schreiben sie. Zwar brauche jedes Unternehmen einen Purpose, aber dieser müsse “nicht zwangläufig gemeinwohlorientiert sein”. Ausführlich beschreiben die Autoren Schritte, wie Unternehmen bei der Definition ihres Purpose vorgehen können. Zum Artikel
Industrie: Mit Staatsmilliarden zum grünen Stahl – Zeit Online
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die grüne Transformation der Industrie mit Klimaschutzverträgen vorantreiben. Die FDP wittert Geldverschwendung. Zum Artikel
Geschützt und doch vergiftet – SZ
Tina Baier beschreibt, in welchem großen Ausmaß Landwirte bislang in Schutzgebieten in Deutschland Pestizide verwenden dürfen. Folgenreich wäre hier das geplante EU-Verbot. Denn laut Berechnungen von Lisa Eichler vom Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden lägen rund 38.000 Quadratkilometer Ackerfläche in Schutzgebieten, in denen die EU den Einsatz von Pestiziden verbieten wolle. Das entspreche mehr als 30 Prozent der Ackerfläche in Deutschland. Zum Artikel
Vanguard chief defends decision to pull asset manager out of climate alliance – Financial Times
Im Interview mit der Financial Times erklärt Tim Buckley, der Chef von Vanguard, warum er es für nötig hielt, die Net Zero Asset Managers Initiative zu verlassen. Die Strategie des Unternehmens habe sich dadurch nicht verändert und er sieht vor allem die Politik in der Pflicht, die Spielregeln für die Transformation festzulegen. Zum Artikel
Deutsche Industrie fürchtet Nachteile durch Lieferkettengesetz – Zeit Online
Anlässlich der Afrika-Reise von Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Arbeitsminister Hubertus Heil warnt der BDI, das Lieferkettengesetz erschwere ein stärkeres Engagement in Afrika und damit die Bemühungen zur Diversifizierung der deutschen Wirtschaft. Die Initiative Lieferkettengesetz wies die Kritik zurück und sprach von “Fundamentalopposition”. Zum Artikel
WWF und die Deutsche Bank: Kooperation für das grüne Image? – Taz
Die Naturschutzorganisation WWF arbeitet künftig mit der Privatkundenbank der Deutschen Bank zusammen. NGOs wie Facing Finance sind skeptisch. Zum Artikel
“Klimadienstleister sind wichtige Helfer bei der nachhaltigen Transformation” – Agrarzeitung
Im Interview mit der Agrarzeitung erklärt Christian Kroll, Professor für nachhaltiges Management an der IU Internationalen Hochschule, warum Klimadienstleister wichtige Unterstützung bei der Transformation bieten können. Zum Artikel
Kreislaufwirtschaft in der Produktion: Wie spezialisierte Finanzierungen für Nachhaltigkeit in schwierigen Zeiten sorgen – VDI-Z
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Hersteller auf Nachhaltigkeit setzen. Doch hat dieses Thema in einer Zeit, die von schlechten Nachrichten und den Nachwirkungen der Pandemie geprägt ist, weiterhin Priorität? Und wie lässt sich das Vorhaben trotz knapper Kassen umsetzen? Zum Artikel
Herkulesaufgabe Öko-Zement – HZwei
Mehr als vier Milliarden Tonnen Zement werden weltweit jedes Jahr hergestellt. Dabei setzt der Baustoff zwangsläufig große Mengen des im Kalk gebundenen Kohlenstoffdioxids frei. Zementhersteller stehen bei der Dekarbonisierung der Branche vor einer riesigen Herausforderung. Ein Flaschenhals für eine Entwicklung ist fehlender grüner Wasserstoff. Zum Artikel
Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit einhergehenden geopolitischen Veränderungen haben Deutschland und Europa gezwungen, die Abhängigkeit von russischem Gas in kürzester Zeit zu reduzieren. Eine Vielzahl fragwürdiger politischer Entscheidungen hat in der Vergangenheit jedoch nicht nur bei Gaslieferungen, sondern auch bei kritischen Rohstoffen zu Abhängigkeiten geführt, die die strategische Autonomie Europas einschränken.
Kritische Rohstoffe sind unerlässlich, um die grüne Transformation nicht nur zu bewältigen. Bestehende Abhängigkeiten gefährden daher nicht nur die europäische Wettbewerbsfähigkeit, sondern sie machen uns auch erpressbar und können sicherheitspolitisch notwendige Reaktion auf aktuelle Ereignisse verhindern. Es ist daher zentral, rasch Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen und diese Abhängigkeiten konsequent zu adressieren.
Zunächst müssen die Anstrengungen, die Beschaffung kritischer Rohstoffe zu diversifizieren, unmittelbar und mit verschiedenen Instrumenten intensiviert werden. Während die Diversifizierung globaler Lieferketten grundsätzlich eine unternehmerische Entscheidung ist, können Regierungen die Bemühungen von Unternehmen unterstützen, indem sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Zum Beispiel könnte ein globales Bündnis gleichgesinnten Partnern etabliert werden, ein sogenannter Critical Raw Materials Club, in dem Informationen, Netzwerke und Kapazitäten gemeinsam genutzt werden.
Die Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten mit der Europäischen Kommission im Rahmen der Mineral Security Partnership bietet hierfür einen geeigneten Rahmen. Denn auch gleichgesinnte Länder werden sich in naher Zukunft wahrscheinlich einen Wettlauf um kritische Rohstoffe liefern. Ein spezieller Kooperationsrahmen könnte in diesem Zusammenhang ermöglichen, dass sich Länder den Zugang zu kritischen Rohstoffen sichern, sich bei lokalen Engpässen jedoch gegenseitig aushelfen und so das Risiko durch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen seitens Drittstaaten verringern können.
Der Zugang zu noch nicht erschlossenen Lagerstätten wird auch durch Freihandelsabkommen begünstigt, die einen bevorzugten Zugang zu relevanten Quellen kritischer Rohstoffe ermöglichen. Dies gilt insbesondere für die Handelsabkommen mit Afrika und Lateinamerika, deren kritische Rohstoffvorkommen als hoch eingeschätzt werden. Der Abschluss dieser Handelsabkommen ist oft hinausgezögert worden oder ihre Ratifizierung steht noch aus.
Künftige Handelsbeziehungen zwischen Europa und weniger entwickelten Ländern im Zusammenhang mit der Beschaffung von kritischen Rohstoffen bieten auch die Möglichkeit, mögliche Geber-Empfänger-Beziehungen der Vergangenheit in Richtung einer für beide Seiten vorteilhaften Partnerschaft auf Augenhöhe zu entwickeln. Auf seiner jüngsten Reise nach Chile, die der Erneuerung der deutsch-chilenischen Rohstoffpartnerschaft diente, betonte Bundeskanzler Scholz daher zu Recht die Bedeutung der Einhaltung lokaler Umwelt- und Sozialstandards bei gleichzeitiger Sicherung der lokalen Wertschöpfung.
Der Abbau und die Verarbeitung kritischer Rohstoffe ist jedoch nicht nur Aufgabe von Drittstaaten. Auch Europa sollte sich am weiteren Abbau beteiligen, um die künftige Versorgung zu sichern und ein gewisses Maß an Autonomie für den Fall unvorhergesehener Engpässe zu bewahren. Dies erfordert vor allem, die Vorteile des Zugangs zu nationalen Vorkommen kritischer Rohstoffe zu vermitteln und die lokale Bevölkerung in die Vorhaben einzubeziehen.
In Portugal wurde beispielsweise das Bergbaugesetz eigens zu diesem Zweck geändert: Die Gewinne aus dem Bergbau, die bisher allein dem Staat zufielen, werden nun bis zur Hälfte mit der lokalen Bevölkerung geteilt. Ein Modell nach portugiesischem Vorbild könnte sich daher neben der Schaffung neuer Arbeitsplätze auch positiv auf die Stärkung der heimischen Produktion auswirken. Das kürzlich entdeckte schwedische Seltene-Erden-Vorkommen könnte somit eine Chance für Europa sein, die Bereitschaft zu Investitionen zu demonstrieren, die seine Auslandsabhängigkeit zu verringern.
In Anbetracht der Notwendigkeit kritischer Rohstoffe für die Herstellung klimafreundlicher Technologien wie Solarpaneele und Windturbinen sollten die Kosten der lokalen Umweltbelastung sorgfältig gegen die Vorteile einer globalen Emissionsreduzierung abgewogen werden. Die Umweltstandards für den Bergbau in Europa sollten daher bei Bedarf neu bewertet werden.
Das Gleiche gilt für die Umweltanforderungen im Zusammenhang mit den Garantien für ungebundene Finanzkredite. Neben den höheren Lieferrisiken für europäische Produzenten dürften die globalen Umweltkosten höher sein, wenn nicht europäische Unternehmen, sondern Länder mit deutlich niedrigeren Umweltstandards den Bergbau in Drittländern übernehmen. Im Hinblick auf eine Ausweitung der europäischen Produktion könnte die Harmonisierung der für den Bergbau relevanten Umwelt- und Sozialstandards die Wiederbelebung der europäischen Bergbauindustrie beschleunigen.
Um die Bedenken potenzieller Investoren von Bergbauprojekten in Europa auszuräumen, wäre ein dreistufiger Ansatz ratsam. Zunächst sollten die europäischen Vorkommen kritischer Rohstoffe eindeutig identifiziert werden, während relevante Gebiete vor der Genehmigung neuer kommerzieller oder privater Bauprojekte sorgfältig unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit bewertet werden sollten. Das im Rahmen des EU-Rohstoffgesetzes (CRMA) angedachte Netzwerk der europäischen Rohstoffagenturen könnte hier einen wertvollen Beitrag leisten.
Zweitens sollten die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, damit die durchschnittlichen Vorlaufzeiten nicht mehr, wie bisher, 16 Jahre betragen. Drittens sollten langfristige Abnahmeverträge privater Unternehmen durch ungebundene Finanzkredite oder ähnliche Instrumente unterstützt werden, um finanzielle Planungssicherheit zu schaffen.
Langfristig sollte auch die europäische Recycling-Infrastruktur für kritische Rohstoffe als mögliches Instrument zur Verringerung der Importabhängigkeit stärker anerkannt werden. Dieses Ziel wurde im EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als Bestandteil des europäischen Green Deal formuliert. Insbesondere ressourcenintensive Wirtschaftszweige wie die Textil-, Bau-, Elektronik- und Kunststoffindustrie würden von weiteren Recyclinganstrengungen profitieren, um die Beschaffungskosten zu senken.
Wie die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen in ihrer letzten Rede zur Lage der Nation 2022 betonte, würde ein Verlust des verlässlichen Zugangs zu kritischen Rohstoffen sowohl unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als auch unseren Weg zu Netto-Null-Emissionen gefährden. In diesem Zusammenhang haben politische Entscheidungsträger und Unternehmen gleichermaßen erkannt, dass die Abhängigkeit Europas von der Gewinnung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe durch nur wenige Anbieter unseren Wohlstand bedroht – insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Rivalitäten, die das Risiko wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen durch Drittstaaten erhöhen.
Wenn die Fehler, die bei der Beschaffung von Erdgas gemacht wurden, vermieden werden sollen, ist es jetzt an der Zeit zu handeln. Alle Augen richten sich daher auf Brüssel, wo das europäische Gesetz über kritische Rohstoffe voraussichtlich am 14. März 2023 vorgestellt werden soll.
In Sachen Nachhaltigkeit ist Reiner Hoffmann Überzeugungstäter. “Das ist kein Verzichtsthema, das ist ein Gewinnerthema”, ist sich der 67-jährige Gewerkschafter und Sozialdemokrat sicher. Vor wenigen Tagen wurde er einstimmig zum Vorsitzenden des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) gewählt. Das Gremium berät die Bundesregierung und vereint fünfzehn Mitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Sie werden für jeweils drei Jahre von der Regierung ernannt. In seiner Tätigkeit ist der RNE aber unabhängig.
Hoffmann war bis Mai 2022 Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Jetzt freut er sich auf seine neue Aufgabe. Inhaltlich hat er bereits klare Vorstellungen. “Nachhaltigkeit basiert für mich auf drei Säulen: Ökologie, Ökonomie und Soziales”. Der Umbau der Wirtschaft müsse einhergehen “mit guter Arbeit in einer gesunden Umwelt.” Vor diesem Hintergrund will er auf drei Aspekte ein besonderes Augenmerk legen: die soziale Dimension der Transformation, das Thema Kreislaufwirtschaft sowie die Bildung und Qualifikation der beteiligten Akteure. Außerdem sei ihm sehr daran gelegen, “mit Beispielen guter Praxis die Meinungsbildung positiv zu beeinflussen”.
Es wird einiges an Erfahrung und politischem Geschick bedürfen, die im Rat vertretenen unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen, wenn man keine bloßen Allgemeinplätze abliefern will. Schließlich reicht die Bandbreite der Mitglieder vom BDI über den NABU und das Helmholtz-Zentrum bis zur Roten Heidi, der ehemaligen SPD-Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Gerade zu Beginn seiner Amtszeit möchte Hoffmann deshalb möglichst viele Veranstaltungen in Präsenz durchführen. Es sei ihm wichtig, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen, sagt er. Das gehe im persönlichen Kontakt leichter. Außerdem sind neun der fünfzehn Mitglieder zum ersten Mal dabei, er selbst eingeschlossen. Eine erste Bewährungsprobe steht Ende März an. Da geht der Rat in Klausur, um das Arbeitsprogramm für die nächsten Jahre festzulegen.
Wahrscheinlich ist Hoffmann genau der richtige Mann für eine solche Lage. Ihm eilt der Ruf voraus, offen, pragmatisch und lösungsorientiert zu sein. Das ist nicht erst seit seiner Zeit beim DGB so, dessen Vorsitzender er für acht Jahre war. Schon davor beschrieb ihn der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als “nüchternen, sympathischen Typ, der sich seine jungenhafte Art erhalten hat“.
Probleme mit diesen Zuschreibungen hat Hoffmann sicher auch heute nicht. Er sagt selbst, es sei “ein zwingender Vorteil, wenn alle mit am Tisch sitzen”. Das mache es zwar manchmal komplizierter. Aber für Veränderungen bräuchte man nun einmal die beteiligten Akteure mit ihren unterschiedlichen Interessen und Erfahrungen. Das gelte besonders beim Thema Nachhaltigkeit. “Ansonsten müssen wir im Nachhinein zeitaufwändige Umwege machen.”
Reiner Hoffmann wurde 1955 in Wuppertal geboren, ist Witwer und hat zwei erwachsene Kinder. Er lebt heute in Berlin, beschreibt sich als Stadtmensch, leidenschaftlicher Fahrradfahrer und begeisterter Wanderer. Aufgewachsen ist er in einer sozialdemokratisch geprägten Arbeiterfamilie. Der Vater war Maurer und Mitglied der IG Bau. Seine Mutter arbeitete als Reinigungskraft. Im Anschluss an den Zivildienst und eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei Hoechst studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Gesamthochschule Wuppertal. Dabei wurde er von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS) mit einem Stipendium unterstützt. Für die HBS war er später zehn Jahre tätig, zuletzt als Leiter der Abteilung Forschungsförderung.
1994 verschlug es ihn für fünfzehn Jahre nach Brüssel. Hier fungierte er zunächst als Direktor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, später wurde er zum stellvertretenden Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes gewählt. Den Weg zurück nach Deutschland fand er im Jahr 2009 als Landesbezirksleiter Nordrhein der IG BCE.
Als DGB-Chef hat Hoffmann das Thema Nachhaltigkeit wiederholt auf die Tagesordnung gesetzt. Etwa im Jahr 2019, als DGB und BUND einen gemeinsamen Debattenbeitrag vorgestellt haben: “Beschäftigung und Umwelt gehen Hand in Hand. Gemeinsam für eine mutige statt marktgläubige Politik”. Ein weiteres Beispiel ist die “Charta für eine sozial gerechte Transformation” des DGB vom August 2021.
Damals wie heute sind ihm beim “Diskurs um den Green Deal” einige Aspekte besonders wichtig. Das ist zum einen die europäische Ausrichtung. Die Transformation der Wirtschaft brauche eine europäische Herangehensweise, “eine europäische Industriepolitik”. Davon ist der Diplom-Ökonom fest überzeugt. Außerdem müsse Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe angegangen werden. “Wir müssen raus aus den Silos“, so Hoffman. Stattdessen sei ein “interdisziplinäres Gesamtkonzept” nötig. Gerade in Zeiten multipler Krisen müssten die Sorgen und die Verunsicherung der Bürger und Beschäftigten ernst genommen werden. Würde die Politik hier ansetzen und konkrete, zukunftsfähige Perspektiven anbieten, weiß Hoffmann aus Erfahrung, dann “sind die Menschen durchaus zur Veränderung bereit“. Carsten Hübner
vom Krieg gegen die Ukraine haben vor allem Unternehmen profitiert, die fossile Energie oder Rüstungsgüter verkaufen – zwei Sektoren, die gemeinhin nicht als ESG-konform gelten. Trotzdem investierten laut einer aktuellen Studie der NGO Finanzwende als nachhaltig beworbene Fonds zwischen Dezember 2021 und März 2022 fast eine Milliarde Dollar in fossile Energien. Mehr dazu in den News.
Der Krieg habe auch gezeigt, dass die Rüstungsindustrie bei Fragen nach ethischer Geldanlage eine wichtigere Rolle spiele als von vielen gewünscht, sagt Christian Klein, Professor für Sustainable Finance an der Universität Kassel, im Interview mit Caspar Dohmen. Der Wissenschaftler sieht das Hautproblem von ESG-Fonds darin, dass sie Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen, statt auf die Umweltwirkungen zu schauen, die Unternehmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen auslösen.
Neben Aktionären können auch Mitarbeitende wichtige Impulse für Transformation von Unternehmen geben. Bislang sind die Mitbestimmungsrechte dafür allerdings begrenzt. Das will Die Linke ändern. Sie bringt kommende Woche im Bundestag einen Antrag ein, der die Rechte von Betriebsräten stärken soll. Wie wichtig Gewerkschaften die Transformation mittlerweile ist, zeigt das Beispiel von Reiner Hoffmann. Der ehemalige DGB-Chef ist neuer Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung. Carsten Hübner berichtet über beide Entwicklungen.
Bleibt noch der Staat, der in der Transformation eine stärkere Rolle spielt, wie bei öffentlichen Aufträgen. Sie sollen nur noch an Unternehmen vergeben werden, die sich an Tarifverträge halten. Doch das Vorhaben könnte dazu führen, dass sich noch weniger Unternehmen um öffentliche Aufträge bewerben – das zeigt meine Analyse.
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Bei Umwelt, Klima und Digitalisierung sollen Betriebsräte in Unternehmen nach dem Willen der Linksfraktion mehr Mitbestimmungsrechte erhalten. Über ihren Antrag debattiert der Bundestag in der kommenden Woche. Beim Arbeitgeberverband und der Union regt sich Widerspruch. Die Wissenschaft hingegen stellt der Mitbestimmung gerade in Zeiten des Umbruchs ein gutes Zeugnis aus.
Der Umbau der Wirtschaft ist in vollem Gange. Wesentliche Treiber sind die Digitalisierung und der Klimawandel. Damit Arbeitnehmerrechte im Zuge dieser doppelten Transformation nicht auf der Strecke bleiben, fordert die Fraktion Die Linke im Bundestag eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). “Die neue Wirtschaftsweise und Arbeitswelt wird nur demokratisch, sozial und ökologisch sein, wenn die Beschäftigten an diesem Umbauprozess aktiv beteiligt sind”, heißt es einleitend in ihrem Antrag.
Der zentrale Hebel ist aus Sicht der Linksfraktion ein Upgrade der Mitbestimmungsrechte in wesentlichen Tätigkeitsfeldern von Unternehmen. An die Stelle derzeit geltender Unterrichtungs- und Beratungsrechte sollen “zwingende Mitbestimmungsrechte” treten. Zwingend bedeutet, der Arbeitgeber kann die jeweiligen Vorhaben nicht ohne die Zustimmung des Betriebsrates umsetzen. Mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten sind im § 87 BetrVG geregelt, etwa die Arbeitszeit oder die Arbeitsorganisation.
Dem Antrag zufolge soll dieses Mitbestimmungsrecht künftig auch für Maßnahmen gelten, die “eine Gefahr für die natürlichen Lebensgrundlagen darstellen” oder “zu höheren Umwelt- oder Klimabelastungen führen können”. Der Betriebsrat erhielte außerdem ein Initiativrecht für Vorschläge zur Verringerung solcher Belastungen. Voll mitbestimmungspflichtig würden darüber hinaus der Bereich Berufsbildung, inklusive der Fort- und Weiterbildung, der Beschäftigtendatenschutz entlang der gesamten datenschutzrechtlichen Verarbeitungskette sowie die Einführung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz. Damit erhielten die Betriebsräte eine zentrale Rolle bei der Transformation der Unternehmen.
“Erheblichen Reformbedarf” beim BetrVG sieht auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Jan Dieren. Er ist Berichterstatter für den Wandel der Arbeit, Arbeit 4.0 und betriebliche Mitbestimmung seiner Fraktion. Gegenüber Table.Media begrüßte er den Antrag der Linken. Die Arbeitswelt habe sich stark gewandelt. Beschäftigte wollten sich einbringen “und mit ihren Unternehmen zu etwas Sinnvollem für unsere Gesellschaft beitragen”. Dieser “gestiegene Anspruch sollte seinen Ausdruck in der Mitbestimmung finden”, ist Dieren überzeugt.
Stephan Stracke, Vorsitzender der AG Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist da ganz anderer Meinung. Für ihn liegt die Grenze der Mitbestimmung dort, wo in den Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungen eingegriffen wird. Darum aber gehe es im Antrag der Linksfraktion. Sie hänge damit “weiterhin ihren alten sozialistischen Fantasien an”, so Stracke. Gleichzeitig hob der CSU-Politiker die hervorragende Arbeit der Betriebsräte hervor. Sie würden auch “in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, indem sie innerbetriebliche Transformationsprozesse begleiten und unterstützen”.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht ebenfalls keine Notwendigkeit für neue Mitwirkungsrechte. Schon heute hätten Betriebsräte “vielfältige Handlungsmöglichkeiten, sich in den Prozess der Transformation einzubringen”, konstatiert BDA-Sprecherin Birgit Strahlendorff. Was es stattdessen bräuchte, sei “eine Betriebsverfassung 4.0 mit klaren Zeitvorgaben und Fristen für Mitbestimmungsverfahren”.
Aber ein Ausbau der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei der Transformation würde nur bei der Minderheit der Betriebe greifen. Denn laut IAB-Betriebspanel 2021 haben in der deutschen Privatwirtschaft nur rund acht Prozent aller Betriebe mit fünf oder mehr Beschäftigten einen Betriebsrat. Der Anteil stagniert seit Jahren. Da jedoch besonders mittlere und große Unternehmen mitbestimmt sind, arbeiten durchschnittlich noch immer 38 Prozent der Beschäftigten (2010: 44 Prozent) in Betrieben mit Betriebsräten.
Traditionell höher ist der Anteil im Organisationsbereich der IG Metall. Nach ihren Angaben haben hier aktuell 56 Prozent der Betriebe Arbeitnehmervertretungen mit insgesamt 65.775 Betriebsräten. 47.066 davon sind Mitglied der IG Metall. In der von der Transformation besonders betroffenen Automobilwirtschaft hat die Gewerkschaft eine besonders starke Stellung.
IG Metall-Sprecherin Alina Heisig betont daher auch, ihre Gewerkschaft präge die Debatte über einen Umbau der Wirtschaft wesentlich mit. “Unter dem Begriff ‘Fairwandel’ setzen wir uns für eine Transformation ein, die sozial, ökologisch und digital vereint”, erläutert sie. Im Juni 2019 hatten unter diesem Motto 50.000 Gewerkschaftsmitglieder in Berlin demonstriert. Einen Monat später legten IG Metall, NABU und BUND ihr gemeinsames Eckwertepapier vor. Es trägt den Titel “Die Klima- und Mobilitätswende gestalten”. Kritiker werfen der IG Metall hingegen immer wieder vor, gemeinsam mit der Industrie auf der Bremse zu stehen.
Einzelne Vorzeigeprojekte in Sachen Umwelt- und Klimaschutz gibt es auf jeden Fall. Beispielsweise die “Volkswagen Belegschaftsgenossenschaft für regenerative Energien”. Sie wurde auf Initiative von IG Metall-Betriebsräten bei VW in Emden gegründet und betreibt seit 2008 ein stetig wachsendes Solarkraftwerk auf dem Werksgelände. Bei VW in Salzgitter wiederum drängten die Arbeitnehmervertreter auf die Erweiterung der Produktpalette. Seit 2010 werden dort nicht nur Automotoren, sondern auch hocheffiziente Blockheizkraftwerke (A++) gebaut.
Außer Frage steht, dass Unternehmen und Belegschaften von der Mitbestimmung profitieren können. Das zeigt eine Vielzahl von Studien, sowohl im Bereich der betrieblichen als auch der Unternehmensmitbestimmung. So hat das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle im Jahr 2020 eine um 12,8 Prozent höhere Produktivität und um 14 Prozent höhere Gewinne im Vergleich zu nicht mitbestimmten Unternehmen ermittelt. Belegt sind auch höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und eine größere Arbeitsplatzsicherheit. Gerade in Krisen und Umbruchsituationen zeigen sich mitbestimmte Unternehmen sozial und wirtschaftlich stabiler und resilienter.
“In einer Krise müssen Unternehmen sich schnell verändern. Da ist es gut, wenn die wesentlichen Beteiligten von Anfang an mit am Tisch vertreten sind”, sagt Marc Steffen Rapp, der Betriebswirtschaftslehre an der Philipps-Universität in Marburg lehrt. Unternehmen seien deshalb gut beraten, “die Einbindung der Belegschaft in Veränderungsprozesse explizit vorzusehen”. Rapp hat 2019 eine Studie über die Mitbestimmung in Aufsichtsräten vorgelegt. Darin ging es um die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009.
Ob mitbestimmte Unternehmen jedoch auch in Klima- und Umweltfragen nachhaltiger agieren, ist wissenschaftlich noch nicht hinreichend untersucht. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat deshalb ein Forschungsprojekt initiiert, das die “betriebliche Mitbestimmung der nachhaltigen Transformation” untersucht. Es läuft bis Sommer dieses Jahres.
In einer früheren Version des Artikels haben wir den Namen des SPD-Bundestagsabgeordneten Jan Dieren versehentlich falsch geschrieben. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Wirtschafts- und Arbeitsministerium arbeiten an einem Referentenentwurf für ein Bundestariftreuegesetz. Danach soll der Bund Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, die ihre Beschäftigten nach dem Tarifvertrag bezahlen, den der Bund als repräsentativ für die jeweilige Branche einstuft. Dies soll die Tarifbindung, den fairen Wettbewerb sowie die soziale Nachhaltigkeit stärken.
Die Befürworter versprechen sich eine große Hebelwirkung angesichts der schätzungsweise 34 Milliarden Euro, die allein der Bund jährlich für öffentliche Aufträge ausgibt. Das entspricht fast 10 Prozent des gesamten Beschaffungsvolumens in Deutschland. In den meisten Bundesländern, wo durch Kommunen der Großteil der öffentlichen Aufträge vergeben wird, gibt es schon Tariftreue-Regelungen mit unterschiedlicher Reichweite.
Kritiker bemängelten im öffentlichen Konsultationsverfahren im Wesentlichen drei Punkte: Die Regelung sei verfassungswidrig, da sie Firmen in die Tarifbindung zwinge; sie benachteilige nicht-tarifgebundene Unternehmen im Wettbewerb – besonders kleine und mittlere – und führe dazu, dass weniger Unternehmen an Vergabeverfahren teilnehmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2006 entschieden, dass Tariftreue-Regelungen verfassungskonform sind. Damals ging es um die Tarifbindung bei öffentlichen Bauaufträgen in Berlin. Die Entscheidung erlaubt Bund und Ländern aus Sicht der herrschenden juristischen Meinung in Vergabeverfahren entsprechende Vorgaben zu machen.
Eine Wende gab es im EU-Recht: 2008 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch entschieden, dass eine Tariftreue-Regelung mit EU-Recht unvereinbar sei (Rüffert-Urteil). Aber seitdem haben sich Recht und Rechtsprechung verändert.
Denn seit 2014 erlaubt die EU-Vergaberichtlinie öffentlichen Auftraggebern, ökologische und soziale Faktoren bei Vergabe zu berücksichtigen. Und schon 2015 rückte der EuGH klar von der Rüffert-Entscheidung ab – mit einem Urteil in einem ähnlichen Fall (RegioPost). Laut Experten wäre eine Tariftreue-Pflicht bei der öffentlichen Vergabe europarechtskonform. Denn außer der Vergaberichtlinie wäre sie legitimiert durch die reformierte EU-Arbeitnehmerentsenderichtlinie (2018) sowie den EU-Richtlinienvorschlag über angemessene Mindestlöhne (2020).
Unter anderem die DIHK befürchtet, dass eine Tariftreue-Regelung das ohnehin schon vielschichtige Vergaberecht noch komplexer mache. Der Mehraufwand an Bürokratie sei für nicht-tarifgebundene Unternehmen – insbesondere KMU – “kaum zu stemmen“, wehrt sich die IHK Auftragsberatungsstelle Baden-Württemberg. Betriebe müssten dann unter Umständen zweierlei Löhne kalkulieren: Einen Lohn für Mitarbeitende, die öffentliche Aufträge ausführen, und einen anderen für solche Mitarbeiter, die für private Auftraggeber arbeiten. Thorsten Schulten, Forscher am gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans Böckler Stiftung, hält das Argument für vorgeschoben: “Es ist für jeden Betrieb zumutbar, zwei Löhne zu kalkulieren.”
Geht es nach dem Preis, sind es bislang tarifgebundene Betriebe, die einen Wettbewerbsnachteil haben. Öffentliche Aufträge an die Einhaltung von Tarifverträgen zu binden, sei notwendig, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, sagen Befürworter. Denn die Tarifbindung ist in den vergangenen 20 Jahren stetig gesunken. Inzwischen gilt nur noch für rund 43 Prozent der Angestellten in Deutschland ein Tarifvertrag.
Selbst wenn das Bundestariftreuegesetz für einen fairen Wettbewerb sorgen würde, sind erhebliche negative Folgen möglich: Noch weniger Unternehmen könnten sich an Vergabeverfahren beteiligen. Schon heute beklagten sich Vergabestellen, dass es nur wenig Bieter gebe, heißt es in Stellungnahmen. Und die Zahl der Bieter ist tatsächlich stark gesunken bei europaweiten Verfahren, die über das digitale Supplement zum Amtsblatt der EU (TED) laufen.
So zeigt eine Untersuchung des Vergabeforschers Michael Eßig, dass die Zahl der Bieter zwischen 2009 und 2018 von durchschnittlich neun auf vier zurückging. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Vergaben, in denen sich nur ein Bieter beteiligte, von zehn auf 20 Prozent. Allerdings weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die TED-Datenbank nur einen Bruchteil des jährlichen Beschaffungsvolumens abdeckt, im Fall von Deutschland rund 13 Prozent. Daher lassen sich aus diesen Zahlen keine Schlüsse ziehen, die für die öffentliche Vergabe in Deutschland generelle Aussagen zuließen.
Die erste bundesweite Vergabestatistik (1. Halbjahr 2021) zeigt: In rund 17 Prozent der Verfahren gab es im Durchschnitt über alle staatlichen Ebenen nur einen Bieter – beim Bund waren es ungefähr 26 Prozent. Die Berichtsstellen haben allerdings je nach Ebene auch in 25 bis 30 Prozent der Fälle keine Angaben zur Zahl der Bieter gemacht. Zudem deckt die Statistik nur etwa 15 Prozent des hiesigen Beschaffungsvolumens ab. Denn die meisten Berichtstellen haben keine Daten gemeldet. Die Datenlage ist also noch dürftig für Deutschland.
Theoretisch können Aufträge des Staates als Hebel für einen fairen Wettbewerb eingesetzt werden, um ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu fördern. In der Praxis würde dieses Ziel aber verfehlt, wenn Firmen sich in großer Zahl wegen Tariftreue-Regelungen nicht mehr an Vergabeverfahren beteiligten.
Kurz nach dem Beginn des Ukrainekrieges sprachen Sie mit Blick auf die Rüstungsindustrie und ESG von einer Zeitenwende, hat sie stattgefunden?
Das älteste Instrument von ethischen Geldanlagern ist der Ausschluss von Wirtschaftstätigkeiten, die von vielen als unethisch ansehen. Dazu gehören klassischerweise Kinderarbeit, Pornografie, Alkohol, Tabak und natürlich Rüstung. Aber mit dem Krieg in der Ukraine haben wir gemerkt, dass Waffen offensichtlich doch eine wichtigere Rolle spielen, als die meisten das gerne hätten. Allerdings wird in der Debatte einiges vermengt, wenn es um nachhaltig oder nicht nachhaltig geht.
Woran denken Sie?
Einerseits gibt es Wirtschaftstätigkeiten, die als nachhaltig definiert werden, wie Windkraft oder Solar. Aber Bereiche, die nicht dermaßen klassifiziert werden, sind ja nicht automatisch das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Farblich ausgedrückt, was nicht grün ist, ist nicht automatisch braun, sondern kann auch farblos sein. Aber nun macht sich die Waffenlobby in Brüssel stark dafür, dass Waffen in die soziale Taxonomie kommen. Davon bin ich doch überrascht. Wir können gerne darüber diskutieren, ob Waffen künftig kein Ausschlusskriterium mehr sein sollten. Aber zu sagen, Waffen sind nachhaltig, das finde ich reichlich erstaunlich.
Aber die EU stuft in ihrer Taxonomie auch Kernkraft und Erdgas als grün ein?
Da hat die Rüstungslobby gesehen, was möglich ist. Aber das hat die Politik gegen den Rat der Fachleute entschieden, also den Menschen aus Wissenschaft, Praxis und NGOs, welche die Taxonomie ehrenamtlich entworfen hatten. Wir waren alle sauer, wie das am Ende lief. Mir wurde gesagt, dass es ein politischer Kuhhandel von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Bundeskanzler Olaf Scholz war, Frankreich bekam die Atomkraft, Deutschland das Erdgas.
Die Rüstungsindustrie verweist auf Finanzierungsprobleme wegen der Berücksichtigung von ESG-Kriterien durch Anleger und Banken- zu Recht?
Ich kann das nachvollziehen. Viele Banken werden aus Image-Gründen – sie wollen nachhaltiger sein -, einen Teufel tun, einem Rüstungsunternehmen einen günstigen Kredit zu geben. Aber genau das ist so gewollt bei Geldanlagen nach ESG-Kriterien.
Um die Kapitalkosten zu erhöhen…
Unternehmen aus Bereichen wie Tabak, Pornografie, Alkohol und Rüstung sollen sich eben schwerer tun, diese Geschäfte sollen weniger lukrativ sein und am besten verschwinden. Aber die Wertentscheidungen, die letztlich jeder nachhaltigen Geldanlage zugrunde liegen, können sich wandeln. Deswegen diskutieren wir jetzt darüber, ob es noch angemessen ist, die Kapitalkosten von Rüstungsunternehmen künstlich zu erhöhen. Auf die Diskussion lasse ich mich gerne ein. Ich bin gerne bereit zu diskutieren, ob wir die Rüstungsindustrie künftig nicht mehr als braun betrachten, sondern als farblos. Aber ich bin dagegen, sie als ESG-konform zu deklarieren und damit ihre Kapitalkosten zu senken.
Wenn dies geschieht, dürfen ja auch weitere Wirtschaftsbereiche auf Änderungen drängen?
Ich werde oft bei Veranstaltungen darauf angesprochen. Jemand von einer Bäckerei-Innung beschwerte sich beispielsweise, warum sie nicht in der Taxonomie seien. Brot backen sei doch nachhaltig. Dann sage ich immer, nur weil ihr nicht in der Taxonomie seid, seid ihr nicht braun. Ihr seid halt neutral. Bei der Taxonomie geht vor allem um den Kampf gegen die Klimakrise, damit habt ihr wenig zu tun. Sollte die Rüstungsindustrie bevorzugte Finanzierungskonditionen aufgrund der ESG-Taxonomie bekommen, könnte ich verstehen, wenn die Bäcker und andere Branchen auf die Barrikade gehen, weil sie die Welt nicht mehr verstehen.
Gemessen an den Börsenkursen waren Rüstungsunternehmen aber zuletzt bei Anlegern wesentlich mehr gefragt als nachhaltige Unternehmen?
Vor dem Krieg wiesen nachhaltige Geldanlagen tendenziell im Mittel eine bessere Performance auf als konventionelle Geldanlagen. Damit ist auch die Wirtschaft hausieren gegangen, nach dem Motto: Tue Gutes und werde damit reich. Es ist eine andere Diskussion, ob das überhaupt funktionieren kann. Aber 2022 war es tragischerweise so, Sie konnten nur gut an der Börse abschneiden, wenn Sie in Waffen, Öl oder Erdgas investiert haben. Daran knabbern die ganzen nachhaltigen Fonds.
Ist die Vorstellung, die Transformation durchzuführen und damit mehr verdienen zu können als mit dem konventionellen Wirtschaften falsch?
Ich persönlich finde ich diese Vorstellung absurd. Wenn es möglich wäre, die Welt zu retten und dabei eine Überrendite zu erzielen, dann hätten wir die Welt doch schon längst gerettet. Dann hätte sogar Donald Trump für uns die Welt gerettet. Ich glaube, wir müssen uns an die Idee gewöhnen, dass Nachhaltigkeit etwas kosten könnte.
Brauchen nachhaltige Unternehmen günstigere Mittel, um sich überhaupt im Markt durchsetzen zu können?
Die ganze Debatte, was labeln wir als nachhaltig und was nicht, macht nur Sinn, wenn wir irgendwann nachhaltigen wirtschaftlichen Aktivitäten bessere Finanzierungskonditionen verschaffen und damit nachhaltigen Unternehmen vergleichsweise geringere Kapitalkosten ermöglichen.
ESG ist schwer unter Beschuss geraten – hat es irgendetwas verändert?
Definitiv eine Menge. Sie finden kein Finanzhaus mehr, in dem das Thema nicht ganz groß wäre. Früher haben Banken das Thema im Bereich Kommunikation oder Regulierung aufgehängt. In allen Häusern, die ich kenne, gehört es heute zum Bereich Strategie, weil allen klar geworden ist, das Thema bleibt. Aber wir müssen differenzieren.
Inwiefern?
Unter dem Thema Nachhaltigkeit laufen zwei völlig getrennte Dinge ab. Einerseits der Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken und andererseits Impact. Nehmen wir den Klimawandel. Die Welt hat sich das Zweigradziel gesetzt. Um es zu erreichen, muss sich die Industrie umstellen, weswegen wir mehr regenerative Energien benötigen. Logischerweise ist es dann keine gute Idee mehr, langfristig in Kohle, Öl und Gas zu investieren. Solar und grüner Wasserstoff sind dann wahrscheinlich eine gute Idee. Aber solche Überlegungen haben aus meiner Sicht vor allem etwas mit Risikomanagement zu tun. Denn es geht darum, dass Investoren darauf wetten, dass das Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten wird, nicht mehr und nicht weniger. Solche Risiken bei der Investitionsentscheidung zu berücksichtigen ist für mich aber nicht Sustainable Finance, sondern nur Finance. Das läuft aber jetzt noch unter diesem Überbegriff.
Und was bedeutet dann Impact?
Dabei überlegen wir, wie können wir Geld für Investitionen nutzen, um unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen. Wie kann ich beispielsweise so in eine Produktion investieren, dass nachher weniger CO₂ in der Luft ist? Wie kann ich mit meiner Geldanlage dafür sorgen, dass unsere Welt enkeltauglich bleibt? Und das ist ein komplett anderer Ansatz. Aber diese beiden Sachen werden oft miteinander vermengt.
Können Sie das praktisch festmachen?
Die meisten nachhaltigen Fonds enthalten als größte Positionen Amazon, Alphabet, Microsoft und Apple. Die übliche Reaktion ist zu sagen, das ist Greenwashing und hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Müssten da nicht lauter Windradhersteller drin sein, die mindestens 50 Prozent Frauenanteil im Vorstand haben und die mir garantieren können, dass in der gesamten Wertschöpfungskette keine Kinderarbeit ist? Aber hier liegt ein Missverständnis vor. Die meisten nachhaltigen Fonds machen nichts anderes, als sich zu fragen, welche Geschäftstätigkeiten sind mit dem Zweigradziel kompatibel und dazu gehöre eben die großen Tech-Plattformen.
Wie geht es weiter?
Wir werden in Zukunft sehr viel darüber reden, was wirklich Greenwashing ist und über die ganzen Missverständnisse, die es dabei gibt. Impact wird ein Riesenthema, spätestens, wenn die ganzen großen Häuser, die jetzt nachhaltige Geldanlagen verkaufen, merken, dass auch die Kunden verstehen, dass vieles von dem, was da gemacht wird, eigentlich nur Risikomanagement ist. Sie werden sich dann auch in Richtung Impact orientieren.
Die GLS-Bank ist desillusioniert aus der Net-Zero Banking Alliance ausgetreten?
Diese verschiedenen Allianzen, wo sich Banken verpflichten Klimaneutral zu werden, haben einen Riesenzulauf gehabt, was toll und positiv ist. Aber wir befinden uns jetzt an einem Punkt, wo viele merken, es ist ja gar nicht so einfach. Tatsächlich ist es alles andere als trivial für eine Bank, ihr Kreditportfolio klimaneutral zu bekommen. Das ist schwer. Deswegen steigen jetzt große Häuser aus, weil sie überfordert sind. Gleichzeitig steigen Pioniere aus, weil es ihnen zu langsam vorwärtsgeht. Ich bin froh über diese Entwicklung, es ist Zeit, dass wir generell Dinge bei ESG mit Blick auf die Transformationswirkungen kritischer hinterfragen.
2.3.2023, 9 Uhr, München
Konferenz Erfolgsfaktor Nachhaltigkeit (Automobilwoche)
Es ist eine der größten Herausforderungen der Automobilindustrie: den Wandel zum nachhaltigen Wirken zu schaffen. Klimaschutz sowie soziale Aspekte und Führungsprinzipien sind eng verknüpft mit unternehmerischem Erfolg. Ihre Zukunftssicherheit sichert sich die Branche nur mit Nachhaltigkeit. Info & Anmeldung
6.3.2023, 9:30 Uhr
Virtueller Workshop Was uns die Folgen des Klimawandels kosten
Ein Vorhaben im Auftrag des BMWK, hat die gesamtwirtschaftlichen Schadens- und Anpassungskosten erforscht und aufgezeigt, welche Kostendimensionen bislang noch nicht bewertet werden können. Info & Anmeldung
13.-14.3.2023, Paris und online
Konferenz Sustain 2023 (Ecovadis)
Sustain will bring together thousands of attendees from the world of sustainability, procurement, compliance and responsible investment, to exchange knowledge, best practices and inspiration. Info & Anmeldung
15.3.2023, Leipzig
Kongress WasserDialog 2023 (Veolia)
Der WasserDialog, das Forum für den Austausch zwischen Wasserwirtschaft und Kommunen, geht in die nächste Runde. Das Rahmenthema: “Klima im Wandel, Wasser im Wandel”. Info & Anmeldung
16.3.2023, 9:30 Uhr
Workshop Mobilität gestalten und Klima schützen (Nationalen Kompetenznetzwerks für nachhaltige Mobilität)
Thorsten Koska, Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal Institut, präsentiert die Perspektive der Wissenschaft und berichtet über den Status quo sowie Handlungsfelder und -empfehlungen. Info & Anmeldung
28.-29.3.2023, Frankfurt am Main
Konferenz ESG-Tagung des Deutschen Investor Relations Verbands
Im Zentrum der Veranstaltung stehen die Herausforderungen durch die CSRD und das Human Capital Management als soziale Komponente von ESG. Außerdem gibt es Case Studies zum Dialog zwischen ESG-Analysten und IROs und zur Erstellung einer ESG Road Map. Info & Anmeldung
28.-31.3.2023, online
Konferenz Greentech.LIVE
Fachleute sprechen über Lösungen zur Verringerung von CO₂, nachhaltige Lieferketten, zukunftsfähige Mobilität, grüne Treibstoffe, klimaneutrale Energie, die Anpassung von Städten an den Klimawandel, effektive Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Repair-Konzepte, den Schutz von Wäldern und vieles mehr. Info & Anmeldung
29.-30.3.2023, Wien
Konferenz MIT Europe Conference
Als Ableger der Konferenz des weltberühmten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) bietet die Konferenz tiefgehende Business-Deep-Dives in die Themen Energie, Materialwissenschaften, Gesundheitstechnologien und Nachhaltigkeit. Info & Anmeldung
29.-30.3.2023, Darmstadt
Fachtagung 5. Praxisforum Kunststoffrezyklate 2023 (Fraunhofer LBF)
Das Praxisforum richtet sich an Kunststofferzeuger- und -verarbeiter, sowie Recycler und die Anwenderindustrien Fahrzeug, Weißware, Bau und Verpackung. Die Tagung findet in englischer Sprache statt und steht somit auch einem internationalen Publikum offen. Info & Anmeldung
29.-31.3.2023
Konferenz Sustainability Week (The Economist)
The 8th annual Sustainability Week focuses on helping businesses become sustainable faster. Info & Anmeldung
30.-31.3.2023, Dresden
Tagung sicher + gesund = nachhaltig!? Die Zukunft der Arbeit 2023 (IAG der DGUV)
Ziel der Veranstaltung ist, das Thema Nachhaltigkeit in der Präventionsarbeit kritisch zu hinterfragen und dabei komplexe Zusammenhänge freizulegen sowie neue Diskussions- und Beteiligungsformate anzuregen und auszuprobieren. Info & Anmeldung
30.-31.3.2023, Berlin
Tagung Deutscher Verpackungskongress
Der Branchengipfel steht unter dem Motto “Wie VUCA die (Verpackungs-)Welt verändert”. Das Wort VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Info & Anmeldung
Öl- und Gaskonzerne setzen derzeit vermehrt auf den Ausbau fossiler Reserven und wenden sich von ihren ursprünglichen Planungen für mehr Klimaschutz ab. Angesichts von Rekordgewinnen durch die internationale Energiekrise in Folge des Ukrainekriegs überdenken Industrie und Politik gerade ihre bislang gefassten Pläne, Reserven an Öl und Gas für den Klimaschutz im Boden zu lassen. Das gefährdet die Einhaltung der Klimapläne aus dem Pariser Abkommen.
Der Trend zeigt sich über die vergangenen Wochen in mehreren Einzel-Entscheidungen:
Die Ausweitung der Gas- und Ölförderung gefährdet nach einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) allerdings die Erreichung der globalen Klimaziele. Um sie zu halten und 2050 bei Null-Emission zu landen, so die OECD-Behörde in ihrem Fahrplan “Net Zero by 2050”, dürften nach 2021 “keine neuen Öl- und Gasfelder und keine neuen oder erweiterten Kohlegruben zugelassen werden.” Diese Warnung wurde durch einen Überblick über alle relevanten Studien zum Thema im Herbst 2022 bestätigt.
Die Pläne der Unternehmen sehen anders aus. Laut einer Studie des Thinktanks “Carbon Tracker” von Ende 2022 haben die einzelnen Firmen gegenüber 2019 folgende Pläne:
Von den staatlichen Energiekonzernen etwa aus Saudi-Arabien, China oder Russland sind langfristige Pläne zur Drosselung der Produktion nicht bekannt.
Die Öl- und Gaskonzerne haben im letzten Jahr durch die sprunghaft gestiegenen Preise Rekordprofite gemacht. Insgesamt habe die Industrie rund vier Billionen US-Dollar verdient, so die IEA. Die sechs großen privaten Firmen verdoppelten ihren Gewinn gegenüber dem Vorjahr auf 219 Milliarden Dollar. Sie steckten 110 Milliarden in Dividenden oder den Rückkauf eigener Aktien. Einige Firmen schrieben aber auch große Summen durch den Rückzug aus Russland nach dem Überfall auf die Ukraine ab.
Die bisherige Geschäftspolitik vor allem der privaten Ölkonzerne ist allerdings ohnehin kaum an den Pariser Klimazielen ausgerichtet. Laut Carbon Tracker haben Chevron, Eni, Shell und TotalEnergies seit 2021 insgesamt mindestens 58 Milliarden Dollar für neue Projekte freigegeben. Sollten alle diese Vorhaben umgesetzt werden, führe das zu einem Öl- und Gasverbrauch, der die globale Temperatur über 2,5 Grad treibt. bp
Als nachhaltig beworbene Fonds sind zuletzt deutlich CO₂-lastiger geworden, weil sie mehr Anlagegelder in fossile Unternehmen investiert haben. Das ist das Ergebnis einer am Dienstag veröffentlichten Studie der NGO Finanzwende. Sie untersuchte Portfolio-Bewegungen von 2.434 aktiv gemanagten und in Europa erhältlichen Fonds aus der Datenbank von Morningstar, die nach Artikel 8 und Artikel 9 der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SDFR) als nachhaltig vermarktet werden dürfen.
Um deren Reaktion auf die veränderte Marktsituation zu erfassen, verglichen die Autoren der Studie die Portfolios Ende Dezember 2021 mit März 2022, also vor und kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24.2.2022. In dieser Zeitspanne seien die untersuchen Portfolios um 7,9 Prozent CO₂-intensiver geworden, schreiben die Autoren Alison Schultz und Magdalena Senn. Ihr Fazit: Das Greenwashing in vermeintlich nachhaltigen Fonds habe in Reaktion auf Techflaute, Ukrainekrise und Energiekrise “zugenommen”. Als Greenwashing definiert die NGO Investitionen es, wenn entgegen dem UN-Nachhaltigkeitsziel 13 “Maßnahmen zum Klimaschutz” in Unternehmen aus dem fossilen Sektor investiert werde, deren Geschäftsmodelle mit dem Pariser Klimaschutzabkommen unvereinbar seien.
Die Nachhaltigkeitsfonds stellten diese Ereignisse vor eine große Herausforderung, weil sich an den Aktienmärkten fast nur Rendite erzielen ließen, wenn Anleger in fossile Energie oder Rüstungsgüter investierten (siehe Interview mit Christian Klein in dieser Ausgabe). Zudem verloren Tech-Unternehmen deutlich, die einen großen Anteil an Nachhaltigkeitsfonds ausmachen. Unter dem Strich schnitten nachhaltige Fonds bei der Performance deswegen zuletzt deutlich schlechter ab als konventionelle Fonds. Zudem änderte sich die EU-Regulatorik am grünen Anlagemarkt, weswegen viele Anbieter Fonds aus der strengeren Artikel-9-Kategorie in die weniger strenge Artikel-8-Kategorie herabstuften.
Vor allem letzterer Gruppe zugehörige Fonds hätten Energieaktien gekauft und sich von Aktien aus dem Tech- und Finanzsektor getrennt, heißt es in der Studie. In beiden Kategorien zusammen stieg der Anteil von Energieaktien am Gesamtportfolio von knapp 2,5 Prozent Ende 2021 bis Ende Dezember auf 2022 auf 3,3 Prozent, wovon vor allem europäische und indische Öl-Unternehmen profitiert hätten. Der Anteil von Tech-Aktien (Apple, Alphabet, Microsoft und so weiter) sank von über 23 Prozent auf unter 20 Prozent. Nur wenige Fonds seien über den gesamten Untersuchungszeitraum gar nicht in fossile Energie investiert gewesen.
Allerdings sei die Wirkung von nachhaltigen Geldanlagen, besonders von Aktienfonds, für die Transformation begrenzt, heißt es bei Finanzwende. Erheblich wichtiger seien adäquate politischen Rahmenbedingungen, eine nachhaltige Industriepolitik und die Bepreisung von CO₂. Denn eine solche Politik führe dazu, dass klimaschädliche Investitionen automatisch unrentabel würden “und eine nachhaltige Geldanlage die Regel”. cd
Die Kommission will im März ihren Vorschlag für eine unabhängige Ethikbehörde vorlegen. Dies kündigte EU-Kommissarin Věra Jourová im Europaparlament an. Die Brüsseler Behörde reagiert damit auf den als Katargate bekannten Korruptionsskandal, der seit Dezember das Parlament erschüttert und das Vertrauen in die EU beschädigt.
Die Abgeordneten begrüßten den Vorstoß, forderten jedoch mehr Tempo und größeren Ehrgeiz. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe die ordnungsgemäße Durchsetzung der Ethikregeln und eine unabhängige Aufsicht bereits 2019 versprochen, sagte Daniel Freund (Grüne), Berichterstatter des Parlaments. Geliefert habe sie bisher aber nicht.
Wenn die Vorlage wie angekündigt im März kommt, müssten die Verhandlungen mit dem Parlament noch vor der Sommerpause abgeschlossen werden, heißt es in der am Donnerstag verabschiedeten Entschließung. Die neue Behörde solle eine Schlüsselrolle beim Schutz von Whistleblowern spielen und eng mit anderen EU-Behörden wie OLAF oder der europäischen Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten.
In einer weiteren Resolution fordern die Abgeordneten eine bessere Umsetzung des bestehenden Code of Conduct in den EU-Institutionen. Der Strafkatalog müsse ausgeweitet werden, zudem müsse es bei Verstößen auch Geldstrafen geben. Teure Luxusreisen in ferne Länder auf Kosten der Gastgeber dürfe es nicht mehr geben, heißt es in Anspielung auf vergangene Einladungen aus Katar.
Katargate habe gezeigt, dass schon ein einzelner Fehltritt reichen könne, um die EU in Misskredit zu bringen, sagte Stéphane Séjourné, Chef der liberalen Renew-Fraktion. Eine unabhängige Ethikbehörde sei die “Antwort auf diese inakzeptablen Fehltritte”. Es gehe um “eine der wichtigsten Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung in den EU-Institutionen”, meint auch Daniel Freund.
Allerdings sind die Ankündigungen der Kommission noch vage. Jourová bekannte sich zwar zu gemeinsamen und hohen Ethikstandards in allen Institutionen. Sie ließ aber durchblicken, dass die Kommission die bisherige Selbstkontrolle von Politikern nicht durch unabhängige Experten ersetzen wolle. Damit würde sie hinter den Forderungen des Parlaments zurückbleiben, warnt Freund. ebo
Dass ein Mann ein höheres Gehalt bekommt als eine Frau in gleicher Position, nur weil er besser verhandelt hat oder einer besser bezahlten Kollegin folgt, ist kein berechtigter Grund, der Frau weniger Lohn zu zahlen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Donnerstag. Sarah Lincoln von der am Prozess beteiligten Gesellschaft für Freiheitsrechte hält das Urteil für einen “Meilenstein auf dem Weg zu mehr Entgeltgleichheit”.
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, nachdem sie erfahren hatte, dass ein männlicher Kollege mehr verdiente als sie. Er hatte zwei Monate vor ihr als Vertriebsmitarbeiter im Unternehmen angefangen. Die Firma argumentierte, dass der Kollege erst ein höheres Gehalt ausgehandelt und dann eine besser bezahlte Kollegin ersetzt habe, weshalb das niedrigere Gehalt gerechtfertigt sei. Das BAG überzeugte dies nicht. Es stellte fest, dass die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts schlechter bezahlt und damit benachteiligt worden sei. Sie bekommt nun den entgangenen Lohn in Höhe von 14.500 Euro und eine Entschädigung von 2.000 Euro.
Der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott geht davon aus, dass die Entscheidung eine “große Bedeutung für die Arbeitswelt haben wird”. “Sie kann dazu beitragen, das statistisch nachgewiesene Gender Pay Gap effektiv abzubauen“, sagte er Table.Media. Gleichzeitig erwartet der Jurist, dass außerhalb von Tarifverträgen, “künftig viel mehr einzelfallbezogen diskutiert werden muss und Unternehmen ihre Vergütungsentscheidung stärker dokumentieren müssen”, wenn sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in gleicher Position unterschiedlich bezahlen.
Denn laut Entgelttransparenzgesetz dürfen Angestellte, die gleiche oder gleichwertige Arbeit machen, nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden. Nur objektive Gründe wie Ausbildung, Berufserfahrung oder besondere Kenntnisse erlauben eine unterschiedliche Bezahlung. Diese Regelung ist auch eine Reaktion auf die nach wie vor bestehende Lohn-Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. So verdienten Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien 2022 in Deutschland im Durchschnitt immer noch sieben Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Der unbereinigte Gender Pay Gap liegt sogar bei 18 Prozent, weil Frauen häufig in Teilzeit oder in schlechter entlohnten Berufen arbeiten. Dabei ist unbezahlte Arbeit wie Kindererziehung noch nicht einmal berücksichtigt. nh
Wegen Nicht-Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie hat die EU-Kommission acht Mitgliedsstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt, darunter Deutschland. Bereits Anfang 2022 hatte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Denn die Ende 2019 in Kraft getretene Richtlinie hätten alle Mitgliedsstaaten bis zum 17.12.2021 in nationales Recht umsetzen müssen. Im Bundesrat hatte kürzlich die CDU/CSU-Fraktion die Verabschiedung eines Hinweisgeberschutzgesetzes in Deutschland blockiert.
Whistleblower weisen auf staatliche Kontroll- und Regelungslücken hin und stärken den demokratischen Diskurs. Vor kurzem hatte dies auch der europäische Menschengerichtshof in dem Urteil im Fall Halet v. Luxemburg anerkannt und klargestellt, dass die Offenlegung von gravierenden Missständen im öffentlichen Interesse liegt.
Wirtschaft und Politik zögern den Whistleblower-Schutz aber seit Jahren hinaus. “Der deutsche Gesetzgeber muss jetzt dringend ein umfassendes Hinweisgeberschutzgesetz verabschieden, wenn er erhebliche Strafzahlungen vermeiden will”, sagt der Geschäftsführer des Whistleblower-Netzwerks, Kosmas Zittel. “Außerdem ist es im Lichte des EGMR-Urteils geboten, den Gesetzesbeschluss des Bundestags nachzubessern und öffentliches Whistleblowing zu erleichtern.”
Der Gesetzesbeschluss des Bundestags erlaubt eine Offenlegung nur in Ausnahmefällen. Das Whistleblower-Netzwerk fordert dagegen seit langem, Hinweise zu erheblichen Missständen unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes aufzunehmen und deren Offenlegung zu schützen, wenn dies im Interesse der demokratischen Öffentlichkeit liegt. cd
Der europäische CO₂-Preis hat am Dienstag erstmals die Schwelle von 100 Euro pro Tonne überschritten. Das neue Rekordhoch – für das Recht, innerhalb des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) eine Tonne CO₂ zu emittieren – lag am Dienstagmittag bei 101,25 Euro. Es handelte sich dabei um den Future-Preis für Dezember 2023 an der Terminbörse.
In den vergangenen vier Wochen war der Preis schon mehrfach bis knapp unter die 100-Euro-Marke gestiegen. Der jetzige Preisanstieg ist allerdings nicht auf ein bestimmtes Ereignis zurückzuführen, sondern das Resultat der derzeitigen europäischen Klimapolitik und der Reform des ETS. Die Menge der verfügbaren Emissionsrechte wird in absehbarer Zeit sinken, was den Preis an den Terminbörsen schon jetzt stetig in die Höhe treibt. Seit Jahresbeginn ist der CO₂-Preis im ETS um 20 Prozent gestiegen.
Direkte Auswirkungen durch den Preisanstieg sind nicht zu erwarten, da sich Industrieanlagen, Energieerzeuger und Fluggesellschaften, die unter das ETS fallen, für gewöhnlich vorzeitig mit reichlich Zertifikaten eindecken. Dennoch wird das Überschreiten der 100-Euro-Marke als psychologisches und historisches Ereignis interpretiert. “Das ist ein wichtiges Signal für Investitionen in den Klimaschutz: Das knapper werdende #CO2Budget spiegelt sich in den steigenden Preisen wider”, schrieb Klimawissenschaftlerin Brigitte Knopf auf Twitter. Experten und Analysten sehen hohe CO₂-Preise als eines der wichtigsten Instrumente, die industrielle Transformation voranzutreiben, da die Kosten, um CO₂ zu vermeiden, relativ betrachtet sinken. luk
Der Automobilsektor wird das für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gegebene Treibhausgasbudget für Pkw schon 2035 aufgebraucht haben, wenn er sich nicht verändert. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung Kearney im Auftrag der Elektroautohersteller Polestar und Rivian. Im Jahr 2050 wäre das Budget demzufolge bereits um 75 Prozent überschritten.
Einhalten könne die Branche das Pariser Klimaziel nur noch, wenn Emissionen über den gesamten Zyklus der Fahrzeuge gesenkt würden. Künftig müssten alle Neuwagen E-Fahrzeuge sein, der Ladestrom müsste ausschließlich aus erneuerbaren Energien kommen und die Emissionen der Produktion müssten bis 2032 um 81 Prozent sinken.
Mit Blick auf Fortschritte empfehlen die Autoren der Studie den Herstellern zu überlegen, wo sie zusammenarbeiten können. Potenzial sehen sie bei der gemeinsamen Senkung von Emissionen der Zulieferer. Aktuell entstehen bei der Produktion von E-Autos besonders aufgrund der Batterien 35 bis 50 Prozent mehr Emissionen als bei Verbrennern. Verbesserungen könnten auf drei Wegen geschehen: weniger Emissionen bei der Produktion von Material, weniger Material oder anderes Material.
Weitere Felder für Kooperationen seien die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen und ihr sozial-verträglicher Abbau sowie die Wiederverwendung von Ressourcen. Zudem halten die Autoren die Festlegung von gemeinsamen Standards für entscheidend, etwa für die Berechnung von Lebenszykluskosten und internen CO2-Preisen oder die Bewertung von Zulieferer-Emissionen. nh
Das öffentliche Konsultationsverfahren für eine umfassende Reform des Vergaberechts endete zwar vergangene Woche, Interessierte können aber weiterhin Stellungnahmen beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einreichen. Das teilte Staatssekretär Sven Giegold am Dienstagmorgen in seinem Newsletter mit. Bis dato hätten bereits 150 Akteure ihre Ideen übermittelt. Einen Fragebogen stellt das Ministerium auf seiner Website zur Verfügung.
Der Fragebogen zur Transformation des Vergaberechts umfasst 21 Fragen in fünf Kategorien. Es geht um die Stärkung der umwelt- und klimafreundlichen sowie der sozial-nachhaltigen Beschaffung, die Digitalisierung des Beschaffungswesens, die Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren sowie um die Förderung des Mittelstands, von Start-up-Unternehmen und Innovationen. Mit dem Vorhaben will die Ampel-Koalition die Vergabe von öffentlichen Aufträgen vor allem “wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ” ausrichten. nh
Die ESG-Illusion – Manager Magazin
Christian Schütte beschreibt die ESG-Ideen des früheren Blackrockmanagers Terrence Keley. Dieser lässt wenig gute Haare an den gängigen ESG-Strategien. Sein Rat: Aktionäre sollten eine Strategie einschlagen, bei der sie auf den Umbau von Unternehmen drängen. Zudem sollten die Investoren 1,6 Prozent ihrer Gelder in Projekte und Unternehmen investieren, die nachweislich eine Ökowirkung haben. Denn damit würden schon einmal die notwendigsten Teile der Transformation finanziert, findet der Finanzmanager. Zum Artikel
Frankreich kämpft für die Faulheit – SZ
Nils Minkmar analysiert, warum es bei der Rentenreform in Frankreich nicht nur darum geht, länger arbeiten zu müssen. Verhandelt würden damit auch Fragen, die Franzosen den Schlaf rauben. So sei das Land auf fitte Rentner angewiesen, weil sie in vielen Familien, aber auch in der Gesellschaft wichtige soziale Funktionen erfüllen. Der Kampf gegen die Rentenreform erscheine “wie eine viel umfassendere Revolution gegen Sachzwänge und Marktmechanismen”, die anderswo nicht mehr hinterfragt würden. Zum Artikel
A new way to clean up the steel industry – The Economist
Die Autoren beschäftigten sich mit einem neuen Verfahren für die Stahlherstellung, mit dem die CO2-Emmissionen um 90 Prozent gesenkt werden können sollen. Vorgestellt haben es die Wissenschaftler Yulong Ding und Harriet Kildahl von der britischen Universität Birmingham. Herzstück des Verfahrens sei ein geschlossenes Kohlenstoff-Recycling-System, das den Großteil des Koks ersetze. Zum Artikel
Auf der Suche nach Sinn – Harvard Business Manager
Die Autoren beschäftigten sich mit Strategien von Unternehmen mit Blick auf Purpose. Es sei wichtig, dass Manager sich darüber Gedanken machten, aber es bestehe die Gefahr, “dass Zeitdruck und PR-Maßnahmen aus einem wohlüberlegten Purpose ein Fantasiegebilde machen”, schreiben sie. Zwar brauche jedes Unternehmen einen Purpose, aber dieser müsse “nicht zwangläufig gemeinwohlorientiert sein”. Ausführlich beschreiben die Autoren Schritte, wie Unternehmen bei der Definition ihres Purpose vorgehen können. Zum Artikel
Industrie: Mit Staatsmilliarden zum grünen Stahl – Zeit Online
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die grüne Transformation der Industrie mit Klimaschutzverträgen vorantreiben. Die FDP wittert Geldverschwendung. Zum Artikel
Geschützt und doch vergiftet – SZ
Tina Baier beschreibt, in welchem großen Ausmaß Landwirte bislang in Schutzgebieten in Deutschland Pestizide verwenden dürfen. Folgenreich wäre hier das geplante EU-Verbot. Denn laut Berechnungen von Lisa Eichler vom Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden lägen rund 38.000 Quadratkilometer Ackerfläche in Schutzgebieten, in denen die EU den Einsatz von Pestiziden verbieten wolle. Das entspreche mehr als 30 Prozent der Ackerfläche in Deutschland. Zum Artikel
Vanguard chief defends decision to pull asset manager out of climate alliance – Financial Times
Im Interview mit der Financial Times erklärt Tim Buckley, der Chef von Vanguard, warum er es für nötig hielt, die Net Zero Asset Managers Initiative zu verlassen. Die Strategie des Unternehmens habe sich dadurch nicht verändert und er sieht vor allem die Politik in der Pflicht, die Spielregeln für die Transformation festzulegen. Zum Artikel
Deutsche Industrie fürchtet Nachteile durch Lieferkettengesetz – Zeit Online
Anlässlich der Afrika-Reise von Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Arbeitsminister Hubertus Heil warnt der BDI, das Lieferkettengesetz erschwere ein stärkeres Engagement in Afrika und damit die Bemühungen zur Diversifizierung der deutschen Wirtschaft. Die Initiative Lieferkettengesetz wies die Kritik zurück und sprach von “Fundamentalopposition”. Zum Artikel
WWF und die Deutsche Bank: Kooperation für das grüne Image? – Taz
Die Naturschutzorganisation WWF arbeitet künftig mit der Privatkundenbank der Deutschen Bank zusammen. NGOs wie Facing Finance sind skeptisch. Zum Artikel
“Klimadienstleister sind wichtige Helfer bei der nachhaltigen Transformation” – Agrarzeitung
Im Interview mit der Agrarzeitung erklärt Christian Kroll, Professor für nachhaltiges Management an der IU Internationalen Hochschule, warum Klimadienstleister wichtige Unterstützung bei der Transformation bieten können. Zum Artikel
Kreislaufwirtschaft in der Produktion: Wie spezialisierte Finanzierungen für Nachhaltigkeit in schwierigen Zeiten sorgen – VDI-Z
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Hersteller auf Nachhaltigkeit setzen. Doch hat dieses Thema in einer Zeit, die von schlechten Nachrichten und den Nachwirkungen der Pandemie geprägt ist, weiterhin Priorität? Und wie lässt sich das Vorhaben trotz knapper Kassen umsetzen? Zum Artikel
Herkulesaufgabe Öko-Zement – HZwei
Mehr als vier Milliarden Tonnen Zement werden weltweit jedes Jahr hergestellt. Dabei setzt der Baustoff zwangsläufig große Mengen des im Kalk gebundenen Kohlenstoffdioxids frei. Zementhersteller stehen bei der Dekarbonisierung der Branche vor einer riesigen Herausforderung. Ein Flaschenhals für eine Entwicklung ist fehlender grüner Wasserstoff. Zum Artikel
Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit einhergehenden geopolitischen Veränderungen haben Deutschland und Europa gezwungen, die Abhängigkeit von russischem Gas in kürzester Zeit zu reduzieren. Eine Vielzahl fragwürdiger politischer Entscheidungen hat in der Vergangenheit jedoch nicht nur bei Gaslieferungen, sondern auch bei kritischen Rohstoffen zu Abhängigkeiten geführt, die die strategische Autonomie Europas einschränken.
Kritische Rohstoffe sind unerlässlich, um die grüne Transformation nicht nur zu bewältigen. Bestehende Abhängigkeiten gefährden daher nicht nur die europäische Wettbewerbsfähigkeit, sondern sie machen uns auch erpressbar und können sicherheitspolitisch notwendige Reaktion auf aktuelle Ereignisse verhindern. Es ist daher zentral, rasch Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen und diese Abhängigkeiten konsequent zu adressieren.
Zunächst müssen die Anstrengungen, die Beschaffung kritischer Rohstoffe zu diversifizieren, unmittelbar und mit verschiedenen Instrumenten intensiviert werden. Während die Diversifizierung globaler Lieferketten grundsätzlich eine unternehmerische Entscheidung ist, können Regierungen die Bemühungen von Unternehmen unterstützen, indem sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Zum Beispiel könnte ein globales Bündnis gleichgesinnten Partnern etabliert werden, ein sogenannter Critical Raw Materials Club, in dem Informationen, Netzwerke und Kapazitäten gemeinsam genutzt werden.
Die Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten mit der Europäischen Kommission im Rahmen der Mineral Security Partnership bietet hierfür einen geeigneten Rahmen. Denn auch gleichgesinnte Länder werden sich in naher Zukunft wahrscheinlich einen Wettlauf um kritische Rohstoffe liefern. Ein spezieller Kooperationsrahmen könnte in diesem Zusammenhang ermöglichen, dass sich Länder den Zugang zu kritischen Rohstoffen sichern, sich bei lokalen Engpässen jedoch gegenseitig aushelfen und so das Risiko durch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen seitens Drittstaaten verringern können.
Der Zugang zu noch nicht erschlossenen Lagerstätten wird auch durch Freihandelsabkommen begünstigt, die einen bevorzugten Zugang zu relevanten Quellen kritischer Rohstoffe ermöglichen. Dies gilt insbesondere für die Handelsabkommen mit Afrika und Lateinamerika, deren kritische Rohstoffvorkommen als hoch eingeschätzt werden. Der Abschluss dieser Handelsabkommen ist oft hinausgezögert worden oder ihre Ratifizierung steht noch aus.
Künftige Handelsbeziehungen zwischen Europa und weniger entwickelten Ländern im Zusammenhang mit der Beschaffung von kritischen Rohstoffen bieten auch die Möglichkeit, mögliche Geber-Empfänger-Beziehungen der Vergangenheit in Richtung einer für beide Seiten vorteilhaften Partnerschaft auf Augenhöhe zu entwickeln. Auf seiner jüngsten Reise nach Chile, die der Erneuerung der deutsch-chilenischen Rohstoffpartnerschaft diente, betonte Bundeskanzler Scholz daher zu Recht die Bedeutung der Einhaltung lokaler Umwelt- und Sozialstandards bei gleichzeitiger Sicherung der lokalen Wertschöpfung.
Der Abbau und die Verarbeitung kritischer Rohstoffe ist jedoch nicht nur Aufgabe von Drittstaaten. Auch Europa sollte sich am weiteren Abbau beteiligen, um die künftige Versorgung zu sichern und ein gewisses Maß an Autonomie für den Fall unvorhergesehener Engpässe zu bewahren. Dies erfordert vor allem, die Vorteile des Zugangs zu nationalen Vorkommen kritischer Rohstoffe zu vermitteln und die lokale Bevölkerung in die Vorhaben einzubeziehen.
In Portugal wurde beispielsweise das Bergbaugesetz eigens zu diesem Zweck geändert: Die Gewinne aus dem Bergbau, die bisher allein dem Staat zufielen, werden nun bis zur Hälfte mit der lokalen Bevölkerung geteilt. Ein Modell nach portugiesischem Vorbild könnte sich daher neben der Schaffung neuer Arbeitsplätze auch positiv auf die Stärkung der heimischen Produktion auswirken. Das kürzlich entdeckte schwedische Seltene-Erden-Vorkommen könnte somit eine Chance für Europa sein, die Bereitschaft zu Investitionen zu demonstrieren, die seine Auslandsabhängigkeit zu verringern.
In Anbetracht der Notwendigkeit kritischer Rohstoffe für die Herstellung klimafreundlicher Technologien wie Solarpaneele und Windturbinen sollten die Kosten der lokalen Umweltbelastung sorgfältig gegen die Vorteile einer globalen Emissionsreduzierung abgewogen werden. Die Umweltstandards für den Bergbau in Europa sollten daher bei Bedarf neu bewertet werden.
Das Gleiche gilt für die Umweltanforderungen im Zusammenhang mit den Garantien für ungebundene Finanzkredite. Neben den höheren Lieferrisiken für europäische Produzenten dürften die globalen Umweltkosten höher sein, wenn nicht europäische Unternehmen, sondern Länder mit deutlich niedrigeren Umweltstandards den Bergbau in Drittländern übernehmen. Im Hinblick auf eine Ausweitung der europäischen Produktion könnte die Harmonisierung der für den Bergbau relevanten Umwelt- und Sozialstandards die Wiederbelebung der europäischen Bergbauindustrie beschleunigen.
Um die Bedenken potenzieller Investoren von Bergbauprojekten in Europa auszuräumen, wäre ein dreistufiger Ansatz ratsam. Zunächst sollten die europäischen Vorkommen kritischer Rohstoffe eindeutig identifiziert werden, während relevante Gebiete vor der Genehmigung neuer kommerzieller oder privater Bauprojekte sorgfältig unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit bewertet werden sollten. Das im Rahmen des EU-Rohstoffgesetzes (CRMA) angedachte Netzwerk der europäischen Rohstoffagenturen könnte hier einen wertvollen Beitrag leisten.
Zweitens sollten die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, damit die durchschnittlichen Vorlaufzeiten nicht mehr, wie bisher, 16 Jahre betragen. Drittens sollten langfristige Abnahmeverträge privater Unternehmen durch ungebundene Finanzkredite oder ähnliche Instrumente unterstützt werden, um finanzielle Planungssicherheit zu schaffen.
Langfristig sollte auch die europäische Recycling-Infrastruktur für kritische Rohstoffe als mögliches Instrument zur Verringerung der Importabhängigkeit stärker anerkannt werden. Dieses Ziel wurde im EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als Bestandteil des europäischen Green Deal formuliert. Insbesondere ressourcenintensive Wirtschaftszweige wie die Textil-, Bau-, Elektronik- und Kunststoffindustrie würden von weiteren Recyclinganstrengungen profitieren, um die Beschaffungskosten zu senken.
Wie die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen in ihrer letzten Rede zur Lage der Nation 2022 betonte, würde ein Verlust des verlässlichen Zugangs zu kritischen Rohstoffen sowohl unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als auch unseren Weg zu Netto-Null-Emissionen gefährden. In diesem Zusammenhang haben politische Entscheidungsträger und Unternehmen gleichermaßen erkannt, dass die Abhängigkeit Europas von der Gewinnung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe durch nur wenige Anbieter unseren Wohlstand bedroht – insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Rivalitäten, die das Risiko wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen durch Drittstaaten erhöhen.
Wenn die Fehler, die bei der Beschaffung von Erdgas gemacht wurden, vermieden werden sollen, ist es jetzt an der Zeit zu handeln. Alle Augen richten sich daher auf Brüssel, wo das europäische Gesetz über kritische Rohstoffe voraussichtlich am 14. März 2023 vorgestellt werden soll.
In Sachen Nachhaltigkeit ist Reiner Hoffmann Überzeugungstäter. “Das ist kein Verzichtsthema, das ist ein Gewinnerthema”, ist sich der 67-jährige Gewerkschafter und Sozialdemokrat sicher. Vor wenigen Tagen wurde er einstimmig zum Vorsitzenden des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) gewählt. Das Gremium berät die Bundesregierung und vereint fünfzehn Mitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Sie werden für jeweils drei Jahre von der Regierung ernannt. In seiner Tätigkeit ist der RNE aber unabhängig.
Hoffmann war bis Mai 2022 Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Jetzt freut er sich auf seine neue Aufgabe. Inhaltlich hat er bereits klare Vorstellungen. “Nachhaltigkeit basiert für mich auf drei Säulen: Ökologie, Ökonomie und Soziales”. Der Umbau der Wirtschaft müsse einhergehen “mit guter Arbeit in einer gesunden Umwelt.” Vor diesem Hintergrund will er auf drei Aspekte ein besonderes Augenmerk legen: die soziale Dimension der Transformation, das Thema Kreislaufwirtschaft sowie die Bildung und Qualifikation der beteiligten Akteure. Außerdem sei ihm sehr daran gelegen, “mit Beispielen guter Praxis die Meinungsbildung positiv zu beeinflussen”.
Es wird einiges an Erfahrung und politischem Geschick bedürfen, die im Rat vertretenen unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen, wenn man keine bloßen Allgemeinplätze abliefern will. Schließlich reicht die Bandbreite der Mitglieder vom BDI über den NABU und das Helmholtz-Zentrum bis zur Roten Heidi, der ehemaligen SPD-Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Gerade zu Beginn seiner Amtszeit möchte Hoffmann deshalb möglichst viele Veranstaltungen in Präsenz durchführen. Es sei ihm wichtig, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen, sagt er. Das gehe im persönlichen Kontakt leichter. Außerdem sind neun der fünfzehn Mitglieder zum ersten Mal dabei, er selbst eingeschlossen. Eine erste Bewährungsprobe steht Ende März an. Da geht der Rat in Klausur, um das Arbeitsprogramm für die nächsten Jahre festzulegen.
Wahrscheinlich ist Hoffmann genau der richtige Mann für eine solche Lage. Ihm eilt der Ruf voraus, offen, pragmatisch und lösungsorientiert zu sein. Das ist nicht erst seit seiner Zeit beim DGB so, dessen Vorsitzender er für acht Jahre war. Schon davor beschrieb ihn der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als “nüchternen, sympathischen Typ, der sich seine jungenhafte Art erhalten hat“.
Probleme mit diesen Zuschreibungen hat Hoffmann sicher auch heute nicht. Er sagt selbst, es sei “ein zwingender Vorteil, wenn alle mit am Tisch sitzen”. Das mache es zwar manchmal komplizierter. Aber für Veränderungen bräuchte man nun einmal die beteiligten Akteure mit ihren unterschiedlichen Interessen und Erfahrungen. Das gelte besonders beim Thema Nachhaltigkeit. “Ansonsten müssen wir im Nachhinein zeitaufwändige Umwege machen.”
Reiner Hoffmann wurde 1955 in Wuppertal geboren, ist Witwer und hat zwei erwachsene Kinder. Er lebt heute in Berlin, beschreibt sich als Stadtmensch, leidenschaftlicher Fahrradfahrer und begeisterter Wanderer. Aufgewachsen ist er in einer sozialdemokratisch geprägten Arbeiterfamilie. Der Vater war Maurer und Mitglied der IG Bau. Seine Mutter arbeitete als Reinigungskraft. Im Anschluss an den Zivildienst und eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei Hoechst studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Gesamthochschule Wuppertal. Dabei wurde er von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS) mit einem Stipendium unterstützt. Für die HBS war er später zehn Jahre tätig, zuletzt als Leiter der Abteilung Forschungsförderung.
1994 verschlug es ihn für fünfzehn Jahre nach Brüssel. Hier fungierte er zunächst als Direktor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, später wurde er zum stellvertretenden Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes gewählt. Den Weg zurück nach Deutschland fand er im Jahr 2009 als Landesbezirksleiter Nordrhein der IG BCE.
Als DGB-Chef hat Hoffmann das Thema Nachhaltigkeit wiederholt auf die Tagesordnung gesetzt. Etwa im Jahr 2019, als DGB und BUND einen gemeinsamen Debattenbeitrag vorgestellt haben: “Beschäftigung und Umwelt gehen Hand in Hand. Gemeinsam für eine mutige statt marktgläubige Politik”. Ein weiteres Beispiel ist die “Charta für eine sozial gerechte Transformation” des DGB vom August 2021.
Damals wie heute sind ihm beim “Diskurs um den Green Deal” einige Aspekte besonders wichtig. Das ist zum einen die europäische Ausrichtung. Die Transformation der Wirtschaft brauche eine europäische Herangehensweise, “eine europäische Industriepolitik”. Davon ist der Diplom-Ökonom fest überzeugt. Außerdem müsse Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe angegangen werden. “Wir müssen raus aus den Silos“, so Hoffman. Stattdessen sei ein “interdisziplinäres Gesamtkonzept” nötig. Gerade in Zeiten multipler Krisen müssten die Sorgen und die Verunsicherung der Bürger und Beschäftigten ernst genommen werden. Würde die Politik hier ansetzen und konkrete, zukunftsfähige Perspektiven anbieten, weiß Hoffmann aus Erfahrung, dann “sind die Menschen durchaus zur Veränderung bereit“. Carsten Hübner