Table.Briefing: ESG

Green Deal – Bilanz und Ausblick + OECD-Beschwerde gegen Bayer

Liebe Leserin, lieber Leser,

einige wichtige Transformationsvorhaben standen noch auf der Agenda des Europäischen Parlaments in der letzten Sitzungswoche vor der Europawahl. Am Mittwoch stimmten die Abgeordneten mehrheitlich für die Europäische Lieferkettenrichtlinie und die Verpackungsverordnung – zwei vorher teils kontrovers diskutierte Vorhaben.

Mit dem Ende der Legislaturperiode pausiert auch die Arbeit am Green Deal, dem Großprojekt der EU, zum ersten klimaneutralen Kontinent zu werden. Lukas Scheid und Manuel Berkel ziehen Bilanz und geben einen Ausblick, wie es nach Wahl im Juni weitergehen könnte.

Mit der Finanzierung der ökologischen Transformation beschäftigt sich Laurin Meyer. Er berichtet über aktuelle Zahlen zu Sustainability-linked Bonds, die erhebliche Zweifel an der Klima-Wirkung dieser Art von Anleihen nähren.

Über einen tiefgreifenden Wandel in den Beschaffungsabteilungen von Unternehmen schreibt Tanja Reilly von EcoVadis. Diesen brauche es, damit der Einkauf wirklich nachhaltig wird. Wie dies gelingt, erklärt sie im Standpunkt.

Ich wünsche eine anregende Lektüre.

Ihr
Nicolas Heronymus
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Analyse

EP-Bilanz: Wo der Green Deal verwässert wurde – und wie es weitergeht

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Es war das große Projekt von Ursula von der Leyen in dieser Legislatur: Mit dem Green Deal sollte Europa auf den Weg zur Klimaneutralität 2050 gebracht werden. 2019 kündigte die Kommissionspräsidentin ihren Plan an und brachte 2021 gleich eine ganze Reihe an Gesetzen auf den Weg. Wie weit ist die EU gekommen?

Eine Bilanz am Ende der Sitzungsperiode des Europa-Parlaments zeigt: Die ersten Jahre des Green Deals standen im Zeichen umfassender Reformen, beispielsweise durch den Emissionshandel, den Erneuerbaren-Ausbau und die Erhöhung der Klimaziele. Sie legen die Basis für weitere Fortschritte in Richtung der ehrgeizigen Klimazielen.

Zum Ende der Zeit und unter dem Druck von Corona-Pandemie, Inflation und Ukrainekrieg ging allerdings der Schwung verloren: Das europäische Klima- und Umweltschutzprojekt geriet zuletzt immer stärker in die Schusslinie.

Vor allem seit die wesentlichen Klimaschutzgesetze – bekannt als Fit-for-55-Paket – abgeschlossen wurden, fiel der Zuspruch für weitere Maßnahmen des Green Deals massiv ab. Insbesondere die christdemokratische EVP, von der Leyens politische Basis, baute enormen Druck auf die Kommission auf, die Anzahl weiterer Green-Deal-Gesetze möglichst gering zu halten.

Kommission gab Druck der EVP oft nach

Einige Vorhaben gerieten dadurch in Gefahr:

  • Das Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) wurde durch die Ablehnung der EVP beinahe ganz gekippt. Zwar konnte sie sich schließlich nicht durchsetzen; der Vorschlag wurde aber dennoch dermaßen abgeschwächt, dass sogar das Ambitionsniveau der Mitgliedstaaten im Rat schließlich höher lag. Eine Situation, die bei Umweltschutzmaßnahmen so noch nie vorkam.
  • Auch bei der Pestizide-Verordnung (SUR) setzte die EVP das Messer an. Am Ende ließen zwar die Grünen das Gesetz im Parlament scheitern, weil es aus ihrer Sicht keine Verbesserung zu bestehenden Regeln gebracht hätte. Nachverhandlungen lehnte wiederum die EVP ab. Schlussendlich zog die Kommissionspräsidentin als Zugeständnis an die protestierenden Bauern den ohnehin totgesagten Vorschlag wieder zurück.
  • Aus einem Bodenschutzgesetz wurde ein Boden-Monitoring-Gesetz ohne verpflichtende Zielvorgaben für die Bodengesundheit in den Mitgliedstaaten. Grund dafür war der hohe Druck auf die Kommission, unter anderem durch das von der EVP geforderte Gesetzesmoratorium.
  • Ein Gesetz zur Einschränkung von Mikroplastik wurde erst verschoben und schließlich in abgeschwächter Form vorgelegt.
  • Die Chemikalienverordnung REACH wurde gleich mehrfach verschoben und liegt bis heute noch in der Schublade der Kommission. Auch das ist im Interesse der EVP. Ob REACH überhaupt noch kommt, ist unklar.

EVP mit “prähistorischem” Abstimmungsverhalten

All diese Gesetze sind Teil des Green Deals. Eine Gruppe von Umweltschutzorganisationen bezeichnete die EVP als “Prehistoric Thinkers”, da sie in vielen Fällen gegen mehr Klimaschutz stimmten. Christian Ehler von der EVP will diese Zahl allein nicht gelten lassen. Wichtig sei, worüber man abgestimmt habe – und nicht, ob mit Ja oder Nein. Die EVP begründet ihre Ablehnung weiterer Gesetze mit dem Ziel, Industrie und Bauern vor neuen Vorgaben zu schützen.

Ehler ist Berichterstatter für das große industriepolitische Projekt des Green Deals, den Net-Zero Industry Act (NZIA), der am Donnerstag final im Europaparlament abgestimmt wurde. Das Gesetz soll die Antwort auf die massiven chinesischen Industriesubventionen und den US-amerikanischen Inflation Reduction Act sein. Es geht um die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren beim Ausbau grüner Technologien, um mehr Resilienz weltweiter Lieferengpässe sowie mehr Unabhängigkeit von ausländischen Lieferanten.

Der NZIA sieht jedoch kaum neue Finanzmittel zur Industrieförderung vor; auch deshalb sehen die Grünen das Gesetz kritisch. Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen, bezeichnet es als verpasste Chance. Bei einem Rededuell von Table.Briefings entgegnete Christian Ehler, man werde es mit öffentlichen Mitteln nicht schaffen, Transformationsprozesse zu finanzieren. “Nur wenn wir in Europa den Energiebinnenmarkt vertiefen und es auf dem Kapitalmarkt endlich gleiche Verhältnisse gibt, sodass es für internationale Kapitalgeber attraktiv ist, wird es funktionieren.”

Und nach der Europawahl?

Wie geht es mit dem Green Deal weiter? Konkrete Aussagen dazu finden sich in den Parteiprogrammen zur Wahl kaum. Auf dem Zettel steht allerdings das neue EU-Klimaziel für 2040, das die Kommission vorgeschlagen hat: Minus 90 Prozent. Das dazugehörige Gesetzespaket wird die wesentliche klimapolitische Aufgabe der nächsten Kommission und des nächsten Parlaments sein. Es soll nach bisherigen Planungen frühestens im ersten Halbjahr 2025 unter der polnischen Ratspräsidentschaft vorgelegt werden.

Michael Bloss setzt sich für einen Green Industrial Deal in der nächsten Legislatur ein, mit dem der Wirtschaftsstandort Europa geschützt wird und auch die Klimaziele für 2030, 2040 und 2050 erreichbar bleiben. Christian Ehler von der EVP wünscht sich von der neuen Kommission weniger Regulierungsvorhaben und stattdessen mehr Steuerung über marktwirtschaftliche Instrumente wie den europäischen Emissionshandel.

Giegold: “Brauchen Near-Zero-Package”

Für die Zukunft will der grüne Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold das Zurückdrehen des Green Deal mit einem neuen Gesetzespaket verhindern. “Wir brauchen ein Fit-for-Near-Zero Package“, sagte er Dienstagabend bei einer Veranstaltung des Jacques Delors Centres und der Stiftung KlimaWirtschaft in Berlin.

Der Green Deal ist noch nicht vollendet und er muss weiter Priorität haben“, so der ehemalige EU-Abgeordnete weiter. Alles andere würde “nicht nur dem Klima, sondern auch unserer Wirtschaft schaden”.

In einem entscheidenden Punkt richtet sich Giegold mit seinem Vorstoß gegen die französische Regierung und ihre Verbündeten im Rat: “Für Deutschland ist klar, dass das nächste Gesetzespaket auch wieder Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz enthalten muss. Beide werden einen Großteil der Treibhausgas-Minderung übernehmen”, sagte der Staatssekretär.

Paris strebt dagegen nur noch ein Ziel für “dekarbonisierte Energie” an, die auch Kernenergie umfassen würde. Zum Treffen der Energieminister im vergangenen Dezember hatte Frankreich zusammen mit zehn weiteren EU-Staaten ein entsprechendes Papier verfasst, um Einfluss auf die Klimagesetze für 2040 zu nehmen.

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Grüne Anleihen mit Glaubwürdigkeitsproblem: Starke Zweifel an der Wirkung von Sustainability-linked Bonds

Finanzplatz Frankfurt am Main: Der Markt agiert wie “im Wilden Westen ohne Orientierung”.

Auf den ersten Blick stimmt die Bilanz: Weltweit flossen im ersten Quartal dieses Jahres rund 207 Milliarden US-Dollar in grüne Anleihen – so viel wie noch nie in den ersten drei Monaten eines Jahres. Doch ein Bereich schrumpft: Sustainability-linked Bonds, kurz SLBs. Die Neuemissionen solcher nachhaltigkeitsgebundenen Anleihen sind zuletzt drastisch zurückgegangen. Zudem erfüllen die SLBs auch ihren Hauptzweck deutlich schlechter als erhofft, wie eine aktuelle Studie zeigt. Experten sprechen von einem gehörigen Glaubwürdigkeitsproblem. Doch neue Regulierung in den USA könnte einige der Missstände bei dem Anlagevehikel bald beseitigen.

Nachhaltigkeitsgebundene Anleihen ähneln gewöhnlichen Green Bonds, aber es gibt zwei entscheidende Unterschiede: Ihre Zinssätze steigen, wenn die ausgebenden Unternehmen ihre zuvor selbstgesteckten Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen – und zwar in Form einer Kuponerhöhung. Daneben sind die Anleihen für Emittenten besonders attraktiv, weil sie deren Erlöse für allgemeine Zwecke, also nicht zweckgebunden verwenden dürfen. Das öffnet den Markt auch für Unternehmen, die aufgrund ihrer umweltschädlichen Geschäfte sonst nur schwer grüne Finanzierung erhalten würden.

Nur wenige SLBs stimmen mit Klimazielen überein

Dennoch ist das weltweite Emissionsvolumen bei den SLBs im vergangenen Jahr um 22 Prozent auf 68 Milliarden US-Dollar gesunken, wie Bloomberg Professional ausweist. Das ist fast eine Halbierung gegenüber dem Rekord im Jahr 2021 von rund 130 Milliarden US-Dollar. Bislang geben vor allem europäische Unternehmen SLBs aus. Im Jahr 2022 stand Italien an der Spitze mit einem Emissionsvolumen von fast 50 Milliarden Dollar, wobei davon fast zwei Drittel auf den Energiekonzern Enel entfielen. Den zweiten Rang belegte Frankreich (29 Milliarden US-Dollar), gefolgt von Deutschland (23 Milliarden US-Dollar). Hier zählten in der Vergangenheit die Berliner Hyp, Henkel oder die Deutsche Post zu den Emittenten.

Für Bertrand Rocher haben SLBs grundsätzlich Potenzial. Vor allem Hochzinsanleger, die sich in ihren Portfolios ESG-Themen widmen wollen, gehörten zur Zielgruppe, sagt der verantwortliche Portfoliomanager von Mirova, einem Vermögensverwalter, der auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. “Weil die Emittenten von Hochzinsanleihen nicht immer die Flexibilität haben, grüne Anleihen auszugeben, können SLBs eine praktische Alternative sein”, sagt Rocher gegenüber Table.Briefings.

Gleichzeitig sieht er aber ein Glaubwürdigkeitsproblem. “In gewissem Maße wird die Eigenschaft der Emittenten, eigene Leistungskennzahlen festzulegen, unweigerlich Zweifel an ihrem tatsächlichen Engagement für Nachhaltigkeit aufkommen lassen”, sagt er.

Schlupflöcher bei der Ausgestaltung

Aktuelle Zahlen nähren weitere, starke Zweifel an der Wirkung der SLBs. Demnach sollen sogar 86 Prozent aller nachhaltigkeitsgebundenen Anleihen, die zwischen 2018 und November 2023 ausgegeben wurden, nicht auf die globalen Klimaziele ausgerichtet sein. Diese niederschmetternde Bilanz zieht die gemeinnützige US-Organisation Climate Bonds Initiative (CBI). Bemessen am Volumen ist die Bilanz mit 83 Prozent fast genauso schlecht.

Es gebe einen “hohen Anteil an minderwertigen Geschäften, denen es an angemessener Offenlegung, Ehrgeiz und Glaubwürdigkeit mangelt”, heißt es in der Studie. Die CBI bewertet, ob die selbstgesteckten Ziele der Emittenten mit den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen.

Andere kritisieren die Schlupflöcher bei der Ausgestaltung der SLBs. “Diese Lücken stellen die Glaubwürdigkeit von SLBs als nachhaltige Instrumente vor erhebliche Herausforderungen”, schreibt Paul Horrocks, Leiter der Abteilung Private Finanzierung für nachhaltige Entwicklung bei der OECD. So würden die Emittenten versuchen, die potenziellen Strafaufschläge zu minimieren – sollte das Verfehlen von Zielvorgaben drohen. Horrocks hat drei wesentliche Schlupflöcher ausgemacht:

  1. Emittenten legen besonders späte Zieltermine für ihre Verpflichtungen fest.
  2. Emittenten kündigen eine Anleihe kurz vor dem Zieltermin.
  3. Emittenten legen von vornherein besonders niedrige Kuponerhöhungen fest.

Die meisten der bisher ausgegebenen SLBs sähen im Falle einer Zielverfehlung eine Kuponerhöhung von 25 Basispunkten vor, erklärt Horrocks. Es gebe jedoch keine Begründung für diese Zahl. Komplexere Charakteristiken hätten sich bislang kaum herausbildet – so etwa, dass weniger ehrgeizige Ziele zu höheren Kupons führen. Sein Fazit: “So können Emittenten das System ausnutzen, um von der grünen Welle zu profitieren, ohne letztlich dafür zu bezahlen”, schreibt Horrocks.

Die CBI weist auf zwei rechtliche Schlupflöcher hin. Bestimmte Klauseln können Emittenten von der Kuponzahlung befreien, wenn sie die Ziele wegen geänderter Vorschriften der Politik verfehlen. Eine andere erlaubt es ihnen, Akquisitionen nach der Emission sowie bestimmte Investitionen auszuschließen. Der Markt agiere “bislang im Wilden Westen ohne Orientierung”, sagt CBI-Chef Sean Kidney.

SEC-Regulatorik gibt neue Hoffnung

Marktakteure haben allerdings Hoffnung, dass SLBs schon bald einen Schub bekommen könnten – und das ausgerechnet in den USA. Das liegt an der strikten Reformagenda der dortigen Börsenaufsicht SEC. Ab dem Jahr 2026 sollen börsennotierte Unternehmen detailliert über ihren Kohlendioxid-Ausstoß (Scope-1 und Scope-2) sowie sogenannte Transitionsrisiken berichten, also mögliche Verluste wegen des Übergangs zu einer Netto-Null-Wirtschaft. Die SEC hat die Regeln zwar beschlossen. Ob sie ab 2026 auch angewendet werden, bleibt aber vorerst fraglich. Zehn republikanisch regierte Bundesstaaten klagen bereits dagegen.

Analysten sprechen dennoch von einem guten Zeichen – und erhoffen sich grundsätzlich mehr Transparenz. “Die neuen Regeln der SEC zur Offenlegung von Klimadaten haben das Potenzial, die Emission nachhaltigkeitsgebundener Anleihen erheblich zu beeinflussen”, sagt Portfoliomanager Rocher von Mirova. “Wer sich verpflichten will, seine Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, kann diese Kennzahlen bei der Gestaltung glaubwürdiger und stabiler SLB-Transaktionen verwenden”, ergänzt er. Laurin Meyer

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  • Finanzmarkt
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News

Wegen Schäden in Südamerika: OECD-Beschwerde gegen Bayer

Sechs NGO aus Deutschland, Argentinien, Brasilien, Paraguay und Bolivien haben eine OECD-Beschwerde gegen die Bayer AG eingereicht. Dies verkündeten sie am Donnerstag in einer Pressemitteilung. Der Vorwurf: Der Pharma- und Chemiekonzern sei für schwerwiegende Folgen der industriellen Landwirtschaft in Südamerika verantwortlich und verstoße gegen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.

Das NGO-Bündnis, darunter Misereor und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), beruft sich auf eigene Recherchen und Interviews mit Betroffenen. Durch den Vertrieb von Soja-Saatgut und giftigen Pestiziden fördere die Bayer AG ein Agrarmodell in Südamerika, dass unter anderem zu Nahrungsunsicherheit, Wasserknappheit, Abholzung, Biodiversitätsverlust, Gesundheitsproblemen und Landkonflikten mit  indigenen Gemeinschaften führe. 

“Wir fordern, dass Bayer für gentechnisch verändertes Soja und Pestizide auf Glyphosatbasis Sorgfaltspflichten entwickelt, die risikobasiert sind und den Kontext in Lateinamerika berücksichtigen, um zu langfristigen Lösungen beizutragen”, erklärte Silvia Rojas Castro, Legal Advisor beim ECCHR. In den angeführten Fällen solle der Konzern zudem Wiedergutmachung leisten.

Bayer: “Vorfälle nicht bekannt”

Laut den OECD-Leitsätzen müssen Unternehmen in ihren globalen Wertschöpfungsketten Menschenrechte und Umwelt respektieren und dürfen nicht zu negativen Auswirkungen auf das Recht auf Gesundheit, Nahrung, Land und eine gesunde Umwelt beitragen. Damit gelten die Richtlinien auch für die nachgelagerte Wertschöpfungskette. Diese Risiken fallen nach Auslegung des Bundesamts für Ausfuhrkontrolle (BAFA) derzeit nicht unter das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).

Auf Anfrage von Table.Briefings dementierte ein Sprecher der Bayer AG die Vorwürfe. Die Vorfälle aus Paraguay, Argentinien und Brasilien seien dem Konzern nicht bekannt, sie passten außerdem nicht zum Produkt- und Sicherheitsprofil des Pestizids Glyphosat. “Zulassungsstudien für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln basieren auf den strengen internationalen Richtlinien der OECD”, erklärte er. “Unsere internen Sicherheitskriterien sind im Übrigen oft noch strenger als die behördlichen Anforderungen.”

Die Bayer AG begleite die Anwendung ihrer Produkte durch Maßnahmen wie Schulungen, auch in Lateinamerika. Für die Rahmenbedingungen der Landwirtschaft in den verschiedenen Ländern seien im Übrigen die jeweiligen staatlichen Behörden zuständig.

Die deutsche Nationale Kontaktstelle der OECD hat nun drei Monate Zeit, zu reagieren. Bestätigt sie die Zulässigkeit der Beschwerde, müsste sie eine Mediation zwischen den Betroffenen und dem Konzern unterstützen. leo

  • Sorgfaltspflichten

Nachhaltigkeitsbanken fordern Vertrag fürs Ende von fossilen Brennstoffen

Eine Gruppe von 17 Nachhaltigkeitsbanken aus Europa, den USA und mehreren Ländern des globalen Südens hat sich der Initiative für einen Vertrag zur Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe (Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty, FFNPT) angeschlossen. Die Initiative fordert ein internationales Abkommen, um den Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen, die Ausweitung der Kohle-, Öl- und Gasförderung zu stoppen und die bestehende Produktion auslaufen zu lassen.

Banken sollen Klimaverpflichtungen ernst nehmen

Die beteiligten Banken sind Mitglieder der Global Alliance for Banking on Values (GABV), einem internationalen Zusammenschluss von Finanzinstituten, die sich weltweit für soziale und nachhaltige Bankpraktiken einsetzen. In einer gemeinsamen Erklärung betonen sie die große Bedeutung des Bankensektors für die Energiewende und rufen die Finanzindustrie auf, ihrem Beispiel zu folgen.

“Wir sind der Meinung, dass der Finanzsektor die Vertragsinitiative unterstützen sollte, wenn er es mit seinen Nachhaltigkeits- und Klimaverpflichtungen ernst meint”, betont Jeroen Rijpkema, CEO der Triodos Bank. Ein globales Abkommen würde dazu beitragen, ein stabiles Geschäftsklima mit langfristiger Perspektive und gleichen Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, so Rijpkema. Dies sei im Interesse aller Unternehmen und Finanzinstitute.

Mit rund 750.000 Kunden und Niederlassungen in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Spanien und Deutschland gilt die Triodos Bank als Europas führende Nachhaltigkeitsbank.

UN-Bankeninitiative in der Kritik

Im Finanzsektor sind in den letzten Jahren eine Reihe von Nachhaltigkeitsinitiativen entstanden. Im Gegensatz zum angestrebten FFNPT sind diese jedoch nicht rechtlich bindend, sondern basieren auf freiwilligen Selbstverpflichtungen. Die bekannteste ist die Net-Zero Banking Alliance (NZBA), die im April 2021 mit Unterstützung der UNO gegründet wurde. Die NZBA zählt derzeit 144 Mitglieder. Ihre Wirksamkeit ist jedoch umstritten.

So kommen Experten der Europäischen Zentralbank in einem kürzlich vorgelegten Working Paper zu dem Schluss, dass die NZBA-Banken bisher weder im Bereich fossiler Energien desinvestiert noch sich anders verhalten haben als Banken, die sich nicht zum Klimaschutz verpflichtet haben.

GLS Bank hat NZBA 2023 verlassen

Bereits Anfang 2023 war die deutsche GLS Bank aus der NZBA ausgetreten. Gegenüber Table.Briefings begründete eine Sprecherin den Schritt damals damit, dass “zahlreiche Akteure des Bündnisses an der Erschließung neuer fossiler Projekte auf dem afrikanischen Kontinent beteiligt sind.” ch

  • Energiewende
  • Fossile Industrien

ILO: Klimawandel bedroht die Gesundheit von mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmer

Laut einem diese Woche veröffentlichten Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmer weltweit Gesundheitsrisiken ausgesetzt, die durch den Klimawandel verursacht werden oder damit zusammenhängen. Die derzeit etablierten Arbeitsschutzmaßnahmen könnten mit den daraus resultierenden Risiken kaum Schritt halten, so die ILO.

19.000 tödliche Arbeitsunfälle wegen Hitze

Dem Bericht zufolge sind aufgrund der zunehmenden Erderwärmung mehr als 2,4 Milliarden der weltweit rund 3,4 Milliarden Beschäftigten bei der Arbeit übermäßiger Hitze ausgesetzt. Dies führt zu 22,87 Millionen Arbeitsunfällen pro Jahr, von denen fast 19.000 tödlich enden.

Steigende Temperaturen seien aber nur ein Teil des Problems, so die ILO. Vielmehr handele es sich um einen “Cocktail von Gefahren”, die durch die Folgen des Klimawandels noch verstärkt würden, darunter Krebs, Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Nierenfunktionsstörungen sowie psychische Probleme.

Klimawandel verstärkt Gesundheitsrisiken

“Es ist klar, dass der Klimawandel bereits jetzt erhebliche zusätzliche Gesundheitsrisiken für Arbeitnehmer mit sich bringt”, betonte Manal Azzi, Abteilungsleiterin für Arbeitsschutz bei der ILO. Ein sicheres und gesundes Umfeld gehöre zu den grundlegenden Prinzipien und Rechten bei der Arbeit. “Dieser Verpflichtung müssen wir auch mit Blick auf den Klimawandel nachkommen, genau wie in jedem anderen Bereich der Arbeit”, so Azzi.

Die ILO verweist in ihrem Bericht unter anderem auf folgende Gesundheitsrisiken:

  • 1,6 Milliarden Arbeitnehmer sind UV-Strahlung ausgesetzt, was zu mehr als 18.960 arbeitsbedingten Todesfällen pro Jahr aufgrund von Hautkrebs führt,
  • 1,6 Milliarden Beschäftigte sind Luftverschmutzung ausgesetzt, was bis zu 860.000 arbeitsbedingte Todesfällen pro Jahr bei Beschäftigten nach sich zieht, die im Freien arbeiten,
  • 870 Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft kommen mit Pflanzenschutzmitteln in Kontakt, was mehr als 300.000 Todesfällen pro Jahr aufgrund von Pestizidvergiftungen zur Folge hat.

Am Sonntag, 28. April 2024, ist Welttag für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Er wurde 1984 von der ILO ins Leben gerufen. ch

  • Arbeitnehmerrechte
  • ILO
  • Klimakrise

EU-Parlament stimmt für Plattformarbeitsgesetz

Die Europaparlamentarier haben die Richtlinie zur Plattformarbeit mit großer Mehrheit bestätigt. Am Mittwoch stimmten 554 Abgeordnete aller Fraktionen für den Text, 56 dagegen – darunter die deutschen FDP-Abgeordneten. 24 Parlamentarier enthielten sich.

Die Richtlinie gilt neben der Mindestlohnrichtlinie als eine der zentralen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der aktuellen Legislaturperiode und soll Scheinselbstständigkeit auf großen Digitalplattformen bekämpfen. Sie verpflichtet die EU-Länder, eine widerlegbare rechtliche Beschäftigungsvermutung auf nationaler Ebene zu etablieren. Um diese Vermutung hatte es viel Streit gegeben. In dem nun in Kraft tretenden Gesetzestext ist sie derart geregelt, dass es keine EU-weit einheitlichen Kriterien dazu gibt, sondern sie anhand nationaler Gesetze eingeleitet wird.

Erstmals Regeln zu Algorithmen am Arbeitsplatz

Explizit festgehalten wird im Text, dass die Einleitung eines solchen Verfahrens erleichtert werden soll im Vergleich zum Status quo. Anschließend liegt die Beweislast bei der Plattform, sie muss nachweisen, dass es kein Arbeitsverhältnis gibt. Zum ersten Mal gibt es zudem in der EU Regeln zum Einsatz von Algorithmen am Arbeitsplatz – etwa, dass eine Kündigung nur mit menschlicher Kontrolle erfolgen darf.

Die Richtlinie war im Rat hochumstritten. Deutschland und Frankreich blockierten das Gesetz über Monate – eine Einigung war deswegen lange offen. Im März kam in letzter Minute doch eine Mehrheit im Rat zustande – an den beiden Staaten vorbei. lei

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Urgewald: EU-Sanktionen würden russische LNG-Exporte hart treffen

Nach Ansicht der Umweltorganisation Urgewald ließe sich der ökonomische Druck auf Russland deutlich erhöhen, wenn die EU den Import und Handel mit russischem LNG verbieten würde. Nach einer solchen Maßnahme stünde das wichtigste russische Exportterminal Sabetta vor massiven logistischen Problemen.

“Fielen die nahegelegenen EU-Häfen und -Gewässer als Ziele und Umschlagplätze aus, würden die Transportwege für russisches Gas aus der Arktis deutlich länger und teurer. Aufgrund der sehr begrenzten Anzahl an verfügbaren Schiffen wäre Russland darüber hinaus nicht mehr in der Lage, die aktuellen Mengen zu exportieren“, schreibt Energie-Campaigner Sebastian Rötters in einem neuen Briefing von Urgewald.

Nach einer Urgewald-Auswertung von Schiffsdaten sind die Anlandungen von russischem LNG in der EU von 23 auf 31 Millionen Tonnen gestiegen, seit Russland vor zwei Jahren die Ukraine überfallen hat. Ohne Eisbrecher-Tanker der Arc7-Klasse seien weder das Terminal Sabetta auf der Yamal-Halbinsel noch das Ausbauprojekt Arctic LNG2 wirtschaftlich zu betreiben. Zudem würden 20 Prozent des in die EU verschifften LNGs in der Staatengemeinschaft umgeladen und vor allem nach China exportiert.

US-Sanktionen zwingen Novatek in die Defensive

Urgewald fordert deshalb verschärfte Sanktionen der EU:

  • ein sofortiges EU-weites Einfuhrverbot für russisches LNG;
  • ein Umladeverbot für russisches LNG in EU-Häfen und -Gewässern;
  • Sanktionen für Schiffe, die russische LNG-Exportterminals anlaufen, um Russland den Zugriff auf die bestehende Arc7-Tankerflotte zu entziehen;
  • wirkungsvolle Schritte zur Unterbindung von Technologie-Exporten, die Russland für den Bau des Exportterminals Arctic LNG2 und weiterer Arc7-Tanker benötigt.

Die USA hätten den Exporteur Novatek mit Sanktionen gegen Arctic LNG2 bereits in die Defensive gezwungen. Allerdings ist unklar, ob EU-Sanktionen die Exporte wirklich komplett unterbinden würden. Laut einem Reuters-Bericht gibt es für Novatek ein alternatives Exportterminal in der Region Murmansk, die im Winter eisfrei bleibt. ber

  • China
  • Erdgas
  • LNG
  • Russland
  • Sanktionen

Puma will gebrauchte Sneaker kompostieren

Der Sportartikelhersteller Puma bringt einen kompostierbaren Sneaker auf den Markt. Ein im vergangenen Jahr erfolgreich abgeschlossenes Experiment habe gezeigt, dass der Schuh unter bestimmten industriellen Bedingungen erfolgreich zu Kompost verarbeitet werden könne, teilte das Unternehmen mit.

Anne-Laure Descours, Leiterin des Einkaufs bei Puma, sprach von “einem wichtigen Schritt, um End-of-Life Lösungen für unsere Schuhe zu finden”. Künftig können Kunden den Sneaker nach Gebrauch kostenlos an Puma zurückgeben. Im Gegenzug gibt es einen Rabatt auf den nächsten Einkauf. Der Schuh soll dann vom niederländischen Partnerunternehmen Ortessa in einem speziell eingerichteten industriellen Prozess kompostiert werden.

Sneaker, also Alltagsschuhe im sportlichen Look, liegen seit Jahren im Trend. Für das Jahr 2024 prognostiziert das Statistikportal Statista allein für Deutschland einen Umsatz von 2,57 Milliarden Euro in diesem Marktsegment. Das entspräche einem Plus von 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Tendenz weiter steigend. Der Anteil nachhaltig produzierter Sneaker lag laut Statista im Jahr 2023 bei 10,8 Prozent. Für 2024 werden 11,7 Prozent prognostiziert.

Abfall als “Chance zur Innovation”

Das Angebot an Sneakern, die von den Herstellern als nachhaltig bezeichnet werden, ist vielfältig. Meist bezieht sich die Angabe auf die verwendeten Materialien wie Bio-Baumwolle, Naturkautschuk oder vegane Lederalternativen. Teilweise werden auch recycelte Kunststoffe verwendet. Das französische Label Veja bietet zudem ein Programm namens “Clean, Repair, Collect” an, bei dem gebrauchte Schuhe wieder aufbereitet werden.

In den meisten Fällen landen getragene Sneaker jedoch im Müll – und lassen sich kaum recyceln. Denn sie bestehen in der Regel aus Dutzenden von Materialien, darunter Kunststoffe, Silikone, Gummi, Textilien und Metalle. Sie alle voneinander zu trennen und wiederzuverwerten, ist nahezu unmöglich.

Der Kooperationspartner Ortessa denkt laut Puma das Thema Abfall jedoch “komplett neu: als Chance zur Innovation”. Bereits die ersten Versuche in seiner Kompostierungsanlage Valor hätten gezeigt, dass die Sneaker “unter Ortessas industriellen Bedingungen zu Klasse-1-Kompost verrotten können”. Entwickelt wurde das Projekt laut Puma im “Circular Lab”, das die Kreislaufwirtschaftsprogramme des Unternehmens gestaltet. ch

  • Kreislaufwirtschaft
  • Recycling
  • Transformation

Presseschau

Satellit deckt Waldrodungen auf – Süddeutsche Zeitung
Unternehmen müssen in der EU bald nachweisen, dass für ihre Produkte keine Wälder gerodet wurden. Das Berliner Start-up Live-EO wolle Unternehmen dabei helfen, indem es mittels KI Satellitenbilder auswerte, berichtet Dieter Sürig. Zum Artikel

Für Unternehmen lohnt es sich, Ersatzteile zu liefern – Süddeutsche Zeitung
Die EU schreibt nur für wenige Produkte ein Recht auf Reparatur vor. Kluge Hersteller sollten mehr bieten, kommentiert Lea Hampel. Denn der Verkauf von langlebigen Produkten lohne sich ökonomisch – auch, weil damit die Glaubwürdigkeit bei Kunden steigt, die immer öfter nach nachhaltigen Produkten verlangen. Zum Artikel

Climate Change Poses a Child Labor ‘Threat Multiplier’ – Bloomberg
Gautam Naik beschäftigt sich mit einem neuen KI-Ansatz, mit dem Fondsmanager die Risiken von Kinderarbeit in Lieferketten besser einschätzen können sollen. Der sogenannte Child Labour Index bewerte Unternehmen in drei Bereichen: Offenlegungsgrad, öffentliche Wahrnehmung und die Gefährdung der Lieferkette durch Kinderarbeit auf Warenebene. Zum Artikel

Der Mann, der jetzt den größten Chemiekonzern der Welt lenkt – FAZ
Markus Kamieth ist neuer Vorstandsvorsitzender von BASF. Sein Vorgänger Brudermüller hinterlasse ihm das Ziel, den Konzern bei der Dekarbonisierung in eine Vorreiterrolle zu bringen, schreibt Bernd Freytag. Ob und welche Teile der Basischemie dauerhaft überhaupt noch in Europa produziert werden können, sei nicht klar. Im zweiten Halbjahr wolle Kamieth eine neue Strategie vorstellen. Zum Artikel

The Rise and Fall of ESG – Forbes
Nives Dolsak und Aseem Prakash gehen in ihrem Beitrag auf ein grundlegendes Problem der ESG-Debatte in den USA ein. Sie sei überflüssig, schreiben die beiden, wenn ESG die Gewinnziele der Unternehmen unterstütze. Was aber, wenn das nicht der Fall ist? Denn selbst wenn Unternehmen dem Druck des Aktienmarktes widerstehen können, kurzfristige Gewinne zu erzielen, könnten sie rechtliche Probleme bekommen: Sie verletzen ihre treuhänderische Pflicht, in erster Linie den Aktionären zu dienen. Zum Artikel

Energiewende: Erneuerbare bringen Stromnetze zum Glühen – Der Standard
Die Energiewende in Österreich erfordert Milliardeninvestitionen in die Übertragungs- und Verteilnetze. Auf 44 Milliarden Euro schätzen Experten den Bedarf bis 2040, schreibt Luise Ungerboeck. Ein Gutteil davon müsste über Umlagen von den Endkunden aufgebracht werden, was angesichts der hohen Energiepreise politisch schwer vorstellbar sei. Zum Artikel

Klimawandel beeinträchtigt Weinanbau: Kurzarbeit bei Freixenet – taz
Der Weinbau in Katalonien leidet unter der Trockenheit. Wegen des Klimawandels werde in der Region jetzt sogar ein Notvorrat an Traubensaft angelegt, berichtet Reiner Wandler. Freixenet, der größte Schaumweinproduzent des Landes, habe inzwischen für 615 Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt, das entspreche 80 Prozent der Belegschaft. Zum Artikel

Wirtschaftsatlas: Schöne Marktwirtschaft in Grün – Klimareporter
Knackpunkte wie Kohleausstieg und Klimageld würden im neuen Atlas zur Wirtschaftstransformation der Grünen-nahen Böll-Stiftung weitgehend ausgespart, kritisiert Jörg Staude. Ganz anders bewerte eine internationale Studie die Gewinne und Verluste der Transformation zur Klimaneutralität. Vor allem die betroffenen Arbeitnehmer müssten Einkommenseinbußen hinnehmen. Zum Artikel

The colonialist overtones of EU’s green trade crusade – Financial Times
Indonesiens Wirtschaftsminister Airlangga Hartarto hat die EU des “regulatorischen Imperialismus” beschuldigt – und tatsächlich, so Kolumnist Alain Beattie, gebe es da so einige koloniale Echos in Europas Drängen auf waldverträgliche Palmölproduktion. Nicht zuletzt, dass es dabei um “europäische Werte” gehe. Zum Artikel

Standpunkt

Für einen nachhaltigen Einkauf braucht es deutlich mehr in Unternehmen als Compliance

Von Tanja Reilly
Tanja Reilly ist Senior Strategic Business Development Manager bei EcoVadis.

Die Integration nachhaltiger Praktiken in die Beschaffungsfunktionen ist für Unternehmen längst nicht mehr optional, sondern eine Notwendigkeit. Der neue Nachhaltigkeitsimperativ ergibt sich durch ein komplexes Zusammenspiel aus regulatorischem Druck, Anforderungen durch den Markt und die Gesellschaft. Ziel: den Planeten zu schützen. Gleichzeitig müssen Unternehmen, um selbst zu überleben wettbewerbsfähig bleiben. In der Beschaffung markiert dies einen kritischen Wendepunkt hin zu einer anderen Wertschöpfung. Die Einhaltung der neuen ESG-Compliance reicht jedoch nicht aus, um die Beschaffung zu einem wirklichen positiven Wertschöpfer für Unternehmen und Planeten zu transformieren.

Aktuelle Hindernisse und Bremsen

Das Sustainable Procurement Barometer 2024 von EcoVadis und Accenture zeigt, dass Unternehmen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit in der Beschaffung auf erhebliche Hürden stoßen. Wie können sie diese überwinden? Dafür benötigen die Einkäufer und Einkäuferinnen vor allem eine dauerhafte Unterstützung durch die Geschäftsleitung und das C-Level-Management. Der Übergang zu nachhaltigen Beschaffungspraktiken verlangt mehr als nur inkrementelle Änderungen.

Erschwert wird der Wandel durch lückenhafte Nachhaltigkeitskompetenzen der Beschaffungsteams. Die komplexen Anforderungen der Integration von ESG-Faktoren in Beschaffungsentscheidungen erfordern ein hohes Maß an Expertise und Ressourcen, die in vielen Organisationen derzeit fehlen.

Zudem nutzen Unternehmen die digitale Integration von Nachhaltigkeitsdaten in Beschaffungstechnologien unzureichend. Das volle Potenzial der nachhaltigen Beschaffung kann nur mit robusten digitalen Tools freigesetzt werden, die zuverlässige ESG-Daten bereitstellen können. Denn sie ermöglichen erst eine informierte Entscheidungsfindung in der Beschaffung und spielen eine wichtige Rolle im Leistungsmanagement von Lieferanten.

Die Sichtbarkeit in der Lieferkette, insbesondere über die Tier-1-Lieferanten hinaus, ist eine weitere Hürde. Mangelnde Transparenz in der tieferen Lieferkette begrenzt die Fähigkeit der Unternehmen, die Nachhaltigkeitspraktiken ihrer Lieferanten zu bewerten und zu ermitteln, welche Maßnahmen für die Risikominderung und die Förderung von Verbesserungen in der gesamten Lieferkette wirklich wesentlich sind.

Nachhaltige Beschaffung beschleunigen

Rechtliche Vorschriften wie das deutsche Lieferkettengesetz und die europäische Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), die sich aktuell auf dem Weg zur formellen Annahme befindet, erweisen sich als entscheidende Treiber. Die Politik legt damit Mindeststandards für Menschenrechte und Umweltschutz fest und schafft ein Level-Playing-Field für Unternehmen. Allerdings reicht es nicht aus, wenn Unternehmen allein diese Ziele einhalten. Vielmehr braucht es eine tiefgreifende Transformation und Prozessänderungen in Unternehmen, um die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) und ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen möglich zu machen.

Unser aktuelles Barometer beleuchtet diese Dynamik und zeigt eine signifikante Verschiebung der Prioritäten in Unternehmen und sonstigen Organisationen hinsichtlich ihrer Beschaffung. Beschaffende weltweit erkennen zunehmend den strategischen Wert ihrer Funktion beim Erreichen unternehmenseigener Nachhaltigkeitsziele, wobei über 70 Prozent sie als einen der drei wichtigsten Treiber identifizieren. Sie bewerten diesen Faktor höher als die “Einhaltung externer Vorschriften” und der “Risikominderung”, was eine deutliche Verlagerung hin zu wertschöpfenden Ansätzen unterstreicht.

Gesetzliche Rahmenbedingungen bilden eine wichtige Grundlage, aber echte Nachhaltigkeit erfordert mehr als nur die Einhaltung von Vorschriften. Indem sie sich die folgenden Strategien zu eigen machen, können Unternehmen die voranstehend genannten Hürden überwinden und damit die Transformation der Beschaffung und die Übernahme von Nachhaltigkeitspraktiken in der Lieferkette beschleunigen:

  • Förderung der Unterstützung durch die Geschäftsleitung, um eine Kultur der Nachhaltigkeit im gesamten Unternehmen zu pflegen und Silos aufzubrechen.
  • Einbindung von Lieferanten in Kooperationen und verbesserte Lieferantenbeziehungen, die über die Einhaltung von Vorschriften hinausgehen und stattdessen Mehrwert-basiert sind und sich auf Kapazitätsaufbau und nachhaltige Innovation konzentrieren.
  • Integration von Nachhaltigkeitskriterien in Beschaffungsaktivitäten und -prozesse, um sicherzustellen, dass Entscheidungen durch ESG-Faktoren informiert werden.
  • Einsatz von Technologie zur Verbesserung der Datenerfassung und -analyse, die Transparenz und informierte Entscheidungsfindung in der gesamten Lieferkette ermöglicht.

Des Pudels Kern

Bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Beschaffung geht es um die Bewältigung von Herausforderungen und die Nutzung von Chancen. Dies schließt nicht nur die Minderung von Risiken oder die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften ein, sondern auch die Anerkennung des immensen Potenzials nachhaltiger Praktiken zur Förderung von Innovation, Effizienz und letztlich Profitabilität.

Führende Programme und Initiativen zur nachhaltigen Beschaffung zeichnen sich durch die Ausrichtung an ganzheitlichen ESG-Zielen aus. Sie werden vom Management unterstützt oder sogar angetrieben, fördern Kapazitätenaufbau im Einkauf und in der Lieferkette, und integrieren Nachhaltigkeitsdaten und Lieferantenbewertungen über den gesamten Beschaffungsprozess und in das Lieferantenmanagement. Diese Programme zahlen sich nicht nur in Bezug auf die Einhaltung von Vorschriften aus, sondern auch durch die Förderung einer widerstandsfähigen und flexiblen Wertschöpfungskette und den positiven Beitrag der Beschaffungsfunktion zu den nachhaltigen Unternehmenszielen.

Tanja Reilly ist Senior Strategic Business Development Manager bei EcoVadis. Sie hat über 15 Jahre internationale Erfahrung in den Bereichen Beschaffung und Compliance in multinationalen Unternehmen. Seit 9 Jahren ist sie bei EcoVadis in der DACH-Region tätig und Expertin für nachhaltige Beschaffungsprogramme, Sustainable Finance und ESG-Regulatoriken.

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  • Unternehmensverantwortung

ESG.Table Redaktion

ESG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    einige wichtige Transformationsvorhaben standen noch auf der Agenda des Europäischen Parlaments in der letzten Sitzungswoche vor der Europawahl. Am Mittwoch stimmten die Abgeordneten mehrheitlich für die Europäische Lieferkettenrichtlinie und die Verpackungsverordnung – zwei vorher teils kontrovers diskutierte Vorhaben.

    Mit dem Ende der Legislaturperiode pausiert auch die Arbeit am Green Deal, dem Großprojekt der EU, zum ersten klimaneutralen Kontinent zu werden. Lukas Scheid und Manuel Berkel ziehen Bilanz und geben einen Ausblick, wie es nach Wahl im Juni weitergehen könnte.

    Mit der Finanzierung der ökologischen Transformation beschäftigt sich Laurin Meyer. Er berichtet über aktuelle Zahlen zu Sustainability-linked Bonds, die erhebliche Zweifel an der Klima-Wirkung dieser Art von Anleihen nähren.

    Über einen tiefgreifenden Wandel in den Beschaffungsabteilungen von Unternehmen schreibt Tanja Reilly von EcoVadis. Diesen brauche es, damit der Einkauf wirklich nachhaltig wird. Wie dies gelingt, erklärt sie im Standpunkt.

    Ich wünsche eine anregende Lektüre.

    Ihr
    Nicolas Heronymus
    Bild von Nicolas  Heronymus

    Analyse

    EP-Bilanz: Wo der Green Deal verwässert wurde – und wie es weitergeht

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

    Es war das große Projekt von Ursula von der Leyen in dieser Legislatur: Mit dem Green Deal sollte Europa auf den Weg zur Klimaneutralität 2050 gebracht werden. 2019 kündigte die Kommissionspräsidentin ihren Plan an und brachte 2021 gleich eine ganze Reihe an Gesetzen auf den Weg. Wie weit ist die EU gekommen?

    Eine Bilanz am Ende der Sitzungsperiode des Europa-Parlaments zeigt: Die ersten Jahre des Green Deals standen im Zeichen umfassender Reformen, beispielsweise durch den Emissionshandel, den Erneuerbaren-Ausbau und die Erhöhung der Klimaziele. Sie legen die Basis für weitere Fortschritte in Richtung der ehrgeizigen Klimazielen.

    Zum Ende der Zeit und unter dem Druck von Corona-Pandemie, Inflation und Ukrainekrieg ging allerdings der Schwung verloren: Das europäische Klima- und Umweltschutzprojekt geriet zuletzt immer stärker in die Schusslinie.

    Vor allem seit die wesentlichen Klimaschutzgesetze – bekannt als Fit-for-55-Paket – abgeschlossen wurden, fiel der Zuspruch für weitere Maßnahmen des Green Deals massiv ab. Insbesondere die christdemokratische EVP, von der Leyens politische Basis, baute enormen Druck auf die Kommission auf, die Anzahl weiterer Green-Deal-Gesetze möglichst gering zu halten.

    Kommission gab Druck der EVP oft nach

    Einige Vorhaben gerieten dadurch in Gefahr:

    • Das Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) wurde durch die Ablehnung der EVP beinahe ganz gekippt. Zwar konnte sie sich schließlich nicht durchsetzen; der Vorschlag wurde aber dennoch dermaßen abgeschwächt, dass sogar das Ambitionsniveau der Mitgliedstaaten im Rat schließlich höher lag. Eine Situation, die bei Umweltschutzmaßnahmen so noch nie vorkam.
    • Auch bei der Pestizide-Verordnung (SUR) setzte die EVP das Messer an. Am Ende ließen zwar die Grünen das Gesetz im Parlament scheitern, weil es aus ihrer Sicht keine Verbesserung zu bestehenden Regeln gebracht hätte. Nachverhandlungen lehnte wiederum die EVP ab. Schlussendlich zog die Kommissionspräsidentin als Zugeständnis an die protestierenden Bauern den ohnehin totgesagten Vorschlag wieder zurück.
    • Aus einem Bodenschutzgesetz wurde ein Boden-Monitoring-Gesetz ohne verpflichtende Zielvorgaben für die Bodengesundheit in den Mitgliedstaaten. Grund dafür war der hohe Druck auf die Kommission, unter anderem durch das von der EVP geforderte Gesetzesmoratorium.
    • Ein Gesetz zur Einschränkung von Mikroplastik wurde erst verschoben und schließlich in abgeschwächter Form vorgelegt.
    • Die Chemikalienverordnung REACH wurde gleich mehrfach verschoben und liegt bis heute noch in der Schublade der Kommission. Auch das ist im Interesse der EVP. Ob REACH überhaupt noch kommt, ist unklar.

    EVP mit “prähistorischem” Abstimmungsverhalten

    All diese Gesetze sind Teil des Green Deals. Eine Gruppe von Umweltschutzorganisationen bezeichnete die EVP als “Prehistoric Thinkers”, da sie in vielen Fällen gegen mehr Klimaschutz stimmten. Christian Ehler von der EVP will diese Zahl allein nicht gelten lassen. Wichtig sei, worüber man abgestimmt habe – und nicht, ob mit Ja oder Nein. Die EVP begründet ihre Ablehnung weiterer Gesetze mit dem Ziel, Industrie und Bauern vor neuen Vorgaben zu schützen.

    Ehler ist Berichterstatter für das große industriepolitische Projekt des Green Deals, den Net-Zero Industry Act (NZIA), der am Donnerstag final im Europaparlament abgestimmt wurde. Das Gesetz soll die Antwort auf die massiven chinesischen Industriesubventionen und den US-amerikanischen Inflation Reduction Act sein. Es geht um die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren beim Ausbau grüner Technologien, um mehr Resilienz weltweiter Lieferengpässe sowie mehr Unabhängigkeit von ausländischen Lieferanten.

    Der NZIA sieht jedoch kaum neue Finanzmittel zur Industrieförderung vor; auch deshalb sehen die Grünen das Gesetz kritisch. Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen, bezeichnet es als verpasste Chance. Bei einem Rededuell von Table.Briefings entgegnete Christian Ehler, man werde es mit öffentlichen Mitteln nicht schaffen, Transformationsprozesse zu finanzieren. “Nur wenn wir in Europa den Energiebinnenmarkt vertiefen und es auf dem Kapitalmarkt endlich gleiche Verhältnisse gibt, sodass es für internationale Kapitalgeber attraktiv ist, wird es funktionieren.”

    Und nach der Europawahl?

    Wie geht es mit dem Green Deal weiter? Konkrete Aussagen dazu finden sich in den Parteiprogrammen zur Wahl kaum. Auf dem Zettel steht allerdings das neue EU-Klimaziel für 2040, das die Kommission vorgeschlagen hat: Minus 90 Prozent. Das dazugehörige Gesetzespaket wird die wesentliche klimapolitische Aufgabe der nächsten Kommission und des nächsten Parlaments sein. Es soll nach bisherigen Planungen frühestens im ersten Halbjahr 2025 unter der polnischen Ratspräsidentschaft vorgelegt werden.

    Michael Bloss setzt sich für einen Green Industrial Deal in der nächsten Legislatur ein, mit dem der Wirtschaftsstandort Europa geschützt wird und auch die Klimaziele für 2030, 2040 und 2050 erreichbar bleiben. Christian Ehler von der EVP wünscht sich von der neuen Kommission weniger Regulierungsvorhaben und stattdessen mehr Steuerung über marktwirtschaftliche Instrumente wie den europäischen Emissionshandel.

    Giegold: “Brauchen Near-Zero-Package”

    Für die Zukunft will der grüne Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold das Zurückdrehen des Green Deal mit einem neuen Gesetzespaket verhindern. “Wir brauchen ein Fit-for-Near-Zero Package“, sagte er Dienstagabend bei einer Veranstaltung des Jacques Delors Centres und der Stiftung KlimaWirtschaft in Berlin.

    Der Green Deal ist noch nicht vollendet und er muss weiter Priorität haben“, so der ehemalige EU-Abgeordnete weiter. Alles andere würde “nicht nur dem Klima, sondern auch unserer Wirtschaft schaden”.

    In einem entscheidenden Punkt richtet sich Giegold mit seinem Vorstoß gegen die französische Regierung und ihre Verbündeten im Rat: “Für Deutschland ist klar, dass das nächste Gesetzespaket auch wieder Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz enthalten muss. Beide werden einen Großteil der Treibhausgas-Minderung übernehmen”, sagte der Staatssekretär.

    Paris strebt dagegen nur noch ein Ziel für “dekarbonisierte Energie” an, die auch Kernenergie umfassen würde. Zum Treffen der Energieminister im vergangenen Dezember hatte Frankreich zusammen mit zehn weiteren EU-Staaten ein entsprechendes Papier verfasst, um Einfluss auf die Klimagesetze für 2040 zu nehmen.

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    Translation missing.

    Grüne Anleihen mit Glaubwürdigkeitsproblem: Starke Zweifel an der Wirkung von Sustainability-linked Bonds

    Finanzplatz Frankfurt am Main: Der Markt agiert wie “im Wilden Westen ohne Orientierung”.

    Auf den ersten Blick stimmt die Bilanz: Weltweit flossen im ersten Quartal dieses Jahres rund 207 Milliarden US-Dollar in grüne Anleihen – so viel wie noch nie in den ersten drei Monaten eines Jahres. Doch ein Bereich schrumpft: Sustainability-linked Bonds, kurz SLBs. Die Neuemissionen solcher nachhaltigkeitsgebundenen Anleihen sind zuletzt drastisch zurückgegangen. Zudem erfüllen die SLBs auch ihren Hauptzweck deutlich schlechter als erhofft, wie eine aktuelle Studie zeigt. Experten sprechen von einem gehörigen Glaubwürdigkeitsproblem. Doch neue Regulierung in den USA könnte einige der Missstände bei dem Anlagevehikel bald beseitigen.

    Nachhaltigkeitsgebundene Anleihen ähneln gewöhnlichen Green Bonds, aber es gibt zwei entscheidende Unterschiede: Ihre Zinssätze steigen, wenn die ausgebenden Unternehmen ihre zuvor selbstgesteckten Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen – und zwar in Form einer Kuponerhöhung. Daneben sind die Anleihen für Emittenten besonders attraktiv, weil sie deren Erlöse für allgemeine Zwecke, also nicht zweckgebunden verwenden dürfen. Das öffnet den Markt auch für Unternehmen, die aufgrund ihrer umweltschädlichen Geschäfte sonst nur schwer grüne Finanzierung erhalten würden.

    Nur wenige SLBs stimmen mit Klimazielen überein

    Dennoch ist das weltweite Emissionsvolumen bei den SLBs im vergangenen Jahr um 22 Prozent auf 68 Milliarden US-Dollar gesunken, wie Bloomberg Professional ausweist. Das ist fast eine Halbierung gegenüber dem Rekord im Jahr 2021 von rund 130 Milliarden US-Dollar. Bislang geben vor allem europäische Unternehmen SLBs aus. Im Jahr 2022 stand Italien an der Spitze mit einem Emissionsvolumen von fast 50 Milliarden Dollar, wobei davon fast zwei Drittel auf den Energiekonzern Enel entfielen. Den zweiten Rang belegte Frankreich (29 Milliarden US-Dollar), gefolgt von Deutschland (23 Milliarden US-Dollar). Hier zählten in der Vergangenheit die Berliner Hyp, Henkel oder die Deutsche Post zu den Emittenten.

    Für Bertrand Rocher haben SLBs grundsätzlich Potenzial. Vor allem Hochzinsanleger, die sich in ihren Portfolios ESG-Themen widmen wollen, gehörten zur Zielgruppe, sagt der verantwortliche Portfoliomanager von Mirova, einem Vermögensverwalter, der auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. “Weil die Emittenten von Hochzinsanleihen nicht immer die Flexibilität haben, grüne Anleihen auszugeben, können SLBs eine praktische Alternative sein”, sagt Rocher gegenüber Table.Briefings.

    Gleichzeitig sieht er aber ein Glaubwürdigkeitsproblem. “In gewissem Maße wird die Eigenschaft der Emittenten, eigene Leistungskennzahlen festzulegen, unweigerlich Zweifel an ihrem tatsächlichen Engagement für Nachhaltigkeit aufkommen lassen”, sagt er.

    Schlupflöcher bei der Ausgestaltung

    Aktuelle Zahlen nähren weitere, starke Zweifel an der Wirkung der SLBs. Demnach sollen sogar 86 Prozent aller nachhaltigkeitsgebundenen Anleihen, die zwischen 2018 und November 2023 ausgegeben wurden, nicht auf die globalen Klimaziele ausgerichtet sein. Diese niederschmetternde Bilanz zieht die gemeinnützige US-Organisation Climate Bonds Initiative (CBI). Bemessen am Volumen ist die Bilanz mit 83 Prozent fast genauso schlecht.

    Es gebe einen “hohen Anteil an minderwertigen Geschäften, denen es an angemessener Offenlegung, Ehrgeiz und Glaubwürdigkeit mangelt”, heißt es in der Studie. Die CBI bewertet, ob die selbstgesteckten Ziele der Emittenten mit den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen.

    Andere kritisieren die Schlupflöcher bei der Ausgestaltung der SLBs. “Diese Lücken stellen die Glaubwürdigkeit von SLBs als nachhaltige Instrumente vor erhebliche Herausforderungen”, schreibt Paul Horrocks, Leiter der Abteilung Private Finanzierung für nachhaltige Entwicklung bei der OECD. So würden die Emittenten versuchen, die potenziellen Strafaufschläge zu minimieren – sollte das Verfehlen von Zielvorgaben drohen. Horrocks hat drei wesentliche Schlupflöcher ausgemacht:

    1. Emittenten legen besonders späte Zieltermine für ihre Verpflichtungen fest.
    2. Emittenten kündigen eine Anleihe kurz vor dem Zieltermin.
    3. Emittenten legen von vornherein besonders niedrige Kuponerhöhungen fest.

    Die meisten der bisher ausgegebenen SLBs sähen im Falle einer Zielverfehlung eine Kuponerhöhung von 25 Basispunkten vor, erklärt Horrocks. Es gebe jedoch keine Begründung für diese Zahl. Komplexere Charakteristiken hätten sich bislang kaum herausbildet – so etwa, dass weniger ehrgeizige Ziele zu höheren Kupons führen. Sein Fazit: “So können Emittenten das System ausnutzen, um von der grünen Welle zu profitieren, ohne letztlich dafür zu bezahlen”, schreibt Horrocks.

    Die CBI weist auf zwei rechtliche Schlupflöcher hin. Bestimmte Klauseln können Emittenten von der Kuponzahlung befreien, wenn sie die Ziele wegen geänderter Vorschriften der Politik verfehlen. Eine andere erlaubt es ihnen, Akquisitionen nach der Emission sowie bestimmte Investitionen auszuschließen. Der Markt agiere “bislang im Wilden Westen ohne Orientierung”, sagt CBI-Chef Sean Kidney.

    SEC-Regulatorik gibt neue Hoffnung

    Marktakteure haben allerdings Hoffnung, dass SLBs schon bald einen Schub bekommen könnten – und das ausgerechnet in den USA. Das liegt an der strikten Reformagenda der dortigen Börsenaufsicht SEC. Ab dem Jahr 2026 sollen börsennotierte Unternehmen detailliert über ihren Kohlendioxid-Ausstoß (Scope-1 und Scope-2) sowie sogenannte Transitionsrisiken berichten, also mögliche Verluste wegen des Übergangs zu einer Netto-Null-Wirtschaft. Die SEC hat die Regeln zwar beschlossen. Ob sie ab 2026 auch angewendet werden, bleibt aber vorerst fraglich. Zehn republikanisch regierte Bundesstaaten klagen bereits dagegen.

    Analysten sprechen dennoch von einem guten Zeichen – und erhoffen sich grundsätzlich mehr Transparenz. “Die neuen Regeln der SEC zur Offenlegung von Klimadaten haben das Potenzial, die Emission nachhaltigkeitsgebundener Anleihen erheblich zu beeinflussen”, sagt Portfoliomanager Rocher von Mirova. “Wer sich verpflichten will, seine Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, kann diese Kennzahlen bei der Gestaltung glaubwürdiger und stabiler SLB-Transaktionen verwenden”, ergänzt er. Laurin Meyer

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    News

    Wegen Schäden in Südamerika: OECD-Beschwerde gegen Bayer

    Sechs NGO aus Deutschland, Argentinien, Brasilien, Paraguay und Bolivien haben eine OECD-Beschwerde gegen die Bayer AG eingereicht. Dies verkündeten sie am Donnerstag in einer Pressemitteilung. Der Vorwurf: Der Pharma- und Chemiekonzern sei für schwerwiegende Folgen der industriellen Landwirtschaft in Südamerika verantwortlich und verstoße gegen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.

    Das NGO-Bündnis, darunter Misereor und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), beruft sich auf eigene Recherchen und Interviews mit Betroffenen. Durch den Vertrieb von Soja-Saatgut und giftigen Pestiziden fördere die Bayer AG ein Agrarmodell in Südamerika, dass unter anderem zu Nahrungsunsicherheit, Wasserknappheit, Abholzung, Biodiversitätsverlust, Gesundheitsproblemen und Landkonflikten mit  indigenen Gemeinschaften führe. 

    “Wir fordern, dass Bayer für gentechnisch verändertes Soja und Pestizide auf Glyphosatbasis Sorgfaltspflichten entwickelt, die risikobasiert sind und den Kontext in Lateinamerika berücksichtigen, um zu langfristigen Lösungen beizutragen”, erklärte Silvia Rojas Castro, Legal Advisor beim ECCHR. In den angeführten Fällen solle der Konzern zudem Wiedergutmachung leisten.

    Bayer: “Vorfälle nicht bekannt”

    Laut den OECD-Leitsätzen müssen Unternehmen in ihren globalen Wertschöpfungsketten Menschenrechte und Umwelt respektieren und dürfen nicht zu negativen Auswirkungen auf das Recht auf Gesundheit, Nahrung, Land und eine gesunde Umwelt beitragen. Damit gelten die Richtlinien auch für die nachgelagerte Wertschöpfungskette. Diese Risiken fallen nach Auslegung des Bundesamts für Ausfuhrkontrolle (BAFA) derzeit nicht unter das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).

    Auf Anfrage von Table.Briefings dementierte ein Sprecher der Bayer AG die Vorwürfe. Die Vorfälle aus Paraguay, Argentinien und Brasilien seien dem Konzern nicht bekannt, sie passten außerdem nicht zum Produkt- und Sicherheitsprofil des Pestizids Glyphosat. “Zulassungsstudien für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln basieren auf den strengen internationalen Richtlinien der OECD”, erklärte er. “Unsere internen Sicherheitskriterien sind im Übrigen oft noch strenger als die behördlichen Anforderungen.”

    Die Bayer AG begleite die Anwendung ihrer Produkte durch Maßnahmen wie Schulungen, auch in Lateinamerika. Für die Rahmenbedingungen der Landwirtschaft in den verschiedenen Ländern seien im Übrigen die jeweiligen staatlichen Behörden zuständig.

    Die deutsche Nationale Kontaktstelle der OECD hat nun drei Monate Zeit, zu reagieren. Bestätigt sie die Zulässigkeit der Beschwerde, müsste sie eine Mediation zwischen den Betroffenen und dem Konzern unterstützen. leo

    • Sorgfaltspflichten

    Nachhaltigkeitsbanken fordern Vertrag fürs Ende von fossilen Brennstoffen

    Eine Gruppe von 17 Nachhaltigkeitsbanken aus Europa, den USA und mehreren Ländern des globalen Südens hat sich der Initiative für einen Vertrag zur Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe (Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty, FFNPT) angeschlossen. Die Initiative fordert ein internationales Abkommen, um den Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen, die Ausweitung der Kohle-, Öl- und Gasförderung zu stoppen und die bestehende Produktion auslaufen zu lassen.

    Banken sollen Klimaverpflichtungen ernst nehmen

    Die beteiligten Banken sind Mitglieder der Global Alliance for Banking on Values (GABV), einem internationalen Zusammenschluss von Finanzinstituten, die sich weltweit für soziale und nachhaltige Bankpraktiken einsetzen. In einer gemeinsamen Erklärung betonen sie die große Bedeutung des Bankensektors für die Energiewende und rufen die Finanzindustrie auf, ihrem Beispiel zu folgen.

    “Wir sind der Meinung, dass der Finanzsektor die Vertragsinitiative unterstützen sollte, wenn er es mit seinen Nachhaltigkeits- und Klimaverpflichtungen ernst meint”, betont Jeroen Rijpkema, CEO der Triodos Bank. Ein globales Abkommen würde dazu beitragen, ein stabiles Geschäftsklima mit langfristiger Perspektive und gleichen Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, so Rijpkema. Dies sei im Interesse aller Unternehmen und Finanzinstitute.

    Mit rund 750.000 Kunden und Niederlassungen in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Spanien und Deutschland gilt die Triodos Bank als Europas führende Nachhaltigkeitsbank.

    UN-Bankeninitiative in der Kritik

    Im Finanzsektor sind in den letzten Jahren eine Reihe von Nachhaltigkeitsinitiativen entstanden. Im Gegensatz zum angestrebten FFNPT sind diese jedoch nicht rechtlich bindend, sondern basieren auf freiwilligen Selbstverpflichtungen. Die bekannteste ist die Net-Zero Banking Alliance (NZBA), die im April 2021 mit Unterstützung der UNO gegründet wurde. Die NZBA zählt derzeit 144 Mitglieder. Ihre Wirksamkeit ist jedoch umstritten.

    So kommen Experten der Europäischen Zentralbank in einem kürzlich vorgelegten Working Paper zu dem Schluss, dass die NZBA-Banken bisher weder im Bereich fossiler Energien desinvestiert noch sich anders verhalten haben als Banken, die sich nicht zum Klimaschutz verpflichtet haben.

    GLS Bank hat NZBA 2023 verlassen

    Bereits Anfang 2023 war die deutsche GLS Bank aus der NZBA ausgetreten. Gegenüber Table.Briefings begründete eine Sprecherin den Schritt damals damit, dass “zahlreiche Akteure des Bündnisses an der Erschließung neuer fossiler Projekte auf dem afrikanischen Kontinent beteiligt sind.” ch

    • Energiewende
    • Fossile Industrien

    ILO: Klimawandel bedroht die Gesundheit von mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmer

    Laut einem diese Woche veröffentlichten Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmer weltweit Gesundheitsrisiken ausgesetzt, die durch den Klimawandel verursacht werden oder damit zusammenhängen. Die derzeit etablierten Arbeitsschutzmaßnahmen könnten mit den daraus resultierenden Risiken kaum Schritt halten, so die ILO.

    19.000 tödliche Arbeitsunfälle wegen Hitze

    Dem Bericht zufolge sind aufgrund der zunehmenden Erderwärmung mehr als 2,4 Milliarden der weltweit rund 3,4 Milliarden Beschäftigten bei der Arbeit übermäßiger Hitze ausgesetzt. Dies führt zu 22,87 Millionen Arbeitsunfällen pro Jahr, von denen fast 19.000 tödlich enden.

    Steigende Temperaturen seien aber nur ein Teil des Problems, so die ILO. Vielmehr handele es sich um einen “Cocktail von Gefahren”, die durch die Folgen des Klimawandels noch verstärkt würden, darunter Krebs, Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Nierenfunktionsstörungen sowie psychische Probleme.

    Klimawandel verstärkt Gesundheitsrisiken

    “Es ist klar, dass der Klimawandel bereits jetzt erhebliche zusätzliche Gesundheitsrisiken für Arbeitnehmer mit sich bringt”, betonte Manal Azzi, Abteilungsleiterin für Arbeitsschutz bei der ILO. Ein sicheres und gesundes Umfeld gehöre zu den grundlegenden Prinzipien und Rechten bei der Arbeit. “Dieser Verpflichtung müssen wir auch mit Blick auf den Klimawandel nachkommen, genau wie in jedem anderen Bereich der Arbeit”, so Azzi.

    Die ILO verweist in ihrem Bericht unter anderem auf folgende Gesundheitsrisiken:

    • 1,6 Milliarden Arbeitnehmer sind UV-Strahlung ausgesetzt, was zu mehr als 18.960 arbeitsbedingten Todesfällen pro Jahr aufgrund von Hautkrebs führt,
    • 1,6 Milliarden Beschäftigte sind Luftverschmutzung ausgesetzt, was bis zu 860.000 arbeitsbedingte Todesfällen pro Jahr bei Beschäftigten nach sich zieht, die im Freien arbeiten,
    • 870 Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft kommen mit Pflanzenschutzmitteln in Kontakt, was mehr als 300.000 Todesfällen pro Jahr aufgrund von Pestizidvergiftungen zur Folge hat.

    Am Sonntag, 28. April 2024, ist Welttag für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Er wurde 1984 von der ILO ins Leben gerufen. ch

    • Arbeitnehmerrechte
    • ILO
    • Klimakrise

    EU-Parlament stimmt für Plattformarbeitsgesetz

    Die Europaparlamentarier haben die Richtlinie zur Plattformarbeit mit großer Mehrheit bestätigt. Am Mittwoch stimmten 554 Abgeordnete aller Fraktionen für den Text, 56 dagegen – darunter die deutschen FDP-Abgeordneten. 24 Parlamentarier enthielten sich.

    Die Richtlinie gilt neben der Mindestlohnrichtlinie als eine der zentralen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der aktuellen Legislaturperiode und soll Scheinselbstständigkeit auf großen Digitalplattformen bekämpfen. Sie verpflichtet die EU-Länder, eine widerlegbare rechtliche Beschäftigungsvermutung auf nationaler Ebene zu etablieren. Um diese Vermutung hatte es viel Streit gegeben. In dem nun in Kraft tretenden Gesetzestext ist sie derart geregelt, dass es keine EU-weit einheitlichen Kriterien dazu gibt, sondern sie anhand nationaler Gesetze eingeleitet wird.

    Erstmals Regeln zu Algorithmen am Arbeitsplatz

    Explizit festgehalten wird im Text, dass die Einleitung eines solchen Verfahrens erleichtert werden soll im Vergleich zum Status quo. Anschließend liegt die Beweislast bei der Plattform, sie muss nachweisen, dass es kein Arbeitsverhältnis gibt. Zum ersten Mal gibt es zudem in der EU Regeln zum Einsatz von Algorithmen am Arbeitsplatz – etwa, dass eine Kündigung nur mit menschlicher Kontrolle erfolgen darf.

    Die Richtlinie war im Rat hochumstritten. Deutschland und Frankreich blockierten das Gesetz über Monate – eine Einigung war deswegen lange offen. Im März kam in letzter Minute doch eine Mehrheit im Rat zustande – an den beiden Staaten vorbei. lei

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    Urgewald: EU-Sanktionen würden russische LNG-Exporte hart treffen

    Nach Ansicht der Umweltorganisation Urgewald ließe sich der ökonomische Druck auf Russland deutlich erhöhen, wenn die EU den Import und Handel mit russischem LNG verbieten würde. Nach einer solchen Maßnahme stünde das wichtigste russische Exportterminal Sabetta vor massiven logistischen Problemen.

    “Fielen die nahegelegenen EU-Häfen und -Gewässer als Ziele und Umschlagplätze aus, würden die Transportwege für russisches Gas aus der Arktis deutlich länger und teurer. Aufgrund der sehr begrenzten Anzahl an verfügbaren Schiffen wäre Russland darüber hinaus nicht mehr in der Lage, die aktuellen Mengen zu exportieren“, schreibt Energie-Campaigner Sebastian Rötters in einem neuen Briefing von Urgewald.

    Nach einer Urgewald-Auswertung von Schiffsdaten sind die Anlandungen von russischem LNG in der EU von 23 auf 31 Millionen Tonnen gestiegen, seit Russland vor zwei Jahren die Ukraine überfallen hat. Ohne Eisbrecher-Tanker der Arc7-Klasse seien weder das Terminal Sabetta auf der Yamal-Halbinsel noch das Ausbauprojekt Arctic LNG2 wirtschaftlich zu betreiben. Zudem würden 20 Prozent des in die EU verschifften LNGs in der Staatengemeinschaft umgeladen und vor allem nach China exportiert.

    US-Sanktionen zwingen Novatek in die Defensive

    Urgewald fordert deshalb verschärfte Sanktionen der EU:

    • ein sofortiges EU-weites Einfuhrverbot für russisches LNG;
    • ein Umladeverbot für russisches LNG in EU-Häfen und -Gewässern;
    • Sanktionen für Schiffe, die russische LNG-Exportterminals anlaufen, um Russland den Zugriff auf die bestehende Arc7-Tankerflotte zu entziehen;
    • wirkungsvolle Schritte zur Unterbindung von Technologie-Exporten, die Russland für den Bau des Exportterminals Arctic LNG2 und weiterer Arc7-Tanker benötigt.

    Die USA hätten den Exporteur Novatek mit Sanktionen gegen Arctic LNG2 bereits in die Defensive gezwungen. Allerdings ist unklar, ob EU-Sanktionen die Exporte wirklich komplett unterbinden würden. Laut einem Reuters-Bericht gibt es für Novatek ein alternatives Exportterminal in der Region Murmansk, die im Winter eisfrei bleibt. ber

    • China
    • Erdgas
    • LNG
    • Russland
    • Sanktionen

    Puma will gebrauchte Sneaker kompostieren

    Der Sportartikelhersteller Puma bringt einen kompostierbaren Sneaker auf den Markt. Ein im vergangenen Jahr erfolgreich abgeschlossenes Experiment habe gezeigt, dass der Schuh unter bestimmten industriellen Bedingungen erfolgreich zu Kompost verarbeitet werden könne, teilte das Unternehmen mit.

    Anne-Laure Descours, Leiterin des Einkaufs bei Puma, sprach von “einem wichtigen Schritt, um End-of-Life Lösungen für unsere Schuhe zu finden”. Künftig können Kunden den Sneaker nach Gebrauch kostenlos an Puma zurückgeben. Im Gegenzug gibt es einen Rabatt auf den nächsten Einkauf. Der Schuh soll dann vom niederländischen Partnerunternehmen Ortessa in einem speziell eingerichteten industriellen Prozess kompostiert werden.

    Sneaker, also Alltagsschuhe im sportlichen Look, liegen seit Jahren im Trend. Für das Jahr 2024 prognostiziert das Statistikportal Statista allein für Deutschland einen Umsatz von 2,57 Milliarden Euro in diesem Marktsegment. Das entspräche einem Plus von 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Tendenz weiter steigend. Der Anteil nachhaltig produzierter Sneaker lag laut Statista im Jahr 2023 bei 10,8 Prozent. Für 2024 werden 11,7 Prozent prognostiziert.

    Abfall als “Chance zur Innovation”

    Das Angebot an Sneakern, die von den Herstellern als nachhaltig bezeichnet werden, ist vielfältig. Meist bezieht sich die Angabe auf die verwendeten Materialien wie Bio-Baumwolle, Naturkautschuk oder vegane Lederalternativen. Teilweise werden auch recycelte Kunststoffe verwendet. Das französische Label Veja bietet zudem ein Programm namens “Clean, Repair, Collect” an, bei dem gebrauchte Schuhe wieder aufbereitet werden.

    In den meisten Fällen landen getragene Sneaker jedoch im Müll – und lassen sich kaum recyceln. Denn sie bestehen in der Regel aus Dutzenden von Materialien, darunter Kunststoffe, Silikone, Gummi, Textilien und Metalle. Sie alle voneinander zu trennen und wiederzuverwerten, ist nahezu unmöglich.

    Der Kooperationspartner Ortessa denkt laut Puma das Thema Abfall jedoch “komplett neu: als Chance zur Innovation”. Bereits die ersten Versuche in seiner Kompostierungsanlage Valor hätten gezeigt, dass die Sneaker “unter Ortessas industriellen Bedingungen zu Klasse-1-Kompost verrotten können”. Entwickelt wurde das Projekt laut Puma im “Circular Lab”, das die Kreislaufwirtschaftsprogramme des Unternehmens gestaltet. ch

    • Kreislaufwirtschaft
    • Recycling
    • Transformation

    Presseschau

    Satellit deckt Waldrodungen auf – Süddeutsche Zeitung
    Unternehmen müssen in der EU bald nachweisen, dass für ihre Produkte keine Wälder gerodet wurden. Das Berliner Start-up Live-EO wolle Unternehmen dabei helfen, indem es mittels KI Satellitenbilder auswerte, berichtet Dieter Sürig. Zum Artikel

    Für Unternehmen lohnt es sich, Ersatzteile zu liefern – Süddeutsche Zeitung
    Die EU schreibt nur für wenige Produkte ein Recht auf Reparatur vor. Kluge Hersteller sollten mehr bieten, kommentiert Lea Hampel. Denn der Verkauf von langlebigen Produkten lohne sich ökonomisch – auch, weil damit die Glaubwürdigkeit bei Kunden steigt, die immer öfter nach nachhaltigen Produkten verlangen. Zum Artikel

    Climate Change Poses a Child Labor ‘Threat Multiplier’ – Bloomberg
    Gautam Naik beschäftigt sich mit einem neuen KI-Ansatz, mit dem Fondsmanager die Risiken von Kinderarbeit in Lieferketten besser einschätzen können sollen. Der sogenannte Child Labour Index bewerte Unternehmen in drei Bereichen: Offenlegungsgrad, öffentliche Wahrnehmung und die Gefährdung der Lieferkette durch Kinderarbeit auf Warenebene. Zum Artikel

    Der Mann, der jetzt den größten Chemiekonzern der Welt lenkt – FAZ
    Markus Kamieth ist neuer Vorstandsvorsitzender von BASF. Sein Vorgänger Brudermüller hinterlasse ihm das Ziel, den Konzern bei der Dekarbonisierung in eine Vorreiterrolle zu bringen, schreibt Bernd Freytag. Ob und welche Teile der Basischemie dauerhaft überhaupt noch in Europa produziert werden können, sei nicht klar. Im zweiten Halbjahr wolle Kamieth eine neue Strategie vorstellen. Zum Artikel

    The Rise and Fall of ESG – Forbes
    Nives Dolsak und Aseem Prakash gehen in ihrem Beitrag auf ein grundlegendes Problem der ESG-Debatte in den USA ein. Sie sei überflüssig, schreiben die beiden, wenn ESG die Gewinnziele der Unternehmen unterstütze. Was aber, wenn das nicht der Fall ist? Denn selbst wenn Unternehmen dem Druck des Aktienmarktes widerstehen können, kurzfristige Gewinne zu erzielen, könnten sie rechtliche Probleme bekommen: Sie verletzen ihre treuhänderische Pflicht, in erster Linie den Aktionären zu dienen. Zum Artikel

    Energiewende: Erneuerbare bringen Stromnetze zum Glühen – Der Standard
    Die Energiewende in Österreich erfordert Milliardeninvestitionen in die Übertragungs- und Verteilnetze. Auf 44 Milliarden Euro schätzen Experten den Bedarf bis 2040, schreibt Luise Ungerboeck. Ein Gutteil davon müsste über Umlagen von den Endkunden aufgebracht werden, was angesichts der hohen Energiepreise politisch schwer vorstellbar sei. Zum Artikel

    Klimawandel beeinträchtigt Weinanbau: Kurzarbeit bei Freixenet – taz
    Der Weinbau in Katalonien leidet unter der Trockenheit. Wegen des Klimawandels werde in der Region jetzt sogar ein Notvorrat an Traubensaft angelegt, berichtet Reiner Wandler. Freixenet, der größte Schaumweinproduzent des Landes, habe inzwischen für 615 Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt, das entspreche 80 Prozent der Belegschaft. Zum Artikel

    Wirtschaftsatlas: Schöne Marktwirtschaft in Grün – Klimareporter
    Knackpunkte wie Kohleausstieg und Klimageld würden im neuen Atlas zur Wirtschaftstransformation der Grünen-nahen Böll-Stiftung weitgehend ausgespart, kritisiert Jörg Staude. Ganz anders bewerte eine internationale Studie die Gewinne und Verluste der Transformation zur Klimaneutralität. Vor allem die betroffenen Arbeitnehmer müssten Einkommenseinbußen hinnehmen. Zum Artikel

    The colonialist overtones of EU’s green trade crusade – Financial Times
    Indonesiens Wirtschaftsminister Airlangga Hartarto hat die EU des “regulatorischen Imperialismus” beschuldigt – und tatsächlich, so Kolumnist Alain Beattie, gebe es da so einige koloniale Echos in Europas Drängen auf waldverträgliche Palmölproduktion. Nicht zuletzt, dass es dabei um “europäische Werte” gehe. Zum Artikel

    Standpunkt

    Für einen nachhaltigen Einkauf braucht es deutlich mehr in Unternehmen als Compliance

    Von Tanja Reilly
    Tanja Reilly ist Senior Strategic Business Development Manager bei EcoVadis.

    Die Integration nachhaltiger Praktiken in die Beschaffungsfunktionen ist für Unternehmen längst nicht mehr optional, sondern eine Notwendigkeit. Der neue Nachhaltigkeitsimperativ ergibt sich durch ein komplexes Zusammenspiel aus regulatorischem Druck, Anforderungen durch den Markt und die Gesellschaft. Ziel: den Planeten zu schützen. Gleichzeitig müssen Unternehmen, um selbst zu überleben wettbewerbsfähig bleiben. In der Beschaffung markiert dies einen kritischen Wendepunkt hin zu einer anderen Wertschöpfung. Die Einhaltung der neuen ESG-Compliance reicht jedoch nicht aus, um die Beschaffung zu einem wirklichen positiven Wertschöpfer für Unternehmen und Planeten zu transformieren.

    Aktuelle Hindernisse und Bremsen

    Das Sustainable Procurement Barometer 2024 von EcoVadis und Accenture zeigt, dass Unternehmen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit in der Beschaffung auf erhebliche Hürden stoßen. Wie können sie diese überwinden? Dafür benötigen die Einkäufer und Einkäuferinnen vor allem eine dauerhafte Unterstützung durch die Geschäftsleitung und das C-Level-Management. Der Übergang zu nachhaltigen Beschaffungspraktiken verlangt mehr als nur inkrementelle Änderungen.

    Erschwert wird der Wandel durch lückenhafte Nachhaltigkeitskompetenzen der Beschaffungsteams. Die komplexen Anforderungen der Integration von ESG-Faktoren in Beschaffungsentscheidungen erfordern ein hohes Maß an Expertise und Ressourcen, die in vielen Organisationen derzeit fehlen.

    Zudem nutzen Unternehmen die digitale Integration von Nachhaltigkeitsdaten in Beschaffungstechnologien unzureichend. Das volle Potenzial der nachhaltigen Beschaffung kann nur mit robusten digitalen Tools freigesetzt werden, die zuverlässige ESG-Daten bereitstellen können. Denn sie ermöglichen erst eine informierte Entscheidungsfindung in der Beschaffung und spielen eine wichtige Rolle im Leistungsmanagement von Lieferanten.

    Die Sichtbarkeit in der Lieferkette, insbesondere über die Tier-1-Lieferanten hinaus, ist eine weitere Hürde. Mangelnde Transparenz in der tieferen Lieferkette begrenzt die Fähigkeit der Unternehmen, die Nachhaltigkeitspraktiken ihrer Lieferanten zu bewerten und zu ermitteln, welche Maßnahmen für die Risikominderung und die Förderung von Verbesserungen in der gesamten Lieferkette wirklich wesentlich sind.

    Nachhaltige Beschaffung beschleunigen

    Rechtliche Vorschriften wie das deutsche Lieferkettengesetz und die europäische Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), die sich aktuell auf dem Weg zur formellen Annahme befindet, erweisen sich als entscheidende Treiber. Die Politik legt damit Mindeststandards für Menschenrechte und Umweltschutz fest und schafft ein Level-Playing-Field für Unternehmen. Allerdings reicht es nicht aus, wenn Unternehmen allein diese Ziele einhalten. Vielmehr braucht es eine tiefgreifende Transformation und Prozessänderungen in Unternehmen, um die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) und ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen möglich zu machen.

    Unser aktuelles Barometer beleuchtet diese Dynamik und zeigt eine signifikante Verschiebung der Prioritäten in Unternehmen und sonstigen Organisationen hinsichtlich ihrer Beschaffung. Beschaffende weltweit erkennen zunehmend den strategischen Wert ihrer Funktion beim Erreichen unternehmenseigener Nachhaltigkeitsziele, wobei über 70 Prozent sie als einen der drei wichtigsten Treiber identifizieren. Sie bewerten diesen Faktor höher als die “Einhaltung externer Vorschriften” und der “Risikominderung”, was eine deutliche Verlagerung hin zu wertschöpfenden Ansätzen unterstreicht.

    Gesetzliche Rahmenbedingungen bilden eine wichtige Grundlage, aber echte Nachhaltigkeit erfordert mehr als nur die Einhaltung von Vorschriften. Indem sie sich die folgenden Strategien zu eigen machen, können Unternehmen die voranstehend genannten Hürden überwinden und damit die Transformation der Beschaffung und die Übernahme von Nachhaltigkeitspraktiken in der Lieferkette beschleunigen:

    • Förderung der Unterstützung durch die Geschäftsleitung, um eine Kultur der Nachhaltigkeit im gesamten Unternehmen zu pflegen und Silos aufzubrechen.
    • Einbindung von Lieferanten in Kooperationen und verbesserte Lieferantenbeziehungen, die über die Einhaltung von Vorschriften hinausgehen und stattdessen Mehrwert-basiert sind und sich auf Kapazitätsaufbau und nachhaltige Innovation konzentrieren.
    • Integration von Nachhaltigkeitskriterien in Beschaffungsaktivitäten und -prozesse, um sicherzustellen, dass Entscheidungen durch ESG-Faktoren informiert werden.
    • Einsatz von Technologie zur Verbesserung der Datenerfassung und -analyse, die Transparenz und informierte Entscheidungsfindung in der gesamten Lieferkette ermöglicht.

    Des Pudels Kern

    Bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Beschaffung geht es um die Bewältigung von Herausforderungen und die Nutzung von Chancen. Dies schließt nicht nur die Minderung von Risiken oder die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften ein, sondern auch die Anerkennung des immensen Potenzials nachhaltiger Praktiken zur Förderung von Innovation, Effizienz und letztlich Profitabilität.

    Führende Programme und Initiativen zur nachhaltigen Beschaffung zeichnen sich durch die Ausrichtung an ganzheitlichen ESG-Zielen aus. Sie werden vom Management unterstützt oder sogar angetrieben, fördern Kapazitätenaufbau im Einkauf und in der Lieferkette, und integrieren Nachhaltigkeitsdaten und Lieferantenbewertungen über den gesamten Beschaffungsprozess und in das Lieferantenmanagement. Diese Programme zahlen sich nicht nur in Bezug auf die Einhaltung von Vorschriften aus, sondern auch durch die Förderung einer widerstandsfähigen und flexiblen Wertschöpfungskette und den positiven Beitrag der Beschaffungsfunktion zu den nachhaltigen Unternehmenszielen.

    Tanja Reilly ist Senior Strategic Business Development Manager bei EcoVadis. Sie hat über 15 Jahre internationale Erfahrung in den Bereichen Beschaffung und Compliance in multinationalen Unternehmen. Seit 9 Jahren ist sie bei EcoVadis in der DACH-Region tätig und Expertin für nachhaltige Beschaffungsprogramme, Sustainable Finance und ESG-Regulatoriken.

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