Unternehmen melden sich in Deutschland gewöhnlich politisch zu Wort, wenn es um ihre Interessen geht, zum Beispiel zu den Themen Steuern, Freihandelsabkommen oder Lohnnebenkosten. Anders die 30 Unternehmen, die sich am Dienstag mit ihrer Initiative “Wir stehen für Werte” an ihre Beschäftigten und die Öffentlichkeit wandten.
Unter anderem Siemens Energy, BMW, die Deutsche Bahn und Thyssenkrupp sowie diverse Familienunternehmen rufen ihre 1,6 Millionen Beschäftigten zu Vielfalt, Toleranz und Offenheit auf. Sie ermuntern ihre Belegschaften außerdem, an der Europawahl teilzunehmen. Den Appell unterstützen BDI und DGB. “Politik lässt sich aus Unternehmen nicht mehr heraushalten”, sagt der Betriebswirt Markus Scholz mit Blick auf sich zuspitzende politische Debatten und gesellschaftliche Verhältnisse.
Gleichberechtigung ist das Thema von Maria Noichl, Sprecherin für Frauenrechte und Geschlechtergleichstellung der Sozialdemokraten im EU-Parlament. Aus ihrer Sicht war die abgelaufene Legislaturperiode für Frauen in Europa ein Erfolg. Trotzdem bleibe noch eine Menge zu tun. Was genau? Das lesen Sie im Interview von Leonie Düngefeld.
Für die Umsetzung der Transformation müssen gigantische Summen aufgebracht werden, wenn sie gelingen soll. Große Hoffnung setzen viele Experten auf eine Reform der Schuldenbremse. Aktuelle Vorschläge und ihre Grenzen analysiert Alex Veit. In einem Standpunkt-Beitrag mahnen die Ökonomen Nicolás Aguila und Joscha Wullweber die Europäische Zentralbank, das Potenzial einer grünen Geldpolitik zu verwirklichen.
Frau Noichl, wie lautet Ihre Bilanz – waren die vergangenen fünf Jahre in Sachen Gleichstellung ein Erfolg?
Gleichstellungspolitisch betrachtet war die Legislaturperiode wahnsinnig erfolgreich. Denn man muss ja beachten, dass die Welt da draußen sich momentan teilweise eher anti-feministisch verhält. Wir haben daher gesagt: Jetzt muss erstmal alles gut zementiert sein, was wir bereits erreicht haben. Und gleichzeitig ist es uns gelungen, weitere Schritte nach vorn zu gehen.
Wo stehen wir heute bei der Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft?
Das Versprechen der Feministinnen aus den 1950er- bis 1970er-Jahren – “Wenn ihr einen Job da draußen annehmt, werdet ihr wirtschaftlich von den Männern unabhängig, könnt euer Leben selbst gestalten” – wurde leider nicht eingelöst. Frauen arbeiten zunehmend in den Niedriglohnbereichen und sind deshalb immer noch nicht unabhängig.
Die EU hat in diesem Mandat einen europaweiten Mindestlohnrahmen festgelegt: 60 Prozent des Durchschnittslohns eines Landes. Damit sollten vor allem die großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten verringert werden. Ändert er auch etwas an der Situation der Frauen?
Der europäische Mindestlohn ist für uns Frauen gigantisch. Mindestlöhne helfen überproportional den Frauen. Wir haben in Deutschland gemerkt, dass die Einführung des Mindestlohns hauptsächlich Frauen im Osten geholfen hat: Friseurinnen, die vorher mit 2,50 Euro und Trinkgeld abgespeist wurden, zum Beispiel. Und auch jetzt, bei der Mindestlohnerhöhung in Deutschland auf 12,41 Euro, haben wieder die Frauen den wirklichen Mehrwert.
Im Jahr 2022 verdienten Frauen in der EU für die gleiche Arbeit durchschnittlich knapp 13 Prozent weniger als Männer, in Deutschland sogar knapp 18 Prozent weniger. Was hat die EU gegen das Gender Pay Gap unternommen?
Wir haben die sogenannte Lohntransparenzrichtlinie auf den Weg gebracht. Damit schauen wir uns die aktuellen Löhne an. Wir haben das leider nicht für alle Unternehmen geschafft, sondern nur für die ganz großen. Für die gelten aber nun ein europaweites Auskunftsrecht und Berichtspflichten. Sie müssen sich, wenn sie 20 Disponentinnen und 50 Disponenten haben, überlegen: Zahl ich die überhaupt gleich? Oder verdienen komischerweise die Frauen 200 Euro weniger? Frauen dürfen zum Beispiel nicht mehr gefragt werden, was sie vorher verdient haben. Zudem machen wir mit dem Mindestlohn und der Lohntransparenzrichtlinie auch schon etwas für die Zukunft: Denn der Pension Gap, der Unterschied in den Renten, beträgt ja sogar bis zu 30 Prozent.
Schauen wir in die Unternehmen: Die EU hat unter anderem die schon seit zehn Jahren geplante “Women on Boards”-Richtlinie verabschiedet. Die Mitgliedstaaten haben bis 2026 Zeit, sie umzusetzen. Was ändert sich damit?
Wir haben jetzt eine europaweite Quote für Frauen in Aufsichtsräten: 40 Prozent bei den börsennotierten Gesellschaften. Ohne eine europaweite Regelung hätten wir einen Flickenteppich. Es geht um eine Klimaänderung. Ich möchte das Wort hier ganz bewusst verwenden: Unternehmen haben auch ein internes Klima, eine eigene Art und Weise, wie das Unternehmen tickt. Wie man dort mit Frauen umgeht, die Kinder haben, aber trotzdem aufsteigen und Karriere machen wollen. Wie man mit Männern umgeht, die Erziehungsurlaub nehmen wollen. Wir erhoffen uns nicht nur, dass mehr Frauen in den Aufsichtsräten sitzen, sondern dass sich damit die Unternehmensführung ändert, partnerschaftlicher wird.
Die EU-Kommission hat sich in ihrer Gleichstellungsstrategie unter anderem verpflichtet, die Geschlechterperspektive systematisch in alle Politikbereiche einzubeziehen. Wie gut funktioniert das sogenannte Gender Mainstreaming?
Da sind wir noch Entwicklungsland. Mir kommt es oft so vor, als müssten Gesetzestexte abgeschlossen werden und am Ende schreibt man noch drei Sätze für Frauen rein. Auch in den einzelnen Ausschüssen passiert zu wenig. Wir haben zwar in der S&D-Fraktion schon ein Gender Mainstreaming-Netzwerk, das Beobachterinnen in jedem Ausschuss hat und sich über das Thema austauscht. Aber man hat oft das Gefühl, dass Gleichstellung noch als das Weiche gesehen wird. Erst werden die harten Themen verhandelt und dann kommen sie vielleicht noch ein bisschen auf das Weiche zu sprechen. Aber Gleichstellung muss von Anfang an mitgedacht und in die Papiere einbezogen werden.
Der Europäische Rechnungshof bemängelte in einem Sonderbericht von 2021, die Gleichstellung der Geschlechter werde auch im EU-Haushaltszyklus nicht angemessen berücksichtigt.
Jeder zweite Euro muss in die Hand einer Frau fließen. Wir haben das Recht auf die Hälfte des Geldes. Das wird ja schon allein im Bereich der Landwirtschaft ad absurdum geführt. In Deutschland ist das anders, aber in vielen anderen Teilen Europas gehören die landwirtschaftlichen Betriebe den Männern. Damit fließen die hohen Subventionen der EU – immerhin ein Drittel des EU-Haushalts – überproportional in ihre Hände. Genauso ist es mit Hilfsgeldern und europäischen Fördergeldern. Auch Corona-Hilfen sind europaweit überwiegend in die Hände von Männern geflossen.
Wie lässt sich das ändern?
Das Wichtigste ist, dass man nicht nur wartet, was passiert, sondern dass man steuert. In Berlin gibt es zum Beispiel bereits die Position eines Gender Mainstreaming-Beauftragten. Der kontrolliert bei Förderprojekten, wohin das Geld gelangt und versucht, nachzusteuern. In der EU-Gesetzgebung bräuchte es zum Beispiel auch den ganz klaren Auftrag, die Folgenabschätzung nicht nur im technischen oder finanziellen Bereich, sondern auch für die Gleichstellung durchzuführen. Man sollte fragen: Was passiert europäisch, wenn wir an bestimmten Schrauben drehen?
Nach der Europawahl im Juni könnte der Gegenwind, von dem Sie sprachen, in Brüssel kräftiger wehen. Wie blicken Sie auf die kommende Legislaturperiode?
Es ist wichtig, dass wir Frauenrechte auf europäischer Ebene absichern, damit Veränderungen in den Mitgliedstaaten diese Rechte nicht schleifen können. Wir Sozialdemokraten haben im vergangenen Jahr eine Europäische Frauenrechts-Charta vorgestellt. Damit wollen wir europaweit Mindeststandards sichern. Denn Europa ist ja ein Versprechen. Es kann nicht sein, dass es vom Wohnort abhängig ist, ob ich bei häuslicher Gewalt geschützt bin. Wir erwarten, dass alle Kandidatinnen und Kandidaten der S&D-Fraktion die Charta unterschreiben und deutlich machen: Ich werde meine Kraft dafür einsetzen, für Gleichstellung zu stehen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der EU-Gleichstellungspolitik?
Wenn ich richtig zaubern könnte, dann würde ich dafür sorgen, dass Gleichstellung eine Bedingung für den EU-Beitritt wird. Falls es in den nächsten Jahren zu Aufnahmen von weiteren Ländern kommt, müssen wir aufpassen, dass dabei Gleichstellung immer klar auf dem Verhandlungstisch liegt. Und ich wünsche mir, dass bei Verstößen Gelder eingefroren werden. Staaten, die gegen Gleichstellung vorgehen, müssen das am Kontoauszug merken.
Die fiskalpolitische “Goldene Regel” stand von 1969 bis 2009 im Grundgesetz, um den Aufwuchs der Staatsverschuldung zu bremsen. Ihre Wiedereinführung, in veränderter Form, ist zunehmend konsensfähig, auch im konservativen politischen Lager. Beim am heutigen Mittwoch endenden CDU-Parteitag positionierte sich Parteichef Friedrich Merz zwar noch einmal gegen eine Reform der Schuldenbremse. Bereits vor dem Parteitag hatten jedoch einige Ministerpräsidenten aus Unions-regierten Bundesländern eine entsprechende Reforminitiative im Bundesrat angekündigt.
Allerdings würde auch eine Reform der Schuldenbremse nicht automatisch nachhaltige staatliche Investitionen und Subventionen für die Transformation ermöglichen. Es könnte sogar zu politischen Fehlanreizen kommen.
Einen vielbeachteten Vorschlag zu einer modifizierten Goldenen Regel hatte im Dezember der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegt. Ihm gehören viele neoklassisch argumentierende Finanzwissenschaftler an. Ihr Vorschlag einer “Goldenen Regel Plus” für eine nachhaltige Finanzpolitik sieht die Nicht-Anrechnung von Investitionen in neues Sachkapital auf das Kreditlimit der Schuldenbremse vor.
“Nur sogenannte Nettoinvestitionen würden freigestellt mit Blick auf die Verschuldung“, erläutert Tobias Hentze, Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung am Institut der Deutschen Wirtschaft. “Also nur Investitionen, die den Kapitalstock erhöhen. Und nicht solche, die nur verhindern, dass er zurückgeht.”
Denn die grundgesetzliche Regelung vor 2009 unterschied nicht zwischen der Sanierung von beispielsweise Schulgebäuden, die nur dem Werterhalt dienten, und einem Neubau. Schuldenfinanzierte Mittel flossen daher auch in die bloße Werterhaltung, die von vielen Ökonomen aber als konsumtive Ausgabe eingestuft wird. Die Goldene Regel Plus des BMWK-Beirats soll daher sicherstellen, dass den neuen Schulden auch tatsächlich neue Gebäude und technische Anlagen gegenüberstehen.
Der Volkswirt Hentze hält die Beschränkung auf Nettoinvestitionen allerdings für ein Hilfsmittel, das nicht immer sinnvoll sei. Er verweist auf den Bildungsbereich, der für die Transformation wesentlich ist. Es brauche nicht nur Schulgebäude, sondern auch Lehrergehälter oder Tablets für Schüler. “Diese Ausgaben führen aber nicht zur Erhöhung des Kapitalstocks und sind dementsprechend Konsum”, sagt er. Für ein funktionierendes Bildungssystem brauche man konsumtive und investive Ausgaben. “Es geht nicht um gut und schlecht, sondern um das richtige Zusammenspiel der beiden Kategorien.”
Kontraproduktiv sei bei der Goldenen Regel Plus ebenfalls, dass Subventionsanreize etwa zur Dekarbonisierung der Industrieproduktion – wie sie die Bundesregierung mit dem Klima- und Transformationsfonds anbietet – nicht mit neuen Staatsschulden finanziert werden könnten. “Subventionen haben eine wichtige Funktion in der Volkswirtschaft, sie sollen zum richtigen Verhalten animieren”, sagt Hentze. Wie zielführend Subventionen seien, müsse immer überprüft werden. Doch ohne die Privatwirtschaft werde die Transformation nicht gelingen, schließlich müsse sie den Großteil der notwendigen Investitionen leisten. Daher würde es “ohne Subventionen in den nächsten 20 Jahren ganz sicher nicht gehen”, da der Bedarf zu groß sei.
Auch Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs “Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft” am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim ist skeptisch gegenüber dem Vorschlag einer Goldenen Regel Plus. “Der Nettoinvestitionsbegriff ist zu eng und zu breit, um Zukunftsaufgaben gut abzubilden“, argumentiert er. Er sei zu eng, weil wichtige Investitionen nicht abgedeckt wären. Dazu zählt er Bildung, Forschung und Entwicklung, sowie die Wahrung des Naturkapitals. “Die sind bislang nicht enthalten, wenn die Ausgaben nicht unmittelbar den physischen Kapitalstock erhöhen”, sagt er.
Umgekehrt sei der Begriff zu breit, so der Professor für Volkswirtschaftslehre, da auch gegenwartsbezogene Ausgaben zu den Nettoinvestitionen zählen. “Zum Beispiel können Fahrzeuge als Investitionen verbucht werden”, führt er an. “Mit denen fährt man nur wenige Jahre, bis sie abgeschrieben sind und ersetzt werden müssen.”
Sein alternativer Vorschlag ist der einer “Zukunftsquote”, die Kapitalbildung umfassend in den Blick nimmt: Ausgaben, die sich erst in einigen Jahren auszahlen, und die neben dem Sachkapital auch das Human- oder Naturkapital erhöhen sowie technisches Wissen schaffen. Dabei seien allerdings viele definitorische Schwierigkeiten und ein breiter Interpretationsspielraum gegeben. Daher müsse ein unabhängiges, unpolitisches Gremium in die Kontrolle der Zukunftsquote einbezogen werden.
Hentze und Heinemann gehen wie viele andere Ökonomen davon aus, dass die Politik eher kurzfristigen Wählerinteressen folgt als längerfristigen gesellschaftlichen Zielen. Daher plädiert Heinemann dafür, eine zukunftsorientierte Reform der Schuldenbremse auch mit Vorgaben für den Kernhaushalt zu verknüpfen. Es bestehe sonst die Gefahr, dass die Entlastung des steuerfinanzierten Kernhaushalts genutzt werde, um konsumtive Ausgaben zu tätigen. Daher solle eine höhere Staatsverschuldung nur zulässig sein, wenn auch im Kernhaushalt die Zukunftsausgaben ansteigen würden.
11. Mai 2024, 10-17 Uhr, Karlsruhe
Konferenz Gewerkschaftsratschlag 2024: Tarifbindung & gute Arbeit in der Kommune stärken (Veranstalter: Rosa Luxemburg Stiftung) Info & Anmeldung
12. bis 17. Mai 2024, Hattingen
Konferenz Die Grenzen des Wachstums sind erreicht! Wirtschaften in den ökologischen Grenzen, aber wie? (Veranstalter: DGB-Bildungswerk) Info & Anmeldung
Dienstag, 14. Mai, 12-13 Uhr
Digitales Mittagsgespräch Was schulden wir der Zukunft? Europäische Instrumente für Zukunftsinvestitionen (Veranstalter: Heinrich-Böll-Stiftung) Info & Anmeldung
15. Mai 2024, 18:15-19:45 Uhr, Marburg
Vortrag Regenerieren statt erschöpfen: Warum wir Energie- und Rohstoffwende zusammen bringen müssen (Veranstalter: Green Office) Info & Anmeldung
15.-16. Mai 2024, Berlin
Konferenz Energietage Berlin 2024 (Veranstalter: EUMB Pöschk) Info & Anmeldung
15.-17. Mai 2024, Berlin
Festival 17. Greentech Festival mit Verleihung der Green Awards 2024 (Veranstalter: Greentech Show GmbH) Info & Anmeldung
21. Mai 2024, 19-21 Uhr, Hannover
Diskussion Die Grenzen des Wachstums – “degrowth” oder green growth”? (Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung) Info & Anmeldung
22. Mai 2024, 18-19:30 Uhr, Frankfurt
Diskussion Managerkreis Rhein-Main: Rechtspopulismus und -extremismus und die Verantwortung von Unternehmen (Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung) Info & Anmeldung
Am Dienstag startete der “Mecanismo de Reclamationes des Derechos Humanos (MRDH)”, ein unternehmensübergreifender Beschwerdemechanismus in Mexiko. Beteiligt sind die drei deutschen Unternehmen aus der Automobilbranche BMW, Mercedes-Benz und ZF Friedrichshafen. Sie hätten sich verpflichtet, Entscheidungen der unabhängigen Experten umzusetzen und zu Abhilfemaßnahmen beizutragen, heißt es bei den zivilgesellschaftlichen Trägerorganisationen. Der MRDH umfasst die gesamte Lieferkette der beteiligten Unternehmen in Mexiko bis hin zur Endmontage.
Der Start des Pilotprojets hatte sich gezogen. Bereits vor viereinhalb Jahren begann der Dialog zwischen Unternehmen, Gewerkschaften, Regierungen, nationalen Menschenrechtsorganisationen und der Zivilgesellschaft – zunächst in Deutschland, dann in Mexiko. Mit VW zog sich ein wichtiges Unternehmen zurück, weil es den eigenen Beschwerdemechanismus für ausreichend hielt. Ein weiteres Unternehmen – Bosch – beschränkt sich auf eine finanzielle Förderung des Projekts, nutzt den Mechanismus aber nicht. Der Erfolg des Projekts hänge vor allem davon ab, wie viele deutsche Automobilunternehmen mitmachen würden, sagen Branchenbeobachter.
Viele deutsche Automobilfirmen sind in Mexiko vertreten, dem weltweit sechstgrößten Autoproduktionsstandort. Größte deutsche Arbeitgeber in dem Bereich sind Continental (22.000 Beschäftigte), Bosch (16.000) und Volkswagen (15.500). Nach Einschätzung der AHK siedeln sich weitere Zulieferbetriebe an.
Von einem “wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer gerechten Automobilzulieferkette, die den Zugang zu Rechtsmitteln für Arbeitnehmer und Betroffene in Mexiko gewährleistet”, spricht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Die Idee eines solchen Mechanismus geht auf einen Branchendialog zurück, der vom BMAS initiiert worden war. Zuversichtlich ist Bärbel Kofler, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, dass die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt helfen könnten, “weitere branchenweite Beschwerdemechanismen in anderen Ländern und Sektoren einzurichten”.
Es sei gelungen, die mexikanische Zivilgesellschaft in das Projekt einzubeziehen, sagt Anton Pieper von der NGO WEED. Er spricht von einem möglichen “Gamechanger”. Zeigen müsse sich aber, ob den Betroffenen von Menschen- und Umweltrechtsverletzungen in den automobilen Lieferketten tatsächlich geholfen werde könne. Das Projekt läuft zunächst bis Ende 2025. Darüber hinaus sind Fortsetzung und Finanzierung offen. cd
Der Faire Handel hat einen Unterstützungsfonds mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) aufgelegt. Damit soll die Zusammenarbeit von Unternehmen, Produzenten und sonstigen Akteuren in fairen Lieferketten befördert werden, damit diese die unternehmerischen Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umwelt umsetzen können. Projektpartner sind Fairtrade Deutschland, das Forum Fairer Handel und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Bewerben können sich Unternehmen mit:
Sie erhalten die Hälfte ihrer Projektkosten als öffentlichen Zuschuss. Anträge müssen im Mai, Juni und September bis zur Monatsmitte abgegeben werden.
Die bisherigen Fördermöglichkeiten für KMU aus dem fairen Handel “haben nicht gepasst“, sagt Claudia Brück, Vorständin bei Fairtrade Deutschland gegenüber Table.Briefings. Ziel sei es, die Zugangsschwelle für interessierte Unternehmen abzusenken. Brück verweist auf positive Erfahrungen bei der Vergabe von öffentlichen Hilfen durch Fairtrade Deutschland während der Corona-Krise.
Das BMZ stellt insgesamt 1,9 Millionen Euro zur Verfügung. Davon fließt knapp die Hälfte in einen Fonds, der von Fairtrade Deutschland verwaltet wird. Die andere Hälfte steht für die Organisation selbst sowie für die Beratung innerhalb der ausländischen Produzentennetzwerke zur Verfügung.
Noch fallen die betreffenden KMU nicht unter das deutsche Lieferkettengesetz. Trotzdem müssen sie bereits oft gegenüber Abnehmern entsprechende Verpflichtungen übernehmen. Verlangt würden etwa Geodaten, erklärt Brück. Damit werde sichergestellt, dass Rohstoffe wie Kakao oder Kaffee gemäß der Richtlinie für entwaldungsfreie Lieferketten angebaut worden sind. Die entsprechenden Äcker dürfen nicht nach 2020 entwaldet worden sein.
Eine Klarstellung über Zertifizierungen zur Erfüllung von Lieferkettengesetzverpflichtungen erhofft sich der Faire Handel vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Wichtig sei zu wissen, in welchen Fällen eine Zertifizierung als Beleg dafür angesehen werde, dass Unternehmen die Vorgaben des Lieferkettengesetzes einhalten. Das BAFA hat eine entsprechende Handreichung angekündigt, die vermutlich Ende dieses Jahres erscheinen wird.
Den Geschäftsverlauf 2023 bewertet Fairtrade Deutschland in seinem am Dienstag erschienen Jahresbericht “verhalten positiv”.
Solche Absatzrückgänge erlebt der Faire Handel nicht das erste Mal. Bereits im ersten Corona-Jahr kauften die Konsumenten weniger faire Waren.
Inflationsbereinigt hätte der Faire Handel in Deutschland 2023 ein Plus von 1,3 Prozent erzielt. Optimistisch ist die Organisation für 2024, weil die Absätze in den letzten beiden Quartalen 2023 und dem ersten Quartal 2024 deutlich angestiegen sind. cd
Vor der anstehenden Gewerkschaftswahl in Vance tauscht Mercedes-Benz den Werksleiter aus. Vorangegangen sind Vorwürfe, das lokale Management würde Gewerkschafter auch mit illegalen Mitteln unter Druck setzen, was das Unternehmen bestreitet.
Kurz vor den Mitte Mai anstehenden Gewerkschaftswahlen hat Mercedes-Benz am Standort Vance im US-Bundesstaat Alabama den Werkleiter ausgetauscht. Zum Nachfolger von Michael Göbel wurde sein bisheriger Stellvertreter Federico Kochlowski ernannt. Beobachter werten den Personalwechsel als Zeichen dafür, dass die Nervosität in der Stuttgarter Konzernzentrale steigt. Andere vermuten ein Manöver, um Druck aus der angespannten Situation zu nehmen.
Die Gewerkschaftswahlen bei Mercedes-Benz US International (MBUSI) mit rund 6.100 Beschäftigten wurden von der zuständigen Bundesbehörde NLRB auf den Zeitraum vom 13. bis 17. Mai gelegt. Doch anders als bei VW in Chattanooga im April gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Vorwürfe, das lokale Mercedes-Management würde Gewerkschafter auch mit illegalen Mitteln unter Druck setzen. MBUSI bestreitet dies.
Das Ergebnis der Abstimmung wird für den Abend des 17. Mai erwartet. Das Werk in Vance wäre das zweite Automobilwerk eines internationalen Herstellers, dass die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) nach dem Werk von VW innerhalb weniger Monate organisiert.
Währenddessen haben sich UAW und Daimler Truck Ende April auf einen Tarifvertrag geeinigt. Danach erhalten 7.400 Beschäftigte an sechs US-Produktionsstandorten im Süden der USA eine Lohnerhöhung von mindestens 25 Prozent. Zusätzlich wurden Bonuszahlungen und ein Inflationsausgleich vereinbart. 94,5 Prozent der Belegschaft stimmten dem Verhandlungsergebnis zu. Der Vertrag hat eine Laufzeit von vier Jahren und endet Anfang März 2028.
Der Tarifabschluss mit Daimler Truck entspricht in vielen Bereichen den Vereinbarungen, die die Gewerkschaft im Herbst 2023 nach einer Streikwelle mit Ford, General Motors und Stellantis ausgehandelt hatte. Auch bei Daimler Truck hatte sich eine große Mehrheit der Beschäftigten für Arbeitskampfmaßnahmen ausgesprochen. Dazu kam es jedoch nicht. ch
Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) und das International Sustainability Standards Board (ISSB), die jeweils europäische beziehungsweise internationale Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickeln, haben einen Leitfaden für die Interoperabilität beider Standards veröffentlicht. Die “ESRS-ISSB Standards Interoperability Guidance” soll veranschaulichen, inwiefern die “European Sustainability Reporting Standards” (ESRS) und die Standards der ISSB übereinstimmen und von Unternehmen parallel angewendet werden können.
Der Leitfaden beschreibt die Angleichung beider Standards in Bezug auf die allgemeinen Anforderungen und auf Schlüsselkonzepte wie Wesentlichkeit, Darstellung und Angaben für andere Nachhaltigkeitsthemen als das Klima. Außerdem enthält er Informationen über die Angleichung der Klimaangaben. Damit soll garantiert werden, dass ein Unternehmen die Klimaanforderungen beider Normen erfüllt, egal, mit welchem Standard es beginnt.
“Wir sind uns bewusst, dass die Unternehmen, die sowohl die ISSB-Standards als auch die ESRS anwenden müssen oder wollen, Effizienzgewinne erzielen müssen”, erklärte Sue Lloyd, stellvertretende Vorsitzende des ISSB. “Wir gehen davon aus, dass dieser Interoperabilitätsleitfaden den Unternehmen, die die jeweiligen Anforderungen der ISSB-Normen und der ESRS anwenden müssen, eine praktische Hilfe sein wird.”
EFRAG und ISSB hatten jeweils 2023 die ersten Sets mit Standards vorgestellt. Das erste Set der europäischen Standards (ESRS 1) enthält zwölf Berichtsstandards, zehn davon zu Nachhaltigkeitsthemen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance. Zwei Standards behandeln übergreifende Anforderungen. Es wurde bereits von der EU-Kommission als delegierter Rechtsakt verabschiedet. Das zweite Set (ESRS 2) für kleine und mittelständische Unternehmen soll bis zum 30. Juni verabschiedet werden.
Die internationalen Standards des ISSB beziehen sich bislang auf generelle Anforderungen (IFRS S1) sowie auf klimabezogene Angaben (IFRS S2). Das ISSB wurde 2021 von der International Financial Reporting Standards Foundation gegründet, um für Investoren global geltende Standards für Nachhaltigkeitsinformationen zu entwickeln. leo
Während die Zulassungen von Elektroautos in Deutschland weiterhin nicht in Schwung kommen, boomt der Export. Das belegen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts. Danach wurden im Jahr 2023 rund 786.000 Pkw mit reinem Elektroantrieb aus deutscher Produktion ins Ausland verkauft. Das ist ein Plus von 58 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die wichtigsten Abnehmerländer waren die Niederlande (16 Prozent), gefolgt von Großbritannien und Belgien.
Im Jahr 2023 produzierte die deutsche Automobilindustrie rund 973.000 Elektrofahrzeuge. Das waren knapp 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum rollten beinahe zweieinhalbmal so viele Verbrenner vom Band.
Zugleich stagnieren seit dem Wegfall des Umweltbonus im Dezember 2023 die Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland auf niedrigem Niveau. Im April 2024 waren es laut Kraftfahrtbundesamt 29.668 Fahrzeuge, was einem Anteil von 12,2 Prozent an allen neu zugelassenen Pkw entspricht.
Dem Anstieg der Exporte steht ein geringerer Anstieg der Importe von Elektroautos nach Deutschland gegenüber. Sie stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent auf 446.000 Einheiten. Der größte Anteil kam aus China (29,0 Prozent), gefolgt von Südkorea (9,9 Prozent) und der Tschechischen Republik (9,3 Prozent).
Damit hat sich der chinesische Anteil an den reinen Elektroautoimporten im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Darin enthalten sind allerdings auch Fahrzeuge, die von internationalen Herstellern in China produziert und nach Deutschland exportiert wurden. Chinesische Elektroautohersteller wie BYD oder NIO spielen bei den Zulassungszahlen weiterhin eine untergeordnete Rolle.
Unterdessen hat die EU-Kommission im Rahmen ihrer Antisubventionsuntersuchung die drei chinesischen Hersteller BYD, SAIC und Geely laut Medienberichten wegen unzureichender Informationen verwarnt. Beobachter rechnen damit, dass in den kommenden Monaten Strafzölle zwischen 15 und 30 Prozent verhängt werden. ch
Shell hat im Zusammenhang mit CO₂-Entnahme-Projekten Millionen Kompensationszertifikate verkauft, für die keine CO₂-Abscheidung (CCS) stattfand. Als Teil eines Subventionsprogramms hat die Regionalregierung in Alberta dem Ölunternehmen zwischen 2015 und 2021 erlaubt, Zertifikate für doppelt so viele Emissionen zu registrieren, wie tatsächlich durch das Entnahmeprojekt Quest bei Edmonton in Alberta verhindert wurden. Das berichtete die Financial Times. Demnach wurden die Subventionen anschließend verringert und sind 2022 ausgelaufen.
Insgesamt soll Shell damit nach Provinzregistern von Alberta 5,7 Millionen Kompensationszertifikate, die jeweils einer Tonne CO₂ entsprechen, ohne reale Einsparungen verkauft haben. Zu den größten Käufern gehörten Unternehmen der Ölsandindustrie wie Chevron, ConocoPhillips und Imperial Oil. Greenpeace Kanada kritisierte, dass diese “Phantom-Credits” den Klimawandel verschlimmern würden. Die Vorgänge bringen nun erneut Zweifel an der CCS-Technologie sowie am Handel mit Kompensationszertifikaten auf. Die CCS-Anlage Quest steht wiederholt in der Kritik, beispielsweise gibt es den Vorwurf, dass sie mehr CO₂ ausstoße, als sie abscheide und speichere. kul
In jedem dritten TV-Werbespot und in jeder siebten Werbung auf Youtube werde für Produkte geworben, die dem Klima schaden. Besonders betroffen seien beworbene Süßwaren (86 Prozent schaden dem Klima), Autos (78 Prozent) und Drogerieartikel (72 Prozent). Das zeigt eine am Montag veröffentlichte Studie der Otto-Brenner-Stiftung, in der zudem gewarnt wird: Derartige Werbepraktiken würden gegen Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags verstoßen. Dieser untersagt Verhaltensweisen, die “in hohem Maße den Schutz der Umwelt gefährden”.
Für die Studie wurden knapp 10.000 Werbespots auf ARD, ZDF, RTL, Sat.1, Pro7 sowie auf Youtube analysiert. Zudem wurde der CO₂-Fußabdruck der beworbenen Produkte berechnet. Analysiert wurden auch unterschiedliche Strategien, mit denen der Klimaschaden verschleiert werde: So warben etwa 21 Prozent der klimaschädlichen Werbespots mit Bildern von Naturlandschaften und Wildtieren. “Damit wird die Botschaft vermittelt, man tue etwas Gutes für die Umwelt, wenn man diese Produkte kauft”, erklärt Autorin Alexandra Hilpert. Doch das sei “irreführendes Greenwashing”.
Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags biete allerdings “juristischen Auslegungsspielraum”, heißt es in der Analyse. Wann Verhaltensweisen “in hohem Maß den Schutz der Umwelt gefährden”, sei bislang nicht präzisiert worden. In einem einschlägigen Kommentar zum Rundfunkrecht werde aber von einer “eher geringen praktischen Bedeutung” des Paragrafen ausgegangen. Auch deshalb sei die Medienpolitik gefordert: Die Studienautoren empfehlen etwa verpflichtende Warnhinweise für klimaschädliche Produkte oder ein dynamisches Preis- oder Umlagesystem für Werbung – und ein Werbeverbot für besonders klimaschädliche Produkte oder Produktgruppen. lb
Mit einem Ministerschreiben an EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius haben Deutschland und weitere Mitgliedstaaten ihrer Forderung Nachdruck verliehen, notwendige Grundlagen für das Inkrafttreten der EU-Entwaldungsverordnung zu schaffen. Hintergrund für die deutsche Initiative sind Verzögerungen der EU-Kommission beim digitalen Informationssystem und dem sogenannten Länder-Benchmarking – einer Liste, die jedem Land eine bestimmte Risikostufe für Entwaldung zuweist. Beides verstehen sowohl Deutschland als auch die Mitunterzeichner des Briefes – Bulgarien, Estland, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Slowenien, Spanien und Ungarn – als zentrale Voraussetzungen für die Umsetzung der Verordnung.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir appelliert deshalb an die EU-Kommission, Tempo bei diesen Themen zu machen. “Ohne ihr Länder-Benchmarking droht ab 2025 unverhältnismäßig hohe Bürokratie für Klein- und Kleinstwaldbesitzer und unsere Verwaltung. Das müssen wir verhindern”, fordert Özdemir. Denn: Ohne Benchmarking werden alle Länder automatisch als Standardrisiko eingestuft – so auch Deutschland. Für Özdemir steht deshalb fest: “Wenn die Kommission das nicht auf die Kette bekommt, dann braucht es hier eine Verschiebung, damit die Kommission ihren Job macht.”
Die EU-Kommission lässt sich derweil nicht in die Karten blicken, wie weit ihre Arbeit bei der Entwicklung des Benchmarkings vorangeschritten ist. Für eine Verschiebung des Inkrafttretens der Verordnung um ein Jahr hatte sich vergangene Woche aber auch EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski beim EU-Agrarrat ausgesprochen. Anders als Umweltkommissar Sinkevičius zeichnet er jedoch nicht direkt verantwortlich für die Entwaldungsverordnung. Bislang hatte die Kommission einen Aufschub der Verordnung ausgeschlossen. Auf den Brief Deutschlands und der anderen Mitgliedsstaaten aber wolle man zeitnah antworten, so ein Kommissionssprecher.
Mit einer längerfristigen Verschiebung der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten, wie von Österreich jüngst mit Blick auf den damit zusammenhängenden Bürokratieaufwand gefordert, ist hierbei aber kaum zu rechnen. In einer Antwort von Umweltkommissar Sinkevičius auf die Anfrage eines österreichischen Abgeordneten heißt es, die Entwaldungsverordnung falle nicht in den Bereich, für den die Kommission kurzfristige Bürokratieerleichterungen angekündigt habe. heu
Die Jobangst ist zurück – Der Spiegel
Während Industriekonzerne den Abbau tausender Stellen ankündigen, werden Millionen Fachkräfte gesucht. Darüber wundern sich Rasmus Buchsteiner, Florian Diekmann und Markus Feldenkirchen. Ein Ökonom sagt: Aktive Transformationsgestaltung könne zum Beschäftigungsplus führen: “Das Problem ist, dass uns die aktive Gestaltung der Transformation abhandenzukommen droht.” Zum Artikel
Strategischer Rohstoff aus der Heide – taz
In der Lüneburger Heide startet ein Modellversuch zur Entnahme von Lithium aus Thermalwasser, berichtet Gernot Knödler. Das Leichtmetall ist wichtig für Stromspeicher, und wird bislang vor allem in Australien und Chile gefördert. Aus dem Bohrloch bei Lüneburg soll nun auf umweltfreundliche Weise genug Lithium für bis zu 10.000 Autobatterien gefördert werden. Zum Artikel
Japan and South Korea are struggling with old-age poverty – The Economist
Der Autor beschreibt die Altersarmut und deren Ursachen in Japan und Südkorea. Dazu zählten die Konstruktion der Altersabsicherung, steigende Lebenserwartung und im Falle von Südkorea vergleichsweise geringe Einzahlungen in das Rentensystem. In der Folge arbeiten viele Menschen in den beiden Ländern im Rentenalter noch. Zum Artikel
What campus protesters get wrong about divestment – The Economist
Um Druck auf Israel im Gazakriegs auszuüben, fordern viele Studierende in den USA ein Divestment ihrer Universitäten in Israel und bei dort tätigen Firmen. Der Autor analysiert die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei dieser Strategie der Einflussnahme. Als etwa vor einigen Jahre die Pensionsfonds in größerem Umfang Investments in fossilen Industrien verkauft haben, hätten Hedgefonds sie freudig übernommen. Zum Artikel
Trial against Chiquita, accused of helping terrorists kill thousands, finally begins – Palm Beach Post
Bereits vor zehn Jahren bekannte sich der Bananenkonzern Chiquita in den USA schuldig, Schutzgelder an paramilitärische Gruppen in Kolumbien bezahlt zu haben. Von den 25 Millionen Dollar Strafe haben die zivilen Opfer der Paramilitärs jedoch keinen Cent gesehen. Hannah Phillips berichtet vom nun in Florida beginnenden Zivilprozess gegen Chiquita. Zum Artikel
« Pour la Bourse de Paris, se priver de TotalEnergies serait grave, et, politiquement, ce serait désastreux » – Le Monde
Philippe Escande ist alarmiert über Überlegungen bei TotalEnergies, den Primäraktienhandel von Paris nach New York zu verlagern. Ähnliches höre er von Shell. Die beiden europäischen Konzerne seien in Europa unterbewertet, zumal Anleger ihre Dekarbonisierungsziele kritisieren. In den USA nähmen solche Bedenken ab. Zum Artikel
The $9tn question: how to pay for the green transition – Financial Times
Neun Billionen Dollar pro Jahr sind ab 2030 für die Klimafinanzierung notwendig. Attracta Mooney fasst vielerlei Ideen für neue Steuern und Abgaben zusammen. Der eigentliche Schlüssel wäre aber die Umlenkung privaten Kapitals. Bislang, das zeigt eine Grafik, überwiegen fossile Subventionen die Klimafinanzierung um ein Vielfaches. Zum Artikel
Giant Batteries Are Transforming the Way the U.S. Uses Electricity – New York Times
In Kalifornien ist Solarenergie tagsüber im Überfluss vorhanden. Doch abends, wenn die Menschen von der Arbeit nach Hause kommen und der Strombedarf in die Höhe schnellt, fehle sie. Um diese Lücke zu schließen, so Brad Plumer und Nadja Popovich, verbrennen die Energieversorger in der Regel fossile Brennstoffe. Doch seit 2020 werden in Kalifornien mehr Riesenbatterien installiert als irgendwo sonst auf der Welt – außer in China. Zum Artikel
Güterverkehr: Jetzt kommen die Elektrolaster – Klimareporter
Zwei EU-Richtlinien zwingen die Hersteller von Nutzfahrzeugen, den Anteil CO₂-freier Fahrzeuge sehr schnell zu erhöhen. Die Hersteller wollen diese Vorgaben aber noch übertreffen: Sie rechnen damit, dass im Jahr 2030 drei Viertel aller neu zugelassenen Lkw, Transporter und Busse emissionsfrei sein werden, berichtet Christian Mihatsch. Zum Artikel
Allianz gegen Klimaschutz – Correctiv
Der Allianz-Konzern nimmt für sich eine Vorreiterrolle im Klimaschutz in Anspruch. Doch die Tochergesellschaft PIMCO, haben Malina Dittrich und Elena Kolb recherchiert, investiere als Vermögensverwaltung in großem Stil in Kohle und andere fossile Energieträger. Damit sei die Allianz der größte europäische Investor in fossile Industrien. Zum Artikel
Angesichts der höchsten Inflation seit mehr als vier Jahrzehnten haben die Zentralbanken der wichtigsten Volkswirtschaften seit 2022 schrittweise die Zinssätze erhöht und eine Politik der quantitativen Straffung (QT) eingeleitet.
In unserem jüngsten Artikel argumentieren wir, dass Leitzinserhöhungen die umweltbedingten Ursachen der Inflation nicht berücksichtigen und sogar die langfristige Inflation verschärfen können, da sie die notwendigen Investitionen für den grünen Wandel verteuern und damit verzögern.
Stattdessen ist ein geldpolitischer Rahmen erforderlich, der sowohl die Inflation als auch die Umweltkrise bekämpfen kann. Fabio Panetta, der derzeitige Gouverneur der Bank von Italien und ehemaliges EZB-Direktoriumsmitglied, nannte solche Ansätze “grüner und billiger“.
Zinserhöhungen wirken sich auf nachhaltige Investitionen im Vergleich zu kohlenstoffintensiven Investitionen überproportional stark aus. Nachhaltige Investitionen sind kapitalintensiver, erfordern größere Vorleistungen und benötigen eine größere Fremdfinanzierung. Folglich reagieren sie empfindlicher auf Kostensteigerungen (insbesondere bei den Kreditkosten) als ihre kohlenstoffintensiven Konkurrenten.
Darüber hinaus hat QT auch das Potenzial der quantitativen Lockerung (QE) zur Unterstützung grüner Investitionen durch einfachere Finanzierung und niedrigere Kreditkosten deutlich verringert. Höhere Zinssätze können also den grünen Übergang verzögern, indem sie die Kosten für nachhaltige Investitionen erhöhen. Diese Politik ist daher nicht nur klimapolitisch kurzsichtig, sondern verschlechtert zugleich auch die Aussichten auf Preisstabilität.
Empirische Studien zeigen, dass die Umweltkrise auch eine Quelle der Inflation darstellt. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel nennt drei Arten von Schocks, die sich auf die Preise auswirken können:
Das gegenwärtige makroökonomische Umfeld erfordert einen geldpolitischen Ansatz, der die Klima- und Umweltkrise adressiert und gleichzeitig die Inflation bekämpft. Dies ist nicht nur aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen notwendig, sondern steht auch im Einklang mit dem Hauptauftrag der Zentralbanken.
In der Fachliteratur werden zahlreiche Instrumente diskutiert, die zu diesem Zweck eingesetzt werden könnten, darunter Ankäufe von Vermögenswerten, Kreditvergabepolitik und Finanzvorschriften. Ein besonders vielversprechender Ansatz ist die direkte Kreditvergabe, die früher in fortgeschrittenen Volkswirtschaften üblich war und auch heute noch in einigen Entwicklungsländern angewendet wird. Hierbei lenken die Zentralbanken die Kreditvergabepraxis in eine grüne Richtung. Es gibt eine Vielzahl an Instrumenten, die zu diesem Zweck herangezogen werden können, die positive Effekte auf Banken, Unternehmen und Regierung haben. Dazu zählen
Darüber hinaus wurde die Politik der Kreditsteuerung in der Vergangenheit erfolgreich zur Bekämpfung der Inflation eingesetzt.
Obwohl es zahlreiche Belege dafür gibt, dass die derzeitige Inflation nicht nur auf die Fossilflation, sondern auch auf angebotsseitige Faktoren wie die Unterbrechung der Lieferketten infolge von COVID, den Krieg in der Ukraine und den Anstieg der Unternehmensgewinne zurückzuführen ist, orientieren sich die Zentralbanken bei ihrer Geldpolitik nach wie vor an den gängigen Modellen. Diese gehen davon aus, dass die Inflation vor allem durch einen Überschuss der Gesamtnachfrage zu erklären ist.
Wenn die Zentralbanken nicht auch andere Inflationsursachen und die dafür erforderlichen Gegenmaßnahmen in Betracht ziehen, werden sie mit der Zinserhöhung den Preisanstieg nicht in den Griff bekommen. Außerdem fügen sie der Wirtschaft unnötigen Schaden zu, indem sie die Arbeitslosigkeit erhöhen und die Finanzstabilität gefährden. Die EZB hatte Umwelt- und Klimafaktoren bislang vor allem als Risiken für die Finanzstabilität betrachtet. In jüngster Zeit hat sie jedoch damit begonnen, auch die Auswirkungen dieser Phänomene auf die Preisstabilität in ihre Analyse miteinzubeziehen. Diese Überlegungen müssen jedoch noch in eine neue Geldpolitik umgesetzt werden.
Mit der Verschärfung der Umwelt- und Klimakrise wird es immer dringlicher, den grünen Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft zu beschleunigen. Allein die Änderung der Anreizstruktur innerhalb desselben Rahmens wird nicht ausreichen, um die finanziellen Ressourcen zu mobilisieren, die für den grünen Wandel erforderlich sind. Eine nachhaltige Umgestaltung des Staates und des Finanzsystems setzt jedoch voraus, dass die Zentralbanken selbst mutiger eingreifen und sich als Akteure des Wandels begreifen. Würde die EZB eine solche Rolle übernehmen, wäre sie in der Lage, effektiv und gezielt Kredite in Richtung kohlenstoffarmer oder -freier Investitionen zu lenken und könnte auf diese Weise die nachhaltige Transformation maßgeblich und entscheidend unterstützen.
Nicolás Aguila ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Witten/Herdecke.
Joscha Wullweber ist Heisenberg-Professor für Politische Ökonomie, Transformation und Nachhaltigkeit sowie Direktor des Internationalen Zentrums für nachhaltige und gerechte Transformation an der Universität Witten/Herdecke.
Climate.Table – Chevron-Doktrin: So wichtig wird das Urteil des Supreme Court fürs Klima: Bis Juni entscheidet der Supreme Court in den USA über die Chevron-Doktrin. Sollten die Richter die Entscheidung kippen, werden zahlreiche Streitfälle nicht mehr durch das Parlament entschieden. Dadurch könnten in Zukunft Klima- und Umweltregulierungen erschwert werden. Zum Artikel
Climate.Table – COP31: Zehn Gründe für Australien als Gastgeber: Hinter den Kulissen der UN und vor der Bonner Zwischenkonferenz im Juni hat die Debatte um den Gastgeber der Klimakonferenz für 2026 begonnen. Viele gute Argumente sprechen für Australien. Zum Artikel
Africa.Table – Grüner Wasserstoff: Algerien setzt nicht auf Deutschland allein: Algerien will stärker in erneuerbare Energie investieren. Wirtschaftsminister Habeck bemüht sich darum, mit grünem Wasserstoff dabeizusein. Doch die algerische Regierung lässt die Konkurrenz spielen und lädt andere ausländische Unternehmen zu Partnerschaften ein. Zum Artikel
Europe.Table – Neuartige Lebensmittel: Warum der EU-Zulassungsprozess Start-ups abschreckt: Die EU-Zulassung für Novel Foods gilt als Goldstandard für den internationalen Markt. Trotzdem entscheiden sich immer wieder heimische Unternehmen, Innovationen erst einmal andernorts anzumelden. Zwei Probleme schrecken vor allem Start-ups ab. Zum Artikel
Unternehmen melden sich in Deutschland gewöhnlich politisch zu Wort, wenn es um ihre Interessen geht, zum Beispiel zu den Themen Steuern, Freihandelsabkommen oder Lohnnebenkosten. Anders die 30 Unternehmen, die sich am Dienstag mit ihrer Initiative “Wir stehen für Werte” an ihre Beschäftigten und die Öffentlichkeit wandten.
Unter anderem Siemens Energy, BMW, die Deutsche Bahn und Thyssenkrupp sowie diverse Familienunternehmen rufen ihre 1,6 Millionen Beschäftigten zu Vielfalt, Toleranz und Offenheit auf. Sie ermuntern ihre Belegschaften außerdem, an der Europawahl teilzunehmen. Den Appell unterstützen BDI und DGB. “Politik lässt sich aus Unternehmen nicht mehr heraushalten”, sagt der Betriebswirt Markus Scholz mit Blick auf sich zuspitzende politische Debatten und gesellschaftliche Verhältnisse.
Gleichberechtigung ist das Thema von Maria Noichl, Sprecherin für Frauenrechte und Geschlechtergleichstellung der Sozialdemokraten im EU-Parlament. Aus ihrer Sicht war die abgelaufene Legislaturperiode für Frauen in Europa ein Erfolg. Trotzdem bleibe noch eine Menge zu tun. Was genau? Das lesen Sie im Interview von Leonie Düngefeld.
Für die Umsetzung der Transformation müssen gigantische Summen aufgebracht werden, wenn sie gelingen soll. Große Hoffnung setzen viele Experten auf eine Reform der Schuldenbremse. Aktuelle Vorschläge und ihre Grenzen analysiert Alex Veit. In einem Standpunkt-Beitrag mahnen die Ökonomen Nicolás Aguila und Joscha Wullweber die Europäische Zentralbank, das Potenzial einer grünen Geldpolitik zu verwirklichen.
Frau Noichl, wie lautet Ihre Bilanz – waren die vergangenen fünf Jahre in Sachen Gleichstellung ein Erfolg?
Gleichstellungspolitisch betrachtet war die Legislaturperiode wahnsinnig erfolgreich. Denn man muss ja beachten, dass die Welt da draußen sich momentan teilweise eher anti-feministisch verhält. Wir haben daher gesagt: Jetzt muss erstmal alles gut zementiert sein, was wir bereits erreicht haben. Und gleichzeitig ist es uns gelungen, weitere Schritte nach vorn zu gehen.
Wo stehen wir heute bei der Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft?
Das Versprechen der Feministinnen aus den 1950er- bis 1970er-Jahren – “Wenn ihr einen Job da draußen annehmt, werdet ihr wirtschaftlich von den Männern unabhängig, könnt euer Leben selbst gestalten” – wurde leider nicht eingelöst. Frauen arbeiten zunehmend in den Niedriglohnbereichen und sind deshalb immer noch nicht unabhängig.
Die EU hat in diesem Mandat einen europaweiten Mindestlohnrahmen festgelegt: 60 Prozent des Durchschnittslohns eines Landes. Damit sollten vor allem die großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten verringert werden. Ändert er auch etwas an der Situation der Frauen?
Der europäische Mindestlohn ist für uns Frauen gigantisch. Mindestlöhne helfen überproportional den Frauen. Wir haben in Deutschland gemerkt, dass die Einführung des Mindestlohns hauptsächlich Frauen im Osten geholfen hat: Friseurinnen, die vorher mit 2,50 Euro und Trinkgeld abgespeist wurden, zum Beispiel. Und auch jetzt, bei der Mindestlohnerhöhung in Deutschland auf 12,41 Euro, haben wieder die Frauen den wirklichen Mehrwert.
Im Jahr 2022 verdienten Frauen in der EU für die gleiche Arbeit durchschnittlich knapp 13 Prozent weniger als Männer, in Deutschland sogar knapp 18 Prozent weniger. Was hat die EU gegen das Gender Pay Gap unternommen?
Wir haben die sogenannte Lohntransparenzrichtlinie auf den Weg gebracht. Damit schauen wir uns die aktuellen Löhne an. Wir haben das leider nicht für alle Unternehmen geschafft, sondern nur für die ganz großen. Für die gelten aber nun ein europaweites Auskunftsrecht und Berichtspflichten. Sie müssen sich, wenn sie 20 Disponentinnen und 50 Disponenten haben, überlegen: Zahl ich die überhaupt gleich? Oder verdienen komischerweise die Frauen 200 Euro weniger? Frauen dürfen zum Beispiel nicht mehr gefragt werden, was sie vorher verdient haben. Zudem machen wir mit dem Mindestlohn und der Lohntransparenzrichtlinie auch schon etwas für die Zukunft: Denn der Pension Gap, der Unterschied in den Renten, beträgt ja sogar bis zu 30 Prozent.
Schauen wir in die Unternehmen: Die EU hat unter anderem die schon seit zehn Jahren geplante “Women on Boards”-Richtlinie verabschiedet. Die Mitgliedstaaten haben bis 2026 Zeit, sie umzusetzen. Was ändert sich damit?
Wir haben jetzt eine europaweite Quote für Frauen in Aufsichtsräten: 40 Prozent bei den börsennotierten Gesellschaften. Ohne eine europaweite Regelung hätten wir einen Flickenteppich. Es geht um eine Klimaänderung. Ich möchte das Wort hier ganz bewusst verwenden: Unternehmen haben auch ein internes Klima, eine eigene Art und Weise, wie das Unternehmen tickt. Wie man dort mit Frauen umgeht, die Kinder haben, aber trotzdem aufsteigen und Karriere machen wollen. Wie man mit Männern umgeht, die Erziehungsurlaub nehmen wollen. Wir erhoffen uns nicht nur, dass mehr Frauen in den Aufsichtsräten sitzen, sondern dass sich damit die Unternehmensführung ändert, partnerschaftlicher wird.
Die EU-Kommission hat sich in ihrer Gleichstellungsstrategie unter anderem verpflichtet, die Geschlechterperspektive systematisch in alle Politikbereiche einzubeziehen. Wie gut funktioniert das sogenannte Gender Mainstreaming?
Da sind wir noch Entwicklungsland. Mir kommt es oft so vor, als müssten Gesetzestexte abgeschlossen werden und am Ende schreibt man noch drei Sätze für Frauen rein. Auch in den einzelnen Ausschüssen passiert zu wenig. Wir haben zwar in der S&D-Fraktion schon ein Gender Mainstreaming-Netzwerk, das Beobachterinnen in jedem Ausschuss hat und sich über das Thema austauscht. Aber man hat oft das Gefühl, dass Gleichstellung noch als das Weiche gesehen wird. Erst werden die harten Themen verhandelt und dann kommen sie vielleicht noch ein bisschen auf das Weiche zu sprechen. Aber Gleichstellung muss von Anfang an mitgedacht und in die Papiere einbezogen werden.
Der Europäische Rechnungshof bemängelte in einem Sonderbericht von 2021, die Gleichstellung der Geschlechter werde auch im EU-Haushaltszyklus nicht angemessen berücksichtigt.
Jeder zweite Euro muss in die Hand einer Frau fließen. Wir haben das Recht auf die Hälfte des Geldes. Das wird ja schon allein im Bereich der Landwirtschaft ad absurdum geführt. In Deutschland ist das anders, aber in vielen anderen Teilen Europas gehören die landwirtschaftlichen Betriebe den Männern. Damit fließen die hohen Subventionen der EU – immerhin ein Drittel des EU-Haushalts – überproportional in ihre Hände. Genauso ist es mit Hilfsgeldern und europäischen Fördergeldern. Auch Corona-Hilfen sind europaweit überwiegend in die Hände von Männern geflossen.
Wie lässt sich das ändern?
Das Wichtigste ist, dass man nicht nur wartet, was passiert, sondern dass man steuert. In Berlin gibt es zum Beispiel bereits die Position eines Gender Mainstreaming-Beauftragten. Der kontrolliert bei Förderprojekten, wohin das Geld gelangt und versucht, nachzusteuern. In der EU-Gesetzgebung bräuchte es zum Beispiel auch den ganz klaren Auftrag, die Folgenabschätzung nicht nur im technischen oder finanziellen Bereich, sondern auch für die Gleichstellung durchzuführen. Man sollte fragen: Was passiert europäisch, wenn wir an bestimmten Schrauben drehen?
Nach der Europawahl im Juni könnte der Gegenwind, von dem Sie sprachen, in Brüssel kräftiger wehen. Wie blicken Sie auf die kommende Legislaturperiode?
Es ist wichtig, dass wir Frauenrechte auf europäischer Ebene absichern, damit Veränderungen in den Mitgliedstaaten diese Rechte nicht schleifen können. Wir Sozialdemokraten haben im vergangenen Jahr eine Europäische Frauenrechts-Charta vorgestellt. Damit wollen wir europaweit Mindeststandards sichern. Denn Europa ist ja ein Versprechen. Es kann nicht sein, dass es vom Wohnort abhängig ist, ob ich bei häuslicher Gewalt geschützt bin. Wir erwarten, dass alle Kandidatinnen und Kandidaten der S&D-Fraktion die Charta unterschreiben und deutlich machen: Ich werde meine Kraft dafür einsetzen, für Gleichstellung zu stehen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der EU-Gleichstellungspolitik?
Wenn ich richtig zaubern könnte, dann würde ich dafür sorgen, dass Gleichstellung eine Bedingung für den EU-Beitritt wird. Falls es in den nächsten Jahren zu Aufnahmen von weiteren Ländern kommt, müssen wir aufpassen, dass dabei Gleichstellung immer klar auf dem Verhandlungstisch liegt. Und ich wünsche mir, dass bei Verstößen Gelder eingefroren werden. Staaten, die gegen Gleichstellung vorgehen, müssen das am Kontoauszug merken.
Die fiskalpolitische “Goldene Regel” stand von 1969 bis 2009 im Grundgesetz, um den Aufwuchs der Staatsverschuldung zu bremsen. Ihre Wiedereinführung, in veränderter Form, ist zunehmend konsensfähig, auch im konservativen politischen Lager. Beim am heutigen Mittwoch endenden CDU-Parteitag positionierte sich Parteichef Friedrich Merz zwar noch einmal gegen eine Reform der Schuldenbremse. Bereits vor dem Parteitag hatten jedoch einige Ministerpräsidenten aus Unions-regierten Bundesländern eine entsprechende Reforminitiative im Bundesrat angekündigt.
Allerdings würde auch eine Reform der Schuldenbremse nicht automatisch nachhaltige staatliche Investitionen und Subventionen für die Transformation ermöglichen. Es könnte sogar zu politischen Fehlanreizen kommen.
Einen vielbeachteten Vorschlag zu einer modifizierten Goldenen Regel hatte im Dezember der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegt. Ihm gehören viele neoklassisch argumentierende Finanzwissenschaftler an. Ihr Vorschlag einer “Goldenen Regel Plus” für eine nachhaltige Finanzpolitik sieht die Nicht-Anrechnung von Investitionen in neues Sachkapital auf das Kreditlimit der Schuldenbremse vor.
“Nur sogenannte Nettoinvestitionen würden freigestellt mit Blick auf die Verschuldung“, erläutert Tobias Hentze, Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung am Institut der Deutschen Wirtschaft. “Also nur Investitionen, die den Kapitalstock erhöhen. Und nicht solche, die nur verhindern, dass er zurückgeht.”
Denn die grundgesetzliche Regelung vor 2009 unterschied nicht zwischen der Sanierung von beispielsweise Schulgebäuden, die nur dem Werterhalt dienten, und einem Neubau. Schuldenfinanzierte Mittel flossen daher auch in die bloße Werterhaltung, die von vielen Ökonomen aber als konsumtive Ausgabe eingestuft wird. Die Goldene Regel Plus des BMWK-Beirats soll daher sicherstellen, dass den neuen Schulden auch tatsächlich neue Gebäude und technische Anlagen gegenüberstehen.
Der Volkswirt Hentze hält die Beschränkung auf Nettoinvestitionen allerdings für ein Hilfsmittel, das nicht immer sinnvoll sei. Er verweist auf den Bildungsbereich, der für die Transformation wesentlich ist. Es brauche nicht nur Schulgebäude, sondern auch Lehrergehälter oder Tablets für Schüler. “Diese Ausgaben führen aber nicht zur Erhöhung des Kapitalstocks und sind dementsprechend Konsum”, sagt er. Für ein funktionierendes Bildungssystem brauche man konsumtive und investive Ausgaben. “Es geht nicht um gut und schlecht, sondern um das richtige Zusammenspiel der beiden Kategorien.”
Kontraproduktiv sei bei der Goldenen Regel Plus ebenfalls, dass Subventionsanreize etwa zur Dekarbonisierung der Industrieproduktion – wie sie die Bundesregierung mit dem Klima- und Transformationsfonds anbietet – nicht mit neuen Staatsschulden finanziert werden könnten. “Subventionen haben eine wichtige Funktion in der Volkswirtschaft, sie sollen zum richtigen Verhalten animieren”, sagt Hentze. Wie zielführend Subventionen seien, müsse immer überprüft werden. Doch ohne die Privatwirtschaft werde die Transformation nicht gelingen, schließlich müsse sie den Großteil der notwendigen Investitionen leisten. Daher würde es “ohne Subventionen in den nächsten 20 Jahren ganz sicher nicht gehen”, da der Bedarf zu groß sei.
Auch Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs “Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft” am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim ist skeptisch gegenüber dem Vorschlag einer Goldenen Regel Plus. “Der Nettoinvestitionsbegriff ist zu eng und zu breit, um Zukunftsaufgaben gut abzubilden“, argumentiert er. Er sei zu eng, weil wichtige Investitionen nicht abgedeckt wären. Dazu zählt er Bildung, Forschung und Entwicklung, sowie die Wahrung des Naturkapitals. “Die sind bislang nicht enthalten, wenn die Ausgaben nicht unmittelbar den physischen Kapitalstock erhöhen”, sagt er.
Umgekehrt sei der Begriff zu breit, so der Professor für Volkswirtschaftslehre, da auch gegenwartsbezogene Ausgaben zu den Nettoinvestitionen zählen. “Zum Beispiel können Fahrzeuge als Investitionen verbucht werden”, führt er an. “Mit denen fährt man nur wenige Jahre, bis sie abgeschrieben sind und ersetzt werden müssen.”
Sein alternativer Vorschlag ist der einer “Zukunftsquote”, die Kapitalbildung umfassend in den Blick nimmt: Ausgaben, die sich erst in einigen Jahren auszahlen, und die neben dem Sachkapital auch das Human- oder Naturkapital erhöhen sowie technisches Wissen schaffen. Dabei seien allerdings viele definitorische Schwierigkeiten und ein breiter Interpretationsspielraum gegeben. Daher müsse ein unabhängiges, unpolitisches Gremium in die Kontrolle der Zukunftsquote einbezogen werden.
Hentze und Heinemann gehen wie viele andere Ökonomen davon aus, dass die Politik eher kurzfristigen Wählerinteressen folgt als längerfristigen gesellschaftlichen Zielen. Daher plädiert Heinemann dafür, eine zukunftsorientierte Reform der Schuldenbremse auch mit Vorgaben für den Kernhaushalt zu verknüpfen. Es bestehe sonst die Gefahr, dass die Entlastung des steuerfinanzierten Kernhaushalts genutzt werde, um konsumtive Ausgaben zu tätigen. Daher solle eine höhere Staatsverschuldung nur zulässig sein, wenn auch im Kernhaushalt die Zukunftsausgaben ansteigen würden.
11. Mai 2024, 10-17 Uhr, Karlsruhe
Konferenz Gewerkschaftsratschlag 2024: Tarifbindung & gute Arbeit in der Kommune stärken (Veranstalter: Rosa Luxemburg Stiftung) Info & Anmeldung
12. bis 17. Mai 2024, Hattingen
Konferenz Die Grenzen des Wachstums sind erreicht! Wirtschaften in den ökologischen Grenzen, aber wie? (Veranstalter: DGB-Bildungswerk) Info & Anmeldung
Dienstag, 14. Mai, 12-13 Uhr
Digitales Mittagsgespräch Was schulden wir der Zukunft? Europäische Instrumente für Zukunftsinvestitionen (Veranstalter: Heinrich-Böll-Stiftung) Info & Anmeldung
15. Mai 2024, 18:15-19:45 Uhr, Marburg
Vortrag Regenerieren statt erschöpfen: Warum wir Energie- und Rohstoffwende zusammen bringen müssen (Veranstalter: Green Office) Info & Anmeldung
15.-16. Mai 2024, Berlin
Konferenz Energietage Berlin 2024 (Veranstalter: EUMB Pöschk) Info & Anmeldung
15.-17. Mai 2024, Berlin
Festival 17. Greentech Festival mit Verleihung der Green Awards 2024 (Veranstalter: Greentech Show GmbH) Info & Anmeldung
21. Mai 2024, 19-21 Uhr, Hannover
Diskussion Die Grenzen des Wachstums – “degrowth” oder green growth”? (Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung) Info & Anmeldung
22. Mai 2024, 18-19:30 Uhr, Frankfurt
Diskussion Managerkreis Rhein-Main: Rechtspopulismus und -extremismus und die Verantwortung von Unternehmen (Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung) Info & Anmeldung
Am Dienstag startete der “Mecanismo de Reclamationes des Derechos Humanos (MRDH)”, ein unternehmensübergreifender Beschwerdemechanismus in Mexiko. Beteiligt sind die drei deutschen Unternehmen aus der Automobilbranche BMW, Mercedes-Benz und ZF Friedrichshafen. Sie hätten sich verpflichtet, Entscheidungen der unabhängigen Experten umzusetzen und zu Abhilfemaßnahmen beizutragen, heißt es bei den zivilgesellschaftlichen Trägerorganisationen. Der MRDH umfasst die gesamte Lieferkette der beteiligten Unternehmen in Mexiko bis hin zur Endmontage.
Der Start des Pilotprojets hatte sich gezogen. Bereits vor viereinhalb Jahren begann der Dialog zwischen Unternehmen, Gewerkschaften, Regierungen, nationalen Menschenrechtsorganisationen und der Zivilgesellschaft – zunächst in Deutschland, dann in Mexiko. Mit VW zog sich ein wichtiges Unternehmen zurück, weil es den eigenen Beschwerdemechanismus für ausreichend hielt. Ein weiteres Unternehmen – Bosch – beschränkt sich auf eine finanzielle Förderung des Projekts, nutzt den Mechanismus aber nicht. Der Erfolg des Projekts hänge vor allem davon ab, wie viele deutsche Automobilunternehmen mitmachen würden, sagen Branchenbeobachter.
Viele deutsche Automobilfirmen sind in Mexiko vertreten, dem weltweit sechstgrößten Autoproduktionsstandort. Größte deutsche Arbeitgeber in dem Bereich sind Continental (22.000 Beschäftigte), Bosch (16.000) und Volkswagen (15.500). Nach Einschätzung der AHK siedeln sich weitere Zulieferbetriebe an.
Von einem “wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer gerechten Automobilzulieferkette, die den Zugang zu Rechtsmitteln für Arbeitnehmer und Betroffene in Mexiko gewährleistet”, spricht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Die Idee eines solchen Mechanismus geht auf einen Branchendialog zurück, der vom BMAS initiiert worden war. Zuversichtlich ist Bärbel Kofler, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, dass die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt helfen könnten, “weitere branchenweite Beschwerdemechanismen in anderen Ländern und Sektoren einzurichten”.
Es sei gelungen, die mexikanische Zivilgesellschaft in das Projekt einzubeziehen, sagt Anton Pieper von der NGO WEED. Er spricht von einem möglichen “Gamechanger”. Zeigen müsse sich aber, ob den Betroffenen von Menschen- und Umweltrechtsverletzungen in den automobilen Lieferketten tatsächlich geholfen werde könne. Das Projekt läuft zunächst bis Ende 2025. Darüber hinaus sind Fortsetzung und Finanzierung offen. cd
Der Faire Handel hat einen Unterstützungsfonds mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) aufgelegt. Damit soll die Zusammenarbeit von Unternehmen, Produzenten und sonstigen Akteuren in fairen Lieferketten befördert werden, damit diese die unternehmerischen Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umwelt umsetzen können. Projektpartner sind Fairtrade Deutschland, das Forum Fairer Handel und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Bewerben können sich Unternehmen mit:
Sie erhalten die Hälfte ihrer Projektkosten als öffentlichen Zuschuss. Anträge müssen im Mai, Juni und September bis zur Monatsmitte abgegeben werden.
Die bisherigen Fördermöglichkeiten für KMU aus dem fairen Handel “haben nicht gepasst“, sagt Claudia Brück, Vorständin bei Fairtrade Deutschland gegenüber Table.Briefings. Ziel sei es, die Zugangsschwelle für interessierte Unternehmen abzusenken. Brück verweist auf positive Erfahrungen bei der Vergabe von öffentlichen Hilfen durch Fairtrade Deutschland während der Corona-Krise.
Das BMZ stellt insgesamt 1,9 Millionen Euro zur Verfügung. Davon fließt knapp die Hälfte in einen Fonds, der von Fairtrade Deutschland verwaltet wird. Die andere Hälfte steht für die Organisation selbst sowie für die Beratung innerhalb der ausländischen Produzentennetzwerke zur Verfügung.
Noch fallen die betreffenden KMU nicht unter das deutsche Lieferkettengesetz. Trotzdem müssen sie bereits oft gegenüber Abnehmern entsprechende Verpflichtungen übernehmen. Verlangt würden etwa Geodaten, erklärt Brück. Damit werde sichergestellt, dass Rohstoffe wie Kakao oder Kaffee gemäß der Richtlinie für entwaldungsfreie Lieferketten angebaut worden sind. Die entsprechenden Äcker dürfen nicht nach 2020 entwaldet worden sein.
Eine Klarstellung über Zertifizierungen zur Erfüllung von Lieferkettengesetzverpflichtungen erhofft sich der Faire Handel vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Wichtig sei zu wissen, in welchen Fällen eine Zertifizierung als Beleg dafür angesehen werde, dass Unternehmen die Vorgaben des Lieferkettengesetzes einhalten. Das BAFA hat eine entsprechende Handreichung angekündigt, die vermutlich Ende dieses Jahres erscheinen wird.
Den Geschäftsverlauf 2023 bewertet Fairtrade Deutschland in seinem am Dienstag erschienen Jahresbericht “verhalten positiv”.
Solche Absatzrückgänge erlebt der Faire Handel nicht das erste Mal. Bereits im ersten Corona-Jahr kauften die Konsumenten weniger faire Waren.
Inflationsbereinigt hätte der Faire Handel in Deutschland 2023 ein Plus von 1,3 Prozent erzielt. Optimistisch ist die Organisation für 2024, weil die Absätze in den letzten beiden Quartalen 2023 und dem ersten Quartal 2024 deutlich angestiegen sind. cd
Vor der anstehenden Gewerkschaftswahl in Vance tauscht Mercedes-Benz den Werksleiter aus. Vorangegangen sind Vorwürfe, das lokale Management würde Gewerkschafter auch mit illegalen Mitteln unter Druck setzen, was das Unternehmen bestreitet.
Kurz vor den Mitte Mai anstehenden Gewerkschaftswahlen hat Mercedes-Benz am Standort Vance im US-Bundesstaat Alabama den Werkleiter ausgetauscht. Zum Nachfolger von Michael Göbel wurde sein bisheriger Stellvertreter Federico Kochlowski ernannt. Beobachter werten den Personalwechsel als Zeichen dafür, dass die Nervosität in der Stuttgarter Konzernzentrale steigt. Andere vermuten ein Manöver, um Druck aus der angespannten Situation zu nehmen.
Die Gewerkschaftswahlen bei Mercedes-Benz US International (MBUSI) mit rund 6.100 Beschäftigten wurden von der zuständigen Bundesbehörde NLRB auf den Zeitraum vom 13. bis 17. Mai gelegt. Doch anders als bei VW in Chattanooga im April gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Vorwürfe, das lokale Mercedes-Management würde Gewerkschafter auch mit illegalen Mitteln unter Druck setzen. MBUSI bestreitet dies.
Das Ergebnis der Abstimmung wird für den Abend des 17. Mai erwartet. Das Werk in Vance wäre das zweite Automobilwerk eines internationalen Herstellers, dass die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) nach dem Werk von VW innerhalb weniger Monate organisiert.
Währenddessen haben sich UAW und Daimler Truck Ende April auf einen Tarifvertrag geeinigt. Danach erhalten 7.400 Beschäftigte an sechs US-Produktionsstandorten im Süden der USA eine Lohnerhöhung von mindestens 25 Prozent. Zusätzlich wurden Bonuszahlungen und ein Inflationsausgleich vereinbart. 94,5 Prozent der Belegschaft stimmten dem Verhandlungsergebnis zu. Der Vertrag hat eine Laufzeit von vier Jahren und endet Anfang März 2028.
Der Tarifabschluss mit Daimler Truck entspricht in vielen Bereichen den Vereinbarungen, die die Gewerkschaft im Herbst 2023 nach einer Streikwelle mit Ford, General Motors und Stellantis ausgehandelt hatte. Auch bei Daimler Truck hatte sich eine große Mehrheit der Beschäftigten für Arbeitskampfmaßnahmen ausgesprochen. Dazu kam es jedoch nicht. ch
Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) und das International Sustainability Standards Board (ISSB), die jeweils europäische beziehungsweise internationale Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickeln, haben einen Leitfaden für die Interoperabilität beider Standards veröffentlicht. Die “ESRS-ISSB Standards Interoperability Guidance” soll veranschaulichen, inwiefern die “European Sustainability Reporting Standards” (ESRS) und die Standards der ISSB übereinstimmen und von Unternehmen parallel angewendet werden können.
Der Leitfaden beschreibt die Angleichung beider Standards in Bezug auf die allgemeinen Anforderungen und auf Schlüsselkonzepte wie Wesentlichkeit, Darstellung und Angaben für andere Nachhaltigkeitsthemen als das Klima. Außerdem enthält er Informationen über die Angleichung der Klimaangaben. Damit soll garantiert werden, dass ein Unternehmen die Klimaanforderungen beider Normen erfüllt, egal, mit welchem Standard es beginnt.
“Wir sind uns bewusst, dass die Unternehmen, die sowohl die ISSB-Standards als auch die ESRS anwenden müssen oder wollen, Effizienzgewinne erzielen müssen”, erklärte Sue Lloyd, stellvertretende Vorsitzende des ISSB. “Wir gehen davon aus, dass dieser Interoperabilitätsleitfaden den Unternehmen, die die jeweiligen Anforderungen der ISSB-Normen und der ESRS anwenden müssen, eine praktische Hilfe sein wird.”
EFRAG und ISSB hatten jeweils 2023 die ersten Sets mit Standards vorgestellt. Das erste Set der europäischen Standards (ESRS 1) enthält zwölf Berichtsstandards, zehn davon zu Nachhaltigkeitsthemen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance. Zwei Standards behandeln übergreifende Anforderungen. Es wurde bereits von der EU-Kommission als delegierter Rechtsakt verabschiedet. Das zweite Set (ESRS 2) für kleine und mittelständische Unternehmen soll bis zum 30. Juni verabschiedet werden.
Die internationalen Standards des ISSB beziehen sich bislang auf generelle Anforderungen (IFRS S1) sowie auf klimabezogene Angaben (IFRS S2). Das ISSB wurde 2021 von der International Financial Reporting Standards Foundation gegründet, um für Investoren global geltende Standards für Nachhaltigkeitsinformationen zu entwickeln. leo
Während die Zulassungen von Elektroautos in Deutschland weiterhin nicht in Schwung kommen, boomt der Export. Das belegen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts. Danach wurden im Jahr 2023 rund 786.000 Pkw mit reinem Elektroantrieb aus deutscher Produktion ins Ausland verkauft. Das ist ein Plus von 58 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die wichtigsten Abnehmerländer waren die Niederlande (16 Prozent), gefolgt von Großbritannien und Belgien.
Im Jahr 2023 produzierte die deutsche Automobilindustrie rund 973.000 Elektrofahrzeuge. Das waren knapp 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum rollten beinahe zweieinhalbmal so viele Verbrenner vom Band.
Zugleich stagnieren seit dem Wegfall des Umweltbonus im Dezember 2023 die Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland auf niedrigem Niveau. Im April 2024 waren es laut Kraftfahrtbundesamt 29.668 Fahrzeuge, was einem Anteil von 12,2 Prozent an allen neu zugelassenen Pkw entspricht.
Dem Anstieg der Exporte steht ein geringerer Anstieg der Importe von Elektroautos nach Deutschland gegenüber. Sie stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent auf 446.000 Einheiten. Der größte Anteil kam aus China (29,0 Prozent), gefolgt von Südkorea (9,9 Prozent) und der Tschechischen Republik (9,3 Prozent).
Damit hat sich der chinesische Anteil an den reinen Elektroautoimporten im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Darin enthalten sind allerdings auch Fahrzeuge, die von internationalen Herstellern in China produziert und nach Deutschland exportiert wurden. Chinesische Elektroautohersteller wie BYD oder NIO spielen bei den Zulassungszahlen weiterhin eine untergeordnete Rolle.
Unterdessen hat die EU-Kommission im Rahmen ihrer Antisubventionsuntersuchung die drei chinesischen Hersteller BYD, SAIC und Geely laut Medienberichten wegen unzureichender Informationen verwarnt. Beobachter rechnen damit, dass in den kommenden Monaten Strafzölle zwischen 15 und 30 Prozent verhängt werden. ch
Shell hat im Zusammenhang mit CO₂-Entnahme-Projekten Millionen Kompensationszertifikate verkauft, für die keine CO₂-Abscheidung (CCS) stattfand. Als Teil eines Subventionsprogramms hat die Regionalregierung in Alberta dem Ölunternehmen zwischen 2015 und 2021 erlaubt, Zertifikate für doppelt so viele Emissionen zu registrieren, wie tatsächlich durch das Entnahmeprojekt Quest bei Edmonton in Alberta verhindert wurden. Das berichtete die Financial Times. Demnach wurden die Subventionen anschließend verringert und sind 2022 ausgelaufen.
Insgesamt soll Shell damit nach Provinzregistern von Alberta 5,7 Millionen Kompensationszertifikate, die jeweils einer Tonne CO₂ entsprechen, ohne reale Einsparungen verkauft haben. Zu den größten Käufern gehörten Unternehmen der Ölsandindustrie wie Chevron, ConocoPhillips und Imperial Oil. Greenpeace Kanada kritisierte, dass diese “Phantom-Credits” den Klimawandel verschlimmern würden. Die Vorgänge bringen nun erneut Zweifel an der CCS-Technologie sowie am Handel mit Kompensationszertifikaten auf. Die CCS-Anlage Quest steht wiederholt in der Kritik, beispielsweise gibt es den Vorwurf, dass sie mehr CO₂ ausstoße, als sie abscheide und speichere. kul
In jedem dritten TV-Werbespot und in jeder siebten Werbung auf Youtube werde für Produkte geworben, die dem Klima schaden. Besonders betroffen seien beworbene Süßwaren (86 Prozent schaden dem Klima), Autos (78 Prozent) und Drogerieartikel (72 Prozent). Das zeigt eine am Montag veröffentlichte Studie der Otto-Brenner-Stiftung, in der zudem gewarnt wird: Derartige Werbepraktiken würden gegen Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags verstoßen. Dieser untersagt Verhaltensweisen, die “in hohem Maße den Schutz der Umwelt gefährden”.
Für die Studie wurden knapp 10.000 Werbespots auf ARD, ZDF, RTL, Sat.1, Pro7 sowie auf Youtube analysiert. Zudem wurde der CO₂-Fußabdruck der beworbenen Produkte berechnet. Analysiert wurden auch unterschiedliche Strategien, mit denen der Klimaschaden verschleiert werde: So warben etwa 21 Prozent der klimaschädlichen Werbespots mit Bildern von Naturlandschaften und Wildtieren. “Damit wird die Botschaft vermittelt, man tue etwas Gutes für die Umwelt, wenn man diese Produkte kauft”, erklärt Autorin Alexandra Hilpert. Doch das sei “irreführendes Greenwashing”.
Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags biete allerdings “juristischen Auslegungsspielraum”, heißt es in der Analyse. Wann Verhaltensweisen “in hohem Maß den Schutz der Umwelt gefährden”, sei bislang nicht präzisiert worden. In einem einschlägigen Kommentar zum Rundfunkrecht werde aber von einer “eher geringen praktischen Bedeutung” des Paragrafen ausgegangen. Auch deshalb sei die Medienpolitik gefordert: Die Studienautoren empfehlen etwa verpflichtende Warnhinweise für klimaschädliche Produkte oder ein dynamisches Preis- oder Umlagesystem für Werbung – und ein Werbeverbot für besonders klimaschädliche Produkte oder Produktgruppen. lb
Mit einem Ministerschreiben an EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius haben Deutschland und weitere Mitgliedstaaten ihrer Forderung Nachdruck verliehen, notwendige Grundlagen für das Inkrafttreten der EU-Entwaldungsverordnung zu schaffen. Hintergrund für die deutsche Initiative sind Verzögerungen der EU-Kommission beim digitalen Informationssystem und dem sogenannten Länder-Benchmarking – einer Liste, die jedem Land eine bestimmte Risikostufe für Entwaldung zuweist. Beides verstehen sowohl Deutschland als auch die Mitunterzeichner des Briefes – Bulgarien, Estland, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Slowenien, Spanien und Ungarn – als zentrale Voraussetzungen für die Umsetzung der Verordnung.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir appelliert deshalb an die EU-Kommission, Tempo bei diesen Themen zu machen. “Ohne ihr Länder-Benchmarking droht ab 2025 unverhältnismäßig hohe Bürokratie für Klein- und Kleinstwaldbesitzer und unsere Verwaltung. Das müssen wir verhindern”, fordert Özdemir. Denn: Ohne Benchmarking werden alle Länder automatisch als Standardrisiko eingestuft – so auch Deutschland. Für Özdemir steht deshalb fest: “Wenn die Kommission das nicht auf die Kette bekommt, dann braucht es hier eine Verschiebung, damit die Kommission ihren Job macht.”
Die EU-Kommission lässt sich derweil nicht in die Karten blicken, wie weit ihre Arbeit bei der Entwicklung des Benchmarkings vorangeschritten ist. Für eine Verschiebung des Inkrafttretens der Verordnung um ein Jahr hatte sich vergangene Woche aber auch EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski beim EU-Agrarrat ausgesprochen. Anders als Umweltkommissar Sinkevičius zeichnet er jedoch nicht direkt verantwortlich für die Entwaldungsverordnung. Bislang hatte die Kommission einen Aufschub der Verordnung ausgeschlossen. Auf den Brief Deutschlands und der anderen Mitgliedsstaaten aber wolle man zeitnah antworten, so ein Kommissionssprecher.
Mit einer längerfristigen Verschiebung der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten, wie von Österreich jüngst mit Blick auf den damit zusammenhängenden Bürokratieaufwand gefordert, ist hierbei aber kaum zu rechnen. In einer Antwort von Umweltkommissar Sinkevičius auf die Anfrage eines österreichischen Abgeordneten heißt es, die Entwaldungsverordnung falle nicht in den Bereich, für den die Kommission kurzfristige Bürokratieerleichterungen angekündigt habe. heu
Die Jobangst ist zurück – Der Spiegel
Während Industriekonzerne den Abbau tausender Stellen ankündigen, werden Millionen Fachkräfte gesucht. Darüber wundern sich Rasmus Buchsteiner, Florian Diekmann und Markus Feldenkirchen. Ein Ökonom sagt: Aktive Transformationsgestaltung könne zum Beschäftigungsplus führen: “Das Problem ist, dass uns die aktive Gestaltung der Transformation abhandenzukommen droht.” Zum Artikel
Strategischer Rohstoff aus der Heide – taz
In der Lüneburger Heide startet ein Modellversuch zur Entnahme von Lithium aus Thermalwasser, berichtet Gernot Knödler. Das Leichtmetall ist wichtig für Stromspeicher, und wird bislang vor allem in Australien und Chile gefördert. Aus dem Bohrloch bei Lüneburg soll nun auf umweltfreundliche Weise genug Lithium für bis zu 10.000 Autobatterien gefördert werden. Zum Artikel
Japan and South Korea are struggling with old-age poverty – The Economist
Der Autor beschreibt die Altersarmut und deren Ursachen in Japan und Südkorea. Dazu zählten die Konstruktion der Altersabsicherung, steigende Lebenserwartung und im Falle von Südkorea vergleichsweise geringe Einzahlungen in das Rentensystem. In der Folge arbeiten viele Menschen in den beiden Ländern im Rentenalter noch. Zum Artikel
What campus protesters get wrong about divestment – The Economist
Um Druck auf Israel im Gazakriegs auszuüben, fordern viele Studierende in den USA ein Divestment ihrer Universitäten in Israel und bei dort tätigen Firmen. Der Autor analysiert die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei dieser Strategie der Einflussnahme. Als etwa vor einigen Jahre die Pensionsfonds in größerem Umfang Investments in fossilen Industrien verkauft haben, hätten Hedgefonds sie freudig übernommen. Zum Artikel
Trial against Chiquita, accused of helping terrorists kill thousands, finally begins – Palm Beach Post
Bereits vor zehn Jahren bekannte sich der Bananenkonzern Chiquita in den USA schuldig, Schutzgelder an paramilitärische Gruppen in Kolumbien bezahlt zu haben. Von den 25 Millionen Dollar Strafe haben die zivilen Opfer der Paramilitärs jedoch keinen Cent gesehen. Hannah Phillips berichtet vom nun in Florida beginnenden Zivilprozess gegen Chiquita. Zum Artikel
« Pour la Bourse de Paris, se priver de TotalEnergies serait grave, et, politiquement, ce serait désastreux » – Le Monde
Philippe Escande ist alarmiert über Überlegungen bei TotalEnergies, den Primäraktienhandel von Paris nach New York zu verlagern. Ähnliches höre er von Shell. Die beiden europäischen Konzerne seien in Europa unterbewertet, zumal Anleger ihre Dekarbonisierungsziele kritisieren. In den USA nähmen solche Bedenken ab. Zum Artikel
The $9tn question: how to pay for the green transition – Financial Times
Neun Billionen Dollar pro Jahr sind ab 2030 für die Klimafinanzierung notwendig. Attracta Mooney fasst vielerlei Ideen für neue Steuern und Abgaben zusammen. Der eigentliche Schlüssel wäre aber die Umlenkung privaten Kapitals. Bislang, das zeigt eine Grafik, überwiegen fossile Subventionen die Klimafinanzierung um ein Vielfaches. Zum Artikel
Giant Batteries Are Transforming the Way the U.S. Uses Electricity – New York Times
In Kalifornien ist Solarenergie tagsüber im Überfluss vorhanden. Doch abends, wenn die Menschen von der Arbeit nach Hause kommen und der Strombedarf in die Höhe schnellt, fehle sie. Um diese Lücke zu schließen, so Brad Plumer und Nadja Popovich, verbrennen die Energieversorger in der Regel fossile Brennstoffe. Doch seit 2020 werden in Kalifornien mehr Riesenbatterien installiert als irgendwo sonst auf der Welt – außer in China. Zum Artikel
Güterverkehr: Jetzt kommen die Elektrolaster – Klimareporter
Zwei EU-Richtlinien zwingen die Hersteller von Nutzfahrzeugen, den Anteil CO₂-freier Fahrzeuge sehr schnell zu erhöhen. Die Hersteller wollen diese Vorgaben aber noch übertreffen: Sie rechnen damit, dass im Jahr 2030 drei Viertel aller neu zugelassenen Lkw, Transporter und Busse emissionsfrei sein werden, berichtet Christian Mihatsch. Zum Artikel
Allianz gegen Klimaschutz – Correctiv
Der Allianz-Konzern nimmt für sich eine Vorreiterrolle im Klimaschutz in Anspruch. Doch die Tochergesellschaft PIMCO, haben Malina Dittrich und Elena Kolb recherchiert, investiere als Vermögensverwaltung in großem Stil in Kohle und andere fossile Energieträger. Damit sei die Allianz der größte europäische Investor in fossile Industrien. Zum Artikel
Angesichts der höchsten Inflation seit mehr als vier Jahrzehnten haben die Zentralbanken der wichtigsten Volkswirtschaften seit 2022 schrittweise die Zinssätze erhöht und eine Politik der quantitativen Straffung (QT) eingeleitet.
In unserem jüngsten Artikel argumentieren wir, dass Leitzinserhöhungen die umweltbedingten Ursachen der Inflation nicht berücksichtigen und sogar die langfristige Inflation verschärfen können, da sie die notwendigen Investitionen für den grünen Wandel verteuern und damit verzögern.
Stattdessen ist ein geldpolitischer Rahmen erforderlich, der sowohl die Inflation als auch die Umweltkrise bekämpfen kann. Fabio Panetta, der derzeitige Gouverneur der Bank von Italien und ehemaliges EZB-Direktoriumsmitglied, nannte solche Ansätze “grüner und billiger“.
Zinserhöhungen wirken sich auf nachhaltige Investitionen im Vergleich zu kohlenstoffintensiven Investitionen überproportional stark aus. Nachhaltige Investitionen sind kapitalintensiver, erfordern größere Vorleistungen und benötigen eine größere Fremdfinanzierung. Folglich reagieren sie empfindlicher auf Kostensteigerungen (insbesondere bei den Kreditkosten) als ihre kohlenstoffintensiven Konkurrenten.
Darüber hinaus hat QT auch das Potenzial der quantitativen Lockerung (QE) zur Unterstützung grüner Investitionen durch einfachere Finanzierung und niedrigere Kreditkosten deutlich verringert. Höhere Zinssätze können also den grünen Übergang verzögern, indem sie die Kosten für nachhaltige Investitionen erhöhen. Diese Politik ist daher nicht nur klimapolitisch kurzsichtig, sondern verschlechtert zugleich auch die Aussichten auf Preisstabilität.
Empirische Studien zeigen, dass die Umweltkrise auch eine Quelle der Inflation darstellt. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel nennt drei Arten von Schocks, die sich auf die Preise auswirken können:
Das gegenwärtige makroökonomische Umfeld erfordert einen geldpolitischen Ansatz, der die Klima- und Umweltkrise adressiert und gleichzeitig die Inflation bekämpft. Dies ist nicht nur aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen notwendig, sondern steht auch im Einklang mit dem Hauptauftrag der Zentralbanken.
In der Fachliteratur werden zahlreiche Instrumente diskutiert, die zu diesem Zweck eingesetzt werden könnten, darunter Ankäufe von Vermögenswerten, Kreditvergabepolitik und Finanzvorschriften. Ein besonders vielversprechender Ansatz ist die direkte Kreditvergabe, die früher in fortgeschrittenen Volkswirtschaften üblich war und auch heute noch in einigen Entwicklungsländern angewendet wird. Hierbei lenken die Zentralbanken die Kreditvergabepraxis in eine grüne Richtung. Es gibt eine Vielzahl an Instrumenten, die zu diesem Zweck herangezogen werden können, die positive Effekte auf Banken, Unternehmen und Regierung haben. Dazu zählen
Darüber hinaus wurde die Politik der Kreditsteuerung in der Vergangenheit erfolgreich zur Bekämpfung der Inflation eingesetzt.
Obwohl es zahlreiche Belege dafür gibt, dass die derzeitige Inflation nicht nur auf die Fossilflation, sondern auch auf angebotsseitige Faktoren wie die Unterbrechung der Lieferketten infolge von COVID, den Krieg in der Ukraine und den Anstieg der Unternehmensgewinne zurückzuführen ist, orientieren sich die Zentralbanken bei ihrer Geldpolitik nach wie vor an den gängigen Modellen. Diese gehen davon aus, dass die Inflation vor allem durch einen Überschuss der Gesamtnachfrage zu erklären ist.
Wenn die Zentralbanken nicht auch andere Inflationsursachen und die dafür erforderlichen Gegenmaßnahmen in Betracht ziehen, werden sie mit der Zinserhöhung den Preisanstieg nicht in den Griff bekommen. Außerdem fügen sie der Wirtschaft unnötigen Schaden zu, indem sie die Arbeitslosigkeit erhöhen und die Finanzstabilität gefährden. Die EZB hatte Umwelt- und Klimafaktoren bislang vor allem als Risiken für die Finanzstabilität betrachtet. In jüngster Zeit hat sie jedoch damit begonnen, auch die Auswirkungen dieser Phänomene auf die Preisstabilität in ihre Analyse miteinzubeziehen. Diese Überlegungen müssen jedoch noch in eine neue Geldpolitik umgesetzt werden.
Mit der Verschärfung der Umwelt- und Klimakrise wird es immer dringlicher, den grünen Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft zu beschleunigen. Allein die Änderung der Anreizstruktur innerhalb desselben Rahmens wird nicht ausreichen, um die finanziellen Ressourcen zu mobilisieren, die für den grünen Wandel erforderlich sind. Eine nachhaltige Umgestaltung des Staates und des Finanzsystems setzt jedoch voraus, dass die Zentralbanken selbst mutiger eingreifen und sich als Akteure des Wandels begreifen. Würde die EZB eine solche Rolle übernehmen, wäre sie in der Lage, effektiv und gezielt Kredite in Richtung kohlenstoffarmer oder -freier Investitionen zu lenken und könnte auf diese Weise die nachhaltige Transformation maßgeblich und entscheidend unterstützen.
Nicolás Aguila ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Witten/Herdecke.
Joscha Wullweber ist Heisenberg-Professor für Politische Ökonomie, Transformation und Nachhaltigkeit sowie Direktor des Internationalen Zentrums für nachhaltige und gerechte Transformation an der Universität Witten/Herdecke.
Climate.Table – Chevron-Doktrin: So wichtig wird das Urteil des Supreme Court fürs Klima: Bis Juni entscheidet der Supreme Court in den USA über die Chevron-Doktrin. Sollten die Richter die Entscheidung kippen, werden zahlreiche Streitfälle nicht mehr durch das Parlament entschieden. Dadurch könnten in Zukunft Klima- und Umweltregulierungen erschwert werden. Zum Artikel
Climate.Table – COP31: Zehn Gründe für Australien als Gastgeber: Hinter den Kulissen der UN und vor der Bonner Zwischenkonferenz im Juni hat die Debatte um den Gastgeber der Klimakonferenz für 2026 begonnen. Viele gute Argumente sprechen für Australien. Zum Artikel
Africa.Table – Grüner Wasserstoff: Algerien setzt nicht auf Deutschland allein: Algerien will stärker in erneuerbare Energie investieren. Wirtschaftsminister Habeck bemüht sich darum, mit grünem Wasserstoff dabeizusein. Doch die algerische Regierung lässt die Konkurrenz spielen und lädt andere ausländische Unternehmen zu Partnerschaften ein. Zum Artikel
Europe.Table – Neuartige Lebensmittel: Warum der EU-Zulassungsprozess Start-ups abschreckt: Die EU-Zulassung für Novel Foods gilt als Goldstandard für den internationalen Markt. Trotzdem entscheiden sich immer wieder heimische Unternehmen, Innovationen erst einmal andernorts anzumelden. Zwei Probleme schrecken vor allem Start-ups ab. Zum Artikel