Table.Briefing: ESG

EU-Klimaziel: Was es für die Industrie bedeutet + ESG-Ratings: Wie der Markt reguliert werden soll + Gastbeitrag: Die Mär vom grünen Wachstum

Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen Tagen stehen einige wegweisende Beschlüsse und Entscheidungen an. Da ist zum einen das neue Klimaziel, die CO₂-Emissionen bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Es wird, zusammen mit der Carbon-Management-Strategie, weitreichende Folgen für die Industrie haben. Welche sich schon abzeichnen, analysiert Manuel Berkel.

Beim sogenannten Recht auf Reparatur haben sich der Rat und das EU-Parlament jetzt auf ihre Richtlinie geeinigt. Verbraucher sollen viel häufiger als bislang die Chance bekommen, defekte Produkte wieder flott machen zu lassen. Was daraus für Hersteller folgt und was sie anbieten müssen, erklärt Leonie Düngefeld

Außerdem plant die EU, ESG-Rating-Agenturen mehr Regeln aufzuerlegen. Deren Arbeit bleibt oft intransparent und zum Teil widersprüchlich – das soll sich jetzt ändern. Nicolas Heronymus hat sich damit auseinandergesetzt. 

In Deutschland hat die Bundesregierung derweil ihre Kraftwerkstrategie vorgelegt. Oder zumindest das, was sie “Strategie” nennt. Ob das allerdings schon ausreicht, um, wie geplant, die sogenannten Dunkelflauten auszugleichen und die Treibhausgasemissionen, die aus der Kohleverstromung resultieren, herunterzufahren, muss momentan bezweifelt werden. Alex Veit hat mit Experten gesprochen und erläutert die Details.

Und am Freitag steht die Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz an. Arbeitsminister Hubertus Heil hat erklärt, dass die Bemühungen, die FDP umzustimmen, endgültig gescheitert seien – Deutschland werde dem Gesetz also nicht zustimmen, sondern sich enthalten. Was das für die anderen Länder bedeutet, ist noch nicht ganz klar. Die Verhandlungen bleiben ein Krimi.

Ihr
Marc Winkelmann
Bild von Marc  Winkelmann

Analyse

EU-Klimaziel 2040: Für die Industrie hat die europäische Strategie zum Carbon Management umwälzende Wirkung

Das norwegische CCS-Projekt Northern Lights wirbt auch um die Speicherung von CO₂ aus der EU.

Als Fixstern, an dem sich alle Klimagesetze orientieren, hat der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss die Mitteilung der EU-Kommission zum Klimaziel 2040 bezeichnet. Handfeste Gesetzentwürfe zu einzelnen Wirtschaftsbereichen werden zwar noch auf sich warten lassen, etwa die Erhöhung der Wind-, Solar- und Wasserstoffziele in der Erneuerbaren-Richtlinie. Doch welche Folgen eine Dekarbonisierung um 90 statt 55 Prozent für welche Sektoren hat, lässt sich aus dem am Dienstag vorgelegten Gesamtpaket schon gut ableiten.

Da ist etwa die umfangreiche Folgenabschätzung zum Vorschlag der Kommission. Ein Ziel von minus 90 Prozent Treibhausgasen liegt genau zwischen den Szenarien zwei und drei aus dem hunderte Seiten umfassenden Impact Assessment.

Keine CO₂-Speicher auf deutschem Festland

Deren Unterschiede liegen vor allem im stärkeren Gebrauch von synthetischen Kraft- und Brennstoffen (E-Fuels) und der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS). Zum Carbon Management hat die Kommission am Dienstag auch eine eigene Strategie veröffentlicht, die vor allem für Industrie und Landwirtschaft Bedeutung hat – und nicht zuletzt für die bevorstehende Strategie der Bundesregierung zum gleichen Thema.

Bis 2030 müssen 7.300 Kilometer an CO₂-Transportleitungen und Schiffsrouten eingerichtet werden, wie aus dem EU-Papier hervorgeht. Bis 2050 soll das Netz auf 19.000 Kilometer anwachsen. Dafür hält die Kommission 16 Milliarden Euro an Investitionen für nötig. Eine ausführliche Darstellung eines möglichen CO₂-Transportnetzes enthält eine ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Analyse des Joint Research Centre (JRC) der EU. In keinem Szenario sind darin CO₂-Speicher auf dem deutschen Festland nötig.

Auch kleine Industriebetriebe sollen Anschluss an CO₂-Netz erhalten

Ziel der Kommission ist ein europäischer Markt für Kohlendioxid. Besonders interessant für die vielen kleineren Industriebetriebe in Deutschland dürfte sein, dass die Kommission spezielle Lösungen für Anlagen abseits der industriellen Ballungsgebiete entwickeln will, um deren “Verhandlungsmacht gegenüber den Infrastrukturbetreibern zu stärken”, sodass auch sie an das Netz angeschlossen werden.

Schon 2024 will die Kommission mit den Arbeiten an mehreren Gesetzen beginnen: einem eigenen Regulierungspaket ähnlich dem Gasbinnenmarktpaket und einer Grundlage für die Netzplanung. Wenn möglich sollen auch vorhandene Gasleitungen und Speicher umgebaut werden – wobei grüne Gase wie Wasserstoff ausdrücklich Vorrang haben.

Projektförderung für CCS vielleicht bald nicht mehr nötig

Ähnlich wie für Wasserstoff und Erdgas soll es bis Anfang 2026 außerdem eine neue Plattform geben, um Anbieter, Nutzer und Speicherbetreiber im künftigen CO₂-Markt zusammenzubringen. Gleichzeitig soll ein Investitionsatlas für Speicherprojekte vorliegen. Schon vor 2030 sollen die ersten Speicherkapazitäten verfügbar sein. Schon bis Juni dieses Jahres müssen die EU-Staaten eine Übersicht über Speichermöglichkeiten in ihren Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECPs) vorlegen.

Die Kosten für die CO₂-Abscheidung schwanken nach einer Analyse der Kommission erheblich – pro Tonne sollen sie 13 bis 103 Euro betragen – ohne Transport und Speicherung. Der Preis für CO₂-Futures im Jahr 2030 liegt derzeit etwa bei 77 Euro, sodass sich ein Großteil der Projekte bereits rechnen könnte. Ab dem kommenden Jahrzehnt könne so ein Markt für Carbon Management mit einem Volumen von 45 bis 100 Milliarden Euro entstehen. Als Konsequenz will die Kommission im kommenden Jahr prüfen, ob die bisher übliche Projektförderung etwa für Zementhersteller durch eine marktbasierte Förderung abgelöst werden kann.

Negative Emissionen für zehn Prozent der Stromerzeugung

Eine Rolle spielen soll CCS auch im Energiesektor. Wie sich in Entwürfen bereits abgezeichnet hatte, hat die Kommission nicht mehr den Ehrgeiz, die Stromversorgung bis 2040 komplett frei von Erdgas zu machen. Stattdessen rechnet sie nur noch damit, dass Erneuerbare und Kernenergie gut 90 Prozent des Stroms erzeugen: “Die verbleibenden zehn Prozent werden durch negative Emissionen kompensiert oder mit kohlenstoffarmen Lösungen, einschließlich der Nutzung von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, ausgestattet.”

Noch vor einigen Jahren galt CCS für Gas- oder gar Kohlekraftwerke als politisch tot. Inzwischen hält sich sogar die Ampel diese Hintertür in ihrer Kraftwerksstrategie offen und hat die Entscheidung über diese Technologie auf ihre eigene Carbon-Management-Strategie vertagt.

Anteil von Verbrenner-Pkw sinkt bis 2040 auf ein Viertel

Fahrt aufnehmen wird laut EU-Kommission die Elektromobilität. Bis 2040 werden Verbrenner nur noch 26 Prozent des Pkw-Bestands ausmachen, wie aus der Folgenabschätzung hervorgeht. Zehn Jahre später sollen es gar nur noch Restbestände von zwei Prozent sein. Entsprechend wird der Anteil von batterieelektrischen Autos 2040 bei 57 Prozent liegen, 2050 bei 79 Prozent.

Überraschenderweise könnten sich Hybridautos länger halten als gedacht, für 2040 rechnet die Kommission mit einem Anteil von elf Prozent am Bestand: “Dies deutet darauf hin, dass diese Technologie eine wichtige Rolle bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen spielen wird. Im Jahr 2050 wird der Anteil der Plug-in-Hybride jedoch auf fünf Prozent sinken.”

E-Fuels decken zehn Prozent des Energieverbrauchs von Pkw

Welche Rolle E-Fuels und Biokraftstoffe für die stark abnehmende Zahl von Verbrenner-Pkw spielen werden, geht aus der Folgenabschätzung nicht eindeutig hervor. Zwar soll der Verbrauch von E-Fuels gerade in den Klimapfaden mit hoher CO₂-Reduktion steil ansteigen. Allerdings fließt ein Großteil davon in den Schiffs- und Flugverkehr und in die Tanks von Lkw.

Für Pkw hat die Kommission am Dienstag keine genauen Zahlen veröffentlicht. Abschätzen lassen sie sich aber aus einem Balkendiagramm (Figure 68). Gut zehn Prozent des Energieverbrauchs von Pkw werden demnach 2040 durch E-Fuels gedeckt. Bis 2050 sinkt der Anteil aber deutlich, den Löwenanteil machen dann Strom für E-Autos und Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge aus.

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Die vorgelegte Kraftwerksstrategie der Bundesregierung stellt eine Strom-Klimaneutralität bis 2035 infrage

Die Restdekarbonisierung erfolgt nicht auf Knopfdruck. Bundeskanzler Scholz eröffnet eine Elektrolyseur-Fertigung von Siemens Energy
Die Dekarbonisierung erfolgt nicht auf Knopfdruck. Bundeskanzler Scholz eröffnet eine Elektrolyseur-Fertigung von Siemens Energy.

Die von der Bundesregierung vorgestellten Eckpunkte einer Kraftwerksstrategie stellen das international verabredete Ziel eines weitgehend kohlenstofffreien Stromsektors Mitte des nächsten Jahrzehnts infrage. “Für den Übergang zu grünem Wasserstoff braucht es Praxiserfahrung”, sagt Simon Müller, Deutschland-Direktor des Thinktanks Agora Energiewende im Gespräch mit Table.Media.

Die Bundesregierung will jedoch erst 2032 entscheiden, wann in einem fünfjährigen Zeitkorridor ab 2035 neu errichtete Gaskraftwerke auf Wasserstoff umgestellt werden müssen. “Eine Festlegung erst in acht Jahren, wann Gaskraftwerke auf Wasserstoff umgestellt werden, wäre zu spät für ein klimaneutrales Stromsystem im Jahr 2035.”  

Die Bundesregierung plant, noch in diesem Jahr insgesamt zehn Gigawatt Kapazität für sogenannte H2-Ready-Gaskraftwerke auszuschreiben, die bis 2030 Kohlemeiler ersetzen sollen. Hinzu kommen 0,5 Gigawatt für reine Wasserstoffblöcke. Die Meiler werden benötigt, um während winterlicher Dunkelflauten Strom aus erneuerbaren Energien zu ersetzen.

Ob die Kapazität für den geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung in sechs Jahren reichen wird, wie die Regierung mit Verweis auf die Bundesnetzagentur versichert, bezweifelt Müller ebenfalls.  

G7 verabredete dekarbonisierte Stromversorgung bis 2035

Vor knapp zwei Jahren, beim Gipfel im bayrischen Elmau, hatten die Staats- und Regierungschefs der G7 verabredet, “bis 2035 einen vollständig oder überwiegend dekarbonisierten Stromsektor zu erreichen”. Diese Vorgabe begründeten die Politiker mit dem UN-Ziel einer maximalen Erderwärmung durch Treibhausgase um 1,5 Grad Celsius.

Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft, kritisierte, “dass das Motto der Kraftwerksstrategie lautet: Erdgas first, Wasserstoff second.” Die Kraftwerksbetreiber erhielten viel zu lange Zeit, um den Brennstoff zu wechseln: “Im Worst Case wird der Stromsektor dann erst 2040 vollständig dekarbonisiert.” Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sieht darin “ein Konjunkturprogramm für die Gaslobby.”

“Technologieoffenheit” und Stromimporte

Im Sinne von “Technologieoffenheit” müssen Kraftwerksbetreiber laut Regierungskreisen nicht unbedingt klimaneutral hergestellten grünen Wasserstoff verwenden. Einzig mittels Atomstrom gewonnener Wasserstoff sei ausgeschlossen. Jeder andere Wasserstoff, also hergestellt mittels Erdgas, Methan oder Müllverbrennung, könne jedoch verwendet werden.

Deren Treibhausgase können nach heutigem Stand der Technik nur teilweise mittels teurer Carbon-Capture-and-Storage (CCS) aufgefangen werden. Die Regierung will CCS nun auch im Rahmen der Kraftwerkstrategie fördern, statt wie bisher vorgesehen nur für unvermeidliche CO₂-Restmengen aus der Industrieproduktion.

Zudem hieß es aus Regierungskreisen, auch Stromimporte aus dem Ausland seien wohl weiter notwendig – wodurch auch Atom- und Kohlestrom im deutschen Netz landen könnte. Die lenkende Wirkung des CO₂-Preises, hieß es aus Regierungskreisen dazu, lasse jedoch auf eine marktgesteuerte Dekarbonisierung hoffen.

Einige Verbände begrüßen Pragmatismus

Insgesamt legte die Regierung nur eine Presseerklärung vor, statt einer ausgereiften Kraftwerkstrategie – was die Investitionsplanung und -sicherheit der Industrie weiter verzögern könnte.

Viele Verbände und Unternehmen zeigten sich einerseits verhalten optimistisch. So begrüßte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, den “pragmatischen Vorschlag”, der den Herstellern mehr Energieversorgungssicherheit für die Dekarbonisierung der Metallproduktion biete. Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), bezeichnete die H2-Ready-Kraftwerke als “wichtige Abnehmer und damit relevanten Baustein für Planungssicherheit im Rahmen des Wasserstoffkernnetzes”.

Offene Fragen verzögern Investitionsentscheidungen

Andererseits betonen Wirtschaftsakteure und Oppositionspolitiker die vielen offen gebliebenen Fragen bei immer knapper werdender Zeit. Aus Kreisen von Kraftwerksherstellern hieß es, eine Umstellung der H2-Ready-Kraftwerke von Gas auf Wasserstoff sei im angegebenen Zeitraum machbar.

Der Vorstandsvorsitzende des Turbinenherstellers Siemens Energy, Christian Bruch, betonte jedoch: “Die noch offenen inhaltlichen Fragen sollten nun schnellstmöglich geklärt werden, da die Umsetzung der Strategie auch aufgrund der hohen globalen Nachfrage und der damit verbundenen Auslastung bei den Anbietern Zeit kosten wird.”

Zu diesen offenen Fragen gehört die Ausgestaltung der ersten Ausschreibungen und des ab 2028 geplanten Kapazitätsmechanismus, mit dem staatliche Förderung geregelt werden soll. Hierüber will sich die Koalition bis zum Sommer verständigen, und mit der EU-Kommission beihilferechtliche Fragen klären.

CDU für Gespräche, BDI mit harscher Kritik

Andreas Jung, stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender und Sprecher der Unionsfraktion für Klimaschutz, kritisierte im Gespräch mit Table.Media die “Hängepartie” in der Standortfrage: “Offen ist, ob und wie sichergestellt wird, dass auch bei den Industriezentren im Süden Kraftwerke entstehen.” Insgesamt seien Klimaziel, Versorgungssicherheit und der Wirtschaftsstandort gefährdet. Er lud die Koalition mit “Blick auf mögliche künftige Konstellationen” zu Gesprächen ein, “im Sinne von Verlässlichkeit und Planungssicherheit“. Bislang werde der Kapazitätsmechanismus “unter Ausschluss der Opposition” vorbereitet.

Besonders kritisch äußerte sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer, mahnte eine “schnellstmögliche Konkretisierung und Umsetzung” und “eine sehr rasche Klärung der noch offenen Fragen” an, begrüßte jedoch zugleich “Technologieoffenheit” und Pragmatismus. In der Financial Times nannte BDI-Präsident Siegfried Russwurm die Energiepolitik der Ampel derweil “absolut toxisch” und die deutsche Klimaagenda “dogmatischer als in jedem anderen Land, das ich kenne.”

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Trotz Einigung auf Net-Zero Industry Act: Skepsis bleibt

Windpark “Odervorland” bei Jacobsdorf

Mitgliedstaaten und Europaparlament haben sich politisch auf den Net-Zero Industry Act (NZIA) geeinigt. Das Gesetz soll Europas Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act sein und die Standortbedingungen für die Hersteller einer Reihe von klimafreundlichen Technologien verbessern. Damit werde die Regulierungsagenda des europäischen Green Deals erstmals um einen Business Case ergänzt, sagte der Berichterstatter des Europaparlaments, Christian Ehler (CDU). Rat und Parlament müssen die Einigung aber noch formell absegnen.

Der NZIA sieht einige Erleichterungen für Investoren vor, die Produktionskapazitäten für Netto-Null-Technologien aufbauen wollen:

  • Kürzere Genehmigungsverfahren: Neue Großprojekte mit einer Produktionskapazität von mehr als einem Gigawatt sollen binnen 18 Monaten genehmigt werden, bei kleineren Vorhaben liegt die Frist bei zwölf Monaten. Für als strategisch eingestufte Projekte liegt die Frist bei neun Monaten. Dabei müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ein Investor eine einzelne Behörde als zentralen Ansprechpartner hat.
  • Sonderzonen: Die Mitgliedstaaten sollen zudem Regionen ausweisen, in denen für bestimmte Industrie-Cluster besonders vorteilhafte Bedingungen gelten. In diesen “Net-Zero Acceleration Valleys” sollen etwa die Umweltverträglichkeitsprüfungen beschleunigt und vereinfacht werden, um Investitionen zu erleichtern.
  • Öffentliche Aufträge: Europäischen Hersteller sollen häufiger bei Ausschreibungen zum Zuge kommen. Dafür soll die öffentliche Hand neben den Kosten auch Mindeststandards für Nachhaltigkeit berücksichtigen. Wenn, wie etwa in der Solarindustrie, die EU mehr als die Hälfte ihres Bedarfs aus einem nichteuropäischen Land – China – bezieht, greifen zudem Resilienzkriterien (wie Cybersicherheit), was EU-Anbietern zugutekommt. Allerdings können die ausschreibenden Behörden Ausnahmen geltend machen, wenn die Angebote der europäischen Hersteller mehr als 20 Prozent über jenen ausländischer Konkurrenten liegen.
  • Erneuerbaren-Auktionen: Bei Auktionen etwa für Wind- und Solarparks sollen die Behörden neben dem Preis auch Kriterien wie Umweltverträglichkeit und Innovationspotenzial berücksichtigen. Das zunächst für 30 Prozent der jährlich versteigerten Leistung und soll perspektivisch in Richtung 50 Prozent steigen. Greifen soll die Vorgabe 18 Monate nach Inkrafttreten des NZIA.

Nuklearindustrie soll ebenfalls profitieren

Profitieren von diesen Vorteilen sollen europäische Hersteller in einer langen Liste von Sektoren, die fast durchgängig dem Vorschlag des Europaparlaments entspricht. Ehler setzte zudem durch, dass auch deren Zulieferer etwa in der Grundstoffindustrie oder im Maschinenbau aufgenommen werden. Auf der Liste finden sich neben unstrittigen Bereichen wie Solar, Wind und Wärmepumpen auch politisch sensible wie die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) sowie dessen Transport – und wie Nukleartechnologien. Allerdings können die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, ob sie auch Atomkraftprojekte fördern.

Daneben können die Mitgliedstaaten geplante Fabriken als “strategische Projekte” einstufen, wenn sie diese als besonders wichtig für Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit einstufen. Dazu können auch Investitionen in die Dekarbonisierung von energieintensiven Industrien wie Stahl, Aluminium oder Zement zählen.

Kein zusätzliches Geld

Anders als der US-Inflation Reduction Act ist das EU-Gegenstück nicht mit massiven Finanzmitteln unterlegt. Ehler wollte die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, 20 Prozent ihrer nationalen Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandelssystem (ETS) zur Förderung von Netto-Null-Projekten einzusetzen. Die Regierungen ließen sich aber nur darauf ein, dies in einem nicht rechtsverbindlichen Erwägungsgrund aufzunehmen. Dennoch eröffne man damit die Diskussion, wie die Mitgliedstaaten ihre ETS-Einnahmen nutzten, sagte Ehler.

Auch von der Aufstockung des EU-Finanzrahmens profitieren die grünen Industrien finanziell kaum. Die dafür eigentlich vorgesehene neue Investitionsplattform STEP sieht hierfür kaum frisches Geld vor. Vor allem Deutschland hatte darauf gepocht, statt zehn Milliarden Euro zusätzlich für Fonds wie InvestEU nur 1,5 Milliarden zur Verfügung zu stellen, und die sind für den Europäischen Verteidigungsfonds reserviert.

Windindustrie lobt, BDI skeptisch

In der Windindustrie stößt der NZIA auch ohne frisches Geld auf Zustimmung. “Es mangelt weniger an Geld als an Tempo”, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie. Investoren stünden bereit, sie verzweifelten aber oft “an hyperkomplexen und überlangen Genehmigungsverfahren“. Eine zentrale Anlaufstelle sei gerade in Deutschland der Schlüssel, damit die Fristen auch eingehalten werden können.

Skeptischer bewertet Catrin Schiffer, Expertin beim Industrieverband BDI, das Gesetzesvorhaben. “Der NZIA hilft uns in Deutschland wenig, um die Projekte zu beschleunigen.” Die hiesigen Genehmigungsfristen lägen mit sechs beziehungsweise sieben Monaten deutlich unter den neuen EU-Vorgaben. Für Unternehmen gebe es auch bereits zentrale Anlaufstellen, die Bundesimmissionsschutzbehörden.

“Das Problem in Deutschland ist ein anderes: Die Fristen werden oft nicht eingehalten, weil die Verfahren mit Anforderungen überfrachtet wurden”, sagt Schiffer. Die Genehmigungsverfahren dauerten deshalb im Durchschnitt sechs Monate länger als im Bundesimmissionsschutzgesetz vorgesehen. Die Bundesregierung habe aber verstanden, dass hier Handlungsbedarf bestehe.

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Wissenschaftler Florian Berg: “Wenn wir wirklich Wirkung erzielen wollen, brauchen wir Impact-Ratings”

Florian Berg forscht an der MIT Sloan School of Management zu ESG-Ratings.

Herr Berg, das Konzept ESG steht in der Kritik. Ein Vorwurf lautet, es würde die sozial-ökologische Transformation nicht voranbringen. Wie blicken Sie als Forscher darauf?
Das ursprüngliche Anliegen von Unternehmen, sozial-verantwortlich zu wirtschaften, entwickelte sich aus normativen Erwägungen. ESG ist aber immer mehr zu einem Vehikel geworden, um Rendite zu maximieren, seitdem der “Who cares wins”-Report des UN Global Compact im Jahr 2004 das Konzept etabliert hat. Auf subtile Weise transportiert auch ESG die Botschaft, dass die Welt damit verändert werden kann. Es gibt aber Zweifel, ob das stimmt. Bislang gibt es keine Belege aus der Wissenschaft, die zeigen, dass ESG tatsächlich einen positiven Impact auf das soziale und ökologische Wohlergehen hat.

Profite zu maximieren und gleichzeitig Impact für Umwelt und Soziales zu erzielen, funktioniert also nicht?
Wer positiven Impact erzielen will, kann nicht gleichzeitig seine Rendite maximieren. Denn es ist mit zusätzlichen Kosten verbunden, wenn man zum Beispiel in Klimaschutz investiert. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir offen und ehrlich über diese Abwägung sprechen. Solange wir denken, dass ESG größere Wirkungen für die Transformation hat, als es eigentlich der Fall ist, besteht nämlich die Gefahr, sich zu sehr auf den Markt zu verlassen. Das wiederum kann dazu führen, dass Gesellschaften die Notwendigkeit unterschätzen, politisch etwas zu tun, während der Markt in Wirklichkeit die Rendite maximiert.

Welchen Mehrwert bieten ESG-Ratings dann noch?
Das Konzept ist und bleibt wichtig, um Unternehmen ganzheitlich bewerten zu können, denn wenn man beispielsweise in ein Start-up investieren will und sieht, dass fünf von zehn Mitarbeitern ausgetauscht werden, einen Monat, bevor man eine Beteiligung erwirbt, dann ist das ein Anhaltspunkt für Probleme im Unternehmen – etwa in der Unternehmensführung.

Gleichzeitig gibt es Analysen, die zeigen, dass es Unternehmen gibt, die Probleme angehen, wenn sie auf Grundlage von ESG-Daten darauf hingewiesen werden. Das ist die Wirkung, die sich mit dem Konzept erreichen lässt. Aber sie ist sehr begrenzt. Wenn wir mit Sustainable Finance wirklich Wirkung erzielen wollen, dann brauchen wir Impact-Fonds und Impact-Ratings.

Wie definieren Sie Impact?
Für Impact muss eine Wirkung erzielt werden, die sich ohne das Investment nicht materialisiert hätte. Es braucht Zusätzlichkeit, wie es im Fachjargon heißt. Das heißt: Ein Fonds, der zum Beispiel in erneuerbare Energien investiert, weil sie günstiger sind als Kohle, wäre kein Impact-Fonds. Das wäre ein traditioneller Fonds, in den Geld fließt, weil es aus wirtschaftlicher Sicht die richtige Entscheidung ist.

Halten Sie es für realistisch, die tatsächlichen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit von einzelnen Unternehmen auf Umwelt und Soziales zu messen?
Es ist sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, den ganzen Impact eines Unternehmens zu bewerten. Für einzelne Themen könnte es funktionieren – zum Beispiel für den Klimawandel. Man kann die CO₂-Emissionen messen, die das Unternehmen ausstößt, und sehen, ob es sich etwa an der Forschung und Entwicklung von Lösungen für den Klimawandel beteiligt. Wirklich kompliziert wird es, wenn es um den positiven Impact von Produkten geht. Wie misst man den Nutzen, den ein bestimmtes Produkt für Verbraucher hat? Daher liegen dort aus meiner Sicht die Grenzen der Folgenabschätzung. Ein praktikabler Weg könnte sein, thematische Impact-Fonds zu haben – etwa mit Fokus auf Klimaschutz, Diversität oder Korruptionsvermeidung.

Wie lassen sich die bestehenden ESG-Ratings besser machen? Die Bewertung eines Unternehmens scheint aktuell ja abhängig davon zu sein, welche Rating-Agentur man fragt.
Ja, ein Problem der ESG-Ratings ist, dass sie nicht miteinander korrelieren. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist, dass jede Rating-Agentur eine andere Definition von Nachhaltigkeit hat oder ob E-, S- oder G-Faktoren wichtiger sind. Das ist in Ordnung, denn die Meinungen gehen einfach auseinander.

Viel problematischer ist, dass verschiedene Rating-Agenturen dieselbe Sache unterschiedlich messen. Und dementsprechend auch zu teils völlig unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Es gibt zwar statistische Lösungen, um das sogenannte Rauschen in der Messung zu verringern, das habe ich mit Kollegen in einem Forschungspapier gezeigt. Aber ich glaube, dass Regulierung eine große Rolle spielen muss, um die Ratings besser zu machen.

Was kann Regulierung zur Erhöhung der Qualität von ESG-Ratings beitragen?
Es braucht Regeln für die Transparenz von ESG-Ratings, die Rechenschaftspflicht von ESG-Rating-Agenturen und die Vermeidung von Interessenskonflikten. Das bedeutet: Agenturen müssen transparent darüber sein, wie sie ESG messen. Denn ohne die Möglichkeit, Ratings zu überprüfen, gibt es auch keine Chance auf qualitative Anpassungen. Zudem sollte es Verfahren geben, die es Unternehmen erlauben, in den Dialog mit der Rating-Agentur zu treten, um eventuell fehlerhafte Bewertungen zu besprechen. Und es sollte Regeln dafür geben, um Interessenskonflikte zu vermeiden, die durch ESG-Rating und Beratung im gleichen Unternehmen entstehen.

Die neue EU-Verordnung über die Transparenz und Integrität von Rating-Tätigkeiten im ESG-Bereich ist dafür aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung.

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Welche Auswirkungen die neue EU-Verordnung auf den bisher unregulierten Markt der ESG-Ratings hat

Bankenviertel in Frankfurt am Main: Künftig mehr Durchblick bei ESG-Ratings.

Das Europäische Parlament (EP) und der Rat haben sich am Montag auf Regeln für die Regulierung des ESG-Rating-Marktes geeinigt. Kern der Verordnung zur Transparenz und Integrität von ESG-Rating-Tätigkeiten ist, dass Anbieter von ESG-Ratings künftig unter der Aufsicht der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) stehen und Transparenzanforderungen erfüllen müssen. Wenn die Institutionen die Verordnung formal angenommen haben, gelten die neuen Regeln 18 Monate nach Inkrafttreten.

ESG-Rating-Anbieter sollen künftig separate Bewertungen für die Kategorien Umwelt, Soziales und Governance veröffentlichen, statt ein aggregiertes Rating für alle. Wenn sie doch nur eine übergreifende Bewertung nutzen, müssen sie laut Vereinbarung von EP und Rat Auskunft über die Gewichtung der einzelnen Faktoren sowie über die Methode zur Gewichtung geben. Zudem müssen die Anbieter darüber informieren, ob ein Rating für Umwelt das Pariser Klimaziel berücksichtigt. Bei Sozialem und Governance braucht es Angaben zur Berücksichtigung von internationalen Übereinkommen.

Zudem werden ESG-Rating-Anbieter verpflichtet, Angaben zur “Wesentlichkeit” zu machen – also ob das Rating nur Auswirkungen, etwa durch den Klimawandel, auf das Unternehmen berücksichtigt oder auch die Folgen der Geschäftstätigkeit für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Für kleine Rating-Anbieter sieht die Verordnung Ausnahmen vor. Dazu gehört etwa, dass sie die ersten drei Jahre nach ihrer Gründung keine Aufsichtsgebühren an die ESMA zahlen müssen oder dass die Behörde sie in gut begründeten Fällen von bestimmten Anforderungen befreien kann.

Um Interessenskonflikte zu vermeiden, müssen ESG-Rating-Anbieter, die gleichzeitig Leistungen wie Beratung, Wirtschaftsprüfung oder Kreditrating anbieten, das Rating-Geschäft von den anderen Bereichen trennen. Andere Unternehmen sind mindestens verpflichtet, klare Maßnahmen zu ergreifen, die Interessenskonflikte verhindern.

Mehr Licht in die Black-Box, aber kein Level-Playing-Field

Fachleute nehmen die Einigung größtenteils positiv auf. “Die politische Einigung begrüßen wir sehr, denn sie wird für deutlich mehr Qualität im bisher unregulierten Markt der ESG-Ratings sorgen”, sagt etwa Henrik Pontzen, Abteilungsleiter ESG im Portfoliomanagement bei Union Investment.

Für Silke Stremlau betrifft die wichtigste Neuerung die Transparenzanforderungen an ESG-Rating-Anbieter. “Damit kommt endlich mehr Licht in die Black-Box einiger Anbieter”, sagt die Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung. Sie hätte es aber gut gefunden, wenn auch Anbieter von Ratings und Indizes eine juristische Trennung hätten vornehmen müssen. “Ich hoffe, dass die ESMA hier genügend Kontrollmöglichkeiten hat, um Interessenskonflikte aufzudecken”, ergänzt Stremlau.

Für Julia Haake, Vorsitzende der European Association of Sustainability Rating Agencies, ist die Regulierung auch ein Schritt in die richtige Richtung. “Allerdings sind wir immer noch besorgt, dass kleine und mittelgroße europäische Anbieter durch die Regulierung benachteiligt werden, weil es für sie schwieriger sein wird, die dadurch stark steigenden Kosten zu tragen, als für große Player”, sagt Haake, die auch Head of ESG Rating Agency bei Ethifinance ist. Sie habe “nicht den Eindruck, dass ein Level-Playing-Field geschaffen wird”.

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Termine

8. Februar 2024, 19-21 Uhr, Tübingen
Vortrag Das Cyber Valley in den Medien (Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Stiftung) Info & Anmeldung

9. Februar 2024, 10-11:15 Uhr, Online
Webinar Auf zur nächsten Konferenz – So steigern Sie die Nachhaltigkeit Ihrer Geschäftsreise (Veranstalter: Wirtschaft pro Klima) Info & Anmeldung

10. Februar 2024, 14-15:30 Uhr, Karlsruhe
Diskussion Zukunftsfähiges Europa: Klimaschutz und Wirtschaft gemeinsam denken (Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung) Info & Anmeldung

12. Februar 2024, 19-21 Uhr, Frankfurt am Main
Vortrag Eine sozialgerechte, (klein-)bäuerliche und ökologische Landwirtschaft? (Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Stiftung) Info & Anmeldung

14. Februar 2024, 19-20:30 Uhr, Kiel
Diskussion Klimaschutz – aber ohne Kostenexplosion! – Marktwirtschaftlich orientierte Klimapolitik (Veranstalter: Friedrich-Naumann-Stiftung) Info & Anmeldung

15. Februar 2024, 18:30 Uhr, Berlin
Diskussion Wirtschaftliche Souveränität Europas: Energie, Computerchips & Co. – wie autonom will die EU sein? (Veranstalter: Konrad Adenauer-Stiftung) Info & Anmeldung

15. bis 16. Februar 2024, Schwerte
Tagung Klimarobustes Wassermanagement in ländlichen Räumen (Veranstalter: Institut für Kirche und Gesellschaft) Info & Anmeldung

16. Februar 2024, Karlsruhe
Seminar Wirtschaft: sozial und nachhaltig? (Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung) Info & Anmeldung

16. bis 18. Februar 2024, Bad Staffelstein
Seminar Klimawandel als sicherheitspolitische Herausforderung (Veranstalter: Hanns-Seidel-Stiftung) Info & Anmeldung

News

EU-Lieferkettengesetz: Deutschland wird sich enthalten

Nach Angaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wird sich Deutschland in der Abstimmung um das EU-Lieferkettengesetz enthalten müssen. Die Bemühungen um eine Zustimmung seien endgültig gescheitert, da die FDP nicht bereit sei, den von ihm vorgeschlagenen Lösungsweg mitzugehen, sagte er am Dienstag. Bis zum heutigen Mittwoch wollte sich die Bundesregierung auf eine gemeinsame Position einigen, um am Freitag im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) des Rats abzustimmen.

“Dass sich Deutschland aufgrund einer ideologisch motivierten Blockade der FDP bei der anstehenden Abstimmung enthalten muss, enttäuscht mich sehr”, sagte Heil. “Eine EU-Lieferkettenrichtlinie stärkt die Menschenrechte in internationalen Handelsbeziehungen, wenn es etwa darum geht, Kinder- und Zwangsarbeit zu bekämpfen.”

Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann (beide FDP) hatten vergangene Woche erklärt, sie würden das EU-Lieferkettengesetz nicht mittragen. Heil hatte daraufhin noch einmal verstärkt für eine Zustimmung geworben und ein Maßnahmenpaket für die Entlastung von Unternehmen vorgelegt. Die FDP habe diesen Kompromiss jedoch definitiv abgelehnt.

Deutschlands Enthaltung wird “Nein” gleichkommen

Der Arbeitsminister warf dem Koalitionspartner vor, sich einem Bürokratieabbau versperrt zu haben. Die Enthaltung werde zudem bei EU-Partnern nicht gut ankommen. “Ich halte das für falsch, auch weil eine deutsche Enthaltung bei anderen Partnern in Europa auf Unverständnis treffen wird.”

Im Ergebnis der Abstimmung im Rat wird eine Enthaltung Deutschlands einem Nein gleichkommen. Damit steht das Vorhaben insgesamt auf der Kippe. Viele Mitgliedstaaten haben ihre Position zwar noch nicht endgültig festgelegt, mehrere hatten jedoch Bedenken geäußert. Ob die erforderliche qualifizierte Mehrheit für das Gesetz zustande kommt, ist deshalb fraglich.

Die FDP setzt mit ihrer Blockade die Forderung mehrerer deutscher Wirtschaftsverbände durch, die sich gegen die Lieferkettenrichtlinie gestellt hatten. Michelle Trimborn, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz, bezeichnete die Position der Bundesregierung als “Armutszeugnis für die Demokratie und für den Menschenrechtsschutz“. Alle Beteiligten würden “durch dieses unsägliche Verhalten” verlieren: die Bundesregierung, die deutsche Wirtschaft und vor allem die Betroffenen in den Lieferketten weltweit.

Auch die Grundwertekommission der SPD hatte gestern ein Plädoyer für das Lieferkettengesetz veröffentlicht. “Es wäre (…) ein fatales Signal, wenn Deutschland nun erneut am Ende der Verhandlungen mit einem ,German Vote’ ausscherte”, heißt es darin. “Deutschland kann nicht von Ungarn und anderen EU-Mitgliedstaaten einfordern, sich an gefasste Beschlüsse und Kompromisse der EU-Gremien zu halten, und es selbst nicht zu tun.” leo/rtr

  • Lieferkettengesetz

Recht auf Reparatur: Was Hersteller leisten müssen

Rat und EU-Parlament haben sich auf die Richtlinie zum Recht auf Reparatur geeinigt. Das Ziel des Entwurfs wird aufrechterhalten, die Möglichkeiten zur Reparatur von Produkten innerhalb der gesetzlichen Gewährleistung und darüber hinaus zu verbessern. Das Trilogergebnis sieht jedoch Änderungen in Bezug auf den Anwendungsbereich, die Verpflichtung zur Reparatur, den Inhalt des Informationsformulars und die Online-Plattform vor.

Die EU-Kommission hatte den Gesetzentwurf im März 2023 vorgestellt. Parlament und Rat haben seitdem in enormem Tempo daran gearbeitet, um die Richtlinie noch vor Ende der Legislaturperiode zu verabschieden. Der Berichterstatter im Parlament, René Repasi (SPD), sagte nach dem Trilog: “Mit der heutigen Einigung sind wir der Einführung eines Verbraucherrechts auf Reparatur näher gekommen.” In Zukunft werde es einfacher und billiger sein, Produkte reparieren zu lassen, anstatt neue, teure Produkte zu kaufen.

Reparaturangebote auch nach Ablauf der Garantie

Der verhandelte Gesetzestext hält das Recht von Verbraucherinnen und Verbrauchern aufrecht, im Falle eines defekten Produkts zwischen Reparatur und Ersatz auszuwählen. Hersteller sind allerdings verpflichtet, auch nach Ablauf der gesetzlichen Garantie für bestimmte Produkte Reparaturen anzubieten und auf ihrer Website über Ersatzteile zu informieren. Dazu zählen Geräte, für die nach EU-Recht Reparaturanforderungen gelten: unter anderem Waschmaschinen, Geschirrspüler, Kühlschränke, Fernseher, Staubsauger, Tablets und Smartphones. Über die Ökodesign-Verordnung kann die Kommission weitere Produkte auf die Liste setzen.

Verbraucher müssen über diese Reparaturpflicht informiert werden und kostenlosen Online-Zugang zu vorläufigen Reparaturpreisen haben. Während einer Reparatur muss es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglicht werden, sich ein Ersatzgerät auszuleihen. Nach der Reparatur wird die gesetzliche Garantie um ein zusätzliches Jahr verlängert.

Mitgliedstaaten sollen finanzielle Anreize für Reparatur schaffen

Darüber hinaus enthält das Ergebnis der Verhandlungen folgende Vorgaben:

  • Das Parlament hatte sich für finanzielle Anreize für Reparaturen eingesetzt. Laut der Einigung soll jeder Mitgliedstaat mindestens eine Maßnahme zur Förderung von Reparaturen einführen. Dies könnten zum Beispiel Reparaturgutscheine und -fonds, Informationskampagnen, Reparaturkurse, Unterstützung für gemeinschaftlich betriebene Reparaturwerkstätten oder eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Reparaturdienstleistungen sein.
  • Eine europäische Online-Plattform soll eingerichtet werden. Über diese können die Verbraucher in allen EU-Ländern lokale Reparaturwerkstätten, Verkäufer von aufgearbeiteten Waren, Käufer von defekten Artikeln oder Reparaturinitiativen wie Reparatur-Cafés finden.
  • Hersteller müssen Ersatzteile und Werkzeuge zu einem angemessenen Preis zur Verfügung stellen. Sie dürfen keine Vertragsklauseln, Hardware- oder Softwaretechniken verwenden, um Reparaturen zu behindern.

“Nächste EU-Kommission muss Arbeit am Ökodesign fortsetzen”

Die europäische Right-to-Repair-Kampagne, ein Zusammenschluss von NGOs, bezeichnete die Einigung als einen “Schritt in die richtige Richtung für bezahlbare Reparaturen”. Sie kritisierte jedoch den schmalen Anwendungsbereich: In der nächsten Legislaturperiode müsse die Gesetzgebung mehr Produktkategorien abdecken. “Die nächste EU-Kommission muss den Staffelstab übernehmen und die Arbeit am Ökodesign fortsetzen, um Regeln für die Reparierbarkeit von mehr Produkten sicherzustellen”, erklärte Cristina Ganapini, die Koordinatorin der Kampagne. Währenddessen sei es wichtig, dass die nationalen Regierungen Reparaturfonds einrichten.

Das Ergebnis der Verhandlungen muss nun noch formal vom Parlament und vom Rat angenommen werden. leo

  • Recht auf Reparatur

Wachstumspakt: Union stellt Bedingungen

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat eine Zustimmung zum Wachstumschancengesetz der Ampel an mehr Bürokratieabbau sowie die Rücknahme der Kürzungen beim Agrardiesel geknüpft. In einer informellen Sitzung der Wirtschafts- und Finanzpolitiker der Union am Montagabend einigte man sich auf diese Punkte: 

  • Die Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter soll nur für ein Jahr wieder eingeführt werden (Kosten rund 1 Milliarde Euro).
  • Der Verlustvortrag soll befristet nur auf 70 Prozent angehoben werden (ohne Gewerbesteuer).
  • Die von der Koalition geplante Mitteilungspflicht von inländischer Steuergestaltung soll gestrichen werden.
  • Der geplanten Klimaschutz-Investitionsprämie soll nur unter der Bedingung zugestimmt werden, dass Administration und Auszahlung ausschließlich durch eine Bundesbehörde erfolgt.
  • Die geplante Abschaffung der Steuerrabatte beim Agrardiesel soll komplett zurückgenommen werden. Dazu soll sich die Bundesregierung in einer Protokollerklärung verpflichten. 

Zum letzten Punkt hieß es in der Union, es könne nicht sein, dass die Entlastungen für Wirtschaft und Mittelstand insgesamt durch die Belastung einer einzelnen Branche gegenfinanziert werde. Die Kritikpunkte seien mit den CDU-regierten Ländern besprochen worden und sollen nun in die Verhandlungen mit der Ampel eingebracht werden. mb

  • Haushalt
  • Haushaltskrise
  • Union

Handwerk: Nachhaltigkeitscheck ab sofort bundesweit

Das Handwerk will seinen Beitrag zur Erreichung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele leisten. Deshalb steht der Nachhaltigkeitscheck 360° ab dem 8. Februar 2024 bundesweit zur Verfügung. Das Beratungsangebot geht auf eine Initiative der Handwerkskammer Dortmund zurück. Eine Pilotphase endete im vergangenen Jahr.

“Allein im Kammerbezirk Dortmund haben wir bereits über 40 Unternehmen erfolgreich beraten können und durchweg positive Rückmeldungen erhalten”, resümiert Carsten Harder, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dortmund. Aus seiner Sicht liegt das vor allem daran, dass der Nachhaltigkeitscheck 360° einen überschaubaren Zeitaufwand mit inhaltlicher Tiefe verbinde. “Wir teilen gern unser Know-how und freuen uns, dass Handwerkskammern im gesamten Bundesgebiet den Check zur Unterstützung ihrer Betriebe einsetzen möchten”, so Harder.

Vor-Ort-Check dauert drei Stunden

Der Check soll Handwerksbetriebe an die Nachhaltigkeitsziele heranführen und ihnen helfen, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und die nächsten Schritte zu definieren. “Ob hochwertige Bildung, Einsatz erneuerbarer Energien oder faire Bezahlung: Nachhaltigkeit ist seit jeher Teil der DNA des Handwerks”, unterstreicht Berthold Schröder, Präsident des Westdeutschen Handwerkskammertages (WHKT).

Zur Durchführung des Checks kommen Berater der Handwerkskammern in den Betrieb. Er erfolgt auf Basis eines intensiven Gesprächs und dauert maximal drei Stunden. Das Ergebnis wird dokumentiert und eine Übersicht über die betriebliche Nachhaltigkeitsperformance erstellt.

“Nachhaltigkeit ist komplex und vielseitig und manchmal schwer zu durchdringen”, erklärt WHKT-Hauptgeschäftsführer Florian Hartmann. “Mit dem Nachhaltigkeitscheck 360° sorgen wir dafür, dass Handwerksbetriebe mit einem praxisnahen Instrument ihre Potenziale erkennen, um sich zukunftssicher aufzustellen.” Einen ersten Eindruck davon vermittelt das YouTube-Video “Was ist der Nachhaltigkeitscheck?”. ch

  • KMU
  • Nachhaltigkeit

Presseschau

“Lasst uns doch smarter arbeiten – nicht mehr” – Manager Magazin
45 deutsche Unternehmen testen sechs Monate lang die Vier-Tage-Woche. Warum? Tom Jaeger, Chef eines Handwerksbetriebs mit 30 Mitarbeitenden, sagt in dem Interview mit Florian Gontek: So könne er sich von anderen Arbeitgebern positiv abheben. Bedenken, dass die Wirtschaft gefährdet wäre, wenn alle so arbeiten würden, hat er nicht. “Das ist mir zu konservativ.” Zum Artikel

Insekten statt Soja – Farminsect will Tierfutter nachhaltiger machen – Handelsblatt
Landwirte, die Insekten statt Soja und Fischmehl an ihre Tiere verfüttern, sparen Geld und CO₂, sagt das Start-up Farminsect, und hat bereits zehn Millionen Euro Kapital eingesammelt. Jetzt verkauft es Anlagen, mit denen Bauern Insekten bei 30 Grad selbst mästen können. Wie das konkret funktioniert, erklärt Katrin Terpitz. Zum Artikel

“Eine Tonne CO₂ ist immer eine Tonne CO₂” – Die Tageszeitung
Biodiversitätsgutschriften seien ein neuer Hype auf den Finanzmärkten, sagt der Umweltökonom Sophus zu Ermgassen von der Universität Oxford im Interview mit Christian Mihatsch. Aber von der Mobilisierung von privatem Geld für den Naturschutz zu einer neuen Art des Greenwashings sei es nicht weit. Zum Artikel

How the U.S. Became the World’s Biggest Gas Supplier – New York Times
In nur acht Jahren haben sich die USA von einem Land, das kaum Gas nach Übersee verkauft, zur weltweiten Nummer eins der Gaslieferanten entwickelt. Klimaaktivisten befürchten jedoch, dass die steigenden Flüssiggasexporte die globale Erwärmung noch verstärken könnten, berichten Brad Plumer und Nadja Popovich. Zum Artikel

Der Kahlschlag – Spiegel
In einem internen Dokument, aus dem Serafin Reiber berichtet, finden sich gestrichene Ausbauprojekte der Bahn, darunter etwa der dringende Ausbau der Güterstrecke von Uelzen nach Halle. Die Details zeigen: Eine Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene droht in weite Ferne zu rücken. Zum Artikel

T-Shirts aus Vietnam, Autos aus China – wer schaut, wie Lieferanten produzieren? – Der Standard
Die EU hat Lieferprobleme beim Lieferkettengesetz, schreibt Regina Bruckner: Widerstand gegen die geplanten neuen Vorschriften gibt es nicht nur in Berlin, sondern auch in Österreich, wo im Nationalrat kürzlich emotional debattiert wurde. Zum Artikel

Umfrage: “ESG ist ein reales Prozessrisiko” – FAZ
Viele Konzernjuristen haben ESG-Konflikte ganz oben auf ihrer Liste, zeigt eine Umfrage, die sich Marcus Jung genauer angesehen hat. Demnach wird 2024 auch im Arbeitsrecht deutlich mehr gestritten. Zum Artikel

Kautschuk für Autoreifen: Wo das Lieferkettengesetz an Grenzen stößt – ZDF
Das EU-Lieferkettengesetz soll garantieren, dass nach Europa keine Rohstoffe kommen, für die Regenwald gerodet wurde. Doch gerade bei Kautschuk ist dies kaum möglich, hat Berndt Welz herausgefunden. Zum Artikel

Standpunkt

Wachstum adé?

Von Sara Holzmann und Marcus Wortmann
Die Ökonomin Sara Holzmann und der Ökonom Marcus Wortmann sind bei der Bertelsmann Stiftung im Programm Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft tätig.

“Grünes Wachstum” lautete oft die Schlüsselformel, um angesichts multipler Umweltkrisen auch in Zukunft noch materiellen Wohlstand steigern zu können. Würde durch die rasche Umstellung auf grüne Produktionstechnologien klimafreundliches Wirtschaftswachstum erzeugt, könnte die Klimakrise eingedämmt und die Industrienation Deutschland zu neuer Stärke geführt werden, so die Logik. Der Bundeskanzler sprach vergangenes Jahr sogar von einem neuen Wirtschaftswunder durch Klimaschutzinvestitionen. Doch davon ist derzeit nichts zu spüren. Im Gegenteil: Zuletzt sank das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3 Prozent. 

Grün ist nicht gleich grün

Wie steht es also um das Wirtschaftswachstum in der ökologischen Transformation? Grünes Wachstum klang immer nach einem idealen Transformationsversprechen, dessen sich die Wirtschaftspolitik gern bediente. Doch was wir ökonomisch händeringend erreichen wollen, kann ökologisch problematisch sein und zum Greenwashing einladen.

Denn das Konzept meint zunächst nichts weiter, als dass unsere Emissionen sinken, während das BIP wächst – der Faktor Zeit spielt dabei keine Rolle. Wirtschaftswachstum ist ehrlicherweise aber nur dann “grün”, wenn die jährliche Minderungsrate beim CO₂ die Steigerungsrate des BIP so weit übertrifft, dass das Einhalten des deutschen CO₂-Restbudgets für das internationale 1,5-Grad-Ziel oder die Klimaneutralität 2045 auch tatsächlich gewährleistet ist.

Es geht also um eine rasche Entkopplung von Wirtschaftskraft und Treibhausgasemissionen und damit um die Rate, mit der die Emissionsintensität in den nächsten 21 Jahren sinkt. Nur wenn sich diese Relation stark genug verbessert, würde in einem klimaneutralen Deutschland auch noch unser derzeitiges Wohlstandsniveau vorherrschen. Die Losung sollte also zunächst einmal “grünes BIP” lauten.

Entkopplungsfortschritte sind viel zu gering

Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Wenn sich die jüngsten Emissionsschätzungen für das vergangene Jahr bewahrheiteten, entfielen 2023 auf jede Milliarde Euro des BIP in Deutschland 206.000 Tonnen CO₂-Äquivalente Treibhausgasemissionen. Das wäre zwar erstaunlich viel weniger als in den Vorjahren, doch um ab 2045 klimaneutral zu wirtschaften, müsste diese Emissionsintensität durchschnittlich um etwa zehn Prozent jedes Jahr sinken. Wollen wir bis dahin auch noch wachsen – zum Beispiel um 1,21 Prozent wie im Schnitt seit 1991 – müsste sie sogar um 11,29 Prozent pro Jahr abnehmen. Nur dann könnte von einem wirklich grünen Wachstum und einem ökologisch nachhaltigem BIP gesprochen werden.

Das Problem ist, dass unsere Emissionsintensität über die vergangenen drei Jahrzehnte nur jährlich um durchschnittlich drei Prozent abgenommen hat und diese Entkopplungsfortschritte sich von Jahr zu Jahr recht unbeständig darstellten – trotz einer gewissen Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit. So dürfte die Emissionsintensität 2023 zwar historisch stark um 9,5 Prozent gesunken sein. Dies ist jedoch vor allem mit der Krisensituation und Produktionseinbußen der energieintensiven Industrie zu begründen – kein besonders nachhaltiger Klimaschutzerfolg.

Sollten wir unseren Entkopplungsfortschritt also nicht sehr bald oberhalb dieses Niveaus stabilisieren, würden wir auch bei vermeintlich grünem Wachstum unsere Klimaziele klar verfehlen. Oder nehmen wir die Klimaziele ernst, stünde uns eine Schrumpfung beispiellosen Ausmaßes bevor. Denn bei einer fortgesetzten langjährigen Entkopplungsrate um besagte drei Prozent wäre 2045 nur noch etwa ein Fünftel des heutigen BIP möglich – rund 80 Prozent unseres materiellen Wohlstands wären verloren.

Investieren statt Schrumpfen

Zu einer solchen wirtschaftlichen Schrumpfung in die Klimaneutralität darf es nicht kommen, denn dies würde nicht nur den Wohlstand, sondern voraussichtlich auch die Zustimmung zum Klimaschutz und den sozialen Frieden kosten. Bei einer breiten Deindustrialisierung wäre obendrein auch mit Verlagerungen von Emissionen ins Ausland und neuen Importabhängigkeiten zu rechnen. Was also tun, um die Emissionsintensität Deutschlands drastisch zu senken und materiellen Wohlstand über 2045 hinaus zu sichern?

Der zentrale Hebel sind massive Investitionen: in klimafreundliche Produktionsanlagen, in erneuerbare Energien, in post-fossile Infrastrukturen. Dazu braucht es vor allem privatwirtschaftliches Geld, investiert von Unternehmen, die grünen Stahl herstellen und Familien, die ihr Eigenheim energetisch sanieren. Doch die Finanzpolitik spielt aufgrund ihrer Signal- und Lenkungswirkung die entscheidende Rolle. Hier darf nicht gespart werden. Nur wenn der Staat verlässliche Rahmenbedingungen für klimaneutrale Alternativen schafft und deren Wirtschaftlichkeit absichert, entsteht für den privaten Sektor ein sicheres Investitionsumfeld. 

Nicht beirren lassen

Klimaschutzverträge, staatliche Investitionshilfen und Infrastrukturförderung zeigen in die richtige Richtung. Doch selbst wenn bei hohen Zinsen eine grüne Investitionsoffensive in Gang käme, wäre eine schnelle Rückkehr des Wachstums keine Gewissheit. Denn dafür müssten etwaige Produktivitätsgewinne die bevorstehenden Kapazitätsengpässe, vor allem bei den Fachkräften, so weit überkompensieren, dass die Leistungskapazitäten der deutschen Wirtschaft wieder steigen. Bis zu dieser Rendite dürften voraussichtlich allein wegen des demografischen Wandels weitere Jahre eines eher geringen Wachstums vergehen. Grüne Wirtschaftswunder wären erst bei hinreichenden Entkopplungserfolgen denkbar.

Dennoch ist und bleibt ein breiter Investitionsschub der einzige Weg, mit grünen Zukunftstechnologien unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und damit ein Beispiel für den Erfolg des historischen Entkopplungsprojektes zu setzen, bei dem materieller Wohlstand, grünes Wachstum und planetare Grenzen in Einklang kommen. Von diesem Weg dürfen wir uns weder durch vorerst magere Jahre, noch durch veraltete Schuldenregeln oder vermeintliche Sparzwänge abbringen lassen.

Sara Holzmann ist Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung im Arbeitsschwerpunkt Economics of Transformation. Sie beschäftigt sich mit den umweltökonomischen und klimapolitischen Fragestellungen der Nachhaltigkeitstransformation. Marcus Wortmann ist Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung im Programm Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft und leitet den Themenschwerpunkt Economics of Transformation. Zuvor forschte und lehrte er am Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftspolitik an der Georg-August-Universität Göttingen.

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ESG.Table Redaktion

ESG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    in diesen Tagen stehen einige wegweisende Beschlüsse und Entscheidungen an. Da ist zum einen das neue Klimaziel, die CO₂-Emissionen bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Es wird, zusammen mit der Carbon-Management-Strategie, weitreichende Folgen für die Industrie haben. Welche sich schon abzeichnen, analysiert Manuel Berkel.

    Beim sogenannten Recht auf Reparatur haben sich der Rat und das EU-Parlament jetzt auf ihre Richtlinie geeinigt. Verbraucher sollen viel häufiger als bislang die Chance bekommen, defekte Produkte wieder flott machen zu lassen. Was daraus für Hersteller folgt und was sie anbieten müssen, erklärt Leonie Düngefeld

    Außerdem plant die EU, ESG-Rating-Agenturen mehr Regeln aufzuerlegen. Deren Arbeit bleibt oft intransparent und zum Teil widersprüchlich – das soll sich jetzt ändern. Nicolas Heronymus hat sich damit auseinandergesetzt. 

    In Deutschland hat die Bundesregierung derweil ihre Kraftwerkstrategie vorgelegt. Oder zumindest das, was sie “Strategie” nennt. Ob das allerdings schon ausreicht, um, wie geplant, die sogenannten Dunkelflauten auszugleichen und die Treibhausgasemissionen, die aus der Kohleverstromung resultieren, herunterzufahren, muss momentan bezweifelt werden. Alex Veit hat mit Experten gesprochen und erläutert die Details.

    Und am Freitag steht die Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz an. Arbeitsminister Hubertus Heil hat erklärt, dass die Bemühungen, die FDP umzustimmen, endgültig gescheitert seien – Deutschland werde dem Gesetz also nicht zustimmen, sondern sich enthalten. Was das für die anderen Länder bedeutet, ist noch nicht ganz klar. Die Verhandlungen bleiben ein Krimi.

    Ihr
    Marc Winkelmann
    Bild von Marc  Winkelmann

    Analyse

    EU-Klimaziel 2040: Für die Industrie hat die europäische Strategie zum Carbon Management umwälzende Wirkung

    Das norwegische CCS-Projekt Northern Lights wirbt auch um die Speicherung von CO₂ aus der EU.

    Als Fixstern, an dem sich alle Klimagesetze orientieren, hat der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss die Mitteilung der EU-Kommission zum Klimaziel 2040 bezeichnet. Handfeste Gesetzentwürfe zu einzelnen Wirtschaftsbereichen werden zwar noch auf sich warten lassen, etwa die Erhöhung der Wind-, Solar- und Wasserstoffziele in der Erneuerbaren-Richtlinie. Doch welche Folgen eine Dekarbonisierung um 90 statt 55 Prozent für welche Sektoren hat, lässt sich aus dem am Dienstag vorgelegten Gesamtpaket schon gut ableiten.

    Da ist etwa die umfangreiche Folgenabschätzung zum Vorschlag der Kommission. Ein Ziel von minus 90 Prozent Treibhausgasen liegt genau zwischen den Szenarien zwei und drei aus dem hunderte Seiten umfassenden Impact Assessment.

    Keine CO₂-Speicher auf deutschem Festland

    Deren Unterschiede liegen vor allem im stärkeren Gebrauch von synthetischen Kraft- und Brennstoffen (E-Fuels) und der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS). Zum Carbon Management hat die Kommission am Dienstag auch eine eigene Strategie veröffentlicht, die vor allem für Industrie und Landwirtschaft Bedeutung hat – und nicht zuletzt für die bevorstehende Strategie der Bundesregierung zum gleichen Thema.

    Bis 2030 müssen 7.300 Kilometer an CO₂-Transportleitungen und Schiffsrouten eingerichtet werden, wie aus dem EU-Papier hervorgeht. Bis 2050 soll das Netz auf 19.000 Kilometer anwachsen. Dafür hält die Kommission 16 Milliarden Euro an Investitionen für nötig. Eine ausführliche Darstellung eines möglichen CO₂-Transportnetzes enthält eine ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Analyse des Joint Research Centre (JRC) der EU. In keinem Szenario sind darin CO₂-Speicher auf dem deutschen Festland nötig.

    Auch kleine Industriebetriebe sollen Anschluss an CO₂-Netz erhalten

    Ziel der Kommission ist ein europäischer Markt für Kohlendioxid. Besonders interessant für die vielen kleineren Industriebetriebe in Deutschland dürfte sein, dass die Kommission spezielle Lösungen für Anlagen abseits der industriellen Ballungsgebiete entwickeln will, um deren “Verhandlungsmacht gegenüber den Infrastrukturbetreibern zu stärken”, sodass auch sie an das Netz angeschlossen werden.

    Schon 2024 will die Kommission mit den Arbeiten an mehreren Gesetzen beginnen: einem eigenen Regulierungspaket ähnlich dem Gasbinnenmarktpaket und einer Grundlage für die Netzplanung. Wenn möglich sollen auch vorhandene Gasleitungen und Speicher umgebaut werden – wobei grüne Gase wie Wasserstoff ausdrücklich Vorrang haben.

    Projektförderung für CCS vielleicht bald nicht mehr nötig

    Ähnlich wie für Wasserstoff und Erdgas soll es bis Anfang 2026 außerdem eine neue Plattform geben, um Anbieter, Nutzer und Speicherbetreiber im künftigen CO₂-Markt zusammenzubringen. Gleichzeitig soll ein Investitionsatlas für Speicherprojekte vorliegen. Schon vor 2030 sollen die ersten Speicherkapazitäten verfügbar sein. Schon bis Juni dieses Jahres müssen die EU-Staaten eine Übersicht über Speichermöglichkeiten in ihren Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECPs) vorlegen.

    Die Kosten für die CO₂-Abscheidung schwanken nach einer Analyse der Kommission erheblich – pro Tonne sollen sie 13 bis 103 Euro betragen – ohne Transport und Speicherung. Der Preis für CO₂-Futures im Jahr 2030 liegt derzeit etwa bei 77 Euro, sodass sich ein Großteil der Projekte bereits rechnen könnte. Ab dem kommenden Jahrzehnt könne so ein Markt für Carbon Management mit einem Volumen von 45 bis 100 Milliarden Euro entstehen. Als Konsequenz will die Kommission im kommenden Jahr prüfen, ob die bisher übliche Projektförderung etwa für Zementhersteller durch eine marktbasierte Förderung abgelöst werden kann.

    Negative Emissionen für zehn Prozent der Stromerzeugung

    Eine Rolle spielen soll CCS auch im Energiesektor. Wie sich in Entwürfen bereits abgezeichnet hatte, hat die Kommission nicht mehr den Ehrgeiz, die Stromversorgung bis 2040 komplett frei von Erdgas zu machen. Stattdessen rechnet sie nur noch damit, dass Erneuerbare und Kernenergie gut 90 Prozent des Stroms erzeugen: “Die verbleibenden zehn Prozent werden durch negative Emissionen kompensiert oder mit kohlenstoffarmen Lösungen, einschließlich der Nutzung von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, ausgestattet.”

    Noch vor einigen Jahren galt CCS für Gas- oder gar Kohlekraftwerke als politisch tot. Inzwischen hält sich sogar die Ampel diese Hintertür in ihrer Kraftwerksstrategie offen und hat die Entscheidung über diese Technologie auf ihre eigene Carbon-Management-Strategie vertagt.

    Anteil von Verbrenner-Pkw sinkt bis 2040 auf ein Viertel

    Fahrt aufnehmen wird laut EU-Kommission die Elektromobilität. Bis 2040 werden Verbrenner nur noch 26 Prozent des Pkw-Bestands ausmachen, wie aus der Folgenabschätzung hervorgeht. Zehn Jahre später sollen es gar nur noch Restbestände von zwei Prozent sein. Entsprechend wird der Anteil von batterieelektrischen Autos 2040 bei 57 Prozent liegen, 2050 bei 79 Prozent.

    Überraschenderweise könnten sich Hybridautos länger halten als gedacht, für 2040 rechnet die Kommission mit einem Anteil von elf Prozent am Bestand: “Dies deutet darauf hin, dass diese Technologie eine wichtige Rolle bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen spielen wird. Im Jahr 2050 wird der Anteil der Plug-in-Hybride jedoch auf fünf Prozent sinken.”

    E-Fuels decken zehn Prozent des Energieverbrauchs von Pkw

    Welche Rolle E-Fuels und Biokraftstoffe für die stark abnehmende Zahl von Verbrenner-Pkw spielen werden, geht aus der Folgenabschätzung nicht eindeutig hervor. Zwar soll der Verbrauch von E-Fuels gerade in den Klimapfaden mit hoher CO₂-Reduktion steil ansteigen. Allerdings fließt ein Großteil davon in den Schiffs- und Flugverkehr und in die Tanks von Lkw.

    Für Pkw hat die Kommission am Dienstag keine genauen Zahlen veröffentlicht. Abschätzen lassen sie sich aber aus einem Balkendiagramm (Figure 68). Gut zehn Prozent des Energieverbrauchs von Pkw werden demnach 2040 durch E-Fuels gedeckt. Bis 2050 sinkt der Anteil aber deutlich, den Löwenanteil machen dann Strom für E-Autos und Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge aus.

    • CCS
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    • EU-Klimapolitik
    • EU-Klimaziel 2040
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    Die vorgelegte Kraftwerksstrategie der Bundesregierung stellt eine Strom-Klimaneutralität bis 2035 infrage

    Die Restdekarbonisierung erfolgt nicht auf Knopfdruck. Bundeskanzler Scholz eröffnet eine Elektrolyseur-Fertigung von Siemens Energy
    Die Dekarbonisierung erfolgt nicht auf Knopfdruck. Bundeskanzler Scholz eröffnet eine Elektrolyseur-Fertigung von Siemens Energy.

    Die von der Bundesregierung vorgestellten Eckpunkte einer Kraftwerksstrategie stellen das international verabredete Ziel eines weitgehend kohlenstofffreien Stromsektors Mitte des nächsten Jahrzehnts infrage. “Für den Übergang zu grünem Wasserstoff braucht es Praxiserfahrung”, sagt Simon Müller, Deutschland-Direktor des Thinktanks Agora Energiewende im Gespräch mit Table.Media.

    Die Bundesregierung will jedoch erst 2032 entscheiden, wann in einem fünfjährigen Zeitkorridor ab 2035 neu errichtete Gaskraftwerke auf Wasserstoff umgestellt werden müssen. “Eine Festlegung erst in acht Jahren, wann Gaskraftwerke auf Wasserstoff umgestellt werden, wäre zu spät für ein klimaneutrales Stromsystem im Jahr 2035.”  

    Die Bundesregierung plant, noch in diesem Jahr insgesamt zehn Gigawatt Kapazität für sogenannte H2-Ready-Gaskraftwerke auszuschreiben, die bis 2030 Kohlemeiler ersetzen sollen. Hinzu kommen 0,5 Gigawatt für reine Wasserstoffblöcke. Die Meiler werden benötigt, um während winterlicher Dunkelflauten Strom aus erneuerbaren Energien zu ersetzen.

    Ob die Kapazität für den geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung in sechs Jahren reichen wird, wie die Regierung mit Verweis auf die Bundesnetzagentur versichert, bezweifelt Müller ebenfalls.  

    G7 verabredete dekarbonisierte Stromversorgung bis 2035

    Vor knapp zwei Jahren, beim Gipfel im bayrischen Elmau, hatten die Staats- und Regierungschefs der G7 verabredet, “bis 2035 einen vollständig oder überwiegend dekarbonisierten Stromsektor zu erreichen”. Diese Vorgabe begründeten die Politiker mit dem UN-Ziel einer maximalen Erderwärmung durch Treibhausgase um 1,5 Grad Celsius.

    Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft, kritisierte, “dass das Motto der Kraftwerksstrategie lautet: Erdgas first, Wasserstoff second.” Die Kraftwerksbetreiber erhielten viel zu lange Zeit, um den Brennstoff zu wechseln: “Im Worst Case wird der Stromsektor dann erst 2040 vollständig dekarbonisiert.” Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sieht darin “ein Konjunkturprogramm für die Gaslobby.”

    “Technologieoffenheit” und Stromimporte

    Im Sinne von “Technologieoffenheit” müssen Kraftwerksbetreiber laut Regierungskreisen nicht unbedingt klimaneutral hergestellten grünen Wasserstoff verwenden. Einzig mittels Atomstrom gewonnener Wasserstoff sei ausgeschlossen. Jeder andere Wasserstoff, also hergestellt mittels Erdgas, Methan oder Müllverbrennung, könne jedoch verwendet werden.

    Deren Treibhausgase können nach heutigem Stand der Technik nur teilweise mittels teurer Carbon-Capture-and-Storage (CCS) aufgefangen werden. Die Regierung will CCS nun auch im Rahmen der Kraftwerkstrategie fördern, statt wie bisher vorgesehen nur für unvermeidliche CO₂-Restmengen aus der Industrieproduktion.

    Zudem hieß es aus Regierungskreisen, auch Stromimporte aus dem Ausland seien wohl weiter notwendig – wodurch auch Atom- und Kohlestrom im deutschen Netz landen könnte. Die lenkende Wirkung des CO₂-Preises, hieß es aus Regierungskreisen dazu, lasse jedoch auf eine marktgesteuerte Dekarbonisierung hoffen.

    Einige Verbände begrüßen Pragmatismus

    Insgesamt legte die Regierung nur eine Presseerklärung vor, statt einer ausgereiften Kraftwerkstrategie – was die Investitionsplanung und -sicherheit der Industrie weiter verzögern könnte.

    Viele Verbände und Unternehmen zeigten sich einerseits verhalten optimistisch. So begrüßte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, den “pragmatischen Vorschlag”, der den Herstellern mehr Energieversorgungssicherheit für die Dekarbonisierung der Metallproduktion biete. Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), bezeichnete die H2-Ready-Kraftwerke als “wichtige Abnehmer und damit relevanten Baustein für Planungssicherheit im Rahmen des Wasserstoffkernnetzes”.

    Offene Fragen verzögern Investitionsentscheidungen

    Andererseits betonen Wirtschaftsakteure und Oppositionspolitiker die vielen offen gebliebenen Fragen bei immer knapper werdender Zeit. Aus Kreisen von Kraftwerksherstellern hieß es, eine Umstellung der H2-Ready-Kraftwerke von Gas auf Wasserstoff sei im angegebenen Zeitraum machbar.

    Der Vorstandsvorsitzende des Turbinenherstellers Siemens Energy, Christian Bruch, betonte jedoch: “Die noch offenen inhaltlichen Fragen sollten nun schnellstmöglich geklärt werden, da die Umsetzung der Strategie auch aufgrund der hohen globalen Nachfrage und der damit verbundenen Auslastung bei den Anbietern Zeit kosten wird.”

    Zu diesen offenen Fragen gehört die Ausgestaltung der ersten Ausschreibungen und des ab 2028 geplanten Kapazitätsmechanismus, mit dem staatliche Förderung geregelt werden soll. Hierüber will sich die Koalition bis zum Sommer verständigen, und mit der EU-Kommission beihilferechtliche Fragen klären.

    CDU für Gespräche, BDI mit harscher Kritik

    Andreas Jung, stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender und Sprecher der Unionsfraktion für Klimaschutz, kritisierte im Gespräch mit Table.Media die “Hängepartie” in der Standortfrage: “Offen ist, ob und wie sichergestellt wird, dass auch bei den Industriezentren im Süden Kraftwerke entstehen.” Insgesamt seien Klimaziel, Versorgungssicherheit und der Wirtschaftsstandort gefährdet. Er lud die Koalition mit “Blick auf mögliche künftige Konstellationen” zu Gesprächen ein, “im Sinne von Verlässlichkeit und Planungssicherheit“. Bislang werde der Kapazitätsmechanismus “unter Ausschluss der Opposition” vorbereitet.

    Besonders kritisch äußerte sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer, mahnte eine “schnellstmögliche Konkretisierung und Umsetzung” und “eine sehr rasche Klärung der noch offenen Fragen” an, begrüßte jedoch zugleich “Technologieoffenheit” und Pragmatismus. In der Financial Times nannte BDI-Präsident Siegfried Russwurm die Energiepolitik der Ampel derweil “absolut toxisch” und die deutsche Klimaagenda “dogmatischer als in jedem anderen Land, das ich kenne.”

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    Trotz Einigung auf Net-Zero Industry Act: Skepsis bleibt

    Windpark “Odervorland” bei Jacobsdorf

    Mitgliedstaaten und Europaparlament haben sich politisch auf den Net-Zero Industry Act (NZIA) geeinigt. Das Gesetz soll Europas Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act sein und die Standortbedingungen für die Hersteller einer Reihe von klimafreundlichen Technologien verbessern. Damit werde die Regulierungsagenda des europäischen Green Deals erstmals um einen Business Case ergänzt, sagte der Berichterstatter des Europaparlaments, Christian Ehler (CDU). Rat und Parlament müssen die Einigung aber noch formell absegnen.

    Der NZIA sieht einige Erleichterungen für Investoren vor, die Produktionskapazitäten für Netto-Null-Technologien aufbauen wollen:

    • Kürzere Genehmigungsverfahren: Neue Großprojekte mit einer Produktionskapazität von mehr als einem Gigawatt sollen binnen 18 Monaten genehmigt werden, bei kleineren Vorhaben liegt die Frist bei zwölf Monaten. Für als strategisch eingestufte Projekte liegt die Frist bei neun Monaten. Dabei müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ein Investor eine einzelne Behörde als zentralen Ansprechpartner hat.
    • Sonderzonen: Die Mitgliedstaaten sollen zudem Regionen ausweisen, in denen für bestimmte Industrie-Cluster besonders vorteilhafte Bedingungen gelten. In diesen “Net-Zero Acceleration Valleys” sollen etwa die Umweltverträglichkeitsprüfungen beschleunigt und vereinfacht werden, um Investitionen zu erleichtern.
    • Öffentliche Aufträge: Europäischen Hersteller sollen häufiger bei Ausschreibungen zum Zuge kommen. Dafür soll die öffentliche Hand neben den Kosten auch Mindeststandards für Nachhaltigkeit berücksichtigen. Wenn, wie etwa in der Solarindustrie, die EU mehr als die Hälfte ihres Bedarfs aus einem nichteuropäischen Land – China – bezieht, greifen zudem Resilienzkriterien (wie Cybersicherheit), was EU-Anbietern zugutekommt. Allerdings können die ausschreibenden Behörden Ausnahmen geltend machen, wenn die Angebote der europäischen Hersteller mehr als 20 Prozent über jenen ausländischer Konkurrenten liegen.
    • Erneuerbaren-Auktionen: Bei Auktionen etwa für Wind- und Solarparks sollen die Behörden neben dem Preis auch Kriterien wie Umweltverträglichkeit und Innovationspotenzial berücksichtigen. Das zunächst für 30 Prozent der jährlich versteigerten Leistung und soll perspektivisch in Richtung 50 Prozent steigen. Greifen soll die Vorgabe 18 Monate nach Inkrafttreten des NZIA.

    Nuklearindustrie soll ebenfalls profitieren

    Profitieren von diesen Vorteilen sollen europäische Hersteller in einer langen Liste von Sektoren, die fast durchgängig dem Vorschlag des Europaparlaments entspricht. Ehler setzte zudem durch, dass auch deren Zulieferer etwa in der Grundstoffindustrie oder im Maschinenbau aufgenommen werden. Auf der Liste finden sich neben unstrittigen Bereichen wie Solar, Wind und Wärmepumpen auch politisch sensible wie die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) sowie dessen Transport – und wie Nukleartechnologien. Allerdings können die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, ob sie auch Atomkraftprojekte fördern.

    Daneben können die Mitgliedstaaten geplante Fabriken als “strategische Projekte” einstufen, wenn sie diese als besonders wichtig für Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit einstufen. Dazu können auch Investitionen in die Dekarbonisierung von energieintensiven Industrien wie Stahl, Aluminium oder Zement zählen.

    Kein zusätzliches Geld

    Anders als der US-Inflation Reduction Act ist das EU-Gegenstück nicht mit massiven Finanzmitteln unterlegt. Ehler wollte die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, 20 Prozent ihrer nationalen Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandelssystem (ETS) zur Förderung von Netto-Null-Projekten einzusetzen. Die Regierungen ließen sich aber nur darauf ein, dies in einem nicht rechtsverbindlichen Erwägungsgrund aufzunehmen. Dennoch eröffne man damit die Diskussion, wie die Mitgliedstaaten ihre ETS-Einnahmen nutzten, sagte Ehler.

    Auch von der Aufstockung des EU-Finanzrahmens profitieren die grünen Industrien finanziell kaum. Die dafür eigentlich vorgesehene neue Investitionsplattform STEP sieht hierfür kaum frisches Geld vor. Vor allem Deutschland hatte darauf gepocht, statt zehn Milliarden Euro zusätzlich für Fonds wie InvestEU nur 1,5 Milliarden zur Verfügung zu stellen, und die sind für den Europäischen Verteidigungsfonds reserviert.

    Windindustrie lobt, BDI skeptisch

    In der Windindustrie stößt der NZIA auch ohne frisches Geld auf Zustimmung. “Es mangelt weniger an Geld als an Tempo”, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie. Investoren stünden bereit, sie verzweifelten aber oft “an hyperkomplexen und überlangen Genehmigungsverfahren“. Eine zentrale Anlaufstelle sei gerade in Deutschland der Schlüssel, damit die Fristen auch eingehalten werden können.

    Skeptischer bewertet Catrin Schiffer, Expertin beim Industrieverband BDI, das Gesetzesvorhaben. “Der NZIA hilft uns in Deutschland wenig, um die Projekte zu beschleunigen.” Die hiesigen Genehmigungsfristen lägen mit sechs beziehungsweise sieben Monaten deutlich unter den neuen EU-Vorgaben. Für Unternehmen gebe es auch bereits zentrale Anlaufstellen, die Bundesimmissionsschutzbehörden.

    “Das Problem in Deutschland ist ein anderes: Die Fristen werden oft nicht eingehalten, weil die Verfahren mit Anforderungen überfrachtet wurden”, sagt Schiffer. Die Genehmigungsverfahren dauerten deshalb im Durchschnitt sechs Monate länger als im Bundesimmissionsschutzgesetz vorgesehen. Die Bundesregierung habe aber verstanden, dass hier Handlungsbedarf bestehe.

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    Wissenschaftler Florian Berg: “Wenn wir wirklich Wirkung erzielen wollen, brauchen wir Impact-Ratings”

    Florian Berg forscht an der MIT Sloan School of Management zu ESG-Ratings.

    Herr Berg, das Konzept ESG steht in der Kritik. Ein Vorwurf lautet, es würde die sozial-ökologische Transformation nicht voranbringen. Wie blicken Sie als Forscher darauf?
    Das ursprüngliche Anliegen von Unternehmen, sozial-verantwortlich zu wirtschaften, entwickelte sich aus normativen Erwägungen. ESG ist aber immer mehr zu einem Vehikel geworden, um Rendite zu maximieren, seitdem der “Who cares wins”-Report des UN Global Compact im Jahr 2004 das Konzept etabliert hat. Auf subtile Weise transportiert auch ESG die Botschaft, dass die Welt damit verändert werden kann. Es gibt aber Zweifel, ob das stimmt. Bislang gibt es keine Belege aus der Wissenschaft, die zeigen, dass ESG tatsächlich einen positiven Impact auf das soziale und ökologische Wohlergehen hat.

    Profite zu maximieren und gleichzeitig Impact für Umwelt und Soziales zu erzielen, funktioniert also nicht?
    Wer positiven Impact erzielen will, kann nicht gleichzeitig seine Rendite maximieren. Denn es ist mit zusätzlichen Kosten verbunden, wenn man zum Beispiel in Klimaschutz investiert. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir offen und ehrlich über diese Abwägung sprechen. Solange wir denken, dass ESG größere Wirkungen für die Transformation hat, als es eigentlich der Fall ist, besteht nämlich die Gefahr, sich zu sehr auf den Markt zu verlassen. Das wiederum kann dazu führen, dass Gesellschaften die Notwendigkeit unterschätzen, politisch etwas zu tun, während der Markt in Wirklichkeit die Rendite maximiert.

    Welchen Mehrwert bieten ESG-Ratings dann noch?
    Das Konzept ist und bleibt wichtig, um Unternehmen ganzheitlich bewerten zu können, denn wenn man beispielsweise in ein Start-up investieren will und sieht, dass fünf von zehn Mitarbeitern ausgetauscht werden, einen Monat, bevor man eine Beteiligung erwirbt, dann ist das ein Anhaltspunkt für Probleme im Unternehmen – etwa in der Unternehmensführung.

    Gleichzeitig gibt es Analysen, die zeigen, dass es Unternehmen gibt, die Probleme angehen, wenn sie auf Grundlage von ESG-Daten darauf hingewiesen werden. Das ist die Wirkung, die sich mit dem Konzept erreichen lässt. Aber sie ist sehr begrenzt. Wenn wir mit Sustainable Finance wirklich Wirkung erzielen wollen, dann brauchen wir Impact-Fonds und Impact-Ratings.

    Wie definieren Sie Impact?
    Für Impact muss eine Wirkung erzielt werden, die sich ohne das Investment nicht materialisiert hätte. Es braucht Zusätzlichkeit, wie es im Fachjargon heißt. Das heißt: Ein Fonds, der zum Beispiel in erneuerbare Energien investiert, weil sie günstiger sind als Kohle, wäre kein Impact-Fonds. Das wäre ein traditioneller Fonds, in den Geld fließt, weil es aus wirtschaftlicher Sicht die richtige Entscheidung ist.

    Halten Sie es für realistisch, die tatsächlichen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit von einzelnen Unternehmen auf Umwelt und Soziales zu messen?
    Es ist sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, den ganzen Impact eines Unternehmens zu bewerten. Für einzelne Themen könnte es funktionieren – zum Beispiel für den Klimawandel. Man kann die CO₂-Emissionen messen, die das Unternehmen ausstößt, und sehen, ob es sich etwa an der Forschung und Entwicklung von Lösungen für den Klimawandel beteiligt. Wirklich kompliziert wird es, wenn es um den positiven Impact von Produkten geht. Wie misst man den Nutzen, den ein bestimmtes Produkt für Verbraucher hat? Daher liegen dort aus meiner Sicht die Grenzen der Folgenabschätzung. Ein praktikabler Weg könnte sein, thematische Impact-Fonds zu haben – etwa mit Fokus auf Klimaschutz, Diversität oder Korruptionsvermeidung.

    Wie lassen sich die bestehenden ESG-Ratings besser machen? Die Bewertung eines Unternehmens scheint aktuell ja abhängig davon zu sein, welche Rating-Agentur man fragt.
    Ja, ein Problem der ESG-Ratings ist, dass sie nicht miteinander korrelieren. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist, dass jede Rating-Agentur eine andere Definition von Nachhaltigkeit hat oder ob E-, S- oder G-Faktoren wichtiger sind. Das ist in Ordnung, denn die Meinungen gehen einfach auseinander.

    Viel problematischer ist, dass verschiedene Rating-Agenturen dieselbe Sache unterschiedlich messen. Und dementsprechend auch zu teils völlig unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Es gibt zwar statistische Lösungen, um das sogenannte Rauschen in der Messung zu verringern, das habe ich mit Kollegen in einem Forschungspapier gezeigt. Aber ich glaube, dass Regulierung eine große Rolle spielen muss, um die Ratings besser zu machen.

    Was kann Regulierung zur Erhöhung der Qualität von ESG-Ratings beitragen?
    Es braucht Regeln für die Transparenz von ESG-Ratings, die Rechenschaftspflicht von ESG-Rating-Agenturen und die Vermeidung von Interessenskonflikten. Das bedeutet: Agenturen müssen transparent darüber sein, wie sie ESG messen. Denn ohne die Möglichkeit, Ratings zu überprüfen, gibt es auch keine Chance auf qualitative Anpassungen. Zudem sollte es Verfahren geben, die es Unternehmen erlauben, in den Dialog mit der Rating-Agentur zu treten, um eventuell fehlerhafte Bewertungen zu besprechen. Und es sollte Regeln dafür geben, um Interessenskonflikte zu vermeiden, die durch ESG-Rating und Beratung im gleichen Unternehmen entstehen.

    Die neue EU-Verordnung über die Transparenz und Integrität von Rating-Tätigkeiten im ESG-Bereich ist dafür aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung.

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    Welche Auswirkungen die neue EU-Verordnung auf den bisher unregulierten Markt der ESG-Ratings hat

    Bankenviertel in Frankfurt am Main: Künftig mehr Durchblick bei ESG-Ratings.

    Das Europäische Parlament (EP) und der Rat haben sich am Montag auf Regeln für die Regulierung des ESG-Rating-Marktes geeinigt. Kern der Verordnung zur Transparenz und Integrität von ESG-Rating-Tätigkeiten ist, dass Anbieter von ESG-Ratings künftig unter der Aufsicht der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) stehen und Transparenzanforderungen erfüllen müssen. Wenn die Institutionen die Verordnung formal angenommen haben, gelten die neuen Regeln 18 Monate nach Inkrafttreten.

    ESG-Rating-Anbieter sollen künftig separate Bewertungen für die Kategorien Umwelt, Soziales und Governance veröffentlichen, statt ein aggregiertes Rating für alle. Wenn sie doch nur eine übergreifende Bewertung nutzen, müssen sie laut Vereinbarung von EP und Rat Auskunft über die Gewichtung der einzelnen Faktoren sowie über die Methode zur Gewichtung geben. Zudem müssen die Anbieter darüber informieren, ob ein Rating für Umwelt das Pariser Klimaziel berücksichtigt. Bei Sozialem und Governance braucht es Angaben zur Berücksichtigung von internationalen Übereinkommen.

    Zudem werden ESG-Rating-Anbieter verpflichtet, Angaben zur “Wesentlichkeit” zu machen – also ob das Rating nur Auswirkungen, etwa durch den Klimawandel, auf das Unternehmen berücksichtigt oder auch die Folgen der Geschäftstätigkeit für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Für kleine Rating-Anbieter sieht die Verordnung Ausnahmen vor. Dazu gehört etwa, dass sie die ersten drei Jahre nach ihrer Gründung keine Aufsichtsgebühren an die ESMA zahlen müssen oder dass die Behörde sie in gut begründeten Fällen von bestimmten Anforderungen befreien kann.

    Um Interessenskonflikte zu vermeiden, müssen ESG-Rating-Anbieter, die gleichzeitig Leistungen wie Beratung, Wirtschaftsprüfung oder Kreditrating anbieten, das Rating-Geschäft von den anderen Bereichen trennen. Andere Unternehmen sind mindestens verpflichtet, klare Maßnahmen zu ergreifen, die Interessenskonflikte verhindern.

    Mehr Licht in die Black-Box, aber kein Level-Playing-Field

    Fachleute nehmen die Einigung größtenteils positiv auf. “Die politische Einigung begrüßen wir sehr, denn sie wird für deutlich mehr Qualität im bisher unregulierten Markt der ESG-Ratings sorgen”, sagt etwa Henrik Pontzen, Abteilungsleiter ESG im Portfoliomanagement bei Union Investment.

    Für Silke Stremlau betrifft die wichtigste Neuerung die Transparenzanforderungen an ESG-Rating-Anbieter. “Damit kommt endlich mehr Licht in die Black-Box einiger Anbieter”, sagt die Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung. Sie hätte es aber gut gefunden, wenn auch Anbieter von Ratings und Indizes eine juristische Trennung hätten vornehmen müssen. “Ich hoffe, dass die ESMA hier genügend Kontrollmöglichkeiten hat, um Interessenskonflikte aufzudecken”, ergänzt Stremlau.

    Für Julia Haake, Vorsitzende der European Association of Sustainability Rating Agencies, ist die Regulierung auch ein Schritt in die richtige Richtung. “Allerdings sind wir immer noch besorgt, dass kleine und mittelgroße europäische Anbieter durch die Regulierung benachteiligt werden, weil es für sie schwieriger sein wird, die dadurch stark steigenden Kosten zu tragen, als für große Player”, sagt Haake, die auch Head of ESG Rating Agency bei Ethifinance ist. Sie habe “nicht den Eindruck, dass ein Level-Playing-Field geschaffen wird”.

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    Termine

    8. Februar 2024, 19-21 Uhr, Tübingen
    Vortrag Das Cyber Valley in den Medien (Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Stiftung) Info & Anmeldung

    9. Februar 2024, 10-11:15 Uhr, Online
    Webinar Auf zur nächsten Konferenz – So steigern Sie die Nachhaltigkeit Ihrer Geschäftsreise (Veranstalter: Wirtschaft pro Klima) Info & Anmeldung

    10. Februar 2024, 14-15:30 Uhr, Karlsruhe
    Diskussion Zukunftsfähiges Europa: Klimaschutz und Wirtschaft gemeinsam denken (Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung) Info & Anmeldung

    12. Februar 2024, 19-21 Uhr, Frankfurt am Main
    Vortrag Eine sozialgerechte, (klein-)bäuerliche und ökologische Landwirtschaft? (Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Stiftung) Info & Anmeldung

    14. Februar 2024, 19-20:30 Uhr, Kiel
    Diskussion Klimaschutz – aber ohne Kostenexplosion! – Marktwirtschaftlich orientierte Klimapolitik (Veranstalter: Friedrich-Naumann-Stiftung) Info & Anmeldung

    15. Februar 2024, 18:30 Uhr, Berlin
    Diskussion Wirtschaftliche Souveränität Europas: Energie, Computerchips & Co. – wie autonom will die EU sein? (Veranstalter: Konrad Adenauer-Stiftung) Info & Anmeldung

    15. bis 16. Februar 2024, Schwerte
    Tagung Klimarobustes Wassermanagement in ländlichen Räumen (Veranstalter: Institut für Kirche und Gesellschaft) Info & Anmeldung

    16. Februar 2024, Karlsruhe
    Seminar Wirtschaft: sozial und nachhaltig? (Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung) Info & Anmeldung

    16. bis 18. Februar 2024, Bad Staffelstein
    Seminar Klimawandel als sicherheitspolitische Herausforderung (Veranstalter: Hanns-Seidel-Stiftung) Info & Anmeldung

    News

    EU-Lieferkettengesetz: Deutschland wird sich enthalten

    Nach Angaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wird sich Deutschland in der Abstimmung um das EU-Lieferkettengesetz enthalten müssen. Die Bemühungen um eine Zustimmung seien endgültig gescheitert, da die FDP nicht bereit sei, den von ihm vorgeschlagenen Lösungsweg mitzugehen, sagte er am Dienstag. Bis zum heutigen Mittwoch wollte sich die Bundesregierung auf eine gemeinsame Position einigen, um am Freitag im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) des Rats abzustimmen.

    “Dass sich Deutschland aufgrund einer ideologisch motivierten Blockade der FDP bei der anstehenden Abstimmung enthalten muss, enttäuscht mich sehr”, sagte Heil. “Eine EU-Lieferkettenrichtlinie stärkt die Menschenrechte in internationalen Handelsbeziehungen, wenn es etwa darum geht, Kinder- und Zwangsarbeit zu bekämpfen.”

    Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann (beide FDP) hatten vergangene Woche erklärt, sie würden das EU-Lieferkettengesetz nicht mittragen. Heil hatte daraufhin noch einmal verstärkt für eine Zustimmung geworben und ein Maßnahmenpaket für die Entlastung von Unternehmen vorgelegt. Die FDP habe diesen Kompromiss jedoch definitiv abgelehnt.

    Deutschlands Enthaltung wird “Nein” gleichkommen

    Der Arbeitsminister warf dem Koalitionspartner vor, sich einem Bürokratieabbau versperrt zu haben. Die Enthaltung werde zudem bei EU-Partnern nicht gut ankommen. “Ich halte das für falsch, auch weil eine deutsche Enthaltung bei anderen Partnern in Europa auf Unverständnis treffen wird.”

    Im Ergebnis der Abstimmung im Rat wird eine Enthaltung Deutschlands einem Nein gleichkommen. Damit steht das Vorhaben insgesamt auf der Kippe. Viele Mitgliedstaaten haben ihre Position zwar noch nicht endgültig festgelegt, mehrere hatten jedoch Bedenken geäußert. Ob die erforderliche qualifizierte Mehrheit für das Gesetz zustande kommt, ist deshalb fraglich.

    Die FDP setzt mit ihrer Blockade die Forderung mehrerer deutscher Wirtschaftsverbände durch, die sich gegen die Lieferkettenrichtlinie gestellt hatten. Michelle Trimborn, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz, bezeichnete die Position der Bundesregierung als “Armutszeugnis für die Demokratie und für den Menschenrechtsschutz“. Alle Beteiligten würden “durch dieses unsägliche Verhalten” verlieren: die Bundesregierung, die deutsche Wirtschaft und vor allem die Betroffenen in den Lieferketten weltweit.

    Auch die Grundwertekommission der SPD hatte gestern ein Plädoyer für das Lieferkettengesetz veröffentlicht. “Es wäre (…) ein fatales Signal, wenn Deutschland nun erneut am Ende der Verhandlungen mit einem ,German Vote’ ausscherte”, heißt es darin. “Deutschland kann nicht von Ungarn und anderen EU-Mitgliedstaaten einfordern, sich an gefasste Beschlüsse und Kompromisse der EU-Gremien zu halten, und es selbst nicht zu tun.” leo/rtr

    • Lieferkettengesetz

    Recht auf Reparatur: Was Hersteller leisten müssen

    Rat und EU-Parlament haben sich auf die Richtlinie zum Recht auf Reparatur geeinigt. Das Ziel des Entwurfs wird aufrechterhalten, die Möglichkeiten zur Reparatur von Produkten innerhalb der gesetzlichen Gewährleistung und darüber hinaus zu verbessern. Das Trilogergebnis sieht jedoch Änderungen in Bezug auf den Anwendungsbereich, die Verpflichtung zur Reparatur, den Inhalt des Informationsformulars und die Online-Plattform vor.

    Die EU-Kommission hatte den Gesetzentwurf im März 2023 vorgestellt. Parlament und Rat haben seitdem in enormem Tempo daran gearbeitet, um die Richtlinie noch vor Ende der Legislaturperiode zu verabschieden. Der Berichterstatter im Parlament, René Repasi (SPD), sagte nach dem Trilog: “Mit der heutigen Einigung sind wir der Einführung eines Verbraucherrechts auf Reparatur näher gekommen.” In Zukunft werde es einfacher und billiger sein, Produkte reparieren zu lassen, anstatt neue, teure Produkte zu kaufen.

    Reparaturangebote auch nach Ablauf der Garantie

    Der verhandelte Gesetzestext hält das Recht von Verbraucherinnen und Verbrauchern aufrecht, im Falle eines defekten Produkts zwischen Reparatur und Ersatz auszuwählen. Hersteller sind allerdings verpflichtet, auch nach Ablauf der gesetzlichen Garantie für bestimmte Produkte Reparaturen anzubieten und auf ihrer Website über Ersatzteile zu informieren. Dazu zählen Geräte, für die nach EU-Recht Reparaturanforderungen gelten: unter anderem Waschmaschinen, Geschirrspüler, Kühlschränke, Fernseher, Staubsauger, Tablets und Smartphones. Über die Ökodesign-Verordnung kann die Kommission weitere Produkte auf die Liste setzen.

    Verbraucher müssen über diese Reparaturpflicht informiert werden und kostenlosen Online-Zugang zu vorläufigen Reparaturpreisen haben. Während einer Reparatur muss es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglicht werden, sich ein Ersatzgerät auszuleihen. Nach der Reparatur wird die gesetzliche Garantie um ein zusätzliches Jahr verlängert.

    Mitgliedstaaten sollen finanzielle Anreize für Reparatur schaffen

    Darüber hinaus enthält das Ergebnis der Verhandlungen folgende Vorgaben:

    • Das Parlament hatte sich für finanzielle Anreize für Reparaturen eingesetzt. Laut der Einigung soll jeder Mitgliedstaat mindestens eine Maßnahme zur Förderung von Reparaturen einführen. Dies könnten zum Beispiel Reparaturgutscheine und -fonds, Informationskampagnen, Reparaturkurse, Unterstützung für gemeinschaftlich betriebene Reparaturwerkstätten oder eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Reparaturdienstleistungen sein.
    • Eine europäische Online-Plattform soll eingerichtet werden. Über diese können die Verbraucher in allen EU-Ländern lokale Reparaturwerkstätten, Verkäufer von aufgearbeiteten Waren, Käufer von defekten Artikeln oder Reparaturinitiativen wie Reparatur-Cafés finden.
    • Hersteller müssen Ersatzteile und Werkzeuge zu einem angemessenen Preis zur Verfügung stellen. Sie dürfen keine Vertragsklauseln, Hardware- oder Softwaretechniken verwenden, um Reparaturen zu behindern.

    “Nächste EU-Kommission muss Arbeit am Ökodesign fortsetzen”

    Die europäische Right-to-Repair-Kampagne, ein Zusammenschluss von NGOs, bezeichnete die Einigung als einen “Schritt in die richtige Richtung für bezahlbare Reparaturen”. Sie kritisierte jedoch den schmalen Anwendungsbereich: In der nächsten Legislaturperiode müsse die Gesetzgebung mehr Produktkategorien abdecken. “Die nächste EU-Kommission muss den Staffelstab übernehmen und die Arbeit am Ökodesign fortsetzen, um Regeln für die Reparierbarkeit von mehr Produkten sicherzustellen”, erklärte Cristina Ganapini, die Koordinatorin der Kampagne. Währenddessen sei es wichtig, dass die nationalen Regierungen Reparaturfonds einrichten.

    Das Ergebnis der Verhandlungen muss nun noch formal vom Parlament und vom Rat angenommen werden. leo

    • Recht auf Reparatur

    Wachstumspakt: Union stellt Bedingungen

    Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat eine Zustimmung zum Wachstumschancengesetz der Ampel an mehr Bürokratieabbau sowie die Rücknahme der Kürzungen beim Agrardiesel geknüpft. In einer informellen Sitzung der Wirtschafts- und Finanzpolitiker der Union am Montagabend einigte man sich auf diese Punkte: 

    • Die Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter soll nur für ein Jahr wieder eingeführt werden (Kosten rund 1 Milliarde Euro).
    • Der Verlustvortrag soll befristet nur auf 70 Prozent angehoben werden (ohne Gewerbesteuer).
    • Die von der Koalition geplante Mitteilungspflicht von inländischer Steuergestaltung soll gestrichen werden.
    • Der geplanten Klimaschutz-Investitionsprämie soll nur unter der Bedingung zugestimmt werden, dass Administration und Auszahlung ausschließlich durch eine Bundesbehörde erfolgt.
    • Die geplante Abschaffung der Steuerrabatte beim Agrardiesel soll komplett zurückgenommen werden. Dazu soll sich die Bundesregierung in einer Protokollerklärung verpflichten. 

    Zum letzten Punkt hieß es in der Union, es könne nicht sein, dass die Entlastungen für Wirtschaft und Mittelstand insgesamt durch die Belastung einer einzelnen Branche gegenfinanziert werde. Die Kritikpunkte seien mit den CDU-regierten Ländern besprochen worden und sollen nun in die Verhandlungen mit der Ampel eingebracht werden. mb

    • Haushalt
    • Haushaltskrise
    • Union

    Handwerk: Nachhaltigkeitscheck ab sofort bundesweit

    Das Handwerk will seinen Beitrag zur Erreichung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele leisten. Deshalb steht der Nachhaltigkeitscheck 360° ab dem 8. Februar 2024 bundesweit zur Verfügung. Das Beratungsangebot geht auf eine Initiative der Handwerkskammer Dortmund zurück. Eine Pilotphase endete im vergangenen Jahr.

    “Allein im Kammerbezirk Dortmund haben wir bereits über 40 Unternehmen erfolgreich beraten können und durchweg positive Rückmeldungen erhalten”, resümiert Carsten Harder, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dortmund. Aus seiner Sicht liegt das vor allem daran, dass der Nachhaltigkeitscheck 360° einen überschaubaren Zeitaufwand mit inhaltlicher Tiefe verbinde. “Wir teilen gern unser Know-how und freuen uns, dass Handwerkskammern im gesamten Bundesgebiet den Check zur Unterstützung ihrer Betriebe einsetzen möchten”, so Harder.

    Vor-Ort-Check dauert drei Stunden

    Der Check soll Handwerksbetriebe an die Nachhaltigkeitsziele heranführen und ihnen helfen, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und die nächsten Schritte zu definieren. “Ob hochwertige Bildung, Einsatz erneuerbarer Energien oder faire Bezahlung: Nachhaltigkeit ist seit jeher Teil der DNA des Handwerks”, unterstreicht Berthold Schröder, Präsident des Westdeutschen Handwerkskammertages (WHKT).

    Zur Durchführung des Checks kommen Berater der Handwerkskammern in den Betrieb. Er erfolgt auf Basis eines intensiven Gesprächs und dauert maximal drei Stunden. Das Ergebnis wird dokumentiert und eine Übersicht über die betriebliche Nachhaltigkeitsperformance erstellt.

    “Nachhaltigkeit ist komplex und vielseitig und manchmal schwer zu durchdringen”, erklärt WHKT-Hauptgeschäftsführer Florian Hartmann. “Mit dem Nachhaltigkeitscheck 360° sorgen wir dafür, dass Handwerksbetriebe mit einem praxisnahen Instrument ihre Potenziale erkennen, um sich zukunftssicher aufzustellen.” Einen ersten Eindruck davon vermittelt das YouTube-Video “Was ist der Nachhaltigkeitscheck?”. ch

    • KMU
    • Nachhaltigkeit

    Presseschau

    “Lasst uns doch smarter arbeiten – nicht mehr” – Manager Magazin
    45 deutsche Unternehmen testen sechs Monate lang die Vier-Tage-Woche. Warum? Tom Jaeger, Chef eines Handwerksbetriebs mit 30 Mitarbeitenden, sagt in dem Interview mit Florian Gontek: So könne er sich von anderen Arbeitgebern positiv abheben. Bedenken, dass die Wirtschaft gefährdet wäre, wenn alle so arbeiten würden, hat er nicht. “Das ist mir zu konservativ.” Zum Artikel

    Insekten statt Soja – Farminsect will Tierfutter nachhaltiger machen – Handelsblatt
    Landwirte, die Insekten statt Soja und Fischmehl an ihre Tiere verfüttern, sparen Geld und CO₂, sagt das Start-up Farminsect, und hat bereits zehn Millionen Euro Kapital eingesammelt. Jetzt verkauft es Anlagen, mit denen Bauern Insekten bei 30 Grad selbst mästen können. Wie das konkret funktioniert, erklärt Katrin Terpitz. Zum Artikel

    “Eine Tonne CO₂ ist immer eine Tonne CO₂” – Die Tageszeitung
    Biodiversitätsgutschriften seien ein neuer Hype auf den Finanzmärkten, sagt der Umweltökonom Sophus zu Ermgassen von der Universität Oxford im Interview mit Christian Mihatsch. Aber von der Mobilisierung von privatem Geld für den Naturschutz zu einer neuen Art des Greenwashings sei es nicht weit. Zum Artikel

    How the U.S. Became the World’s Biggest Gas Supplier – New York Times
    In nur acht Jahren haben sich die USA von einem Land, das kaum Gas nach Übersee verkauft, zur weltweiten Nummer eins der Gaslieferanten entwickelt. Klimaaktivisten befürchten jedoch, dass die steigenden Flüssiggasexporte die globale Erwärmung noch verstärken könnten, berichten Brad Plumer und Nadja Popovich. Zum Artikel

    Der Kahlschlag – Spiegel
    In einem internen Dokument, aus dem Serafin Reiber berichtet, finden sich gestrichene Ausbauprojekte der Bahn, darunter etwa der dringende Ausbau der Güterstrecke von Uelzen nach Halle. Die Details zeigen: Eine Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene droht in weite Ferne zu rücken. Zum Artikel

    T-Shirts aus Vietnam, Autos aus China – wer schaut, wie Lieferanten produzieren? – Der Standard
    Die EU hat Lieferprobleme beim Lieferkettengesetz, schreibt Regina Bruckner: Widerstand gegen die geplanten neuen Vorschriften gibt es nicht nur in Berlin, sondern auch in Österreich, wo im Nationalrat kürzlich emotional debattiert wurde. Zum Artikel

    Umfrage: “ESG ist ein reales Prozessrisiko” – FAZ
    Viele Konzernjuristen haben ESG-Konflikte ganz oben auf ihrer Liste, zeigt eine Umfrage, die sich Marcus Jung genauer angesehen hat. Demnach wird 2024 auch im Arbeitsrecht deutlich mehr gestritten. Zum Artikel

    Kautschuk für Autoreifen: Wo das Lieferkettengesetz an Grenzen stößt – ZDF
    Das EU-Lieferkettengesetz soll garantieren, dass nach Europa keine Rohstoffe kommen, für die Regenwald gerodet wurde. Doch gerade bei Kautschuk ist dies kaum möglich, hat Berndt Welz herausgefunden. Zum Artikel

    Standpunkt

    Wachstum adé?

    Von Sara Holzmann und Marcus Wortmann
    Die Ökonomin Sara Holzmann und der Ökonom Marcus Wortmann sind bei der Bertelsmann Stiftung im Programm Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft tätig.

    “Grünes Wachstum” lautete oft die Schlüsselformel, um angesichts multipler Umweltkrisen auch in Zukunft noch materiellen Wohlstand steigern zu können. Würde durch die rasche Umstellung auf grüne Produktionstechnologien klimafreundliches Wirtschaftswachstum erzeugt, könnte die Klimakrise eingedämmt und die Industrienation Deutschland zu neuer Stärke geführt werden, so die Logik. Der Bundeskanzler sprach vergangenes Jahr sogar von einem neuen Wirtschaftswunder durch Klimaschutzinvestitionen. Doch davon ist derzeit nichts zu spüren. Im Gegenteil: Zuletzt sank das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3 Prozent. 

    Grün ist nicht gleich grün

    Wie steht es also um das Wirtschaftswachstum in der ökologischen Transformation? Grünes Wachstum klang immer nach einem idealen Transformationsversprechen, dessen sich die Wirtschaftspolitik gern bediente. Doch was wir ökonomisch händeringend erreichen wollen, kann ökologisch problematisch sein und zum Greenwashing einladen.

    Denn das Konzept meint zunächst nichts weiter, als dass unsere Emissionen sinken, während das BIP wächst – der Faktor Zeit spielt dabei keine Rolle. Wirtschaftswachstum ist ehrlicherweise aber nur dann “grün”, wenn die jährliche Minderungsrate beim CO₂ die Steigerungsrate des BIP so weit übertrifft, dass das Einhalten des deutschen CO₂-Restbudgets für das internationale 1,5-Grad-Ziel oder die Klimaneutralität 2045 auch tatsächlich gewährleistet ist.

    Es geht also um eine rasche Entkopplung von Wirtschaftskraft und Treibhausgasemissionen und damit um die Rate, mit der die Emissionsintensität in den nächsten 21 Jahren sinkt. Nur wenn sich diese Relation stark genug verbessert, würde in einem klimaneutralen Deutschland auch noch unser derzeitiges Wohlstandsniveau vorherrschen. Die Losung sollte also zunächst einmal “grünes BIP” lauten.

    Entkopplungsfortschritte sind viel zu gering

    Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Wenn sich die jüngsten Emissionsschätzungen für das vergangene Jahr bewahrheiteten, entfielen 2023 auf jede Milliarde Euro des BIP in Deutschland 206.000 Tonnen CO₂-Äquivalente Treibhausgasemissionen. Das wäre zwar erstaunlich viel weniger als in den Vorjahren, doch um ab 2045 klimaneutral zu wirtschaften, müsste diese Emissionsintensität durchschnittlich um etwa zehn Prozent jedes Jahr sinken. Wollen wir bis dahin auch noch wachsen – zum Beispiel um 1,21 Prozent wie im Schnitt seit 1991 – müsste sie sogar um 11,29 Prozent pro Jahr abnehmen. Nur dann könnte von einem wirklich grünen Wachstum und einem ökologisch nachhaltigem BIP gesprochen werden.

    Das Problem ist, dass unsere Emissionsintensität über die vergangenen drei Jahrzehnte nur jährlich um durchschnittlich drei Prozent abgenommen hat und diese Entkopplungsfortschritte sich von Jahr zu Jahr recht unbeständig darstellten – trotz einer gewissen Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit. So dürfte die Emissionsintensität 2023 zwar historisch stark um 9,5 Prozent gesunken sein. Dies ist jedoch vor allem mit der Krisensituation und Produktionseinbußen der energieintensiven Industrie zu begründen – kein besonders nachhaltiger Klimaschutzerfolg.

    Sollten wir unseren Entkopplungsfortschritt also nicht sehr bald oberhalb dieses Niveaus stabilisieren, würden wir auch bei vermeintlich grünem Wachstum unsere Klimaziele klar verfehlen. Oder nehmen wir die Klimaziele ernst, stünde uns eine Schrumpfung beispiellosen Ausmaßes bevor. Denn bei einer fortgesetzten langjährigen Entkopplungsrate um besagte drei Prozent wäre 2045 nur noch etwa ein Fünftel des heutigen BIP möglich – rund 80 Prozent unseres materiellen Wohlstands wären verloren.

    Investieren statt Schrumpfen

    Zu einer solchen wirtschaftlichen Schrumpfung in die Klimaneutralität darf es nicht kommen, denn dies würde nicht nur den Wohlstand, sondern voraussichtlich auch die Zustimmung zum Klimaschutz und den sozialen Frieden kosten. Bei einer breiten Deindustrialisierung wäre obendrein auch mit Verlagerungen von Emissionen ins Ausland und neuen Importabhängigkeiten zu rechnen. Was also tun, um die Emissionsintensität Deutschlands drastisch zu senken und materiellen Wohlstand über 2045 hinaus zu sichern?

    Der zentrale Hebel sind massive Investitionen: in klimafreundliche Produktionsanlagen, in erneuerbare Energien, in post-fossile Infrastrukturen. Dazu braucht es vor allem privatwirtschaftliches Geld, investiert von Unternehmen, die grünen Stahl herstellen und Familien, die ihr Eigenheim energetisch sanieren. Doch die Finanzpolitik spielt aufgrund ihrer Signal- und Lenkungswirkung die entscheidende Rolle. Hier darf nicht gespart werden. Nur wenn der Staat verlässliche Rahmenbedingungen für klimaneutrale Alternativen schafft und deren Wirtschaftlichkeit absichert, entsteht für den privaten Sektor ein sicheres Investitionsumfeld. 

    Nicht beirren lassen

    Klimaschutzverträge, staatliche Investitionshilfen und Infrastrukturförderung zeigen in die richtige Richtung. Doch selbst wenn bei hohen Zinsen eine grüne Investitionsoffensive in Gang käme, wäre eine schnelle Rückkehr des Wachstums keine Gewissheit. Denn dafür müssten etwaige Produktivitätsgewinne die bevorstehenden Kapazitätsengpässe, vor allem bei den Fachkräften, so weit überkompensieren, dass die Leistungskapazitäten der deutschen Wirtschaft wieder steigen. Bis zu dieser Rendite dürften voraussichtlich allein wegen des demografischen Wandels weitere Jahre eines eher geringen Wachstums vergehen. Grüne Wirtschaftswunder wären erst bei hinreichenden Entkopplungserfolgen denkbar.

    Dennoch ist und bleibt ein breiter Investitionsschub der einzige Weg, mit grünen Zukunftstechnologien unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und damit ein Beispiel für den Erfolg des historischen Entkopplungsprojektes zu setzen, bei dem materieller Wohlstand, grünes Wachstum und planetare Grenzen in Einklang kommen. Von diesem Weg dürfen wir uns weder durch vorerst magere Jahre, noch durch veraltete Schuldenregeln oder vermeintliche Sparzwänge abbringen lassen.

    Sara Holzmann ist Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung im Arbeitsschwerpunkt Economics of Transformation. Sie beschäftigt sich mit den umweltökonomischen und klimapolitischen Fragestellungen der Nachhaltigkeitstransformation. Marcus Wortmann ist Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung im Programm Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft und leitet den Themenschwerpunkt Economics of Transformation. Zuvor forschte und lehrte er am Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftspolitik an der Georg-August-Universität Göttingen.

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    ESG.Table Redaktion

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