Table.Briefing: ESG

Lieferketten: „Das Gesetz ist ein echter Wettbewerbsvorteil“ + Norwegens Energiewende kollidiert mit Menschenrechten

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Debatte über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hält an. Am Donnerstag plädierten Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze und die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB, Yasmin Fahimi, für eine Weiterentwicklung des Gesetzes, “die dessen Stärken erhält und es zugleich verständlicher und praktikabler macht”. Sie fordern für Betroffene einen effektiven Zugang zu den Bestimmungen, damit die im Europarecht vorgesehene neue zivilrechtliche Haftung auch wirken könne. Wichtig sei es, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) als zuständige Kontrollbehörde zu erhalten. “Ein Aussetzen des deutschen Gesetzes im Übergang zu den neuen europaweiten Regeln sei keine gute Option.”  

Dies steht derzeit im Raum, nachdem Kanzler Olaf Scholz und zuvor Vizekanzler Robert Habeck das LkSG heftig attackiert hatten. Beide halten herzlich wenig von dem Gesetz, hört man in den Reihen von SPD und Grünen. Während in Kanzleramt und Wirtschaftsministerium Unterstützung für das Gesetz bröckelt, muss das Haus von Arbeitsminister Hubertus Heil nun eine Lösung finden, die die Koalition zusammenhält – und die Kahlschlagsfantasien auffängt, die Scholz und Habeck in Teilen der Wirtschaft erzeugt haben. 

Wenig Gehör finden dieser Tage Akteure, die für den Erhalt des LkSG werben, weil sie es als Gewinn für die deutsche Wirtschaft erachten. Dazu zählt die Wissenschaftlerin und Expertin für nachhaltige Lieferketten Lisa Fröhlich. “Das Gesetz ist ein echter Wettbewerbsvorteil für hiesige Unternehmen”, sagt sie im Interview mit mir und rückt einiges an falschen Narrativen über das Gesetz zurecht. Die Nachhaltigkeitschefin der Funke Mediengruppe, Gundula Ullah, erinnert in ihrem Standpunkt daran, warum die Bundesregierung das LkSG verabschiedet hat und welche Chancen es bietet.

Ihr
Caspar Dohmen
Bild von Caspar  Dohmen

Interview

Lieferketten: “Das Gesetz ist ein echter Wettbewerbsvorteil”

Wissenschaftlerin Lisa Fröhlich: “Ein Großteil der Unternehmen analysiert seine Lieferketten nicht ausreichend.”

Gefährdet das Lieferkettengesetz die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen? 
Im Gegenteil. Dank des nationalen Lieferkettengesetzes sind Unternehmen in Deutschland weiter als anderswo. Das Gesetz ist ein echter Wettbewerbsvorteil für hiesige Unternehmen. Denn so müssen sich Unternehmen mit ihren Lieferketten beschäftigen – das ist notwendig. Denn nur wer seine Lieferketten kennt, kann auch seinen Impact bestimmen und beeinflussen. Das gilt für CO₂-Emissionen genauso wie für Menschenrechte in der Lieferkette. Die Politik sollte endlich die Finger von dem Gesetz lassen. 

Den Gefallen scheint Sie ihnen nicht zu tun. Erst wollte Robert Habeck die Kettensäge ansetzen. Nun sagt Kanzler Olaf Scholz, die Regierung mache es bis Weihnachten “weg”. Sie trainieren Einkäufer von Unternehmen mit Blick auf die Lieferketten. Wie wirken sich solche politischen Äußerungen aus?  
Einkäufer sagen sich, dann müssen wir erst mal nichts mehr tun. Das ist fatal, weil die Einkäufer in Unternehmen zentral dafür sind, sich das Wissen über Lieferketten zu beschaffen.  

Wirtschaftsverbände wie der BDA kritisieren den Aufwand für die Berichte bei Lieferkettenregulierungen bei der CSRD. Zu Recht?  
Gerade viele KMUs betreiben einen hohen Aufwand, der aber unnötig ist. Zwei Dinge laufen beim CSRD-Reporting falsch. Erstens wird viel zu viel über Datenpunkte geredet. Das tun gerade auch die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, bei denen viele KMUs Rat suchen. In der Folge berichten KMUs unnötig viel.  

Was würde ausreichen? 
Als Mittelständler muss ich nicht über 1.000 Punkte berichten, sondern im Schnitt allenfalls über 100 Punkte. Außerdem sind zwei Drittel dieser Angaben rein narrativ. Es reicht, wenn sich ein Mitarbeiter hinsetzt und aufschreibt, was das Unternehmen getan hat. Etwa bei der Erstellung eines Business Conduct, bei der nachhaltigen Lieferantenbewertung oder dem Aufbau von Stakeholder-Dialogen. Dafür braucht man keine Beratung durch Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensberater. Nur für ein Drittel der Datenpunkte müssen KMUs tatsächlich konkrete Daten oder KPIs vorlegen. Das bezieht sich auf den ESRS E1 und S1 Standard, und dazu haben die meisten Unternehmen sowieso ausreichend Datenmaterial. 

Woher bekommen sie diese Daten?  
Vor allem von ihren Einkäufern. Ich sehe niemand sonst – auch keine speziellen Softwareanbieter von ESG-Daten, die wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Unternehmen müssen ihre strategische Beschaffung einbeziehen. Aber viele machen das nicht oder unzureichend. Dabei können Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen der doppelten Wesentlichkeit nur erfüllen, wenn sie ihre Lieferanten mit einbeziehen.  

Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht von einer Rückkehr zum Ordnungsrecht in den Lieferketten und einem Wegfall der Berichtspflichten. Macht das Sinn? 
Ich verstehe die ganze öffentliche Diskussion mit Fokus auf Berichtspflichten nicht. Die Berichtspflichten sind doch gar nicht das eigentliche Problem. Wozu haben wir denn Künstliche Intelligenz? Den Bericht schreibt man in einer Woche, wenn man die Daten zusammen hat. Wie will man denn ohne diese Informationen herausfinden, ob ein Unternehmen gegen Menschenrechte verstößt? Die Informationen der Lieferanten sind elementar, um die Verhältnisse in den Lieferketten zu beurteilen. Diese Informationen verlangen auch Investoren.  

Was ist der Kern der Berichtspflichten?  
Berichtspflichten sind doch nichts anderes als Richtlinien für ein Unternehmen, um ihre Lieferkette nachhaltiger, und damit robuster, aufzustellen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Warum begreifen wir das LkSG nicht endlich als Wettbewerbsvorteil, was es auch ist? Die CSDDD folgt genau der gleichen Logik wie das LkSG, nur erweitert um Umweltthemen. Aber die sollte man als Unternehmen ohnehin auf der Agenda haben. Und wenn ich lieferkettengesetzeskonform bin, habe ich wahrscheinlich um die 80 Prozent der CSRD fertig und umgekehrt. Es gibt keine Notwendigkeit, da mehrmals zu reporten.  

Gibt es Unternehmen, die ihre Lieferketten beispielhaft transparent machen? 
Nehmen Sie das dänische Energieunternehmen Orsted. Es hat seine komplette Lieferkette in ein übersichtliches Bild gebracht. Das habe ich sonst noch nirgendwo gesehen. Das Unternehmen zeigt seinen positiven und negativen Impact auf, mitsamt den fünf Hauptrisiken, die es identifiziert hat. Bei einem unserer Trainings haben Unternehmen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt: Mein Gott, wie kriegen wir denn so was bloß hin? Und sie sind nervös geworden.  

Was ist so schwer? 
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Berichte der verschiedenen Niederlassungen eines Unternehmens in einem CSRD-Bericht zusammenzufassen. Tatsächlich führen oft die Niederlassungen des gleichen Unternehmens unterschiedliche Risikoanalysen durch.  

Sollte man hier nicht methodisch ähnlich vorgeben
Ja, schließlich sind am Ende des Tages alle Tochterunternehmen Teil der Lieferketten eines Unternehmens. Und wenn man ein gemeinsames Verständnis einer Lieferkette erarbeitet hat, wie kann man dann völlig unterschiedliche Risikodaten bearbeiten? Das zeigt doch wieder, dass ein Großteil der Unternehmen seine Lieferketten nicht ausreichend analysiert. Aber niemand muss nervös sein, denwie n es handelt sich um Due-Diligence-Gesetze. Es geht nicht um Bestrafung, sondern eine verantwortliche Handhabung von Risiken. Das größte Risiko für Unternehmen ist ein Imageverlust. Vor Geldstrafen braucht sich niemand zu fürchten.  

Sie sprechen mit Einkäufern aus verschiedenen Ländern – ist die Stimmung anderswo besser gegenüber Lieferkettenregulierung und Berichtspflichten? 
Die nordeuropäischen Unternehmen gehen viel pragmatischer damit um. Zuletzt habe ich dies bei einem Austausch in Schweden erlebt. Bei dem Treffen haben die Vertreter von Unternehmen nur positiv und konstruktiv diskutiert. Wenn ihnen einige Daten für die Berichterstattung fehlen, sagen sie, dann ist es so, davon stirbt ja niemand. Das ist ja kein Bilanzbericht, wo man keine Fehler machen darf, weil man sonst wegen Betruges angeklagt werden kann. Die nordeuropäischen Länder kämpfen ja schon deutlich länger mit Auswirkungen des Klimawandels, und erkennen damit natürlich auch aktuell schon die ersten Verbesserungen. Dass etwa eine integrierte Nachhaltigkeitsstrategie zu deutlich geringerem CO₂-Ausstoß führt und damit Kosten spart. Bei uns wird nur auf die Politik geschimpft, sich zurückgelehnt und die Verantwortung weggeschoben. Mit dieser Haltung steht Deutschland in der EU aber ziemlich alleine da.

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Analyse

Norwegen: Wie die Energiewende mit Menschenrechten kollidiert

Die Rentierhaltung gehört zur Tradition der Sámi, doch die Energiewende gefährdet diese.

Europäische Unternehmen investieren gerne in Windenergieprojekte in Norwegen. Das größte Projekt mit sechs Windkraftwerken befindet sich auf der Halbinsel Fosen. Doch hier gibt es Streit. Denn bei zwei der Anlagen werden die Menschenrechte der indigenen Sámi verletzt, die dort Rentiere züchten. Während die Sámi noch auf Ersatzweidegründe warten, prüft die Nordic Wind, die im Besitz einer Schweizer Energiegesellschaft ist, schon den Bau weiterer Anlagen auf der Halbinsel Indre Fosen.  

Bis 2024 wurden in Norwegen 65 Windenergieparks mit 1.392 Turbinen und einer Gesamtleistung von 16.923 Gigawattstunden realisiert. Weitere entstehen. Doch dem Ausbau kommt in manchen Gebieten der Konflikt zwischen Konzession und den Weidegebieten der Rentiere in die Quere. Exemplarisch dafür ist der Fosen Fall. Er hat den norwegischen Landnutzungskonflikt zwischen Sámi und Staat auf eine neue Ebene gehoben und könnte sich auf andere Projekte mit deutscher Beteiligung auswirken. Hier zeigt sich: Selbst in Europa ist es schwierig, die gesamtgesellschaftlichen Interessen eines Ausbaus regenerativer Energie mit den sozialen und ökonomischen Interessen der Betroffenen einer Region auszubalancieren. 

Darum geht es im Fall Fosen 

Für die Halbinsel Fosen wurden 2013 zwei Windkraftwerke auf Rentierweiden der Sámi genehmigt: der Roan-Windpark mit 71 Windturbinen (255,6 Gigawatt) sowie der Storheia-Windpark (288 Gigawatt). Roan ging 2019 in Betrieb und Storheia 2021. Konzession, Expropriationserlaubnis und Vorabgenehmigung für den Bau hatte der norwegische Betreiber Fosen Vind DA. 

2013 klagten die Rentierzüchter erfolglos gegen die Genehmigungen. Sie wurden enteignet. Es folgten langwierige Verfahren um die Höhe der Entschädigung. Die Sámi ließen gleichzeitig die Rechtmäßigkeit der Konzession prüfen. 2018 sprach das Bezirksgericht Inntroendelag den Rentierzüchtern 19,6 Millionen Norwegische Kronen zu, umgerechnet rund 1,7 Millionen Euro. Das Berufungsgericht erhöhte die Summe auf 90 Millionen Kronen, rund 7,6 Millionen Euro. 

Doch dabei blieb es nicht. 2021 urteilte der Oberste Gerichtshof Norwegens, dass schon die Konzessionsvergabe von 2013 ungültig war. Sie verstieß gegen Artikel 27 des UN-Zivilpaktes und damit gegen die Menschenrechte der Sámi auf Ausübung ihrer Kultur. Das Urteil weckte zunächst hohe Erwartungen bei den Sámi, aber es folgte nichts.  

2023 demonstrierten daher junge Sámi in Norwegen gegen die Regierung und besetzten vier Tage lang das Energieministerium. Sie verlangten vom Staat, endlich die Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Dazu forderten sie den Rückbau der Anlagen. Im Winter 2023 und Frühjahr 2024 einigten sich die Rentierzüchter mit Fosen Vind DA und Nordic Wind auf neue Entschädigungssummen. Der Staat versprach die Zuweisung alternativer Gebiete – hat sie bislang aber noch nicht bereitgestellt. 

Norwegens Regierung gelobt Besserung 

Norwegens Regierung, die auch in Weidegebieten der Rentiere auf den weiteren Ausbau der Windenergie setzt, will Lehren aus dem Fall ziehen. Elisabeth Sӕther, Staatssekretärin im Energieministerium, sagte Table.Briefings: Der Fall sei sehr speziell und “wahrscheinlich kein Präzedenzfall, was die Höhe der finanziellen Entschädigung oder die zusätzliche Weidefläche angeht”. Gleichzeitig müsse man  “als Staat aber auch aus dem Fall Fosen lernen”. Es sei wichtig, gute Lizenzen mit guten Verfahren und einer besseren Wissensbasis zu erstellen. 

Mehr Wissen über internationale Normen wäre hilfreich. Schließlich hatten sich die meisten Projektentwickler, Investmentfonds und Windkraftwerkbetreiber schon vor dem Fosen-Urteil von 2021 zu UN-Menschenrechts-Richtlinien verpflichtet. Und damit auch zum Schutz indigener Gewerbe im Sinne des UN Global Compact

So auch Vestas aus Dänemark in seiner Human Rights Policy. Geliefert wurden die Vestas Windturbinen dennoch an Fosen Vind DA, obwohl der UN-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung (CERD) bereits 2018 einen Projektstopp für Fosen bis zur Klärung der Rechtslage gefordert hatte. 

Fosen Vind DA ist ein Projektdienstleister unter dem Dach des norwegischen Staatskonzerns Statkraft. Zwar bekennt man sich dort klar zu den Menschenrechten, ignorierte aber dennoch die UN-Aufforderung von 2018 und begann mit dem Bau der beiden Windkraftwerke. Kim Larsen, CEO von Fosen Vind DA, sagte Table.Briefings zur Rechtauffassung des Norwegischen Gerichtshofes: Das Gericht habe entschieden, “die Lizenz ist ungültig, ein Verstoß gegen den Artikel 27”. Aber der Gerichtshof habe nicht gesagt, was daraus folgen soll. “Es sagte, dass der Staat, der für die Lizenz verantwortlich ist, Maßnahmen ergreifen muss, um herauszufinden, wie wir mit dieser Situation umgehen können.” 

Der Fall Øyfjellet

Der Fosen Case könnte sich auf ähnliche Konflikte in Norwegen auswirken, zum Beispiel im Rentierdistrikt Jillen Njaarke bei Mosjöen. Dort betreibt Øyfjellet Vind DA eine Windkraftanlage mit 72 Turbinen, deren Strom für zunächst 15 Jahre zum Festpreis an die Aluminiumfabrik Alcoa in Mosjöen geliefert wird.  

Der Betreiber will indes von Überschneidungen nichts wissen. Er sieht “erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Fällen”, beharrt auf seinen Windanlagen in Mosjöen und klagt gegen die dortigen Rentierzüchter. Sie wiederum fühlen sich in der Ausübung ihrer traditionellen Rentierzucht behindert. 

Der Anwalt Pål Gude Gudesen, der Jillen Njaarke vertritt, sagt dazu: “Der Fall Fosen ist auch für den Øyfjellet Fall eine äußerst wichtige Referenz”. Die Parallelen zwischen beiden Fällen seien “offensichtlich”. Die Rentierzüchter sind bereit, auch hier bis zum Obersten Gerichtshof zu ziehen.   

Ein Vorgang, der auch in Deutschland genau verfolgt wird

Denn Investor der Øyfjellet Vind DA ist die Hamburger Aquila Capital Investmentgesellschaft GmbH. Sie gehört seit 2024 mehrheitlich zur Commerzbank AG und will sich zum führendem Asset Manager für nachhaltige Anlagestrategien in Europa entwickeln. 

In ihrem Code of Ethics bekennt sich Aquila Capital unter anderem zu den UN Guiding Principles on Business and Human Rights, dem UN Global Compact und den OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.  

Dass es anders geht, zeigt Norwegens zweitgrößter Kapitalverwalter Storebrand. Zwei Jahre beobachte die Gesellschaft den Øyjfellet Vindpark und setzte ihn dann auf die Ausschlussliste für eigene Investments. Zur Begründung sagt der Nachhaltigkeitsverantwortliche Vemund Olsen: “Storebrand ist der Ansicht, dass das Windkraftwerk in einer Weise errichtet wurde, die die Menschenrechte der Rentierbesitzer im Jillen-Njaarke-Rentierweidegebiet verletzt.” Jane Tversted und Martin Zähringer

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News

Biodiversität: Viele Unternehmen kennen ihre Abhängigkeit nicht

Nur 875 von 10.745 Unternehmen analysierten 2023 die Abhängigkeit ihres Geschäftsmodells von der Artenvielfalt, wie neue Zahlen der Non-Profit-Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) zeigen. Doch gerade einmal ein Viertel dieser Unternehmen berücksichtigt seine gesamte Wertschöpfungskette. Obwohl Geschäftsmodelle laut Fachleuten maßgeblich von intakten Ökosystemen abhängen, verzichte fast die Hälfte der untersuchten Firmen darauf, die Risiken in den kommenden zwei Jahren zu analysieren. 

Schätzungen zufolge kostet der Verlust an Artenvielfalt die globale Wirtschaft vier bis 20 Billionen US-Dollar jährlich

Staaten und Unternehmen müssten daher das Tempo auf der Weltnaturschutzkonferenz (COP16) erhöhen, die derzeit in Kolumbien stattfindet. Das fordert Eva Zabey, CEO der Initiative Business for Nature. “Regierungen müssen ehrgeizige Vorschriften und Maßnahmen einführen, die naturorientiertes Handeln von Unternehmen fördern.” Denn Ziel des auf der vorherigen COP beschlossenen Weltnaturschutzabkommens in Monterey ist, dass Unternehmen ihre Risiken mit Blick auf Biodiversität bewerten, offenlegen und reduzieren sollen. 

Fortschritte attestiert das CDP den Unternehmen bei der Berichterstattung von Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit auf die Artenvielfalt. Seit Beschluss des Abkommens sei die Zahl der Unternehmen, die solche Risiken bewerten, um 20 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum hätte fast ein Viertel mehr seine Wasserabhängigkeiten berücksichtigt – was zu einer Reduktion des Verbrauchs in ähnlicher Größenordnung geführt habe. Die Offenlegung von Informationen zu Wäldern hingegen habe zwischen 2022 und 2023 stagniert. nh 

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  • Nachhaltigkeitsberichterstattung

Beschwerdemechanismen: NGO fordert mehr Engagement von hiesigen Modefirmen in Indien

Deutsche Modeunternehmen müssen mehr tun, um Beschwerdemechanismen in der Schuh- und Lederindustrie zu stärken – das ist das Ergebnis einer Studie der NGO Inkota. Beschäftigte in deutsch-indischen Lieferketten kennen demnach keine Beschwerdemechanismen von Auftraggebern oder Brancheninitiativen. Zudem hätte nur die Hälfte der 211 Befragten in den indischen Bundesstaaten Uttar Pradesh und Tamil Nadu gewusst, für welche Firmen sie Waren produzieren. Durchgeführt wurde die Umfrage in Betrieben, die unter anderem für Zara, Bata, Bugatti, Clarks, Deichmann, Ecco, Jack & Jones, Mango oder Xero Schuhe tätig sind. 

Alle Auftraggeber fallen laut Inkota entweder unter das Lieferkettengesetz (LkSG) oder sind Teil der Brancheninitiativen Amfori BSCI, CADS, der Fair Wear Foundation oder dem Bündnis für nachhaltige Textilien. Laut LkSG müssen Unternehmen entweder selbst Beschwerdeverfahren einrichten, damit Beschäftigte von Zulieferern Verstößen gegen Sozialstandards melden können. Alternativ können Unternehmen bei externen Beschwerdemechanismen mitmachen.  

Inkota: Firmen sollen Lieferketten offenlegen 

Mit Blick auf die Ergebnisse sagte Anne Neumann, Referentin für Textillieferketten bei Inkota, zu Table.Briefings: “In der Schuhindustrie führt kein Weg daran vorbei, dass Modekonzerne ihre Lieferketten öffentlich offenlegen.” Sonst kämen die vielen informellen Beschäftigten in Indien nicht an die notwendigen Informationen. 

Wegen der informellen Art der Beschäftigung sollten Beschwerdesysteme zudem über lokale Kontaktpersonen in Gemeinschaften verankert werden. So erreicht man auch Heimarbeiter oder Tagelöhner. Bisher misstrauen die Beschäftigten den Beschwerdemechanismen sehr. “Nur 22 Prozent glauben, dass sie sich anonym beschweren können. Gleichzeitig sind mehr als zwei Drittel der Befragten davon überzeugt, dass sie entlassen werden, wenn sie Kritik äußern. 

Die Arbeitsbedingungen in der lederverarbeitenden Industrie in Indien sind prekär. So haben laut Inkota nur etwa sechs Prozent der Befragten einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Sie verdienten im Durchschnitt nur knapp den Mindestlohn. Ein existenzsichernder Lohn müsste jedoch dreimal so hoch sein, heißt es. nh 

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  • NGO
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Baumwolle: Fairer und biologischer Anbau verbraucht weniger Ressourcen

Baumwolle hat einen großen ökologischen Fußabdruck, gerade beim Wasserverbrauch. Daher ist es wichtig zu wissen, ob Bauern durch bestimmte Anbauweisen weniger Ressourcen benötigen. Verglichen mit den Varianten “konventionell” oder “biologisch” schneidet die Kombination “biologisch und fair” besser ab. Das geht aus einer von Fairtrade India bei dem Beratungsunternehmen Global Agrisysteme in Auftrag gegebenen Studie hervor. Sie vergleicht Bauern in sechs Bundesstaaten auf dem Subkontinent. Ihre Ergebnisse: 

  • Fairtrade-Bio-Baumwolle verursacht 45 Prozent weniger Treibhausgase als nicht fair gehandelte Baumwolle (862 kg CO₂ pro Hektar im Vergleich zu 1.563 kg CO₂ pro Hektar) 
  • 96 Prozent der Landwirte, die fair und biologisch anbauen, verzichten auf den Einsatz chemischer Mittel. Unter konventionellen Bauern sind es nur 60 Prozent. 
  • Fairtrade-Bio-Baumwollfarmer verbrauchen je Kilogramm Baumwolle im Schnitt 4.410 Liter Wasser, konventionelle Farmer 5.156 Liter, also 14 Prozent mehr
  • 76 Prozent der Fairtrade-Biobauern setzen organische Düngemittel ein, die die Bodengesundheit verbessern. 

Mit der fairen und biologischen Vorgehensweise verdienen Bauern im Schnitt auch mehr Geld. Der Unterschied zu konventionell wirtschaftenden Bauern betrage im Schnitt fünf Prozent je Tonne Saatbaumwolle (898,80 US-Dollar versus 858 US-Dollar). Entscheidend ist für die Bauern mit einer fairen und biologischen Anbauweise, welche Menge Baumwolle sie zu dem höheren Preis absetzen können. Der Faire Handel gibt keine Absatzgarantien für Bauern – sie müssen zudem Geld für die Zertifizierung zahlen. cd  

  • Bio
  • Umwelt

Menschenrechte: Sacharow-Preis geht an Venezuelas Oppositionelle

Das Europäische Parlament hat María Corina Machado und Edmundo González Urrutia mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet. Das gab EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Donnerstag in Straßburg bekannt. Die zwei führenden Köpfe der venezolanischen Opposition würden stellvertretend für alle Venezolaner innerhalb und außerhalb des Landes für ihren Kampf um Freiheit und Demokratie geehrt, sagte Metsola. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis gilt als höchste Auszeichnung der EU für Menschenrechte und Demokratie und wird am 18. Dezember vergeben. 

Die Preisträger leben im Exil  

Die 57-jährige María Corina Machado führt die Opposition gegen Venezuelas amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro an. Der autoritäre Staatschef hatte sich nach der Präsidentschaftswahl im Juli selbst zum Sieger erklärt, doch seine Wiederwahl wird von der EU, den USA und breiten Teilen der venezolanischen Opposition nicht anerkannt.

Machado hatte zunächst selbst bei der Wahl kandidiert, musste ihre Kandidatur aber zurückziehen. An ihre Stelle war der 75-jährige Diplomat Edmundo González Urrutia getreten. Mittlerweile leben beide wegen ihrer Regierungskritik im Exil.

Bereits 2017 hatte die demokratische Opposition in Venezuela für ihren Kampf im Einsatz für Freiheit und Wohlstand den Sacharow-Preis erhalten.  

Umstrittene Abstimmung im EU-Parlament 

Die Entscheidung über die Auszeichnung war im EU-Parlament umstritten. In der Endauswahl befanden sich neben den von der EVP und EKR nominierten venezolanischen Oppositionsführern auch die von S&D und Renew nominierten Organisationen “Women wage Peace” und “Women of the Sun” aus Israel und Palästina. Ebenfalls in der Auswahl stand der aserbaidschanische Klimaaktivist Gubad Ibadoghlu, den die Grünen nominiert hatten.  

Letztlich konnte sich die EVP in der Abstimmung mit ihren Kandidaten durchsetzen. Doch die proeuropäischen Fraktionen S&D, Renew und Grüne werfen dem EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber Absprachen mit rechtsradikalen Fraktionen vor: Wegen des Menschenrechtspreises hätte er mit der polnischen PiS und dem französischen Rassemblement National kooperiert. Tesla-Gründer Elon Musk, Kandidat der rechtsradikalen Fraktionen PfE und ESN, hatte es nicht in die finale Runde geschafft. ag 

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Europaparlament fordert erstmals Mindestsicherung

Das Europaparlament spricht sich erstmals für eine Mindestsicherungsrichtlinie aus. Ein entsprechender Passus findet sich in der Stellungnahme des Parlaments zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien der Mitgliedsländer. Das Parlament hat diese Stellungnahme am Mittwoch verabschiedet.

Auch weitere Punkte stechen heraus: Die Empfehlung des Parlaments zu den Rentensystemen geht etwa deutlich über den Vorschlag der Kommission hinaus. Gefordert wird, dass die Staaten ihre Rentensysteme armutsfest ausgestalten. Zum Thema Elternzeit heißt es, Staaten sollten diese Zeit sowohl für Männer als auch Frauen so bemessen, dass keine negativen Auswirkungen für die Altersbezüge entstehen. Das Parlament hat bei den beschäftigungspolitischen Leitlinien allerdings nur ein Konsultationsrecht.

Rückenwind für Arbeit und Soziales

Für die zuständige S&D-Schattenberichterstatterin Klára Dobrev steht ohnehin etwas anderes im Fokus. Sie sieht in der inhaltlich weitreichenden Stellungnahme des Parlaments Rückenwind für die kommende Legislatur im Bereich Arbeit und Soziales: “Egal ob es um die Verhandlungen zur Kohäsionspolitik und Mittel für bezahlbaren Wohnraum geht, oder die Reform der Beschaffungsrichtlinie, wir werden dieses starke Votum mitnehmen.”

Gemäß den EU-Verträgen müssen die Mitgliedstaaten ihre Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik im Rat miteinander abstimmen. Entsprechend nimmt der Rat beschäftigungspolitische Leitlinien an, die etwa in den länderspezifischen Empfehlungen berücksichtigt werden. Das Parlament wird zu den Leitlinien auf Basis des Kommissionsvorschlags konsultiert. lei

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  • Sozialpolitik

Plastikabkommen: Ministerkonferenz in Cali soll Impulse setzen

Am kommenden Montag wird auf der Weltnaturschutzkonferenz in Cali, Kolumbien, ein informelles Ministertreffen tagen, “um Impulse für das UN-Plastikabkommen zu setzen”, sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums zu Table.Briefings. Dies soll den Verhandlungen Schwung verschaffen, die Ende November in Busan, Südkorea, in die letzte Runde gehen. Die bereits seit zwei Jahren laufenden Gespräche gestalten sich bislang äußerst schwierig

Zwar gibt es ein Mandat der Weltumweltkonferenz (UNEA) für einen rechtlich bindenden Vertrag gegen die Verschmutzung von Umwelt und Meeren durch Kunststoffe. Doch was das Abkommen regeln soll, darin unterscheiden sich die Positionen teils enorm. Eine High Ambition Coalition (HAC), zu der neben 65 Staaten auch Deutschland gehört, setzt sich dafür ein, den gesamten Lebenszyklus zu berücksichtigen. Andere Staaten, vor allem solche mit großer Fossil-Industrie, versuchen den Fokus auf Recycling zu lenken. Laut der Scientists’ Coalition for an Effective Plastics Treaty braucht es aber Ziele für weniger Neukunststoffe – also Produktionsgrenzen. Anders würde die Verschmutzung der Umwelt durch Kunststoffe nicht wirksam eingedämmt. 

Hoffnungen, dass es in Busan doch gelingt, einem ambitionierten Abkommen näherzukommen, haben Beobachter wegen eines Positionswechsels der USA. Die USA etwa haben im August verlauten lassen, dass sie gemeinsame Regeln zur Reduzierung von neuem Plastik unterstützen wollen. Zudem signalisierten sie Unterstützung für einheitliche Regeln zu vermeidbaren Plastikprodukten und schädlichen Chemikalien. Letztere waren bei den Fachtreffen zwischen den Verhandlungsrunden im August in Bangkok, Thailand, Thema. Laut Contexte habe es dabei erstmals Gespräche zwischen China, Indien, Brasilien, den USA und der HAC gegeben. 

Laut OECD hat sich die Menge an produzierten Kunststoffen von 2000 bis 2019 auf 460 Millionen Tonnen verdoppelt. Bis 2060 erwartet die Organisation fast eine Verdreifachung. Gleichzeitig werde der Anteil an recyceltem Kunststoff nur etwa von neun auf 17 Prozent steigen. nh 

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Must-Reads

Karlsruhe: Umweltverband geht gegen Ampel vor – ZDF heute 
Die Umweltschutzorganisation BUND will die Bundesregierung durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu einer umfassenden Gesetzgebung für den Schutz von Natur und Artenvielfalt zwingen. Diese müsse “einen sofortigen Stopp des Biodiversitätsverlusts und koordinierte Schritte zur Wiederherstellung von biologischer Vielfalt” vorsehen. Laut BUND ist die am Dienstagabend eingereichte Klage die weltweit erste dieser Art vor einem obersten Gericht. Zum Artikel 

EU sagt Temu und Shein den Kampf an – Süddeutsche Zeitung 
Chinas Billighändler überschwemmten die EU mit gefährlichen Produkten und pfiffen auf Zollvorgaben, schreibt Jan Diesteldorf. Rund vier Milliarden Pakete bekämen Europäer geliefert, 80 Prozent davon stammten aus China. Viele Produkte seien mit Chemikalien verseucht. Die Grüne-Abgeordnete Anna Cavazzini hat nun einen Zwölf-Punkte-Plan vorgelegt. Demnach sollen die Plattformen unter anderem haften und Waren stichprobenartig auf Sicherheitsrisiken untersuchen.  Zum Artikel 

Vinted sammelt 340 Millionen Euro von neuen Investoren ein – Handelsblatt 
Das Start-up aus Vilnius will seine Flohmarkt-App für Bekleidung zur führenden Secondhand-Plattform ausbauen, schreibt Florian Kolf. Dafür erhält es Unterstützung von Finanzinvestoren unter der Führung des Vermögensverwalters TPG, die Anteile an Vinted gekauft haben. Der Deal zeigt: Immer mehr internationale Investoren sind überzeugt, dass der Onlinehandel mit gebrauchten Waren vor dem Durchbruch steht. Zum Artikel 

Ende des Freihandels: Der Abschied vom Weltauto – FAZ 
Das Kräftemessen zwischen den Großmächten USA und China werde für die Autoindustrie “zu einer der größten Belastungen, seit Henry Ford das Auto via Fließbandfertigung zur Massenware machte”. Das schreiben Christian Müßgens, Henning Peitsmeier, Gustav Theile und Benjamin Wagener mit Blick auf den globalen Automobilmarkt. Ihr Fazit: An die Stelle von Freihandel tritt Hegemonie und Autohersteller sind gezwungen, ihre Lieferketten zu regionalisieren. Die Leidtragenden dürften die Autofahrer sein. Denn die abnehmende globale Arbeitsteilung treibt die Entwicklungskosten in die Höhe. Zum Artikel 

“Die Mehrkosten für ein Auto mit grünem Stahl: Der Preis eines Schiebedachs” – Süddeutsche Zeitung 
Salzgitter-Chef Gunnar Groebler setzt trotz wirtschaftlicher Probleme auf klimafreundlichen Stahl. Was er von der Bundesregierung erwartet, erklärt er im Gespräch mit Fabian Löhe. Notwendig seien “international marktfähige Energiekosten”, ein “wirksamer Schutz vor unfairem Wettbewerb” und die “Etablierung von grünen Leitmärkten in der Übergangszeit”.  Ansonsten werde die “deutsche Stahlindustrie fundamental infrage gestellt”. Zum Artikel 

E-Autos am Straßenrand aufladen: Ein Start-up will Ladesäulen mit Strom von Hauseigentümern versorgen – NZZ 
Der zügige Ausbau der Ladeinfrastruktur ist ein entscheidender Faktor für die Mobilitätswende. Doch vielerorts geht es viel zu langsam voran. Das Unternehmen Itselectric will das ändern, berichtet Fabian Hoberg. Die Idee des Start-ups aus den USA: Zum Laden werden einfach die Stromanschlüsse von Privathäusern genutzt. Aufgetankt wird an der Bordsteinkante. Die nötige Infrastruktur und die Abwicklung übernimmt Itselectric. Die Hausbesitzer werden am Geschäft beteiligt. Bis zu 1.000 Dollar pro Jahr seien möglich, heißt es. Zum Artikel 

Changing the DNA of Living Things to Fight Climate Change – The New York Times 
Die Herstellung, der Transport und die Anwendung von Kunstdünger sind weltweit für Treibhausgasemissionen von rund einer Milliarde Tonnen Kohlendioxid pro Jahr verantwortlich – mehr als die Emissionen aller Kohlekraftwerke in den USA. Um den Düngemittelbedarf zu senken, hat die kalifornische Firma Pivot Bio Bakterien gentechnisch verändert, wie Eric Lipton berichtet. So können rund 20 Prozent des sonst benötigten Düngers eingespart werden. Doch Umweltschützer sind besorgt, welche Gefahren davon ausgehen könnten. Zum Artikel

Standpunkt

Debatte um Lieferkettengesetz: “Mit der Zukunft zockt man nicht”

Von Gundula Ullah
Gundula Ullah ist seit 2021 bei der FUNKE Mediengruppe für Nachhaltigkeit zuständig.

Was durfte sich das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) seit seiner Geburtsstunde am 3. März 2021 im seinerzeit von Peter Altmaier (CDU) geführten Wirtschaftsministerium nicht schon alles anhören: “Bürokratiemonster”, mit der “Kettensäge” müsse man es “wegbolzen”, weg müsse es – noch dieses Jahr. 

Aber war die große Idee hinter diesem Gesetz nicht einmal, dass Unternehmen sich – aufgrund mangelnder eigener Selbstverpflichtung – endlich ehrlich machen sollten? Ehrlich machen, dass Deutschland als Handelsweltmeister oft gar nicht genau wusste, wie verflochten und wenig nachvollziehbar die eigenen Wertschöpfungsketten waren? Ehrlich fragen, ob die schönen, im Globalen Süden günstig zugekauften Komponenten für die Industrieprodukte nicht auf Kosten der dort arbeitenden Menschen gegangen sind? 

Ein “abgesägtes” LkSG wäre ein Bauernopfer 

Und vielleicht könnte man vermuten, dass das heutige LkSG ja auch dazu diente, als Präzedenzfall für die kommende nicht-finanzielle europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung zu fungieren – um Deutschland dahingehend ein paar Bonuspunkte im Gesetzgebungsprozess beim EU Green Deal zu verschaffen. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt! 

Das Konstrukt der von der EU entwickelten nicht-finanziellen Berichterstattung wurde erfreulicherweise verzahnt gedacht, sodass die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) idealerweise auf die Anforderungen der CSRD im Kapitel S2 (Beschäftigte in der Wertschöpfungskette) einzahlt. Die Umsetzung der CSRD in lokale Gesetzgebung befindet sich gerade in der Umsetzung durch das Bundesjustizministerium. Gleichzeitig muss die CSDDD, die die EU im Sommer 2024 verabschiedet hat, bis spätestens Sommer 2026 in nationales Recht übersetzt werden. 

Daher erscheint ein “Absägen” des LkSG noch dieses Jahr mit Blick auf kommende Regulierung nicht nur paradox, sondern vielmehr als ein Bauernopfer im großen Schachspiel rund um Wählerstimmen. Denn laut einer Umfrage der IHK in Düsseldorf aus dem August 2024 haben viele Unternehmen zwar Herausforderungen in der Umsetzung und im bürokratischen Aufwand. Als das größte Risiko wird aber mit 67 Prozent die Komplexität der Lieferketten genannt. Gleichzeitig haben bereits 67 Prozent aller teilnehmenden Unternehmen die Anforderungen des Gesetzes umgesetzt. Und der große Wurf, die CSRD und die CSDDD, wird kommen. 

LkSG als Chance, um die Lieferketten auf den Prüfstand zu stellen 

Wir, als FUNKE, haben uns das Ziel gesetzt, Qualitätsjournalismus auch für künftige Generationen zu sichern. Immer getreu unserer Vision: Journalismus für eine offene, informierte Gesellschaft. Das bedeutet auch, dass wir uns als Unternehmen ehrlich machen müssen mit Blick auf unsere Produkte, unsere Prozesse, aber auch unsere Strategie zu noch mehr Nachhaltigkeit.

Wir haben die neuen regulatorischen Anforderungen, und ja, auch das LkSG, daher als Chance gesehen, unsere Lieferketten auf den Prüfstand zu stellen. In Bezug auf Menschenrechte, aber auch den Umweltfußabdruck. Da die Umsetzung von komplexen gesetzlichen Anforderungen in einem Unternehmensumfeld Zeit und Aufwand bedeuten, haben wir vor zwei Jahren in eine digitale Lösung investiert. Damit monitoren wir unsere wesentlichen Lieferanten und haben uns crossfunktional auf die BAFA-Berichterstattung vorbereitet. 

Die CSRD würde das Thema ohnehin wieder auf den Tisch bringen 

Die laufenden Debatten, Anträge und Änderungen im Berichtsprozess rund um das LkSG erscheinen mithin erratisch und eher durch diejenigen getrieben, die die Zeichen der Zukunft und die Anforderungen der nächsten Generation unter dem Schlagwort “Bürokratie” begraben wollen. Zur gleichen Zeit gibt es viele lokale unternehmerische Champions, die das Gesetz bereits pragmatisch und mit überschaubarem Aufwand in die Praxis überführt haben. Sie finden leider wenig Gehör im allgemeinen Getöse. 

Und selbst wenn das LkSG einer interessensgetriebenen Kettensäge zum Opfer fällt, wird die nicht-finanzielle Berichterstattung gemäß der CSRD das Thema wieder aufs Tableau bringen. Karl aus der Kiste lässt grüßen. FUNKE berichtet heute schon in Anlehnung an die CSRD und wird auch den LkSG-Berichtspflichten nachkommen – eben weil wir es im Rahmen der CSRD sowieso machen müssen. Unser Investment ist daher nicht verschenkt. Es wird uns helfen, den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden und diese effizient zu erfüllen. 

Bürokratieabbau: Dort optimieren, wo es wirklich nötig ist 

Und ja, auch wir haben unter den Anforderungen geächzt und uns manchmal gefragt, inwieweit die unternehmerische Praxis im Gesetzgebungsprozess überhaupt Eingang gefunden hat. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die industriellen Interessensvertretungen ihrer “Übersetzungsarbeit” in Richtung Brüssel nachgekommen sind. Ein Paradebeispiel hierfür ist die EU-Anti-Entwaldungsverordnung (EUDR). Sie scheint fern jeder unternehmerischen Praxis, insbesondere für das schnell getaktete Verlagsgeschäft mit seinen Printprodukten. 

Wir befürworten daher die vom Wirtschaftsministerium am 22. Oktober 2024 vorgestellten Praxis-Checks zu mehr Bürokratie-Abbau. Wichtig dabei wäre, das Feedback der Basis, also von den Unternehmen selbst, einzuholen. So werden dort die Optimierungshebel angelegt, wo sie benötigt werden: Man denke an die Erarbeitung von sektorspezifischen Standards in der CSRD oder aber auch Entlastungen bei Reportingpflichten rund um die EUDR – oder auch Ideen für eine bessere digitale Verzahnung. Ein branchenspezifischer Dialog zwischen Politik und Wirtschaft wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. 

Mit der Zukunft zockt man nicht, Zukunft gestaltet man und wir bei FUNKE sehen es als unsere Aufgabe, genau diesen Gestaltungsspielraum rund um das Thema Nachhaltigkeit wahrzunehmen, redaktionell und innerhalb des Unternehmens. Es ist Zeit, die Weichen richtigzustellen und Nachhaltigkeit als Chance zu begreifen, anstatt sie als bürokratisches Hindernis abzutun.

Gundula Ullah leitet bei der FUNKE Mediengruppe die Abteilungen Einkauf und Nachhaltigkeit. Seit ihrem Einstieg im Jahr 2019 hat sie unter anderem ein Risikomanagementsystem für Lieferketten und ein Berichtswesen für die CO₂-Emissionen des Unternehmens entwickelt sowie den ersten Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns verantwortet. Nachhaltigkeitschefin ist sie seit 2021. Zudem sitzt sie dem Vorstand des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik vor.

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Umweltpreisträger Thomas Speidel: “Elektrische Energie ist die Währung der Zukunft”

Thomas Speidel, Ingenieur und Geschäftsführer der Nürtinger Firma ADS-TEC Energy, wird am 27.10.2024 als Wegbereiter “für Klimaschutz und eine umfassende Energiewende” mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet. 

Thomas Speidel ist so etwas wie der schwäbische Daniel Düsentrieb der Batterie- und Ladetechnik. Mehr als 60 deutsche und internationale Patentanmeldungen gehen auf das Konto des 57-jährigen Diplomingenieurs der Elektrotechnik, vor allem in den Bereichen Batterietechnik, Speicherlösungen und Schnellladestationen für Elektroautos. Seit 2016 ist der Erfinder und Unternehmer auch Präsident des Bundesverbands Energiespeicher Systeme (BVES). 

Den Grundstein dafür haben sein Vater Hans-Hermann Speidel und dessen Geschäftspartner Herrmann Fritz vor über 40 Jahren in einer Garage in Ostfildern-Ruit bei Stuttgart gelegt. Das Markenzeichen ihrer Firma Fritz Electronic war der Schaltschrankbau, innovative Steuerungstechnik und Datensysteme für die Produktion, später ganze Anlagen. Hauptkunden waren die Automobilhersteller der Region. 

Speidel steigt nach seinem Studium ins Familienunternehmen ein. Da hieß es bereits ADS-TEC, die Kurzform für “Advanced System Technology”. Später übernimmt er gemeinsam mit seinem Bruder die Leitung.

Von der Verbrennertechnik zum Pionier der Mobilitätswende 

Als “richtig harten Cut” beschreibt er die um das Jahr 2010 herum getroffene Entscheidung, das Unternehmen grundlegend neu auszurichten. In dieser Phase habe er gelernt, das Alte loszulassen, sagt Speidel. “Sonst zerreißt es einen.” Dabei geholfen habe ihm sein Credo “Go for it!”. 

Die ADS-TEC wird zur Holding, die Datentechnik zur eigenständigen Tochterfirma ADS-TEC Industrial IT. Der Bereich Verbrennertechnik wird hingegen aufgegeben. Stattdessen wird die ADS-TEC Energy aus der Taufe gehoben. Die Entwicklung von Speicher- und Ladesystemen für die Elektromobilität wird zum zentralen Geschäftsfeld – und Speidel zum Pionier der Mobilitätswende. 

Multifunktionale Ladesäulen: “Wie ein Schweizer Taschenmesser” 

Für zwei seiner Entwicklungen, die Schnellladesäulen Charge Box und Charge Post, erhält Speidel am Sonntag den Deutschen Umweltpreis 2024 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Zugleich werde damit die erfolgreiche Transformation des Familienunternehmens “von einer Zulieferfirma für Verbrennermotoren zu einem Innovationstreiber für Energiewende und Elektromobilität” gewürdigt, so BDU-Generalsekretär Alexander Bonde. 

Die beiden von der DBU ausgezeichneten Schnellladesäulen funktionieren nicht nur etwas anders als marktübliche Modelle, sie können auch mehr. “Die batteriegepufferten Hochleistungssysteme sind Multitools der Energiewende, sie fungieren wie ein Schweizer Taschenmesser“, sagt Speidel. 

Schnelles Laden unabhängig vom Netzausbau 

Da ist zum einen die Lithium-Ionen-Batterie mit einer Kapazität von 140 beziehungsweise 201 Kilowattstunden, die in den Ladesäulen verbaut ist. Während leistungsstarke Ladestationen in der Regel direkt aus dem Mittelspannungsnetz mit 10.000 oder 20.000 Volt gespeist werden, lässt sich die Batterie aus dem flächendeckend vorhandenen Niederspannungsnetz mit 230 und 400 Volt laden. 

So können Charge Box und Charge Post langsam Strom aus dem Niederspannungsnetz ziehen, ohne das Netz zu überlasten. Den Strom speichern sie in der Batterie und können dann in Minutenschnelle ein Fahrzeug betanken. “Wie beim WC-Spülkasten – langsam Wasser füllen, rasch abgeben”, erklärt Speidel. Für den Hochlauf der Elektromobilität ist die Technologie ein großer Vorteil. Denn so lässt sich die Ladeinfrastruktur ausbauen, auch wenn der Netzausbau auf sich warten lässt.

Die Schnelladesäulen können auch das Netz stabilisieren 

Doch seine Ladesäulen können nicht nur Elektroautos betanken, sagt Speidel. “Mit einer einzigen Investition kann ressourcenschonend mehr für das Energiesystem der Zukunft erreicht werden.” Dazu zählt er die Vermeidung von Netzausbau, die Stabilisierung überlasteter Netze durch Rückspeisung aus den Batteriespeichern und die Integration lokaler Photovoltaik-Erzeugung. Selbst der Einsatz als digitale Litfaßsäule sei möglich. “Wir haben große Werbepanels beim Charge Post eingebaut, 75 Zoll [ca. 2 m] groß, richtige Billboards”, sagt er. 

Speichersysteme können Türöffner für Energieversorgung von morgen sein 

Beim Blick in die Zukunft ist für Speidel die Sektorenkopplung das Zauberwort, also die Verbindung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität in integrierten Systemen. “Elektrische Energie ist die Währung der Zukunft – für Gas, Licht, Mobilität, Wärme, Wasserstoff.” Speichersysteme könnten dafür ein Türöffner sein. Das klappe “allerdings nur bei zügigerer Genehmigung von Ladesäulen und weniger formaler Hürden bei der Sektorenkopplung”, sagt er in Richtung Politik und Verwaltung.

Speidels Herangehen hat offensichtlich auch die Jury überzeugt, die ihn ausdrücklich “für seinen strategischen Weitblick und die dafür notwendige unternehmerische Risikobereitschaft” ausgezeichnet hat. “Für mehr Elektromobilität, Klimaschutz und eine umfassende Energiewende sind Innovationen wie von ADS-TEC Energy sprichwörtlich echte Wegbereiter”, konstatiert BDU-Generalsekretär Bonde. Carsten Hübner

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ESG.Table Redaktion

ESG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Debatte über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hält an. Am Donnerstag plädierten Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze und die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB, Yasmin Fahimi, für eine Weiterentwicklung des Gesetzes, “die dessen Stärken erhält und es zugleich verständlicher und praktikabler macht”. Sie fordern für Betroffene einen effektiven Zugang zu den Bestimmungen, damit die im Europarecht vorgesehene neue zivilrechtliche Haftung auch wirken könne. Wichtig sei es, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) als zuständige Kontrollbehörde zu erhalten. “Ein Aussetzen des deutschen Gesetzes im Übergang zu den neuen europaweiten Regeln sei keine gute Option.”  

    Dies steht derzeit im Raum, nachdem Kanzler Olaf Scholz und zuvor Vizekanzler Robert Habeck das LkSG heftig attackiert hatten. Beide halten herzlich wenig von dem Gesetz, hört man in den Reihen von SPD und Grünen. Während in Kanzleramt und Wirtschaftsministerium Unterstützung für das Gesetz bröckelt, muss das Haus von Arbeitsminister Hubertus Heil nun eine Lösung finden, die die Koalition zusammenhält – und die Kahlschlagsfantasien auffängt, die Scholz und Habeck in Teilen der Wirtschaft erzeugt haben. 

    Wenig Gehör finden dieser Tage Akteure, die für den Erhalt des LkSG werben, weil sie es als Gewinn für die deutsche Wirtschaft erachten. Dazu zählt die Wissenschaftlerin und Expertin für nachhaltige Lieferketten Lisa Fröhlich. “Das Gesetz ist ein echter Wettbewerbsvorteil für hiesige Unternehmen”, sagt sie im Interview mit mir und rückt einiges an falschen Narrativen über das Gesetz zurecht. Die Nachhaltigkeitschefin der Funke Mediengruppe, Gundula Ullah, erinnert in ihrem Standpunkt daran, warum die Bundesregierung das LkSG verabschiedet hat und welche Chancen es bietet.

    Ihr
    Caspar Dohmen
    Bild von Caspar  Dohmen

    Interview

    Lieferketten: “Das Gesetz ist ein echter Wettbewerbsvorteil”

    Wissenschaftlerin Lisa Fröhlich: “Ein Großteil der Unternehmen analysiert seine Lieferketten nicht ausreichend.”

    Gefährdet das Lieferkettengesetz die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen? 
    Im Gegenteil. Dank des nationalen Lieferkettengesetzes sind Unternehmen in Deutschland weiter als anderswo. Das Gesetz ist ein echter Wettbewerbsvorteil für hiesige Unternehmen. Denn so müssen sich Unternehmen mit ihren Lieferketten beschäftigen – das ist notwendig. Denn nur wer seine Lieferketten kennt, kann auch seinen Impact bestimmen und beeinflussen. Das gilt für CO₂-Emissionen genauso wie für Menschenrechte in der Lieferkette. Die Politik sollte endlich die Finger von dem Gesetz lassen. 

    Den Gefallen scheint Sie ihnen nicht zu tun. Erst wollte Robert Habeck die Kettensäge ansetzen. Nun sagt Kanzler Olaf Scholz, die Regierung mache es bis Weihnachten “weg”. Sie trainieren Einkäufer von Unternehmen mit Blick auf die Lieferketten. Wie wirken sich solche politischen Äußerungen aus?  
    Einkäufer sagen sich, dann müssen wir erst mal nichts mehr tun. Das ist fatal, weil die Einkäufer in Unternehmen zentral dafür sind, sich das Wissen über Lieferketten zu beschaffen.  

    Wirtschaftsverbände wie der BDA kritisieren den Aufwand für die Berichte bei Lieferkettenregulierungen bei der CSRD. Zu Recht?  
    Gerade viele KMUs betreiben einen hohen Aufwand, der aber unnötig ist. Zwei Dinge laufen beim CSRD-Reporting falsch. Erstens wird viel zu viel über Datenpunkte geredet. Das tun gerade auch die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, bei denen viele KMUs Rat suchen. In der Folge berichten KMUs unnötig viel.  

    Was würde ausreichen? 
    Als Mittelständler muss ich nicht über 1.000 Punkte berichten, sondern im Schnitt allenfalls über 100 Punkte. Außerdem sind zwei Drittel dieser Angaben rein narrativ. Es reicht, wenn sich ein Mitarbeiter hinsetzt und aufschreibt, was das Unternehmen getan hat. Etwa bei der Erstellung eines Business Conduct, bei der nachhaltigen Lieferantenbewertung oder dem Aufbau von Stakeholder-Dialogen. Dafür braucht man keine Beratung durch Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensberater. Nur für ein Drittel der Datenpunkte müssen KMUs tatsächlich konkrete Daten oder KPIs vorlegen. Das bezieht sich auf den ESRS E1 und S1 Standard, und dazu haben die meisten Unternehmen sowieso ausreichend Datenmaterial. 

    Woher bekommen sie diese Daten?  
    Vor allem von ihren Einkäufern. Ich sehe niemand sonst – auch keine speziellen Softwareanbieter von ESG-Daten, die wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Unternehmen müssen ihre strategische Beschaffung einbeziehen. Aber viele machen das nicht oder unzureichend. Dabei können Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen der doppelten Wesentlichkeit nur erfüllen, wenn sie ihre Lieferanten mit einbeziehen.  

    Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht von einer Rückkehr zum Ordnungsrecht in den Lieferketten und einem Wegfall der Berichtspflichten. Macht das Sinn? 
    Ich verstehe die ganze öffentliche Diskussion mit Fokus auf Berichtspflichten nicht. Die Berichtspflichten sind doch gar nicht das eigentliche Problem. Wozu haben wir denn Künstliche Intelligenz? Den Bericht schreibt man in einer Woche, wenn man die Daten zusammen hat. Wie will man denn ohne diese Informationen herausfinden, ob ein Unternehmen gegen Menschenrechte verstößt? Die Informationen der Lieferanten sind elementar, um die Verhältnisse in den Lieferketten zu beurteilen. Diese Informationen verlangen auch Investoren.  

    Was ist der Kern der Berichtspflichten?  
    Berichtspflichten sind doch nichts anderes als Richtlinien für ein Unternehmen, um ihre Lieferkette nachhaltiger, und damit robuster, aufzustellen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Warum begreifen wir das LkSG nicht endlich als Wettbewerbsvorteil, was es auch ist? Die CSDDD folgt genau der gleichen Logik wie das LkSG, nur erweitert um Umweltthemen. Aber die sollte man als Unternehmen ohnehin auf der Agenda haben. Und wenn ich lieferkettengesetzeskonform bin, habe ich wahrscheinlich um die 80 Prozent der CSRD fertig und umgekehrt. Es gibt keine Notwendigkeit, da mehrmals zu reporten.  

    Gibt es Unternehmen, die ihre Lieferketten beispielhaft transparent machen? 
    Nehmen Sie das dänische Energieunternehmen Orsted. Es hat seine komplette Lieferkette in ein übersichtliches Bild gebracht. Das habe ich sonst noch nirgendwo gesehen. Das Unternehmen zeigt seinen positiven und negativen Impact auf, mitsamt den fünf Hauptrisiken, die es identifiziert hat. Bei einem unserer Trainings haben Unternehmen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt: Mein Gott, wie kriegen wir denn so was bloß hin? Und sie sind nervös geworden.  

    Was ist so schwer? 
    Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Berichte der verschiedenen Niederlassungen eines Unternehmens in einem CSRD-Bericht zusammenzufassen. Tatsächlich führen oft die Niederlassungen des gleichen Unternehmens unterschiedliche Risikoanalysen durch.  

    Sollte man hier nicht methodisch ähnlich vorgeben
    Ja, schließlich sind am Ende des Tages alle Tochterunternehmen Teil der Lieferketten eines Unternehmens. Und wenn man ein gemeinsames Verständnis einer Lieferkette erarbeitet hat, wie kann man dann völlig unterschiedliche Risikodaten bearbeiten? Das zeigt doch wieder, dass ein Großteil der Unternehmen seine Lieferketten nicht ausreichend analysiert. Aber niemand muss nervös sein, denwie n es handelt sich um Due-Diligence-Gesetze. Es geht nicht um Bestrafung, sondern eine verantwortliche Handhabung von Risiken. Das größte Risiko für Unternehmen ist ein Imageverlust. Vor Geldstrafen braucht sich niemand zu fürchten.  

    Sie sprechen mit Einkäufern aus verschiedenen Ländern – ist die Stimmung anderswo besser gegenüber Lieferkettenregulierung und Berichtspflichten? 
    Die nordeuropäischen Unternehmen gehen viel pragmatischer damit um. Zuletzt habe ich dies bei einem Austausch in Schweden erlebt. Bei dem Treffen haben die Vertreter von Unternehmen nur positiv und konstruktiv diskutiert. Wenn ihnen einige Daten für die Berichterstattung fehlen, sagen sie, dann ist es so, davon stirbt ja niemand. Das ist ja kein Bilanzbericht, wo man keine Fehler machen darf, weil man sonst wegen Betruges angeklagt werden kann. Die nordeuropäischen Länder kämpfen ja schon deutlich länger mit Auswirkungen des Klimawandels, und erkennen damit natürlich auch aktuell schon die ersten Verbesserungen. Dass etwa eine integrierte Nachhaltigkeitsstrategie zu deutlich geringerem CO₂-Ausstoß führt und damit Kosten spart. Bei uns wird nur auf die Politik geschimpft, sich zurückgelehnt und die Verantwortung weggeschoben. Mit dieser Haltung steht Deutschland in der EU aber ziemlich alleine da.

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    Analyse

    Norwegen: Wie die Energiewende mit Menschenrechten kollidiert

    Die Rentierhaltung gehört zur Tradition der Sámi, doch die Energiewende gefährdet diese.

    Europäische Unternehmen investieren gerne in Windenergieprojekte in Norwegen. Das größte Projekt mit sechs Windkraftwerken befindet sich auf der Halbinsel Fosen. Doch hier gibt es Streit. Denn bei zwei der Anlagen werden die Menschenrechte der indigenen Sámi verletzt, die dort Rentiere züchten. Während die Sámi noch auf Ersatzweidegründe warten, prüft die Nordic Wind, die im Besitz einer Schweizer Energiegesellschaft ist, schon den Bau weiterer Anlagen auf der Halbinsel Indre Fosen.  

    Bis 2024 wurden in Norwegen 65 Windenergieparks mit 1.392 Turbinen und einer Gesamtleistung von 16.923 Gigawattstunden realisiert. Weitere entstehen. Doch dem Ausbau kommt in manchen Gebieten der Konflikt zwischen Konzession und den Weidegebieten der Rentiere in die Quere. Exemplarisch dafür ist der Fosen Fall. Er hat den norwegischen Landnutzungskonflikt zwischen Sámi und Staat auf eine neue Ebene gehoben und könnte sich auf andere Projekte mit deutscher Beteiligung auswirken. Hier zeigt sich: Selbst in Europa ist es schwierig, die gesamtgesellschaftlichen Interessen eines Ausbaus regenerativer Energie mit den sozialen und ökonomischen Interessen der Betroffenen einer Region auszubalancieren. 

    Darum geht es im Fall Fosen 

    Für die Halbinsel Fosen wurden 2013 zwei Windkraftwerke auf Rentierweiden der Sámi genehmigt: der Roan-Windpark mit 71 Windturbinen (255,6 Gigawatt) sowie der Storheia-Windpark (288 Gigawatt). Roan ging 2019 in Betrieb und Storheia 2021. Konzession, Expropriationserlaubnis und Vorabgenehmigung für den Bau hatte der norwegische Betreiber Fosen Vind DA. 

    2013 klagten die Rentierzüchter erfolglos gegen die Genehmigungen. Sie wurden enteignet. Es folgten langwierige Verfahren um die Höhe der Entschädigung. Die Sámi ließen gleichzeitig die Rechtmäßigkeit der Konzession prüfen. 2018 sprach das Bezirksgericht Inntroendelag den Rentierzüchtern 19,6 Millionen Norwegische Kronen zu, umgerechnet rund 1,7 Millionen Euro. Das Berufungsgericht erhöhte die Summe auf 90 Millionen Kronen, rund 7,6 Millionen Euro. 

    Doch dabei blieb es nicht. 2021 urteilte der Oberste Gerichtshof Norwegens, dass schon die Konzessionsvergabe von 2013 ungültig war. Sie verstieß gegen Artikel 27 des UN-Zivilpaktes und damit gegen die Menschenrechte der Sámi auf Ausübung ihrer Kultur. Das Urteil weckte zunächst hohe Erwartungen bei den Sámi, aber es folgte nichts.  

    2023 demonstrierten daher junge Sámi in Norwegen gegen die Regierung und besetzten vier Tage lang das Energieministerium. Sie verlangten vom Staat, endlich die Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Dazu forderten sie den Rückbau der Anlagen. Im Winter 2023 und Frühjahr 2024 einigten sich die Rentierzüchter mit Fosen Vind DA und Nordic Wind auf neue Entschädigungssummen. Der Staat versprach die Zuweisung alternativer Gebiete – hat sie bislang aber noch nicht bereitgestellt. 

    Norwegens Regierung gelobt Besserung 

    Norwegens Regierung, die auch in Weidegebieten der Rentiere auf den weiteren Ausbau der Windenergie setzt, will Lehren aus dem Fall ziehen. Elisabeth Sӕther, Staatssekretärin im Energieministerium, sagte Table.Briefings: Der Fall sei sehr speziell und “wahrscheinlich kein Präzedenzfall, was die Höhe der finanziellen Entschädigung oder die zusätzliche Weidefläche angeht”. Gleichzeitig müsse man  “als Staat aber auch aus dem Fall Fosen lernen”. Es sei wichtig, gute Lizenzen mit guten Verfahren und einer besseren Wissensbasis zu erstellen. 

    Mehr Wissen über internationale Normen wäre hilfreich. Schließlich hatten sich die meisten Projektentwickler, Investmentfonds und Windkraftwerkbetreiber schon vor dem Fosen-Urteil von 2021 zu UN-Menschenrechts-Richtlinien verpflichtet. Und damit auch zum Schutz indigener Gewerbe im Sinne des UN Global Compact

    So auch Vestas aus Dänemark in seiner Human Rights Policy. Geliefert wurden die Vestas Windturbinen dennoch an Fosen Vind DA, obwohl der UN-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung (CERD) bereits 2018 einen Projektstopp für Fosen bis zur Klärung der Rechtslage gefordert hatte. 

    Fosen Vind DA ist ein Projektdienstleister unter dem Dach des norwegischen Staatskonzerns Statkraft. Zwar bekennt man sich dort klar zu den Menschenrechten, ignorierte aber dennoch die UN-Aufforderung von 2018 und begann mit dem Bau der beiden Windkraftwerke. Kim Larsen, CEO von Fosen Vind DA, sagte Table.Briefings zur Rechtauffassung des Norwegischen Gerichtshofes: Das Gericht habe entschieden, “die Lizenz ist ungültig, ein Verstoß gegen den Artikel 27”. Aber der Gerichtshof habe nicht gesagt, was daraus folgen soll. “Es sagte, dass der Staat, der für die Lizenz verantwortlich ist, Maßnahmen ergreifen muss, um herauszufinden, wie wir mit dieser Situation umgehen können.” 

    Der Fall Øyfjellet

    Der Fosen Case könnte sich auf ähnliche Konflikte in Norwegen auswirken, zum Beispiel im Rentierdistrikt Jillen Njaarke bei Mosjöen. Dort betreibt Øyfjellet Vind DA eine Windkraftanlage mit 72 Turbinen, deren Strom für zunächst 15 Jahre zum Festpreis an die Aluminiumfabrik Alcoa in Mosjöen geliefert wird.  

    Der Betreiber will indes von Überschneidungen nichts wissen. Er sieht “erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Fällen”, beharrt auf seinen Windanlagen in Mosjöen und klagt gegen die dortigen Rentierzüchter. Sie wiederum fühlen sich in der Ausübung ihrer traditionellen Rentierzucht behindert. 

    Der Anwalt Pål Gude Gudesen, der Jillen Njaarke vertritt, sagt dazu: “Der Fall Fosen ist auch für den Øyfjellet Fall eine äußerst wichtige Referenz”. Die Parallelen zwischen beiden Fällen seien “offensichtlich”. Die Rentierzüchter sind bereit, auch hier bis zum Obersten Gerichtshof zu ziehen.   

    Ein Vorgang, der auch in Deutschland genau verfolgt wird

    Denn Investor der Øyfjellet Vind DA ist die Hamburger Aquila Capital Investmentgesellschaft GmbH. Sie gehört seit 2024 mehrheitlich zur Commerzbank AG und will sich zum führendem Asset Manager für nachhaltige Anlagestrategien in Europa entwickeln. 

    In ihrem Code of Ethics bekennt sich Aquila Capital unter anderem zu den UN Guiding Principles on Business and Human Rights, dem UN Global Compact und den OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.  

    Dass es anders geht, zeigt Norwegens zweitgrößter Kapitalverwalter Storebrand. Zwei Jahre beobachte die Gesellschaft den Øyjfellet Vindpark und setzte ihn dann auf die Ausschlussliste für eigene Investments. Zur Begründung sagt der Nachhaltigkeitsverantwortliche Vemund Olsen: “Storebrand ist der Ansicht, dass das Windkraftwerk in einer Weise errichtet wurde, die die Menschenrechte der Rentierbesitzer im Jillen-Njaarke-Rentierweidegebiet verletzt.” Jane Tversted und Martin Zähringer

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    News

    Biodiversität: Viele Unternehmen kennen ihre Abhängigkeit nicht

    Nur 875 von 10.745 Unternehmen analysierten 2023 die Abhängigkeit ihres Geschäftsmodells von der Artenvielfalt, wie neue Zahlen der Non-Profit-Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) zeigen. Doch gerade einmal ein Viertel dieser Unternehmen berücksichtigt seine gesamte Wertschöpfungskette. Obwohl Geschäftsmodelle laut Fachleuten maßgeblich von intakten Ökosystemen abhängen, verzichte fast die Hälfte der untersuchten Firmen darauf, die Risiken in den kommenden zwei Jahren zu analysieren. 

    Schätzungen zufolge kostet der Verlust an Artenvielfalt die globale Wirtschaft vier bis 20 Billionen US-Dollar jährlich

    Staaten und Unternehmen müssten daher das Tempo auf der Weltnaturschutzkonferenz (COP16) erhöhen, die derzeit in Kolumbien stattfindet. Das fordert Eva Zabey, CEO der Initiative Business for Nature. “Regierungen müssen ehrgeizige Vorschriften und Maßnahmen einführen, die naturorientiertes Handeln von Unternehmen fördern.” Denn Ziel des auf der vorherigen COP beschlossenen Weltnaturschutzabkommens in Monterey ist, dass Unternehmen ihre Risiken mit Blick auf Biodiversität bewerten, offenlegen und reduzieren sollen. 

    Fortschritte attestiert das CDP den Unternehmen bei der Berichterstattung von Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit auf die Artenvielfalt. Seit Beschluss des Abkommens sei die Zahl der Unternehmen, die solche Risiken bewerten, um 20 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum hätte fast ein Viertel mehr seine Wasserabhängigkeiten berücksichtigt – was zu einer Reduktion des Verbrauchs in ähnlicher Größenordnung geführt habe. Die Offenlegung von Informationen zu Wäldern hingegen habe zwischen 2022 und 2023 stagniert. nh 

    • Biodiversität
    • Nachhaltigkeitsberichterstattung

    Beschwerdemechanismen: NGO fordert mehr Engagement von hiesigen Modefirmen in Indien

    Deutsche Modeunternehmen müssen mehr tun, um Beschwerdemechanismen in der Schuh- und Lederindustrie zu stärken – das ist das Ergebnis einer Studie der NGO Inkota. Beschäftigte in deutsch-indischen Lieferketten kennen demnach keine Beschwerdemechanismen von Auftraggebern oder Brancheninitiativen. Zudem hätte nur die Hälfte der 211 Befragten in den indischen Bundesstaaten Uttar Pradesh und Tamil Nadu gewusst, für welche Firmen sie Waren produzieren. Durchgeführt wurde die Umfrage in Betrieben, die unter anderem für Zara, Bata, Bugatti, Clarks, Deichmann, Ecco, Jack & Jones, Mango oder Xero Schuhe tätig sind. 

    Alle Auftraggeber fallen laut Inkota entweder unter das Lieferkettengesetz (LkSG) oder sind Teil der Brancheninitiativen Amfori BSCI, CADS, der Fair Wear Foundation oder dem Bündnis für nachhaltige Textilien. Laut LkSG müssen Unternehmen entweder selbst Beschwerdeverfahren einrichten, damit Beschäftigte von Zulieferern Verstößen gegen Sozialstandards melden können. Alternativ können Unternehmen bei externen Beschwerdemechanismen mitmachen.  

    Inkota: Firmen sollen Lieferketten offenlegen 

    Mit Blick auf die Ergebnisse sagte Anne Neumann, Referentin für Textillieferketten bei Inkota, zu Table.Briefings: “In der Schuhindustrie führt kein Weg daran vorbei, dass Modekonzerne ihre Lieferketten öffentlich offenlegen.” Sonst kämen die vielen informellen Beschäftigten in Indien nicht an die notwendigen Informationen. 

    Wegen der informellen Art der Beschäftigung sollten Beschwerdesysteme zudem über lokale Kontaktpersonen in Gemeinschaften verankert werden. So erreicht man auch Heimarbeiter oder Tagelöhner. Bisher misstrauen die Beschäftigten den Beschwerdemechanismen sehr. “Nur 22 Prozent glauben, dass sie sich anonym beschweren können. Gleichzeitig sind mehr als zwei Drittel der Befragten davon überzeugt, dass sie entlassen werden, wenn sie Kritik äußern. 

    Die Arbeitsbedingungen in der lederverarbeitenden Industrie in Indien sind prekär. So haben laut Inkota nur etwa sechs Prozent der Befragten einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Sie verdienten im Durchschnitt nur knapp den Mindestlohn. Ein existenzsichernder Lohn müsste jedoch dreimal so hoch sein, heißt es. nh 

    • Lieferketten
    • NGO
    • Sorgfaltspflichten

    Baumwolle: Fairer und biologischer Anbau verbraucht weniger Ressourcen

    Baumwolle hat einen großen ökologischen Fußabdruck, gerade beim Wasserverbrauch. Daher ist es wichtig zu wissen, ob Bauern durch bestimmte Anbauweisen weniger Ressourcen benötigen. Verglichen mit den Varianten “konventionell” oder “biologisch” schneidet die Kombination “biologisch und fair” besser ab. Das geht aus einer von Fairtrade India bei dem Beratungsunternehmen Global Agrisysteme in Auftrag gegebenen Studie hervor. Sie vergleicht Bauern in sechs Bundesstaaten auf dem Subkontinent. Ihre Ergebnisse: 

    • Fairtrade-Bio-Baumwolle verursacht 45 Prozent weniger Treibhausgase als nicht fair gehandelte Baumwolle (862 kg CO₂ pro Hektar im Vergleich zu 1.563 kg CO₂ pro Hektar) 
    • 96 Prozent der Landwirte, die fair und biologisch anbauen, verzichten auf den Einsatz chemischer Mittel. Unter konventionellen Bauern sind es nur 60 Prozent. 
    • Fairtrade-Bio-Baumwollfarmer verbrauchen je Kilogramm Baumwolle im Schnitt 4.410 Liter Wasser, konventionelle Farmer 5.156 Liter, also 14 Prozent mehr
    • 76 Prozent der Fairtrade-Biobauern setzen organische Düngemittel ein, die die Bodengesundheit verbessern. 

    Mit der fairen und biologischen Vorgehensweise verdienen Bauern im Schnitt auch mehr Geld. Der Unterschied zu konventionell wirtschaftenden Bauern betrage im Schnitt fünf Prozent je Tonne Saatbaumwolle (898,80 US-Dollar versus 858 US-Dollar). Entscheidend ist für die Bauern mit einer fairen und biologischen Anbauweise, welche Menge Baumwolle sie zu dem höheren Preis absetzen können. Der Faire Handel gibt keine Absatzgarantien für Bauern – sie müssen zudem Geld für die Zertifizierung zahlen. cd  

    • Bio
    • Umwelt

    Menschenrechte: Sacharow-Preis geht an Venezuelas Oppositionelle

    Das Europäische Parlament hat María Corina Machado und Edmundo González Urrutia mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet. Das gab EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Donnerstag in Straßburg bekannt. Die zwei führenden Köpfe der venezolanischen Opposition würden stellvertretend für alle Venezolaner innerhalb und außerhalb des Landes für ihren Kampf um Freiheit und Demokratie geehrt, sagte Metsola. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis gilt als höchste Auszeichnung der EU für Menschenrechte und Demokratie und wird am 18. Dezember vergeben. 

    Die Preisträger leben im Exil  

    Die 57-jährige María Corina Machado führt die Opposition gegen Venezuelas amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro an. Der autoritäre Staatschef hatte sich nach der Präsidentschaftswahl im Juli selbst zum Sieger erklärt, doch seine Wiederwahl wird von der EU, den USA und breiten Teilen der venezolanischen Opposition nicht anerkannt.

    Machado hatte zunächst selbst bei der Wahl kandidiert, musste ihre Kandidatur aber zurückziehen. An ihre Stelle war der 75-jährige Diplomat Edmundo González Urrutia getreten. Mittlerweile leben beide wegen ihrer Regierungskritik im Exil.

    Bereits 2017 hatte die demokratische Opposition in Venezuela für ihren Kampf im Einsatz für Freiheit und Wohlstand den Sacharow-Preis erhalten.  

    Umstrittene Abstimmung im EU-Parlament 

    Die Entscheidung über die Auszeichnung war im EU-Parlament umstritten. In der Endauswahl befanden sich neben den von der EVP und EKR nominierten venezolanischen Oppositionsführern auch die von S&D und Renew nominierten Organisationen “Women wage Peace” und “Women of the Sun” aus Israel und Palästina. Ebenfalls in der Auswahl stand der aserbaidschanische Klimaaktivist Gubad Ibadoghlu, den die Grünen nominiert hatten.  

    Letztlich konnte sich die EVP in der Abstimmung mit ihren Kandidaten durchsetzen. Doch die proeuropäischen Fraktionen S&D, Renew und Grüne werfen dem EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber Absprachen mit rechtsradikalen Fraktionen vor: Wegen des Menschenrechtspreises hätte er mit der polnischen PiS und dem französischen Rassemblement National kooperiert. Tesla-Gründer Elon Musk, Kandidat der rechtsradikalen Fraktionen PfE und ESN, hatte es nicht in die finale Runde geschafft. ag 

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    Europaparlament fordert erstmals Mindestsicherung

    Das Europaparlament spricht sich erstmals für eine Mindestsicherungsrichtlinie aus. Ein entsprechender Passus findet sich in der Stellungnahme des Parlaments zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien der Mitgliedsländer. Das Parlament hat diese Stellungnahme am Mittwoch verabschiedet.

    Auch weitere Punkte stechen heraus: Die Empfehlung des Parlaments zu den Rentensystemen geht etwa deutlich über den Vorschlag der Kommission hinaus. Gefordert wird, dass die Staaten ihre Rentensysteme armutsfest ausgestalten. Zum Thema Elternzeit heißt es, Staaten sollten diese Zeit sowohl für Männer als auch Frauen so bemessen, dass keine negativen Auswirkungen für die Altersbezüge entstehen. Das Parlament hat bei den beschäftigungspolitischen Leitlinien allerdings nur ein Konsultationsrecht.

    Rückenwind für Arbeit und Soziales

    Für die zuständige S&D-Schattenberichterstatterin Klára Dobrev steht ohnehin etwas anderes im Fokus. Sie sieht in der inhaltlich weitreichenden Stellungnahme des Parlaments Rückenwind für die kommende Legislatur im Bereich Arbeit und Soziales: “Egal ob es um die Verhandlungen zur Kohäsionspolitik und Mittel für bezahlbaren Wohnraum geht, oder die Reform der Beschaffungsrichtlinie, wir werden dieses starke Votum mitnehmen.”

    Gemäß den EU-Verträgen müssen die Mitgliedstaaten ihre Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik im Rat miteinander abstimmen. Entsprechend nimmt der Rat beschäftigungspolitische Leitlinien an, die etwa in den länderspezifischen Empfehlungen berücksichtigt werden. Das Parlament wird zu den Leitlinien auf Basis des Kommissionsvorschlags konsultiert. lei

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    Plastikabkommen: Ministerkonferenz in Cali soll Impulse setzen

    Am kommenden Montag wird auf der Weltnaturschutzkonferenz in Cali, Kolumbien, ein informelles Ministertreffen tagen, “um Impulse für das UN-Plastikabkommen zu setzen”, sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums zu Table.Briefings. Dies soll den Verhandlungen Schwung verschaffen, die Ende November in Busan, Südkorea, in die letzte Runde gehen. Die bereits seit zwei Jahren laufenden Gespräche gestalten sich bislang äußerst schwierig

    Zwar gibt es ein Mandat der Weltumweltkonferenz (UNEA) für einen rechtlich bindenden Vertrag gegen die Verschmutzung von Umwelt und Meeren durch Kunststoffe. Doch was das Abkommen regeln soll, darin unterscheiden sich die Positionen teils enorm. Eine High Ambition Coalition (HAC), zu der neben 65 Staaten auch Deutschland gehört, setzt sich dafür ein, den gesamten Lebenszyklus zu berücksichtigen. Andere Staaten, vor allem solche mit großer Fossil-Industrie, versuchen den Fokus auf Recycling zu lenken. Laut der Scientists’ Coalition for an Effective Plastics Treaty braucht es aber Ziele für weniger Neukunststoffe – also Produktionsgrenzen. Anders würde die Verschmutzung der Umwelt durch Kunststoffe nicht wirksam eingedämmt. 

    Hoffnungen, dass es in Busan doch gelingt, einem ambitionierten Abkommen näherzukommen, haben Beobachter wegen eines Positionswechsels der USA. Die USA etwa haben im August verlauten lassen, dass sie gemeinsame Regeln zur Reduzierung von neuem Plastik unterstützen wollen. Zudem signalisierten sie Unterstützung für einheitliche Regeln zu vermeidbaren Plastikprodukten und schädlichen Chemikalien. Letztere waren bei den Fachtreffen zwischen den Verhandlungsrunden im August in Bangkok, Thailand, Thema. Laut Contexte habe es dabei erstmals Gespräche zwischen China, Indien, Brasilien, den USA und der HAC gegeben. 

    Laut OECD hat sich die Menge an produzierten Kunststoffen von 2000 bis 2019 auf 460 Millionen Tonnen verdoppelt. Bis 2060 erwartet die Organisation fast eine Verdreifachung. Gleichzeitig werde der Anteil an recyceltem Kunststoff nur etwa von neun auf 17 Prozent steigen. nh 

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    Must-Reads

    Karlsruhe: Umweltverband geht gegen Ampel vor – ZDF heute 
    Die Umweltschutzorganisation BUND will die Bundesregierung durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu einer umfassenden Gesetzgebung für den Schutz von Natur und Artenvielfalt zwingen. Diese müsse “einen sofortigen Stopp des Biodiversitätsverlusts und koordinierte Schritte zur Wiederherstellung von biologischer Vielfalt” vorsehen. Laut BUND ist die am Dienstagabend eingereichte Klage die weltweit erste dieser Art vor einem obersten Gericht. Zum Artikel 

    EU sagt Temu und Shein den Kampf an – Süddeutsche Zeitung 
    Chinas Billighändler überschwemmten die EU mit gefährlichen Produkten und pfiffen auf Zollvorgaben, schreibt Jan Diesteldorf. Rund vier Milliarden Pakete bekämen Europäer geliefert, 80 Prozent davon stammten aus China. Viele Produkte seien mit Chemikalien verseucht. Die Grüne-Abgeordnete Anna Cavazzini hat nun einen Zwölf-Punkte-Plan vorgelegt. Demnach sollen die Plattformen unter anderem haften und Waren stichprobenartig auf Sicherheitsrisiken untersuchen.  Zum Artikel 

    Vinted sammelt 340 Millionen Euro von neuen Investoren ein – Handelsblatt 
    Das Start-up aus Vilnius will seine Flohmarkt-App für Bekleidung zur führenden Secondhand-Plattform ausbauen, schreibt Florian Kolf. Dafür erhält es Unterstützung von Finanzinvestoren unter der Führung des Vermögensverwalters TPG, die Anteile an Vinted gekauft haben. Der Deal zeigt: Immer mehr internationale Investoren sind überzeugt, dass der Onlinehandel mit gebrauchten Waren vor dem Durchbruch steht. Zum Artikel 

    Ende des Freihandels: Der Abschied vom Weltauto – FAZ 
    Das Kräftemessen zwischen den Großmächten USA und China werde für die Autoindustrie “zu einer der größten Belastungen, seit Henry Ford das Auto via Fließbandfertigung zur Massenware machte”. Das schreiben Christian Müßgens, Henning Peitsmeier, Gustav Theile und Benjamin Wagener mit Blick auf den globalen Automobilmarkt. Ihr Fazit: An die Stelle von Freihandel tritt Hegemonie und Autohersteller sind gezwungen, ihre Lieferketten zu regionalisieren. Die Leidtragenden dürften die Autofahrer sein. Denn die abnehmende globale Arbeitsteilung treibt die Entwicklungskosten in die Höhe. Zum Artikel 

    “Die Mehrkosten für ein Auto mit grünem Stahl: Der Preis eines Schiebedachs” – Süddeutsche Zeitung 
    Salzgitter-Chef Gunnar Groebler setzt trotz wirtschaftlicher Probleme auf klimafreundlichen Stahl. Was er von der Bundesregierung erwartet, erklärt er im Gespräch mit Fabian Löhe. Notwendig seien “international marktfähige Energiekosten”, ein “wirksamer Schutz vor unfairem Wettbewerb” und die “Etablierung von grünen Leitmärkten in der Übergangszeit”.  Ansonsten werde die “deutsche Stahlindustrie fundamental infrage gestellt”. Zum Artikel 

    E-Autos am Straßenrand aufladen: Ein Start-up will Ladesäulen mit Strom von Hauseigentümern versorgen – NZZ 
    Der zügige Ausbau der Ladeinfrastruktur ist ein entscheidender Faktor für die Mobilitätswende. Doch vielerorts geht es viel zu langsam voran. Das Unternehmen Itselectric will das ändern, berichtet Fabian Hoberg. Die Idee des Start-ups aus den USA: Zum Laden werden einfach die Stromanschlüsse von Privathäusern genutzt. Aufgetankt wird an der Bordsteinkante. Die nötige Infrastruktur und die Abwicklung übernimmt Itselectric. Die Hausbesitzer werden am Geschäft beteiligt. Bis zu 1.000 Dollar pro Jahr seien möglich, heißt es. Zum Artikel 

    Changing the DNA of Living Things to Fight Climate Change – The New York Times 
    Die Herstellung, der Transport und die Anwendung von Kunstdünger sind weltweit für Treibhausgasemissionen von rund einer Milliarde Tonnen Kohlendioxid pro Jahr verantwortlich – mehr als die Emissionen aller Kohlekraftwerke in den USA. Um den Düngemittelbedarf zu senken, hat die kalifornische Firma Pivot Bio Bakterien gentechnisch verändert, wie Eric Lipton berichtet. So können rund 20 Prozent des sonst benötigten Düngers eingespart werden. Doch Umweltschützer sind besorgt, welche Gefahren davon ausgehen könnten. Zum Artikel

    Standpunkt

    Debatte um Lieferkettengesetz: “Mit der Zukunft zockt man nicht”

    Von Gundula Ullah
    Gundula Ullah ist seit 2021 bei der FUNKE Mediengruppe für Nachhaltigkeit zuständig.

    Was durfte sich das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) seit seiner Geburtsstunde am 3. März 2021 im seinerzeit von Peter Altmaier (CDU) geführten Wirtschaftsministerium nicht schon alles anhören: “Bürokratiemonster”, mit der “Kettensäge” müsse man es “wegbolzen”, weg müsse es – noch dieses Jahr. 

    Aber war die große Idee hinter diesem Gesetz nicht einmal, dass Unternehmen sich – aufgrund mangelnder eigener Selbstverpflichtung – endlich ehrlich machen sollten? Ehrlich machen, dass Deutschland als Handelsweltmeister oft gar nicht genau wusste, wie verflochten und wenig nachvollziehbar die eigenen Wertschöpfungsketten waren? Ehrlich fragen, ob die schönen, im Globalen Süden günstig zugekauften Komponenten für die Industrieprodukte nicht auf Kosten der dort arbeitenden Menschen gegangen sind? 

    Ein “abgesägtes” LkSG wäre ein Bauernopfer 

    Und vielleicht könnte man vermuten, dass das heutige LkSG ja auch dazu diente, als Präzedenzfall für die kommende nicht-finanzielle europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung zu fungieren – um Deutschland dahingehend ein paar Bonuspunkte im Gesetzgebungsprozess beim EU Green Deal zu verschaffen. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt! 

    Das Konstrukt der von der EU entwickelten nicht-finanziellen Berichterstattung wurde erfreulicherweise verzahnt gedacht, sodass die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) idealerweise auf die Anforderungen der CSRD im Kapitel S2 (Beschäftigte in der Wertschöpfungskette) einzahlt. Die Umsetzung der CSRD in lokale Gesetzgebung befindet sich gerade in der Umsetzung durch das Bundesjustizministerium. Gleichzeitig muss die CSDDD, die die EU im Sommer 2024 verabschiedet hat, bis spätestens Sommer 2026 in nationales Recht übersetzt werden. 

    Daher erscheint ein “Absägen” des LkSG noch dieses Jahr mit Blick auf kommende Regulierung nicht nur paradox, sondern vielmehr als ein Bauernopfer im großen Schachspiel rund um Wählerstimmen. Denn laut einer Umfrage der IHK in Düsseldorf aus dem August 2024 haben viele Unternehmen zwar Herausforderungen in der Umsetzung und im bürokratischen Aufwand. Als das größte Risiko wird aber mit 67 Prozent die Komplexität der Lieferketten genannt. Gleichzeitig haben bereits 67 Prozent aller teilnehmenden Unternehmen die Anforderungen des Gesetzes umgesetzt. Und der große Wurf, die CSRD und die CSDDD, wird kommen. 

    LkSG als Chance, um die Lieferketten auf den Prüfstand zu stellen 

    Wir, als FUNKE, haben uns das Ziel gesetzt, Qualitätsjournalismus auch für künftige Generationen zu sichern. Immer getreu unserer Vision: Journalismus für eine offene, informierte Gesellschaft. Das bedeutet auch, dass wir uns als Unternehmen ehrlich machen müssen mit Blick auf unsere Produkte, unsere Prozesse, aber auch unsere Strategie zu noch mehr Nachhaltigkeit.

    Wir haben die neuen regulatorischen Anforderungen, und ja, auch das LkSG, daher als Chance gesehen, unsere Lieferketten auf den Prüfstand zu stellen. In Bezug auf Menschenrechte, aber auch den Umweltfußabdruck. Da die Umsetzung von komplexen gesetzlichen Anforderungen in einem Unternehmensumfeld Zeit und Aufwand bedeuten, haben wir vor zwei Jahren in eine digitale Lösung investiert. Damit monitoren wir unsere wesentlichen Lieferanten und haben uns crossfunktional auf die BAFA-Berichterstattung vorbereitet. 

    Die CSRD würde das Thema ohnehin wieder auf den Tisch bringen 

    Die laufenden Debatten, Anträge und Änderungen im Berichtsprozess rund um das LkSG erscheinen mithin erratisch und eher durch diejenigen getrieben, die die Zeichen der Zukunft und die Anforderungen der nächsten Generation unter dem Schlagwort “Bürokratie” begraben wollen. Zur gleichen Zeit gibt es viele lokale unternehmerische Champions, die das Gesetz bereits pragmatisch und mit überschaubarem Aufwand in die Praxis überführt haben. Sie finden leider wenig Gehör im allgemeinen Getöse. 

    Und selbst wenn das LkSG einer interessensgetriebenen Kettensäge zum Opfer fällt, wird die nicht-finanzielle Berichterstattung gemäß der CSRD das Thema wieder aufs Tableau bringen. Karl aus der Kiste lässt grüßen. FUNKE berichtet heute schon in Anlehnung an die CSRD und wird auch den LkSG-Berichtspflichten nachkommen – eben weil wir es im Rahmen der CSRD sowieso machen müssen. Unser Investment ist daher nicht verschenkt. Es wird uns helfen, den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden und diese effizient zu erfüllen. 

    Bürokratieabbau: Dort optimieren, wo es wirklich nötig ist 

    Und ja, auch wir haben unter den Anforderungen geächzt und uns manchmal gefragt, inwieweit die unternehmerische Praxis im Gesetzgebungsprozess überhaupt Eingang gefunden hat. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die industriellen Interessensvertretungen ihrer “Übersetzungsarbeit” in Richtung Brüssel nachgekommen sind. Ein Paradebeispiel hierfür ist die EU-Anti-Entwaldungsverordnung (EUDR). Sie scheint fern jeder unternehmerischen Praxis, insbesondere für das schnell getaktete Verlagsgeschäft mit seinen Printprodukten. 

    Wir befürworten daher die vom Wirtschaftsministerium am 22. Oktober 2024 vorgestellten Praxis-Checks zu mehr Bürokratie-Abbau. Wichtig dabei wäre, das Feedback der Basis, also von den Unternehmen selbst, einzuholen. So werden dort die Optimierungshebel angelegt, wo sie benötigt werden: Man denke an die Erarbeitung von sektorspezifischen Standards in der CSRD oder aber auch Entlastungen bei Reportingpflichten rund um die EUDR – oder auch Ideen für eine bessere digitale Verzahnung. Ein branchenspezifischer Dialog zwischen Politik und Wirtschaft wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. 

    Mit der Zukunft zockt man nicht, Zukunft gestaltet man und wir bei FUNKE sehen es als unsere Aufgabe, genau diesen Gestaltungsspielraum rund um das Thema Nachhaltigkeit wahrzunehmen, redaktionell und innerhalb des Unternehmens. Es ist Zeit, die Weichen richtigzustellen und Nachhaltigkeit als Chance zu begreifen, anstatt sie als bürokratisches Hindernis abzutun.

    Gundula Ullah leitet bei der FUNKE Mediengruppe die Abteilungen Einkauf und Nachhaltigkeit. Seit ihrem Einstieg im Jahr 2019 hat sie unter anderem ein Risikomanagementsystem für Lieferketten und ein Berichtswesen für die CO₂-Emissionen des Unternehmens entwickelt sowie den ersten Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns verantwortet. Nachhaltigkeitschefin ist sie seit 2021. Zudem sitzt sie dem Vorstand des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik vor.

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    Umweltpreisträger Thomas Speidel: “Elektrische Energie ist die Währung der Zukunft”

    Thomas Speidel, Ingenieur und Geschäftsführer der Nürtinger Firma ADS-TEC Energy, wird am 27.10.2024 als Wegbereiter “für Klimaschutz und eine umfassende Energiewende” mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet. 

    Thomas Speidel ist so etwas wie der schwäbische Daniel Düsentrieb der Batterie- und Ladetechnik. Mehr als 60 deutsche und internationale Patentanmeldungen gehen auf das Konto des 57-jährigen Diplomingenieurs der Elektrotechnik, vor allem in den Bereichen Batterietechnik, Speicherlösungen und Schnellladestationen für Elektroautos. Seit 2016 ist der Erfinder und Unternehmer auch Präsident des Bundesverbands Energiespeicher Systeme (BVES). 

    Den Grundstein dafür haben sein Vater Hans-Hermann Speidel und dessen Geschäftspartner Herrmann Fritz vor über 40 Jahren in einer Garage in Ostfildern-Ruit bei Stuttgart gelegt. Das Markenzeichen ihrer Firma Fritz Electronic war der Schaltschrankbau, innovative Steuerungstechnik und Datensysteme für die Produktion, später ganze Anlagen. Hauptkunden waren die Automobilhersteller der Region. 

    Speidel steigt nach seinem Studium ins Familienunternehmen ein. Da hieß es bereits ADS-TEC, die Kurzform für “Advanced System Technology”. Später übernimmt er gemeinsam mit seinem Bruder die Leitung.

    Von der Verbrennertechnik zum Pionier der Mobilitätswende 

    Als “richtig harten Cut” beschreibt er die um das Jahr 2010 herum getroffene Entscheidung, das Unternehmen grundlegend neu auszurichten. In dieser Phase habe er gelernt, das Alte loszulassen, sagt Speidel. “Sonst zerreißt es einen.” Dabei geholfen habe ihm sein Credo “Go for it!”. 

    Die ADS-TEC wird zur Holding, die Datentechnik zur eigenständigen Tochterfirma ADS-TEC Industrial IT. Der Bereich Verbrennertechnik wird hingegen aufgegeben. Stattdessen wird die ADS-TEC Energy aus der Taufe gehoben. Die Entwicklung von Speicher- und Ladesystemen für die Elektromobilität wird zum zentralen Geschäftsfeld – und Speidel zum Pionier der Mobilitätswende. 

    Multifunktionale Ladesäulen: “Wie ein Schweizer Taschenmesser” 

    Für zwei seiner Entwicklungen, die Schnellladesäulen Charge Box und Charge Post, erhält Speidel am Sonntag den Deutschen Umweltpreis 2024 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Zugleich werde damit die erfolgreiche Transformation des Familienunternehmens “von einer Zulieferfirma für Verbrennermotoren zu einem Innovationstreiber für Energiewende und Elektromobilität” gewürdigt, so BDU-Generalsekretär Alexander Bonde. 

    Die beiden von der DBU ausgezeichneten Schnellladesäulen funktionieren nicht nur etwas anders als marktübliche Modelle, sie können auch mehr. “Die batteriegepufferten Hochleistungssysteme sind Multitools der Energiewende, sie fungieren wie ein Schweizer Taschenmesser“, sagt Speidel. 

    Schnelles Laden unabhängig vom Netzausbau 

    Da ist zum einen die Lithium-Ionen-Batterie mit einer Kapazität von 140 beziehungsweise 201 Kilowattstunden, die in den Ladesäulen verbaut ist. Während leistungsstarke Ladestationen in der Regel direkt aus dem Mittelspannungsnetz mit 10.000 oder 20.000 Volt gespeist werden, lässt sich die Batterie aus dem flächendeckend vorhandenen Niederspannungsnetz mit 230 und 400 Volt laden. 

    So können Charge Box und Charge Post langsam Strom aus dem Niederspannungsnetz ziehen, ohne das Netz zu überlasten. Den Strom speichern sie in der Batterie und können dann in Minutenschnelle ein Fahrzeug betanken. “Wie beim WC-Spülkasten – langsam Wasser füllen, rasch abgeben”, erklärt Speidel. Für den Hochlauf der Elektromobilität ist die Technologie ein großer Vorteil. Denn so lässt sich die Ladeinfrastruktur ausbauen, auch wenn der Netzausbau auf sich warten lässt.

    Die Schnelladesäulen können auch das Netz stabilisieren 

    Doch seine Ladesäulen können nicht nur Elektroautos betanken, sagt Speidel. “Mit einer einzigen Investition kann ressourcenschonend mehr für das Energiesystem der Zukunft erreicht werden.” Dazu zählt er die Vermeidung von Netzausbau, die Stabilisierung überlasteter Netze durch Rückspeisung aus den Batteriespeichern und die Integration lokaler Photovoltaik-Erzeugung. Selbst der Einsatz als digitale Litfaßsäule sei möglich. “Wir haben große Werbepanels beim Charge Post eingebaut, 75 Zoll [ca. 2 m] groß, richtige Billboards”, sagt er. 

    Speichersysteme können Türöffner für Energieversorgung von morgen sein 

    Beim Blick in die Zukunft ist für Speidel die Sektorenkopplung das Zauberwort, also die Verbindung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität in integrierten Systemen. “Elektrische Energie ist die Währung der Zukunft – für Gas, Licht, Mobilität, Wärme, Wasserstoff.” Speichersysteme könnten dafür ein Türöffner sein. Das klappe “allerdings nur bei zügigerer Genehmigung von Ladesäulen und weniger formaler Hürden bei der Sektorenkopplung”, sagt er in Richtung Politik und Verwaltung.

    Speidels Herangehen hat offensichtlich auch die Jury überzeugt, die ihn ausdrücklich “für seinen strategischen Weitblick und die dafür notwendige unternehmerische Risikobereitschaft” ausgezeichnet hat. “Für mehr Elektromobilität, Klimaschutz und eine umfassende Energiewende sind Innovationen wie von ADS-TEC Energy sprichwörtlich echte Wegbereiter”, konstatiert BDU-Generalsekretär Bonde. Carsten Hübner

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