fast die Hälfte aller 20- bis 64-jährigen Frauen in Deutschland arbeitet in Teilzeit – zumindest, was die Lohnarbeit betrifft. Denn gleichzeitig leisten Frauen deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer: eine 34-jährige Frau mehr als doppelt so viel wie ein gleichaltriger Mann. Das zeigen Zahlen einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Die fehlende Repräsentation von Frauen in der Wirtschaft ist auch ein Wettbewerbsnachteil. Denn Studien belegen: Unternehmen mit einer diversen Führung sind erfolgreicher und innovativer. Das eröffnet auch mehr Spielraum für die Transformation der Wirtschaft.
Im ESG.Table legen wir heute einen Schwerpunkt auf die Rolle von Frauen in der Transformation. Dabei blicken wir an den Anfang der Lieferkette, etwa in der kenianischen Schnittblumenproduktion: In diesem und weiteren Wirtschaftssektoren forscht die Professorin Stephanie Barrientos. Mein Kollege Alex Veit und ich haben mit ihr gesprochen.
Warum Diversität in Führungsgremien wichtig ist, um Wandel innerhalb von Unternehmen erfolgreich zu gestalten, weiß Nadine-Lan Hönighaus. Welche spezifischen Perspektiven Frauen einbringen und ob sie mit den bisherigen Fortschritten bei Frauen-Anteilen zufrieden ist, erklärt die ESG-Expertin im Gespräch mit Carsten Hübner.
Professorin Barrientos, in Ihrem Buch “Gender and Work in Global Value Chains” beschreiben Sie die Auswirkungen der Globalisierung auf Frauen im Globalen Süden. Was hat sich für sie verändert?
Die Globalisierung hat viele Arbeitsplätze in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen geschaffen. Sie hat insbesondere Frauen die Möglichkeit eröffnet, in die Lohnarbeit einzusteigen. So konnten Frauen in Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ein unabhängiges Einkommen erzielen. Aber ein großer Teil der Beschaffung aus Ländern mit niedrigerem Einkommen basiert auf dem Versuch, billigere Waren zu erhalten, und oft ist diese Arbeit mit unsicheren Arbeitsplätzen, niedrigen Löhnen und schlechten Rechtsstandards verbunden.
Warum arbeiten vor allem Frauen in diesen unsicheren Arbeitsverhältnissen?
Eine der Methoden, mit denen Zulieferer in globalen Lieferketten die strengen Anforderungen der Just-in-time-Produktion, der hohen Qualität bei möglichst niedrigen Kosten bewältigen, besteht darin, dass sie häufig eine Kernbelegschaft einstellen – fest angestellte, gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitskräfte. Und dann stellen sie je nach Bedarf zusätzliche Gelegenheitsarbeitskräfte ein. Es hängt von Branche und Standort ab, aber es besteht die Tendenz, dass Männer eher in der Stammbelegschaft und in den damit verbundenen Aufsichtsfunktionen zu finden sind. Frauen sind oft stärker unter den Gelegenheitsarbeitskräften vertreten.
Und woran liegt das?
Das ist meiner Meinung nach eine Kombination aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren sowie der Tatsache, dass Frauen sowohl bezahlte Lohnarbeit als auch unbezahlte Betreuungsarbeit leisten müssen. Die Gesellschaft erwartet von Frauen, dass die Kinderbetreuung übernehmen, und Frauen müssen diese dann mit der Lohnarbeit unter einen Hut bringen. Die Zulieferer sind oft der Ansicht, dass weibliche Arbeitnehmer unsichere, schlecht bezahlte Arbeitsplätze eher akzeptieren.
Geht es also vor allem darum, die Kosten niedrig zu halten?
Es geht bei weitem nicht nur um die Herstellung billiger Waren. In bestimmten Sektoren werden Frauen in großer Zahl beschäftigt, weil man davon ausgeht, dass sie in der Lage sind, die erwartete hohe Qualität abzuliefern. Denken Sie an die Blumen: Die wunderschönen Sträuße, die hierzulande in den Supermärkten verkauft werden, wurden größtenteils von Frauen in Afrika arrangiert, bevor sie nach Europa verschifft wurden. Und das ist eine hochqualifizierte Arbeit. Sie wird in Kenia relativ gut bezahlt. Aber gemessen an der Gesamtwertschöpfung erhalten diese Frauen nur eine geringe Entschädigung. Viele von ihnen haben Mühe, ihre Familien zu ernähren, insbesondere angesichts der Lebenshaltungskostenkrise nach Covid.
Welche Möglichkeiten gibt es, gegen diese Arbeitsbedingungen vorzugehen?
Im traditionellen Handel wäre es schwierig, die Verbindung zwischen dem ursprünglichen Erzeuger und dem endgültigen Einzelhändler nachzuvollziehen, da viele Zwischenhändler dazwischengeschaltet sind. Aber in den neuen globalen Lieferketten koordinieren Marken und Einzelhändler ihre Lieferanten. Oftmals wird in der Fabrik, in der ein Kleidungsstück hergestellt wird, auch das Etikett des Einzelhändlers, der Preis des Endprodukts und der Strichcode angebracht, die alle letztendlich im Geschäft präsentiert werden. Daher war es für Organisationen der Zivilgesellschaft sehr einfach, globale Einzelhändler mit schlechten Arbeitsbedingungen in Verbindung zu bringen, und es gab viele Kampagnen, vor allem in den 1990er-Jahren.
Die größeren Einzelhändler und Marken reagierten darauf mit der Einführung von Arbeits- oder Verhaltenskodizes. Da ihnen aber oft Greenwashing vorgeworfen wurde, begannen sie zunehmend, sich an Multi-Stakeholder-Initiativen zu beteiligen, zusammen mit den NGO und den Gewerkschaften. Dies bedeutete eine Verlagerung von Kampagnen und Spannungen hin zu einem kooperativeren Ansatz, an dem bestimmte Unternehmen, NGO und Gewerkschaften beteiligt waren.
Wurden bei diesen Kampagnen und Kooperationen die Bedürfnisse von Frauen besonders berücksichtigt?
Die Kampagnen waren in dieser Hinsicht sehr effektiv, insbesondere bei Themen, die eher im Verborgenen liegen. In vielen Ländern sprechen Arbeitnehmerinnen nicht gern öffentlich über sexuelle Belästigung. Es ist ein unangenehmes Thema, aber die NGO sind eher in der Lage, darauf aufmerksam zu machen. Die Blumenindustrie in Kenia, wo ich geforscht habe, ist ein gutes Beispiel. Oft waren es die fest angestellten männlichen Vorgesetzten, die die befristeten und unsicheren Arbeiterinnen belästigten. Im Grunde genommen hieß es: “Wenn du mir diesen Gefallen nicht erweist, bekommst du den Job nächste Woche nicht.”
Wie wurden dann Verbesserungen für die Betroffenen erreicht?
Nachdem Organisationen der Zivilgesellschaft darauf aufmerksam gemacht hatten, übten die großen europäischen Einzelhändler Druck auf die kenianischen Blumenproduzenten aus. Es wurden Beschwerdeverfahren eingerichtet. Und viele Frauen erhielten sicherere und unbefristete Verträge, was bedeutet, dass sie weniger gefährdet sind. Einige kenianische Blumenproduzenten haben auch Frauen zu Vorgesetzten befördert. Dadurch wurde ein besseres Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern geschaffen, auch in höheren Positionen innerhalb der Unternehmen.
Inwiefern haben sich die Verbesserungen für die Arbeiterinnen auf die Produzenten ausgewirkt?
Bessere Arbeitsbedingungen haben auch wirtschaftliche Vorteile bewirkt. Die Fluktuation des Personals ist viel geringer, und mit mehr Stabilität werden die Kompetenzen wirklich gefestigt. Die Folge sind weniger Produktverluste und ein schnellerer Absatz von hochwertigen Produkten. So haben sowohl die Frauen als auch die Unternehmen profitiert. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass nicht alle Unternehmen diese Art von Strategie verfolgen.
Länder wie Deutschland und Frankreich haben Gesetze über die Lieferkette verabschiedet, um eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen einzuführen. Das EU-Gesetz über die Sorgfaltspflicht wird noch verhandelt. Wie geschlechtersensibel sind die aktuellen Gesetze zur Lieferkette?
Die Geschlechterfrage ist in diesen Gesetzen zwar enthalten, aber nicht an prominenter Stelle. Und auch wenn das auf dem Papier gut aussehen mag, reicht das nicht aus. Unternehmen, die diese Gesetze umsetzen, haben sich jedoch häufig auch den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte angeschlossen, die einen stärker geschlechtsspezifischen Ansatz verfolgen. Viele Unternehmen arbeiten auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, um Leitlinien für eine geschlechtersensible Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte zu erstellen. Das ist wichtig, weil Männer und Frauen oft unterschiedlich betroffen sind.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es gibt beispielsweise geschlechtsspezifische Unterschiede beim Zugang zu Rechtsmitteln. Festangestellte Männer sind eher in Gewerkschaften organisiert als Gelegenheitsarbeiterinnen. Männer sind also in Organisationen organisiert, die Rechtsbehelfe erleichtern können, während dies bei Gelegenheitsarbeiterinnen nicht der Fall ist.
Welche weiteren Due-Diligence-Instrumente sind aus der Gender-Perspektive wichtig?
Eine geschlechtsspezifische Sichtweise ist in jedem einzelnen Punkt des Due-Diligence-Prozesses wichtig, von der anfänglichen Konzeption bis zur Umsetzung. Bei der Durchführung ist es wichtig, Teammitglieder mit Gender-Expertise einzubeziehen. Diese können sicherstellen, dass die Stimmen von Frauen einbezogen werden und Teil des Prozesses sind. Nur dann werden die Probleme und Risiken, die Frauen besonders betreffen, auch adressiert. Auch bei den Rechtsbehelfsverfahren ist es wichtig, etwa Frauenorganisationen einzubeziehen, die den Zugang von Frauen zu Rechtsmitteln erleichtern können.
Stephanie Barrientos ist emeritierte Professorin des Global Development Institute der Universität Manchester (Großbritannien). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gender, globale Produktion und Arbeit. 2019 veröffentlichte sie das Buch “Gender and Work in Global Value Chains. Capturing the Gains?” bei Cambridge University Press. Sie berät die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und gehört dem Board of Trustees der Fairtrade Foundation an.
Guten Tag, Frau Hönighaus. Seit Jahren wird über Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten diskutiert. Aber reicht das aus, um eine patriarchalisch geprägte Unternehmenskultur zu verändern?
Zum Weltfrauentag reden wir natürlich über Frauen. Vorab möchte ich aber betonen, dass Diversität in Führungsgremien generell wichtig ist. Dadurch verändert sich die Dialogkultur und Risiken werden ganzheitlicher wahrgenommen – zum Beispiel, wenn wir an die Themen Nachhaltigkeit und Transformation denken.
Es ist wichtig zu verstehen, dass wir es mit Change-Prozessen zu tun haben, die auf allen Ebenen stattfinden und nicht nur an der Spitze. Deshalb müssen möglichst alle mitgenommen werden und ihren Beitrag leisten. Das gelingt aber nur, wenn die Führungskräfte auf den verschiedenen Ebenen auch die Vielfalt der Belegschaft widerspiegeln. Dazu braucht es ein Konzept, neudeutsch eine People Strategy.
Welchen Beitrag können Frauen dazu leisten?
Mit der Zusammensetzung von Gremien ändern sich auch der Diskurs und die Dialogkultur. Nicht, weil Frauen die besseren Mitarbeitenden wären. Aber es gibt einen offeneren Austausch. Statt immer schon Lösungen parat zu haben, ist es akzeptierter, etwas nicht zu wissen und ungeklärte Punkte zu haben. Frauen tragen so zu einer Atmosphäre bei, die zu einer besseren Informationsgewinnung im Vorfeld von Entscheidungen führt.
Außerdem wird Frauen zugeschrieben, dass sie für eine flexiblere Arbeitszeitkultur stehen, da sie bisher meist auch noch für die Familie und Care-Arbeit zuständig waren. Inzwischen schätzen es aber Männer und Frauen gleichermaßen, wenn ein modernes Arbeitsumfeld den ganzen Menschen im Blick hat. Dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit, Führungspositionen oder die Verantwortung in inklusiveren Teams zu teilen.
Sind Sie mit den bisherigen Fortschritten zufrieden?
Die Fortschritte der letzten Jahre sind schon beachtlich. Dazu hat auch die Gesetzgebung ihren Teil beigetragen. Aber wenn wir uns bewusst machen, dass rund die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind, dann sind wir zwar besser geworden, aber immer noch nicht gut genug. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es noch viel zu lange dauern, bis wir wirklich eine Verteilung haben, die dem Anteil der Frauen an der Bevölkerung entspricht.
In der europäischen Solarindustrie herrscht Katerstimmung. Chinesische Konkurrenten überschwemmen den Weltmarkt mit staatlich geförderten Modulen zu Dumpingpreisen. Europäische Anbieter verlieren durch den Preisverfall immer stärker an Wettbewerbsfähigkeit. Die Firma Meyer Burger, der wichtigste europäische Produzent, droht mit Abzug in die USA, wo Subventionen winken. In Deutschland bitten auch Zulieferer die Bundesregierung um Hilfe. Komme die nicht, drohe auch hier das Aus.
Auch die EU-Kommission will den Kater nicht lindern. Sie plant weder Handelsbeschränkungen gegen chinesische Module noch neue Subventionen, wie EU-Kommissare jüngst deutlich gemacht haben. Die Kommission sieht vielmehr die Mitgliedsstaaten in der Pflicht. Denn die Ziele sind hochgesteckt: Die EU-Staaten wollen mit ihrem Net Zero Industry Act (NZIA) bis 2030 eine europäische Solarindustrie aufbauen, die 40 Prozent des heimischen Bedarfs decken kann – und zwar in allen Schritten der Wertschöpfungskette. Dadurch soll die Abhängigkeit von China gesenkt werden, das bisher 80 bis 95 Prozent der globalen Produktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette abdeckt.
Experten halten das 40-Prozent-Ziel weder für realistisch noch für sinnvoll. Es gebe weder genug Bereitschaft für Investitionen in neue Fabriken, noch die notwendigen Anreize für Investitionen, um das 40-Prozent-Ziel zu erreichen, sagt Antoine Vagneur-Jones, Solarexperte des Analyseunternehmens BloombergNEF, zu Table.Briefings. “Der Bau von Solarfabriken in Europa ist etwa drei- bis viermal so teuer wie in China. Die Produktion ist mit einem beträchtlichen Kostenaufschlag verbunden”, so Vagneur-Jones.
Laut optimistischen Schätzungen der EU-Kommission würde es 7,5 Milliarden Euro kosten, um eine Industrie mit den nötigen Kapazitäten aufzubauen. Der Verband Solar Power Europe geht hingegen von nötigen Investitionen in Höhe von 30 Milliarden Euro aus, die zudem bis 2025 getätigt werden müssten, wie Marie Tamba, Senior Research Analyst der Rhodium Group, sagt.
Um eine nennenswerte Industrie aufzubauen, müsste Europa “die Investitionen und Betriebskosten von Solarherstellern massiv subventionieren“, sagt Jenny Chase, langjährige Solaranalystin von BloombergNEF zu Table.Briefings. Die Produktionskosten von Meyer Burger liegen ihr zufolge bei über 40 US-Cent pro Watt – der Marktpreis allerdings nur bei etwas über 11 US-Cent. Chase bedauert: Meyer Burger hätte viel Erfahrung. Es sei ein “schwerer Schlag, wenn sie sich zurückziehen”.
Analysten des Thinktanks Bruegel bezweifeln, dass das 40-Prozent-Ziel überhaupt sinnvoll ist. “Vollständige Herstellungsprozesse erfordern energie- und kapitalintensive Investitionen, bei denen Europa keinen Vorteil hat“, schreiben die Analysten. So ist beispielsweise die Herstellung von Polysilizium, Ausgangsstoff von Solarzellen, sehr energieintensiv. Auf dem Solarmarkt herrsche schon heute ein massives Überangebot an Solarmodulen. “Die Subventionierung zusätzlicher Produktion hat keinen Nutzen für das Klima”, so das Fazit der Bruegel-Analysten. Auch Chase hat ihre Zweifel: “Die Solarindustrie ist ein schwieriges Geschäftsfeld. Der Wettbewerb ist brutal.” Die neuesten Fabriken hätten die beste Technologie und somit Wettbewerbsvorteile. Ältere Hersteller hätten große Nachteile, weil das Equipment schnell überholt werde.
Chase schätzt, dass sich die Energiewende im Bereich Solarenergie um “vielleicht 50 Prozent” verteuern würde, wenn Europa die Abhängigkeit von chinesischen Modulen nennenswert verringern würde. Aus diesem Grund werde das auch kaum passieren, so die Einschätzung der BloombergNEF-Expertin.
Auch die Analysten der Energie-Beratungsfirma Wood Mackenzie gehen von einem massiven Preisaufschlag aus. Im letzten Jahrzehnt seien die Kosten für Solarmodule um 85 Prozent gefallen. “Der Ausbau der chinesischen Produktionskapazitäten im Bereich der sauberen Technologien ist das Herzstück dieser Entwicklung”, schreiben sie in einer aktuellen Analyse. Ohne China wären die “massiven Kostensenkungen, an die wir uns gewöhnt haben, vorbei”, so die Einschätzung der Berater. Allein Deutschland habe durch die globalisierte Solarlieferkette zwischen 2008 und 2020 circa sieben Milliarden US-Dollar gespart, wie eine Nature-Studie aus dem Jahr 2022 zeigt.
Selbst wenn weitere Risiken, die mit einer hohen Abhängigkeit von China einhergehen, beachtet würden, “überwiegen bei der Solarindustrie erst einmal die Vorteile billiger Importe”, sagt Tobias Gehrke, Senior Policy Fellow des Thinktanks European Council on Foreign Relations. “Die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Risiken sind zusammengenommen wohl zu gering, um den Nachteil der fehlenden europäischen Wettbewerbsfähigkeit unbedingt ausbügeln zu müssen”, so der Analyst und Experte für den Wettbewerb der Großmächte in der Weltwirtschaft.
Antoine Vagneur-Jones von BloombergNEF fasst die Situation zusammen: “Die Überkapazitäten im Solarsektor sind gut für die Energiewende: Sie machen alles billiger. Aber sie machen die wirtschaftlichen Argumente für den Aufbau einer eigenen Solarindustrie noch schwächer.”
Um unabhängiger von China zu werden, schlagen die Bruegel-Analysten den Aufbau von Lagerbeständen an Solarmodulen und eine Diversifizierung der Handelsbeziehungen vor. Derzeit bauen beispielsweise die USA und Indien eine eigene Solarindustrie auf. Lagerbestände von etwa 30 Prozent der Marktnachfrage könnten zu einer gewissen Flexibilität führen, sollte China den Verkauf von Modulen tatsächlich einmal abrupt stoppen, so die Bruegel-Analysten. “Die Diversifizierung der Einfuhren ist ein wirksameres und effizienteres Instrument als die Importsubstitution”, schreiben sie.
Chase ist allerdings anderer Meinung. Wenn die EU-Staaten mehr aus den USA oder Indien importieren wollten, müssten sie “für schlechtere Produkte mehr Geld bezahlen als für solche aus China”. Ihr Kollege Antoine Vagneur-Jones sagt, auch die US-Hersteller litten unter Überkapazitäten, und erste angekündigte Investitionen würden schon wieder zurückgezogen – trotz US-Förderung. Laut BloombergNEF werde wohl nur etwa die Hälfte der angekündigten US-Solarinvestitionen in Höhe von 60 Gigawatt für das Jahr 2024 tatsächlich gebaut. Fast ein Viertel der geplanten Investitionen stammt ironischerweise von chinesischen Herstellern, die nun auch in den USA Subventionen erhalten. Indien könnte eher ein Exporteur in Richtung Europa werden, sagt Elissa Pierce, Research Associate der Energieberatungsagentur Wood Mackenzie. “Bei einem Preis von 20 US-Cent pro Watt sind indische Module für europäische Käufer attraktiver als US-Module”, sagt die Analystin. Die US-Module lägen derzeit bei 35 Cent pro Watt.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es allerdings für die Solarmodul-Produktion von Meyer Burger im sächsischen Freiberg. Das Unternehmen “1Komma5°”, ein Anbieter von Solaranlagen, Wärmepumpen, Stromspeichern und Wallboxen, scheint die Produktionsanlagen übernehmen zu wollen, sollte Meyer Burger das Werk tatsächlich aufgeben.
Neue Werke könnte die Bundesregierung mit einer neuen gesetzlichen Möglichkeit aus dem Net-Zero Industry Act schnell genehmigen – in speziellen Beschleunigungsgebieten, in denen private Investoren von Bürokratie entlastet würden. “Die Bundesregierung muss investieren, um Deutschland für die produzierende Industrie wieder attraktiv zu machen, beispielsweise durch die Einrichtung von Net-Zero Acceleration Valleys“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Christian Ehler, der den NZIA für das Parlament verhandelt hat.
Die belgische Ratspräsidentschaft hat vorgeschlagen, das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) deutlich abzuschwächen. Das geht aus einem Kompromissvorschlag hervor, der Table.Briefings vorliegt. Nachdem auf der Ebene der stellvertretenden EU-Botschafter (AStV I) in der vergangenen Woche bereits zum zweiten Mal keine qualifizierte Mehrheit für die Richtlinie zustande gekommen war, will Belgien mit dem Vorschlag auf Einwände der Mitgliedstaaten eingehen und so doch noch eine Einigung zu erzielen.
Im Rat für Wettbewerbsfähigkeit betonte die Ratspräsidentschaft am Donnerstag, der Kompromisstext sei die letzte Möglichkeit. Eine Einigung sei wichtig, um die Verpflichtungen für europäische Unternehmen zu harmonisieren und das Risiko vieler unterschiedlicher nationaler Regelungen zu umgehen. Der belgische Wirtschaftsminister Jo Brouns sagte in der anschließenden Pressekonferenz, das Gesetz solle “rasch in den AStV, am besten morgen noch”. Trotzdem steht das Thema für die Sitzung nicht auf der Agenda.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) blieb denn auch deutlich in seiner Ablehnung: Der neue Vorschlag sei nicht ausreichend, um die Bedenken auszuräumen, teilte eine Sprecherin seines Ministeriums mit. Finnland hat auf der Grundlage des neuen Vorschlags bereits angekündigt, dem Gesetz zuzustimmen. Der italienische Minister für Unternehmen, Adolfo Urso, sagte lediglich, Italien habe “eine ähnliche Position wie Deutschland, Österreich und andere”.
Der Vorschlag würde viele Bestandteile des Gesetzes deutlich ändern:
Mit dem Vorschlag geht der Ratsvorsitz auch auf wesentliche Kritikpunkte der FDP ein, die eine Zustimmung der Bundesregierung verhindert hatte: In einem Beschluss hatte das Präsidium den großen Anwendungsbereich, die Einstufung des Bausektors als Risikosektor, die Verpflichtung zur Umsetzung eines Klimaplans samt finanzieller Anreize sowie die Verantwortung der Unternehmen für die nachgelagerte Lieferkette und indirekte Geschäftspartner als Argumente für ihre Ablehnung genannt.
Doch das reicht offenbar nicht, um Bundesjustizminister Buschmann umzustimmen. Sein Ministerium ließ das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am Mittwochabend wissen, dass es seine Bedenken nicht ausgeräumt sehe. Eine Sprecherin sagte der Deutschen Presse-Agentur: “Damit bleibt es dabei: Deutschland wird dem derzeitigen Entwurf der EU-Lieferkettenrichtlinie nicht zustimmen.”
Das Regelungswerk sei nach wie vor “zu bürokratisch und birgt weiterhin unüberschaubare Haftungsrisiken”. Anstatt an dem alten Text Änderungen vorzunehmen, wäre es aus Sicht von Buschmann besser, nach der Europawahl im Juni “mit einer frisch ernannten Kommission einen bürokratiearmen, schlanken Entwurf” auf den Weg zu bringen. leo/dpa
Von Gleichberechtigung kann bei der Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen großer deutscher Unternehmen nach wie vor nicht die Rede sein. Das geht aus dem aktuellen Women-on-Board-Index 185 hervor. Demnach sind mit 36,5 Prozent derzeit nur etwas mehr als ein Drittel der Aufsichtsratsmandate an Frauen vergeben. Noch schlechter sieht es bei den Vorständen mit einem Anteil von 19,3 Prozent aus. In beiden Fällen hat sich der Frauenanteil in den letzten Jahren kaum noch verbessert.
Die besten Ergebnisse haben die 40 DAX-Konzerne vorzuweisen. In ihren Vorständen hat der Frauenanteil mit 23,8 Prozent einen neuen Höchststand erreicht, ist aber dennoch weit von einer paritätischen Besetzung entfernt. Bei den Aufsichtsräten liegen die DAX-Unternehmen mit 38,5 Prozent Frauenanteil knapp unter der 40-Prozent-Marke.
Seit 2016 müssen in Deutschland mindestens 30 Prozent der Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, mit Frauen besetzt sein. Rund ein Fünftel der Unternehmen erfüllt diese Quote jedoch bis heute nicht. Fünf Prozent der Unternehmen haben überhaupt keine Frau im Aufsichtsrat.
Die Umsetzungsdefizite betreffen beide Seiten, also sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Kapitalseite. So sind nur 15,2 Prozent der Aufsichtsratsmandate auf Arbeitnehmerseite mit Frauen besetzt. Auf Seiten der Anteilseigner sind es 21,2 Prozent. Damit erfüllt die Arbeitnehmerseite für sich genommen nur zu etwas mehr als der Hälfte die 30-Prozent-Quote. Bei den Anteilseignern ist es knapp ein Viertel.
Seit August 2022 gilt zudem das Mindestbeteiligungsgebot für Posten im Vorstand. Hat er mehr als drei Mitgliedern, so muss seither wenigstens eine Position mit einer Frau besetzt werden. Auch hier erfüllen die Unternehmen zumeist nur die Mindestvorgabe. 36,3 Prozent haben weiterhin keine Frau im Vorstand. Bei 4,5 Prozent gibt es sogar weder im Aufsichtsrat noch im Vorstand eine Frau.
Fidar wurde Ende 2006 von Frauen in Führungspositionen gegründet, um den Frauenanteil in deutschen Aufsichtsräten zu erhöhen. Seit 2017 veröffentlicht die Organisation den WoB-Index. Er umfasst die 160 DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen sowie die derzeit 19 voll mitbestimmten Unternehmen im Regulierten Markt. ch
Die EU-Mitgliedstaaten haben am Donnerstag im Rat für Wettbewerbsfähigkeit für den Austritt der EU aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) gestimmt. Vor dem endgültigen Beschluss durch den Rat muss noch das Parlament zustimmen. Dafür bleibt vor den EU-Wahlen nur noch die letzte Plenarwoche im April. Es wird aber mit einem positiven Votum gerechnet. Nach der Notifizierung beim Sekretariat der Energiecharta bleibt der Investorenschutz noch 21 Jahre bestehen.
Gleichzeitig gibt es neue Details zu ECT-Klagen der in Großbritannien registrierten Klesch Group gegen Deutschland, Dänemark und die EU. Klesch gehören die Heide-Raffinerie in Schleswig-Holstein und die Raffinerie Kalundborg in Dänemark. Laut einem internen Vermerk der Europäischen Kommission verlangt Klesch mindestens 95 Millionen Euro Entschädigung für Übergewinnsteuern.
Die Mitgliedstaaten hatten die temporären Steuern 2022 beschlossen, nachdem Energiepreise durch den Angriff Russlands auf die Ukraine stark gestiegen waren. Laut dem Vermerk der Kommission beschuldige Klesch die EU, “den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die hohen Strompreise als einen Vorwand benutzt zu haben, um die Wettbewerbsfähigkeit von fossilen Energiefirmen einzuschränken”.
Laut der niederländischen NGO Somo habe die Raffinerie Kalundborg in ihrem Geschäftsbericht geschrieben: “Unsere Finanzergebnisse für das Jahr 2022 waren aufgrund der hohen Raffineriemargen, die durch die russische Invasion der Ukraine, die daraus resultierenden Sanktionen und die Auswirkungen auf die Produktströme bedingt waren, sehr gut.” Laut dem Geschäftsbericht, der Table.Briefings vorliegt, steigerte sich der Umsatz der Raffinerie von 2,9 Milliarden Euro in 2021 auf knapp 5,7 Milliarden Euro in 2022. Der Gewinn stieg im selben Zeitraum von 15 Millionen Euro auf 357 Millionen Euro.
Bart-Jaap Verbeek, Senior Researcher bei Somo, kommentiert: “Genau diese Art von schamlosen Behauptungen zeigt, warum die Länder aus dem ECT austreten sollten. Er untergräbt die Fähigkeit der Regierungen, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Interessen einzuführen, und stellt ein großes Hindernis für eine schnelle und gerechte Energiewende dar.”
Der ECT trat 1998 in Kraft und sollte Investitionen in fossile Energieträger im postsowjetischen Raum absichern. In der Zwischenzeit nutzten Firmen im Energiesektor den Vertrag jedoch für Entschädigungsklagen im Rahmen der Energiewende. Noch hat das Vertragswerk etwa 50 Mitgliedsstaaten. Drei EU-Staaten, darunter Deutschland, haben den ECT Ende 2023 verlassen, sieben weitere haben dies angekündigt. av, ber
Nach der Klage gegen die Handelskette Edeka wegen eines Verstoßes gegen das Irreführungsverbot müssen weitere deutsche Lebensmittelkonzerne mit Klagen rechnen. “Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht bei dieser einen Klage bleiben wird”, lässt Rauna Bindewald von Foodwatch wissen. Edeka sei nur der Anfang. Weitere Beschwerden nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) seien hingegen aktuell nicht geplant, so Bindewald weiter.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) werfen Edeka vor, für Margarine und Pflanzenfett der Eigenmarke, für das sie Palmöl aus Guatemala beziehen, fälschlicherweise das Nachhaltigkeitssiegel der Initiative Round Table for Sustainable Palmoil (RSPO) zu verwenden. Fälschlicherweise, weil es laut Erkenntnissen von Foodwatch und ECCHR beim Anbau des Palmöls in Guatemala systematisch zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden kommt.
Foodwatch und ECCHR hatten Edeka deshalb bereits Ende Januar mit einer Abmahnung aufgefordert, die irreführende Werbung zu unterlassen und das RSPO-Siegel von den Produkten zu entfernen. Außerdem wurde eine Beschwerde nach dem LkSG eingereicht. Da die Abmahnung nach Angaben von Foodwatch folgenlos geblieben sei, habe man Klage gegen Edeka beim Landgericht Karlsruhe eingereicht.
Edeka ist nicht das einzige deutsche Lebensmittelunternehmen, das Palmöl von Plantagen der Firmen Natur Aceites oder Industria Chiquibul in Guatemala bezieht. Beide Firmen stehen laut “Palmöl-Report 2024” der Romero-Initiative (CIR) in Verdacht, Wälder abzuholzen, Monokulturen anzulegen, indigene Einwohner und Kleinbauern zu verdrängen sowie Arbeitsrechte zu missachten. Zu den mehr als 20 Unternehmen, die laut der CIR Palmöl dieser Betriebe verarbeiten oder verkaufen, gehören die Supermarktketten Aldi, Lidl, Netto, Rewe, Penny und Metro, ebenso wie der Chemiekonzern BASF.
Auf Anfrage von Table.Briefings distanzierte sich Edeka von jeglichen Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen. Die aktuellen Vorwürfe zu möglichen Verstößen auf Palmöl-Plantagen nehme man aber sehr ernst. “Wir prüfen derzeit alle Aussagen gemäß der Verfahrensordnung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), um den Sachverhalt aufzuklären”, hieß es von der Handelskette.
Mittlerweile hat sich auch der Standardgeber RSPO zu den Vorwürfen geäußert. Das RSPO-Sekretariat versicherte den betroffenen Parteien, dass es die notwendigen Schritte unternommen habe, um die Vorwürfe hinsichtlich des RSPO-Zertifizierungsverfahrens zu überprüfen. Man arbeite dabei eng mit den betroffenen Mitgliedern zusammen. heu
Die GLS Bank mit Sitz in Bochum konnte auf ihrer Bilanzpressekonferenz am gestrigen Donnerstag mit positiven Geschäftszahlen aufwarten. Während sich weite Teile der Finanzwelt mit dem sozial-ökologischen Umbau noch schwer tun, zeigt die 1974 gegründete Genossenschaftsbank auch im 50. Jahr ihres Bestehens, dass es anders geht.
“Die GLS Bank steht seit 50 Jahren für Aufbruch – daran halten wir fest, auch in der Zukunft. Wir schauen genau, was es gesellschaftlich braucht und wo wir uns einbringen können”, betonte Vorstandssprecherin Aysel Osmanoglu.
Die Kennzahlen zeigen, dass die Nachfrage steigt. So nahm die Bilanzsumme gegenüber dem Vorjahr um 1,6 Prozent auf 9,91 Milliarden Euro zu. Die Kundeneinlagen erhöhten sich auf 8,22 Milliarden Euro (+ 1,3 Prozent). Das Kreditvolumen wuchs sogar um 7,1 Prozent auf 5,27 Milliarden Euro.
Schwerpunkte der Kreditneuvergabe waren 2023 mit zusammen 63 Prozent die Bereiche Energie und Wohnen:
Die GLS Bank gehört zu den 100 größten Banken in Deutschland. Ihre Kundenzahl stieg im Jahr 2023 auf 366.000 (+ 4,6 Prozent), die Zahl der Genossenschaftsmitglieder auf 130.000 (+ 10,2 Prozent).
Vorstand Dirk Kannacher ist mit der Entwicklung zufrieden. “Wir freuen uns, dass so viele Menschen an der sozialen und ökologischen Wende der Wirtschaft arbeiten, egal wie schwer die Zeiten gerade sind”, so Kannacher. ch
Mit einer öffentlichen Anhörung zu Herkunftsnachweisregistern für Gas, Wärme und Kälte startet der Bundestag in die kommende Sitzungswoche. Dazu hat der Ausschuss für Klimaschutz und Energie am Montag eine Reihe von Sachverständigen eingeladen, die sich zu den notwendigen Anforderungen an die Ausstellung, Anerkennung, Übertragung und Entwertung von Herkunftsnachweisen äußern sollen.
Am Mittwoch berät der Bundestag dann in erster Lesung über einen Antrag der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP mit dem Titel “Wissenschaftskommunikation systematisch und umfassend stärken“. Die Drucksache mit dem genauen Inhalt lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Am frühen Mittwochabend tagt zudem wie gewohnt der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung in öffentlicher Sitzung. Thema ist diesmal “Forschung, Innovation und Digitalisierung (Schwerpunkt KI)“.
Der Donnerstag beginnt mit einer parlamentarischen Premiere. Erstmals debattieren die Abgeordneten über Empfehlungen eines Bürgerrates. Der Rat trägt den Namen “Ernährung im Wandel: Zwischen Privatsache und staatlicher Aufgabe” und besteht aus 160 Teilnehmern, die per Losverfahren ausgewählt wurden. In seinem Bericht formuliert er neun Empfehlungen für eine “bessere Ernährungspolitik”.
Am Nachmittag steht dann in erster Lesung das Thema Arbeitszeit auf der Tagesordnung. Der Antrag der CDU/CSU mit dem Titel “Arbeitszeit flexibilisieren – Mehr Freiheit für Beschäftigte und Familien” will das deutsche Arbeitszeitgesetz mit seiner Festlegung auf den Acht-Stunden-Tag liberalisieren. Damit soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert werden.
Unmittelbar danach geht es, ebenfalls auf Antrag der Union, in zweiter und dritter Lesung um die Zukunft des Bahnkonzerns. So soll unter anderem der Infrastrukturbereich, bestehend aus DB Netz, DB Station und Service sowie DB Energie, vollständig vom Transportbereich getrennt und in eine bundeseigene und weisungsgebundene Schieneninfrastruktur GmbH des Bundes überführt werden.
Mit einer Woche Verspätung debattiert der Bundestag schließlich am Freitagvormittag in einer vereinbarten Debatte über den Internationalen Frauentag, der bekanntlich am 8. März begangen wird. Danach gehen die Abgeordneten ins Wochenende, um bereits am Montag wieder nach Berlin zurückzukehren, denn es stehen zwei Sitzungswochen hintereinander an. ch
S.E.C. Approves New Climate Rules Far Weaker Than Originally Proposed – The New York Times
Die US-Börsenaufsicht hat am Mittwoch neue Vorschriften dazu erlassen, ob und wie börsennotierte Unternehmen Klimarisiken und die von ihnen verursachten Treibhausgasemissionen offenlegen müssen. Die Anforderungen sind jedoch niedriger als im ursprünglichen Vorschlag von vor zwei Jahren, berichten Hiroko Tabuchi, Ephrat Livni und David Gelles. Zum Artikel
US banks abandon ‘bare minimum’ environmental standards project, alarming climate groups – Guardian
Wie Nina Lakhani und Dominic Rushe aus New York berichten, haben die US-Banken Citi, Bank of America, JPMorgan Chase and Wells Fargo die “Equator Principles”, ein wichtiges Rahmenwerk in der Finanzindustrie zur Bewertung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Finanzierungen (ESG). Zum Artikel
Niederländisches Parlament will vier neue Kernkraftwerke – FAZ
Während sich die Regierungsbildung weiter hinauszögere, habe das niederländische Parlament für den Bau vier neuer Atomkraftwerke gestimmt, schreibt Klaus Max Smolka. Nach einem Gerichtsurteil für ein schnelleres Vorgehen gegen die Erderwärmung gewinne die Kernenergie an Zustimmung. Der deutsche Atomausstieg gelte dabei als Negativbeispiel. Zum Artikel
Kritiker halten das geplante Wasserstoff-Netz für überdimensioniert – Handelsblatt
Möglichst bald soll der Bau des Wasserstoff-Kernnetzes in Deutschland beginnen. Doch Fachleute warnen vor Problemen durch die aktuelle Planung, berichtet Klaus Stratmann. Sie argumentierten, dass die Infrastruktur aufgrund eines verzögerten Transportbedarfs lange zu schwach ausgelastet sein werde. Zum Artikel
Erleben wir eine Kündigungswelle im Nachhaltigkeitsmanagement? – Haufe
Laufen Nachhaltigkeitsverantwortliche reihenweise ihren Unternehmen davon? Alexander Kraemer hat derzeit zumindest den Eindruck. Woran das liegen könnte und ob die Fluktuation ein Indikator dafür ist, wie ernst es Unternehmen mit der Nachhaltigkeit nehmen, erklärt er in seiner Kolumne. Zum Artikel
Budget fell far short on UK green investment, experts say – The Guardian
Die schwächelnde britische Wirtschaft mithilfe von Investitionen in grüne Industrie anzukurbeln, sei aus Sicht von Fachleuten verpasst worden, schreibt Fiona Harvey. Dies liege daran, dass der aktuelle Haushalt im Vergleich zu den vergangenen Jahren “am wenigsten grün” sei. Zum Artikel
Wie Proteine aus Bierhefe Lebensmittel revolutionieren könnten – Handelsblatt
Das Start-up Protein Distillery will mit Proteinen aus Brauabfällen ein Grundsatzproblem von Fleischalternativen lösen. Bierhefe sei sehr protein- und nährstoffreich, aber auch sehr bitter. Dem Start-up sei es jedoch gelungen, die Zellen der Bierhefe so zu reinigen, dass sie geschmacksneutral werden, berichtet Katrin Terpitz. Zum Artikel
Can Europe’s trains compete with low-cost airlines? – Financial Times
Der Luftfahrtindustrie fehlt ein schlüssiger Plan zur Dekarbonisierung. Doch die Eisenbahn ist keine Alternative zu Mittelstreckenflügen, solange Europa das Hochgeschwindigkeitsnetz im Schneckentempo ausbaut. Dabei fehlt es nicht nur am Geld, sondern auch am Willen zur länderübergreifenden Kooperation, schreiben Philip Georgiadis und Alice Hancock. Zum Artikel
In Island werden Frauen und Männer fast gleich bezahlt – Deutschlandfunk Kultur
Das Gender Pay Gap sei in Island zu über 90 Prozent geschlossen, berichtet Julia Wäschenbach. Das Land schreibe die Lohngleichheit seit 2018 sogar per Gesetz vor. Trotzdem herrsche laut Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir keine Gleichberechtigung. Zur Sendung
Die Linke ist die erste politische Fraktion, die bezahlten Menstruationsurlaub gewährt – EU Observer
Die Mitarbeiterinnen der Linksfraktion im Europäischen Parlament haben zukünftig Anspruch auf bezahlten Menstruationsurlaub, berichtet Paula Soler. Ein fünfmonatiger Test habe positive Ergebnisse gezeigt. Als Vorbild habe Spanien gedient, der bislang einzige EU-Mitgliedstaat, der im Falle von Menstruationsbeschwerden bezahlten Urlaub gewähre. Zum Artikel
Es gab Stationen in Susanne Bregys bisherigem Berufsleben, da war sie umgeben von großen Egos, Gier und Testosteron. Von Männern also, die sich allein über ihren finanziellen Profit definieren und diesem Erfolg alles unterordnen. Es war, so erzählt sie heute, eine nervenzehrende Zeit. Zum Teil konnte sie nur mit zittrigen Händen ans Telefon gehen, wenn im Display der Name ihres tyrannischen Chefs auftauchte. Trotzdem will sie diese Erfahrung nicht missen. “Ich mag den Finanzsektor, er ist intellektuell herausfordernd”, sagt sie. Einzige, wichtige Einschränkung: “Ich will seine Kraft nutzen, um etwas Positives zu bewirken.”
Wie das konkret aussieht, darüber bestimmt die 49-Jährige inzwischen selbst mit. Seit Februar ist sie Geschäftsführerin der Bundesinitiative Impact Investing (BIII). Der Verein, der 2020 von den vier Trägern Bertelsmann Stiftung, BMW Foundation Herbert Quandt, Phineo und Bundesverband Deutscher Stiftungen gegründet wurde, verfolgt laut eigener Aussage “die Vision eines regenerativen Investierens und Wirtschaftens, das sowohl ökologische Grenzen respektiert als auch soziale Standards einhält”.
Passieren soll das über Investments, die die Transformation nicht bloß versprechen, sondern nachweislich zum Wandel beitragen und zugleich Renditen abwerfen. Laut BIII-Marktstudie lag die Höhe der “selbstdeklarierten Impact Assets” in Deutschland im Jahr 2022 bei 39 Milliarden Euro – nur ein Drittel davon erfüllte aber bereits die strengen Kriterien, die die Initiative an das Messen und Managen des jeweiligen Impacts anlegt. Bregy will deshalb daran arbeiten, die Idee bekannter zu machen, das “Ökosystem” der beteiligten Akteure zu vergrößern und Standards zu entwickeln.
Sie selbst hat im Frühjahr 2011 zum ersten Mal von dem Konzept gehört. Bis dahin hatte die Schweizerin, die aus Gampel im Kanton Wallis stammt, ausschließlich im konventionellen Finanzsektor gearbeitet, erst in Deutschland, später in England. Schiffscontainerfonds, Genussscheine für den Mittelstand, Private Equity, Hedgefonds, “Turnaround”-Strategien für die Neuorganisation von strauchelnden Unternehmen – das waren ein paar ihrer Themen. “Meine Lernkurve war steil”, sagt sie. Aber irgendwann kamen Zweifel auf, ob es nur darum gehen sollte, “reiche Menschen noch reicher zu machen“. Der Crash 2008 und die Folgen der globalen Krise taten ihr übriges. Nur: Eine Alternative fand sie nicht.
Bis sie eine Konferenz für institutionelle Investoren in London besuchte. Nachhaltigkeit und Sustainable Finance standen dort nicht auf dem Programm. Plötzlich aber, auf einem Panel, redete eine Expertin vom “Impact Investing”. Bregy war wie elektrisiert, hatte “eine Bauchreaktion”, wie sie es nennt – und sprach die Frau an. Wenig später zogen sie zusammen in eine WG.
Für Susanne Bregy ließen sich damals zwei Dinge kombinieren. Zum einen hatte sie nach der Schule zunächst Philosophie in München studiert, bevor sie sich in der Finanzwirtschaft ausbilden ließ – die ganzheitliche Betrachtung von Problemen war ihr also nicht neu. Zum anderen konnte sie ihr Wissen aus der klassischen Welt weiternutzen und das fortsetzen, was sie ihre “feministische Motivation” nennt. “Ich wollte schon immer zeigen, dass Frauen männerdominierte Themen wie alternative Investments ebenfalls drauf haben, und vielleicht sogar besser können als die Jungs.”
Sie machte sich selbstständig und fing an, das junge Feld, das seinen Ursprung im angelsächsischen Raum hat, mit aufzubauen. Zwischenzeitlich auch von den USA aus, wo sie mit ihrem damaligen Freund und heutigen Mann hinzog und Mutter von Zwillingen wurde. In Deutschland kam die Entwicklung erst mit Verzögerung an. Wenn Susanne Bregy Vermögensverwalter oder Family Offices in den ersten Jahren hierzulande aufs Impact Investing ansprach, stieß sie auf Unverständnis. “Sehr viele kannten das Thema nicht.” Aus ihrer Sicht sei es lange als Ergänzung zur Philanthropie betrachtet worden, sagt sie. “Die Erkenntnis, dass man damit auch Geld verdienen kann, hat sich erst in den letzten sechs, sieben Jahren durchgesetzt.”
Zugleich ist ein anderes Problem größer geworden, das des “Impact Washings“. “Es gibt inzwischen Trittbrettfahrer, die den Begriff nutzen, tatsächlich aber keinen Impact bieten.” Eine Abgrenzung zieht sie auch zu Investments nach ESG-Kriterien, etwa auf dem Aktienmarkt. Das Tauschen von Aktien auf dem Sekundärmarkt habe nur einen “begrenzten real world Impact”, so Bregy.
Mit der Bundesinitiative Impact Investing will sie deshalb für andere Anlageklassen wie etwa privates Beteiligungskapital und bei Geldgebern für eine größere Bereitschaft werben, sich mit den direkten Folgen ihrer Investments auseinanderzusetzen. Beides sei in Deutschland – anders als in USA, England und den Niederlanden – noch zu wenig ausgeprägt. Erreichen will sie auch eine internationale Harmonisierung der Kriterien, nach denen bemessen wird, was im sozialen und ökologischen Bereich als positive Wirkung zu verstehen ist.
Keine leichten Aufgaben. Aber sollten sie gelingen, dürften die von Gier und Testosteron getriebenen Manager künftig noch weniger zu melden haben. Marc Winkelmann
Climate.Table – Mehr als nur schöne Worte über Geschlechtergerechtigkeit: Wie feministische Klimapolitik konkret aussehen kann: Der Klimawandel betrifft verschiedene Geschlechter unterschiedlich. Feministische Stimmen fordern daher, die Kategorie “Gender” in der Klimapolitik mitzudenken: Viele Projekte zeigen, wie das in der Praxis funktionieren kann. Zum Artikel
Research.Table – “Für ein geschlechtergerechtes Berufungsgeschehen sind weiterhin Gleichstellungsinterventionen erforderlich”: Von der Tatsache, dass Frauen in Berufungsverfahren mittlerweile durchaus erfolgreich sind, sollte man sich nicht täuschen lassen, schreibt die Soziologin Birgitt Riegraf von der Universität Paderborn. Sie formuliert drei Botschaften gegen gedankliche Kurzschlüsse. Zum Standpunkt
fast die Hälfte aller 20- bis 64-jährigen Frauen in Deutschland arbeitet in Teilzeit – zumindest, was die Lohnarbeit betrifft. Denn gleichzeitig leisten Frauen deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer: eine 34-jährige Frau mehr als doppelt so viel wie ein gleichaltriger Mann. Das zeigen Zahlen einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Die fehlende Repräsentation von Frauen in der Wirtschaft ist auch ein Wettbewerbsnachteil. Denn Studien belegen: Unternehmen mit einer diversen Führung sind erfolgreicher und innovativer. Das eröffnet auch mehr Spielraum für die Transformation der Wirtschaft.
Im ESG.Table legen wir heute einen Schwerpunkt auf die Rolle von Frauen in der Transformation. Dabei blicken wir an den Anfang der Lieferkette, etwa in der kenianischen Schnittblumenproduktion: In diesem und weiteren Wirtschaftssektoren forscht die Professorin Stephanie Barrientos. Mein Kollege Alex Veit und ich haben mit ihr gesprochen.
Warum Diversität in Führungsgremien wichtig ist, um Wandel innerhalb von Unternehmen erfolgreich zu gestalten, weiß Nadine-Lan Hönighaus. Welche spezifischen Perspektiven Frauen einbringen und ob sie mit den bisherigen Fortschritten bei Frauen-Anteilen zufrieden ist, erklärt die ESG-Expertin im Gespräch mit Carsten Hübner.
Professorin Barrientos, in Ihrem Buch “Gender and Work in Global Value Chains” beschreiben Sie die Auswirkungen der Globalisierung auf Frauen im Globalen Süden. Was hat sich für sie verändert?
Die Globalisierung hat viele Arbeitsplätze in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen geschaffen. Sie hat insbesondere Frauen die Möglichkeit eröffnet, in die Lohnarbeit einzusteigen. So konnten Frauen in Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ein unabhängiges Einkommen erzielen. Aber ein großer Teil der Beschaffung aus Ländern mit niedrigerem Einkommen basiert auf dem Versuch, billigere Waren zu erhalten, und oft ist diese Arbeit mit unsicheren Arbeitsplätzen, niedrigen Löhnen und schlechten Rechtsstandards verbunden.
Warum arbeiten vor allem Frauen in diesen unsicheren Arbeitsverhältnissen?
Eine der Methoden, mit denen Zulieferer in globalen Lieferketten die strengen Anforderungen der Just-in-time-Produktion, der hohen Qualität bei möglichst niedrigen Kosten bewältigen, besteht darin, dass sie häufig eine Kernbelegschaft einstellen – fest angestellte, gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitskräfte. Und dann stellen sie je nach Bedarf zusätzliche Gelegenheitsarbeitskräfte ein. Es hängt von Branche und Standort ab, aber es besteht die Tendenz, dass Männer eher in der Stammbelegschaft und in den damit verbundenen Aufsichtsfunktionen zu finden sind. Frauen sind oft stärker unter den Gelegenheitsarbeitskräften vertreten.
Und woran liegt das?
Das ist meiner Meinung nach eine Kombination aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren sowie der Tatsache, dass Frauen sowohl bezahlte Lohnarbeit als auch unbezahlte Betreuungsarbeit leisten müssen. Die Gesellschaft erwartet von Frauen, dass die Kinderbetreuung übernehmen, und Frauen müssen diese dann mit der Lohnarbeit unter einen Hut bringen. Die Zulieferer sind oft der Ansicht, dass weibliche Arbeitnehmer unsichere, schlecht bezahlte Arbeitsplätze eher akzeptieren.
Geht es also vor allem darum, die Kosten niedrig zu halten?
Es geht bei weitem nicht nur um die Herstellung billiger Waren. In bestimmten Sektoren werden Frauen in großer Zahl beschäftigt, weil man davon ausgeht, dass sie in der Lage sind, die erwartete hohe Qualität abzuliefern. Denken Sie an die Blumen: Die wunderschönen Sträuße, die hierzulande in den Supermärkten verkauft werden, wurden größtenteils von Frauen in Afrika arrangiert, bevor sie nach Europa verschifft wurden. Und das ist eine hochqualifizierte Arbeit. Sie wird in Kenia relativ gut bezahlt. Aber gemessen an der Gesamtwertschöpfung erhalten diese Frauen nur eine geringe Entschädigung. Viele von ihnen haben Mühe, ihre Familien zu ernähren, insbesondere angesichts der Lebenshaltungskostenkrise nach Covid.
Welche Möglichkeiten gibt es, gegen diese Arbeitsbedingungen vorzugehen?
Im traditionellen Handel wäre es schwierig, die Verbindung zwischen dem ursprünglichen Erzeuger und dem endgültigen Einzelhändler nachzuvollziehen, da viele Zwischenhändler dazwischengeschaltet sind. Aber in den neuen globalen Lieferketten koordinieren Marken und Einzelhändler ihre Lieferanten. Oftmals wird in der Fabrik, in der ein Kleidungsstück hergestellt wird, auch das Etikett des Einzelhändlers, der Preis des Endprodukts und der Strichcode angebracht, die alle letztendlich im Geschäft präsentiert werden. Daher war es für Organisationen der Zivilgesellschaft sehr einfach, globale Einzelhändler mit schlechten Arbeitsbedingungen in Verbindung zu bringen, und es gab viele Kampagnen, vor allem in den 1990er-Jahren.
Die größeren Einzelhändler und Marken reagierten darauf mit der Einführung von Arbeits- oder Verhaltenskodizes. Da ihnen aber oft Greenwashing vorgeworfen wurde, begannen sie zunehmend, sich an Multi-Stakeholder-Initiativen zu beteiligen, zusammen mit den NGO und den Gewerkschaften. Dies bedeutete eine Verlagerung von Kampagnen und Spannungen hin zu einem kooperativeren Ansatz, an dem bestimmte Unternehmen, NGO und Gewerkschaften beteiligt waren.
Wurden bei diesen Kampagnen und Kooperationen die Bedürfnisse von Frauen besonders berücksichtigt?
Die Kampagnen waren in dieser Hinsicht sehr effektiv, insbesondere bei Themen, die eher im Verborgenen liegen. In vielen Ländern sprechen Arbeitnehmerinnen nicht gern öffentlich über sexuelle Belästigung. Es ist ein unangenehmes Thema, aber die NGO sind eher in der Lage, darauf aufmerksam zu machen. Die Blumenindustrie in Kenia, wo ich geforscht habe, ist ein gutes Beispiel. Oft waren es die fest angestellten männlichen Vorgesetzten, die die befristeten und unsicheren Arbeiterinnen belästigten. Im Grunde genommen hieß es: “Wenn du mir diesen Gefallen nicht erweist, bekommst du den Job nächste Woche nicht.”
Wie wurden dann Verbesserungen für die Betroffenen erreicht?
Nachdem Organisationen der Zivilgesellschaft darauf aufmerksam gemacht hatten, übten die großen europäischen Einzelhändler Druck auf die kenianischen Blumenproduzenten aus. Es wurden Beschwerdeverfahren eingerichtet. Und viele Frauen erhielten sicherere und unbefristete Verträge, was bedeutet, dass sie weniger gefährdet sind. Einige kenianische Blumenproduzenten haben auch Frauen zu Vorgesetzten befördert. Dadurch wurde ein besseres Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern geschaffen, auch in höheren Positionen innerhalb der Unternehmen.
Inwiefern haben sich die Verbesserungen für die Arbeiterinnen auf die Produzenten ausgewirkt?
Bessere Arbeitsbedingungen haben auch wirtschaftliche Vorteile bewirkt. Die Fluktuation des Personals ist viel geringer, und mit mehr Stabilität werden die Kompetenzen wirklich gefestigt. Die Folge sind weniger Produktverluste und ein schnellerer Absatz von hochwertigen Produkten. So haben sowohl die Frauen als auch die Unternehmen profitiert. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass nicht alle Unternehmen diese Art von Strategie verfolgen.
Länder wie Deutschland und Frankreich haben Gesetze über die Lieferkette verabschiedet, um eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen einzuführen. Das EU-Gesetz über die Sorgfaltspflicht wird noch verhandelt. Wie geschlechtersensibel sind die aktuellen Gesetze zur Lieferkette?
Die Geschlechterfrage ist in diesen Gesetzen zwar enthalten, aber nicht an prominenter Stelle. Und auch wenn das auf dem Papier gut aussehen mag, reicht das nicht aus. Unternehmen, die diese Gesetze umsetzen, haben sich jedoch häufig auch den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte angeschlossen, die einen stärker geschlechtsspezifischen Ansatz verfolgen. Viele Unternehmen arbeiten auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, um Leitlinien für eine geschlechtersensible Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte zu erstellen. Das ist wichtig, weil Männer und Frauen oft unterschiedlich betroffen sind.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es gibt beispielsweise geschlechtsspezifische Unterschiede beim Zugang zu Rechtsmitteln. Festangestellte Männer sind eher in Gewerkschaften organisiert als Gelegenheitsarbeiterinnen. Männer sind also in Organisationen organisiert, die Rechtsbehelfe erleichtern können, während dies bei Gelegenheitsarbeiterinnen nicht der Fall ist.
Welche weiteren Due-Diligence-Instrumente sind aus der Gender-Perspektive wichtig?
Eine geschlechtsspezifische Sichtweise ist in jedem einzelnen Punkt des Due-Diligence-Prozesses wichtig, von der anfänglichen Konzeption bis zur Umsetzung. Bei der Durchführung ist es wichtig, Teammitglieder mit Gender-Expertise einzubeziehen. Diese können sicherstellen, dass die Stimmen von Frauen einbezogen werden und Teil des Prozesses sind. Nur dann werden die Probleme und Risiken, die Frauen besonders betreffen, auch adressiert. Auch bei den Rechtsbehelfsverfahren ist es wichtig, etwa Frauenorganisationen einzubeziehen, die den Zugang von Frauen zu Rechtsmitteln erleichtern können.
Stephanie Barrientos ist emeritierte Professorin des Global Development Institute der Universität Manchester (Großbritannien). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gender, globale Produktion und Arbeit. 2019 veröffentlichte sie das Buch “Gender and Work in Global Value Chains. Capturing the Gains?” bei Cambridge University Press. Sie berät die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und gehört dem Board of Trustees der Fairtrade Foundation an.
Guten Tag, Frau Hönighaus. Seit Jahren wird über Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten diskutiert. Aber reicht das aus, um eine patriarchalisch geprägte Unternehmenskultur zu verändern?
Zum Weltfrauentag reden wir natürlich über Frauen. Vorab möchte ich aber betonen, dass Diversität in Führungsgremien generell wichtig ist. Dadurch verändert sich die Dialogkultur und Risiken werden ganzheitlicher wahrgenommen – zum Beispiel, wenn wir an die Themen Nachhaltigkeit und Transformation denken.
Es ist wichtig zu verstehen, dass wir es mit Change-Prozessen zu tun haben, die auf allen Ebenen stattfinden und nicht nur an der Spitze. Deshalb müssen möglichst alle mitgenommen werden und ihren Beitrag leisten. Das gelingt aber nur, wenn die Führungskräfte auf den verschiedenen Ebenen auch die Vielfalt der Belegschaft widerspiegeln. Dazu braucht es ein Konzept, neudeutsch eine People Strategy.
Welchen Beitrag können Frauen dazu leisten?
Mit der Zusammensetzung von Gremien ändern sich auch der Diskurs und die Dialogkultur. Nicht, weil Frauen die besseren Mitarbeitenden wären. Aber es gibt einen offeneren Austausch. Statt immer schon Lösungen parat zu haben, ist es akzeptierter, etwas nicht zu wissen und ungeklärte Punkte zu haben. Frauen tragen so zu einer Atmosphäre bei, die zu einer besseren Informationsgewinnung im Vorfeld von Entscheidungen führt.
Außerdem wird Frauen zugeschrieben, dass sie für eine flexiblere Arbeitszeitkultur stehen, da sie bisher meist auch noch für die Familie und Care-Arbeit zuständig waren. Inzwischen schätzen es aber Männer und Frauen gleichermaßen, wenn ein modernes Arbeitsumfeld den ganzen Menschen im Blick hat. Dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit, Führungspositionen oder die Verantwortung in inklusiveren Teams zu teilen.
Sind Sie mit den bisherigen Fortschritten zufrieden?
Die Fortschritte der letzten Jahre sind schon beachtlich. Dazu hat auch die Gesetzgebung ihren Teil beigetragen. Aber wenn wir uns bewusst machen, dass rund die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind, dann sind wir zwar besser geworden, aber immer noch nicht gut genug. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es noch viel zu lange dauern, bis wir wirklich eine Verteilung haben, die dem Anteil der Frauen an der Bevölkerung entspricht.
In der europäischen Solarindustrie herrscht Katerstimmung. Chinesische Konkurrenten überschwemmen den Weltmarkt mit staatlich geförderten Modulen zu Dumpingpreisen. Europäische Anbieter verlieren durch den Preisverfall immer stärker an Wettbewerbsfähigkeit. Die Firma Meyer Burger, der wichtigste europäische Produzent, droht mit Abzug in die USA, wo Subventionen winken. In Deutschland bitten auch Zulieferer die Bundesregierung um Hilfe. Komme die nicht, drohe auch hier das Aus.
Auch die EU-Kommission will den Kater nicht lindern. Sie plant weder Handelsbeschränkungen gegen chinesische Module noch neue Subventionen, wie EU-Kommissare jüngst deutlich gemacht haben. Die Kommission sieht vielmehr die Mitgliedsstaaten in der Pflicht. Denn die Ziele sind hochgesteckt: Die EU-Staaten wollen mit ihrem Net Zero Industry Act (NZIA) bis 2030 eine europäische Solarindustrie aufbauen, die 40 Prozent des heimischen Bedarfs decken kann – und zwar in allen Schritten der Wertschöpfungskette. Dadurch soll die Abhängigkeit von China gesenkt werden, das bisher 80 bis 95 Prozent der globalen Produktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette abdeckt.
Experten halten das 40-Prozent-Ziel weder für realistisch noch für sinnvoll. Es gebe weder genug Bereitschaft für Investitionen in neue Fabriken, noch die notwendigen Anreize für Investitionen, um das 40-Prozent-Ziel zu erreichen, sagt Antoine Vagneur-Jones, Solarexperte des Analyseunternehmens BloombergNEF, zu Table.Briefings. “Der Bau von Solarfabriken in Europa ist etwa drei- bis viermal so teuer wie in China. Die Produktion ist mit einem beträchtlichen Kostenaufschlag verbunden”, so Vagneur-Jones.
Laut optimistischen Schätzungen der EU-Kommission würde es 7,5 Milliarden Euro kosten, um eine Industrie mit den nötigen Kapazitäten aufzubauen. Der Verband Solar Power Europe geht hingegen von nötigen Investitionen in Höhe von 30 Milliarden Euro aus, die zudem bis 2025 getätigt werden müssten, wie Marie Tamba, Senior Research Analyst der Rhodium Group, sagt.
Um eine nennenswerte Industrie aufzubauen, müsste Europa “die Investitionen und Betriebskosten von Solarherstellern massiv subventionieren“, sagt Jenny Chase, langjährige Solaranalystin von BloombergNEF zu Table.Briefings. Die Produktionskosten von Meyer Burger liegen ihr zufolge bei über 40 US-Cent pro Watt – der Marktpreis allerdings nur bei etwas über 11 US-Cent. Chase bedauert: Meyer Burger hätte viel Erfahrung. Es sei ein “schwerer Schlag, wenn sie sich zurückziehen”.
Analysten des Thinktanks Bruegel bezweifeln, dass das 40-Prozent-Ziel überhaupt sinnvoll ist. “Vollständige Herstellungsprozesse erfordern energie- und kapitalintensive Investitionen, bei denen Europa keinen Vorteil hat“, schreiben die Analysten. So ist beispielsweise die Herstellung von Polysilizium, Ausgangsstoff von Solarzellen, sehr energieintensiv. Auf dem Solarmarkt herrsche schon heute ein massives Überangebot an Solarmodulen. “Die Subventionierung zusätzlicher Produktion hat keinen Nutzen für das Klima”, so das Fazit der Bruegel-Analysten. Auch Chase hat ihre Zweifel: “Die Solarindustrie ist ein schwieriges Geschäftsfeld. Der Wettbewerb ist brutal.” Die neuesten Fabriken hätten die beste Technologie und somit Wettbewerbsvorteile. Ältere Hersteller hätten große Nachteile, weil das Equipment schnell überholt werde.
Chase schätzt, dass sich die Energiewende im Bereich Solarenergie um “vielleicht 50 Prozent” verteuern würde, wenn Europa die Abhängigkeit von chinesischen Modulen nennenswert verringern würde. Aus diesem Grund werde das auch kaum passieren, so die Einschätzung der BloombergNEF-Expertin.
Auch die Analysten der Energie-Beratungsfirma Wood Mackenzie gehen von einem massiven Preisaufschlag aus. Im letzten Jahrzehnt seien die Kosten für Solarmodule um 85 Prozent gefallen. “Der Ausbau der chinesischen Produktionskapazitäten im Bereich der sauberen Technologien ist das Herzstück dieser Entwicklung”, schreiben sie in einer aktuellen Analyse. Ohne China wären die “massiven Kostensenkungen, an die wir uns gewöhnt haben, vorbei”, so die Einschätzung der Berater. Allein Deutschland habe durch die globalisierte Solarlieferkette zwischen 2008 und 2020 circa sieben Milliarden US-Dollar gespart, wie eine Nature-Studie aus dem Jahr 2022 zeigt.
Selbst wenn weitere Risiken, die mit einer hohen Abhängigkeit von China einhergehen, beachtet würden, “überwiegen bei der Solarindustrie erst einmal die Vorteile billiger Importe”, sagt Tobias Gehrke, Senior Policy Fellow des Thinktanks European Council on Foreign Relations. “Die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Risiken sind zusammengenommen wohl zu gering, um den Nachteil der fehlenden europäischen Wettbewerbsfähigkeit unbedingt ausbügeln zu müssen”, so der Analyst und Experte für den Wettbewerb der Großmächte in der Weltwirtschaft.
Antoine Vagneur-Jones von BloombergNEF fasst die Situation zusammen: “Die Überkapazitäten im Solarsektor sind gut für die Energiewende: Sie machen alles billiger. Aber sie machen die wirtschaftlichen Argumente für den Aufbau einer eigenen Solarindustrie noch schwächer.”
Um unabhängiger von China zu werden, schlagen die Bruegel-Analysten den Aufbau von Lagerbeständen an Solarmodulen und eine Diversifizierung der Handelsbeziehungen vor. Derzeit bauen beispielsweise die USA und Indien eine eigene Solarindustrie auf. Lagerbestände von etwa 30 Prozent der Marktnachfrage könnten zu einer gewissen Flexibilität führen, sollte China den Verkauf von Modulen tatsächlich einmal abrupt stoppen, so die Bruegel-Analysten. “Die Diversifizierung der Einfuhren ist ein wirksameres und effizienteres Instrument als die Importsubstitution”, schreiben sie.
Chase ist allerdings anderer Meinung. Wenn die EU-Staaten mehr aus den USA oder Indien importieren wollten, müssten sie “für schlechtere Produkte mehr Geld bezahlen als für solche aus China”. Ihr Kollege Antoine Vagneur-Jones sagt, auch die US-Hersteller litten unter Überkapazitäten, und erste angekündigte Investitionen würden schon wieder zurückgezogen – trotz US-Förderung. Laut BloombergNEF werde wohl nur etwa die Hälfte der angekündigten US-Solarinvestitionen in Höhe von 60 Gigawatt für das Jahr 2024 tatsächlich gebaut. Fast ein Viertel der geplanten Investitionen stammt ironischerweise von chinesischen Herstellern, die nun auch in den USA Subventionen erhalten. Indien könnte eher ein Exporteur in Richtung Europa werden, sagt Elissa Pierce, Research Associate der Energieberatungsagentur Wood Mackenzie. “Bei einem Preis von 20 US-Cent pro Watt sind indische Module für europäische Käufer attraktiver als US-Module”, sagt die Analystin. Die US-Module lägen derzeit bei 35 Cent pro Watt.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es allerdings für die Solarmodul-Produktion von Meyer Burger im sächsischen Freiberg. Das Unternehmen “1Komma5°”, ein Anbieter von Solaranlagen, Wärmepumpen, Stromspeichern und Wallboxen, scheint die Produktionsanlagen übernehmen zu wollen, sollte Meyer Burger das Werk tatsächlich aufgeben.
Neue Werke könnte die Bundesregierung mit einer neuen gesetzlichen Möglichkeit aus dem Net-Zero Industry Act schnell genehmigen – in speziellen Beschleunigungsgebieten, in denen private Investoren von Bürokratie entlastet würden. “Die Bundesregierung muss investieren, um Deutschland für die produzierende Industrie wieder attraktiv zu machen, beispielsweise durch die Einrichtung von Net-Zero Acceleration Valleys“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Christian Ehler, der den NZIA für das Parlament verhandelt hat.
Die belgische Ratspräsidentschaft hat vorgeschlagen, das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) deutlich abzuschwächen. Das geht aus einem Kompromissvorschlag hervor, der Table.Briefings vorliegt. Nachdem auf der Ebene der stellvertretenden EU-Botschafter (AStV I) in der vergangenen Woche bereits zum zweiten Mal keine qualifizierte Mehrheit für die Richtlinie zustande gekommen war, will Belgien mit dem Vorschlag auf Einwände der Mitgliedstaaten eingehen und so doch noch eine Einigung zu erzielen.
Im Rat für Wettbewerbsfähigkeit betonte die Ratspräsidentschaft am Donnerstag, der Kompromisstext sei die letzte Möglichkeit. Eine Einigung sei wichtig, um die Verpflichtungen für europäische Unternehmen zu harmonisieren und das Risiko vieler unterschiedlicher nationaler Regelungen zu umgehen. Der belgische Wirtschaftsminister Jo Brouns sagte in der anschließenden Pressekonferenz, das Gesetz solle “rasch in den AStV, am besten morgen noch”. Trotzdem steht das Thema für die Sitzung nicht auf der Agenda.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) blieb denn auch deutlich in seiner Ablehnung: Der neue Vorschlag sei nicht ausreichend, um die Bedenken auszuräumen, teilte eine Sprecherin seines Ministeriums mit. Finnland hat auf der Grundlage des neuen Vorschlags bereits angekündigt, dem Gesetz zuzustimmen. Der italienische Minister für Unternehmen, Adolfo Urso, sagte lediglich, Italien habe “eine ähnliche Position wie Deutschland, Österreich und andere”.
Der Vorschlag würde viele Bestandteile des Gesetzes deutlich ändern:
Mit dem Vorschlag geht der Ratsvorsitz auch auf wesentliche Kritikpunkte der FDP ein, die eine Zustimmung der Bundesregierung verhindert hatte: In einem Beschluss hatte das Präsidium den großen Anwendungsbereich, die Einstufung des Bausektors als Risikosektor, die Verpflichtung zur Umsetzung eines Klimaplans samt finanzieller Anreize sowie die Verantwortung der Unternehmen für die nachgelagerte Lieferkette und indirekte Geschäftspartner als Argumente für ihre Ablehnung genannt.
Doch das reicht offenbar nicht, um Bundesjustizminister Buschmann umzustimmen. Sein Ministerium ließ das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am Mittwochabend wissen, dass es seine Bedenken nicht ausgeräumt sehe. Eine Sprecherin sagte der Deutschen Presse-Agentur: “Damit bleibt es dabei: Deutschland wird dem derzeitigen Entwurf der EU-Lieferkettenrichtlinie nicht zustimmen.”
Das Regelungswerk sei nach wie vor “zu bürokratisch und birgt weiterhin unüberschaubare Haftungsrisiken”. Anstatt an dem alten Text Änderungen vorzunehmen, wäre es aus Sicht von Buschmann besser, nach der Europawahl im Juni “mit einer frisch ernannten Kommission einen bürokratiearmen, schlanken Entwurf” auf den Weg zu bringen. leo/dpa
Von Gleichberechtigung kann bei der Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen großer deutscher Unternehmen nach wie vor nicht die Rede sein. Das geht aus dem aktuellen Women-on-Board-Index 185 hervor. Demnach sind mit 36,5 Prozent derzeit nur etwas mehr als ein Drittel der Aufsichtsratsmandate an Frauen vergeben. Noch schlechter sieht es bei den Vorständen mit einem Anteil von 19,3 Prozent aus. In beiden Fällen hat sich der Frauenanteil in den letzten Jahren kaum noch verbessert.
Die besten Ergebnisse haben die 40 DAX-Konzerne vorzuweisen. In ihren Vorständen hat der Frauenanteil mit 23,8 Prozent einen neuen Höchststand erreicht, ist aber dennoch weit von einer paritätischen Besetzung entfernt. Bei den Aufsichtsräten liegen die DAX-Unternehmen mit 38,5 Prozent Frauenanteil knapp unter der 40-Prozent-Marke.
Seit 2016 müssen in Deutschland mindestens 30 Prozent der Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, mit Frauen besetzt sein. Rund ein Fünftel der Unternehmen erfüllt diese Quote jedoch bis heute nicht. Fünf Prozent der Unternehmen haben überhaupt keine Frau im Aufsichtsrat.
Die Umsetzungsdefizite betreffen beide Seiten, also sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Kapitalseite. So sind nur 15,2 Prozent der Aufsichtsratsmandate auf Arbeitnehmerseite mit Frauen besetzt. Auf Seiten der Anteilseigner sind es 21,2 Prozent. Damit erfüllt die Arbeitnehmerseite für sich genommen nur zu etwas mehr als der Hälfte die 30-Prozent-Quote. Bei den Anteilseignern ist es knapp ein Viertel.
Seit August 2022 gilt zudem das Mindestbeteiligungsgebot für Posten im Vorstand. Hat er mehr als drei Mitgliedern, so muss seither wenigstens eine Position mit einer Frau besetzt werden. Auch hier erfüllen die Unternehmen zumeist nur die Mindestvorgabe. 36,3 Prozent haben weiterhin keine Frau im Vorstand. Bei 4,5 Prozent gibt es sogar weder im Aufsichtsrat noch im Vorstand eine Frau.
Fidar wurde Ende 2006 von Frauen in Führungspositionen gegründet, um den Frauenanteil in deutschen Aufsichtsräten zu erhöhen. Seit 2017 veröffentlicht die Organisation den WoB-Index. Er umfasst die 160 DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen sowie die derzeit 19 voll mitbestimmten Unternehmen im Regulierten Markt. ch
Die EU-Mitgliedstaaten haben am Donnerstag im Rat für Wettbewerbsfähigkeit für den Austritt der EU aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) gestimmt. Vor dem endgültigen Beschluss durch den Rat muss noch das Parlament zustimmen. Dafür bleibt vor den EU-Wahlen nur noch die letzte Plenarwoche im April. Es wird aber mit einem positiven Votum gerechnet. Nach der Notifizierung beim Sekretariat der Energiecharta bleibt der Investorenschutz noch 21 Jahre bestehen.
Gleichzeitig gibt es neue Details zu ECT-Klagen der in Großbritannien registrierten Klesch Group gegen Deutschland, Dänemark und die EU. Klesch gehören die Heide-Raffinerie in Schleswig-Holstein und die Raffinerie Kalundborg in Dänemark. Laut einem internen Vermerk der Europäischen Kommission verlangt Klesch mindestens 95 Millionen Euro Entschädigung für Übergewinnsteuern.
Die Mitgliedstaaten hatten die temporären Steuern 2022 beschlossen, nachdem Energiepreise durch den Angriff Russlands auf die Ukraine stark gestiegen waren. Laut dem Vermerk der Kommission beschuldige Klesch die EU, “den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die hohen Strompreise als einen Vorwand benutzt zu haben, um die Wettbewerbsfähigkeit von fossilen Energiefirmen einzuschränken”.
Laut der niederländischen NGO Somo habe die Raffinerie Kalundborg in ihrem Geschäftsbericht geschrieben: “Unsere Finanzergebnisse für das Jahr 2022 waren aufgrund der hohen Raffineriemargen, die durch die russische Invasion der Ukraine, die daraus resultierenden Sanktionen und die Auswirkungen auf die Produktströme bedingt waren, sehr gut.” Laut dem Geschäftsbericht, der Table.Briefings vorliegt, steigerte sich der Umsatz der Raffinerie von 2,9 Milliarden Euro in 2021 auf knapp 5,7 Milliarden Euro in 2022. Der Gewinn stieg im selben Zeitraum von 15 Millionen Euro auf 357 Millionen Euro.
Bart-Jaap Verbeek, Senior Researcher bei Somo, kommentiert: “Genau diese Art von schamlosen Behauptungen zeigt, warum die Länder aus dem ECT austreten sollten. Er untergräbt die Fähigkeit der Regierungen, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Interessen einzuführen, und stellt ein großes Hindernis für eine schnelle und gerechte Energiewende dar.”
Der ECT trat 1998 in Kraft und sollte Investitionen in fossile Energieträger im postsowjetischen Raum absichern. In der Zwischenzeit nutzten Firmen im Energiesektor den Vertrag jedoch für Entschädigungsklagen im Rahmen der Energiewende. Noch hat das Vertragswerk etwa 50 Mitgliedsstaaten. Drei EU-Staaten, darunter Deutschland, haben den ECT Ende 2023 verlassen, sieben weitere haben dies angekündigt. av, ber
Nach der Klage gegen die Handelskette Edeka wegen eines Verstoßes gegen das Irreführungsverbot müssen weitere deutsche Lebensmittelkonzerne mit Klagen rechnen. “Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht bei dieser einen Klage bleiben wird”, lässt Rauna Bindewald von Foodwatch wissen. Edeka sei nur der Anfang. Weitere Beschwerden nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) seien hingegen aktuell nicht geplant, so Bindewald weiter.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) werfen Edeka vor, für Margarine und Pflanzenfett der Eigenmarke, für das sie Palmöl aus Guatemala beziehen, fälschlicherweise das Nachhaltigkeitssiegel der Initiative Round Table for Sustainable Palmoil (RSPO) zu verwenden. Fälschlicherweise, weil es laut Erkenntnissen von Foodwatch und ECCHR beim Anbau des Palmöls in Guatemala systematisch zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden kommt.
Foodwatch und ECCHR hatten Edeka deshalb bereits Ende Januar mit einer Abmahnung aufgefordert, die irreführende Werbung zu unterlassen und das RSPO-Siegel von den Produkten zu entfernen. Außerdem wurde eine Beschwerde nach dem LkSG eingereicht. Da die Abmahnung nach Angaben von Foodwatch folgenlos geblieben sei, habe man Klage gegen Edeka beim Landgericht Karlsruhe eingereicht.
Edeka ist nicht das einzige deutsche Lebensmittelunternehmen, das Palmöl von Plantagen der Firmen Natur Aceites oder Industria Chiquibul in Guatemala bezieht. Beide Firmen stehen laut “Palmöl-Report 2024” der Romero-Initiative (CIR) in Verdacht, Wälder abzuholzen, Monokulturen anzulegen, indigene Einwohner und Kleinbauern zu verdrängen sowie Arbeitsrechte zu missachten. Zu den mehr als 20 Unternehmen, die laut der CIR Palmöl dieser Betriebe verarbeiten oder verkaufen, gehören die Supermarktketten Aldi, Lidl, Netto, Rewe, Penny und Metro, ebenso wie der Chemiekonzern BASF.
Auf Anfrage von Table.Briefings distanzierte sich Edeka von jeglichen Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen. Die aktuellen Vorwürfe zu möglichen Verstößen auf Palmöl-Plantagen nehme man aber sehr ernst. “Wir prüfen derzeit alle Aussagen gemäß der Verfahrensordnung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), um den Sachverhalt aufzuklären”, hieß es von der Handelskette.
Mittlerweile hat sich auch der Standardgeber RSPO zu den Vorwürfen geäußert. Das RSPO-Sekretariat versicherte den betroffenen Parteien, dass es die notwendigen Schritte unternommen habe, um die Vorwürfe hinsichtlich des RSPO-Zertifizierungsverfahrens zu überprüfen. Man arbeite dabei eng mit den betroffenen Mitgliedern zusammen. heu
Die GLS Bank mit Sitz in Bochum konnte auf ihrer Bilanzpressekonferenz am gestrigen Donnerstag mit positiven Geschäftszahlen aufwarten. Während sich weite Teile der Finanzwelt mit dem sozial-ökologischen Umbau noch schwer tun, zeigt die 1974 gegründete Genossenschaftsbank auch im 50. Jahr ihres Bestehens, dass es anders geht.
“Die GLS Bank steht seit 50 Jahren für Aufbruch – daran halten wir fest, auch in der Zukunft. Wir schauen genau, was es gesellschaftlich braucht und wo wir uns einbringen können”, betonte Vorstandssprecherin Aysel Osmanoglu.
Die Kennzahlen zeigen, dass die Nachfrage steigt. So nahm die Bilanzsumme gegenüber dem Vorjahr um 1,6 Prozent auf 9,91 Milliarden Euro zu. Die Kundeneinlagen erhöhten sich auf 8,22 Milliarden Euro (+ 1,3 Prozent). Das Kreditvolumen wuchs sogar um 7,1 Prozent auf 5,27 Milliarden Euro.
Schwerpunkte der Kreditneuvergabe waren 2023 mit zusammen 63 Prozent die Bereiche Energie und Wohnen:
Die GLS Bank gehört zu den 100 größten Banken in Deutschland. Ihre Kundenzahl stieg im Jahr 2023 auf 366.000 (+ 4,6 Prozent), die Zahl der Genossenschaftsmitglieder auf 130.000 (+ 10,2 Prozent).
Vorstand Dirk Kannacher ist mit der Entwicklung zufrieden. “Wir freuen uns, dass so viele Menschen an der sozialen und ökologischen Wende der Wirtschaft arbeiten, egal wie schwer die Zeiten gerade sind”, so Kannacher. ch
Mit einer öffentlichen Anhörung zu Herkunftsnachweisregistern für Gas, Wärme und Kälte startet der Bundestag in die kommende Sitzungswoche. Dazu hat der Ausschuss für Klimaschutz und Energie am Montag eine Reihe von Sachverständigen eingeladen, die sich zu den notwendigen Anforderungen an die Ausstellung, Anerkennung, Übertragung und Entwertung von Herkunftsnachweisen äußern sollen.
Am Mittwoch berät der Bundestag dann in erster Lesung über einen Antrag der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP mit dem Titel “Wissenschaftskommunikation systematisch und umfassend stärken“. Die Drucksache mit dem genauen Inhalt lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Am frühen Mittwochabend tagt zudem wie gewohnt der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung in öffentlicher Sitzung. Thema ist diesmal “Forschung, Innovation und Digitalisierung (Schwerpunkt KI)“.
Der Donnerstag beginnt mit einer parlamentarischen Premiere. Erstmals debattieren die Abgeordneten über Empfehlungen eines Bürgerrates. Der Rat trägt den Namen “Ernährung im Wandel: Zwischen Privatsache und staatlicher Aufgabe” und besteht aus 160 Teilnehmern, die per Losverfahren ausgewählt wurden. In seinem Bericht formuliert er neun Empfehlungen für eine “bessere Ernährungspolitik”.
Am Nachmittag steht dann in erster Lesung das Thema Arbeitszeit auf der Tagesordnung. Der Antrag der CDU/CSU mit dem Titel “Arbeitszeit flexibilisieren – Mehr Freiheit für Beschäftigte und Familien” will das deutsche Arbeitszeitgesetz mit seiner Festlegung auf den Acht-Stunden-Tag liberalisieren. Damit soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert werden.
Unmittelbar danach geht es, ebenfalls auf Antrag der Union, in zweiter und dritter Lesung um die Zukunft des Bahnkonzerns. So soll unter anderem der Infrastrukturbereich, bestehend aus DB Netz, DB Station und Service sowie DB Energie, vollständig vom Transportbereich getrennt und in eine bundeseigene und weisungsgebundene Schieneninfrastruktur GmbH des Bundes überführt werden.
Mit einer Woche Verspätung debattiert der Bundestag schließlich am Freitagvormittag in einer vereinbarten Debatte über den Internationalen Frauentag, der bekanntlich am 8. März begangen wird. Danach gehen die Abgeordneten ins Wochenende, um bereits am Montag wieder nach Berlin zurückzukehren, denn es stehen zwei Sitzungswochen hintereinander an. ch
S.E.C. Approves New Climate Rules Far Weaker Than Originally Proposed – The New York Times
Die US-Börsenaufsicht hat am Mittwoch neue Vorschriften dazu erlassen, ob und wie börsennotierte Unternehmen Klimarisiken und die von ihnen verursachten Treibhausgasemissionen offenlegen müssen. Die Anforderungen sind jedoch niedriger als im ursprünglichen Vorschlag von vor zwei Jahren, berichten Hiroko Tabuchi, Ephrat Livni und David Gelles. Zum Artikel
US banks abandon ‘bare minimum’ environmental standards project, alarming climate groups – Guardian
Wie Nina Lakhani und Dominic Rushe aus New York berichten, haben die US-Banken Citi, Bank of America, JPMorgan Chase and Wells Fargo die “Equator Principles”, ein wichtiges Rahmenwerk in der Finanzindustrie zur Bewertung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Finanzierungen (ESG). Zum Artikel
Niederländisches Parlament will vier neue Kernkraftwerke – FAZ
Während sich die Regierungsbildung weiter hinauszögere, habe das niederländische Parlament für den Bau vier neuer Atomkraftwerke gestimmt, schreibt Klaus Max Smolka. Nach einem Gerichtsurteil für ein schnelleres Vorgehen gegen die Erderwärmung gewinne die Kernenergie an Zustimmung. Der deutsche Atomausstieg gelte dabei als Negativbeispiel. Zum Artikel
Kritiker halten das geplante Wasserstoff-Netz für überdimensioniert – Handelsblatt
Möglichst bald soll der Bau des Wasserstoff-Kernnetzes in Deutschland beginnen. Doch Fachleute warnen vor Problemen durch die aktuelle Planung, berichtet Klaus Stratmann. Sie argumentierten, dass die Infrastruktur aufgrund eines verzögerten Transportbedarfs lange zu schwach ausgelastet sein werde. Zum Artikel
Erleben wir eine Kündigungswelle im Nachhaltigkeitsmanagement? – Haufe
Laufen Nachhaltigkeitsverantwortliche reihenweise ihren Unternehmen davon? Alexander Kraemer hat derzeit zumindest den Eindruck. Woran das liegen könnte und ob die Fluktuation ein Indikator dafür ist, wie ernst es Unternehmen mit der Nachhaltigkeit nehmen, erklärt er in seiner Kolumne. Zum Artikel
Budget fell far short on UK green investment, experts say – The Guardian
Die schwächelnde britische Wirtschaft mithilfe von Investitionen in grüne Industrie anzukurbeln, sei aus Sicht von Fachleuten verpasst worden, schreibt Fiona Harvey. Dies liege daran, dass der aktuelle Haushalt im Vergleich zu den vergangenen Jahren “am wenigsten grün” sei. Zum Artikel
Wie Proteine aus Bierhefe Lebensmittel revolutionieren könnten – Handelsblatt
Das Start-up Protein Distillery will mit Proteinen aus Brauabfällen ein Grundsatzproblem von Fleischalternativen lösen. Bierhefe sei sehr protein- und nährstoffreich, aber auch sehr bitter. Dem Start-up sei es jedoch gelungen, die Zellen der Bierhefe so zu reinigen, dass sie geschmacksneutral werden, berichtet Katrin Terpitz. Zum Artikel
Can Europe’s trains compete with low-cost airlines? – Financial Times
Der Luftfahrtindustrie fehlt ein schlüssiger Plan zur Dekarbonisierung. Doch die Eisenbahn ist keine Alternative zu Mittelstreckenflügen, solange Europa das Hochgeschwindigkeitsnetz im Schneckentempo ausbaut. Dabei fehlt es nicht nur am Geld, sondern auch am Willen zur länderübergreifenden Kooperation, schreiben Philip Georgiadis und Alice Hancock. Zum Artikel
In Island werden Frauen und Männer fast gleich bezahlt – Deutschlandfunk Kultur
Das Gender Pay Gap sei in Island zu über 90 Prozent geschlossen, berichtet Julia Wäschenbach. Das Land schreibe die Lohngleichheit seit 2018 sogar per Gesetz vor. Trotzdem herrsche laut Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir keine Gleichberechtigung. Zur Sendung
Die Linke ist die erste politische Fraktion, die bezahlten Menstruationsurlaub gewährt – EU Observer
Die Mitarbeiterinnen der Linksfraktion im Europäischen Parlament haben zukünftig Anspruch auf bezahlten Menstruationsurlaub, berichtet Paula Soler. Ein fünfmonatiger Test habe positive Ergebnisse gezeigt. Als Vorbild habe Spanien gedient, der bislang einzige EU-Mitgliedstaat, der im Falle von Menstruationsbeschwerden bezahlten Urlaub gewähre. Zum Artikel
Es gab Stationen in Susanne Bregys bisherigem Berufsleben, da war sie umgeben von großen Egos, Gier und Testosteron. Von Männern also, die sich allein über ihren finanziellen Profit definieren und diesem Erfolg alles unterordnen. Es war, so erzählt sie heute, eine nervenzehrende Zeit. Zum Teil konnte sie nur mit zittrigen Händen ans Telefon gehen, wenn im Display der Name ihres tyrannischen Chefs auftauchte. Trotzdem will sie diese Erfahrung nicht missen. “Ich mag den Finanzsektor, er ist intellektuell herausfordernd”, sagt sie. Einzige, wichtige Einschränkung: “Ich will seine Kraft nutzen, um etwas Positives zu bewirken.”
Wie das konkret aussieht, darüber bestimmt die 49-Jährige inzwischen selbst mit. Seit Februar ist sie Geschäftsführerin der Bundesinitiative Impact Investing (BIII). Der Verein, der 2020 von den vier Trägern Bertelsmann Stiftung, BMW Foundation Herbert Quandt, Phineo und Bundesverband Deutscher Stiftungen gegründet wurde, verfolgt laut eigener Aussage “die Vision eines regenerativen Investierens und Wirtschaftens, das sowohl ökologische Grenzen respektiert als auch soziale Standards einhält”.
Passieren soll das über Investments, die die Transformation nicht bloß versprechen, sondern nachweislich zum Wandel beitragen und zugleich Renditen abwerfen. Laut BIII-Marktstudie lag die Höhe der “selbstdeklarierten Impact Assets” in Deutschland im Jahr 2022 bei 39 Milliarden Euro – nur ein Drittel davon erfüllte aber bereits die strengen Kriterien, die die Initiative an das Messen und Managen des jeweiligen Impacts anlegt. Bregy will deshalb daran arbeiten, die Idee bekannter zu machen, das “Ökosystem” der beteiligten Akteure zu vergrößern und Standards zu entwickeln.
Sie selbst hat im Frühjahr 2011 zum ersten Mal von dem Konzept gehört. Bis dahin hatte die Schweizerin, die aus Gampel im Kanton Wallis stammt, ausschließlich im konventionellen Finanzsektor gearbeitet, erst in Deutschland, später in England. Schiffscontainerfonds, Genussscheine für den Mittelstand, Private Equity, Hedgefonds, “Turnaround”-Strategien für die Neuorganisation von strauchelnden Unternehmen – das waren ein paar ihrer Themen. “Meine Lernkurve war steil”, sagt sie. Aber irgendwann kamen Zweifel auf, ob es nur darum gehen sollte, “reiche Menschen noch reicher zu machen“. Der Crash 2008 und die Folgen der globalen Krise taten ihr übriges. Nur: Eine Alternative fand sie nicht.
Bis sie eine Konferenz für institutionelle Investoren in London besuchte. Nachhaltigkeit und Sustainable Finance standen dort nicht auf dem Programm. Plötzlich aber, auf einem Panel, redete eine Expertin vom “Impact Investing”. Bregy war wie elektrisiert, hatte “eine Bauchreaktion”, wie sie es nennt – und sprach die Frau an. Wenig später zogen sie zusammen in eine WG.
Für Susanne Bregy ließen sich damals zwei Dinge kombinieren. Zum einen hatte sie nach der Schule zunächst Philosophie in München studiert, bevor sie sich in der Finanzwirtschaft ausbilden ließ – die ganzheitliche Betrachtung von Problemen war ihr also nicht neu. Zum anderen konnte sie ihr Wissen aus der klassischen Welt weiternutzen und das fortsetzen, was sie ihre “feministische Motivation” nennt. “Ich wollte schon immer zeigen, dass Frauen männerdominierte Themen wie alternative Investments ebenfalls drauf haben, und vielleicht sogar besser können als die Jungs.”
Sie machte sich selbstständig und fing an, das junge Feld, das seinen Ursprung im angelsächsischen Raum hat, mit aufzubauen. Zwischenzeitlich auch von den USA aus, wo sie mit ihrem damaligen Freund und heutigen Mann hinzog und Mutter von Zwillingen wurde. In Deutschland kam die Entwicklung erst mit Verzögerung an. Wenn Susanne Bregy Vermögensverwalter oder Family Offices in den ersten Jahren hierzulande aufs Impact Investing ansprach, stieß sie auf Unverständnis. “Sehr viele kannten das Thema nicht.” Aus ihrer Sicht sei es lange als Ergänzung zur Philanthropie betrachtet worden, sagt sie. “Die Erkenntnis, dass man damit auch Geld verdienen kann, hat sich erst in den letzten sechs, sieben Jahren durchgesetzt.”
Zugleich ist ein anderes Problem größer geworden, das des “Impact Washings“. “Es gibt inzwischen Trittbrettfahrer, die den Begriff nutzen, tatsächlich aber keinen Impact bieten.” Eine Abgrenzung zieht sie auch zu Investments nach ESG-Kriterien, etwa auf dem Aktienmarkt. Das Tauschen von Aktien auf dem Sekundärmarkt habe nur einen “begrenzten real world Impact”, so Bregy.
Mit der Bundesinitiative Impact Investing will sie deshalb für andere Anlageklassen wie etwa privates Beteiligungskapital und bei Geldgebern für eine größere Bereitschaft werben, sich mit den direkten Folgen ihrer Investments auseinanderzusetzen. Beides sei in Deutschland – anders als in USA, England und den Niederlanden – noch zu wenig ausgeprägt. Erreichen will sie auch eine internationale Harmonisierung der Kriterien, nach denen bemessen wird, was im sozialen und ökologischen Bereich als positive Wirkung zu verstehen ist.
Keine leichten Aufgaben. Aber sollten sie gelingen, dürften die von Gier und Testosteron getriebenen Manager künftig noch weniger zu melden haben. Marc Winkelmann
Climate.Table – Mehr als nur schöne Worte über Geschlechtergerechtigkeit: Wie feministische Klimapolitik konkret aussehen kann: Der Klimawandel betrifft verschiedene Geschlechter unterschiedlich. Feministische Stimmen fordern daher, die Kategorie “Gender” in der Klimapolitik mitzudenken: Viele Projekte zeigen, wie das in der Praxis funktionieren kann. Zum Artikel
Research.Table – “Für ein geschlechtergerechtes Berufungsgeschehen sind weiterhin Gleichstellungsinterventionen erforderlich”: Von der Tatsache, dass Frauen in Berufungsverfahren mittlerweile durchaus erfolgreich sind, sollte man sich nicht täuschen lassen, schreibt die Soziologin Birgitt Riegraf von der Universität Paderborn. Sie formuliert drei Botschaften gegen gedankliche Kurzschlüsse. Zum Standpunkt