Table.Briefing: ESG

ESG-Regulierung in 2023 + Finanzkapital zu Naturkapital machen

  • Jahresausblick: Wichtige ESG-Regulierungsvorhaben
  • Presseschau
  • Daniel Dahm: Die Marktwirtschaft mit der Natur versöhnen
Liebe Leserin, lieber Leser,

2023 werden wichtige ESG-Weichen gestellt, auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Im Fokus stehen besonders die Wertschöpfungsketten: So wird die EU voraussichtlich ein Lieferkettengesetz beschließen, welches über das deutsche Gesetz hinausgeht, das seit Anfang Januar gilt. Dessen Start markiert den Beginn einer neuen Epoche für Unternehmen in Deutschland. Jetzt gilt das Paradigma der verbindlichen Mitverantwortung für die sozialen und ökologischen Verhältnisse in den Lieferketten. Es tritt an die Stelle einer freiwilligen Verantwortung von Unternehmen für ihre Lieferketten, welche in den vergangenen 30 Jahren nur wenig Verbesserungen für Mensch und Natur gebracht hat.

Jetzt wird sich zeigen, ob das Vorhaben in der Praxis die gewünschten Wirkungen hat oder die Kritiker Recht behalten. Sie warnen unter anderem vor der Verlagerung von Produktion aus Gründen der Risikoabwägung aus einigen Regionen des globalen Südens. Über dieses und weitere wichtige ESG-Regulierungsvorhaben des neuen Jahres berichten Nicolas Heronymus und Carsten Hübner.

Doch noch sind Deutschland, Europa und die Welt weit davon entfernt, die ökologischen und sozialen Ziele zu erreichen, die sie sich gesteckt haben, geschweige denn von den Veränderungen, die notwendig wären, damit die Menschheit die planetaren Grenzen und soziale Mindeststandards in der globalen Arbeitsteilung einhält.

Welch enormen Hebel die Finanzwirtschaft für den Aufbau alles Lebensdienlichen bieten könnte, analysiert der Vordenker einer regenerativen Ökonomie Daniel Dahm in seinem Standpunkt. Es wäre ein Generationenprojekt und ein Weg, um die Marktwirtschaft mit der Natur zu versöhnen. Notwendig wäre dafür unter anderem eine Orientierung des wirtschaftlichen Handelns an grundlegenden ökologischen Prinzipien wie Vielfalt und Differenz.

Übrigens: Wir haben den ESG.Table für Sie erweitert – im Berlin.Table finden Sie jetzt in unserem Late.Night Memo für die Hauptstadt bereits abends das Wichtigste aus der Bundespolitik mit ESG-Bezug. Wir sind gespannt, wie es Ihnen gefällt.

Das ESG-Team wünscht Ihnen ein gutes Jahr!

Ihr
Caspar Dohmen
Bild von Caspar  Dohmen

Analyse

Wichtige ESG-Regulierung in 2023

Container Terminal Altenwerder CTA im Hafen Hamburg

Sorgfaltsplichten für Lieferketten

1. Die Wirksamkeit des deutschen Gesetzes hängt von den Unternehmen ab

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) ist gerade erst in Kraft getreten, hat aber schon einiges bewirkt. Unternehmen schauen sich ihre Zulieferer viel genauer an. Einige haben Aktivisten eingestellt, andere gründeten Brancheninitiativen, beispielsweise in der Chemieindustrie. Konkurrenten arbeiten nun zusammen – etwa in der Autobranche an den geforderten Beschwerdemechanismen.

Wie wirksam das Gesetz sein wird, hängt entscheidend davon ab, welche Strategie Unternehmen langfristig verfolgen. Zwei Sichtweisen dominieren: den Fokus auf den Ausschluss von Haftungsrisiken für das eigene Unternehmen legen oder auf eine echte Verbesserung der Situation entlang der Wertschöpfungsketten hinarbeiten. In den Unternehmen sind meist beide Sichtweisen vertreten. Die zweite Sichtweise gewinnt Anhänger – ganz im Sinne des Gesetzes, in dem es um den Ausschluss von Risiken geht, statt um Bestrafung. Eine wichtige Rolle bei der Einhaltung des Gesetzes spielt das BAFA mit seiner neuen Außenstelle in Borna.

2. Das europäische Lieferkettengesetz kommt und wird wohl strenger

Allerdings muss das LkSG wahrscheinlich schon bald nachgebessert werden. Denn die EU-Richtlinie über Sorgfaltspflichten für Unternehmen (CSDDD) wird voraussichtlich an mindestens zwei Punkten über die deutsche Regelung hinausgehen. Erstens wollen alle drei EU-Institutionen eine zivilgesellschaftliche Haftung etablieren – wofür sich in Deutschland keine politische Mehrheit gefunden hatte. Zweitens sehen die EU-Vorschläge einen größeren Adressatenkreis vor. Die Schwelle könnte generell bei 500 Mitarbeitern und speziell in Risikobranchen bei 250 liegen. Grund ist die Ansicht, dass Risiken für Mensch und Umwelt viel mit der Art der Geschäfte und weniger mit der Größe von Unternehmen zu tun haben. Über Details zur Verhandlung der CSDDD berichtete der Europe.Table.

Im Frühjahr beginnen die Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament im Trilog. Die Richtlinie soll in diesem Jahr beschlossen werden. Danach wären zwei Jahre Zeit für die Umsetzung in nationales Recht.

3. Verhandlungen auf UN-Ebene machen kleine Fortschritte

Eine wichtige Ergänzung zu bisherigen Lieferkettengesetzen könnte aus Sicht von vielen Staaten, Wissenschaftlern und NGO ein völkerrechtlich bindendes UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN-Treaty) sein. Zwar ist immer noch unklar, ob eine solche Vereinbarung am Ende überhaupt zustande kommt. In den ersten Verhandlungsrunden standen vor allem die EU und die USA auf der Bremse. Doch beim jüngsten Treffen im Oktober 2022 beteiligten sich überraschend erstmals die USA an der Debatte. Gleiches wird für die nächste Runde im Herbst 2023 aus Kreisen der EU-Verhandler signalisiert. Bei den Treaty-Befürwortern sorgt dies für zaghaften Optimismus. Seit den 1960er Jahren sind mehrere Anläufe gescheitert, auf UN-Ebene Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen.

4. Import von Produkten aus Zwangsarbeit in die EU wird verboten

Die EU-Kommission hat im September einen Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, die den Import von Produkten aus Zwangsarbeit in die EU untersagen soll. Die Billigung durch Parlament und Rat wird in den kommenden Monaten erwartet. Wirksam wird die Verordnung 24 Monate danach. Anders als bei den nationalen Lieferkettengesetzen in Europa oder dem geplanten europäischen Lieferkettengesetz wären von einer solchen Regelung auch Unternehmen betroffen, die ihren Sitz außerhalb der EU haben.

Berichtspflichten zu Nachhaltigkeit

Dieses Jahr tritt die EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) in Kraft. Für Unternehmen, die bereits nach der Richtlinie über nicht-finanzielle Informationen berichten müssen, ist 2023 das letzte Geschäftsjahr, um sich auf die CSRD vorzubereiten. In den kommenden Jahren erweitert sich der Adressatenkreis dann sukzessive.

Voraussichtlich im Juni wird die EU-Kommission die allgemeinen Standards für die Berichterstattung in Form eines delegierten Rechtsaktes verabschieden. Die EFRAG, eine Expertengruppe, hat dafür übergreifende sowie spezifische Standards für jeden ESG-Faktor erarbeitet und der Kommission Ende 2022 übermittelt. In diesem Jahr erarbeitet die EFRAG das zweite Set an Standards, unter anderem die sektor- und KMU-spezifischen. Nach öffentlichen Konsultationen im Frühjahr will die Expertengruppe ihre Vorschläge Ende 2023 veröffentlichen.

Verfügbarkeit von kritischen Rohstoffen

Die EU-Kommission will am 14. März ihren Vorschlag für ein Gesetzespaket zu strategisch wichtigen Rohstoffen vorlegen (Critical Raw Materials Act). Ziel ist es, sich langfristig Zugang zu Rohstoffen zu sichern, die für eine nachhaltige Transformation wichtig sind. Dazu will sich die EU aus der großen Abhängigkeit von wenigen Förderländern bei einigen Materialien befreien. Details des Rohstoffpakets gab die Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW) der EU-Kommission auf der COP27 bekannt (Europe.Table berichtete).

Bis Mai 2024 wollen SPD, Grüne und FDP eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie erarbeiten und damit die Rohstoffstrategie der Bundesregierung weiterentwickeln. In einem am Dienstag veröffentlichten Papier gibt das Bundeswirtschaftsministerium erste konkrete Hinweise zu den Maßnahmen, mit denen Deutschland seine Rohstoffversorgung langfristig sichern will. Diese umfassen unter anderem die Marktentwicklung für recycelte Rohstoffe, den Ausbau der heimischen Rohstoffgewinnung, die Finanzierung von Rohstoffprojekten im In- und Ausland sowie die Entwicklung kohärenter ESG-Standards für Rohstoffhandel.

Verpackungen, Design und Reparatur von Produkten

1. Neue Verpackungsverordnung dieses Jahr in der Diskussion

Als Teil des zweiten Kreislaufwirtschaftspakets hat die EU-Kommission Ende November ihren Entwurf für die Reform der Verpackungsverordnung vorgestellt. Er will Produzenten und Mitgliedsstaaten künftig stärker zu Nachhaltigkeit verpflichten sowie Recycling und Wiederverwendung zur Norm machen. Übergreifendes Ziel der EU-Strategie ist die vollständige Recyclingfähigkeit aller Verpackungen bis zum Jahr 2030. Dies soll die Umwelt schützen, den Bedarf an Primärrohstoffen und die Abhängigkeit von Rohstoffimporten verringern. Bis zum 14. Februar läuft noch die öffentliche Konsultation zum Entwurf. Dann wird auch die Arbeit im Rat und Parlament beginnen.

2. Vorschlag für Recht auf Reparatur soll im Frühjahr kommen

Den mehrmals verschobenen Entwurf zum Recht auf Reparatur will die Kommission im März 2023 vorlegen. Dies hat Ana Gallego Torres, Generaldirektorin für Justiz und Verbraucher (DG JUST), Anfang Dezember in einer Anhörung im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des Parlaments angekündigt.

Mit dem Vorhaben soll die Lebensdauer von reparaturfähigen Verbrauchsgütern verlängert und die vorzeitige Entsorgung vermieden werden. Die Kommission wird wahrscheinlich vorschlagen, die gesetzliche Garantie für diese Güter zu verlängern und individuell an einzelne Produktgruppen anzupassen. Sie will zudem Instrumente vorschlagen, um nach Garantieablauf die Reparatur für Verbraucher einfacher und attraktiver zu machen, etwa durch mehr Transparenz bei den Reparaturbedingungen.

3. Ökodesign-Verordnung der EU: Fortschritte in Parlament und Rat

Weitere Anforderungen an die Reparierbarkeit von Produkten sollen durch die neue Ökodesign-Verordnung etabliert werden. Im März 2022 hatte die Kommission ihren Entwurf präsentiert. Im Dezember stellte Alessandra Moretti (S&D), Berichterstatterin im Parlament, den Entwurf für die Position des Parlaments im Umweltausschuss vor. Dort wird er wahrscheinlich im Frühling abgestimmt. Auch der Rat beschäftigt sich derzeit mit dem Thema.

Nachhaltigkeit bei Gesetzen und Ausgaben

Um die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) erreichen zu können, will die Bundesregierung Gesetze und Ausgaben stärker als bisher an ebendiese Ziele knüpfen. Eine Nachhaltigkeitsprüfung für Bundesgesetze gibt es zwar schon seit einem Jahrzehnt, aber erst am Ende eines Gesetzgebungsprozesses. Auch die Ausgaben des Bundes sind bisher noch nicht hinreichend mit den SDG verbunden.

Ab diesem Jahr soll der Fokus deshalb stärker darauf liegen, Nachhaltigkeitsaspekte frühzeitig mitzudenken. Kanzleramt und Justizministerium haben dazu im November eine Empfehlung für die Ministerien herausgegeben. Dort fordern sie die Ressorts auf, die SDG “von Beginn an bei allen Prozessschritten der Konzeption und Ausarbeitung von Gesetzen” mit einzubeziehen. Ob das ausreicht, wird sich zeigen.

Zudem sollen Ausgaben des Bundes an die SDG geknüpft werden. Damit beschäftigte sich ein Lenkungsausschuss im Rahmen eines Spending-Review-Prozesses, den die Vorgängerregierung beauftragt hatte. Wie seine Empfehlungen umgesetzt werden, ist noch unklar.

Subventionen und Steuern

1. Abbau klimaschädlicher Subventionen: Fortschritte unwahrscheinlich

Im Koalitionsvertrag sind zwar keine konkreten Maßnahmen genannt, doch die Botschaft ist unmissverständlich: “Überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben” sollen abgebaut werden. Ein Ziel, das auch die Klima-, Energie- und Umweltminister der G7 im Mai vergangenen Jahres unter Vorsitz Deutschlands unterstrichen haben. Nach ihrem Treffen in Berlin bekräftigten sie in einem gemeinsamen Abschluss-Kommuniqué die Verpflichtung, “ineffiziente Subvention für fossile Brennstoffe” bis 2025 zu beenden.

Konkrete Schritte hat es im Jahr 2022 vor dem Hintergrund von Ukrainekrieg und Energiekrise nicht gegeben. Aber daran allein hat es wohl nicht gelegen. Vielmehr haben die Koalitionspartner auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Subventionen verzichtbar wären. Während sich die FDP zum Beispiel einen Wiedereinstieg in die hochsubventionierte Atomkraft, aber keinen Ausstieg aus dem Dienstwagenprivileg, vorstellen kann, ist es bei den Grünen genau umgekehrt. Die SPD wiederum hadert etwa aufgrund drohender Arbeitsplatzverluste mit dem Subventionsabbau für die heimische Kohleindustrie.

Substanzielle Fortschritte sind deshalb auch in diesem Jahr nicht zu erwarten. Laut Umweltbundesamt belaufen sich die umweltschädlichen Subventionen in Deutschland auf über 65 Milliarden Euro jährlich.

2. Reformen von Steuern, Abgaben und Umlagen im Energiesystem geplant

Die EU-Kommission hat im Juli 2021 einen Vorschlag zur Reform der seit 2003 geltenden Energiesteuerrichtlinie vorgelegt. Die Neufassung sieht unter anderem vor, die Besteuerung von Energieträgern künftig anhand ihres Energiegehalts und ihrer Umweltverträglichkeit vorzunehmen. Kohle und Mineralöle würden am höchsten besteuert; Strom, Biogas sowie grüner Wasser- und Biokraftstoff am niedrigsten.

Laut neuer Richtlinie müsste zudem das Kerosin auf innereuropäischen Passagierflügen künftig versteuert werden. Auch die in Deutschland niedrigere Besteuerung von Diesel im Vergleich zum Benzin (Dieselprivileg) fiele weg.

Die Bundesregierung hat dafür im Koalitionsvertrag bereits Kompensation angedeutet. Käme es zur Angleichung zwischen Diesel und Benzin, heißt es dort, dann werde man “die steuerliche Behandlung von Dieselfahrzeugen in der Kfz-Steuer überprüfen”. Geplant ist, dass die neue Energiesteuerrichtlinie im Jahr 2023 in Kraft tritt.

Laut Klimaschutzbericht 2022 plant die Bundesregierung darüber hinaus eine umfassende Reform der Abgaben, Umlagen und Steuern im Energiesystem. Dazu gehört eine weitergehende Reduzierung der EEG-Umlage. Der Vorschlag soll bis Mitte 2023 vorliegen.

Klimaschutz

1. Klimaschutz-Sofortprogramm sorgt für Konflikte zwischen Ministerien

Die Wirtschaft wartet auf das Klimaschutz-Sofortprogramm der Bundesregierung. Bis Ende 2022 sollte ein Kabinettsbeschluss vorliegen. Daraus ist aber bis heute nichts geworden.

Das Programm soll darlegen, zu welchen Maßnahmen die Regierung greifen wird, damit Deutschland seine Klimaziele bis zum Jahr 2030 erreichen kann. Geplant ist, die Emissionen gegenüber 1990 um insgesamt 65 Prozent zu senken. Für jeden Sektor, etwa Gebäude, Energie oder Verkehr, ist ein spezifischer Fahrplan in Vorbereitung.

Grund für die Verzögerungen sind Unstimmigkeiten zwischen den Ministerien. Insbesondere das FDP-geführte Verkehrsministerium trage nicht die notwendigen Einsparungen an Treibhausgasen bei, hieß es laut Medienberichten in einem vertraulichen Eckwertepapier. Danach bestehe im Sektor Verkehr weiter ein Minderungsbedarf von 118 bis 175 Millionen Tonnen.

2. Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz

Auf den Weg gebracht ist hingegen das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK). Den Entwurf hat das Bundesumweltministerium im August vorgestellt. Seither läuft das Beteiligungsverfahren. Laut Umweltministerin Steffi Lemke wird das Kabinett möglichst früh im Jahr 2023 darüber entscheiden, “damit das Programm zügig in die vollständige Umsetzung gehen kann”. Sie sieht das ANK als ein “Herzstück der Klimapolitik der Bundesregierung” an, weil natürliche Ökosysteme von herausragender Bedeutung für den Klimaschutz und die Biodiversität seien.

Bis 2026 stehen für das Programm vier Milliarden Euro bereit. Sie stammen vor allem aus dem neu geschaffenen Klima- und Transformationsfonds. Während Umweltverbände das ANK begrüßen, beäugt der Deutsche Bauernverband (DBV) das Vorhaben kritisch. “Eine pauschale Forderung nach ‘mehr Wildnis’ ist keine tragfähige Zukunftsstrategie für natürlichen Klimaschutz.” Vielmehr müssten Biodiversitätsziele in eine aktive Landnutzung integriert werden, hieß es vom DBV anlässlich der Vorstellung des ANK.

Gesunde Ernährung und ökologische Landwirtschaft

Mit seinen Reformplänen steht das Umweltministerium nicht allein da. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir drängt auf eine Beschleunigung beim Ökolandbau. Das erklärte Ziel: den Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent zu steigern (Ende 2021 10,9 Prozent). Dafür soll die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau bis zum Sommer zu einer übergreifenden Strategie der gesamten Bundesregierung weiterentwickelt werden.

Ein wichtiger Hebel für mehr Ökolandbau ist aus Sicht des Ministeriums, dass ökologisch, regional und saisonal erzeugter Lebensmittel in der Außer-Haus-Verpflegung (AHV), also in Kantinen, der Schulspeisung und der Gastronomie, häufiger verwendet werden. Den Weg dahin soll eine Bio-AHV-Verordnung ebnen, die Schulungen, erleichterte Zertifizierungen und eine bessere Information der Gäste ermöglicht.

Zudem plant das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) eine Ernährungsstrategie, die hat Özdemir Ende 2022 im Kabinett vorgestellt. Im Fokus stehen die Förderung einer stärker pflanzenbetonten Ernährung, die Reduzierung gesundheitsschädlicher Stoffe wie Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln und das Thema Lebensmittelverschwendung.

Darüber hinaus will das BMEL Kinder besser vor Werbung für Produkte mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt schützen. Unklar ist noch, wie dies ausgestaltet werden soll. Obwohl von einem Werbeverbot bislang keine Rede ist, positionieren sich die CDU und der Lebensmittelverband Deutschland bereits dagegen.

Nachhaltige öffentliche Beschaffung

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) will mit einem Vergabetransformationspaket ein “neues Ambitionsniveau” bei Klimafreundlichkeit in der öffentlichen Beschaffung erreichen. Auch die Verbindlichkeit soll gestärkt werden. Weitere Ziele: “KMU- und Start-Up-Freundlichkeit, Digitalisierung sowie Vereinfachung und Beschleunigung.” Dies soll etwa auch Innovationen erleichtern und folglich Nachhaltigkeit stärken.

Vor zehn Jahren war Nachhaltigkeit bei der öffentlichen Beschaffung ein vergabefremder Faktor. Inzwischen haben sich das Bewusstsein und der rechtliche Rahmen geändert. Einkäufe des Staates können ein großer Hebel für nachhaltige Transformation sein. Doch in der Praxis der Vergabestellen gibt es nach wie vor hohe Hürden für die Beschaffung von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen. Die öffentliche Konsultation, die seit Ende Dezember läuft, wird zeigen, inwieweit die Herausforderungen in der Praxis durch Regulierung adressiert werden können.

Von Nicolas Heronymus und Carsten Hübner. Mitarbeit: Leonie Düngefeld

  • Bio-AHVV
  • NKWS
  • Ökologische Landwirtschaft

Presseschau

Über die lebensrettenden und zerstörerischen Wirkungen von Stickstoff THE ECONOMIST
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Fünf asiatische Länder machen China in den Lieferketten zunehmend Konkurrenz BUSINESS INSIDER
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Die wichtigsten Naturschutzthemen des Jahres 2023 THE GUARDIAN
Blackrock wird zerrieben wegen seiner Nachhaltigkeitsstrategie DER SPIEGEL
Lieferkettengesetz: Ein Experiment mit offenem Ausgang DIE ZEIT
Bundesregierung bangt um Rohstoffe SZ
Batteriemetalle: EU droht neue Recyclingziele zu verfehlen INVESTING.COM
Temperaturrekorde in Europa zu Jahresanfang gebrochen RND
Wie Ernährung das Gehirn und den Körper beeinflusst THE ECONOMIST
Beim Abkommen für die Textilwirtschaft in Pakistan fehlt ein wichtiger Punkt TAZ
Von der Macht des Klimaschwindels FT
Importeure von Mineralen und Metallen verstoßen häufig gegen EU-Sorgfaltspflichten FAZ

Standpunkt

Aus der Krise zur Wirtschaft der Fülle: Finanzkapital in Naturkapital wandeln

Von Daniel Dahm
Daniel Dahm zu regenerativer Ökonomie
Daniel Dahm. Wissenschaftler, Unternehmer und Pionier der Nachhaltigkeit.

Der Mensch muss essen, um zu überleben. Aber wenn die Menschen ihre Nahrung weiter auf eine Art und Weise produzieren, bei der sie die Schädigung und schrittweise Zerstörung von Landschaften, Gewässern, Böden und Nahrungsketten billigend in Kauf nehmen, vernichten sie Stück für Stück ihre Lebensgrundlagen, die auch ihre Produktionsgrundlagen bilden. Dabei könnte die Menschheit sofort umsteuern und z.B. die Nahrungsmittelproduktion als einen gewaltigen Hebel für das Lebensdienliche nutzen. Künftig könnten dann alle Bäuerinnen und Bauern die natürlichen Lebensgrundlagen regenerieren und unsere planetaren Ökosysteme wieder aufbauen und stärken.

Eine zentrale Rolle könnte dabei der Finanzwirtschaft zukommen, die aber bislang maßgeblich zur Degradation und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen beiträgt. Dafür ist eine wahrhaftige soziale und ökologische Marktwirtschaft notwendig. Diese müssen wir ordnungspolitisch ermöglichen – das bedeutet auch, den (potenziell anarchistischen) Finanzkapitalismus hinter sich zu lassen.

Wenn wir die Externalisierung von Lasten als einen Gegenprozess zur Nachhaltigkeit diagnostizieren, weil sie die Lebensgrundlagen (die auch die Grundlagen der Produktion sind) beschädigt, und wenn wir erkennen, dass die Finanzproduktivität bisher auf der Externalisierung von Kosten in Natur und Gesellschaft beruht, dann wird der Finanzkapitalismus als Motor der Externalisierung identifiziert. Er muss daher als eine Gegenstrategie zur nachhaltigen Entwicklung verstanden werden. Durch die private Anhäufung von Finanzkapital und Wirtschaftsgütern bei immer weniger Menschen wird die Mehrheit der vielen anderen Menschen aus dem Markt verdrängt; sie können nicht mehr als eigenständige Akteure am Marktgeschehen teilnehmen.

Finanzkapitalismus zerstört Grundlagen der Marktwirtschaft

Fazit: Der Finanzkapitalismus – “der Kapitalismus” – zerstört die Produktionsgrundlagen der Marktwirtschaft und entzieht den Märkten die Marktteilnehmer. Dadurch wird dynamisches und innovatives Marktgeschehen völlig dysfunktional oder unmöglich. Der Kapitalismus muss als Gegenprozess zur Marktwirtschaft verstanden werden.

Macht die Menschheit weiter wie bisher, manövriert sie sich in die Sackgasse ihrer eigenen Evolution. Um das zu verhindern, wäre es hilfreich, wenn wir uns ins Bewusstsein rufen, dass wir keine Kunstwesen sind, sondern Teil des komplexen Ökosystems Erde. Der indigene Chief der Duwamish See-at-la brachte dies 1855 zum Ausdruck: “Alles ist verbunden. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer ihr dem Gewebe antut, das tut ihr euch selber an.”

Doch im Verständnis von Ökologie ändert sich nichts, im Gegenteil, die Naturzerstörung schreitet schneller voran als je zuvor, die neuen Technologien legitimieren dies. An die Stelle des Diesel-SUV tritt das Elektro-SUV, die weltweiten Landschaftszerstörungen, die als Ergebnis der raubbauenden westlich-europäisch geprägten Wirtschaftsweisen verbleiben, werden immer extremer auf die Spitze getrieben, obwohl schon vor 30 Jahren beim Earth-Summit in Rio klar war, dass dieser Vernichtungsfeldzug des Westens gegen den Rest der Menschheit in eine Katastrophe führt.

Um den Rausch des Massenkonsums und eines leicht zu generierenden finanziellen Reichtums begehen besonders die christlich-weißen Gesellschaften Verbrechen an der Zukunft und unseren Kindern. Und sie haben jahrzehntelang der gesamten Menschheit diesen zukunftszerstörenden und damit selbstmörderischen Entwicklungspfad aufgezwungen. Den können wir nicht fortsetzen, wenn die Menschheit überleben soll.

Orientierung an Vielfalt und Differenz

Wir sind vielleicht in das letzte Jahrhundert der Menschheit eingetreten “the final century” – wie Lord Martin Rees 2003 formulierte, königlicher Astronom Englands, Professor für Astrophysik in Cambridge und der zwanzigste Präsident der Royal Society of Science. Doch eine friedliche, gerechte und lebenswerte Zukunft ist noch möglich – wenn eine klare Abkehr von den geltenden wirtschaftspolitischen Ideologien und Machbarkeitsfantasien gelingt. Dafür notwendig ist eine Orientierung des wirtschaftlichen Handelns an grundlegenden ökologischen Prinzipien, wie Vielfalt und Differenz. Dann besteht die Möglichkeit für einen Aufstieg einer regenerativen Ökonomie.

Das Verständnis, dass es einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel zu einer aufbauenden, regenerativen Ökonomie braucht, die den materiellen und immateriellen Lebensgrundlagen – den Gemeingütern – dient, setzt sich zwar bei immer mehr Menschen durch. Aber es ist noch weit davon entfernt, das bestimmende Paradigma zu sein.

Sinnvollerweise würde der Begriff der Lebensdienlichkeit an die Stelle dessen rücken, was wir mit Nachhaltigkeit meinten. Wenn der Erhalt gescheitert ist, geht es also darum, das zerstörte Gewebe der Ökosysteme wieder aufzubauen. Dank einer solchen schrittweisen Regeneration der natürlichen Lebensgrundlagen könnte auch die globale Biokapazität wieder aufgebaut werden – und den Menschen würde wieder Raum zur Entfaltung, Luft zum Atmen und die Fülle einer fruchtbaren Natur zur Verfügung stehen.

Im Kern einer regenerativen Ökonomie stehen ihre lebensweltlichen Wirtschaftsziele zur Sicherung alltäglicher Bedarfe, guter Lebensbedingungen und einer friedlichen und nachhaltigen Entwicklung – die Stabilisierung von Nahrungsketten und biogeochemischen Flüssen, die Stärkung biologischer und funktionaler Diversität von Ökosystemen, der Fruchtbarkeit von Böden, Landschaften und Gewässern und auch die Abspeicherung von CO₂ in Biomasse.

Das erfordert ein ökonomisches Denken, das nicht auf Raubbau und Auszehrung oder Plünderung und Externalisierung von Kosten beruht. Schon jetzt überlasten uns die Kosten, die in der Vergangenheit vor allem der vergangenen 40 Jahre externalisiert wurden – diese wurden abgewälzt – auf uns und unsere Kinder und Kindeskinder.

Quellen der Wertschöpfung verstehen

Nur wer die Quellen der Wertschöpfung in ihrer ökologischen Verflechtung und Abhängigkeit versteht und strategisch einbezieht, kann eine starke und pluralistische Wirtschaft schaffen, in der sich die Vielfalt der Kapitalien, statt sich gegenseitig zu konterkarieren, gegenseitig wachsen und dynamisch stabilisieren kann.

Die “Wachstumswirtschaft” der vergangenen Jahrzehnte zerstörte die Funktionsfähigkeit der Märkte und ihre Voraussetzungen. Der Finanzkapitalismus verbrannte die Grundlagen der Produktion und zerstörte vielfach die Pluralität an Wirtschaftsakteuren und förderte die Oligopolisierung und Monopolisierung auf den Märkten. Die praktische und öffentlich kolportierte Gleichsetzung von Marktwirtschaft und (Finanz-)Kapitalismus ist ein Kardinalfehler der jüngeren Vergangenheit. Aber der Prozess lässt sich umkehren. Denn die Finanzwirtschaft hat das Potenzial, eine treibende Funktion für den Aufstieg einer regenerativen Ökonomie einzunehmen.

Jahrzehntelang wurde im großen Stil Naturkapital in Finanzkapital umgewandelt; jetzt ist es an der Zeit, Finanzkapital in Naturkapital zu investieren und es systematisch und in großem Umfang wieder aufzubauen, ein Generationenprojekt. Es wird unsere Aufgabe sein, Naturreservate und Schutzzonen neu zu schaffen, Auenlandschaften zu rekultivieren, aufzuforsten, Moore und Feuchtgebiete zu revitalisieren, Kohlenstoff und Stickstoff zu binden, Meere und Nahrungsketten zu reinigen und zu stärken, Naturlandschaften und Meere zu stützen und zu vitalisieren. Wenn dies gelingt, dann wird Nachhaltigkeit für uns alle möglich.

Um den notwendigen Transformationsprozess für die Wirtschaft und ihre Institutionen einzuleiten, benötigen wir eine Marktwirtschaft, in der alle wirtschaftlichen Auswirkungen auf natürliche Lebensgrundlagen, negative wie positive, in die Unternehmensbilanzen einfließen – entlang der Sustainability Zeroline – der Null-Linie der Nachhaltigkeit. Dies erfordert eine Integration aller Naturwirkungen in die Rechnungslegungsstandards (Handels- und Steuerbilanz), eine integrierte Nachhaltigkeitsrechnung: ein Naturkapital-Accounting.

Denn alle Belastungen der ökologischen Lebensgrundlagen müssen durch Reinvestitionen nicht nur vollständig kompensiert, sondern überkompensiert und in ihrer Wirkung lebenserhaltend transformiert werden. Dazu ist eine systematische Erweiterung der unternehmerischen Methoden und wirtschaftlichen Praktiken erforderlich, die von der Nachhaltigkeitsbewertung, der Finanzanalyse, dem Risikomanagement und der Unternehmensbewertung bis hin zu neuen Investitionsinstrumenten und -logiken reichen.

Marktwirtschaft und Natur versöhnen

All dies erfordert ein inspiriertes, mutiges und starkes Regierungshandeln, um die rechtlichen und regulatorischen sowie die institutionellen und internationalen Rahmenbedingungen zu schaffen und durchzusetzen, die eine lebensfreundliche Zukunft ermöglichen werden. Noch nie war der Bedarf an bahnbrechenden politischen Entscheidungen und einer mutigen Positionierung so groß wie heute. Aber wenn wir die richtigen Investitionsentscheidungen treffen können, ohne uns selbst zu schwächen, kann unsere Gesellschaft Marktwirtschaft und Natur versöhnen und die natürlichen Lebensgrundlagen wieder aufbauen.

Der Wissenschaftler und Unternehmer Daniel Dahm ist u.a. Gründer der United Sustainability Group, die sich mit dem Aufbau ökologischer Sachwerte beschäftigt, Mitglied des Club of Rome Germany, Councilor des World Future Council und Juryvorsitzender des Internorga Future Award.

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Dessert

In welcher rasanten Geschwindigkeit Menschen ein lebendiges Ökosystem in einer Region zerstören, aber auch wieder aufbauen können, zeigt die Geschichte der sogenannten Dust Bowl in den USA. Derzeit Thema einer eindrücklichen vierteiligen Dokumentation auf Arte.

Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise wurden in den 1930er Jahren Teile der Great Plains von verheerenden Dürren und Staubstürmen getroffen. Verursacht hatten dies die Menschen mit ihrer Art von Landwirtschaft: Traditionell hatten dort Indianer im Einklang mit der Natur und großen Bisonherden gelebt. Die Eroberer aus Europa hatten die Tiere abgeschlachtet und die Indianer vertrieben. Schließlich pflügten sie das Land unter, um dort Weizen anzubauen. Dabei schlugen sie Warnungen in den Wind, das Land sei dazu ungeeignet, wegen der geringen Niederschläge und Winde. Aber in einer vergleichsweise feuchten mehrjährigen Periode expandierte die Landwirtschaft. Als dann aber eine mehrjährige Dürre einsetzte, verdorrten die Böden, türmte sich der Staub regelmäßig zu Wänden auf, bildeten sich vielfach Dünen auf dem Ackerland.

Schließlich kaufte der Staat große Flächen an und stellte sie unter Schutz, weswegen dort wieder Präriegras wachsen konnte. Die Bauern stellten auf eine bodenschonendere Art der Landwirtschaft um. Als schließlich wieder Regen einsetzte, erholte sich die Gegend. Aber das gleiche Drama wiederholte sich in den 1950er Jahren in abgeschwächter Form. Mittlerweile zapfen die Farmer sogar das uralte Grundwasser in der Region an und verbrauchen es sukzessive. Die nächste Katastrophe scheint vorprogrammiert. Caspar Dohmen

  • Landwirtschaft
  • Regenerative Ökonomie

ESG.Table Redaktion

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    2023 werden wichtige ESG-Weichen gestellt, auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Im Fokus stehen besonders die Wertschöpfungsketten: So wird die EU voraussichtlich ein Lieferkettengesetz beschließen, welches über das deutsche Gesetz hinausgeht, das seit Anfang Januar gilt. Dessen Start markiert den Beginn einer neuen Epoche für Unternehmen in Deutschland. Jetzt gilt das Paradigma der verbindlichen Mitverantwortung für die sozialen und ökologischen Verhältnisse in den Lieferketten. Es tritt an die Stelle einer freiwilligen Verantwortung von Unternehmen für ihre Lieferketten, welche in den vergangenen 30 Jahren nur wenig Verbesserungen für Mensch und Natur gebracht hat.

    Jetzt wird sich zeigen, ob das Vorhaben in der Praxis die gewünschten Wirkungen hat oder die Kritiker Recht behalten. Sie warnen unter anderem vor der Verlagerung von Produktion aus Gründen der Risikoabwägung aus einigen Regionen des globalen Südens. Über dieses und weitere wichtige ESG-Regulierungsvorhaben des neuen Jahres berichten Nicolas Heronymus und Carsten Hübner.

    Doch noch sind Deutschland, Europa und die Welt weit davon entfernt, die ökologischen und sozialen Ziele zu erreichen, die sie sich gesteckt haben, geschweige denn von den Veränderungen, die notwendig wären, damit die Menschheit die planetaren Grenzen und soziale Mindeststandards in der globalen Arbeitsteilung einhält.

    Welch enormen Hebel die Finanzwirtschaft für den Aufbau alles Lebensdienlichen bieten könnte, analysiert der Vordenker einer regenerativen Ökonomie Daniel Dahm in seinem Standpunkt. Es wäre ein Generationenprojekt und ein Weg, um die Marktwirtschaft mit der Natur zu versöhnen. Notwendig wäre dafür unter anderem eine Orientierung des wirtschaftlichen Handelns an grundlegenden ökologischen Prinzipien wie Vielfalt und Differenz.

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    Caspar Dohmen
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    Wichtige ESG-Regulierung in 2023

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    Sorgfaltsplichten für Lieferketten

    1. Die Wirksamkeit des deutschen Gesetzes hängt von den Unternehmen ab

    Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) ist gerade erst in Kraft getreten, hat aber schon einiges bewirkt. Unternehmen schauen sich ihre Zulieferer viel genauer an. Einige haben Aktivisten eingestellt, andere gründeten Brancheninitiativen, beispielsweise in der Chemieindustrie. Konkurrenten arbeiten nun zusammen – etwa in der Autobranche an den geforderten Beschwerdemechanismen.

    Wie wirksam das Gesetz sein wird, hängt entscheidend davon ab, welche Strategie Unternehmen langfristig verfolgen. Zwei Sichtweisen dominieren: den Fokus auf den Ausschluss von Haftungsrisiken für das eigene Unternehmen legen oder auf eine echte Verbesserung der Situation entlang der Wertschöpfungsketten hinarbeiten. In den Unternehmen sind meist beide Sichtweisen vertreten. Die zweite Sichtweise gewinnt Anhänger – ganz im Sinne des Gesetzes, in dem es um den Ausschluss von Risiken geht, statt um Bestrafung. Eine wichtige Rolle bei der Einhaltung des Gesetzes spielt das BAFA mit seiner neuen Außenstelle in Borna.

    2. Das europäische Lieferkettengesetz kommt und wird wohl strenger

    Allerdings muss das LkSG wahrscheinlich schon bald nachgebessert werden. Denn die EU-Richtlinie über Sorgfaltspflichten für Unternehmen (CSDDD) wird voraussichtlich an mindestens zwei Punkten über die deutsche Regelung hinausgehen. Erstens wollen alle drei EU-Institutionen eine zivilgesellschaftliche Haftung etablieren – wofür sich in Deutschland keine politische Mehrheit gefunden hatte. Zweitens sehen die EU-Vorschläge einen größeren Adressatenkreis vor. Die Schwelle könnte generell bei 500 Mitarbeitern und speziell in Risikobranchen bei 250 liegen. Grund ist die Ansicht, dass Risiken für Mensch und Umwelt viel mit der Art der Geschäfte und weniger mit der Größe von Unternehmen zu tun haben. Über Details zur Verhandlung der CSDDD berichtete der Europe.Table.

    Im Frühjahr beginnen die Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament im Trilog. Die Richtlinie soll in diesem Jahr beschlossen werden. Danach wären zwei Jahre Zeit für die Umsetzung in nationales Recht.

    3. Verhandlungen auf UN-Ebene machen kleine Fortschritte

    Eine wichtige Ergänzung zu bisherigen Lieferkettengesetzen könnte aus Sicht von vielen Staaten, Wissenschaftlern und NGO ein völkerrechtlich bindendes UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN-Treaty) sein. Zwar ist immer noch unklar, ob eine solche Vereinbarung am Ende überhaupt zustande kommt. In den ersten Verhandlungsrunden standen vor allem die EU und die USA auf der Bremse. Doch beim jüngsten Treffen im Oktober 2022 beteiligten sich überraschend erstmals die USA an der Debatte. Gleiches wird für die nächste Runde im Herbst 2023 aus Kreisen der EU-Verhandler signalisiert. Bei den Treaty-Befürwortern sorgt dies für zaghaften Optimismus. Seit den 1960er Jahren sind mehrere Anläufe gescheitert, auf UN-Ebene Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen.

    4. Import von Produkten aus Zwangsarbeit in die EU wird verboten

    Die EU-Kommission hat im September einen Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, die den Import von Produkten aus Zwangsarbeit in die EU untersagen soll. Die Billigung durch Parlament und Rat wird in den kommenden Monaten erwartet. Wirksam wird die Verordnung 24 Monate danach. Anders als bei den nationalen Lieferkettengesetzen in Europa oder dem geplanten europäischen Lieferkettengesetz wären von einer solchen Regelung auch Unternehmen betroffen, die ihren Sitz außerhalb der EU haben.

    Berichtspflichten zu Nachhaltigkeit

    Dieses Jahr tritt die EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) in Kraft. Für Unternehmen, die bereits nach der Richtlinie über nicht-finanzielle Informationen berichten müssen, ist 2023 das letzte Geschäftsjahr, um sich auf die CSRD vorzubereiten. In den kommenden Jahren erweitert sich der Adressatenkreis dann sukzessive.

    Voraussichtlich im Juni wird die EU-Kommission die allgemeinen Standards für die Berichterstattung in Form eines delegierten Rechtsaktes verabschieden. Die EFRAG, eine Expertengruppe, hat dafür übergreifende sowie spezifische Standards für jeden ESG-Faktor erarbeitet und der Kommission Ende 2022 übermittelt. In diesem Jahr erarbeitet die EFRAG das zweite Set an Standards, unter anderem die sektor- und KMU-spezifischen. Nach öffentlichen Konsultationen im Frühjahr will die Expertengruppe ihre Vorschläge Ende 2023 veröffentlichen.

    Verfügbarkeit von kritischen Rohstoffen

    Die EU-Kommission will am 14. März ihren Vorschlag für ein Gesetzespaket zu strategisch wichtigen Rohstoffen vorlegen (Critical Raw Materials Act). Ziel ist es, sich langfristig Zugang zu Rohstoffen zu sichern, die für eine nachhaltige Transformation wichtig sind. Dazu will sich die EU aus der großen Abhängigkeit von wenigen Förderländern bei einigen Materialien befreien. Details des Rohstoffpakets gab die Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW) der EU-Kommission auf der COP27 bekannt (Europe.Table berichtete).

    Bis Mai 2024 wollen SPD, Grüne und FDP eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie erarbeiten und damit die Rohstoffstrategie der Bundesregierung weiterentwickeln. In einem am Dienstag veröffentlichten Papier gibt das Bundeswirtschaftsministerium erste konkrete Hinweise zu den Maßnahmen, mit denen Deutschland seine Rohstoffversorgung langfristig sichern will. Diese umfassen unter anderem die Marktentwicklung für recycelte Rohstoffe, den Ausbau der heimischen Rohstoffgewinnung, die Finanzierung von Rohstoffprojekten im In- und Ausland sowie die Entwicklung kohärenter ESG-Standards für Rohstoffhandel.

    Verpackungen, Design und Reparatur von Produkten

    1. Neue Verpackungsverordnung dieses Jahr in der Diskussion

    Als Teil des zweiten Kreislaufwirtschaftspakets hat die EU-Kommission Ende November ihren Entwurf für die Reform der Verpackungsverordnung vorgestellt. Er will Produzenten und Mitgliedsstaaten künftig stärker zu Nachhaltigkeit verpflichten sowie Recycling und Wiederverwendung zur Norm machen. Übergreifendes Ziel der EU-Strategie ist die vollständige Recyclingfähigkeit aller Verpackungen bis zum Jahr 2030. Dies soll die Umwelt schützen, den Bedarf an Primärrohstoffen und die Abhängigkeit von Rohstoffimporten verringern. Bis zum 14. Februar läuft noch die öffentliche Konsultation zum Entwurf. Dann wird auch die Arbeit im Rat und Parlament beginnen.

    2. Vorschlag für Recht auf Reparatur soll im Frühjahr kommen

    Den mehrmals verschobenen Entwurf zum Recht auf Reparatur will die Kommission im März 2023 vorlegen. Dies hat Ana Gallego Torres, Generaldirektorin für Justiz und Verbraucher (DG JUST), Anfang Dezember in einer Anhörung im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des Parlaments angekündigt.

    Mit dem Vorhaben soll die Lebensdauer von reparaturfähigen Verbrauchsgütern verlängert und die vorzeitige Entsorgung vermieden werden. Die Kommission wird wahrscheinlich vorschlagen, die gesetzliche Garantie für diese Güter zu verlängern und individuell an einzelne Produktgruppen anzupassen. Sie will zudem Instrumente vorschlagen, um nach Garantieablauf die Reparatur für Verbraucher einfacher und attraktiver zu machen, etwa durch mehr Transparenz bei den Reparaturbedingungen.

    3. Ökodesign-Verordnung der EU: Fortschritte in Parlament und Rat

    Weitere Anforderungen an die Reparierbarkeit von Produkten sollen durch die neue Ökodesign-Verordnung etabliert werden. Im März 2022 hatte die Kommission ihren Entwurf präsentiert. Im Dezember stellte Alessandra Moretti (S&D), Berichterstatterin im Parlament, den Entwurf für die Position des Parlaments im Umweltausschuss vor. Dort wird er wahrscheinlich im Frühling abgestimmt. Auch der Rat beschäftigt sich derzeit mit dem Thema.

    Nachhaltigkeit bei Gesetzen und Ausgaben

    Um die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) erreichen zu können, will die Bundesregierung Gesetze und Ausgaben stärker als bisher an ebendiese Ziele knüpfen. Eine Nachhaltigkeitsprüfung für Bundesgesetze gibt es zwar schon seit einem Jahrzehnt, aber erst am Ende eines Gesetzgebungsprozesses. Auch die Ausgaben des Bundes sind bisher noch nicht hinreichend mit den SDG verbunden.

    Ab diesem Jahr soll der Fokus deshalb stärker darauf liegen, Nachhaltigkeitsaspekte frühzeitig mitzudenken. Kanzleramt und Justizministerium haben dazu im November eine Empfehlung für die Ministerien herausgegeben. Dort fordern sie die Ressorts auf, die SDG “von Beginn an bei allen Prozessschritten der Konzeption und Ausarbeitung von Gesetzen” mit einzubeziehen. Ob das ausreicht, wird sich zeigen.

    Zudem sollen Ausgaben des Bundes an die SDG geknüpft werden. Damit beschäftigte sich ein Lenkungsausschuss im Rahmen eines Spending-Review-Prozesses, den die Vorgängerregierung beauftragt hatte. Wie seine Empfehlungen umgesetzt werden, ist noch unklar.

    Subventionen und Steuern

    1. Abbau klimaschädlicher Subventionen: Fortschritte unwahrscheinlich

    Im Koalitionsvertrag sind zwar keine konkreten Maßnahmen genannt, doch die Botschaft ist unmissverständlich: “Überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben” sollen abgebaut werden. Ein Ziel, das auch die Klima-, Energie- und Umweltminister der G7 im Mai vergangenen Jahres unter Vorsitz Deutschlands unterstrichen haben. Nach ihrem Treffen in Berlin bekräftigten sie in einem gemeinsamen Abschluss-Kommuniqué die Verpflichtung, “ineffiziente Subvention für fossile Brennstoffe” bis 2025 zu beenden.

    Konkrete Schritte hat es im Jahr 2022 vor dem Hintergrund von Ukrainekrieg und Energiekrise nicht gegeben. Aber daran allein hat es wohl nicht gelegen. Vielmehr haben die Koalitionspartner auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Subventionen verzichtbar wären. Während sich die FDP zum Beispiel einen Wiedereinstieg in die hochsubventionierte Atomkraft, aber keinen Ausstieg aus dem Dienstwagenprivileg, vorstellen kann, ist es bei den Grünen genau umgekehrt. Die SPD wiederum hadert etwa aufgrund drohender Arbeitsplatzverluste mit dem Subventionsabbau für die heimische Kohleindustrie.

    Substanzielle Fortschritte sind deshalb auch in diesem Jahr nicht zu erwarten. Laut Umweltbundesamt belaufen sich die umweltschädlichen Subventionen in Deutschland auf über 65 Milliarden Euro jährlich.

    2. Reformen von Steuern, Abgaben und Umlagen im Energiesystem geplant

    Die EU-Kommission hat im Juli 2021 einen Vorschlag zur Reform der seit 2003 geltenden Energiesteuerrichtlinie vorgelegt. Die Neufassung sieht unter anderem vor, die Besteuerung von Energieträgern künftig anhand ihres Energiegehalts und ihrer Umweltverträglichkeit vorzunehmen. Kohle und Mineralöle würden am höchsten besteuert; Strom, Biogas sowie grüner Wasser- und Biokraftstoff am niedrigsten.

    Laut neuer Richtlinie müsste zudem das Kerosin auf innereuropäischen Passagierflügen künftig versteuert werden. Auch die in Deutschland niedrigere Besteuerung von Diesel im Vergleich zum Benzin (Dieselprivileg) fiele weg.

    Die Bundesregierung hat dafür im Koalitionsvertrag bereits Kompensation angedeutet. Käme es zur Angleichung zwischen Diesel und Benzin, heißt es dort, dann werde man “die steuerliche Behandlung von Dieselfahrzeugen in der Kfz-Steuer überprüfen”. Geplant ist, dass die neue Energiesteuerrichtlinie im Jahr 2023 in Kraft tritt.

    Laut Klimaschutzbericht 2022 plant die Bundesregierung darüber hinaus eine umfassende Reform der Abgaben, Umlagen und Steuern im Energiesystem. Dazu gehört eine weitergehende Reduzierung der EEG-Umlage. Der Vorschlag soll bis Mitte 2023 vorliegen.

    Klimaschutz

    1. Klimaschutz-Sofortprogramm sorgt für Konflikte zwischen Ministerien

    Die Wirtschaft wartet auf das Klimaschutz-Sofortprogramm der Bundesregierung. Bis Ende 2022 sollte ein Kabinettsbeschluss vorliegen. Daraus ist aber bis heute nichts geworden.

    Das Programm soll darlegen, zu welchen Maßnahmen die Regierung greifen wird, damit Deutschland seine Klimaziele bis zum Jahr 2030 erreichen kann. Geplant ist, die Emissionen gegenüber 1990 um insgesamt 65 Prozent zu senken. Für jeden Sektor, etwa Gebäude, Energie oder Verkehr, ist ein spezifischer Fahrplan in Vorbereitung.

    Grund für die Verzögerungen sind Unstimmigkeiten zwischen den Ministerien. Insbesondere das FDP-geführte Verkehrsministerium trage nicht die notwendigen Einsparungen an Treibhausgasen bei, hieß es laut Medienberichten in einem vertraulichen Eckwertepapier. Danach bestehe im Sektor Verkehr weiter ein Minderungsbedarf von 118 bis 175 Millionen Tonnen.

    2. Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz

    Auf den Weg gebracht ist hingegen das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK). Den Entwurf hat das Bundesumweltministerium im August vorgestellt. Seither läuft das Beteiligungsverfahren. Laut Umweltministerin Steffi Lemke wird das Kabinett möglichst früh im Jahr 2023 darüber entscheiden, “damit das Programm zügig in die vollständige Umsetzung gehen kann”. Sie sieht das ANK als ein “Herzstück der Klimapolitik der Bundesregierung” an, weil natürliche Ökosysteme von herausragender Bedeutung für den Klimaschutz und die Biodiversität seien.

    Bis 2026 stehen für das Programm vier Milliarden Euro bereit. Sie stammen vor allem aus dem neu geschaffenen Klima- und Transformationsfonds. Während Umweltverbände das ANK begrüßen, beäugt der Deutsche Bauernverband (DBV) das Vorhaben kritisch. “Eine pauschale Forderung nach ‘mehr Wildnis’ ist keine tragfähige Zukunftsstrategie für natürlichen Klimaschutz.” Vielmehr müssten Biodiversitätsziele in eine aktive Landnutzung integriert werden, hieß es vom DBV anlässlich der Vorstellung des ANK.

    Gesunde Ernährung und ökologische Landwirtschaft

    Mit seinen Reformplänen steht das Umweltministerium nicht allein da. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir drängt auf eine Beschleunigung beim Ökolandbau. Das erklärte Ziel: den Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent zu steigern (Ende 2021 10,9 Prozent). Dafür soll die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau bis zum Sommer zu einer übergreifenden Strategie der gesamten Bundesregierung weiterentwickelt werden.

    Ein wichtiger Hebel für mehr Ökolandbau ist aus Sicht des Ministeriums, dass ökologisch, regional und saisonal erzeugter Lebensmittel in der Außer-Haus-Verpflegung (AHV), also in Kantinen, der Schulspeisung und der Gastronomie, häufiger verwendet werden. Den Weg dahin soll eine Bio-AHV-Verordnung ebnen, die Schulungen, erleichterte Zertifizierungen und eine bessere Information der Gäste ermöglicht.

    Zudem plant das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) eine Ernährungsstrategie, die hat Özdemir Ende 2022 im Kabinett vorgestellt. Im Fokus stehen die Förderung einer stärker pflanzenbetonten Ernährung, die Reduzierung gesundheitsschädlicher Stoffe wie Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln und das Thema Lebensmittelverschwendung.

    Darüber hinaus will das BMEL Kinder besser vor Werbung für Produkte mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt schützen. Unklar ist noch, wie dies ausgestaltet werden soll. Obwohl von einem Werbeverbot bislang keine Rede ist, positionieren sich die CDU und der Lebensmittelverband Deutschland bereits dagegen.

    Nachhaltige öffentliche Beschaffung

    Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) will mit einem Vergabetransformationspaket ein “neues Ambitionsniveau” bei Klimafreundlichkeit in der öffentlichen Beschaffung erreichen. Auch die Verbindlichkeit soll gestärkt werden. Weitere Ziele: “KMU- und Start-Up-Freundlichkeit, Digitalisierung sowie Vereinfachung und Beschleunigung.” Dies soll etwa auch Innovationen erleichtern und folglich Nachhaltigkeit stärken.

    Vor zehn Jahren war Nachhaltigkeit bei der öffentlichen Beschaffung ein vergabefremder Faktor. Inzwischen haben sich das Bewusstsein und der rechtliche Rahmen geändert. Einkäufe des Staates können ein großer Hebel für nachhaltige Transformation sein. Doch in der Praxis der Vergabestellen gibt es nach wie vor hohe Hürden für die Beschaffung von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen. Die öffentliche Konsultation, die seit Ende Dezember läuft, wird zeigen, inwieweit die Herausforderungen in der Praxis durch Regulierung adressiert werden können.

    Von Nicolas Heronymus und Carsten Hübner. Mitarbeit: Leonie Düngefeld

    • Bio-AHVV
    • NKWS
    • Ökologische Landwirtschaft

    Presseschau

    Über die lebensrettenden und zerstörerischen Wirkungen von Stickstoff THE ECONOMIST
    Sollten wir auf Menschen achten, die nie zu existieren brauchen? THE ECONOMIST
    Warum Porsche in Chile klimafreundliche Kraftstoffe produziert SZ
    Wegen fehlender Fachkräfte wird Transformation schwierig SZ
    Fünf asiatische Länder machen China in den Lieferketten zunehmend Konkurrenz BUSINESS INSIDER
    Es ist Zeit, dass die Märkte schweigen und wir der Natur zuhören THE GUARDIAN
    Die wichtigsten Naturschutzthemen des Jahres 2023 THE GUARDIAN
    Blackrock wird zerrieben wegen seiner Nachhaltigkeitsstrategie DER SPIEGEL
    Lieferkettengesetz: Ein Experiment mit offenem Ausgang DIE ZEIT
    Bundesregierung bangt um Rohstoffe SZ
    Batteriemetalle: EU droht neue Recyclingziele zu verfehlen INVESTING.COM
    Temperaturrekorde in Europa zu Jahresanfang gebrochen RND
    Wie Ernährung das Gehirn und den Körper beeinflusst THE ECONOMIST
    Beim Abkommen für die Textilwirtschaft in Pakistan fehlt ein wichtiger Punkt TAZ
    Von der Macht des Klimaschwindels FT
    Importeure von Mineralen und Metallen verstoßen häufig gegen EU-Sorgfaltspflichten FAZ

    Standpunkt

    Aus der Krise zur Wirtschaft der Fülle: Finanzkapital in Naturkapital wandeln

    Von Daniel Dahm
    Daniel Dahm zu regenerativer Ökonomie
    Daniel Dahm. Wissenschaftler, Unternehmer und Pionier der Nachhaltigkeit.

    Der Mensch muss essen, um zu überleben. Aber wenn die Menschen ihre Nahrung weiter auf eine Art und Weise produzieren, bei der sie die Schädigung und schrittweise Zerstörung von Landschaften, Gewässern, Böden und Nahrungsketten billigend in Kauf nehmen, vernichten sie Stück für Stück ihre Lebensgrundlagen, die auch ihre Produktionsgrundlagen bilden. Dabei könnte die Menschheit sofort umsteuern und z.B. die Nahrungsmittelproduktion als einen gewaltigen Hebel für das Lebensdienliche nutzen. Künftig könnten dann alle Bäuerinnen und Bauern die natürlichen Lebensgrundlagen regenerieren und unsere planetaren Ökosysteme wieder aufbauen und stärken.

    Eine zentrale Rolle könnte dabei der Finanzwirtschaft zukommen, die aber bislang maßgeblich zur Degradation und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen beiträgt. Dafür ist eine wahrhaftige soziale und ökologische Marktwirtschaft notwendig. Diese müssen wir ordnungspolitisch ermöglichen – das bedeutet auch, den (potenziell anarchistischen) Finanzkapitalismus hinter sich zu lassen.

    Wenn wir die Externalisierung von Lasten als einen Gegenprozess zur Nachhaltigkeit diagnostizieren, weil sie die Lebensgrundlagen (die auch die Grundlagen der Produktion sind) beschädigt, und wenn wir erkennen, dass die Finanzproduktivität bisher auf der Externalisierung von Kosten in Natur und Gesellschaft beruht, dann wird der Finanzkapitalismus als Motor der Externalisierung identifiziert. Er muss daher als eine Gegenstrategie zur nachhaltigen Entwicklung verstanden werden. Durch die private Anhäufung von Finanzkapital und Wirtschaftsgütern bei immer weniger Menschen wird die Mehrheit der vielen anderen Menschen aus dem Markt verdrängt; sie können nicht mehr als eigenständige Akteure am Marktgeschehen teilnehmen.

    Finanzkapitalismus zerstört Grundlagen der Marktwirtschaft

    Fazit: Der Finanzkapitalismus – “der Kapitalismus” – zerstört die Produktionsgrundlagen der Marktwirtschaft und entzieht den Märkten die Marktteilnehmer. Dadurch wird dynamisches und innovatives Marktgeschehen völlig dysfunktional oder unmöglich. Der Kapitalismus muss als Gegenprozess zur Marktwirtschaft verstanden werden.

    Macht die Menschheit weiter wie bisher, manövriert sie sich in die Sackgasse ihrer eigenen Evolution. Um das zu verhindern, wäre es hilfreich, wenn wir uns ins Bewusstsein rufen, dass wir keine Kunstwesen sind, sondern Teil des komplexen Ökosystems Erde. Der indigene Chief der Duwamish See-at-la brachte dies 1855 zum Ausdruck: “Alles ist verbunden. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer ihr dem Gewebe antut, das tut ihr euch selber an.”

    Doch im Verständnis von Ökologie ändert sich nichts, im Gegenteil, die Naturzerstörung schreitet schneller voran als je zuvor, die neuen Technologien legitimieren dies. An die Stelle des Diesel-SUV tritt das Elektro-SUV, die weltweiten Landschaftszerstörungen, die als Ergebnis der raubbauenden westlich-europäisch geprägten Wirtschaftsweisen verbleiben, werden immer extremer auf die Spitze getrieben, obwohl schon vor 30 Jahren beim Earth-Summit in Rio klar war, dass dieser Vernichtungsfeldzug des Westens gegen den Rest der Menschheit in eine Katastrophe führt.

    Um den Rausch des Massenkonsums und eines leicht zu generierenden finanziellen Reichtums begehen besonders die christlich-weißen Gesellschaften Verbrechen an der Zukunft und unseren Kindern. Und sie haben jahrzehntelang der gesamten Menschheit diesen zukunftszerstörenden und damit selbstmörderischen Entwicklungspfad aufgezwungen. Den können wir nicht fortsetzen, wenn die Menschheit überleben soll.

    Orientierung an Vielfalt und Differenz

    Wir sind vielleicht in das letzte Jahrhundert der Menschheit eingetreten “the final century” – wie Lord Martin Rees 2003 formulierte, königlicher Astronom Englands, Professor für Astrophysik in Cambridge und der zwanzigste Präsident der Royal Society of Science. Doch eine friedliche, gerechte und lebenswerte Zukunft ist noch möglich – wenn eine klare Abkehr von den geltenden wirtschaftspolitischen Ideologien und Machbarkeitsfantasien gelingt. Dafür notwendig ist eine Orientierung des wirtschaftlichen Handelns an grundlegenden ökologischen Prinzipien, wie Vielfalt und Differenz. Dann besteht die Möglichkeit für einen Aufstieg einer regenerativen Ökonomie.

    Das Verständnis, dass es einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel zu einer aufbauenden, regenerativen Ökonomie braucht, die den materiellen und immateriellen Lebensgrundlagen – den Gemeingütern – dient, setzt sich zwar bei immer mehr Menschen durch. Aber es ist noch weit davon entfernt, das bestimmende Paradigma zu sein.

    Sinnvollerweise würde der Begriff der Lebensdienlichkeit an die Stelle dessen rücken, was wir mit Nachhaltigkeit meinten. Wenn der Erhalt gescheitert ist, geht es also darum, das zerstörte Gewebe der Ökosysteme wieder aufzubauen. Dank einer solchen schrittweisen Regeneration der natürlichen Lebensgrundlagen könnte auch die globale Biokapazität wieder aufgebaut werden – und den Menschen würde wieder Raum zur Entfaltung, Luft zum Atmen und die Fülle einer fruchtbaren Natur zur Verfügung stehen.

    Im Kern einer regenerativen Ökonomie stehen ihre lebensweltlichen Wirtschaftsziele zur Sicherung alltäglicher Bedarfe, guter Lebensbedingungen und einer friedlichen und nachhaltigen Entwicklung – die Stabilisierung von Nahrungsketten und biogeochemischen Flüssen, die Stärkung biologischer und funktionaler Diversität von Ökosystemen, der Fruchtbarkeit von Böden, Landschaften und Gewässern und auch die Abspeicherung von CO₂ in Biomasse.

    Das erfordert ein ökonomisches Denken, das nicht auf Raubbau und Auszehrung oder Plünderung und Externalisierung von Kosten beruht. Schon jetzt überlasten uns die Kosten, die in der Vergangenheit vor allem der vergangenen 40 Jahre externalisiert wurden – diese wurden abgewälzt – auf uns und unsere Kinder und Kindeskinder.

    Quellen der Wertschöpfung verstehen

    Nur wer die Quellen der Wertschöpfung in ihrer ökologischen Verflechtung und Abhängigkeit versteht und strategisch einbezieht, kann eine starke und pluralistische Wirtschaft schaffen, in der sich die Vielfalt der Kapitalien, statt sich gegenseitig zu konterkarieren, gegenseitig wachsen und dynamisch stabilisieren kann.

    Die “Wachstumswirtschaft” der vergangenen Jahrzehnte zerstörte die Funktionsfähigkeit der Märkte und ihre Voraussetzungen. Der Finanzkapitalismus verbrannte die Grundlagen der Produktion und zerstörte vielfach die Pluralität an Wirtschaftsakteuren und förderte die Oligopolisierung und Monopolisierung auf den Märkten. Die praktische und öffentlich kolportierte Gleichsetzung von Marktwirtschaft und (Finanz-)Kapitalismus ist ein Kardinalfehler der jüngeren Vergangenheit. Aber der Prozess lässt sich umkehren. Denn die Finanzwirtschaft hat das Potenzial, eine treibende Funktion für den Aufstieg einer regenerativen Ökonomie einzunehmen.

    Jahrzehntelang wurde im großen Stil Naturkapital in Finanzkapital umgewandelt; jetzt ist es an der Zeit, Finanzkapital in Naturkapital zu investieren und es systematisch und in großem Umfang wieder aufzubauen, ein Generationenprojekt. Es wird unsere Aufgabe sein, Naturreservate und Schutzzonen neu zu schaffen, Auenlandschaften zu rekultivieren, aufzuforsten, Moore und Feuchtgebiete zu revitalisieren, Kohlenstoff und Stickstoff zu binden, Meere und Nahrungsketten zu reinigen und zu stärken, Naturlandschaften und Meere zu stützen und zu vitalisieren. Wenn dies gelingt, dann wird Nachhaltigkeit für uns alle möglich.

    Um den notwendigen Transformationsprozess für die Wirtschaft und ihre Institutionen einzuleiten, benötigen wir eine Marktwirtschaft, in der alle wirtschaftlichen Auswirkungen auf natürliche Lebensgrundlagen, negative wie positive, in die Unternehmensbilanzen einfließen – entlang der Sustainability Zeroline – der Null-Linie der Nachhaltigkeit. Dies erfordert eine Integration aller Naturwirkungen in die Rechnungslegungsstandards (Handels- und Steuerbilanz), eine integrierte Nachhaltigkeitsrechnung: ein Naturkapital-Accounting.

    Denn alle Belastungen der ökologischen Lebensgrundlagen müssen durch Reinvestitionen nicht nur vollständig kompensiert, sondern überkompensiert und in ihrer Wirkung lebenserhaltend transformiert werden. Dazu ist eine systematische Erweiterung der unternehmerischen Methoden und wirtschaftlichen Praktiken erforderlich, die von der Nachhaltigkeitsbewertung, der Finanzanalyse, dem Risikomanagement und der Unternehmensbewertung bis hin zu neuen Investitionsinstrumenten und -logiken reichen.

    Marktwirtschaft und Natur versöhnen

    All dies erfordert ein inspiriertes, mutiges und starkes Regierungshandeln, um die rechtlichen und regulatorischen sowie die institutionellen und internationalen Rahmenbedingungen zu schaffen und durchzusetzen, die eine lebensfreundliche Zukunft ermöglichen werden. Noch nie war der Bedarf an bahnbrechenden politischen Entscheidungen und einer mutigen Positionierung so groß wie heute. Aber wenn wir die richtigen Investitionsentscheidungen treffen können, ohne uns selbst zu schwächen, kann unsere Gesellschaft Marktwirtschaft und Natur versöhnen und die natürlichen Lebensgrundlagen wieder aufbauen.

    Der Wissenschaftler und Unternehmer Daniel Dahm ist u.a. Gründer der United Sustainability Group, die sich mit dem Aufbau ökologischer Sachwerte beschäftigt, Mitglied des Club of Rome Germany, Councilor des World Future Council und Juryvorsitzender des Internorga Future Award.

    • Klima & Umwelt
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    • Wirtschaft

    Dessert

    In welcher rasanten Geschwindigkeit Menschen ein lebendiges Ökosystem in einer Region zerstören, aber auch wieder aufbauen können, zeigt die Geschichte der sogenannten Dust Bowl in den USA. Derzeit Thema einer eindrücklichen vierteiligen Dokumentation auf Arte.

    Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise wurden in den 1930er Jahren Teile der Great Plains von verheerenden Dürren und Staubstürmen getroffen. Verursacht hatten dies die Menschen mit ihrer Art von Landwirtschaft: Traditionell hatten dort Indianer im Einklang mit der Natur und großen Bisonherden gelebt. Die Eroberer aus Europa hatten die Tiere abgeschlachtet und die Indianer vertrieben. Schließlich pflügten sie das Land unter, um dort Weizen anzubauen. Dabei schlugen sie Warnungen in den Wind, das Land sei dazu ungeeignet, wegen der geringen Niederschläge und Winde. Aber in einer vergleichsweise feuchten mehrjährigen Periode expandierte die Landwirtschaft. Als dann aber eine mehrjährige Dürre einsetzte, verdorrten die Böden, türmte sich der Staub regelmäßig zu Wänden auf, bildeten sich vielfach Dünen auf dem Ackerland.

    Schließlich kaufte der Staat große Flächen an und stellte sie unter Schutz, weswegen dort wieder Präriegras wachsen konnte. Die Bauern stellten auf eine bodenschonendere Art der Landwirtschaft um. Als schließlich wieder Regen einsetzte, erholte sich die Gegend. Aber das gleiche Drama wiederholte sich in den 1950er Jahren in abgeschwächter Form. Mittlerweile zapfen die Farmer sogar das uralte Grundwasser in der Region an und verbrauchen es sukzessive. Die nächste Katastrophe scheint vorprogrammiert. Caspar Dohmen

    • Landwirtschaft
    • Regenerative Ökonomie

    ESG.Table Redaktion

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