Table.Briefing: ESG

Maja Göpel: „Das Schweigen von Unternehmen ist politisch“ + Solarparks auf Blockchain: Mehr Kapital für die Energiewende + Wie ZF gebrauchte Autoteile im Kreislauf hält

Liebe Leserin, lieber Leser,

Liebe Leserin, lieber Leser,

nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die wirtschaftspolitische Schule der Ordoliberalen großen Einfluss auf die Politik der Bundesrepublik und erheblichen Anteil daran, dass die Wirtschaft prosperierte. Elementar für ordoliberale Denker wie Walter Eucken war es, dass der Staat für Unternehmen verlässlich Rahmenbedingungen setzt und ihnen dann alles Weitere überlässt. Als “Konstanz der Wirtschaftspolitik” handelte er diesen Grundsatz in seinem Standardwerk zu den Grundsätzen der Wirtschaftspolitik ab.

Von dieser Konstanz der Wirtschaftspolitik wollen die Union und auch andere konservative Parteien in der EU in diesen Tagen jedoch wenig wissen – jedenfalls, wenn es um die Gesetze des Green Deal geht. Einen Großteil davon wollen sie abschaffen. Aber den Green Deal infrage zu stellen sei “kurzsichtig”, sagt die Ökonomin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer und verweist auf die Investitionen von Unternehmen.

Vor wenigen Tagen hat der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik interessante Zahlen veröffentlicht: Demnach betrachtet mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen das deutsche Lieferkettengesetz als hilfreich für seine Nachhaltigkeitsbemühungen, insbesondere durch gesteigerte Transparenz (79 Prozent) und die Prävention von Risiken (68 Prozent). Und wer sich aktuell mit Bänkern unterhält, erfährt, welch immensen Nutzen die Geldinstitute aus den Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der CSRD ziehen – um eigene Schwächen zu identifizieren, zu beheben und so bessere Geschäfte zu machen.

Was mangelnde Konstanz der Wirtschaftspolitik für kleine und mittlere Unternehmen bedeutet, ist Thema unseres heutigen Standpunkts von Katharina Reuter.

Ihr
Caspar Dohmen
Bild von Caspar  Dohmen

Interview

Maja Göpel: “Das Schweigen von Unternehmen ist politisch”

Transformationsforscherin und Autorin Maja Göpel.

Frau Göpel, in einem früheren Interview mit uns haben Sie vor einer Zunahme von Falschinformationen gewarnt – vor allem zum Klimawandel. Inzwischen haben Tech-Unternehmer wie Elon Musk und Mark Zuckerberg die Faktenprüfung auf ihren Plattformen heruntergefahren. Wie sehr schadet das dem Nachhaltigkeitsdiskurs?  
Für viele demokratische Themen ist das eine Katastrophe. Gerade bei den Nachhaltigkeitsthemen wissen wir, dass viele Effekte zeit- und ortsversetzt eintreten. Da brauche ich ein gewisses Vertrauen darin, dass die Erläuterungen und Prognosen stimmen. Wenn nun auch noch systematisches Lügen von Entscheidungsträgern wie Donald Trump normalisiert wird, macht es das sehr schwer, Nachhaltigkeitsthemen weiter oben zu halten und eine Handlungsbereitschaft zu wecken. 

Sollten sich angesichts dessen Politik, Wissenschaft und Medien von den Meta-Plattformen und X abmelden?  
Auf jeden Fall braucht es eine konsequente Umsetzung und womöglich auch Verschärfung der EU-Regulation für Plattformen, denn Menschen entscheiden frei, wo sie ihre Informationen konsumieren. Meinungsbildnerinnen und Entscheidungsträger könnten aber auch in qualitativ hochwertige Diskursräume wechseln. Das ist die Idee einiger konzertierter eXits: Gehen alle auf einmal, entfallen individuelle Reichweitenverluste.

Problematisch ist, dass vor allem die politischen Parteien, Ministerien und große Medienhäuser weiter auf X bleiben. Sie betten in ihren Onlineartikeln die Botschaften ein, die auf X geteilt werden und zitieren, was dort gepostet wurde. So verstetigen sie die Diskursmacht von X als Plattform und werten sie auf. 

Im Bundestagswahlkampf spielen Transformationsthemen eine wesentlich geringere Rolle als noch vor vier Jahren, wie Sie auch in ihrem neuen Buch “Werte” schreiben. Wie erklären Sie sich das angesichts der Tatsache, dass eine verzögerte Transformation Milliarden an Mehrkosten verursacht? 
Wir erleben gerade einen konzertierten Backlash von Protagonisten, die durch eine sozial-ökologische Transformation ihre Geschäftsmodelle verlieren würden – insbesondere die fossilen Energien -, und von einer oligarchischen Bewegung, die im Prinzip jede staatliche Einschränkung ihrer Machtausübung ablehnt. Ihr Profitstreben wird durch Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und faire Wettbewerbsbedingungen eingeschränkt. Das Nachhaltigkeitsthema bietet sich also gut für Populismus an, weil es eine starke staatliche Aktivität braucht. Populistische Parteien können da wunderbar Misstrauen säen und sagen: Die im System wollen euch drangsalieren. 

Dazu kommen die geopolitischen Ansprüche, die USA als Hegemon auf der Welt abzulösen. Insbesondere bei Russland vereinen sich beide Kräfte in der Verteidigung fossiler Energien: Diejenigen, die davon am meisten profitieren, und diejenigen, die Demokratien destabilisieren möchten. 

Der vielleicht schlimmste Hebel ist aber, dass sich Finanzmärkte opportunistisch umorientieren, weil Renditeerwartungen kippen oder weil ihnen Strafen der US-Administration angedroht werden. 

Wie müssten sich Unternehmen in Deutschland aufstellen, um zukunftsfähig zu bleiben? 
Nehmen wir die zunehmenden Klimarisiken ernst, braucht es eine andere Form von Landwirtschaft, eine beschleunigte Energiewende und eine ganz andere Form von Zirkularität in der Ressourcennutzung. Wir sehen ohnehin gerade überall Strukturwandel, und das wird auch nach der Ampel so bleiben. Unternehmen müssen also Prioritäten setzen: Die erfolgreichen Unternehmen sind die, die frühzeitig Trendveränderungen gesehen haben und ihre Geschäftsmodelle laufend adaptieren. 

Können Sie Beispiele für solche Unternehmen nennen?  
Im Prinzip sind das jene, die in Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit eine Aufforderung nach Transparenz, Fair Play und Datenerhebung sowie eine Innovationsmöglichkeit sehen. Unternehmen müssen gerade jetzt entsprechende Rahmenbedingungen unterstützen, die in dem ganzen Getöse über Bürokratiemonster und Kettensägen für eine sachliche und richtungssichere Entwicklung der Instrumente eintreten: Ja, die Umsetzung ist zu Beginn kompliziert und mühsam, aber notwendig, um die Risiken erkennen und managen zu können. Also Kulanz in der Umsetzung und mehr Unterstützung, gerade für kleinere Unternehmen.

Dafür gibt es inzwischen richtungssichere Verbände und Unternehmensnetzwerke wie den Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft, B.A.U.M., Econsense, die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen oder die Stiftung Klimawirtschaft. Sie wissen genau, dass viele der aktuellen Steuergestaltungen, Subventionen, Förderprogramme, Standards und Normen noch gegen nachhaltiges Wirtschaften steuern. Initiativen wie Circular Regions sind ebenfalls spannend, weil hier Unternehmen, Politik und Forschung gemeinsam die Kreislaufwirtschaft als Ökosystem vorantreiben.

Inwieweit fordern diese Verbände entsprechende Rahmenbedingungen ein? 
Die Dimension der unternehmerischen Verantwortung für einen aufgeklärten und faktenbasierten Diskurs über die Wirkung des Status Quo und notwendiger Updates ist aus meiner Sicht noch unterbelichtet. Ich höre oft von Unternehmen, sie seien ja nicht politisch. Aber es geht nicht darum, eine bestimmte Partei zu unterstützen, sondern sich transparent für ein Update der Rahmenbedingungen einzusetzen. Nur dann werden sie im notwendigen Umfang investieren und ihre Wertschöpfungsketten umbauen können. Allein der Druck auf kurzfristige Rendite wirkt sonst weiter wie ein Externalisierungsmotor und in Richtung Wertabschöpfung durch den Besitz von Assets wie Boden, Immobilien, Infrastrukturen: also Dividende und Aktienrückkäufe vor Investitionen. 

Diejenigen, die sich da nicht so transparent aufstellen wollen, sind gerade ordentlich laut und verbreiten Angst in der Gesellschaft, dass “die Wirtschaft” untergehe. Deshalb ist das Schweigen genauso politisch wie sich für die nötigen Rahmenbedingungen einzusetzen, damit endlich wieder Planungssicherheit und Dynamik in die Wirtschaft kommen.  

Auch der Green Deal mit Vorhaben wie Berichtspflichten, Lieferkettengesetz oder Anti-Entwaldungsrichtlinie zielt darauf ab, neue Rahmenbedingungen zu schaffen. Warum haben diese einen derart schlechten Ruf – Stichwort Verbote, Verzicht oder Bürokratie?  
Einerseits liegt es an der Verbindlichkeit. Das ist für einige befreiend, weil durch die Standardisierung endlich eine faire Vergleichbarkeit einzieht. Andere nehmen es als Bevormundung oder Nötigung wahr, je nach Geschäftsmodell und Unternehmenskultur. Die konstruktiven Unternehmer sind die, die es eher als zu kleinteilig bezeichnen. Vielleicht auch ein stückweit zu schnell oder administrativ zu aufwendig. Aber sie sagen: Die Richtung stimmt. Hier jetzt überall die Bremse reinzutreten oder gar Verbindlichkeit aufzulösen, würde fortschrittliche Unternehmen bestrafen und längst getätigte Investitionen stranden lassen. 

Mich erstaunt es daher sehr, dass im Wahlkampf behauptet wird, alles zurückdrehen zu wollen, was die Ampel vorangetrieben hat – da melden sich ja inzwischen auch regelmäßig Branchenverbände oder CEOs großer Unternehmen zu Wort, dass dieser Zickzack-Kurs der Unsicherheiten keinesfalls gut für einen Standort ist. Das ist wichtig als Gegengewicht zum Infighting der politischen Parteien, die sich gerade nur noch an der Sonntagsfrage zu orientieren scheinen, anstatt an Kompromissen für die Zukunft des Standorts. 

Sie sagen also, dass die Wirtschaft teilweise weiter ist als die Politik. Sind denn auch die Wählerinnen und Wähler bereit für die nötigen Veränderungen?  
In tiefergehenden Interviews der Sozialforschung wünschen sich immer noch 75 bis 80 Prozent der Menschen in Deutschland, dass kooperativ zusammengearbeitet wird, um die Krisen in den Griff zu bekommen. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten sind zwar zur direkten Sorge geworden und in der Priorität nach oben gerutscht. Klimawandel und Umweltverschmutzung werden aber immer noch häufig genannt. Und auch der Wunsch nach Gemeinwohl ist sehr groß. Das zeigt etwa das Edelman Trust Barometer. Statt sich im Wahlkampf gegenseitig den Niedergang des ganzen Landes vorzuwerfen, sollte die Politik lieber geteilte Werte betonen und umsetzen, wofür es deutliche Mehrheiten gibt: etwa ein Tempolimit, Kinderrechte im Grundgesetz verankern oder Wirtschaftskriminalität verfolgen. 

Die Politökonomin, Autorin und Transformationsexpertin Maja Göpel erforscht, wie sich Gesellschaften verändern. 2019 hat die Leuphana Universität Lüneburg Göpel als Honorarprofessorin berufen. Sie ist zudem Gründerin von “Mission Wertvoll” und Geschäftsführerin der Global Eco Transition GmbH. Ende Januar ist ihr neues Buch “Werte” im Brandstätter Verlag erschienen.

  • Anti-Entwaldung
  • Nachhaltige Wirtschaft
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Analyse

Solarparks auf Blockchain: Mehr Kapital für die Energiewende

Solarpark bei Neukirchen-Vluyn in NRW: Bald könnte jede juristische Person Anteile an solchen Stromerzeugungsanlagen erwerben.

Mit eigenem, günstigen Solarstrom die Stromrechnung reduzieren: das ist bisher vor allem Eigentümern privater Photovoltaikanlagen vorbehalten. Der italienische Energiekonzern Enel, zweitgrößter Anbieter der Welt, will diese Option auch Kunden ohne eigene Immobilie anbieten – und zwar durch eine Tokenisierung von konzerneigenen Solar- und Windparks.

Ein Token ist laut Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die “digitalisierte Abbildung eines Vermögenswertes inklusive der in diesem Wert enthaltenen Rechte und Pflichten”. Auch muss ein solcher Token grundsätzlich handelbar sein. Für Enel wickelt der italienische Krypto-Dienstleister Conio den Prozess der sogenannten Tokenisierung ab, der dafür die Blockchain des Anbieters Algorand verwendet. Eine Blockchain kann man sich wie eine Aneinanderreihung von Containern mit Informationen vorstellen. Bei jeder neuen Transaktion wird an die Blockchain ein neuer Container mit Information angehängt. Gespeichert wird diese Veränderung auf einem dezentralen Servernetz.

Im Chat auf der Unternehmenswebsite erklärt Conio-Mitarbeiter Andrea, wie es funktioniert: “Die Token repräsentieren einen Anteil an einer oder mehreren Stromerzeugungsanlagen wie Solar- oder Windparks. Damit können Kunden ihre Stromrechnung senken und bis zu 70 Prozent des eigenen Energieverbrauchs abdecken.” Festgehalten werden die neuen Eigentumsverhältnisse auf der Algorand-Blockchain. Das betrifft auch sämtliche Transaktionen. Deutschen stehe das Angebot allerdings nicht offen, bedauert der Mitarbeiter. Die Beteiligungsoption ist bislang auf Kunden in Italien beschränkt.

Verfahren könnte in Deutschland zügig Nachahmer finden 

Laut Enel ist das Angebot weltweit einzigartig. Doch die Tokenisierung von Solarparks könnte in Deutschland zügig Nachahmer finden. Denn Hintergrund ist eine neue Verordnung zur Regulierung von Krypto-Werten in der EU unter dem Namen MiCAR (Markets in Crypto-Assets-Regulation).  Sie gilt seit dem 30. Juni 2024. Deutschland hat sie mit dem Finanzmarktdigitalisierungsgesetz per 27. Dezember 2024 auf nationaler Ebene umgesetzt.

Per Definition betrifft die neue Verordnung digitale Darstellungen eines Werts oder eines Rechts, die unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie (z.B. Blockchain) elektronisch übertragen und gespeichert werden können. Das sind neben Währungen wie Bitcoin, Ether und E-Geld-Token auch sogenannte vermögensbezogene Token (Asset-Referenced-Token, ART)

ART: Direkte Beteiligung an Energieparks 

Mit dieser neu geschaffenen Krypto-Kategorie können natürliche Personen jetzt – wie Enel es vormacht – direkt in reale Vermögensgegenstände wie Infrastrukturen und Kraftwerke investieren. Auch in Deutschland. Das war bisher auf diese Weise nicht möglich, erklärt Jurist Michael Huertas, Partner von PwC Legal. ART eröffneten zugleich für Anleger die Option, lediglich Teile der Vermögensgegenstände zu erwerben. Das schaffe für viele erstmals einen Zugang zum Bereich regenerativer Energien. “Das Beispiel Enel ist sehr spannend, weil andere Unternehmen folgen könnten”, sagt Huertas. Mit diesem Modell lasse sich mehr Privatkapital für die Energiewende mobilisieren. Zugleich sei der Investorenschutz erheblich ausgeprägter als bei Wertpapieren. 

Klar ist ebenfalls: Die Rendite darf bei der Beteiligung nicht im Vordergrund stehen, sondern das Recht, an den operativen Erträgen des Solarparks wie dem sauberen Strom zu partizipieren. Denn ein tokenisierter Solar- oder Windpark sei eben kein Finanzprodukt, so Huertas.

Damit ist es auch nicht mit einem Finanzinvestment in einen Solar- und Windfonds zu vergleichen. Die ART unterscheiden sich ebenfalls von sogenannten Security-Token, mit denen in jüngerer Vergangenheit Solarparks finanziert wurden. So wie beim Krypto-Dienstleister Black Manta Capital Partners, der dafür Wertpapiere tokenisierte.

Mehr Kapital für Energiewende mobilisieren 

MiCAR ermöglicht jetzt aber die direkte Abbildung des Solarparks als Token“, sagt Black Manta-CEO Alexander Rapatz. Damit könnten gerade in Deutschland, als einem Land der Mieter, breitere Kreise für entsprechende Beteiligungen erschlossen werden, was zusätzliches Kapital für den Energiesektor mobilisieren könnte. “Die Tokenisierung kann die Finanzierung von Solarparks vereinfachen und beschleunigen, indem sie den Zugang zu Kapitalmärkten demokratisiert und neue Investorengruppen erschließt”, so Rapatz. Das stelle eine vielversprechende Option dar, um die Energiewende voranzutreiben. 

Für die Regulierung solcher vermögensbezogenen Token ist die BaFin zuständig. Zu konkreten Fällen will sich die Behörde nicht äußern. Doch grundsätzlich werde eine Tokenisierung von erneuerbaren Energien in Deutschland wie im Falle Enels vor dem MiCAR-Hintergrund möglich, heißt es in Behördenkreisen. Das sei allerdings jeweils eine Einzelfallentscheidung. Neben Kreditinstituten kann jede juristische Person eine Emission beantragen, so die BaFin auf Anfrage. Voraussetzung sei ein Whitepaper, eine Art abgespeckter Emissionsprospekt. Die Prüfung dauere dann höchstens 60 Tage. Oliver Ristau

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Automobilbranche: Wie ZF gebrauchte Teile im Kreislauf hält

Eine Mitarbeiterin von der ZF Friedrichshafen AG arbeitet an der Montagelinie: Für sein Remanufacturing von Autoteilen wurde das Unternehmen mehrfach ausgezeichnet.

Die deutsche Automobilindustrie will ihren CO₂-Fußabdruck deutlich reduzieren. Ziel ist eine klimaneutrale Mobilität bis spätestens 2050, um die Pflichten aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Dazu muss außer dem Antrieb der Fahrzeuge auch die Herstellung dekarbonisiert werden. Das setzt nicht nur den Einsatz recyclingfähiger Materialien voraus. Besser wäre es, wenn möglichst viele Teile durch Remanufacturing wiederverwendet werden könnten. 

ZF-Werk Bielefeld: Mehr als 60 Jahre Erfahrung mit Remanufacturing 

Am Standort des Automobilzulieferers ZF in Bielefeld ist das seit mehr als 60 Jahren Tagesgeschäft. Seit 1963 werden hier gebrauchte Teile in ihre einzelnen Komponenten zerlegt, gereinigt, geprüft, aufgearbeitet, wieder zusammengebaut und schließlich an Hersteller oder als Ersatzteile verkauft. 

Rund 200 Mitarbeiter sortieren hier täglich 50 Tonnen Altteile verschiedener Automobilhersteller, vor allem Getriebe und Antriebswellen. Für Nachschub sorgt nicht zuletzt das ZF-Altteilemanagement. Schon heute kommen bis zu 35 Prozent der verkauften Produkte nach Gebrauch wieder ins Werk zurück. Am Standort Bielefeld soll diese Quote in den nächsten fünf Jahren auf 90 Prozent gesteigert werden. 

“Ökonomie und Ökologie zu verbinden ist das übergeordnete Ziel” 

Im Rahmen des Remanufacturing fertigt ZF in Bielefeld jährlich eine Vielzahl neuwertiger Produkte, darunter rund 180.000 Kupplungsdruckplatten und -scheiben, 10.000 Drehmomentwandler und etwa 55.000 Ausrücksysteme. Das zahlt sich laut ZF langfristig aus: Im Vergleich zu einem Neuteil sinkt der Materialverbrauch der aufbereiteten Produkte im Durchschnitt um bis zu 95 Prozent. Die Energie- und CO₂-Einsparung liegt bei bis zu 90 Prozent.

“Ökonomie und Ökologie miteinander zu verbinden ist unser übergeordnetes Ziel”, sagt Jörg Witthöft, Standortleiter von ZF in Bielefeld. “Im Vordergrund steht für uns, Produkte von der Entwicklung bis zur Aufarbeitung nachhaltig zu planen.

Remanufacturing: Aus alt mach neu 

Im Gegensatz zum Recycling geht es beim Remanufacturing nicht nur um die stoffliche Wiederverwertung, sondern um die Wiederverwendung ganzer Bauteile. Dafür gibt es inzwischen sogar eine eigene Norm: die DIN SPEC 91472 “Remanufacturing (Reman) – Qualitätsklassifizierung für zirkuläre Prozesse” vom Juni 2023. Sie soll das Remanufacturing von anderen werterhaltenden Verfahren wie Reparatur oder Refurbishment abgrenzen. Produkte aus dem Remanufacturing gelten nach dieser Norm als Neuprodukte

ZF mit Sitz in Ludwigshafen ist mit einem Konzernumsatz von 46,6 Milliarden Euro (2023) und rund 170.000 Mitarbeitern einer der weltweit größten Automobilzulieferer. An 25 deutschen und internationalen Remanufacturing-Standorten bereiten rund 1.800 Beschäftigte Gebrauchtteile im industriellen Maßstab auf. Inzwischen sind mehr als 5.500 “Reman-Produkte” im Angebot. 

Ziel ist der Übergang von der linearen zur Kreislaufwirtschaft 

“Das Schließen von Materialkreisläufen ist eines der zentralen Nachhaltigkeitsziele von ZF”, so ein Unternehmenssprecher zu Table.Briefings. Man habe sich zum Ziel gesetzt, von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft überzugehen, um die wirtschaftliche Entwicklung möglichst vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. “ZF bekennt sich zum Ziel der vollständigen Klimaneutralität bis 2040 und verpflichtet sich, seine absoluten Scope 1 und Scope 2 Treibhausgasemissionen bis 2030 um 80 Prozent gegenüber 2019 zu senken.” 

Für dieses Engagement wurde der Zulieferer bereits mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024 in der Kategorie “Unternehmen” ausgezeichnet. Vor wenigen Wochen kam der Deutsche Nachhaltigkeitspreis 2025 im “Transformationsfeld Ressourcen” hinzu. Die Jury würdigte ausdrücklich das Bielefelder Werk, dessen gesamtes Aufbereitungs-Produktportfolio nach dem “Cradle to Cradle”-Standard zertifiziert ist.

Auch Produktionsabfälle können wertvolle Rohstoffe sein 

Aber nicht nur die Produkte selbst werden nach Unternehmensangaben auf ihre Recyclingfähigkeit geprüft, sondern auch die Abfälle, die bei der Produktion entstehen. Seit 2019 ist deren Menge um rund 40 Prozent gesunken. “Recyceln geht vor Entsorgen – nicht nur bei Altteilen, sondern auch bei Abfällen”, sagt Werksleiter Witthöft. “Denn auch diese sind für uns wertvolle Rohstoffe.” Langfristiges Ziel sei es, “einen Standort ganz ohne Abfall zu etablieren”.

Dafür wurde ZF in Bielefeld 2023 mit dem Deutschen Award für Nachhaltigkeitsprojekte im Bereich “Recyclingkonzept” ausgezeichnet. Die Jury begründete ihre Entscheidung damit, dass das Werk einen “weitreichenden Ansatz” zur Reduzierung von Abfällen verfolgt.

Mit einem Maßnahmenbündel zum Erfolg 

Die Innovation ergebe sich insbesondere aus dem Maßnahmenbündel, das “zur Ressourceneffizienz und Kostenreduzierung beiträgt”. Während 2019 am Standort noch über 666 Tonnen nichtmetallische Materialien als Abfall entsorgt wurden, waren es 2022 bereits nur noch 406 Tonnen

Dies wird zum Beispiel dadurch erreicht, dass gebrauchte Antriebsbeläge nicht mehr verbrannt, sondern zerkleinert und wiederaufbereitet werden. Das lohnt sich, denn sie bestehen bis zu einem Viertel aus Kupfer. Auch gebrauchte Kartonagen werden im Werk als Verpackungsmaterial verwendet, statt sie zu entsorgen. Zudem wurden verschiedene Kundenverpackungen auf ein Mehrwegsystem umgestellt, wodurch weitere 16 Tonnen Pappe und Verpackungsmaterial eingespart werden konnten. 

Bedeutung des Remanufacturing steigt 

Nicht nur ZF setzt derzeit verstärkt auf zirkuläre Wirtschaftskreisläufe und Remanufacturing. Auch andere Branchenriesen wie Bosch oder der französische Valeo-Konzern sehen hier Potenzial. Europaweit ist der Markt für Remanufacturing-Produkte derzeit rund 2,5 Milliarden Euro groß. 

Frank Schlehuber, Senior Consultant Market Affairs beim europäischen Zuliefererverband CLEPA, hält aber auch deutliche Zuwächse für möglich. “Elektromobilität ist ein Zukunftsmarkt für die Circular Economy“, so Schlehuber.

Ein wichtiger Treiber könnten aus seiner Sicht die steigenden Nachhaltigkeitsanforderungen an die Automobilindustrie sein, wie er der Branchenzeitung Automobilwoche sagte. So forderten die Hersteller immer häufiger “von Zulieferern Remanufacturing-Konzepte für die von ihnen gelieferten Komponenten”.  

Ein Grund: Wichtige Teile, insbesondere von Elektroautos, würden immer komplexer und könnten von Werkstätten nicht mehr repariert werden, “von Remanufacturing-Betrieben aber schon”. Das könnte wertvolle Ressourcen und damit die Nachhaltigkeitsbilanz schonen. 

Alle Artikel unserer Serie zur Circular Economy finden Sie hier.

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News

Nachhaltigkeitsbürokratie: EU-Kommission beziffert Entlastungsziele

Die EU-Kommission will den jährlichen bürokratischen Erfüllungsaufwand von Unternehmen binnen fünf Jahren um 37,5 Milliarden Euro zu senken, heißt es im Entwurf einer Mitteilung zum Bürokratieabbau, der Table.Briefings vorliegt. Das Dokument soll Ende Februar gemeinsam mit ersten konkreten Vorschlägen zur Entlastung der Unternehmen von Bürokratie vorgelegt werden und ist Teil der kommenden Wettbewerbsfähigkeitsagenda von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die Kommission verspricht in der Mitteilung zudem einen “Kulturwandel“. Der gesamte EU-Rechtsbestand solle einem Screening unterzogen werden. Nach dem Muster der Praxischecks in Deutschland will die Behörde gemeinsam mit Unternehmen nach konkreten Erleichterungen suchen.

Séjourné: Lieferkettenrichtlinie vereinfachen oder verwerfen

Die EU-Kommission arbeitet derzeit am sogenannten Omnibus-Gesetz zur simplifizierten Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), der CSDDD und der Taxonomie durch Unternehmen, das für den 26. Februar terminiert ist.

Die Lieferkettenrichtlinie war bereits in der vergangenen Legislatur hochumstritten und gerät nun erneut in den Fokus der politischen Auseinandersetzung. Der liberale Kommissionsvizepräsident Stéphane Séjourné forderte im Handelsblatt: “Entweder wir vereinfachen die Richtlinie erheblich, oder wir verwerfen sie ganz.” Zuvor hatte sich die französische Regierung dafür ausgesprochen, das Inkrafttreten der CSDDD auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

Zuvor hatte sich die EVP-Führungsriege dafür ausgesprochen, CSRD, CSDDD und Taxonomie um mindestens zwei Jahre auszusetzen, und in dieser Zeit Vorschläge für die Vereinfachung zu erarbeiten.

Sozialdemokraten befürchten rechtsextrem-konservative Allianz für Deregelierung

Der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi, pocht hingegen darauf, die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) auszunehmen von der geplanten Omnibus-Gesetzgebung. “Ich bin total dafür, bei Berichtspflichten Klarheit zu schaffen, aber bei Handlungspflichten nicht nachzugeben”, sagte er Table.Briefings. Die CSDDD definiere Sorgfaltspflichten für Unternehmen und keine Berichtspflichten. Wenn diese “beim Omnibus außen vor bleiben soll, dann bin ich zum Gespräch bereit”.

Repasi warnt die Kommission zudem vor einem Schnellschuss: “Wenn die Kommission innerhalb von wenigen Wochen mit heißer Nadel irgendwas zusammenstrickt, (…) dann kann das sehr wahrscheinlich nichts Gutes werden”, sagte der Jurist. Er könne sich ein gestrecktes Verfahren vorstellen, indem das Inkrafttreten der betroffenen Gesetze um zwei Jahre geschoben werde. Die Kommission könne sich dann Zeit nehmen, um ausgereifte Vorschläge vorzulegen.

Unter Sozialdemokraten, Grünen, Linken und teils auch den Liberalen wächst die Sorge, dass die Christdemokraten Hand in Hand mit Wirtschaftsverbänden und Rechtsaußen-Fraktionen im Parlament unter dem Mantel des Bürokratieabbaus unliebsame Regeln schleifen wollen. Deshalb werde der Omnibus zum “Symbol, an dem sich der Kampf von richtiger Regulierung zu Deregulierung ausficht”, sagte Repasi.

Die Befürchtungen eines Schulterschlusses zwischen der EVP und rechtsextremen Fraktionen bekommen Nahrung durch einen Brief, den der Fraktionschef der Patrioten, Jordan Bardella, jetzt an die Fraktionen EVP, EKR und ESN geschrieben hat. Er bietet ihnen eine “Koalition zur Aussetzung des Green Deals” an. tho

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Bundestagswahl: Wie die Parteien laut WWF-Wahlcheck im Klima- und Umweltschutz abschneiden

Im Vorfeld der Bundestagswahl hat die NGO WWF am Mittwoch ihren Zukunftswahl-Check veröffentlicht und spricht von einem “ernüchternden Fazit“: Die meisten Parteien blieben beim Klima- und Umweltschutz weit hinter den von der Organisation als notwendig erachteten Maßnahmen zurück. Besonders im Bereich Klimaschutz und Artensterben gebe es Lücken.

CDU und SPD fehlt klare Strategie für Umwelt- und Klimaschutz 

Der WWF hat untersucht, inwiefern die Parteien geeignete Maßnahmen vorschlagen, um den Klima- und Umweltschutz zu stärken. Dabei hat er die Programme der Parteien mit seinen Forderungen an die nächste Bundesregierung abgeglichen. Themen sind etwa die Dekarbonisierung, Natur- und Artenschutz, nachhaltige Lieferketten und Kreislaufwirtschaft.

Zwar bekennt sich die CDU/CSU zur Einhaltung internationaler und inländischer Klimaziele, dennoch fehle “eine klare Strategie für den Weg dorthin”, ebenso wie Sektorziele. Der WWF kritisiert, dass die Partei zur Dekarbonisierung fast ausschließlich auf den EU-Emissionshandel setzt, den Ausstieg aus fossilen Energien nicht weiter voranbringen will und den Wiedereinstieg in die Atomkraft fordert. Konkrete Zusagen für Investitionen in Klima- und Umweltschutz fehlten, und auch die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) will die Partei abschaffen.  

Bei der SPD fehle im Klimaschutz ein klares Bekenntnis zum Kohleausstieg bis 2030 und zum Gas- und Ölausstieg. Bei Vorschlägen wie der angestrebten Senkung der Netzentgelte würden offene Fragen wie die Flexibilität im Stromsektor unzureichend thematisiert. Positiv zu bewerten sei, dass die Partei private Haushalte mit Förderprogrammen wie dem Klimageld bei der Energiewende unterstützen und den Natur- und Artenschutz voranbringen wolle.

Grüne und Linke konsequenter bei Klimazielen und -finanzierung  

Am besten bewertet die NGO die Partei Bündnis 90/Die Grünen und attestiert ihr, für einen ambitionierten Klima- und Umweltschutz einzustehen. Die Partei wolle die Klimaneutralität bis 2045 erreichen, den Kohleausstieg bis 2030 umsetzen und die Verkehrswende vorantreiben. Auch der vorgeschlagene Maßnahmenmix für Zukunftsinvestitionen sei plausibel: Die Partei fordert eine Reform der Schuldenbremse, einen Deutschlandfonds, eine gerechtere Steuerpolitik und die Einführung des Klimageldes. Im Bereich Biodiversität sei das Programm im Vergleich zu den Programmen der anderen Parteien am stärksten: Sie fordere mehr Meeres- und Wildtierschutz und wolle die Nationale Biodiversitätsstrategie gesetzlich bindend machen. 

Das Programm der Linken überzeugt aus Sicht des WWF mit “vielen neuen Plänen über die Sektoren hinweg“. Die Linke stehe für bezahlbare und stabile Energiepreise ein und wolle den Ausbau der Erneuerbaren schnellstmöglich voranbringen. Die Partei wolle außerdem den Beschwerdemechanismus für Betroffene bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz stärken und fordere konsequentere Haftungsregelungen. 

Klima- und Umweltschutz deutlich unzureichend bei FDP, BSW und AfD  

Das BSW liefert aus Sicht des WWF “keine geeigneten Konzepte für die Klimakrise und die Probleme unserer Zeit”.  

Auch die Pläne der FDP würden “einen deutlichen Rückschritt für Naturschutz und soziale Standards bedeuten”, so der WWF. Ihr Wahlprogramm sei nicht sozial verträglich und bevorteile primär wohlhabende Menschen.  

Das Programm der AfD hat der WWF in seinem Wahlcheck isoliert untersucht, da er keine gemeinsame Arbeitsgrundlage mit der Partei sieht. Denn die AfD leugne den menschengemachten Klimawandel, wolle aus dem Pariser Abkommen austreten und Klimaschutzmaßnahmen abschaffen. ag 

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Klima in Zahlen: Öl- und Gasmanager zögern mit “Drill, baby, drill”

Noch in seiner Rede zur Amtseinführung hatte US-Präsident Donald Trump versprochen, die USA würden mehr Öl und Gas fördern als zuvor: “We will drill, baby, drill”, wiederholte er sein Versprechen aus dem Wahlkampf. Aber trotz seiner Beschlüsse, die Öl- und Gasindustrie zu deregulieren, gehen Analysten nur von einem leichten Anstieg der Förderung aus. Für das Jahr 2025 prognostiziert die Energy Information Administration nur einen Anstieg von 2,6 Prozent – für 2026 liegt die Prognose sogar bei unter einem Prozent Anstieg.

Die meisten Manager der großen Öl- und Gasförderer wollen 2025 weniger in die Suche nach neuen Vorkommen und ihre Förderung investieren als noch 2024, wie eine Befragung der Zentralbank von Texas zeigt. Die großen Öl- und Gasförderer machen 80 Prozent der US-Förderung aus.

Laut der Bank J.P. Morgan werde der Preis für US-Erdöl bis Ende 2025 auf 64 US-Dollar pro Barrel sinken (derzeit liegt er bei circa 73 Dollar). Es sei dieser Preisdruck, der die Förderung bestimme, nicht politische Wünsche aus Washington, zitiert die Financial Times mehrere Analysten. Die Investoren der Wall Street hätten keine politische, sondern eine wirtschaftliche Agenda – und sie hätten keinerlei Anreiz, den Öl- und Gasförderern eine Ausweitung der Förderung zu empfehlen oder diese zu finanzieren, wird ein großer Investor der Schiefergas-Industrie zitiert.

Trump selbst dagegen ignoriert in seinen Äußerungen diese Zusammenhänge. Beim Weltwirtschaftsforum forderte er die OPEC auf, den Ölpreis zu senken. Sinkende Preise für Öl und Gas würden allerdings zuerst die Schiefergasproduktion in den USA gefährden. nib

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NAP: Drei Fragen an DIM-Vizedirektor Michael Windfuhr

Michael Windfuhr, Vizedirektor des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

Den ersten NAP hat die Bundesregierung 2016 beschlossen. 2020 lief er aus – welche Folgen hat es, dass die Bundesregierung keinen neuen verabschiedet hat?
Die Bundesregierung hat den alten NAP immer wieder verlängert, weil sie sich in der letzten Legislatur auf keinen neuen verständigen konnte. Aber eine Überarbeitung des NAP ist ausgesprochen wünschenswert, vor allem auch um die Rolle des Staates bei der Erfüllung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten stärker zu nutzen und Chancen und Aufgaben bei der Umsetzungsunterstützung weiterzuentwickeln. Außerdem bildet der NAP eine wichtige Grundlage für Hilfen der Politik an die Unternehmen bei der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichtengesetze. Dazu zählen etwa die Branchendialoge, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales organisiert werden, und bei denen beispielsweise Unternehmen gemeinsame Beschwerdemechanismen für Stakeholder entwickeln, aber auch der Helpdesk der Bundesregierung, der Unternehmen eine kostenlose Erstberatung bei der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltsprozesse anbietet. All dies sollte langfristig verlässlich abgesichert werden.

Warum braucht es im NAP eine stärkeren Fokus auf die Rolle des Staates?
Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, auf denen auch der NAP beruht, haben drei Säulen. Sie umfassen sowohl staatliche Schutzpflichten als auch menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen sowie wirksame Abhilfemechanismen für Betroffene. Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird insbesondere die zweite Säule der unternehmerischen Sorgfalt umgesetzt. Ein neuer NAP könnte daher insbesondere auf die Säulen eins und drei zielen, in denen dem Staat eine wichtige Umsetzungsverantwortung zukommt. Die Politik sollte beispielsweise klären, wie sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befindliche Unternehmen verhalten, wie sie öffentliche Dienstleistungen ausschreibt, Exportkredite vergibt, wie menschenrechtliche Sorgfalt im öffentlichen Beschaffungswesen noch besser unterstützt werden kann. Außerdem sollten bestehenden Barrieren im deutschen Rechtsschutz und -zugang – sowohl für Kläger*innen in Deutschland als auch für Kläger*innen in den Ländern entlang der Lieferketten – ermittelt und wo möglich abgebaut werden. Diese Aspekte sind im ersten NAP bereits angedacht, könnte aber nun gestärkt werden.

Welches Signal geht davon aus, dass Deutschland keinen neuen NAP aufgelegt hat?
Bislang haben 34 Länder nationale Aktionspläne entwickelt. Und wenn sich das UN-Forum für Wirtschaft und Menschenrechte einmal im Jahr in Genf trifft, wird auch immer geschaut, wie viele hinzugekommen und auch wie viele NAP aktualisiert worden sind. Deutschland setzt sich seit vielen Jahren unter anderem mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit sehr dafür ein, dass viele Staaten ihr Engagement im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte erhöhen und eigene NAP erarbeiten und verabschieden. Das ist eine sehr sinnvolle Unterstützung, die der Umsetzung von Menschenrechten insgesamt zugutekommt, den multilateralen Konsens stärkt und für Unternehmen langfristig ein globales “level playing field” schafft. Wenn es nun aber Deutschland – das zu den Vorreitern gehörte und sich auch stets so präsentiert hat – selbst nicht mehr gelingt, sich auf einen neuen NAP zu einigen, ist das kein Zeichen der Ermutigung für andere Länder. Zumal sich viele Länder bei der Rolle des Staates mit Blick auf die Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten mit deutlich schwierigeren Fragen bei der Rechtsformulierung und – Umsetzung auseinandersetzen müssen als Deutschland, etwa bei fehlender oder unzureichender Regulierung. Allerdings gibt es auch in Deutschland immer wieder Umsetzungsaufgaben. Deutschland hat in diesen Bereichen beispielsweise 2021 mit dem Gesetz zur Sicherung von Arbeiterrechten in der Fleischwirtschaft gehandelt.

  • Menschenrechte

Must-Reads

Die Klimakrise, das vergessene Wahlkampfthema – Die Zeit 
Was noch vor vier Jahren ein Topthema der deutschen Politik war, interessiert heute kaum noch jemanden, schreibt Petra Pinzler. Es geht um die Klimakrise. Nicht einmal der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck gehe das Thema offensiv an. Obwohl die Emissionen weiter steigen, haben Migration und schlechte Wirtschaftslage das Thema verdrängt. Es liege jetzt an den Bürgern, nachzuhaken. Zum Artikel 

Was die US-Abkehr von Klimazielen für grüne Investments bedeutet – Das Investment 
Mit der Präsidentschaft Donald Trumps verlassen große US-Vermögensverwalter wie Blackrock, Großbanken wie die Bank of America, Goldman Sachs, und J.P. Morgan die Klima-Allianzen. Der Rückzug der USA von Klimazielen werde zwar kurzfristig dazu beitragen, dass globale Klimaziele wie die Agenda 2050 verzögert erreicht würden, schreiben die Autoren Christoph Betz und Kevin Naumann. Doch langfristig seien die globalen Schäden durch den Klimawandel zu groß, als dass sich die Energiewende aufhalten ließe. Auf Dauer werde der Börsenwert nachhaltiger Unternehmen deshalb steigen, so die Autoren. Zum Artikel 

Feministischer Reflex trifft auf Realpolitik – taz 
Leila van Rinsum zieht eine Bilanz der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik der Ampel-Regierung. Sie sieht Licht und Schatten: Die Kennzahlen für mehr Botschafterinnen und “gendersensible” und “gendertransformative” Entwicklungsprojektfinanzierung zeigten Fortschritte. Aber insgesamt fehlte Kohärenz, da sich letztlich nur zwei Ministerien dem feministischen Ansatz verschrieben hätten. Zum Artikel 

Griechenland geht auf Gassuche im Mittelmeer – Handelsblatt 
Zwar hat Griechenland in den vergangenen Jahren massiv in erneuerbare Energien investiert. Doch das hält die Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis nicht davon ab, im Südwesten der Halbinsel Peloponnes nach Erdgas suchen zu lassen. Man brauche auch dann Strom, wenn Solarfarmen und Windparks keinen liefern, so der Regierungschef. Umweltorganisationen laufen Sturm. Zum Artikel 

Barbie zwischen Inklusion und Ausbeutung – Süddeutsche Zeitung 
Der Spielzeughersteller Mattel feiert sein 80-jähriges Bestehen. Wirtschaftlich laufe es gut, doch in den Fabriken herrsche Handlungsbedarf, schreibt Uwe Ritzer. Wiederholt hätten Menschenrechtsorganisationen die Zustände in den Werken kritisiert, in denen das Spielzeug hergestellt wird. Zum Artikel 

UN-Nachhaltigkeitsziele: In der EU ein Papiertiger mit wenig Wirkung – Euractiv 
Ein Bericht des Sustainable Development Solutions Network (SDSN) sehe die EU auf schlechtem Weg bei den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDG), berichtet Bárbara Machado. Beim Ziel der menschenwürdigen Arbeit gebe es zwar Fortschritte, aber etwa bei Klimaschutzmaßnahmen sehe es mau aus. Krieg und geopolitische Spannungen hätten vieles behindert, aber die EU müsse sich auch wieder deutlicher zu den SDG bekennen. Zum Artikel 

Why one green energy sector could heat up under Trump – Financial Times 
Der von Donald Trump nominierte Energieminister, Chris Wright, hat angekündigt, einen Fokus auf Geothermie zur Energiegewinnung zu legen – mit seiner eigenen Firma investierte er 2022 in das Start-up Fervo Energy, das diese Technologie voranbringen will. Simon Mundy schreibt, dass sowohl die Biden-Administration als auch die Internationale Energieagentur große Potenziale bei Geothermie sehen. Zudem sei auch die fossile Industrie sehr interessiert, weil dafür ähnliche Methoden wie beim Fracking genutzt werden – und das Ende der Fossilen komme. Zum Artikel 

TotalEnergies failed to convince Joe Biden’s team to back $20bn African project – Financial Times 
TotalEnergies hätte gerne Milliardenkredite von der US-Export-Import Bank erhalten, um vor der Küste Mosambiks ein Gasförderprojekt wiederaufzunehmen. Wie Ian Johnston, David Pilling und Jim Pickard berichten, wollte die vorige US-Regierung die Gelder aber nicht kurzfristig freigeben. Das größte einzelne Investitionsprojekt in Afrika kam 2021 wegen eines bewaffneten Konflikts in der Region zum Erliegen. Zudem zeigten Dokumente, dass Bewacher der Projektanlagen Menschenrechtsverletzungen begingen, und TotalEnergies davon gewusst habe. Zum Artikel  

Rosebank oilfield decision ruled unlawful by Edinburgh court – The Guardian 
Equinor und Shell dürfen erst einmal nicht mit der Ölförderung in zwei Gebieten in der Nordsee vor Großbritannien beginnen, berichtet Matthew Taylor. Grund sei das Urteil eines schottischen Gerichts vom Donnerstag. Demnach hätten die Behörden bei der Genehmigung die Emissionen berücksichtigen müssen, die beim Verbrauch des Öls und Gases entstehen. Nun müssten die Anträge erneut geprüft werden. Eine Entscheidung solle im Frühjahr fallen. Rosebank, eines der Gebiete, sei das größte unerschlossene Ölfeld des Landes. Zum Artikel 

Standpunkt

Wohin steuert der Omnibus?

Von Katharina Reuter
Katharina Reuter ist Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW e.V.).

Mit dem Omnibus plant die EU-Kommission, die Berichtspflichten zu Lieferketten (CSDDD), zur Nachhaltigkeit (CSRD) und Taxonomie zu vereinfachen und zu reduzieren. Am 26. Februar soll Brüssel entscheiden. Doch schon jetzt bringt sich Deutschland in Stellung – schließlich ist Wahlkampf. 

Friedrich Merz hat wissen lassen, dass er die Berichtspflichten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) um 35 Prozent reduzieren will. Unterstützung bekommt er von der polnischen Ratspräsidentschaft. Doch ist den KMU damit geholfen?

Gestartet ist der Omnibus als Versuch, Dopplungen und Bürokratie abzubauen. Ein wertvoller und absolut zu begrüßender Ansatz – gerade für die KMU. Nicht zuletzt deswegen haben wir als BNW uns zusammen mit mehr als 150 weiteren europäischen Unterstützer:innen dafür starkgemacht, mit dem Omnibus Bürokratie abzubauen – ohne die Inhalte der Gesetze anzufassen.  

Verunsicherung statt Orientierung 

Einmal in Fahrt, sind Europas Konservative aber vom Weg abgekommen. Denn 35 Prozent weniger Berichtspflichten sind keine inhaltliche Auseinandersetzung, keine politische Effizienz und keine praxisnahe Umsetzung. Sie sind Wahlkampfrhetorik und eine massive Verunsicherung

Für KMU wird das zum Problem. Kleine und mittlere Unternehmen müssen mit ihren Investments haushalten. Sie zählen darauf, dass politische Entscheidungsträger:innen ihr Votum vertrauensvoll nutzen – und nicht bereits verabschiedete Gesetze wieder aufschnüren. Die Unternehmen haben sich vorbereitet, investiert und erwarten jetzt Vorteile. Stattdessen droht der Omnibus mit dem Rückwärtsgang

Noch ist unklar, welche Regelungen genau gekippt werden sollen. Sollte die Lieferkettenregulierung und Nachhaltigkeitsberichterstattung entscheidend abgeschwächt werden, drohen KMU auf ihren Investments sitzen zu bleiben. In Brüssel stärkt man damit die Bremser, der konstruktive Teil der Wirtschaft geht leer aus. Aussitzen und abwarten, statt planen und gestalten.

Für Europa ist das fatal. Lieferkettenregulierung und Nachhaltigkeitsberichterstattung bieten wertvolle Datenpunkte für ein effizientes Risikomanagement. 2024 war das erste Jahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Level lag, Überschwemmungen und Hitzewellen nehmen zu, in den USA wüten Waldbrände und ein neuer Präsident, Handelskonflikte stehen wie 2016 wieder offen im Raum. Industrie und Politik brauchen die Daten aus CSDDD und CSRD, um all diese Risiken zu bewerten. Alles andere kommt einem Blindflug gleich. 

Bremsen oder Lenken 

Das sehen auch die Banken. Zuletzt haben sich der französische Vermögensverwalter Amundi und 400 weitere Unternehmen für eine Beibehaltung der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgesprochen. Unternehmen mit entsprechendem Reporting seien besser auf den “Klimawandel, Umweltveränderungen und geopolitische Spannungen vorbereitet” und Berichtspflichten sicherten “das Überleben, Wachstum und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit” der Wirtschaft. Eine Wettbewerbsfähigkeit, die unter anderem Deutschland auf den letzten Metern ausbremsen will.  

Ähnlich wie Amundi, haben sich weitere Finanzinstitute für die Beibehaltung der Reportingrichtlinien ausgesprochen. Nicht aus ideeller Überzeugung, sondern aus finanziellem Vorteil. Denn auch die EU-Bankenaufsichtsbehörde EBA hat ihre Vorschriften für die Steuerung von ESG-Risiken durch Banken vorgelegt. Darin enthalten unter anderem eine Handreichung für die Erstellung von Transitionsplänen. Die Vorschriften gelten ab 11. Januar 2026 für große Kreditinstitute, ein Jahr später für kleine Kreditinstitute.

Diese Anforderungen aus dem Finanz- und Versicherungsmarkt scheint man bei CDU, CSU und EVP zu ignorieren. Nahezu unisono verweist man dort auf das neu-entdeckte Bürokratiemonster Nachhaltigkeit, das die Wirtschaft abwürgen würde. Ganz anders bewertet dagegen das World Economic Forum: Die Top-Vier-Risiken für die kommenden Jahre sind dort: Extremwetter, Verlust der Biodiversität und Ökosystemkollaps, die kritische Veränderung der Erdsysteme sowie die Verknappung natürlicher Ressourcen. Eben jene Risiken, die CSDDD und CSRD in den Blick nehmen sollten.

Endstation unbekannt 

Der Omnibus ist gestartet – wohin er steuert, ist offen. Gerade wenn die USA unter Trump zum klimapolitischen Geisterfahrer werden, muss die EU in der Spur bleiben. CSDDD, CSRD und Taxonomie-Verordnung bieten wertvolle Impulse, um uns besser auf die Wirtschaft der Zukunft vorzubereiten – sie dürfen nicht unter die Räder kommen.  

Die promovierte Agrarökonomin Katharina Reuter ist Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW e.V.).

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Mehr von Table.Media

China.Table – Industrielle Beziehungen: Was von Chinas Streikkultur noch übrig ist: Der ehemalige Lokführer Li Weijie verklagte einen Staatsbetrieb erfolglos auf ausstehende Zahlungen. Statt Unterstützung durch eine unabhängige Gewerkschaft erlebt er Repressionen. Sein Fall zeigt: In China bleibt gewerkschaftliches Engagement oft ein Kampf gegen Windmühlen. Umso spannender wird sein, wie sich chinesische Investitionen in VW und Co. langfristig auf die Arbeitskultur in Deutschland auswirken. Zum Artikel

Research.Table – Otmar Wiestler fordert radikalen Wandel in der deutschen Forschungslandschaft: Otmar D. Wiestler fordert einen grundlegenden Wandel in der deutschen Forschungslandschaft. Bürokratie muss abgebaut, Forschung und Innovation gestärkt werden, sagt der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft. Die kommenden Jahre seien für Deutschland entscheidend. Zum Artikel

Research.Table Wettbewerbsfähigkeit: Kommission präsentiert Kompass, gibt aber keine Richtung vor: Am Mittwoch hat die EU-Kommission ihren sogenannten Wettbewerbsfähigkeitskompass vorgestellt, der ihre wirtschaftspolitische Strategie ausformuliert. Die Kommission scheut allerdings vor politisch schwierigen, industriepolitischen Entscheidungen zurück. Politik und Verbände reagieren mit Wohlwollen. Zum Artikel

Climate.Table – “Klimaziele sind Motor für Innovation” – “Wie wir sie erreichen, da habe ich viele Fragezeichen”: Wie viel Klimaschutz ist in der Rezession noch machbar? Sabine Nallinger von der “Stiftung Klimawirtschaft” und Holger Lösch vom BDI im Table.Briefings-Streitgespräch: Wie die Bürokratie den Green Deal schwächt, welche Vorteile China und die USA für grünes Wachstum nutzen – und warum eine Verschiebung der Klimaziele der deutschen Industrie nicht helfen würde. Zum Artikel

ESG.Table Redaktion

ESG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die wirtschaftspolitische Schule der Ordoliberalen großen Einfluss auf die Politik der Bundesrepublik und erheblichen Anteil daran, dass die Wirtschaft prosperierte. Elementar für ordoliberale Denker wie Walter Eucken war es, dass der Staat für Unternehmen verlässlich Rahmenbedingungen setzt und ihnen dann alles Weitere überlässt. Als “Konstanz der Wirtschaftspolitik” handelte er diesen Grundsatz in seinem Standardwerk zu den Grundsätzen der Wirtschaftspolitik ab.

    Von dieser Konstanz der Wirtschaftspolitik wollen die Union und auch andere konservative Parteien in der EU in diesen Tagen jedoch wenig wissen – jedenfalls, wenn es um die Gesetze des Green Deal geht. Einen Großteil davon wollen sie abschaffen. Aber den Green Deal infrage zu stellen sei “kurzsichtig”, sagt die Ökonomin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer und verweist auf die Investitionen von Unternehmen.

    Vor wenigen Tagen hat der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik interessante Zahlen veröffentlicht: Demnach betrachtet mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen das deutsche Lieferkettengesetz als hilfreich für seine Nachhaltigkeitsbemühungen, insbesondere durch gesteigerte Transparenz (79 Prozent) und die Prävention von Risiken (68 Prozent). Und wer sich aktuell mit Bänkern unterhält, erfährt, welch immensen Nutzen die Geldinstitute aus den Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der CSRD ziehen – um eigene Schwächen zu identifizieren, zu beheben und so bessere Geschäfte zu machen.

    Was mangelnde Konstanz der Wirtschaftspolitik für kleine und mittlere Unternehmen bedeutet, ist Thema unseres heutigen Standpunkts von Katharina Reuter.

    Ihr
    Caspar Dohmen
    Bild von Caspar  Dohmen

    Interview

    Maja Göpel: “Das Schweigen von Unternehmen ist politisch”

    Transformationsforscherin und Autorin Maja Göpel.

    Frau Göpel, in einem früheren Interview mit uns haben Sie vor einer Zunahme von Falschinformationen gewarnt – vor allem zum Klimawandel. Inzwischen haben Tech-Unternehmer wie Elon Musk und Mark Zuckerberg die Faktenprüfung auf ihren Plattformen heruntergefahren. Wie sehr schadet das dem Nachhaltigkeitsdiskurs?  
    Für viele demokratische Themen ist das eine Katastrophe. Gerade bei den Nachhaltigkeitsthemen wissen wir, dass viele Effekte zeit- und ortsversetzt eintreten. Da brauche ich ein gewisses Vertrauen darin, dass die Erläuterungen und Prognosen stimmen. Wenn nun auch noch systematisches Lügen von Entscheidungsträgern wie Donald Trump normalisiert wird, macht es das sehr schwer, Nachhaltigkeitsthemen weiter oben zu halten und eine Handlungsbereitschaft zu wecken. 

    Sollten sich angesichts dessen Politik, Wissenschaft und Medien von den Meta-Plattformen und X abmelden?  
    Auf jeden Fall braucht es eine konsequente Umsetzung und womöglich auch Verschärfung der EU-Regulation für Plattformen, denn Menschen entscheiden frei, wo sie ihre Informationen konsumieren. Meinungsbildnerinnen und Entscheidungsträger könnten aber auch in qualitativ hochwertige Diskursräume wechseln. Das ist die Idee einiger konzertierter eXits: Gehen alle auf einmal, entfallen individuelle Reichweitenverluste.

    Problematisch ist, dass vor allem die politischen Parteien, Ministerien und große Medienhäuser weiter auf X bleiben. Sie betten in ihren Onlineartikeln die Botschaften ein, die auf X geteilt werden und zitieren, was dort gepostet wurde. So verstetigen sie die Diskursmacht von X als Plattform und werten sie auf. 

    Im Bundestagswahlkampf spielen Transformationsthemen eine wesentlich geringere Rolle als noch vor vier Jahren, wie Sie auch in ihrem neuen Buch “Werte” schreiben. Wie erklären Sie sich das angesichts der Tatsache, dass eine verzögerte Transformation Milliarden an Mehrkosten verursacht? 
    Wir erleben gerade einen konzertierten Backlash von Protagonisten, die durch eine sozial-ökologische Transformation ihre Geschäftsmodelle verlieren würden – insbesondere die fossilen Energien -, und von einer oligarchischen Bewegung, die im Prinzip jede staatliche Einschränkung ihrer Machtausübung ablehnt. Ihr Profitstreben wird durch Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und faire Wettbewerbsbedingungen eingeschränkt. Das Nachhaltigkeitsthema bietet sich also gut für Populismus an, weil es eine starke staatliche Aktivität braucht. Populistische Parteien können da wunderbar Misstrauen säen und sagen: Die im System wollen euch drangsalieren. 

    Dazu kommen die geopolitischen Ansprüche, die USA als Hegemon auf der Welt abzulösen. Insbesondere bei Russland vereinen sich beide Kräfte in der Verteidigung fossiler Energien: Diejenigen, die davon am meisten profitieren, und diejenigen, die Demokratien destabilisieren möchten. 

    Der vielleicht schlimmste Hebel ist aber, dass sich Finanzmärkte opportunistisch umorientieren, weil Renditeerwartungen kippen oder weil ihnen Strafen der US-Administration angedroht werden. 

    Wie müssten sich Unternehmen in Deutschland aufstellen, um zukunftsfähig zu bleiben? 
    Nehmen wir die zunehmenden Klimarisiken ernst, braucht es eine andere Form von Landwirtschaft, eine beschleunigte Energiewende und eine ganz andere Form von Zirkularität in der Ressourcennutzung. Wir sehen ohnehin gerade überall Strukturwandel, und das wird auch nach der Ampel so bleiben. Unternehmen müssen also Prioritäten setzen: Die erfolgreichen Unternehmen sind die, die frühzeitig Trendveränderungen gesehen haben und ihre Geschäftsmodelle laufend adaptieren. 

    Können Sie Beispiele für solche Unternehmen nennen?  
    Im Prinzip sind das jene, die in Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit eine Aufforderung nach Transparenz, Fair Play und Datenerhebung sowie eine Innovationsmöglichkeit sehen. Unternehmen müssen gerade jetzt entsprechende Rahmenbedingungen unterstützen, die in dem ganzen Getöse über Bürokratiemonster und Kettensägen für eine sachliche und richtungssichere Entwicklung der Instrumente eintreten: Ja, die Umsetzung ist zu Beginn kompliziert und mühsam, aber notwendig, um die Risiken erkennen und managen zu können. Also Kulanz in der Umsetzung und mehr Unterstützung, gerade für kleinere Unternehmen.

    Dafür gibt es inzwischen richtungssichere Verbände und Unternehmensnetzwerke wie den Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft, B.A.U.M., Econsense, die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen oder die Stiftung Klimawirtschaft. Sie wissen genau, dass viele der aktuellen Steuergestaltungen, Subventionen, Förderprogramme, Standards und Normen noch gegen nachhaltiges Wirtschaften steuern. Initiativen wie Circular Regions sind ebenfalls spannend, weil hier Unternehmen, Politik und Forschung gemeinsam die Kreislaufwirtschaft als Ökosystem vorantreiben.

    Inwieweit fordern diese Verbände entsprechende Rahmenbedingungen ein? 
    Die Dimension der unternehmerischen Verantwortung für einen aufgeklärten und faktenbasierten Diskurs über die Wirkung des Status Quo und notwendiger Updates ist aus meiner Sicht noch unterbelichtet. Ich höre oft von Unternehmen, sie seien ja nicht politisch. Aber es geht nicht darum, eine bestimmte Partei zu unterstützen, sondern sich transparent für ein Update der Rahmenbedingungen einzusetzen. Nur dann werden sie im notwendigen Umfang investieren und ihre Wertschöpfungsketten umbauen können. Allein der Druck auf kurzfristige Rendite wirkt sonst weiter wie ein Externalisierungsmotor und in Richtung Wertabschöpfung durch den Besitz von Assets wie Boden, Immobilien, Infrastrukturen: also Dividende und Aktienrückkäufe vor Investitionen. 

    Diejenigen, die sich da nicht so transparent aufstellen wollen, sind gerade ordentlich laut und verbreiten Angst in der Gesellschaft, dass “die Wirtschaft” untergehe. Deshalb ist das Schweigen genauso politisch wie sich für die nötigen Rahmenbedingungen einzusetzen, damit endlich wieder Planungssicherheit und Dynamik in die Wirtschaft kommen.  

    Auch der Green Deal mit Vorhaben wie Berichtspflichten, Lieferkettengesetz oder Anti-Entwaldungsrichtlinie zielt darauf ab, neue Rahmenbedingungen zu schaffen. Warum haben diese einen derart schlechten Ruf – Stichwort Verbote, Verzicht oder Bürokratie?  
    Einerseits liegt es an der Verbindlichkeit. Das ist für einige befreiend, weil durch die Standardisierung endlich eine faire Vergleichbarkeit einzieht. Andere nehmen es als Bevormundung oder Nötigung wahr, je nach Geschäftsmodell und Unternehmenskultur. Die konstruktiven Unternehmer sind die, die es eher als zu kleinteilig bezeichnen. Vielleicht auch ein stückweit zu schnell oder administrativ zu aufwendig. Aber sie sagen: Die Richtung stimmt. Hier jetzt überall die Bremse reinzutreten oder gar Verbindlichkeit aufzulösen, würde fortschrittliche Unternehmen bestrafen und längst getätigte Investitionen stranden lassen. 

    Mich erstaunt es daher sehr, dass im Wahlkampf behauptet wird, alles zurückdrehen zu wollen, was die Ampel vorangetrieben hat – da melden sich ja inzwischen auch regelmäßig Branchenverbände oder CEOs großer Unternehmen zu Wort, dass dieser Zickzack-Kurs der Unsicherheiten keinesfalls gut für einen Standort ist. Das ist wichtig als Gegengewicht zum Infighting der politischen Parteien, die sich gerade nur noch an der Sonntagsfrage zu orientieren scheinen, anstatt an Kompromissen für die Zukunft des Standorts. 

    Sie sagen also, dass die Wirtschaft teilweise weiter ist als die Politik. Sind denn auch die Wählerinnen und Wähler bereit für die nötigen Veränderungen?  
    In tiefergehenden Interviews der Sozialforschung wünschen sich immer noch 75 bis 80 Prozent der Menschen in Deutschland, dass kooperativ zusammengearbeitet wird, um die Krisen in den Griff zu bekommen. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten sind zwar zur direkten Sorge geworden und in der Priorität nach oben gerutscht. Klimawandel und Umweltverschmutzung werden aber immer noch häufig genannt. Und auch der Wunsch nach Gemeinwohl ist sehr groß. Das zeigt etwa das Edelman Trust Barometer. Statt sich im Wahlkampf gegenseitig den Niedergang des ganzen Landes vorzuwerfen, sollte die Politik lieber geteilte Werte betonen und umsetzen, wofür es deutliche Mehrheiten gibt: etwa ein Tempolimit, Kinderrechte im Grundgesetz verankern oder Wirtschaftskriminalität verfolgen. 

    Die Politökonomin, Autorin und Transformationsexpertin Maja Göpel erforscht, wie sich Gesellschaften verändern. 2019 hat die Leuphana Universität Lüneburg Göpel als Honorarprofessorin berufen. Sie ist zudem Gründerin von “Mission Wertvoll” und Geschäftsführerin der Global Eco Transition GmbH. Ende Januar ist ihr neues Buch “Werte” im Brandstätter Verlag erschienen.

    • Anti-Entwaldung
    • Nachhaltige Wirtschaft
    • Transformation
    Translation missing.

    Analyse

    Solarparks auf Blockchain: Mehr Kapital für die Energiewende

    Solarpark bei Neukirchen-Vluyn in NRW: Bald könnte jede juristische Person Anteile an solchen Stromerzeugungsanlagen erwerben.

    Mit eigenem, günstigen Solarstrom die Stromrechnung reduzieren: das ist bisher vor allem Eigentümern privater Photovoltaikanlagen vorbehalten. Der italienische Energiekonzern Enel, zweitgrößter Anbieter der Welt, will diese Option auch Kunden ohne eigene Immobilie anbieten – und zwar durch eine Tokenisierung von konzerneigenen Solar- und Windparks.

    Ein Token ist laut Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die “digitalisierte Abbildung eines Vermögenswertes inklusive der in diesem Wert enthaltenen Rechte und Pflichten”. Auch muss ein solcher Token grundsätzlich handelbar sein. Für Enel wickelt der italienische Krypto-Dienstleister Conio den Prozess der sogenannten Tokenisierung ab, der dafür die Blockchain des Anbieters Algorand verwendet. Eine Blockchain kann man sich wie eine Aneinanderreihung von Containern mit Informationen vorstellen. Bei jeder neuen Transaktion wird an die Blockchain ein neuer Container mit Information angehängt. Gespeichert wird diese Veränderung auf einem dezentralen Servernetz.

    Im Chat auf der Unternehmenswebsite erklärt Conio-Mitarbeiter Andrea, wie es funktioniert: “Die Token repräsentieren einen Anteil an einer oder mehreren Stromerzeugungsanlagen wie Solar- oder Windparks. Damit können Kunden ihre Stromrechnung senken und bis zu 70 Prozent des eigenen Energieverbrauchs abdecken.” Festgehalten werden die neuen Eigentumsverhältnisse auf der Algorand-Blockchain. Das betrifft auch sämtliche Transaktionen. Deutschen stehe das Angebot allerdings nicht offen, bedauert der Mitarbeiter. Die Beteiligungsoption ist bislang auf Kunden in Italien beschränkt.

    Verfahren könnte in Deutschland zügig Nachahmer finden 

    Laut Enel ist das Angebot weltweit einzigartig. Doch die Tokenisierung von Solarparks könnte in Deutschland zügig Nachahmer finden. Denn Hintergrund ist eine neue Verordnung zur Regulierung von Krypto-Werten in der EU unter dem Namen MiCAR (Markets in Crypto-Assets-Regulation).  Sie gilt seit dem 30. Juni 2024. Deutschland hat sie mit dem Finanzmarktdigitalisierungsgesetz per 27. Dezember 2024 auf nationaler Ebene umgesetzt.

    Per Definition betrifft die neue Verordnung digitale Darstellungen eines Werts oder eines Rechts, die unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie (z.B. Blockchain) elektronisch übertragen und gespeichert werden können. Das sind neben Währungen wie Bitcoin, Ether und E-Geld-Token auch sogenannte vermögensbezogene Token (Asset-Referenced-Token, ART)

    ART: Direkte Beteiligung an Energieparks 

    Mit dieser neu geschaffenen Krypto-Kategorie können natürliche Personen jetzt – wie Enel es vormacht – direkt in reale Vermögensgegenstände wie Infrastrukturen und Kraftwerke investieren. Auch in Deutschland. Das war bisher auf diese Weise nicht möglich, erklärt Jurist Michael Huertas, Partner von PwC Legal. ART eröffneten zugleich für Anleger die Option, lediglich Teile der Vermögensgegenstände zu erwerben. Das schaffe für viele erstmals einen Zugang zum Bereich regenerativer Energien. “Das Beispiel Enel ist sehr spannend, weil andere Unternehmen folgen könnten”, sagt Huertas. Mit diesem Modell lasse sich mehr Privatkapital für die Energiewende mobilisieren. Zugleich sei der Investorenschutz erheblich ausgeprägter als bei Wertpapieren. 

    Klar ist ebenfalls: Die Rendite darf bei der Beteiligung nicht im Vordergrund stehen, sondern das Recht, an den operativen Erträgen des Solarparks wie dem sauberen Strom zu partizipieren. Denn ein tokenisierter Solar- oder Windpark sei eben kein Finanzprodukt, so Huertas.

    Damit ist es auch nicht mit einem Finanzinvestment in einen Solar- und Windfonds zu vergleichen. Die ART unterscheiden sich ebenfalls von sogenannten Security-Token, mit denen in jüngerer Vergangenheit Solarparks finanziert wurden. So wie beim Krypto-Dienstleister Black Manta Capital Partners, der dafür Wertpapiere tokenisierte.

    Mehr Kapital für Energiewende mobilisieren 

    MiCAR ermöglicht jetzt aber die direkte Abbildung des Solarparks als Token“, sagt Black Manta-CEO Alexander Rapatz. Damit könnten gerade in Deutschland, als einem Land der Mieter, breitere Kreise für entsprechende Beteiligungen erschlossen werden, was zusätzliches Kapital für den Energiesektor mobilisieren könnte. “Die Tokenisierung kann die Finanzierung von Solarparks vereinfachen und beschleunigen, indem sie den Zugang zu Kapitalmärkten demokratisiert und neue Investorengruppen erschließt”, so Rapatz. Das stelle eine vielversprechende Option dar, um die Energiewende voranzutreiben. 

    Für die Regulierung solcher vermögensbezogenen Token ist die BaFin zuständig. Zu konkreten Fällen will sich die Behörde nicht äußern. Doch grundsätzlich werde eine Tokenisierung von erneuerbaren Energien in Deutschland wie im Falle Enels vor dem MiCAR-Hintergrund möglich, heißt es in Behördenkreisen. Das sei allerdings jeweils eine Einzelfallentscheidung. Neben Kreditinstituten kann jede juristische Person eine Emission beantragen, so die BaFin auf Anfrage. Voraussetzung sei ein Whitepaper, eine Art abgespeckter Emissionsprospekt. Die Prüfung dauere dann höchstens 60 Tage. Oliver Ristau

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    Automobilbranche: Wie ZF gebrauchte Teile im Kreislauf hält

    Eine Mitarbeiterin von der ZF Friedrichshafen AG arbeitet an der Montagelinie: Für sein Remanufacturing von Autoteilen wurde das Unternehmen mehrfach ausgezeichnet.

    Die deutsche Automobilindustrie will ihren CO₂-Fußabdruck deutlich reduzieren. Ziel ist eine klimaneutrale Mobilität bis spätestens 2050, um die Pflichten aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Dazu muss außer dem Antrieb der Fahrzeuge auch die Herstellung dekarbonisiert werden. Das setzt nicht nur den Einsatz recyclingfähiger Materialien voraus. Besser wäre es, wenn möglichst viele Teile durch Remanufacturing wiederverwendet werden könnten. 

    ZF-Werk Bielefeld: Mehr als 60 Jahre Erfahrung mit Remanufacturing 

    Am Standort des Automobilzulieferers ZF in Bielefeld ist das seit mehr als 60 Jahren Tagesgeschäft. Seit 1963 werden hier gebrauchte Teile in ihre einzelnen Komponenten zerlegt, gereinigt, geprüft, aufgearbeitet, wieder zusammengebaut und schließlich an Hersteller oder als Ersatzteile verkauft. 

    Rund 200 Mitarbeiter sortieren hier täglich 50 Tonnen Altteile verschiedener Automobilhersteller, vor allem Getriebe und Antriebswellen. Für Nachschub sorgt nicht zuletzt das ZF-Altteilemanagement. Schon heute kommen bis zu 35 Prozent der verkauften Produkte nach Gebrauch wieder ins Werk zurück. Am Standort Bielefeld soll diese Quote in den nächsten fünf Jahren auf 90 Prozent gesteigert werden. 

    “Ökonomie und Ökologie zu verbinden ist das übergeordnete Ziel” 

    Im Rahmen des Remanufacturing fertigt ZF in Bielefeld jährlich eine Vielzahl neuwertiger Produkte, darunter rund 180.000 Kupplungsdruckplatten und -scheiben, 10.000 Drehmomentwandler und etwa 55.000 Ausrücksysteme. Das zahlt sich laut ZF langfristig aus: Im Vergleich zu einem Neuteil sinkt der Materialverbrauch der aufbereiteten Produkte im Durchschnitt um bis zu 95 Prozent. Die Energie- und CO₂-Einsparung liegt bei bis zu 90 Prozent.

    “Ökonomie und Ökologie miteinander zu verbinden ist unser übergeordnetes Ziel”, sagt Jörg Witthöft, Standortleiter von ZF in Bielefeld. “Im Vordergrund steht für uns, Produkte von der Entwicklung bis zur Aufarbeitung nachhaltig zu planen.

    Remanufacturing: Aus alt mach neu 

    Im Gegensatz zum Recycling geht es beim Remanufacturing nicht nur um die stoffliche Wiederverwertung, sondern um die Wiederverwendung ganzer Bauteile. Dafür gibt es inzwischen sogar eine eigene Norm: die DIN SPEC 91472 “Remanufacturing (Reman) – Qualitätsklassifizierung für zirkuläre Prozesse” vom Juni 2023. Sie soll das Remanufacturing von anderen werterhaltenden Verfahren wie Reparatur oder Refurbishment abgrenzen. Produkte aus dem Remanufacturing gelten nach dieser Norm als Neuprodukte

    ZF mit Sitz in Ludwigshafen ist mit einem Konzernumsatz von 46,6 Milliarden Euro (2023) und rund 170.000 Mitarbeitern einer der weltweit größten Automobilzulieferer. An 25 deutschen und internationalen Remanufacturing-Standorten bereiten rund 1.800 Beschäftigte Gebrauchtteile im industriellen Maßstab auf. Inzwischen sind mehr als 5.500 “Reman-Produkte” im Angebot. 

    Ziel ist der Übergang von der linearen zur Kreislaufwirtschaft 

    “Das Schließen von Materialkreisläufen ist eines der zentralen Nachhaltigkeitsziele von ZF”, so ein Unternehmenssprecher zu Table.Briefings. Man habe sich zum Ziel gesetzt, von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft überzugehen, um die wirtschaftliche Entwicklung möglichst vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. “ZF bekennt sich zum Ziel der vollständigen Klimaneutralität bis 2040 und verpflichtet sich, seine absoluten Scope 1 und Scope 2 Treibhausgasemissionen bis 2030 um 80 Prozent gegenüber 2019 zu senken.” 

    Für dieses Engagement wurde der Zulieferer bereits mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024 in der Kategorie “Unternehmen” ausgezeichnet. Vor wenigen Wochen kam der Deutsche Nachhaltigkeitspreis 2025 im “Transformationsfeld Ressourcen” hinzu. Die Jury würdigte ausdrücklich das Bielefelder Werk, dessen gesamtes Aufbereitungs-Produktportfolio nach dem “Cradle to Cradle”-Standard zertifiziert ist.

    Auch Produktionsabfälle können wertvolle Rohstoffe sein 

    Aber nicht nur die Produkte selbst werden nach Unternehmensangaben auf ihre Recyclingfähigkeit geprüft, sondern auch die Abfälle, die bei der Produktion entstehen. Seit 2019 ist deren Menge um rund 40 Prozent gesunken. “Recyceln geht vor Entsorgen – nicht nur bei Altteilen, sondern auch bei Abfällen”, sagt Werksleiter Witthöft. “Denn auch diese sind für uns wertvolle Rohstoffe.” Langfristiges Ziel sei es, “einen Standort ganz ohne Abfall zu etablieren”.

    Dafür wurde ZF in Bielefeld 2023 mit dem Deutschen Award für Nachhaltigkeitsprojekte im Bereich “Recyclingkonzept” ausgezeichnet. Die Jury begründete ihre Entscheidung damit, dass das Werk einen “weitreichenden Ansatz” zur Reduzierung von Abfällen verfolgt.

    Mit einem Maßnahmenbündel zum Erfolg 

    Die Innovation ergebe sich insbesondere aus dem Maßnahmenbündel, das “zur Ressourceneffizienz und Kostenreduzierung beiträgt”. Während 2019 am Standort noch über 666 Tonnen nichtmetallische Materialien als Abfall entsorgt wurden, waren es 2022 bereits nur noch 406 Tonnen

    Dies wird zum Beispiel dadurch erreicht, dass gebrauchte Antriebsbeläge nicht mehr verbrannt, sondern zerkleinert und wiederaufbereitet werden. Das lohnt sich, denn sie bestehen bis zu einem Viertel aus Kupfer. Auch gebrauchte Kartonagen werden im Werk als Verpackungsmaterial verwendet, statt sie zu entsorgen. Zudem wurden verschiedene Kundenverpackungen auf ein Mehrwegsystem umgestellt, wodurch weitere 16 Tonnen Pappe und Verpackungsmaterial eingespart werden konnten. 

    Bedeutung des Remanufacturing steigt 

    Nicht nur ZF setzt derzeit verstärkt auf zirkuläre Wirtschaftskreisläufe und Remanufacturing. Auch andere Branchenriesen wie Bosch oder der französische Valeo-Konzern sehen hier Potenzial. Europaweit ist der Markt für Remanufacturing-Produkte derzeit rund 2,5 Milliarden Euro groß. 

    Frank Schlehuber, Senior Consultant Market Affairs beim europäischen Zuliefererverband CLEPA, hält aber auch deutliche Zuwächse für möglich. “Elektromobilität ist ein Zukunftsmarkt für die Circular Economy“, so Schlehuber.

    Ein wichtiger Treiber könnten aus seiner Sicht die steigenden Nachhaltigkeitsanforderungen an die Automobilindustrie sein, wie er der Branchenzeitung Automobilwoche sagte. So forderten die Hersteller immer häufiger “von Zulieferern Remanufacturing-Konzepte für die von ihnen gelieferten Komponenten”.  

    Ein Grund: Wichtige Teile, insbesondere von Elektroautos, würden immer komplexer und könnten von Werkstätten nicht mehr repariert werden, “von Remanufacturing-Betrieben aber schon”. Das könnte wertvolle Ressourcen und damit die Nachhaltigkeitsbilanz schonen. 

    Alle Artikel unserer Serie zur Circular Economy finden Sie hier.

    • Circular Economy

    News

    Nachhaltigkeitsbürokratie: EU-Kommission beziffert Entlastungsziele

    Die EU-Kommission will den jährlichen bürokratischen Erfüllungsaufwand von Unternehmen binnen fünf Jahren um 37,5 Milliarden Euro zu senken, heißt es im Entwurf einer Mitteilung zum Bürokratieabbau, der Table.Briefings vorliegt. Das Dokument soll Ende Februar gemeinsam mit ersten konkreten Vorschlägen zur Entlastung der Unternehmen von Bürokratie vorgelegt werden und ist Teil der kommenden Wettbewerbsfähigkeitsagenda von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

    Die Kommission verspricht in der Mitteilung zudem einen “Kulturwandel“. Der gesamte EU-Rechtsbestand solle einem Screening unterzogen werden. Nach dem Muster der Praxischecks in Deutschland will die Behörde gemeinsam mit Unternehmen nach konkreten Erleichterungen suchen.

    Séjourné: Lieferkettenrichtlinie vereinfachen oder verwerfen

    Die EU-Kommission arbeitet derzeit am sogenannten Omnibus-Gesetz zur simplifizierten Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), der CSDDD und der Taxonomie durch Unternehmen, das für den 26. Februar terminiert ist.

    Die Lieferkettenrichtlinie war bereits in der vergangenen Legislatur hochumstritten und gerät nun erneut in den Fokus der politischen Auseinandersetzung. Der liberale Kommissionsvizepräsident Stéphane Séjourné forderte im Handelsblatt: “Entweder wir vereinfachen die Richtlinie erheblich, oder wir verwerfen sie ganz.” Zuvor hatte sich die französische Regierung dafür ausgesprochen, das Inkrafttreten der CSDDD auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

    Zuvor hatte sich die EVP-Führungsriege dafür ausgesprochen, CSRD, CSDDD und Taxonomie um mindestens zwei Jahre auszusetzen, und in dieser Zeit Vorschläge für die Vereinfachung zu erarbeiten.

    Sozialdemokraten befürchten rechtsextrem-konservative Allianz für Deregelierung

    Der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi, pocht hingegen darauf, die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) auszunehmen von der geplanten Omnibus-Gesetzgebung. “Ich bin total dafür, bei Berichtspflichten Klarheit zu schaffen, aber bei Handlungspflichten nicht nachzugeben”, sagte er Table.Briefings. Die CSDDD definiere Sorgfaltspflichten für Unternehmen und keine Berichtspflichten. Wenn diese “beim Omnibus außen vor bleiben soll, dann bin ich zum Gespräch bereit”.

    Repasi warnt die Kommission zudem vor einem Schnellschuss: “Wenn die Kommission innerhalb von wenigen Wochen mit heißer Nadel irgendwas zusammenstrickt, (…) dann kann das sehr wahrscheinlich nichts Gutes werden”, sagte der Jurist. Er könne sich ein gestrecktes Verfahren vorstellen, indem das Inkrafttreten der betroffenen Gesetze um zwei Jahre geschoben werde. Die Kommission könne sich dann Zeit nehmen, um ausgereifte Vorschläge vorzulegen.

    Unter Sozialdemokraten, Grünen, Linken und teils auch den Liberalen wächst die Sorge, dass die Christdemokraten Hand in Hand mit Wirtschaftsverbänden und Rechtsaußen-Fraktionen im Parlament unter dem Mantel des Bürokratieabbaus unliebsame Regeln schleifen wollen. Deshalb werde der Omnibus zum “Symbol, an dem sich der Kampf von richtiger Regulierung zu Deregulierung ausficht”, sagte Repasi.

    Die Befürchtungen eines Schulterschlusses zwischen der EVP und rechtsextremen Fraktionen bekommen Nahrung durch einen Brief, den der Fraktionschef der Patrioten, Jordan Bardella, jetzt an die Fraktionen EVP, EKR und ESN geschrieben hat. Er bietet ihnen eine “Koalition zur Aussetzung des Green Deals” an. tho

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    Bundestagswahl: Wie die Parteien laut WWF-Wahlcheck im Klima- und Umweltschutz abschneiden

    Im Vorfeld der Bundestagswahl hat die NGO WWF am Mittwoch ihren Zukunftswahl-Check veröffentlicht und spricht von einem “ernüchternden Fazit“: Die meisten Parteien blieben beim Klima- und Umweltschutz weit hinter den von der Organisation als notwendig erachteten Maßnahmen zurück. Besonders im Bereich Klimaschutz und Artensterben gebe es Lücken.

    CDU und SPD fehlt klare Strategie für Umwelt- und Klimaschutz 

    Der WWF hat untersucht, inwiefern die Parteien geeignete Maßnahmen vorschlagen, um den Klima- und Umweltschutz zu stärken. Dabei hat er die Programme der Parteien mit seinen Forderungen an die nächste Bundesregierung abgeglichen. Themen sind etwa die Dekarbonisierung, Natur- und Artenschutz, nachhaltige Lieferketten und Kreislaufwirtschaft.

    Zwar bekennt sich die CDU/CSU zur Einhaltung internationaler und inländischer Klimaziele, dennoch fehle “eine klare Strategie für den Weg dorthin”, ebenso wie Sektorziele. Der WWF kritisiert, dass die Partei zur Dekarbonisierung fast ausschließlich auf den EU-Emissionshandel setzt, den Ausstieg aus fossilen Energien nicht weiter voranbringen will und den Wiedereinstieg in die Atomkraft fordert. Konkrete Zusagen für Investitionen in Klima- und Umweltschutz fehlten, und auch die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) will die Partei abschaffen.  

    Bei der SPD fehle im Klimaschutz ein klares Bekenntnis zum Kohleausstieg bis 2030 und zum Gas- und Ölausstieg. Bei Vorschlägen wie der angestrebten Senkung der Netzentgelte würden offene Fragen wie die Flexibilität im Stromsektor unzureichend thematisiert. Positiv zu bewerten sei, dass die Partei private Haushalte mit Förderprogrammen wie dem Klimageld bei der Energiewende unterstützen und den Natur- und Artenschutz voranbringen wolle.

    Grüne und Linke konsequenter bei Klimazielen und -finanzierung  

    Am besten bewertet die NGO die Partei Bündnis 90/Die Grünen und attestiert ihr, für einen ambitionierten Klima- und Umweltschutz einzustehen. Die Partei wolle die Klimaneutralität bis 2045 erreichen, den Kohleausstieg bis 2030 umsetzen und die Verkehrswende vorantreiben. Auch der vorgeschlagene Maßnahmenmix für Zukunftsinvestitionen sei plausibel: Die Partei fordert eine Reform der Schuldenbremse, einen Deutschlandfonds, eine gerechtere Steuerpolitik und die Einführung des Klimageldes. Im Bereich Biodiversität sei das Programm im Vergleich zu den Programmen der anderen Parteien am stärksten: Sie fordere mehr Meeres- und Wildtierschutz und wolle die Nationale Biodiversitätsstrategie gesetzlich bindend machen. 

    Das Programm der Linken überzeugt aus Sicht des WWF mit “vielen neuen Plänen über die Sektoren hinweg“. Die Linke stehe für bezahlbare und stabile Energiepreise ein und wolle den Ausbau der Erneuerbaren schnellstmöglich voranbringen. Die Partei wolle außerdem den Beschwerdemechanismus für Betroffene bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz stärken und fordere konsequentere Haftungsregelungen. 

    Klima- und Umweltschutz deutlich unzureichend bei FDP, BSW und AfD  

    Das BSW liefert aus Sicht des WWF “keine geeigneten Konzepte für die Klimakrise und die Probleme unserer Zeit”.  

    Auch die Pläne der FDP würden “einen deutlichen Rückschritt für Naturschutz und soziale Standards bedeuten”, so der WWF. Ihr Wahlprogramm sei nicht sozial verträglich und bevorteile primär wohlhabende Menschen.  

    Das Programm der AfD hat der WWF in seinem Wahlcheck isoliert untersucht, da er keine gemeinsame Arbeitsgrundlage mit der Partei sieht. Denn die AfD leugne den menschengemachten Klimawandel, wolle aus dem Pariser Abkommen austreten und Klimaschutzmaßnahmen abschaffen. ag 

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    Klima in Zahlen: Öl- und Gasmanager zögern mit “Drill, baby, drill”

    Noch in seiner Rede zur Amtseinführung hatte US-Präsident Donald Trump versprochen, die USA würden mehr Öl und Gas fördern als zuvor: “We will drill, baby, drill”, wiederholte er sein Versprechen aus dem Wahlkampf. Aber trotz seiner Beschlüsse, die Öl- und Gasindustrie zu deregulieren, gehen Analysten nur von einem leichten Anstieg der Förderung aus. Für das Jahr 2025 prognostiziert die Energy Information Administration nur einen Anstieg von 2,6 Prozent – für 2026 liegt die Prognose sogar bei unter einem Prozent Anstieg.

    Die meisten Manager der großen Öl- und Gasförderer wollen 2025 weniger in die Suche nach neuen Vorkommen und ihre Förderung investieren als noch 2024, wie eine Befragung der Zentralbank von Texas zeigt. Die großen Öl- und Gasförderer machen 80 Prozent der US-Förderung aus.

    Laut der Bank J.P. Morgan werde der Preis für US-Erdöl bis Ende 2025 auf 64 US-Dollar pro Barrel sinken (derzeit liegt er bei circa 73 Dollar). Es sei dieser Preisdruck, der die Förderung bestimme, nicht politische Wünsche aus Washington, zitiert die Financial Times mehrere Analysten. Die Investoren der Wall Street hätten keine politische, sondern eine wirtschaftliche Agenda – und sie hätten keinerlei Anreiz, den Öl- und Gasförderern eine Ausweitung der Förderung zu empfehlen oder diese zu finanzieren, wird ein großer Investor der Schiefergas-Industrie zitiert.

    Trump selbst dagegen ignoriert in seinen Äußerungen diese Zusammenhänge. Beim Weltwirtschaftsforum forderte er die OPEC auf, den Ölpreis zu senken. Sinkende Preise für Öl und Gas würden allerdings zuerst die Schiefergasproduktion in den USA gefährden. nib

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    NAP: Drei Fragen an DIM-Vizedirektor Michael Windfuhr

    Michael Windfuhr, Vizedirektor des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

    Den ersten NAP hat die Bundesregierung 2016 beschlossen. 2020 lief er aus – welche Folgen hat es, dass die Bundesregierung keinen neuen verabschiedet hat?
    Die Bundesregierung hat den alten NAP immer wieder verlängert, weil sie sich in der letzten Legislatur auf keinen neuen verständigen konnte. Aber eine Überarbeitung des NAP ist ausgesprochen wünschenswert, vor allem auch um die Rolle des Staates bei der Erfüllung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten stärker zu nutzen und Chancen und Aufgaben bei der Umsetzungsunterstützung weiterzuentwickeln. Außerdem bildet der NAP eine wichtige Grundlage für Hilfen der Politik an die Unternehmen bei der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichtengesetze. Dazu zählen etwa die Branchendialoge, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales organisiert werden, und bei denen beispielsweise Unternehmen gemeinsame Beschwerdemechanismen für Stakeholder entwickeln, aber auch der Helpdesk der Bundesregierung, der Unternehmen eine kostenlose Erstberatung bei der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltsprozesse anbietet. All dies sollte langfristig verlässlich abgesichert werden.

    Warum braucht es im NAP eine stärkeren Fokus auf die Rolle des Staates?
    Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, auf denen auch der NAP beruht, haben drei Säulen. Sie umfassen sowohl staatliche Schutzpflichten als auch menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen sowie wirksame Abhilfemechanismen für Betroffene. Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird insbesondere die zweite Säule der unternehmerischen Sorgfalt umgesetzt. Ein neuer NAP könnte daher insbesondere auf die Säulen eins und drei zielen, in denen dem Staat eine wichtige Umsetzungsverantwortung zukommt. Die Politik sollte beispielsweise klären, wie sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befindliche Unternehmen verhalten, wie sie öffentliche Dienstleistungen ausschreibt, Exportkredite vergibt, wie menschenrechtliche Sorgfalt im öffentlichen Beschaffungswesen noch besser unterstützt werden kann. Außerdem sollten bestehenden Barrieren im deutschen Rechtsschutz und -zugang – sowohl für Kläger*innen in Deutschland als auch für Kläger*innen in den Ländern entlang der Lieferketten – ermittelt und wo möglich abgebaut werden. Diese Aspekte sind im ersten NAP bereits angedacht, könnte aber nun gestärkt werden.

    Welches Signal geht davon aus, dass Deutschland keinen neuen NAP aufgelegt hat?
    Bislang haben 34 Länder nationale Aktionspläne entwickelt. Und wenn sich das UN-Forum für Wirtschaft und Menschenrechte einmal im Jahr in Genf trifft, wird auch immer geschaut, wie viele hinzugekommen und auch wie viele NAP aktualisiert worden sind. Deutschland setzt sich seit vielen Jahren unter anderem mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit sehr dafür ein, dass viele Staaten ihr Engagement im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte erhöhen und eigene NAP erarbeiten und verabschieden. Das ist eine sehr sinnvolle Unterstützung, die der Umsetzung von Menschenrechten insgesamt zugutekommt, den multilateralen Konsens stärkt und für Unternehmen langfristig ein globales “level playing field” schafft. Wenn es nun aber Deutschland – das zu den Vorreitern gehörte und sich auch stets so präsentiert hat – selbst nicht mehr gelingt, sich auf einen neuen NAP zu einigen, ist das kein Zeichen der Ermutigung für andere Länder. Zumal sich viele Länder bei der Rolle des Staates mit Blick auf die Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten mit deutlich schwierigeren Fragen bei der Rechtsformulierung und – Umsetzung auseinandersetzen müssen als Deutschland, etwa bei fehlender oder unzureichender Regulierung. Allerdings gibt es auch in Deutschland immer wieder Umsetzungsaufgaben. Deutschland hat in diesen Bereichen beispielsweise 2021 mit dem Gesetz zur Sicherung von Arbeiterrechten in der Fleischwirtschaft gehandelt.

    • Menschenrechte

    Must-Reads

    Die Klimakrise, das vergessene Wahlkampfthema – Die Zeit 
    Was noch vor vier Jahren ein Topthema der deutschen Politik war, interessiert heute kaum noch jemanden, schreibt Petra Pinzler. Es geht um die Klimakrise. Nicht einmal der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck gehe das Thema offensiv an. Obwohl die Emissionen weiter steigen, haben Migration und schlechte Wirtschaftslage das Thema verdrängt. Es liege jetzt an den Bürgern, nachzuhaken. Zum Artikel 

    Was die US-Abkehr von Klimazielen für grüne Investments bedeutet – Das Investment 
    Mit der Präsidentschaft Donald Trumps verlassen große US-Vermögensverwalter wie Blackrock, Großbanken wie die Bank of America, Goldman Sachs, und J.P. Morgan die Klima-Allianzen. Der Rückzug der USA von Klimazielen werde zwar kurzfristig dazu beitragen, dass globale Klimaziele wie die Agenda 2050 verzögert erreicht würden, schreiben die Autoren Christoph Betz und Kevin Naumann. Doch langfristig seien die globalen Schäden durch den Klimawandel zu groß, als dass sich die Energiewende aufhalten ließe. Auf Dauer werde der Börsenwert nachhaltiger Unternehmen deshalb steigen, so die Autoren. Zum Artikel 

    Feministischer Reflex trifft auf Realpolitik – taz 
    Leila van Rinsum zieht eine Bilanz der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik der Ampel-Regierung. Sie sieht Licht und Schatten: Die Kennzahlen für mehr Botschafterinnen und “gendersensible” und “gendertransformative” Entwicklungsprojektfinanzierung zeigten Fortschritte. Aber insgesamt fehlte Kohärenz, da sich letztlich nur zwei Ministerien dem feministischen Ansatz verschrieben hätten. Zum Artikel 

    Griechenland geht auf Gassuche im Mittelmeer – Handelsblatt 
    Zwar hat Griechenland in den vergangenen Jahren massiv in erneuerbare Energien investiert. Doch das hält die Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis nicht davon ab, im Südwesten der Halbinsel Peloponnes nach Erdgas suchen zu lassen. Man brauche auch dann Strom, wenn Solarfarmen und Windparks keinen liefern, so der Regierungschef. Umweltorganisationen laufen Sturm. Zum Artikel 

    Barbie zwischen Inklusion und Ausbeutung – Süddeutsche Zeitung 
    Der Spielzeughersteller Mattel feiert sein 80-jähriges Bestehen. Wirtschaftlich laufe es gut, doch in den Fabriken herrsche Handlungsbedarf, schreibt Uwe Ritzer. Wiederholt hätten Menschenrechtsorganisationen die Zustände in den Werken kritisiert, in denen das Spielzeug hergestellt wird. Zum Artikel 

    UN-Nachhaltigkeitsziele: In der EU ein Papiertiger mit wenig Wirkung – Euractiv 
    Ein Bericht des Sustainable Development Solutions Network (SDSN) sehe die EU auf schlechtem Weg bei den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDG), berichtet Bárbara Machado. Beim Ziel der menschenwürdigen Arbeit gebe es zwar Fortschritte, aber etwa bei Klimaschutzmaßnahmen sehe es mau aus. Krieg und geopolitische Spannungen hätten vieles behindert, aber die EU müsse sich auch wieder deutlicher zu den SDG bekennen. Zum Artikel 

    Why one green energy sector could heat up under Trump – Financial Times 
    Der von Donald Trump nominierte Energieminister, Chris Wright, hat angekündigt, einen Fokus auf Geothermie zur Energiegewinnung zu legen – mit seiner eigenen Firma investierte er 2022 in das Start-up Fervo Energy, das diese Technologie voranbringen will. Simon Mundy schreibt, dass sowohl die Biden-Administration als auch die Internationale Energieagentur große Potenziale bei Geothermie sehen. Zudem sei auch die fossile Industrie sehr interessiert, weil dafür ähnliche Methoden wie beim Fracking genutzt werden – und das Ende der Fossilen komme. Zum Artikel 

    TotalEnergies failed to convince Joe Biden’s team to back $20bn African project – Financial Times 
    TotalEnergies hätte gerne Milliardenkredite von der US-Export-Import Bank erhalten, um vor der Küste Mosambiks ein Gasförderprojekt wiederaufzunehmen. Wie Ian Johnston, David Pilling und Jim Pickard berichten, wollte die vorige US-Regierung die Gelder aber nicht kurzfristig freigeben. Das größte einzelne Investitionsprojekt in Afrika kam 2021 wegen eines bewaffneten Konflikts in der Region zum Erliegen. Zudem zeigten Dokumente, dass Bewacher der Projektanlagen Menschenrechtsverletzungen begingen, und TotalEnergies davon gewusst habe. Zum Artikel  

    Rosebank oilfield decision ruled unlawful by Edinburgh court – The Guardian 
    Equinor und Shell dürfen erst einmal nicht mit der Ölförderung in zwei Gebieten in der Nordsee vor Großbritannien beginnen, berichtet Matthew Taylor. Grund sei das Urteil eines schottischen Gerichts vom Donnerstag. Demnach hätten die Behörden bei der Genehmigung die Emissionen berücksichtigen müssen, die beim Verbrauch des Öls und Gases entstehen. Nun müssten die Anträge erneut geprüft werden. Eine Entscheidung solle im Frühjahr fallen. Rosebank, eines der Gebiete, sei das größte unerschlossene Ölfeld des Landes. Zum Artikel 

    Standpunkt

    Wohin steuert der Omnibus?

    Von Katharina Reuter
    Katharina Reuter ist Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW e.V.).

    Mit dem Omnibus plant die EU-Kommission, die Berichtspflichten zu Lieferketten (CSDDD), zur Nachhaltigkeit (CSRD) und Taxonomie zu vereinfachen und zu reduzieren. Am 26. Februar soll Brüssel entscheiden. Doch schon jetzt bringt sich Deutschland in Stellung – schließlich ist Wahlkampf. 

    Friedrich Merz hat wissen lassen, dass er die Berichtspflichten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) um 35 Prozent reduzieren will. Unterstützung bekommt er von der polnischen Ratspräsidentschaft. Doch ist den KMU damit geholfen?

    Gestartet ist der Omnibus als Versuch, Dopplungen und Bürokratie abzubauen. Ein wertvoller und absolut zu begrüßender Ansatz – gerade für die KMU. Nicht zuletzt deswegen haben wir als BNW uns zusammen mit mehr als 150 weiteren europäischen Unterstützer:innen dafür starkgemacht, mit dem Omnibus Bürokratie abzubauen – ohne die Inhalte der Gesetze anzufassen.  

    Verunsicherung statt Orientierung 

    Einmal in Fahrt, sind Europas Konservative aber vom Weg abgekommen. Denn 35 Prozent weniger Berichtspflichten sind keine inhaltliche Auseinandersetzung, keine politische Effizienz und keine praxisnahe Umsetzung. Sie sind Wahlkampfrhetorik und eine massive Verunsicherung

    Für KMU wird das zum Problem. Kleine und mittlere Unternehmen müssen mit ihren Investments haushalten. Sie zählen darauf, dass politische Entscheidungsträger:innen ihr Votum vertrauensvoll nutzen – und nicht bereits verabschiedete Gesetze wieder aufschnüren. Die Unternehmen haben sich vorbereitet, investiert und erwarten jetzt Vorteile. Stattdessen droht der Omnibus mit dem Rückwärtsgang

    Noch ist unklar, welche Regelungen genau gekippt werden sollen. Sollte die Lieferkettenregulierung und Nachhaltigkeitsberichterstattung entscheidend abgeschwächt werden, drohen KMU auf ihren Investments sitzen zu bleiben. In Brüssel stärkt man damit die Bremser, der konstruktive Teil der Wirtschaft geht leer aus. Aussitzen und abwarten, statt planen und gestalten.

    Für Europa ist das fatal. Lieferkettenregulierung und Nachhaltigkeitsberichterstattung bieten wertvolle Datenpunkte für ein effizientes Risikomanagement. 2024 war das erste Jahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Level lag, Überschwemmungen und Hitzewellen nehmen zu, in den USA wüten Waldbrände und ein neuer Präsident, Handelskonflikte stehen wie 2016 wieder offen im Raum. Industrie und Politik brauchen die Daten aus CSDDD und CSRD, um all diese Risiken zu bewerten. Alles andere kommt einem Blindflug gleich. 

    Bremsen oder Lenken 

    Das sehen auch die Banken. Zuletzt haben sich der französische Vermögensverwalter Amundi und 400 weitere Unternehmen für eine Beibehaltung der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgesprochen. Unternehmen mit entsprechendem Reporting seien besser auf den “Klimawandel, Umweltveränderungen und geopolitische Spannungen vorbereitet” und Berichtspflichten sicherten “das Überleben, Wachstum und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit” der Wirtschaft. Eine Wettbewerbsfähigkeit, die unter anderem Deutschland auf den letzten Metern ausbremsen will.  

    Ähnlich wie Amundi, haben sich weitere Finanzinstitute für die Beibehaltung der Reportingrichtlinien ausgesprochen. Nicht aus ideeller Überzeugung, sondern aus finanziellem Vorteil. Denn auch die EU-Bankenaufsichtsbehörde EBA hat ihre Vorschriften für die Steuerung von ESG-Risiken durch Banken vorgelegt. Darin enthalten unter anderem eine Handreichung für die Erstellung von Transitionsplänen. Die Vorschriften gelten ab 11. Januar 2026 für große Kreditinstitute, ein Jahr später für kleine Kreditinstitute.

    Diese Anforderungen aus dem Finanz- und Versicherungsmarkt scheint man bei CDU, CSU und EVP zu ignorieren. Nahezu unisono verweist man dort auf das neu-entdeckte Bürokratiemonster Nachhaltigkeit, das die Wirtschaft abwürgen würde. Ganz anders bewertet dagegen das World Economic Forum: Die Top-Vier-Risiken für die kommenden Jahre sind dort: Extremwetter, Verlust der Biodiversität und Ökosystemkollaps, die kritische Veränderung der Erdsysteme sowie die Verknappung natürlicher Ressourcen. Eben jene Risiken, die CSDDD und CSRD in den Blick nehmen sollten.

    Endstation unbekannt 

    Der Omnibus ist gestartet – wohin er steuert, ist offen. Gerade wenn die USA unter Trump zum klimapolitischen Geisterfahrer werden, muss die EU in der Spur bleiben. CSDDD, CSRD und Taxonomie-Verordnung bieten wertvolle Impulse, um uns besser auf die Wirtschaft der Zukunft vorzubereiten – sie dürfen nicht unter die Räder kommen.  

    Die promovierte Agrarökonomin Katharina Reuter ist Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW e.V.).

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