Table.Briefing: ESG

CSRD in leichter Sprache + KTF: Probleme bei Finanzierung ab 2025 + Helpdesk für Textilindustrie in Pakistan

Liebe Leserin, lieber Leser,

viele Unternehmen bereiten sich aktuell darauf vor, künftig Nachhaltigkeitsberichte gemäß der CSRD-Richtlinie der Europäischen Union zu erstellen. Die Standards gelten aber als sehr komplex und für Unternehmen ohne große Fachabteilungen schwer zu verstehen. Daher hat der Wissenschaftler Alexander Bassen sie mit einem Team der Universität Hamburg in eine leichter verständliche Sprache übersetzt. Im Gespräch mit Marc Winkelmann er, wie das Projekt Unternehmen langfristig helfen soll.

Nicht so leicht geht es bei der Finanzierung von Maßnahmen für den Klimaschutz zu. Dass der Klima- und Transformationsfonds (KTF) im Haushaltsplan eine globale Minderausgabe von neun Milliarden Euro enthält, könnte in den kommenden Jahren zu Mittelengpässen führen. Malte Kreutzfeldt analysiert, welche Erwartungen innerhalb der Bundesregierung sich erfüllen müssten, damit das Geld doch reicht.

Ein vielversprechendes Konzept für eine nachhaltige Wirtschaft ist, die Prozesse und Produkte auf Zirkularität auszurichten. In einem Sommer-Spezial unseres Podcasts Table.Today sprechen Caspar Dohmen und ich mit dem Forscher Hennig Wilts über die Frage, wie der Fokus auf Kreisläufe die deutsche Wirtschaft zukunftsfit machen kann. Hören Sie hier rein.

Ich wünsche eine anregende Lektüre.

Ihr
Nicolas Heronymus
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Analyse

Nachhaltigkeitsberichte: Wie Unternehmen von der Übersetzung der CSRD profitieren sollen

Alexander Bassen ist Professor für Kapitalmärkte und Unternehmensführung an der Universität Hamburg und Mitglied des EFRAG-Boards für Nachhaltigkeitsberichterstattung, das die ESRS entwickelt hat.

Herr Bassen, Sie arbeiten im Auftrag des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) daran, die Corporate Sustainability Reporting Direktive (CSRD) in eine leichter verständliche Sprache zu übersetzen. Vor allem geht es dabei um die Kriterien für die Berichterstattung, die in den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) festgelegt worden sind. Wie ist es zu dem Projekt gekommen?
Die CSRD und speziell die ESRS-Kriterien sind zum Teil sehr komplex und auch juristisch geschrieben. Beim Rat für Nachhaltige Entwicklung, der den Deutschen Nachhaltigkeitskodex vor mehr als zehn Jahren als Berichtsstandard vor allem für mittelständische Unternehmen entwickelt hat, war man der Meinung, dass man gerade diese Unternehmen damit nicht allein lassen kann. Zwar gilt die CSRD nur für große Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden, aber auch diese weisen häufig KMU Strukturen auf. Dies war der Anstoß für das BMWK, die Weiterentwicklung des DNK mit umfangreichen Mitteln zu unterstützen. Deshalb wurde ein Projekt ausgeschrieben, für das wir den Zuschlag erhalten haben. Seit vergangenem November sitzen wir an der Übersetzung.

Wie groß ist Ihr Team?
Beteiligt sind neben mir meine Kollegin Kerstin Lopatta und vier Doktoranden, die alle auch in unserem Programm Master of Innovation, Business and Sustainability an der Uni Hamburg mitwirken. Wir arbeiten dabei sehr eng und konstruktiv zusammen mit dem DNK-Team.

Verfasst wurden die ESRS auf Englisch, anschließend gab es bereits eine deutsche Übersetzung der EU-Kommission. Wie bewerten Sie diese Fassung?
Sie war nicht gut, um es vorsichtig zu sagen. Gerade kürzlich, Anfang August, hat die Kommission dann nachgebessert und viele Fehler korrigiert. Das erleichtert unsere Arbeit sehr.

Stakeholder hatten zudem bereits während der Entwicklung der ESRS die Chance, Feedback zu geben. Da klingt es widersprüchlich, dass es eine weitere Übersetzung braucht.
Das stimmt. Aber wenn man sich mit juristischer Literatur auseinandersetzt, sieht man, dass es immer auch Kommentare gibt, die erklären, wie ein Gesetz zu lesen und zu verstehen ist. Wir wollen den Unternehmen ein Komplettangebot machen, mit dem sie die Texte verstehen und leicht umsetzen können.

Sie selbst waren Teil der EFRAG, also jener Gruppe, die die ESRS entwickelt hat. Das heißt, Sie übersetzen jetzt Ihre eigene Arbeit. Gab es intern keine Diskussionen darüber, das Werk von vornherein leichter zugänglich zu machen?
Grundsätzlich muss man verstehen, dass so eine Regulierung, die aus der Logik der Finanzberichterstattung herauskommt, juristisch korrekt sein muss und wir bei der Entwicklung unter enormem Zeitdruck standen. Die Standards wurden in nur etwa 18 Monaten geschrieben. Und es waren viele verschiedene Personengruppen involviert. Was man auch merkt, wenn man die Standards liest. Die sind nicht immer aus einem Guss.

Wer hat Druck ausgeübt?
Es war das erklärte Ziel der EU-Kommission, das Thema noch vor den EU-Wahlen abschließen zu wollen. Und weil sie nicht einschätzen konnte, wie lange der Prozess inklusive Trilog und Abstimmung im Parlament dauern würde, hat sie der EFRAG erklärt, dass wir schnell arbeiten müssten. Übrigens wissen wir von der EU-Kommission, dass sie unser Übersetzungsprojekt jetzt begrüßt.

Wie sind Sie bislang vorgegangen?
Wir haben uns zunächst die ESRS 1 und ESRS 2 vorgenommen, in denen geklärt wird, wo in den Standards welche einzelnen Themen berichtet werden dürfen. Darauf aufbauend haben wir dann alle zehn Themenstandards zu Umwelt, Sozial und Governance entsprechend einer praktikablen Struktur in verständlicher Sprache umgearbeitet.

Ein Beispiel, bitte.
Nehmen wir die Frage, ob ein Unternehmen seine Klimaziele in die Entlohnungsprogramme eingebunden hat. Darüber kann man in ESRS 2 berichten oder im Klima-Standard. Das haben wir im ersten Schritt so strukturiert, dass es intuitiv verständlich ist. Zudem haben wir verschiedene Aspekte stringent miteinander verbunden. Unternehmen sollen sich ganz praktisch durch die einzelnen Punkte eines Themas durcharbeiten können und von einer Frage zur nächsten geleitet werden. Uns geht es also um die Logik, wie Unternehmen bei der Berichterstellung vorgehen, und nicht so sehr darum, wie die ESRS im Original aufgebaut sind.

Sprachlich haben Sie die ESRS auch verändert, korrekt?
Ja. Wir haben die Schachtelsätze rausgenommen und sie kürzer gemacht. Das war nicht leicht. Uns als Wissenschaftlern wird ja oft unterstellt, Dinge etwas komplizierter darzustellen. Da mussten wir uns immer wieder auf die Finger klopfen und manchmal auch in unsere Unterlagen aus den Verhandlungen schauen, um nachzuvollziehen, was die EFRAG-Intention bei der Entwicklung war. Das soll in der Übersetzung natürlich erhalten bleiben.

Sie haben online jetzt eine erste Version Ihrer Übersetzung zur Kommentierung veröffentlicht. Was erhoffen Sie sich davon?
Wir wünschen uns Feedback von den Nutzerinnen und Nutzern, also von denen, die in Unternehmen die ESRS anwenden – insbesondere aber auch von neu berichtspflichtigen Unternehmen. Hilft denen die neue Struktur? Ist es sprachlich verständlich? Oder müssen einzelne Sätze noch weiter vereinfacht werden?

Was soll das Ergebnis Ihres Projekts sein?
Unsere Übersetzung mündet letztlich in eine digitale Plattform, die der Deutsche Nachhaltigkeitskodex voraussichtlich ab Anfang 2025 anbieten wird. Diese soll man leicht nutzen können, etwa so, wie man es von Steuerprogrammen für den heimischen Computer kennt. Das heißt: Unternehmen, die nach CSRD und den ESRS berichten müssen oder wollen, werden Schritt für Schritt durch die für sie relevanten Punkte geführt und man erhält zusätzliche Informationen und Querverweise.

Andererseits sind Unternehmen vielfach schon längst dabei, Strukturen aufzubauen und die ESRS anzuwenden. Kommt Ihr Werkzeug nicht zu spät?
Die bereits in der Vergangenheit berichtspflichtigen, großen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und Kapitalmarktorientierung verfügen ohnehin schon über ihre eigenen Erfahrungen und haben andere Systeme fürs Reporting implementiert. Die ab 2025 und 2026 berichtspflichtigen Unternehmen arbeiten jetzt meistens an ihrer Materialitätsanalyse, und daran schließt unser System gut an. Also: Es kommt für die allermeisten Unternehmen nicht zu spät. Und früher wäre es nicht möglich gewesen, weil die ESRS-Kriterien noch nicht festgelegt waren.

Die EFRAG wird noch Standards für die freiwillige und verpflichtende Berichterstattung von kleinen und mittelständischen Unternehmen festlegen. Übersetzen Sie diese auch?
Aktuell arbeiten wir an dem, was als delegierter Akt veröffentlicht worden ist. Es ist aber bereits für den DNK in Planung, auch die EU-Standards für freiwillig berichtende Unternehmen, die sogenannten VSME, auf den deutschen Mittelstand zu übertragen. Gerade hier sehen wir eine riesige Chance, das Thema Nachhaltigkeit angemessen in die Berichterstattung zu integrieren.

Alexander Bassen ist Professor für Kapitalmärkte und Unternehmensführung an der Universität Hamburg. Er ist zudem unter anderem Mitglied des EFRAG-Boards für Nachhaltigkeitsberichterstattung und Vorsitzender des Leitgremiums der Initiative Greenhouse Gas Protocol.

Die erste Version der Übersetzung der CSRD können Interessierte noch bis zum 13. September auf dieser Website kommentieren.

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Klimaschutz-Finanzierung: Wie das Prinzip Hoffnung den KTF regiert

Hofft, auch in Zukunft mit der Wiedervernässung von Mooren das Klima schützen zu können: Steffi Lemke in einem renaturierten Moor in Frohnau bei Berlin.

Steffi Lemke gab sich am Mittwoch erleichtert: Das “Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz” bleibe von weiteren Kürzungen verschont, verkündete die Bundesumweltministerin. Rund 3,5 Milliarden Euro stehen für den Zeitraum von 2023 bis 2028 zur Verfügung. “Das Aktionsprogramm ist und bleibt damit die größte Förderung für den Schutz von Natur und Klima, die es jemals in Deutschland gab”, sagte Lemke. Finanziert werden daraus Maßnahmen wie die Wiedervernässung von Mooren, der klimagerechte Umbau von Wäldern oder die Schaffung naturnaher Grünflächen in Städten. Auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zeigte sich erfreut, dass der Klima- und Transformationsfonds (KTF) Forstwirten “Planungssicherheit auf hohem Niveau” biete, indem 100 Millionen Euro pro Jahr für den Waldumbau bereitgestellt werden.

Globale Minderausgabe von neun Milliarden

Doch ob die Freude gerechtfertigt ist, ist unklar. Denn die genannten Summen finden sich zwar tatsächlich im Haushaltsplan für den KTF, aus dem viele Klimaschutzmaßnahmen der Regierung finanziert werden. Dass sie komplett fließen können, ist aber keineswegs gesichert. Denn (wie bereits berichtet) findet sich im KTF-Haushaltsplan (Übersicht in diesem pdf auf Seite 5) eine sogenannte globale Minderausgabe, die mit neun Milliarden Euro mehr als ein Viertel der geplanten Gesamtausgaben ausmacht.

Würden alle Ressorts die von ihnen bewirtschafteten Titel komplett ausschöpfen, gäbe es am Ende des Jahres also einen Fehlbetrag von neun Milliarden Euro, der über zusätzliche Schulden gedeckt werden müsste – was aufgrund der in der Verfassung festgeschriebenen Schuldenbremse gar nicht möglich ist. Das für die Einhaltung der Haushaltsregeln zuständige Bundesfinanzministerium wird diese Situation also auf jeden Fall vermeiden wollen.

Die Annahme: Ein Viertel der Mittel werden nicht ausgegeben

Doch die Frage, wie verhindert werden soll, dass mehr als drei Viertel der insgesamt eingeplanten Gelder ausgegeben werden, blieb am Mittwoch unbeantwortet. “Eine globale Minderausgabe ist ein übliches Mittel in der Haushaltsplanung”, teilte eine Sprecherin Table.Briefings lediglich mit. “Das Bundesfinanzministerium geht davon aus, dass die neun Milliarden Euro im Haushaltsvollzug aufgelöst werden können.” Das Haus von Christian Lindner setzt also darauf, dass ein Viertel der insgesamt eingeplanten Gelder nicht ausgegeben wird.

Wenn man auf die Vergangenheit schaut, scheint diese Hoffnung nicht so ungerechtfertigt: Bisher war der Mittelabfluss aus dem KTF noch deutlich schlechter; im Jahr 2023 etwa wurden nur 56 Prozent der eingeplanten Gelder ausgegeben. Doch dass das auch im Jahr 2025 so sein wird, ist damit keineswegs gesagt. Zum einen ist das Volumen vieler Programme nach dem Haushaltsurteil vom vergangenen November ohnehin schon reduziert worden; zum anderen war der schlechte Mittelabfluss 2023 in vielen Fällen damit begründet worden, dass Förderrichtlinien nicht rechtzeitig fertiggestellt worden waren – ein Problem, das mittlerweile gelöst sein sollte.

Verringert würden die Finanzprobleme im nächsten Jahr auch, wenn der KTF bereits im laufenden Jahr 2024 nicht ausgeschöpft würde – denn derzeit ist es noch so, dass unverbrauchte Mittel als “globale Mehreinnahme” ins Folgejahr übertragen werden. In gewissem Umfang ist das allerdings bereits vorgesehen: Im Haushaltsplan für 2025 sind als globale Mehreinnahme drei Milliarden Euro eingeplant; laut BMF entspricht dies “den – zum Zeitpunkt des Beschlusses des Entwurfs – erwarteten Minderausgaben im Jahr zuvor”. Bei Programmausgaben von rund 38 Milliarden Euro (ohne die EEG-Kosten, die nur im Jahr 2024 aus dem KTF bezahlt wurden) ergäbe das eine Ausgabenquote von über 90 Prozent. Würde 2024 noch deutlich weniger Geld ausgegeben, wäre die Lücke 2025 naturgemäß kleiner als derzeit geplant – dann könnte der Haushaltsplan doch noch aufgehen.

Während der Finanzminister also hoffen muss, dass weiterhin ein erheblicher Teil der vorgesehenen Gelder nicht ausgegeben wird, geben sich die Fachministerien optimistisch, dass der Mittelabfluss deutlich besser wird. Bei der Gebäudeeffizienz etwa, die in diesem Jahr mit einem Budget von 16,7 Milliarden Euro den größten Posten unter den Programmausgaben bildet, sei aktuell bereits mehr als die Hälfte der Gelder abgeflossen, teilte das BMWK mit. Weil die Auszahlungen für die Heizungsförderung erst im September beginnen, werde zudem damit gerechnet, dass der Mittelabfluss “zum Herbst noch einmal anziehen wird”. Aus dem BMU hieß es, man rechne damit, dass die eingeplanten Gelder für den natürlichen Klimaschutz im nächsten Jahr komplett ausgegeben werden.

Richtig schwierig wird es ab 2026

Trotzdem ist für 2025 zumindest denkbar, dass der Haushaltsplan aufgeht, wenn sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr ein Teil der Gelder weiterhin nicht abgerufen wird. Noch sehr viel dramatischer wird die Lage aber in den Jahren danach. Denn im Jahr 2026 dürfte es keine Übertragung von Restgeldern aus dem Vorjahr mehr geben – diese werden dann ja von der globalen Minderausgabe abgeschöpft. Gleichzeitig müssen die Ausgaben in vielen Bereichen eigentlich deutlich steigen, um das Klimaziel des Jahres 2030 noch erreichen zu können. Zwar wachsen in den nächsten Jahren auch die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung; der langfristige KTF-Finanzplan sieht dafür nach 19 Milliarden Euro in diesem Jahr für 2026 rund 24 und für 2028 knapp 30 Milliarden Euro vor. Doch eigentlich ist bisher angekündigt, zumindest diese Mehreinnahmen für ein Klimageld zu verwenden, das an die Bevölkerung ausgezahlt wird.

Im Haushaltsplan, den das Kabinett gerade verabschiedet hat, ist stattdessen aber vorgesehen, dass ab 2027 mehr als sechs Milliarden Euro aus dem KTF an den normalen Haushalt abgeführt werden. Zusammen mit der in diesen Jahren weiterhin vorgesehenen globalen Minderausgabe von neun Milliarden Euro müsste das selbst ohne Klimageld zu einer deutlichen Unterdeckung führen. Doch dieses Langfrist-Szenario dürfte in dieser Form ohnehin kaum eintreten – sondern eher als Hinweis für die nächste Regierung dienen, sich möglichst frühzeitig um ein neues Konzept für die Finanzierung der Transformation zu kümmern.

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Überfischung: Fangquoten basieren auf zu optimistischen Schätzungen

Die wissenschaftlichen Schätzungen zu Fischbeständen, die der Regulierung der globalen und regionalen Fischerei zugrunde liegen, sind häufig zu optimistisch. Zu dieser Einschätzung kommt die Studie “Stock assessment models overstate sustainability of the world’s fisheries“, die am Donnerstag in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde.

Das Forscherteam unter Leitung des Marineökologen Graham Edgar von der Universität Tasmania analysierte öffentlich zugängliche Daten für 230 der weltweit größten Fischgründe. Dabei verglichen sie vorausblickende Prognosen mit später erfolgten Untersuchungen über den tatsächlichen Zustand der Fischpopulationen. Wie sich zeigte, waren die Prognosen besonders bei ohnehin überfischten Beständen viel zu optimistisch. Laut der Studie sind 85 Prozent mehr Bestände als bisher angenommen “kollabiert”, also auf weniger als ein Zehntel ihres historischen Maximums verkleinert.

Für Prognosen fehlen Daten gerade bei überfischten Beständen

Gegenüber dem Science Media Center sagten mehrere Forschende, dass die Studie bereits frühere Zweifel an den Prognosen erhärtet habe. Ein Grund für die mangelnde Aussagekraft der Prognosen sei ein Mangel an belastbaren Daten, die dann auf der Basis von Zeitreihen geschätzt würden. Modellierer müssten “auf weniger belastbare Werte zurückgreifen, die in der Vergangenheit funktioniert haben”, so Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. “Solche Praktiken können die Ergebnisse stark auf die Erwartungen der Modellierer beschränken.”

Dies betreffe insbesondere überfischte Bestände, die schwer zu beobachten seien. “Die Überbewertungen führten bei diesen zu so genannten Phantom-Erholungen: Sie wurden als erholt eingestuft, obwohl sie in Wirklichkeit weiter schrumpften”, sagte Froese. “Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre.”

Fangquoten sollten auf pessimistischen Annahmen beruhen

Boris Worm von der Dalhousie University in Kanada empfahl, in Zukunft grundsätzlich pessimistische Prognosen für die Festlegung von Fangquoten heranzuziehen: “Also quasi ein Risikomanagement, wie es zum Beispiel auch Banken bei insolventen Kunden anwenden würden.” Überfischung sei besonders im Mittelmeer, in Westafrika und in Südasien ein Problem. Küstennahe Fischerei sei vielerorts bereits zusammengebrochen und werde gar nicht mehr erfasst. Die Studie warne nun aber davor, dass auch vermeintlich gut bewirtschaftete Meere in Europa schlechter dastehen könnten als gedacht. av

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KMU: Nachhaltigkeit in Bundesförderung zu selten berücksichtigt

Förderprogramme der Bundesregierung für etablierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) berücksichtigen zu selten Nachhaltigkeitsaspekte. Dies zeigt die Studie “Financing SME Growth in Germany” der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung. “Das offiziell vielfach bekundete Ziel, die deutsche Wirtschaft fit für die Nachhaltigkeitstransformation zu machen, lässt sich noch nicht in der Ausrichtung der Förderlandschaft auf Bundesebene wiederfinden”, schreiben die Autoren Lora Pissareva und Bruno De Menna.

Für die Studie wurden 23 Förderinstrumente von sechs deutschen Institutionen mit insgesamt 210 Institutionen und 709 Instrumenten aus anderen OECD-Staaten vergleichend analysiert. Die Studie wurde bereits 2023 abgeschlossen, aber erst jetzt publiziert. Neuere Förderlinien für KMU wie die Bundesförderung Industrie und Klimaschutz (BIK) sind daher nicht enthalten. Auch Förderprogramme der Bundesländer wurden nicht berücksichtigt.

KMU investieren seltener in Dekarbonisierung

Wie die Autoren der Studie schreiben, ist ein großer Teil der Bundesförderung entweder auf junge Start-ups oder aber große Industriebetriebe ausgerichtet. Unter den im Vergleich wenigen Förderungen für bereits länger existierende KMU fand sich nur ein einziges Programm mit explizitem Nachhaltigkeitsbezug. Diese Aspekte sollten daher in Zukunft eine größere Rolle bei späteren Finanzierungsrunden (Scale-up) zugeschrieben bekommen.

Der Mangel an Nachhaltigkeitsförderung könnte teilweise die wachsenden Unterschiede zwischen Großunternehmen und KMU erklären, der sich im Klimabarometer 2023 der KfW zeigte: Während viele große Industriebetriebe in Dekarbonisierung investierten und dabei oft von milliardenschweren Subventionen profitierten, hinken die Energiewende-Investitionen von KMU hinterher. av

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Stahlindustrie: IG Metall warnt vor Halbierung der Produktionskapazität bei Thyssenkrupp

Die IG Metall und der Betriebsrat der Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) warnten am Mittwoch vor einer Halbierung der Produktionskapazitäten beim größten deutschen Stahlhersteller. Dadurch würden mehr als 10.000 Arbeitsplätze wegfallen. Der Vorstand des Mutterkonzerns, Miguel López, akzeptiere einen Sanierungsplan des Vorstands der TKSE nicht, der eine Verkleinerung der Kapazität auf 9,5 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr vorsehe.

“Er würde die Hütte am liebsten halbieren”, hieß es in einem Flugblatt, das an die Belegschaft verteilt wurde. Diese Einschätzung ergebe sich daraus, dass eine noch stärkere Kapazitätsreduktion nur durch die Schließung ganzer Stahlwerke und Produktionslinien möglich sei, erklärte ein Sprecher der IG Metall gegenüber Table.Briefings. “Wenn Herr López also weniger will, muss er hart zuschlagen.”

Transformationsfinanzierung ungeklärt

Die defizitäre TKSE steht vor einem großen Umbau im Rahmen der Dekarbonisierung. Bislang ist nur ein Viertel der Kapazitäten auf dem staatlich geförderten Transformationsweg, für den die traditionellen Hochöfen durch neue Anlagen ersetzt werden müssen. Auch für die deutsche Stahlindustrie insgesamt ist nur für zwei Drittel der Hochöfen die Transformationsfinanzierung geklärt. Inwiefern der Konflikt bei Thyssenkrupp die Umstellung auf dekarbonisierten Stahl gefährde, konnte der Sprecher nicht sagen. “Grundsätzlich ist aber klar, dass wir die Stahlproduktion insgesamt auf grün umstellen müssen, wenn wir in Deutschland die Klimaziele einhalten wollen.”

Thyssenkrupp-Vorstand Miguel López plant, die Stahltochter TKSE zur Hälfte an einen tschechischen Investor zu verkaufen. Als sogenannte “Mitgift” bietet er bislang 2,5 Milliarden Euro an, mit denen der Neustart abgesichert werden soll. Die IG Metall nennt hingegen 4,2 Milliarden Euro als “eine eher realistische Größenordnung”, und beruft sich dabei auf ein Gutachten der Beratungsfirma Roland Berger. Ein weiteres Gutachten soll nun das Vorgehen klären.

Verschoben wurde die unmittelbare Gefahr einer existentiellen Krise: Der Finanzierungsbedarf von TKSE würde für 24 Monate durch die Thyssenkrupp AG gesichert, berichtete der Betriebsrat aus der letzten Aufsichtsratssitzung. av

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Lieferketten: Helpdesk für pakistanische Zulieferer

Die Bundesregierung unterstützt einen Helpdesk für Textilzulieferer in Pakistan. Das vereinbarte Entwicklungsministerin Svenja Schulze bei einem Besuch in der Hauptstadt Islamabad. Ziel sei es, lokale Zulieferbetriebe deutscher und europäischer Unternehmen bei der Erfüllung von Sozial- und Umweltstandards zu unterstützen, hieß es seitens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Der Helpdesk soll als zentrale Anlaufstelle lokalen Exportunternehmen Beratung, Informationen und Trainings zu nachhaltigen Lieferketten bieten.

“Unternehmen stehen in der Pflicht, Mindeststandards beim Arbeits- und Umweltschutz zu erfüllen, auch in ihren Zulieferbetrieben entlang der Lieferkette”, sagte Schulze. Das geltende deutsche Lieferkettengesetz und die beschlossene EU-Lieferkettenrichtlinie machten das verbindlich. “Dazu werden wir in Pakistan einen Helpdesk für Unternehmen aufbauen, der sich mit seinem Angebot an Beratung und Trainings auch schon in vielen anderen Ländern bewährt.”

Pakistanische Produzenten teils offen für Verbesserungen

Thema sind bei der Reise der Ministerin auch Beschwerdemechanismen, die Zulieferer deutscher Firmen aufgrund des LkSG einrichten müssen. Allerdings gibt es auch Schwierigkeiten bei der Verbesserung der Strukturen bei den Zulieferern. So drohten zuletzt deutsche NGOs und der pakistanische Gewerkschaftsdachverband NTUF mit dem Rückzug aus einem Projekt, durch das die Gewerkschaft besseren Zugang zu den Beschäftigten der Zulieferer des Textildiscounters KiK erhalten sollte. Pakistan gehört zu den Ländern, in denen laut dem Global Rights Index regelmäßig Gewerkschaftsrechte missachtet werden.

Die Bekleidungs-, Textil- und Schuhindustrie in Pakistan beschäftigt über vier Millionen Arbeitnehmer. Der Sektor steht für 60 Prozent der Exporte des Landes. 40 Prozent der Erwerbstätigen im formalen Sektor sind dort beschäftigt. Damit ist die Branche ein Schlüsselsegment der pakistanischen Wirtschaft. Das Land zeigt sich offen für Verbesserungen: Viele der dortigen Produzenten haben den International Accord for Health and Safety in the Garment and Textile Industry unterzeichnet, eine ursprünglich für Bangladesch entwickelte Regelung, um die Sicherheit in den Fabriken zu gewährleisten. dpa/cd

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Lieferketten: Moderne Sklaverei als Importrisiko

In nach Deutschland importierten Produkten steckt noch immer häufig moderne Sklaverei. Darauf verweist der Vorstandsvorsitzende der International Justice Mission (IJM) Dietmar Roller im Gespräch mit Table.Briefings anlässlich des Internationalen Tages der Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung am 23. August.

Der Global Slavery Index (GSI) der NGO Walk Free schätzt, dass Deutschland jährlich Waren im Wert von 44 Milliarden US-Dollar importiert, die mithilfe moderner Sklaverei entstanden sein könnten. Besonders riskant seien Kleidung und Textilien, Kaffee, elektronische Geräte und Solarzellen. Etwa bei der Einfuhr von Waren aus der Türkei – einem der wichtigsten Handelspartner Deutschlands – sei die Wahrscheinlichkeit von moderner Sklaverei hoch.

Seit 2023 verpflichtet das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) größere Unternehmen, sich mit Menschenrechtsrisiken in ihren Lieferketten zu beschäftigen. Die EU hat ebenfalls eine Regulierung beschlossen.

Ende der Straffreiheit als Game-Changer”

Probleme gibt es aber auch in Deutschland selbst. Arbeitsausbeutung sei verbreiteter als viele denken, sagt Roller: “Eine Anwältin erzählte mir von einem Mandanten, der statt den versprochenen 6.000 Euro nur 400 Euro Lohn erhalten hat.” Das könne unter Umständen in die Kategorie moderne Sklaverei fallen, wenn die Ausbeuter den Opfern den Pass abnehmen oder sie bedrohen.

Die IJM arbeitet weniger in Europa als in den Herkunftsländern vieler Waren, vor allem in Asien. In Ländern wie Indien, Thailand und auf den Philippinen hätten “viele Leute keinen Zugang zum Recht”. “In diesen rechtsfreien Räumen spielt sich Sklaverei heute ab”, sagt Roller. Deshalb versuche die IJM, so viele Täter wie möglich vor Gericht zu bringen. Auf diese Weise will sie das gesamte System ändern: “Wenn die Straffreiheit endet, ist das der Game-Changer im Kampf gegen die moderne Sklaverei.” Die IJM arbeite eng mit Anwälten und Behörden vor Ort zusammen und unterstütze diese mit eigenen Spezialisten bei der Recherche und Strafverfolgung. “Wir bleiben vom Anfang bis zum Urteil an einem Fall dran”, sagt Roller. Laut eigenen Angaben haben Gerichte im vergangenen Jahr 1.419 Täter dank der IJM verurteilt. spm

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Nachhaltigkeitsausbildung: Universität Witten/Herdecke und Wuppertal Institut schließen Kooperationsvereinbarung

Die private Universität Witten/Herdecke und das Wuppertal Institut wollen stärker als bisher gemeinsam wissenschaftliche Impulse für die grüne Transformation liefern. Dazu haben sie eine Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Es geht um interdisziplinäre Forschungsvorhaben, nachhaltigkeitsorientierte Lehrangebote, fachspezifische Workshops und gemeinsame Publikationen. Zudem sind Austauschmöglichkeiten für Studierende vorgesehen.

Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf dem Thema Gesundheit und Nachhaltigkeit. Es geht um Fragen, wie sich das Gesundheitssystem an die Klimakrise anpassen kann, aber auch um Lösungen für die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks des Gesundheitswesens. Ein weiterer Schwerpunkt soll sich der Wirtschaft, Politik und Nachhaltigkeit widmen. Forschungsfragen lauten hier: Wie können Unternehmen ihr Nachhaltigkeitsengagement bei steigenden Anforderungen aus Politik und Gesellschaft umsetzen und dabei wirtschaftlich erfolgreich bleiben?

Durch die Bündelung der Kräfte “schaffen wir die Basis für innovative Lösungen, die in der Praxis nachhaltig wirken können”, sagt Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts. Der Präsident der Universität, Martin Butzlaff, sieht in der strategischen Partnerschaft “einen wichtigen Schritt in Richtung einer klimagerechten Ausrichtung” von Witten/Herdecke. cd

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Must-Reads

Jetzt sind die Seen dran – Die Zeit
Leag baut in Cottbus den größten schwimmenden Solarpark Deutschlands. Der Braunkohlekonzern möchte sich so auf die Zeit nach dem Kohleausstieg vorbereiten. Die Solarinsel wird 8.200 Haushalte mit Strom versorgen können. Anja Stehle berichtet aus der Lausitz. Eine Solarinsel konkurriere nicht mit der Landwirtschaft um Land und produziere sogar mehr Strom als Anlagen auf dem Land. Die Kühlung durch das Wasser sowie weniger Staub erhöhten die Effizienz. Dafür seien die Kosten höher. Zum Artikel

ESG: Unternehmen bleiben zu viele Ermessensspielräume – Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die EU hat den lange erwarteten Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) Ende Juli beschlossen. Karina Sopp legt in einem Gastbeitrag dar, welche Probleme bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele auf Unternehmen zukommen. Es fehlten zugängliche und verlässliche Daten und der Rechtsrahmen sei noch zu unsicher. Das erschwere es deutlich, die Berichtspflichten zu erfüllen. Es gebe aber Bemühungen, Unternehmen durch Leitfäden und Schulungen zu unterstützen. Zum Artikel

The US-backed railway sparking a battle for African copper – Financial Times
Andres Schipani meldet sich aus dem angolanischen Hafen Lobito. Dort soll wieder Kupfer verschifft werden – sobald die marode Zugverbindung in die Demokratische Republik Kongo es erlaubt. Mindestens zehn Milliarden US-Dollar investieren wollen die Geldgeber, darunter die USA. Damit soll das chinesische Beinahe-Monopol auf Energiewende-Mineralien aus der Region gebrochen werden. Seit Januar fahren die Güterzüge immerhin im Testbetrieb. Zum Artikel

BlackRock’s support for ESG measures falls to new low – Financial Times
BlackRock hat seine Unterstützung für Aktionärsanträge zu Umwelt- und Sozialthemen auf ein Tief von vier Prozent für den Zeitraum von Juni 2022 bis Juni 2023 reduziert – gegenüber 47 Prozent im Jahr 2021, wie Brooke Masters und Kenza Bryan berichten. Die Fondsgesellschaft begründe dies damit, dass viele Anträge zu detailliert und nicht lukrativ seien oder bereits durch bestehende Maßnahmen innerhalb der Unternehmen adressiert würden. Zum Artikel

Der Plan für ein Chipwerk im Saarland wankt – Handelsblatt
Wolfspeed meldet hohe Verluste und will sparen – wohl auch beim groß angekündigten Chip-Werk im Saarland. Das schreiben Martin Buchenau und Joachim Hofer. Im neuen Geschäftsjahr wolle das Unternehmen ein Drittel weniger als im Vorjahr ausgeben. Der geplante Baubeginn der Fabrik in Ensdorf könnte sich deshalb auf 2026 verschieben. Wolfspeed habe zudem weitere staatliche Fördermittel beantragt, die bisher jedoch nicht gewährt wurden. Trotz dieser Schwierigkeiten halte der Partner ZF an dem Projekt fest. Zum Artikel

Coal Power Defined This Minnesota Town. Can Solar Win It Over? – New York Times
Die Vergangenheit und die Zukunft der Stromversorgung in den USA lässt sich vielleicht am deutlichsten in Becker sehen, meint Ivan Penn. Denn in der knapp über 5.000 Einwohner großen Kleinstadt nordwestlich von Minneapolis soll die Energieversorgung künftig durch Tausende Hektar Solarpaneele und Tests mit Langzeit-Batterien gesichert werden. Ob das gelingen kann, hat sich Penn genauer angeschaut. Bislang dominierte dort eines der größten Kohlekraftwerke der USA die Landschaft. Zum Artikel

China investiert Milliarden in den Bau neuer Atomkraftwerke – Der Standard
In keinem Land befinden sich derzeit so viele Nuklearreaktoren in Bau wie in China. Philipp Mattheis hat die Energiepolitik Chinas ins Visier genommen und meint, China sei nicht so sauber wie es scheint. So sei zum Beispiel der Kohleverbrauch in den letzten Jahren nicht gesunken. Vor allem aufgrund geopolitscher Spannungen mit Nachbarländern setze das Land vor allem auf Energieträger, die im eigenen Land vorhanden sind. Zum Artikel

500.000 Bäume mussten dem Tesla-Werk in Grünheide weichen – Der Spiegel
Sattelitenbilder zeigen: Tesla hat für seine Fabrik in Grünheide rund 500.000 Bäume gefällt. Das entspricht 329 Hektar Wald. Diese Zahlen hat die französische Datenanalyse-Firma Kayrros für den Zeitraum zwischen März 2020 und Mai 2023 ermittelt. Bau und Erweiterung der Fabrik sind bis heute umstritten. Aktivisten und Anwohner kritisieren neben den Rodungen den Wasserverbrauch von Tesla. Zum Artikel

Heads

Tina Andres: Warum der BÖLW-Vorsitzenden die finanzielle Förderung von Bio-Produkten nicht reicht

Tina Andres, Vorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft.

Schon als kleines Mädchen sammelte Tina Andres, die heutige Vorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Kellerasseln in ihrer Jackentasche. Und obwohl Biologie ihr schlechtestes Schulfach war, wählte sie es an der Universität. “Ich hatte schon immer eine enge Bindung zur Natur. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mir mal nicht wehgetan hat, wie wir mit unserer natürlichen Lebenswelt umgehen. Da dachte ich, ich muss verstehen, wovon ich rede”, erinnert sich die heute 53-Jährige. 

Nach ihrem Diplom entschied sie: “Forschen reicht mir nicht, ich muss etwas bewegen.” Die Biologin wechselte in den Handel – zu Landwege in Lübeck, einer Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft und Genossenschaft, die Bio-Lebensmittel von 30 lokalen Betrieben mit insgesamt über 150 Mitarbeitern an Kunden vor Ort verkauft. “Uns geht es um mehr als reines Wirtschaften. Wir arbeiten solidarisch, transformativ und sozial-ökologisch“, erklärt Andres stolz. Hier kann sie selbst die Veränderungen vorantreiben, die sie sich erhofft – trotz der Politik, wie sie betont. Denn finanzielle Förderungen oder andere Hilfen von öffentlicher Seite gab es nie. 

Vorsitz des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft 

Vor zwei Jahren folgte sie dem Ruf in den Vorsitz des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der landwirtschaftliche Erzeuger, Verarbeiter und Händler biologischer Lebensmittel politisch vertritt und in seinen Reihen unter anderem Bioland und Demeter vereint. Hier im BÖLW kann Andres nicht mehr trotz, sondern mit der Politik anpacken, erklärt sie. Mehrmals im Monat reist sie nach Berlin zu Treffen mit Interessengruppen und Politikern oder zu Diskussionsrunden. 

“Mama, wieso musst du denn schon wieder wegfahren”, beschwerte sich kürzlich ihr neunjähriger Sohn. Sein Bruder (zwölf) argumentierte dann: “Damit wir auch später noch was zu essen haben auf diesem Planeten”. Damit hat er ihren Job gut auf den Punkt gebracht, findet Andres. “Es geht mir bei meiner Arbeit auch sehr um meine Kinder. Der Gestaltungsspielraum, den wir haben, wird enger, und die Zeit tickt. Ich empfinde da eben eine Verantwortung, auch für sie.” 

Bio: Mehr als nur ein Siegel

“Bio” assoziieren viele mit einem Lebensmittelsiegel. Andres denkt größer: Für sie sei Bio ein anderes Leben, eine andere Gesellschaft. Mehr Bio hieße nachhaltigeres Wirtschaften, weniger CO₂-Emissionen, weniger Artensterben, gesündere Endverbraucher. Dafür brauche es unter anderem Bildung, Anpassungen im Steuer- und Preissystem – und eine große Kraftanstrengung vieler politischer Ressorts, sagt Andres.

Aktuell bereitet ihr vor allem Sorge, dass sich viele Kunden Bio nicht leisten können. “Bio-Unternehmen sind in einer ständigen Konkurrenzklemme mit Unternehmen, die die Ressourcen fröhlich ausbeuten.” Die Kosten würden dabei vergesellschaftet, die Profite privatisiert. “Wir Bio-Betriebe schützen die Umwelt und müssen dafür konkurrenzlos teure Produkte anbieten”, so Andres. Hier reicht in ihren Augen keine finanzielle Förderung von Bio-Produkten. “Es geht um die Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise“, erklärt sie. “Es ist zutiefst undemokratisch und unsozial, vom Verbraucher zu erwarten, dass er freiwillig die Ernährungswende doppelt bezahlt, mit seinen Steuergeldern und beim Lebensmitteleinkauf.” 

Ohnmacht mit der eigenen Aktivität etwas entgegensetzen

Ihren persönlichen Lebensstil beschreibt Tina Andres als “Ganz oder gar nicht” – genauer gesagt: “Ich bin der Typ ganz”. Bei ihr kommt ausschließlich Bio auf den Tisch, außerdem isst sie regional und saisonal und vor allem pflanzlich. Lebensmittelabfälle wirft die Familie nicht in den Müll, sondern zu den Hühnern im Garten, deren Eier und Fleisch sie essen. Statt Auto fährt sie Bahn oder Rad. “Ich empfinde nichts davon als Zumutung, es ist nur anders”, betont Andres. “Menschen brauchen gerade jede Menge Ermutigung, anders zu leben. Es gibt dieses Verharren und den Widerstand gegen Veränderung in der Diskussion. Aber die große Mehrheit der Menschen hängt weder dem einen noch dem anderen Extrem an – und die gilt es, zu bewegen.” 

Dass sie dafür BÖLW-Vorsitz, Landwege-Vorstand und Familie jonglieren muss und sich bei ihrem Engagement mit vielen Problemen befasst, nimmt sie in Kauf: “Ich empfinde das nicht als belastend. Ohnmacht ist belastend. Der kann man mit der eigenen Aktivität etwas entgegensetzen. Ich muss es zumindest versuchen.” Sophie Schädel 

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Mehr von Table.Briefings

Climate.Table – Luisa Neubauer: “Ökologie nicht aus dem Landtag hinauswählen”: Die Aktivistin und Publizistin Luisa Neubauer zeigt in einem neuen Klima-Atlas “80 Karten für die Welt von morgen”. Im Interview mit Table.Briefings kritisiert sie die Zögerlichkeit des Kanzlers und das fehlende Klimageld. Und sie rät zu taktischen Wahlentscheidungen vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Zum Artikel

China.Table – Schießbaumwolle: Warum Europa ausgerechnet China für mehr Munition braucht: Bei Schießbaumwolle, einem wichtigen Rohstoff für Munition, ist Europa größtenteils abhängig von China. Es ist aber fast unvermeidlich, die Baumwolle aus der chinesischen Provinz Xinjiang zu beziehen, wo Schätzungen zufolge Hunderttausende Uiguren Zwangsarbeit leisten müssen. Zum Artikel

ESG.Table Redaktion

ESG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    viele Unternehmen bereiten sich aktuell darauf vor, künftig Nachhaltigkeitsberichte gemäß der CSRD-Richtlinie der Europäischen Union zu erstellen. Die Standards gelten aber als sehr komplex und für Unternehmen ohne große Fachabteilungen schwer zu verstehen. Daher hat der Wissenschaftler Alexander Bassen sie mit einem Team der Universität Hamburg in eine leichter verständliche Sprache übersetzt. Im Gespräch mit Marc Winkelmann er, wie das Projekt Unternehmen langfristig helfen soll.

    Nicht so leicht geht es bei der Finanzierung von Maßnahmen für den Klimaschutz zu. Dass der Klima- und Transformationsfonds (KTF) im Haushaltsplan eine globale Minderausgabe von neun Milliarden Euro enthält, könnte in den kommenden Jahren zu Mittelengpässen führen. Malte Kreutzfeldt analysiert, welche Erwartungen innerhalb der Bundesregierung sich erfüllen müssten, damit das Geld doch reicht.

    Ein vielversprechendes Konzept für eine nachhaltige Wirtschaft ist, die Prozesse und Produkte auf Zirkularität auszurichten. In einem Sommer-Spezial unseres Podcasts Table.Today sprechen Caspar Dohmen und ich mit dem Forscher Hennig Wilts über die Frage, wie der Fokus auf Kreisläufe die deutsche Wirtschaft zukunftsfit machen kann. Hören Sie hier rein.

    Ich wünsche eine anregende Lektüre.

    Ihr
    Nicolas Heronymus
    Bild von Nicolas  Heronymus

    Analyse

    Nachhaltigkeitsberichte: Wie Unternehmen von der Übersetzung der CSRD profitieren sollen

    Alexander Bassen ist Professor für Kapitalmärkte und Unternehmensführung an der Universität Hamburg und Mitglied des EFRAG-Boards für Nachhaltigkeitsberichterstattung, das die ESRS entwickelt hat.

    Herr Bassen, Sie arbeiten im Auftrag des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) daran, die Corporate Sustainability Reporting Direktive (CSRD) in eine leichter verständliche Sprache zu übersetzen. Vor allem geht es dabei um die Kriterien für die Berichterstattung, die in den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) festgelegt worden sind. Wie ist es zu dem Projekt gekommen?
    Die CSRD und speziell die ESRS-Kriterien sind zum Teil sehr komplex und auch juristisch geschrieben. Beim Rat für Nachhaltige Entwicklung, der den Deutschen Nachhaltigkeitskodex vor mehr als zehn Jahren als Berichtsstandard vor allem für mittelständische Unternehmen entwickelt hat, war man der Meinung, dass man gerade diese Unternehmen damit nicht allein lassen kann. Zwar gilt die CSRD nur für große Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden, aber auch diese weisen häufig KMU Strukturen auf. Dies war der Anstoß für das BMWK, die Weiterentwicklung des DNK mit umfangreichen Mitteln zu unterstützen. Deshalb wurde ein Projekt ausgeschrieben, für das wir den Zuschlag erhalten haben. Seit vergangenem November sitzen wir an der Übersetzung.

    Wie groß ist Ihr Team?
    Beteiligt sind neben mir meine Kollegin Kerstin Lopatta und vier Doktoranden, die alle auch in unserem Programm Master of Innovation, Business and Sustainability an der Uni Hamburg mitwirken. Wir arbeiten dabei sehr eng und konstruktiv zusammen mit dem DNK-Team.

    Verfasst wurden die ESRS auf Englisch, anschließend gab es bereits eine deutsche Übersetzung der EU-Kommission. Wie bewerten Sie diese Fassung?
    Sie war nicht gut, um es vorsichtig zu sagen. Gerade kürzlich, Anfang August, hat die Kommission dann nachgebessert und viele Fehler korrigiert. Das erleichtert unsere Arbeit sehr.

    Stakeholder hatten zudem bereits während der Entwicklung der ESRS die Chance, Feedback zu geben. Da klingt es widersprüchlich, dass es eine weitere Übersetzung braucht.
    Das stimmt. Aber wenn man sich mit juristischer Literatur auseinandersetzt, sieht man, dass es immer auch Kommentare gibt, die erklären, wie ein Gesetz zu lesen und zu verstehen ist. Wir wollen den Unternehmen ein Komplettangebot machen, mit dem sie die Texte verstehen und leicht umsetzen können.

    Sie selbst waren Teil der EFRAG, also jener Gruppe, die die ESRS entwickelt hat. Das heißt, Sie übersetzen jetzt Ihre eigene Arbeit. Gab es intern keine Diskussionen darüber, das Werk von vornherein leichter zugänglich zu machen?
    Grundsätzlich muss man verstehen, dass so eine Regulierung, die aus der Logik der Finanzberichterstattung herauskommt, juristisch korrekt sein muss und wir bei der Entwicklung unter enormem Zeitdruck standen. Die Standards wurden in nur etwa 18 Monaten geschrieben. Und es waren viele verschiedene Personengruppen involviert. Was man auch merkt, wenn man die Standards liest. Die sind nicht immer aus einem Guss.

    Wer hat Druck ausgeübt?
    Es war das erklärte Ziel der EU-Kommission, das Thema noch vor den EU-Wahlen abschließen zu wollen. Und weil sie nicht einschätzen konnte, wie lange der Prozess inklusive Trilog und Abstimmung im Parlament dauern würde, hat sie der EFRAG erklärt, dass wir schnell arbeiten müssten. Übrigens wissen wir von der EU-Kommission, dass sie unser Übersetzungsprojekt jetzt begrüßt.

    Wie sind Sie bislang vorgegangen?
    Wir haben uns zunächst die ESRS 1 und ESRS 2 vorgenommen, in denen geklärt wird, wo in den Standards welche einzelnen Themen berichtet werden dürfen. Darauf aufbauend haben wir dann alle zehn Themenstandards zu Umwelt, Sozial und Governance entsprechend einer praktikablen Struktur in verständlicher Sprache umgearbeitet.

    Ein Beispiel, bitte.
    Nehmen wir die Frage, ob ein Unternehmen seine Klimaziele in die Entlohnungsprogramme eingebunden hat. Darüber kann man in ESRS 2 berichten oder im Klima-Standard. Das haben wir im ersten Schritt so strukturiert, dass es intuitiv verständlich ist. Zudem haben wir verschiedene Aspekte stringent miteinander verbunden. Unternehmen sollen sich ganz praktisch durch die einzelnen Punkte eines Themas durcharbeiten können und von einer Frage zur nächsten geleitet werden. Uns geht es also um die Logik, wie Unternehmen bei der Berichterstellung vorgehen, und nicht so sehr darum, wie die ESRS im Original aufgebaut sind.

    Sprachlich haben Sie die ESRS auch verändert, korrekt?
    Ja. Wir haben die Schachtelsätze rausgenommen und sie kürzer gemacht. Das war nicht leicht. Uns als Wissenschaftlern wird ja oft unterstellt, Dinge etwas komplizierter darzustellen. Da mussten wir uns immer wieder auf die Finger klopfen und manchmal auch in unsere Unterlagen aus den Verhandlungen schauen, um nachzuvollziehen, was die EFRAG-Intention bei der Entwicklung war. Das soll in der Übersetzung natürlich erhalten bleiben.

    Sie haben online jetzt eine erste Version Ihrer Übersetzung zur Kommentierung veröffentlicht. Was erhoffen Sie sich davon?
    Wir wünschen uns Feedback von den Nutzerinnen und Nutzern, also von denen, die in Unternehmen die ESRS anwenden – insbesondere aber auch von neu berichtspflichtigen Unternehmen. Hilft denen die neue Struktur? Ist es sprachlich verständlich? Oder müssen einzelne Sätze noch weiter vereinfacht werden?

    Was soll das Ergebnis Ihres Projekts sein?
    Unsere Übersetzung mündet letztlich in eine digitale Plattform, die der Deutsche Nachhaltigkeitskodex voraussichtlich ab Anfang 2025 anbieten wird. Diese soll man leicht nutzen können, etwa so, wie man es von Steuerprogrammen für den heimischen Computer kennt. Das heißt: Unternehmen, die nach CSRD und den ESRS berichten müssen oder wollen, werden Schritt für Schritt durch die für sie relevanten Punkte geführt und man erhält zusätzliche Informationen und Querverweise.

    Andererseits sind Unternehmen vielfach schon längst dabei, Strukturen aufzubauen und die ESRS anzuwenden. Kommt Ihr Werkzeug nicht zu spät?
    Die bereits in der Vergangenheit berichtspflichtigen, großen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und Kapitalmarktorientierung verfügen ohnehin schon über ihre eigenen Erfahrungen und haben andere Systeme fürs Reporting implementiert. Die ab 2025 und 2026 berichtspflichtigen Unternehmen arbeiten jetzt meistens an ihrer Materialitätsanalyse, und daran schließt unser System gut an. Also: Es kommt für die allermeisten Unternehmen nicht zu spät. Und früher wäre es nicht möglich gewesen, weil die ESRS-Kriterien noch nicht festgelegt waren.

    Die EFRAG wird noch Standards für die freiwillige und verpflichtende Berichterstattung von kleinen und mittelständischen Unternehmen festlegen. Übersetzen Sie diese auch?
    Aktuell arbeiten wir an dem, was als delegierter Akt veröffentlicht worden ist. Es ist aber bereits für den DNK in Planung, auch die EU-Standards für freiwillig berichtende Unternehmen, die sogenannten VSME, auf den deutschen Mittelstand zu übertragen. Gerade hier sehen wir eine riesige Chance, das Thema Nachhaltigkeit angemessen in die Berichterstattung zu integrieren.

    Alexander Bassen ist Professor für Kapitalmärkte und Unternehmensführung an der Universität Hamburg. Er ist zudem unter anderem Mitglied des EFRAG-Boards für Nachhaltigkeitsberichterstattung und Vorsitzender des Leitgremiums der Initiative Greenhouse Gas Protocol.

    Die erste Version der Übersetzung der CSRD können Interessierte noch bis zum 13. September auf dieser Website kommentieren.

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    • KMU
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    Klimaschutz-Finanzierung: Wie das Prinzip Hoffnung den KTF regiert

    Hofft, auch in Zukunft mit der Wiedervernässung von Mooren das Klima schützen zu können: Steffi Lemke in einem renaturierten Moor in Frohnau bei Berlin.

    Steffi Lemke gab sich am Mittwoch erleichtert: Das “Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz” bleibe von weiteren Kürzungen verschont, verkündete die Bundesumweltministerin. Rund 3,5 Milliarden Euro stehen für den Zeitraum von 2023 bis 2028 zur Verfügung. “Das Aktionsprogramm ist und bleibt damit die größte Förderung für den Schutz von Natur und Klima, die es jemals in Deutschland gab”, sagte Lemke. Finanziert werden daraus Maßnahmen wie die Wiedervernässung von Mooren, der klimagerechte Umbau von Wäldern oder die Schaffung naturnaher Grünflächen in Städten. Auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zeigte sich erfreut, dass der Klima- und Transformationsfonds (KTF) Forstwirten “Planungssicherheit auf hohem Niveau” biete, indem 100 Millionen Euro pro Jahr für den Waldumbau bereitgestellt werden.

    Globale Minderausgabe von neun Milliarden

    Doch ob die Freude gerechtfertigt ist, ist unklar. Denn die genannten Summen finden sich zwar tatsächlich im Haushaltsplan für den KTF, aus dem viele Klimaschutzmaßnahmen der Regierung finanziert werden. Dass sie komplett fließen können, ist aber keineswegs gesichert. Denn (wie bereits berichtet) findet sich im KTF-Haushaltsplan (Übersicht in diesem pdf auf Seite 5) eine sogenannte globale Minderausgabe, die mit neun Milliarden Euro mehr als ein Viertel der geplanten Gesamtausgaben ausmacht.

    Würden alle Ressorts die von ihnen bewirtschafteten Titel komplett ausschöpfen, gäbe es am Ende des Jahres also einen Fehlbetrag von neun Milliarden Euro, der über zusätzliche Schulden gedeckt werden müsste – was aufgrund der in der Verfassung festgeschriebenen Schuldenbremse gar nicht möglich ist. Das für die Einhaltung der Haushaltsregeln zuständige Bundesfinanzministerium wird diese Situation also auf jeden Fall vermeiden wollen.

    Die Annahme: Ein Viertel der Mittel werden nicht ausgegeben

    Doch die Frage, wie verhindert werden soll, dass mehr als drei Viertel der insgesamt eingeplanten Gelder ausgegeben werden, blieb am Mittwoch unbeantwortet. “Eine globale Minderausgabe ist ein übliches Mittel in der Haushaltsplanung”, teilte eine Sprecherin Table.Briefings lediglich mit. “Das Bundesfinanzministerium geht davon aus, dass die neun Milliarden Euro im Haushaltsvollzug aufgelöst werden können.” Das Haus von Christian Lindner setzt also darauf, dass ein Viertel der insgesamt eingeplanten Gelder nicht ausgegeben wird.

    Wenn man auf die Vergangenheit schaut, scheint diese Hoffnung nicht so ungerechtfertigt: Bisher war der Mittelabfluss aus dem KTF noch deutlich schlechter; im Jahr 2023 etwa wurden nur 56 Prozent der eingeplanten Gelder ausgegeben. Doch dass das auch im Jahr 2025 so sein wird, ist damit keineswegs gesagt. Zum einen ist das Volumen vieler Programme nach dem Haushaltsurteil vom vergangenen November ohnehin schon reduziert worden; zum anderen war der schlechte Mittelabfluss 2023 in vielen Fällen damit begründet worden, dass Förderrichtlinien nicht rechtzeitig fertiggestellt worden waren – ein Problem, das mittlerweile gelöst sein sollte.

    Verringert würden die Finanzprobleme im nächsten Jahr auch, wenn der KTF bereits im laufenden Jahr 2024 nicht ausgeschöpft würde – denn derzeit ist es noch so, dass unverbrauchte Mittel als “globale Mehreinnahme” ins Folgejahr übertragen werden. In gewissem Umfang ist das allerdings bereits vorgesehen: Im Haushaltsplan für 2025 sind als globale Mehreinnahme drei Milliarden Euro eingeplant; laut BMF entspricht dies “den – zum Zeitpunkt des Beschlusses des Entwurfs – erwarteten Minderausgaben im Jahr zuvor”. Bei Programmausgaben von rund 38 Milliarden Euro (ohne die EEG-Kosten, die nur im Jahr 2024 aus dem KTF bezahlt wurden) ergäbe das eine Ausgabenquote von über 90 Prozent. Würde 2024 noch deutlich weniger Geld ausgegeben, wäre die Lücke 2025 naturgemäß kleiner als derzeit geplant – dann könnte der Haushaltsplan doch noch aufgehen.

    Während der Finanzminister also hoffen muss, dass weiterhin ein erheblicher Teil der vorgesehenen Gelder nicht ausgegeben wird, geben sich die Fachministerien optimistisch, dass der Mittelabfluss deutlich besser wird. Bei der Gebäudeeffizienz etwa, die in diesem Jahr mit einem Budget von 16,7 Milliarden Euro den größten Posten unter den Programmausgaben bildet, sei aktuell bereits mehr als die Hälfte der Gelder abgeflossen, teilte das BMWK mit. Weil die Auszahlungen für die Heizungsförderung erst im September beginnen, werde zudem damit gerechnet, dass der Mittelabfluss “zum Herbst noch einmal anziehen wird”. Aus dem BMU hieß es, man rechne damit, dass die eingeplanten Gelder für den natürlichen Klimaschutz im nächsten Jahr komplett ausgegeben werden.

    Richtig schwierig wird es ab 2026

    Trotzdem ist für 2025 zumindest denkbar, dass der Haushaltsplan aufgeht, wenn sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr ein Teil der Gelder weiterhin nicht abgerufen wird. Noch sehr viel dramatischer wird die Lage aber in den Jahren danach. Denn im Jahr 2026 dürfte es keine Übertragung von Restgeldern aus dem Vorjahr mehr geben – diese werden dann ja von der globalen Minderausgabe abgeschöpft. Gleichzeitig müssen die Ausgaben in vielen Bereichen eigentlich deutlich steigen, um das Klimaziel des Jahres 2030 noch erreichen zu können. Zwar wachsen in den nächsten Jahren auch die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung; der langfristige KTF-Finanzplan sieht dafür nach 19 Milliarden Euro in diesem Jahr für 2026 rund 24 und für 2028 knapp 30 Milliarden Euro vor. Doch eigentlich ist bisher angekündigt, zumindest diese Mehreinnahmen für ein Klimageld zu verwenden, das an die Bevölkerung ausgezahlt wird.

    Im Haushaltsplan, den das Kabinett gerade verabschiedet hat, ist stattdessen aber vorgesehen, dass ab 2027 mehr als sechs Milliarden Euro aus dem KTF an den normalen Haushalt abgeführt werden. Zusammen mit der in diesen Jahren weiterhin vorgesehenen globalen Minderausgabe von neun Milliarden Euro müsste das selbst ohne Klimageld zu einer deutlichen Unterdeckung führen. Doch dieses Langfrist-Szenario dürfte in dieser Form ohnehin kaum eintreten – sondern eher als Hinweis für die nächste Regierung dienen, sich möglichst frühzeitig um ein neues Konzept für die Finanzierung der Transformation zu kümmern.

    • Finanzministerium
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    News

    Überfischung: Fangquoten basieren auf zu optimistischen Schätzungen

    Die wissenschaftlichen Schätzungen zu Fischbeständen, die der Regulierung der globalen und regionalen Fischerei zugrunde liegen, sind häufig zu optimistisch. Zu dieser Einschätzung kommt die Studie “Stock assessment models overstate sustainability of the world’s fisheries“, die am Donnerstag in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde.

    Das Forscherteam unter Leitung des Marineökologen Graham Edgar von der Universität Tasmania analysierte öffentlich zugängliche Daten für 230 der weltweit größten Fischgründe. Dabei verglichen sie vorausblickende Prognosen mit später erfolgten Untersuchungen über den tatsächlichen Zustand der Fischpopulationen. Wie sich zeigte, waren die Prognosen besonders bei ohnehin überfischten Beständen viel zu optimistisch. Laut der Studie sind 85 Prozent mehr Bestände als bisher angenommen “kollabiert”, also auf weniger als ein Zehntel ihres historischen Maximums verkleinert.

    Für Prognosen fehlen Daten gerade bei überfischten Beständen

    Gegenüber dem Science Media Center sagten mehrere Forschende, dass die Studie bereits frühere Zweifel an den Prognosen erhärtet habe. Ein Grund für die mangelnde Aussagekraft der Prognosen sei ein Mangel an belastbaren Daten, die dann auf der Basis von Zeitreihen geschätzt würden. Modellierer müssten “auf weniger belastbare Werte zurückgreifen, die in der Vergangenheit funktioniert haben”, so Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. “Solche Praktiken können die Ergebnisse stark auf die Erwartungen der Modellierer beschränken.”

    Dies betreffe insbesondere überfischte Bestände, die schwer zu beobachten seien. “Die Überbewertungen führten bei diesen zu so genannten Phantom-Erholungen: Sie wurden als erholt eingestuft, obwohl sie in Wirklichkeit weiter schrumpften”, sagte Froese. “Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre.”

    Fangquoten sollten auf pessimistischen Annahmen beruhen

    Boris Worm von der Dalhousie University in Kanada empfahl, in Zukunft grundsätzlich pessimistische Prognosen für die Festlegung von Fangquoten heranzuziehen: “Also quasi ein Risikomanagement, wie es zum Beispiel auch Banken bei insolventen Kunden anwenden würden.” Überfischung sei besonders im Mittelmeer, in Westafrika und in Südasien ein Problem. Küstennahe Fischerei sei vielerorts bereits zusammengebrochen und werde gar nicht mehr erfasst. Die Studie warne nun aber davor, dass auch vermeintlich gut bewirtschaftete Meere in Europa schlechter dastehen könnten als gedacht. av

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    KMU: Nachhaltigkeit in Bundesförderung zu selten berücksichtigt

    Förderprogramme der Bundesregierung für etablierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) berücksichtigen zu selten Nachhaltigkeitsaspekte. Dies zeigt die Studie “Financing SME Growth in Germany” der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung. “Das offiziell vielfach bekundete Ziel, die deutsche Wirtschaft fit für die Nachhaltigkeitstransformation zu machen, lässt sich noch nicht in der Ausrichtung der Förderlandschaft auf Bundesebene wiederfinden”, schreiben die Autoren Lora Pissareva und Bruno De Menna.

    Für die Studie wurden 23 Förderinstrumente von sechs deutschen Institutionen mit insgesamt 210 Institutionen und 709 Instrumenten aus anderen OECD-Staaten vergleichend analysiert. Die Studie wurde bereits 2023 abgeschlossen, aber erst jetzt publiziert. Neuere Förderlinien für KMU wie die Bundesförderung Industrie und Klimaschutz (BIK) sind daher nicht enthalten. Auch Förderprogramme der Bundesländer wurden nicht berücksichtigt.

    KMU investieren seltener in Dekarbonisierung

    Wie die Autoren der Studie schreiben, ist ein großer Teil der Bundesförderung entweder auf junge Start-ups oder aber große Industriebetriebe ausgerichtet. Unter den im Vergleich wenigen Förderungen für bereits länger existierende KMU fand sich nur ein einziges Programm mit explizitem Nachhaltigkeitsbezug. Diese Aspekte sollten daher in Zukunft eine größere Rolle bei späteren Finanzierungsrunden (Scale-up) zugeschrieben bekommen.

    Der Mangel an Nachhaltigkeitsförderung könnte teilweise die wachsenden Unterschiede zwischen Großunternehmen und KMU erklären, der sich im Klimabarometer 2023 der KfW zeigte: Während viele große Industriebetriebe in Dekarbonisierung investierten und dabei oft von milliardenschweren Subventionen profitierten, hinken die Energiewende-Investitionen von KMU hinterher. av

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    Stahlindustrie: IG Metall warnt vor Halbierung der Produktionskapazität bei Thyssenkrupp

    Die IG Metall und der Betriebsrat der Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) warnten am Mittwoch vor einer Halbierung der Produktionskapazitäten beim größten deutschen Stahlhersteller. Dadurch würden mehr als 10.000 Arbeitsplätze wegfallen. Der Vorstand des Mutterkonzerns, Miguel López, akzeptiere einen Sanierungsplan des Vorstands der TKSE nicht, der eine Verkleinerung der Kapazität auf 9,5 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr vorsehe.

    “Er würde die Hütte am liebsten halbieren”, hieß es in einem Flugblatt, das an die Belegschaft verteilt wurde. Diese Einschätzung ergebe sich daraus, dass eine noch stärkere Kapazitätsreduktion nur durch die Schließung ganzer Stahlwerke und Produktionslinien möglich sei, erklärte ein Sprecher der IG Metall gegenüber Table.Briefings. “Wenn Herr López also weniger will, muss er hart zuschlagen.”

    Transformationsfinanzierung ungeklärt

    Die defizitäre TKSE steht vor einem großen Umbau im Rahmen der Dekarbonisierung. Bislang ist nur ein Viertel der Kapazitäten auf dem staatlich geförderten Transformationsweg, für den die traditionellen Hochöfen durch neue Anlagen ersetzt werden müssen. Auch für die deutsche Stahlindustrie insgesamt ist nur für zwei Drittel der Hochöfen die Transformationsfinanzierung geklärt. Inwiefern der Konflikt bei Thyssenkrupp die Umstellung auf dekarbonisierten Stahl gefährde, konnte der Sprecher nicht sagen. “Grundsätzlich ist aber klar, dass wir die Stahlproduktion insgesamt auf grün umstellen müssen, wenn wir in Deutschland die Klimaziele einhalten wollen.”

    Thyssenkrupp-Vorstand Miguel López plant, die Stahltochter TKSE zur Hälfte an einen tschechischen Investor zu verkaufen. Als sogenannte “Mitgift” bietet er bislang 2,5 Milliarden Euro an, mit denen der Neustart abgesichert werden soll. Die IG Metall nennt hingegen 4,2 Milliarden Euro als “eine eher realistische Größenordnung”, und beruft sich dabei auf ein Gutachten der Beratungsfirma Roland Berger. Ein weiteres Gutachten soll nun das Vorgehen klären.

    Verschoben wurde die unmittelbare Gefahr einer existentiellen Krise: Der Finanzierungsbedarf von TKSE würde für 24 Monate durch die Thyssenkrupp AG gesichert, berichtete der Betriebsrat aus der letzten Aufsichtsratssitzung. av

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    Lieferketten: Helpdesk für pakistanische Zulieferer

    Die Bundesregierung unterstützt einen Helpdesk für Textilzulieferer in Pakistan. Das vereinbarte Entwicklungsministerin Svenja Schulze bei einem Besuch in der Hauptstadt Islamabad. Ziel sei es, lokale Zulieferbetriebe deutscher und europäischer Unternehmen bei der Erfüllung von Sozial- und Umweltstandards zu unterstützen, hieß es seitens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Der Helpdesk soll als zentrale Anlaufstelle lokalen Exportunternehmen Beratung, Informationen und Trainings zu nachhaltigen Lieferketten bieten.

    “Unternehmen stehen in der Pflicht, Mindeststandards beim Arbeits- und Umweltschutz zu erfüllen, auch in ihren Zulieferbetrieben entlang der Lieferkette”, sagte Schulze. Das geltende deutsche Lieferkettengesetz und die beschlossene EU-Lieferkettenrichtlinie machten das verbindlich. “Dazu werden wir in Pakistan einen Helpdesk für Unternehmen aufbauen, der sich mit seinem Angebot an Beratung und Trainings auch schon in vielen anderen Ländern bewährt.”

    Pakistanische Produzenten teils offen für Verbesserungen

    Thema sind bei der Reise der Ministerin auch Beschwerdemechanismen, die Zulieferer deutscher Firmen aufgrund des LkSG einrichten müssen. Allerdings gibt es auch Schwierigkeiten bei der Verbesserung der Strukturen bei den Zulieferern. So drohten zuletzt deutsche NGOs und der pakistanische Gewerkschaftsdachverband NTUF mit dem Rückzug aus einem Projekt, durch das die Gewerkschaft besseren Zugang zu den Beschäftigten der Zulieferer des Textildiscounters KiK erhalten sollte. Pakistan gehört zu den Ländern, in denen laut dem Global Rights Index regelmäßig Gewerkschaftsrechte missachtet werden.

    Die Bekleidungs-, Textil- und Schuhindustrie in Pakistan beschäftigt über vier Millionen Arbeitnehmer. Der Sektor steht für 60 Prozent der Exporte des Landes. 40 Prozent der Erwerbstätigen im formalen Sektor sind dort beschäftigt. Damit ist die Branche ein Schlüsselsegment der pakistanischen Wirtschaft. Das Land zeigt sich offen für Verbesserungen: Viele der dortigen Produzenten haben den International Accord for Health and Safety in the Garment and Textile Industry unterzeichnet, eine ursprünglich für Bangladesch entwickelte Regelung, um die Sicherheit in den Fabriken zu gewährleisten. dpa/cd

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    Lieferketten: Moderne Sklaverei als Importrisiko

    In nach Deutschland importierten Produkten steckt noch immer häufig moderne Sklaverei. Darauf verweist der Vorstandsvorsitzende der International Justice Mission (IJM) Dietmar Roller im Gespräch mit Table.Briefings anlässlich des Internationalen Tages der Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung am 23. August.

    Der Global Slavery Index (GSI) der NGO Walk Free schätzt, dass Deutschland jährlich Waren im Wert von 44 Milliarden US-Dollar importiert, die mithilfe moderner Sklaverei entstanden sein könnten. Besonders riskant seien Kleidung und Textilien, Kaffee, elektronische Geräte und Solarzellen. Etwa bei der Einfuhr von Waren aus der Türkei – einem der wichtigsten Handelspartner Deutschlands – sei die Wahrscheinlichkeit von moderner Sklaverei hoch.

    Seit 2023 verpflichtet das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) größere Unternehmen, sich mit Menschenrechtsrisiken in ihren Lieferketten zu beschäftigen. Die EU hat ebenfalls eine Regulierung beschlossen.

    Ende der Straffreiheit als Game-Changer”

    Probleme gibt es aber auch in Deutschland selbst. Arbeitsausbeutung sei verbreiteter als viele denken, sagt Roller: “Eine Anwältin erzählte mir von einem Mandanten, der statt den versprochenen 6.000 Euro nur 400 Euro Lohn erhalten hat.” Das könne unter Umständen in die Kategorie moderne Sklaverei fallen, wenn die Ausbeuter den Opfern den Pass abnehmen oder sie bedrohen.

    Die IJM arbeitet weniger in Europa als in den Herkunftsländern vieler Waren, vor allem in Asien. In Ländern wie Indien, Thailand und auf den Philippinen hätten “viele Leute keinen Zugang zum Recht”. “In diesen rechtsfreien Räumen spielt sich Sklaverei heute ab”, sagt Roller. Deshalb versuche die IJM, so viele Täter wie möglich vor Gericht zu bringen. Auf diese Weise will sie das gesamte System ändern: “Wenn die Straffreiheit endet, ist das der Game-Changer im Kampf gegen die moderne Sklaverei.” Die IJM arbeite eng mit Anwälten und Behörden vor Ort zusammen und unterstütze diese mit eigenen Spezialisten bei der Recherche und Strafverfolgung. “Wir bleiben vom Anfang bis zum Urteil an einem Fall dran”, sagt Roller. Laut eigenen Angaben haben Gerichte im vergangenen Jahr 1.419 Täter dank der IJM verurteilt. spm

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    • Zwangsarbeit

    Nachhaltigkeitsausbildung: Universität Witten/Herdecke und Wuppertal Institut schließen Kooperationsvereinbarung

    Die private Universität Witten/Herdecke und das Wuppertal Institut wollen stärker als bisher gemeinsam wissenschaftliche Impulse für die grüne Transformation liefern. Dazu haben sie eine Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Es geht um interdisziplinäre Forschungsvorhaben, nachhaltigkeitsorientierte Lehrangebote, fachspezifische Workshops und gemeinsame Publikationen. Zudem sind Austauschmöglichkeiten für Studierende vorgesehen.

    Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf dem Thema Gesundheit und Nachhaltigkeit. Es geht um Fragen, wie sich das Gesundheitssystem an die Klimakrise anpassen kann, aber auch um Lösungen für die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks des Gesundheitswesens. Ein weiterer Schwerpunkt soll sich der Wirtschaft, Politik und Nachhaltigkeit widmen. Forschungsfragen lauten hier: Wie können Unternehmen ihr Nachhaltigkeitsengagement bei steigenden Anforderungen aus Politik und Gesellschaft umsetzen und dabei wirtschaftlich erfolgreich bleiben?

    Durch die Bündelung der Kräfte “schaffen wir die Basis für innovative Lösungen, die in der Praxis nachhaltig wirken können”, sagt Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts. Der Präsident der Universität, Martin Butzlaff, sieht in der strategischen Partnerschaft “einen wichtigen Schritt in Richtung einer klimagerechten Ausrichtung” von Witten/Herdecke. cd

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    • Studierende

    Must-Reads

    Jetzt sind die Seen dran – Die Zeit
    Leag baut in Cottbus den größten schwimmenden Solarpark Deutschlands. Der Braunkohlekonzern möchte sich so auf die Zeit nach dem Kohleausstieg vorbereiten. Die Solarinsel wird 8.200 Haushalte mit Strom versorgen können. Anja Stehle berichtet aus der Lausitz. Eine Solarinsel konkurriere nicht mit der Landwirtschaft um Land und produziere sogar mehr Strom als Anlagen auf dem Land. Die Kühlung durch das Wasser sowie weniger Staub erhöhten die Effizienz. Dafür seien die Kosten höher. Zum Artikel

    ESG: Unternehmen bleiben zu viele Ermessensspielräume – Frankfurter Allgemeine Zeitung
    Die EU hat den lange erwarteten Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) Ende Juli beschlossen. Karina Sopp legt in einem Gastbeitrag dar, welche Probleme bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele auf Unternehmen zukommen. Es fehlten zugängliche und verlässliche Daten und der Rechtsrahmen sei noch zu unsicher. Das erschwere es deutlich, die Berichtspflichten zu erfüllen. Es gebe aber Bemühungen, Unternehmen durch Leitfäden und Schulungen zu unterstützen. Zum Artikel

    The US-backed railway sparking a battle for African copper – Financial Times
    Andres Schipani meldet sich aus dem angolanischen Hafen Lobito. Dort soll wieder Kupfer verschifft werden – sobald die marode Zugverbindung in die Demokratische Republik Kongo es erlaubt. Mindestens zehn Milliarden US-Dollar investieren wollen die Geldgeber, darunter die USA. Damit soll das chinesische Beinahe-Monopol auf Energiewende-Mineralien aus der Region gebrochen werden. Seit Januar fahren die Güterzüge immerhin im Testbetrieb. Zum Artikel

    BlackRock’s support for ESG measures falls to new low – Financial Times
    BlackRock hat seine Unterstützung für Aktionärsanträge zu Umwelt- und Sozialthemen auf ein Tief von vier Prozent für den Zeitraum von Juni 2022 bis Juni 2023 reduziert – gegenüber 47 Prozent im Jahr 2021, wie Brooke Masters und Kenza Bryan berichten. Die Fondsgesellschaft begründe dies damit, dass viele Anträge zu detailliert und nicht lukrativ seien oder bereits durch bestehende Maßnahmen innerhalb der Unternehmen adressiert würden. Zum Artikel

    Der Plan für ein Chipwerk im Saarland wankt – Handelsblatt
    Wolfspeed meldet hohe Verluste und will sparen – wohl auch beim groß angekündigten Chip-Werk im Saarland. Das schreiben Martin Buchenau und Joachim Hofer. Im neuen Geschäftsjahr wolle das Unternehmen ein Drittel weniger als im Vorjahr ausgeben. Der geplante Baubeginn der Fabrik in Ensdorf könnte sich deshalb auf 2026 verschieben. Wolfspeed habe zudem weitere staatliche Fördermittel beantragt, die bisher jedoch nicht gewährt wurden. Trotz dieser Schwierigkeiten halte der Partner ZF an dem Projekt fest. Zum Artikel

    Coal Power Defined This Minnesota Town. Can Solar Win It Over? – New York Times
    Die Vergangenheit und die Zukunft der Stromversorgung in den USA lässt sich vielleicht am deutlichsten in Becker sehen, meint Ivan Penn. Denn in der knapp über 5.000 Einwohner großen Kleinstadt nordwestlich von Minneapolis soll die Energieversorgung künftig durch Tausende Hektar Solarpaneele und Tests mit Langzeit-Batterien gesichert werden. Ob das gelingen kann, hat sich Penn genauer angeschaut. Bislang dominierte dort eines der größten Kohlekraftwerke der USA die Landschaft. Zum Artikel

    China investiert Milliarden in den Bau neuer Atomkraftwerke – Der Standard
    In keinem Land befinden sich derzeit so viele Nuklearreaktoren in Bau wie in China. Philipp Mattheis hat die Energiepolitik Chinas ins Visier genommen und meint, China sei nicht so sauber wie es scheint. So sei zum Beispiel der Kohleverbrauch in den letzten Jahren nicht gesunken. Vor allem aufgrund geopolitscher Spannungen mit Nachbarländern setze das Land vor allem auf Energieträger, die im eigenen Land vorhanden sind. Zum Artikel

    500.000 Bäume mussten dem Tesla-Werk in Grünheide weichen – Der Spiegel
    Sattelitenbilder zeigen: Tesla hat für seine Fabrik in Grünheide rund 500.000 Bäume gefällt. Das entspricht 329 Hektar Wald. Diese Zahlen hat die französische Datenanalyse-Firma Kayrros für den Zeitraum zwischen März 2020 und Mai 2023 ermittelt. Bau und Erweiterung der Fabrik sind bis heute umstritten. Aktivisten und Anwohner kritisieren neben den Rodungen den Wasserverbrauch von Tesla. Zum Artikel

    Heads

    Tina Andres: Warum der BÖLW-Vorsitzenden die finanzielle Förderung von Bio-Produkten nicht reicht

    Tina Andres, Vorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft.

    Schon als kleines Mädchen sammelte Tina Andres, die heutige Vorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Kellerasseln in ihrer Jackentasche. Und obwohl Biologie ihr schlechtestes Schulfach war, wählte sie es an der Universität. “Ich hatte schon immer eine enge Bindung zur Natur. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mir mal nicht wehgetan hat, wie wir mit unserer natürlichen Lebenswelt umgehen. Da dachte ich, ich muss verstehen, wovon ich rede”, erinnert sich die heute 53-Jährige. 

    Nach ihrem Diplom entschied sie: “Forschen reicht mir nicht, ich muss etwas bewegen.” Die Biologin wechselte in den Handel – zu Landwege in Lübeck, einer Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft und Genossenschaft, die Bio-Lebensmittel von 30 lokalen Betrieben mit insgesamt über 150 Mitarbeitern an Kunden vor Ort verkauft. “Uns geht es um mehr als reines Wirtschaften. Wir arbeiten solidarisch, transformativ und sozial-ökologisch“, erklärt Andres stolz. Hier kann sie selbst die Veränderungen vorantreiben, die sie sich erhofft – trotz der Politik, wie sie betont. Denn finanzielle Förderungen oder andere Hilfen von öffentlicher Seite gab es nie. 

    Vorsitz des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft 

    Vor zwei Jahren folgte sie dem Ruf in den Vorsitz des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der landwirtschaftliche Erzeuger, Verarbeiter und Händler biologischer Lebensmittel politisch vertritt und in seinen Reihen unter anderem Bioland und Demeter vereint. Hier im BÖLW kann Andres nicht mehr trotz, sondern mit der Politik anpacken, erklärt sie. Mehrmals im Monat reist sie nach Berlin zu Treffen mit Interessengruppen und Politikern oder zu Diskussionsrunden. 

    “Mama, wieso musst du denn schon wieder wegfahren”, beschwerte sich kürzlich ihr neunjähriger Sohn. Sein Bruder (zwölf) argumentierte dann: “Damit wir auch später noch was zu essen haben auf diesem Planeten”. Damit hat er ihren Job gut auf den Punkt gebracht, findet Andres. “Es geht mir bei meiner Arbeit auch sehr um meine Kinder. Der Gestaltungsspielraum, den wir haben, wird enger, und die Zeit tickt. Ich empfinde da eben eine Verantwortung, auch für sie.” 

    Bio: Mehr als nur ein Siegel

    “Bio” assoziieren viele mit einem Lebensmittelsiegel. Andres denkt größer: Für sie sei Bio ein anderes Leben, eine andere Gesellschaft. Mehr Bio hieße nachhaltigeres Wirtschaften, weniger CO₂-Emissionen, weniger Artensterben, gesündere Endverbraucher. Dafür brauche es unter anderem Bildung, Anpassungen im Steuer- und Preissystem – und eine große Kraftanstrengung vieler politischer Ressorts, sagt Andres.

    Aktuell bereitet ihr vor allem Sorge, dass sich viele Kunden Bio nicht leisten können. “Bio-Unternehmen sind in einer ständigen Konkurrenzklemme mit Unternehmen, die die Ressourcen fröhlich ausbeuten.” Die Kosten würden dabei vergesellschaftet, die Profite privatisiert. “Wir Bio-Betriebe schützen die Umwelt und müssen dafür konkurrenzlos teure Produkte anbieten”, so Andres. Hier reicht in ihren Augen keine finanzielle Förderung von Bio-Produkten. “Es geht um die Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise“, erklärt sie. “Es ist zutiefst undemokratisch und unsozial, vom Verbraucher zu erwarten, dass er freiwillig die Ernährungswende doppelt bezahlt, mit seinen Steuergeldern und beim Lebensmitteleinkauf.” 

    Ohnmacht mit der eigenen Aktivität etwas entgegensetzen

    Ihren persönlichen Lebensstil beschreibt Tina Andres als “Ganz oder gar nicht” – genauer gesagt: “Ich bin der Typ ganz”. Bei ihr kommt ausschließlich Bio auf den Tisch, außerdem isst sie regional und saisonal und vor allem pflanzlich. Lebensmittelabfälle wirft die Familie nicht in den Müll, sondern zu den Hühnern im Garten, deren Eier und Fleisch sie essen. Statt Auto fährt sie Bahn oder Rad. “Ich empfinde nichts davon als Zumutung, es ist nur anders”, betont Andres. “Menschen brauchen gerade jede Menge Ermutigung, anders zu leben. Es gibt dieses Verharren und den Widerstand gegen Veränderung in der Diskussion. Aber die große Mehrheit der Menschen hängt weder dem einen noch dem anderen Extrem an – und die gilt es, zu bewegen.” 

    Dass sie dafür BÖLW-Vorsitz, Landwege-Vorstand und Familie jonglieren muss und sich bei ihrem Engagement mit vielen Problemen befasst, nimmt sie in Kauf: “Ich empfinde das nicht als belastend. Ohnmacht ist belastend. Der kann man mit der eigenen Aktivität etwas entgegensetzen. Ich muss es zumindest versuchen.” Sophie Schädel 

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