Table.Briefing: ESG

COP15-Einigung + Katharina Beck: Regeln für Nachhaltigkeit + Rohstoffstrategie von Ceratizit

  • COP15-Einigung: 30 Prozent Flächenschutz vereinbart
  • Unabhängiger von Rohstoffen dank Recycling
  • Katharina Beck: Es braucht Regeln für Nachhaltigkeit
  • Einigung zur Reform des EU-Emissionshandelssystems
  • Biodiversität: Deutschland Teil einer neuen Initiative
  • Pakistanische Textilfabriken sollen sicherer werden
  • Katharina Reuter – Einen grünen BDI aufbauen
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Ergebnisse der Verhandlungen in Montreal bei der Konferenz für ökologische Vielfalt sind ein positives Signal zum Schluss eines Jahres, das durch schwere Krisen gekennzeichnet war: Corona, Krieg in der Ukraine, Inflation, die Frage nach Klimagerechtigkeit.

Timo Landenberger berichtet aus Montreal und weist darauf hin, dass der Text zum globalen Schutz der ökologischen Vielfalt ambitionierter ausfällt, als viele erwartet hätten. Auch hier steht ein ESG-getriebenes Thema auf der Agenda: “Monitoring“. Der Umsetzungsdruck ist seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 gewachsen – ebenso wie das Bewusstsein in der Bevölkerung, der Wirtschaft und Politik. Politik wagt mehr – schnelle und manchmal tiefgreifende Veränderungen kommen auf die Tagesordnung.

Wie groß der Anspruch zwischen Realität und Wirklichkeit ist, verdeutlicht im Interview Katharina Beck, die finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion: Es gebe einen großen Unterschied zwischen ESG-Definitionen und den allgemeinen Erwartungen an zukunftsfähig wirtschaftende Unternehmen. Der Grund dafür sei, dass ESG-Ratings in der Regel lediglich Ausschlusskriterien formulieren. 

Frühzeitige Investitionen in ESG-Themen können sich für Unternehmen aber auch gehörig lohnen. Das zeigt das Beispiel des Herstellers von Präzionswerkzeugen Ceratizit. Er kommt auf eine Sekundärrohstoffquote wie kaum ein anderes Unternehmen. Das ist nicht nur nachhaltig, sondern macht die Firma auch unabhängig vom Rohstoffmarkt. Mit Pakistan gilt der Accord, ein von Unternehmen, Gewerkschaften und NGOs geschlossenes Abkommen für mehr Sicherheit in Textilfabriken, nun im zweiten Land nach Bangladesch.

Im Porträt: Eine der emsigsten Verfechterin für eine nachhaltige Wirtschaft, Katharina Reuter. Die Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft macht klar, dass sie nachhaltiges Wirtschaften aus der Nische führen will, wenn Sie sagt: “Wir können der grüne BDI des 21. Jahrhunderts werden.”

Und jetzt wünsche ich eine spannende Lektüre mit Blick auf das Wesentliche – heute und in den kommenden Festtagen. Wir machen eine Weihnachtspause und sehen uns am ESG. Table wieder am 4. Januar.

Ihr
Torsten Sewing
Bild von Torsten  Sewing

Analyse

COP15-Einigung: 30 Prozent Flächenschutz vereinbart

Plötzlich ging es ganz schnell auf der Weltnaturkonferenz (COP15) in Montreal: Nachdem die Verhandlungsparteien fast zwei Wochen lang in entscheidenden Fragen kaum Fortschritte erzielen konnten, legte die chinesische Ratspräsidentschaft kurzerhand einen Entwurf auf den Tisch, der für überraschend viel Zuspruch sorgte. Eine Nachtsitzung später fiel am Montagmorgen der Hammer und ein neues, globales Abkommen zum Schutz der ökologischen Vielfalt wurde angenommen.

Um die weltweite Zerstörung der Natur zu stoppen und umzukehren, sollen demnach bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der Fläche an Land und auf dem Meer unter “effektiven Schutz” gestellt werden. Dabei werden die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, welche für die globale Biodiversität eine zentrale Rolle spielen, ausdrücklich anerkannt und gestärkt.

Schon das ist mehr, als viele nur Stunden zuvor erwartet hätten, denn die Positionen lagen teils weit auseinander. Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius spricht von einem “historischen Dokument”. Das Abkommen sei ambitioniert, balanciert und könne zu einem “echten Gamechanger” im Kampf gegen den Biodiversitätsverlust werden.

Monitoring und Messung enthalten

Zur Umsetzung der globalen Ziele sollen die Staaten bis zum Jahr 2024 nationale Strategiepläne entwickeln. Auch Mechanismen zu Monitoring und zur vergleichbaren Messung der Fortschritte sind vorgesehen. Einige Länder befürchten einen kaum zu bewältigenden Verwaltungsaufwand bei der Erhebung der Daten und sollen deshalb bei der Umsetzung unterstützt werden. Doch auch europäische Kommunen warnen bereits vor der zu erwartenden Bürokratiewelle.

Eine Bewirtschaftung soll auf den geschützten Flächen weiterhin möglich sein. Mit ihrer Forderung, einen Teil davon “unter besonders strengen Schutz” zu stellen (wie in der EU-Biodiversitätsstrategie vorgesehen) konnte sich die EU nicht durchsetzen.

Daneben sieht das Abkommen vor, auf 30 Prozent der “degradierten Flächen” Renaturierungsmaßnahmen vorzunehmen. Das entspricht den Plänen der EU im Renaturierungsgesetz. Allerdings hatte sich die Staatengemeinschaft erfolglos dafür eingesetzt, klare Flächenangaben von drei Milliarden Hektar an Land und auf dem Meer zu verankern. Außerdem fehle es an einer einheitlichen Definition von “degradiert”, kritisieren Umweltschützer.

Schädliche Subventionen abbauen

Die große Streitfrage nach der Finanzierung konnte zumindest teilweise gelöst werden. Das Abkommen benennt eine Umwelt-Finanzierungslücke in Höhe von 700 Milliarden US-Dollar und sieht die Mobilisierung von 200 Milliarden sowie den Abbau von umweltschädlichen Subventionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr vor. Diese übersteigen die Umweltfinanzierung bislang um ein Vielfaches, was grotesk sei, sagt WWF-Biodiversitätsexperte Florian Tietze, der von einem zwar “lückenhaften, aber letztlich überraschend guten Rahmenwerk” spricht.

80 Prozent der artenreichsten Ökosysteme befinden sich in Ländern des globalen Südens. Zur finanziellen Unterstützung dieser Staaten sollen von den Industrieländern bis 2025 jährlich 20 Milliarden und bis 2030 jährlich 30 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Das entspricht in etwa einer Verdreifachung der bislang zugesagten Summe.

Etliche Entwicklungsländer hatten allerdings mindestens 100 Milliarden jährlich gefordert, ebenso wie die Einrichtung eines neuen Fonds zur Abwicklung. Bestehende Instrumente, wie die Global Environment Facility, seien zu komplex. Es könne Jahre dauern, bis die beantragten Gelder bewilligt würden, hieß es. Noch viel länger würde es jedoch dauern, einen neuen Fonds aufzulegen, entgegnete Umweltkommissar Sinkevičius. Die Frage konnte nicht abschließend geklärt werden und wurde vertagt.

Klar ist hingegen: Auch die Privatwirtschaft soll auf die Biodiversität ausgerichtet werden. Das Abkommen sieht vor, dass vor allem große und international agierende Unternehmen und Finanzinstitute die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf die Biodiversität erfassen, offenlegen und bewerten. Berichtspflichten, wie sie von knapp 400 Konzernen zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen gefordert wurden, sind hingegen nicht vorgesehen.  

Risiko durch Pestizide halbieren

Auch die Umweltverschmutzung wird durch das Abkommen adressiert. Insbesondere Plastikmüll und Nährstoffeinträge sollen verringert, das Umweltrisiko durch Pestizideinsatz halbiert werden. Ziele zu ökologischer Landwirtschaft, wie von der EU gefordert, haben es nicht ins Abkommen geschafft – für Umweltschützer ein besonders wunder Punkt. Immerhin seien 70 Prozent des Verlusts der ökologischen Vielfalt auf den Agrarbereich zurückzuführen, so der WWF.

Die vorgesehene Halbierung schädlicher Pflanzenschutzmittel ist bemerkenswert. Zahlreiche Länder, darunter Indien, hatten sich stark dagegen gewehrt und befürchten massive Ertragseinbußen bei der Nahrungsmittelproduktion. Aus demselben Grund will der EU-Agrarrat die geplante Pestizide-Verordnung in Europa aufschieben. Das Ziel könne also auch in Richtung Brüssel eine Signalwirkung entfalten, so Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die sich mit dem Abkommen zufrieden zeigt. Die Abschlusserklärung strahle große Entschlossenheit aus.

Ihr Zustandekommen hatte am Montagmorgen in Montreal allerdings für Aufregung gesorgt. Chinas Umweltminister und COP-Präsident Huang Runqiu erklärte die Vereinbarung für angenommen, nur wenige Minuten nachdem der Vertreter der Demokratischen Republik Kongo seine klare Ablehnung zum Ausdruck gebracht hatte. Kongo verurteilte das Vorgehen, andere afrikanische Staaten schlossen sich an.

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Unabhängiger von Rohstoffen dank Recycling

Familienunternehmen denken langfristig. Diese Tugend zahlt sich in kritischen Rohstoffmärkten und für den Aufbau einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft aus. Ceratizit, eine Tochter der österreichischen Planseegruppe, fertigt Hochleistungswerkzeuge. Für den Hartmetallrohstoff Wolfram hat das Unternehmen seine Wertschöpfung vertieft und den Rohstoffkreislauf geschlossen. Zur Firmengruppe gehört mit dem amerikanischen Wolframpulverhersteller Global Tungsten & Powders (GTP) nicht nur ein Lieferant wichtiger Vor- und Zwischenprodukte, sondern nun auch das deutsche Hartmetall- und Recyclingunternehmen Stadler Metalle, das für die Gruppe weltweit Wolfram-Schrott aufkauft. Das erlaubt Ceratizit eine beispielhafte Sekundärrohstoffquote und Produkte, die einen 80 Prozent geringeren CO₂-Fußabdruck als vergleichbare Werkzeuge haben.

Wolfram hängt an China

Wolfram wird vor allem für die Stahl- und Hartmetallerzeugung gebraucht. Kritisch ist die Abhängigkeit von China, das mit 85 Prozent der Fördermenge den Weltmarkt dominiert. Die Geschichte dahinter hört sich bekannt an: Nachdem der Preis für Wolfram in den 1980er Jahren eingebrochen war, schloss weltweit ein Großteil der Mienen. China hingegen fuhr die Förderung hoch, um ab 2002 Wolframkonzentrat mit Exportbeschränkungen, Abbauquoten und Zöllen zu belegen. Parallel zog die Nachfrage an und die Preise stiegen. Da das Erz auch im Kleinbergbau im Kongo abgebaut wird, ist Wolfram außerdem ein Konfliktmineral. Und das für die Stahlproduktion wichtige Vorprodukt Ferrowolfram kommt vor allem aus Russland.

Mittlerweile gibt es aber mit Lagerstätten in Spanien, Portugal und Österreich auch wieder aktive Minen in der EU. Australien hat Minen reanimiert, in Großbritannien gibt es ähnliche Überlegungen und 2023 startet in Südkorea die Förderung in der dann weltweit größten Wolframmine. Über größere Wolframreserven verfügen zudem Kanada, Vietnam und Bolivien. Trotzdem bleiben die außerhalb Chinas geförderten Mengen im Vergleich gering: “Obschon nicht im öffentlichen Fokus, bleibt Wolfram ein herausfordernder Beschaffungsmarkt“, beschreibt Maren Lietdke, Spezialistin für mineralische Rohstoffe bei der Deutschen Rohstoffagentur DERA, die Situation 2022.

Eigene Rohstoff- und Recycling-Expertise

Dass Unabhängigkeit in einem solchen Umfeld Vorteile bringt, hat Ceratizit früh erkannt. 2008 übernahm die Planseegruppe den Wolframpulverhersteller GTP und integrierte ihn 2022 vollständig in die Ceratizit. 2019 kam eine Beteiligung am deutschen Hartmetall-Recyclingunternehmen Stadler Metalle hinzu, das nun ebenfalls komplett zu Ceratizit gehört.

Die Recyclingquoten bei Wolfram sind vergleichsweise hoch. “Weltweit über alle Verwendungsformen liegt die Quote bei 30 bis 40 Prozent“, beschreibt Markus Heseding, Geschäftsführer des VDMA Fachverbands Präzisionswerkzeuge, den Branchenstandard. In Hartmetallwerkzeugen sind die Sekundärrohstoffquoten mit rund 60 Prozent höher, große Hersteller schaffen auch mehr.

Ceratizit liegt bei der technologisch anspruchsvollen Wiederaufbereitung ganz vorne. “Wir decken über 90 Prozent unseres Gesamtbedarfs an Wolfram durch Wiederaufbereitung”, erklärt Andreas Kordwig, Geschäftsführer der Ceratizit Deutschland GmbH. Bis 2025 will man die Quote auf über 95 Prozent erhöhen. Dass das geht, zeigt eine im September vorgestellte Produktreihe, mit 99 Prozent Sekundärrohstoff und einem durch grüne Energie, reduzierte Transporte und Verpackungen aus Rezyklat 80 Prozent geringerem CO₂-Fußabdruck.

Professioneller Schrottzukauf

Der jüngste Zukauf spielt für den konsequenten Kreislaufgedanken eine zentrale Rolle: “Mit Stadler haben wir unseren Schrottzukauf international professionalisiert“, betont Kordwig. Schon länger sammelt man bei den Kunden die Alt-Werkzeuge ein. Davor werden die Bohrer und Fräser bis zu dreimal nachgeschliffen. Selbst die Produktionsschlämme fließen in den Kreislauf zurück. “Durch den globalen Schrottzukauf können wir noch einmal ganz andere Volumina und Losgrößen darstellen, als das bisher der Fall war”, beschreibt Kordwig die neue Beschaffungsstrategie, die das Unternehmen erst in die Lage versetzt, die angestrebten Quoten an Sekundärrohstoff über das gesamte Produktportfolio (wozu auch Halbzeuge wie Hartmetallstangen gehören) verlässlich zu erreichen.  

Potenzial für neue Geschäftsmodelle

Das Wolframkarbidpulver für die Halb- und Werkzeuge liefert wiederum die Ceratizit-Tochter GTP. GTP ist im Responsible Minerals Assurance Process (RMAP) der Responsible Minerals Initiative (RMI) geprüft. “RMAP gilt aktuell als wichtigstes Standardsystem zur Prüfung der Lieferketten-Sorgfaltspflichten von Hüttenbetrieben“, erklärt Dr. Martin Erdmann, Nachhaltigkeitsexperte bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Neben dem zertifizierten Erz verwendet GTP jedoch bereits heute einen großen Anteil Schrott für das Wolframpulver. “Es ist denkbar, dass man künftig schon bei der Produktentstehung mit dem Wert des Rohstoffs kalkulatorisch umgeht”, umschreibt Andreas Kordwig neue Geschäftsmodelle, die aus den durchgängigen Materialkreisläufen entstehen können.

Auch andere in der Branche denken um. So produziert der deutsche Werkzeughersteller Gühring in einem Pilotprojekt aktuell für BMW ebenfalls Werkzeuge aus recyceltem Wolfram und sammelt hierfür den Werkzeugschrott in den deutschen und österreichischen Werken des Automobilherstellers ein.

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“Freiwilligkeit funktioniert nicht – die Regeln müssen sich ändern”

Katharina Beck ist finanzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Sie haben vor Ihrem Bundestagsmandat viele Jahre als Beraterin für Dax-Konzerne in Sachen Nachhaltigkeit und ESG gearbeitet. Rührt daher der Pragmatismus, den man Ihnen nachsagt?
Grundsätzlich möchte ich gerne begeistern, tatsächlich auch Unternehmerinnen und Unternehmer. Mein Motto ist: Wollen statt müssen. Wir sind alle vernunftbegabte Wesen. Homo sapiens heißt ja “weiser Mensch”. Es ist doch für alle ersichtlich: Wir verbrauchen 1,74 Erden. Wir sind bisher als Menschheit aber nicht auf dem Pfad, dass wir die Kipppunkte im Klimawandel ausreichend verhindern. Die drei Top-Risiken laut Weltwirtschaftsforum, nicht aus Sicht der Grünen oder von Greenpeace, sind: der Klimawandel, extreme Wetterereignisse und der Rückgang der Biodiversität. Das sollte man zur Kenntnis nehmen und darauf aufbauend kann sich eine gewisse Begeisterung dafür entwickeln, Teil der Lösung zu werden. Denn ganz oft ist der Fußabdruck und auch der Handabdruck eines Unternehmens größer als er auf dem Ein-Planeten-Pfad oder dem 1,5-Grad-Pfad sein dürfte.

Sie wollen die Welt allein mit Aufklärung und Einsicht ändern?
Es gibt für mich keine Antagonismen zwischen den Instrumenten. Ich suche den Dialog. Ich bin auch eine Freundin von Anreizen. Was ich aber noch nie gesehen habe ist, dass Freiwilligkeitsansätze in der Regulierung effektiv funktionieren. Deshalb bin ich ja in die Politik gegangen. Weil ich die Rahmenbedingungen ändern will – und das geht nicht mit Freiwilligkeit. Die Rahmenbedingungen müssen ein neues Level Playing Field schaffen, wie man so schön auf Englisch sagt: Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen und mit sozialer Verantwortung. Innerhalb dieses Rahmens kann man von mir aus so viel Profit machen, wie man will, aber eben nur innerhalb dieser Grenzen.

Wie könnte denn eine solche Rahmensetzung praktisch aussehen?
Das ist wie ein großes Gesellschaftsspiel, wo Regeln festgelegt werden, Spielregeln. Die möchte ich gerne so verändern, dass es sich in Zukunft lohnt, klimaneutral, sozial verantwortlich und im Endeffekt sogar umweltpositiv zu wirtschaften. Beim Instrumentenkasten sollte es aus meiner Sicht viel Kreativität statt Denkverbote geben. Das ist für mich einer der Kernhebel im bestehenden System: Die Dinge so weiterzuentwickeln, dass man nicht sofort alles schlecht redet, was ist. Wir haben ja auch viel Gutes in der Wirtschaft. Die Rahmensetzung ist das Problem.

Das habe ich verstanden. Aber es gibt ja durchaus Profiteure der bisherigen Spielregeln, also der gezinkten Karten, um im Bild zu bleiben.
Es werden tatsächlich auch Privilegien für fossile Energien wegfallen. Das sind in ganz vielen Fällen Steuererleichterungen. Für manche Leute wird das negative Effekte haben, aber da müssen wir dran. Es geht um das Dienstwagen-Privileg, die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge oder das Diesel-Privileg, wobei man gerade beim letzten im Moment darauf achten muss, dass man keinen sozial negativen Effekt bekommt. Insgesamt sprechen wir in Deutschland von umweltschädlichen Subventionen in Höhe von 65 Milliarden Euro, die abgebaut werden müssen.

Das ist aber noch keine neue Rahmensetzung für die Wirtschaft.
Genau, das ist nur ein Ansatzpunkt von vielen. Der zweite ist die Integration von Anreizmechanismen in Regeln. Ein Beispiel: Wir haben gerade im Jahressteuergesetz 2022 eine Sonderabschreibung für den Mietwohnungsbau beschlossen, mit der innerhalb von vier Jahren fünf Prozent der Herstellungskosten für neu geschaffene Mietwohnungen mit dem energetischen Gebäudestandard Effizienzhaus 40 abgesetzt werden können. Das rechnet sich. Überhaupt sind Abschreibungen ein sehr spannendes Instrument.

Die wichtigste Innovation dürfte aus meiner Sicht sein, den Erfolg eines Unternehmens daran zu knüpfen, dass es sich an den planetaren Grenzen orientiert. Wir könnten mit CO₂ anfangen, weil man es monetarisieren – also in die Geld-Metrik einbauen – kann, in der im Moment Erfolg gerechnet wird. Es hätte einen positiven Effekt auf das Betriebsergebnis, wenn man regenerativ wirtschaftet – und einen negativen, wenn man viel CO₂ ausstößt. Im Koalitionsvertrag steht bereits, dass wir sozial-ökologische Aspekte in die Rechnungslegung integrieren wollen und zumindest schon mal mit CO₂ beginnen. Mit einem konstruktiven Veränderungsansatz ins bestehende System reinzugehen ist der Ansatz, den ich fahren möchte.

Erwarten Sie dafür Unterstützung in den Chefetagen der großen Unternehmen? Bisher hielt sich die Begeisterung für Nachhaltigkeit und ESG-Themen dort ja in Grenzen.
Es ist wirklich ein positiver Effekt von ESG an den Kapitalmärkten, dass das Nachhaltigkeitsthema in den Vorstandsetagen der Unternehmen mit mehr Relevanz angekommen ist. Heute wird es dort ernster genommen und entfaltet erste Effekte für Geschäftsentscheidungen bis in Business Units hinein. Das war früher anders. Da war das fast immer separat und ausschließlich ein Add-on. Heute versteht man: Nachhaltigkeit hat doch etwas mit dem Kerngeschäft zu tun, was die Nachhaltigkeitsmanager seit mindestens einem Jahrzehnt – eigentlich schon länger – immer wieder benannt haben.

ESG-Kriterien sind häufig Ausschlusskriterien, also was ein Unternehmen, eine Bank oder ein Fonds nicht macht. Reicht das, um wirklich zukunftsfähig zu werden?
Ich sehe tatsächlich einen großen Unterschied zwischen dem, was im ESG-Bereich definiert wird und was die allgemeinen Erwartungen an ESG sind. Ich glaube, dass viele annehmen, dass das Label ESG bereits für einen positiven Impact steht – also, dass sich etwas positiv verändert mit meinem Geld. Das ist aber im Bereich von ESG gar nicht unbedingt der Fall. Bei den allermeisten ESG-Fonds sind lediglich ein paar Investments ausgeschlossen, zum Beispiel Glücksspiel, Streubomben oder teilweise fossile Energien. Und schon ist das Produkt hellgrün ESG screened. Die Leute aber nehmen an, sie finanzieren damit die Zukunft. Meistens hat man aber nur ein paar Dinge nicht finanziert – die dann anderweitig trotzdem weiter finanziert werden. An der Realität ändert sich in vielen Fällen bisher im Endeffekt nichts.

Das klingt nicht gerade optimistisch.
Doch. Der Startpunkt ist gesetzt. Jetzt sollten wir mehr darüber sprechen, wie wir von ESG zu wirklichem Impact kommen. ESG ist für mich eher eine Methode. Was wir aber damit bewirken wollen, nämlich dass wir weniger CO₂ ausstoßen, dass wir klimaneutral werden, dass wir in eine echte Kreislaufwirtschaft kommen, ja, dass wir zukunftsfähig werden als Ökonomie, das ist halt noch gar nicht ganz ausgemacht und entwickelt sich gerade erst mehr innerhalb der größeren Sustainable Finance Diskussion. Ich hätte eine große Freude daran, wenn die Debatte an dieser Stelle vorankommt und wir mehr darüber sprechen, wie wir wirklich etwas zum Positiven verändern. Dahin sollte die Reise gehen.

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News

Einigung zur Reform des EU-Emissionshandelssystems

Am Sonntagmorgen einigten sich Mitgliedstaaten, Kommission und Parlament auf eine Reform des Emissionshandelssystems (ETS) sowie einen zweiten Emissionshandel für Gebäude und Verkehr. Zudem wurde ein Klimasozialfonds beschlossen.

Die Reform des ETS sieht vor, dass die kostenlosen CO₂-Zertifikate für die Industrie 2034 vollständig durch den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) ersetzt werden. Zuvor werden sie ab 2026 schrittweise abgeschmolzen, während der CBAM parallel eingeführt wird (siehe Grafik). Ausgenommen sind Branchen, die nicht unter den CBAM fallen, beispielsweise die chemische Industrie. Sie bekommen vorerst weiter kostenlose Emissionsrechte. Unter den CBAM fallen Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel und Wasserstoff. Auch die Exportindustrie bekommt weiterhin Freizuteilungen, allerdings nur in geringem Umfang.

Grafik zur Trilog Einigung zum Phase-Out der kostenlosen CO₂-Zertifikate: Phase-Out Freizuleitungen und Phase-In CBAM

Das Ambitionsniveau der ETS-Reform wird durch die Entfernung von überschüssigen Zertifikaten aus dem Markt angehoben. Dadurch sind die betroffenen Sektoren gezwungen, ihre Emissionen bis 2030 um insgesamt 62 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken – bisher waren es 43 Prozent.

Emissionshandel für Gebäude und Verkehr

Der zweite Emissionshandel für Brennstoffe zur Gebäudeheizung und Kraftstoffe für den Straßenverkehr (ETS 2) soll ab 2027 parallel zum bestehenden ETS anlaufen. Sollte der Gaspreis ein Jahr vor dem Start über dem Niveau vor Beginn des Krieges in der Ukraine liegen, wird die Einführung auf 2028 verschoben. Der CO₂-Preis des ETS 2 gilt für private und kommerzielle Brennstoffnutzung.

Zudem wird der ETS 2 mit einer Art Preisdeckel versehen. Die Trilog-Einigung sieht einen Preisstabilitätsmechanismus vor, der 20 Millionen zusätzliche Zertifikate freigibt, wenn der Preis pro Tonne CO₂ im ETS 2 über 45 Euro liegt.

Kleinerer Klimasozialfonds ab 2026

Für die Entlastung wurde ein Klimasozialfonds in Höhe von 87 Millionen Euro beschlossen. Parlament und Kommission hatten auf einen 144 Milliarden Euro Fonds gepocht, doch mit den Mitgliedstaaten war das nicht zu machen. Jedoch wurde die Forderung des Parlaments berücksichtigt, dass der Fonds bereits ein Jahr vor Inkrafttreten des ETS 2 greift. Zudem müssen auch die anderen Einnahmen aus dem ETS 2, die nicht in den Fonds, sondern in die Staatshaushalte der Länder fließen, für Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben werden.

Mit der Trilog-Einigung zur ETS-Reform, zum CBAM sowie zum Klimasozialfonds ist der wesentliche Teil des Fit-for-55-Pakets beschlossen. Die Reform muss noch formal bestätigt werden. Dies kann noch bis zum Frühjahr 2023 dauern. Mehr Details zur Einigung über die ETS-Reform bietet der Europe.Table. luk

  • CBAM
  • Emissionen
  • Emissionshandel
  • EU
  • Klima & Umwelt

Biodiversität: Deutschland will 29 Millionen Euro für Unterstützungsinitiative zahlen

Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat vergangene Woche auf der Biodiversitätskonferenz in Montreal angekündigt, dass Deutschland 29 Millionen Euro beisteuern wird, um Entwicklungsländer bei der Umsetzung ihrer nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne (NBSAP) zu unterstützen. Dafür startet Deutschland mit Kolumbien und weiteren Ländern die Initiative NBSAP Accelerator Partnership.

Durch ein einheitliches Monitoring sollen mit den NBSAP Fortschritte beim Schutz der Biodiversität sicht- und kontrollierbar gemacht werden. Sie orientieren sich an den national festgelegten Beiträgen (NDC) aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Die Initiative NBSAP Accelerator Partnership hat das Ziel, dass Staaten sich bei der Erarbeitung, Umsetzung und Überwachung ihrer NBSAP gegenseitig unterstützen. Damit sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um den Biodiversitätsverlust schneller einzudämmen.

Das Umweltministerium will im Rahmen der Initiative mit 20 Millionen Euro unter anderem die Etablierung der globalen Architektur der Partnerschaft, die Berichterstattung und Überwachung von Indikatoren in Ländern fördern. Das Entwicklungsministerium soll mit neun Millionen Euro weitere Unterstützungsprojekte in ausgewählten Ländern finanzieren.

Zum Start der Initiative sagt Steffi Lemke: “Mit der […] Partnerschaft können wir unmittelbar nach Beschluss der neuen globalen Vereinbarung für die biologische Vielfalt mit der Umsetzung starten. […] Wir wollen eine echte Partnerschaft etablieren, bei der alle relevanten Akteure einbezogen werden und Verantwortung übernehmen.” Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Entwicklungsministerium, ergänzt: “Der Großteil des Artenreichtums unserer Erde befindet sich in Schwellen- und Entwicklungsländern. […] Darum haben wir auch eine Verantwortung, Schutz, nachhaltige Nutzung und Wiederherstellung von Natur in Entwicklungsländern tatkräftig zu unterstützen.” nh

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Pakistanische Textilfabriken sollen durch ein neues Abkommen sicherer werden

Der Accord über Gesundheit und Sicherheit in der Textil- und Bekleidungsindustrie gilt nun auch für Pakistan. Das erste Produktionsland mit dieser rechtsverbindlichen Vereinbarung war Bangladesch. In Pakistan gelte die Vereinbarung zwischen den globalen Gewerkschaften IndustriAll und UNI Global Union und Bekleidungsmarken und -einzelhändlern ab 2023 zunächst für drei Jahre, teilte der International Accord am 14. Dezember mit.

Das Abkommen ist:

  • für Markenunternehmen rechtsverbindlich;
  • schreibt umfassende Gesundheits- und Sicherheitsinspektionen vor;
  • gibt zeitgebundene Renovierungspläne vor;
  • stellt sicher, dass die Zulieferer die Mittel haben, um die Sicherheitsmängel zu beseitigen;
  • schützt alle Arbeitnehmer in der gesamten Lieferkette der Markenhersteller;
  • bietet den Arbeitnehmern eine vertrauliche Möglichkeit, Sicherheits- und Gesundheitsprobleme anzusprechen;
  • und listet die Sicherheitsmängel in den Fabriken transparent auf.

Die Vereinbarung unterzeichneten 187 Marken, von denen mindestens die Hälfte Ware aus Pakistan bezieht. Erfasst würden mehr als 500 Fabriken in den Provinzen Sindh und Punjab, wo Fabriken den Großteil der Textilien herstellen. Das Land exportiert Textilien im Umfang von jährlich 20 Milliarden Euro.

Wissenschaftler des Wales Institute of Social and Economic Research und der Cardiff Business School haben im vergangenen Juli im Auftrag der NGO Clean Cloth Campaign Sicherheitsmängel in den Fabriken dokumentiert. Dazu befragten sie 585 Arbeiter. Davon gaben 85 Prozent aus 64 Fabriken an, sie hätten im Falle eines Feuers keinen Zugang zu einer geeigneten Nottreppe. Außerdem fehlen demnach unabhängige Fabrikinspektionen. Vor zehn Jahren waren bei dem Brand der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi 258 Menschen gestorben. In der Fabrik war der Brandschutz mangelhaft gewesen.

Das neue Abkommen orientiert sich am Bangladesch-Abkommen, das nach dem Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik 2013 unterzeichnet wurde. Die Vereinbarung hat zumindest die exportorientierten Fabriken in Bangladesch verändert. In mehr als 1.600 Fabriken, in denen 2,5 Millionen Menschen arbeiten, wurden rund 200.000 Sicherheitsrisiken beseitigt. cd

  • Arbeit
  • Arbeitnehmerrechte
  • Handel
  • Lieferketten
  • Menschenrechte

Presseschau

Weltnaturgipfel endet mit historischer Vereinbarung zum Schutz der Biodiversität BBC
Wie große Marken wie Tesco in den “Wilden Westen der globalen Lieferkette” gezogen werden THE GUARDIAN
Sprechen ÖkonomInnen die falsche Sprache? MAKRONOM
Desiree Fixler berät nun britische Aufsichtsbehörde HANDELSBLATT
Wie Führungskräfte im Stakeholder-Kapitalismus bezahlt werden sollten THE FINANCIAL TIMES
Tansania: Holzkohlehandel treibt unkontrollierte Entwaldung voran THE GUARDIAN

Heads

Katharina Reuter – Die Transformation mit 360-Grad-Blick vorantreiben

Katharina Reuter ist Vorsitzende des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW).
Katharina Reuter ist Vorsitzende des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft.

Eine Namensänderung ist für jede Organisation ein Risiko, vor allem wenn der alte schon einige Jahrzehnte Tradition hat. Das war auch Katharina Reuter klar. Und trotzdem setzte sie durch, dass UnternehmensGrün, einer der traditionsreichsten Zusammenschlüsse nachhaltig orientierter Unternehmen, 2021 einen neuen Namen bekam, 29 Jahre nach der Gründung. Seitdem firmiert man unter dem Namen “Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft”. “Wir brauchten einen stärker selbsterklärenden Namen“, erklärt die Geschäftsführerin ihre Entscheidung. Es sollte klarer werden, dass es sich beim BNW um eine bundesweite Vereinigung handelt, mit dem Vertretungsanspruch, der damit einhergeht. “Wir können der grüne BDI des 21. Jahrhunderts werden”, so Reuter. Nur dafür muss eben auch das Branding stimmen.

Das Ziel mag ambitioniert klingen. Der BNW vertritt heute rund 600 Unternehmen, während der BDI als Dachverband der Industrie mit dem Gewicht von über 100.000 Firmen spricht. Aber Katharina Reuter ist die richtige Frau, wenn es darum geht, aus einem zarten Pflänzchen Wachstum herauszuholen.

Ohne Mehrheiten fehlte in der Politik der Hebel

Das Interesse am Thema Nachhaltigkeit wurde der 46-Jährigen bereits zu Hause mitgegeben. Zwar wuchs sie in Berlin auf, aber die Familienurlaube führten regelmäßig auf einen Bauernhof in die fränkische Schweiz. “Das hat mich nachhaltig geprägt”, sagt Reuter heute: “Tatsächlich wollte ich ursprünglich Bäuerin werden.” Sie studierte Agrarwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. “Aber am Ende bin ich dann doch Großstädterin, das Leben richtig weit draußen konnte ich mir nicht vorstellen.” In Berlin war Reuter eine der Mitgründerinnen des Landesverbandes der Grünen Jugend und kandidierte erfolgreich bei den Berliner Kommunalwahlen. “Das war schon ein tolles Gefühl, seinen eigenen Namen auf dem Stimmzettel zu lesen”, sagt sie. Aber die mühsamen Prozesse in der Kommunalpolitik schreckten sie letztendlich ab. “Wenn Sie keine Mehrheit haben, fehlt Ihnen der Hebel, um wirklich etwas zu verändern.”

Also zog es Reuter zunächst zur Zukunftsstiftung Landwirtschaft, wo sie 2005 als Geschäftsführerin begann. “Damals habe ich vor allem den Biolebensmittelmarkt und die nachhaltige Landwirtschaft als mächtigen Transformationshebel für unsere Gesellschaft gesehen.” Und sie war weiterhin nah an der Landwirtschaft dran, ihrem Kindheitstraum.

BNW: Früher “Ökospinner”, heute Vorbild

Wie aber fand die begeisterte Agrarwissenschaftlerin aus ihrem Bereich in die deutlich breitere Welt der nachhaltigen Wirtschaft? Es begann mit einem geplanten Karriererückschritt. “Ich hatte zwei Kinder bekommen und wollte aus der sehr verantwortungsvollen Position in eine Assistenzstelle wechseln”, so Reuter. Das Problem: Niemand lud sie zum Vorstellungsgespräch ein. “Die hielten mich mit meiner Erfahrung als Geschäftsführerin und meinem Doktortitel für überqualifiziert.”

Also wurde Reuter doch wieder Geschäftsführerin, zunächst bei der Klima-Allianz Deutschland, dann ab 2014 bei UnternehmensGrün, immer auf der Suche nach möglichst großen Transformationshebeln. Und den sieht sie beim BNW: Der branchenübergreifende Wirtschaftsverband treibe die Transformation mit einem 360-Grad-Blick voran. “Wir müssen Energiewende, Agrarwende und Mobilitätswende zusammendenken”, sagt sie. Durch ein breites Spektrum an Unternehmen im BNW seien all diese Themen auf der Agenda. Nun ist die Agenda das Eine, gerade bei der Umsetzung hapert es in Deutschland häufig. Da will der BNW mit seinen Mitgliedsunternehmen die Vorbildfunktion einnehmen. “Unsere Mitglieder wurden früher als Ökospinner verlacht, heute zeigen sie, dass eine freiwillige Anpassung des Geschäftsmodells nicht unbedingt ein Nachteil ist.” Und während große Verbände immer auf den letzten Bremser warten müssten, könne der BNW kompromisslos für die Nachhaltigkeit kämpfen im Austausch mit der Politik. Pascal Mühle

Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es, dass der BNW 450 Unternehmen vertrete.

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  • Technologie
  • Transformation
  • Wirtschaft

ESG.Table Redaktion

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    die Ergebnisse der Verhandlungen in Montreal bei der Konferenz für ökologische Vielfalt sind ein positives Signal zum Schluss eines Jahres, das durch schwere Krisen gekennzeichnet war: Corona, Krieg in der Ukraine, Inflation, die Frage nach Klimagerechtigkeit.

    Timo Landenberger berichtet aus Montreal und weist darauf hin, dass der Text zum globalen Schutz der ökologischen Vielfalt ambitionierter ausfällt, als viele erwartet hätten. Auch hier steht ein ESG-getriebenes Thema auf der Agenda: “Monitoring“. Der Umsetzungsdruck ist seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 gewachsen – ebenso wie das Bewusstsein in der Bevölkerung, der Wirtschaft und Politik. Politik wagt mehr – schnelle und manchmal tiefgreifende Veränderungen kommen auf die Tagesordnung.

    Wie groß der Anspruch zwischen Realität und Wirklichkeit ist, verdeutlicht im Interview Katharina Beck, die finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion: Es gebe einen großen Unterschied zwischen ESG-Definitionen und den allgemeinen Erwartungen an zukunftsfähig wirtschaftende Unternehmen. Der Grund dafür sei, dass ESG-Ratings in der Regel lediglich Ausschlusskriterien formulieren. 

    Frühzeitige Investitionen in ESG-Themen können sich für Unternehmen aber auch gehörig lohnen. Das zeigt das Beispiel des Herstellers von Präzionswerkzeugen Ceratizit. Er kommt auf eine Sekundärrohstoffquote wie kaum ein anderes Unternehmen. Das ist nicht nur nachhaltig, sondern macht die Firma auch unabhängig vom Rohstoffmarkt. Mit Pakistan gilt der Accord, ein von Unternehmen, Gewerkschaften und NGOs geschlossenes Abkommen für mehr Sicherheit in Textilfabriken, nun im zweiten Land nach Bangladesch.

    Im Porträt: Eine der emsigsten Verfechterin für eine nachhaltige Wirtschaft, Katharina Reuter. Die Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft macht klar, dass sie nachhaltiges Wirtschaften aus der Nische führen will, wenn Sie sagt: “Wir können der grüne BDI des 21. Jahrhunderts werden.”

    Und jetzt wünsche ich eine spannende Lektüre mit Blick auf das Wesentliche – heute und in den kommenden Festtagen. Wir machen eine Weihnachtspause und sehen uns am ESG. Table wieder am 4. Januar.

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    Torsten Sewing
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    Analyse

    COP15-Einigung: 30 Prozent Flächenschutz vereinbart

    Plötzlich ging es ganz schnell auf der Weltnaturkonferenz (COP15) in Montreal: Nachdem die Verhandlungsparteien fast zwei Wochen lang in entscheidenden Fragen kaum Fortschritte erzielen konnten, legte die chinesische Ratspräsidentschaft kurzerhand einen Entwurf auf den Tisch, der für überraschend viel Zuspruch sorgte. Eine Nachtsitzung später fiel am Montagmorgen der Hammer und ein neues, globales Abkommen zum Schutz der ökologischen Vielfalt wurde angenommen.

    Um die weltweite Zerstörung der Natur zu stoppen und umzukehren, sollen demnach bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der Fläche an Land und auf dem Meer unter “effektiven Schutz” gestellt werden. Dabei werden die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, welche für die globale Biodiversität eine zentrale Rolle spielen, ausdrücklich anerkannt und gestärkt.

    Schon das ist mehr, als viele nur Stunden zuvor erwartet hätten, denn die Positionen lagen teils weit auseinander. Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius spricht von einem “historischen Dokument”. Das Abkommen sei ambitioniert, balanciert und könne zu einem “echten Gamechanger” im Kampf gegen den Biodiversitätsverlust werden.

    Monitoring und Messung enthalten

    Zur Umsetzung der globalen Ziele sollen die Staaten bis zum Jahr 2024 nationale Strategiepläne entwickeln. Auch Mechanismen zu Monitoring und zur vergleichbaren Messung der Fortschritte sind vorgesehen. Einige Länder befürchten einen kaum zu bewältigenden Verwaltungsaufwand bei der Erhebung der Daten und sollen deshalb bei der Umsetzung unterstützt werden. Doch auch europäische Kommunen warnen bereits vor der zu erwartenden Bürokratiewelle.

    Eine Bewirtschaftung soll auf den geschützten Flächen weiterhin möglich sein. Mit ihrer Forderung, einen Teil davon “unter besonders strengen Schutz” zu stellen (wie in der EU-Biodiversitätsstrategie vorgesehen) konnte sich die EU nicht durchsetzen.

    Daneben sieht das Abkommen vor, auf 30 Prozent der “degradierten Flächen” Renaturierungsmaßnahmen vorzunehmen. Das entspricht den Plänen der EU im Renaturierungsgesetz. Allerdings hatte sich die Staatengemeinschaft erfolglos dafür eingesetzt, klare Flächenangaben von drei Milliarden Hektar an Land und auf dem Meer zu verankern. Außerdem fehle es an einer einheitlichen Definition von “degradiert”, kritisieren Umweltschützer.

    Schädliche Subventionen abbauen

    Die große Streitfrage nach der Finanzierung konnte zumindest teilweise gelöst werden. Das Abkommen benennt eine Umwelt-Finanzierungslücke in Höhe von 700 Milliarden US-Dollar und sieht die Mobilisierung von 200 Milliarden sowie den Abbau von umweltschädlichen Subventionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr vor. Diese übersteigen die Umweltfinanzierung bislang um ein Vielfaches, was grotesk sei, sagt WWF-Biodiversitätsexperte Florian Tietze, der von einem zwar “lückenhaften, aber letztlich überraschend guten Rahmenwerk” spricht.

    80 Prozent der artenreichsten Ökosysteme befinden sich in Ländern des globalen Südens. Zur finanziellen Unterstützung dieser Staaten sollen von den Industrieländern bis 2025 jährlich 20 Milliarden und bis 2030 jährlich 30 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Das entspricht in etwa einer Verdreifachung der bislang zugesagten Summe.

    Etliche Entwicklungsländer hatten allerdings mindestens 100 Milliarden jährlich gefordert, ebenso wie die Einrichtung eines neuen Fonds zur Abwicklung. Bestehende Instrumente, wie die Global Environment Facility, seien zu komplex. Es könne Jahre dauern, bis die beantragten Gelder bewilligt würden, hieß es. Noch viel länger würde es jedoch dauern, einen neuen Fonds aufzulegen, entgegnete Umweltkommissar Sinkevičius. Die Frage konnte nicht abschließend geklärt werden und wurde vertagt.

    Klar ist hingegen: Auch die Privatwirtschaft soll auf die Biodiversität ausgerichtet werden. Das Abkommen sieht vor, dass vor allem große und international agierende Unternehmen und Finanzinstitute die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf die Biodiversität erfassen, offenlegen und bewerten. Berichtspflichten, wie sie von knapp 400 Konzernen zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen gefordert wurden, sind hingegen nicht vorgesehen.  

    Risiko durch Pestizide halbieren

    Auch die Umweltverschmutzung wird durch das Abkommen adressiert. Insbesondere Plastikmüll und Nährstoffeinträge sollen verringert, das Umweltrisiko durch Pestizideinsatz halbiert werden. Ziele zu ökologischer Landwirtschaft, wie von der EU gefordert, haben es nicht ins Abkommen geschafft – für Umweltschützer ein besonders wunder Punkt. Immerhin seien 70 Prozent des Verlusts der ökologischen Vielfalt auf den Agrarbereich zurückzuführen, so der WWF.

    Die vorgesehene Halbierung schädlicher Pflanzenschutzmittel ist bemerkenswert. Zahlreiche Länder, darunter Indien, hatten sich stark dagegen gewehrt und befürchten massive Ertragseinbußen bei der Nahrungsmittelproduktion. Aus demselben Grund will der EU-Agrarrat die geplante Pestizide-Verordnung in Europa aufschieben. Das Ziel könne also auch in Richtung Brüssel eine Signalwirkung entfalten, so Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die sich mit dem Abkommen zufrieden zeigt. Die Abschlusserklärung strahle große Entschlossenheit aus.

    Ihr Zustandekommen hatte am Montagmorgen in Montreal allerdings für Aufregung gesorgt. Chinas Umweltminister und COP-Präsident Huang Runqiu erklärte die Vereinbarung für angenommen, nur wenige Minuten nachdem der Vertreter der Demokratischen Republik Kongo seine klare Ablehnung zum Ausdruck gebracht hatte. Kongo verurteilte das Vorgehen, andere afrikanische Staaten schlossen sich an.

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    Unabhängiger von Rohstoffen dank Recycling

    Familienunternehmen denken langfristig. Diese Tugend zahlt sich in kritischen Rohstoffmärkten und für den Aufbau einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft aus. Ceratizit, eine Tochter der österreichischen Planseegruppe, fertigt Hochleistungswerkzeuge. Für den Hartmetallrohstoff Wolfram hat das Unternehmen seine Wertschöpfung vertieft und den Rohstoffkreislauf geschlossen. Zur Firmengruppe gehört mit dem amerikanischen Wolframpulverhersteller Global Tungsten & Powders (GTP) nicht nur ein Lieferant wichtiger Vor- und Zwischenprodukte, sondern nun auch das deutsche Hartmetall- und Recyclingunternehmen Stadler Metalle, das für die Gruppe weltweit Wolfram-Schrott aufkauft. Das erlaubt Ceratizit eine beispielhafte Sekundärrohstoffquote und Produkte, die einen 80 Prozent geringeren CO₂-Fußabdruck als vergleichbare Werkzeuge haben.

    Wolfram hängt an China

    Wolfram wird vor allem für die Stahl- und Hartmetallerzeugung gebraucht. Kritisch ist die Abhängigkeit von China, das mit 85 Prozent der Fördermenge den Weltmarkt dominiert. Die Geschichte dahinter hört sich bekannt an: Nachdem der Preis für Wolfram in den 1980er Jahren eingebrochen war, schloss weltweit ein Großteil der Mienen. China hingegen fuhr die Förderung hoch, um ab 2002 Wolframkonzentrat mit Exportbeschränkungen, Abbauquoten und Zöllen zu belegen. Parallel zog die Nachfrage an und die Preise stiegen. Da das Erz auch im Kleinbergbau im Kongo abgebaut wird, ist Wolfram außerdem ein Konfliktmineral. Und das für die Stahlproduktion wichtige Vorprodukt Ferrowolfram kommt vor allem aus Russland.

    Mittlerweile gibt es aber mit Lagerstätten in Spanien, Portugal und Österreich auch wieder aktive Minen in der EU. Australien hat Minen reanimiert, in Großbritannien gibt es ähnliche Überlegungen und 2023 startet in Südkorea die Förderung in der dann weltweit größten Wolframmine. Über größere Wolframreserven verfügen zudem Kanada, Vietnam und Bolivien. Trotzdem bleiben die außerhalb Chinas geförderten Mengen im Vergleich gering: “Obschon nicht im öffentlichen Fokus, bleibt Wolfram ein herausfordernder Beschaffungsmarkt“, beschreibt Maren Lietdke, Spezialistin für mineralische Rohstoffe bei der Deutschen Rohstoffagentur DERA, die Situation 2022.

    Eigene Rohstoff- und Recycling-Expertise

    Dass Unabhängigkeit in einem solchen Umfeld Vorteile bringt, hat Ceratizit früh erkannt. 2008 übernahm die Planseegruppe den Wolframpulverhersteller GTP und integrierte ihn 2022 vollständig in die Ceratizit. 2019 kam eine Beteiligung am deutschen Hartmetall-Recyclingunternehmen Stadler Metalle hinzu, das nun ebenfalls komplett zu Ceratizit gehört.

    Die Recyclingquoten bei Wolfram sind vergleichsweise hoch. “Weltweit über alle Verwendungsformen liegt die Quote bei 30 bis 40 Prozent“, beschreibt Markus Heseding, Geschäftsführer des VDMA Fachverbands Präzisionswerkzeuge, den Branchenstandard. In Hartmetallwerkzeugen sind die Sekundärrohstoffquoten mit rund 60 Prozent höher, große Hersteller schaffen auch mehr.

    Ceratizit liegt bei der technologisch anspruchsvollen Wiederaufbereitung ganz vorne. “Wir decken über 90 Prozent unseres Gesamtbedarfs an Wolfram durch Wiederaufbereitung”, erklärt Andreas Kordwig, Geschäftsführer der Ceratizit Deutschland GmbH. Bis 2025 will man die Quote auf über 95 Prozent erhöhen. Dass das geht, zeigt eine im September vorgestellte Produktreihe, mit 99 Prozent Sekundärrohstoff und einem durch grüne Energie, reduzierte Transporte und Verpackungen aus Rezyklat 80 Prozent geringerem CO₂-Fußabdruck.

    Professioneller Schrottzukauf

    Der jüngste Zukauf spielt für den konsequenten Kreislaufgedanken eine zentrale Rolle: “Mit Stadler haben wir unseren Schrottzukauf international professionalisiert“, betont Kordwig. Schon länger sammelt man bei den Kunden die Alt-Werkzeuge ein. Davor werden die Bohrer und Fräser bis zu dreimal nachgeschliffen. Selbst die Produktionsschlämme fließen in den Kreislauf zurück. “Durch den globalen Schrottzukauf können wir noch einmal ganz andere Volumina und Losgrößen darstellen, als das bisher der Fall war”, beschreibt Kordwig die neue Beschaffungsstrategie, die das Unternehmen erst in die Lage versetzt, die angestrebten Quoten an Sekundärrohstoff über das gesamte Produktportfolio (wozu auch Halbzeuge wie Hartmetallstangen gehören) verlässlich zu erreichen.  

    Potenzial für neue Geschäftsmodelle

    Das Wolframkarbidpulver für die Halb- und Werkzeuge liefert wiederum die Ceratizit-Tochter GTP. GTP ist im Responsible Minerals Assurance Process (RMAP) der Responsible Minerals Initiative (RMI) geprüft. “RMAP gilt aktuell als wichtigstes Standardsystem zur Prüfung der Lieferketten-Sorgfaltspflichten von Hüttenbetrieben“, erklärt Dr. Martin Erdmann, Nachhaltigkeitsexperte bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Neben dem zertifizierten Erz verwendet GTP jedoch bereits heute einen großen Anteil Schrott für das Wolframpulver. “Es ist denkbar, dass man künftig schon bei der Produktentstehung mit dem Wert des Rohstoffs kalkulatorisch umgeht”, umschreibt Andreas Kordwig neue Geschäftsmodelle, die aus den durchgängigen Materialkreisläufen entstehen können.

    Auch andere in der Branche denken um. So produziert der deutsche Werkzeughersteller Gühring in einem Pilotprojekt aktuell für BMW ebenfalls Werkzeuge aus recyceltem Wolfram und sammelt hierfür den Werkzeugschrott in den deutschen und österreichischen Werken des Automobilherstellers ein.

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    “Freiwilligkeit funktioniert nicht – die Regeln müssen sich ändern”

    Katharina Beck ist finanzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

    Sie haben vor Ihrem Bundestagsmandat viele Jahre als Beraterin für Dax-Konzerne in Sachen Nachhaltigkeit und ESG gearbeitet. Rührt daher der Pragmatismus, den man Ihnen nachsagt?
    Grundsätzlich möchte ich gerne begeistern, tatsächlich auch Unternehmerinnen und Unternehmer. Mein Motto ist: Wollen statt müssen. Wir sind alle vernunftbegabte Wesen. Homo sapiens heißt ja “weiser Mensch”. Es ist doch für alle ersichtlich: Wir verbrauchen 1,74 Erden. Wir sind bisher als Menschheit aber nicht auf dem Pfad, dass wir die Kipppunkte im Klimawandel ausreichend verhindern. Die drei Top-Risiken laut Weltwirtschaftsforum, nicht aus Sicht der Grünen oder von Greenpeace, sind: der Klimawandel, extreme Wetterereignisse und der Rückgang der Biodiversität. Das sollte man zur Kenntnis nehmen und darauf aufbauend kann sich eine gewisse Begeisterung dafür entwickeln, Teil der Lösung zu werden. Denn ganz oft ist der Fußabdruck und auch der Handabdruck eines Unternehmens größer als er auf dem Ein-Planeten-Pfad oder dem 1,5-Grad-Pfad sein dürfte.

    Sie wollen die Welt allein mit Aufklärung und Einsicht ändern?
    Es gibt für mich keine Antagonismen zwischen den Instrumenten. Ich suche den Dialog. Ich bin auch eine Freundin von Anreizen. Was ich aber noch nie gesehen habe ist, dass Freiwilligkeitsansätze in der Regulierung effektiv funktionieren. Deshalb bin ich ja in die Politik gegangen. Weil ich die Rahmenbedingungen ändern will – und das geht nicht mit Freiwilligkeit. Die Rahmenbedingungen müssen ein neues Level Playing Field schaffen, wie man so schön auf Englisch sagt: Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen und mit sozialer Verantwortung. Innerhalb dieses Rahmens kann man von mir aus so viel Profit machen, wie man will, aber eben nur innerhalb dieser Grenzen.

    Wie könnte denn eine solche Rahmensetzung praktisch aussehen?
    Das ist wie ein großes Gesellschaftsspiel, wo Regeln festgelegt werden, Spielregeln. Die möchte ich gerne so verändern, dass es sich in Zukunft lohnt, klimaneutral, sozial verantwortlich und im Endeffekt sogar umweltpositiv zu wirtschaften. Beim Instrumentenkasten sollte es aus meiner Sicht viel Kreativität statt Denkverbote geben. Das ist für mich einer der Kernhebel im bestehenden System: Die Dinge so weiterzuentwickeln, dass man nicht sofort alles schlecht redet, was ist. Wir haben ja auch viel Gutes in der Wirtschaft. Die Rahmensetzung ist das Problem.

    Das habe ich verstanden. Aber es gibt ja durchaus Profiteure der bisherigen Spielregeln, also der gezinkten Karten, um im Bild zu bleiben.
    Es werden tatsächlich auch Privilegien für fossile Energien wegfallen. Das sind in ganz vielen Fällen Steuererleichterungen. Für manche Leute wird das negative Effekte haben, aber da müssen wir dran. Es geht um das Dienstwagen-Privileg, die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge oder das Diesel-Privileg, wobei man gerade beim letzten im Moment darauf achten muss, dass man keinen sozial negativen Effekt bekommt. Insgesamt sprechen wir in Deutschland von umweltschädlichen Subventionen in Höhe von 65 Milliarden Euro, die abgebaut werden müssen.

    Das ist aber noch keine neue Rahmensetzung für die Wirtschaft.
    Genau, das ist nur ein Ansatzpunkt von vielen. Der zweite ist die Integration von Anreizmechanismen in Regeln. Ein Beispiel: Wir haben gerade im Jahressteuergesetz 2022 eine Sonderabschreibung für den Mietwohnungsbau beschlossen, mit der innerhalb von vier Jahren fünf Prozent der Herstellungskosten für neu geschaffene Mietwohnungen mit dem energetischen Gebäudestandard Effizienzhaus 40 abgesetzt werden können. Das rechnet sich. Überhaupt sind Abschreibungen ein sehr spannendes Instrument.

    Die wichtigste Innovation dürfte aus meiner Sicht sein, den Erfolg eines Unternehmens daran zu knüpfen, dass es sich an den planetaren Grenzen orientiert. Wir könnten mit CO₂ anfangen, weil man es monetarisieren – also in die Geld-Metrik einbauen – kann, in der im Moment Erfolg gerechnet wird. Es hätte einen positiven Effekt auf das Betriebsergebnis, wenn man regenerativ wirtschaftet – und einen negativen, wenn man viel CO₂ ausstößt. Im Koalitionsvertrag steht bereits, dass wir sozial-ökologische Aspekte in die Rechnungslegung integrieren wollen und zumindest schon mal mit CO₂ beginnen. Mit einem konstruktiven Veränderungsansatz ins bestehende System reinzugehen ist der Ansatz, den ich fahren möchte.

    Erwarten Sie dafür Unterstützung in den Chefetagen der großen Unternehmen? Bisher hielt sich die Begeisterung für Nachhaltigkeit und ESG-Themen dort ja in Grenzen.
    Es ist wirklich ein positiver Effekt von ESG an den Kapitalmärkten, dass das Nachhaltigkeitsthema in den Vorstandsetagen der Unternehmen mit mehr Relevanz angekommen ist. Heute wird es dort ernster genommen und entfaltet erste Effekte für Geschäftsentscheidungen bis in Business Units hinein. Das war früher anders. Da war das fast immer separat und ausschließlich ein Add-on. Heute versteht man: Nachhaltigkeit hat doch etwas mit dem Kerngeschäft zu tun, was die Nachhaltigkeitsmanager seit mindestens einem Jahrzehnt – eigentlich schon länger – immer wieder benannt haben.

    ESG-Kriterien sind häufig Ausschlusskriterien, also was ein Unternehmen, eine Bank oder ein Fonds nicht macht. Reicht das, um wirklich zukunftsfähig zu werden?
    Ich sehe tatsächlich einen großen Unterschied zwischen dem, was im ESG-Bereich definiert wird und was die allgemeinen Erwartungen an ESG sind. Ich glaube, dass viele annehmen, dass das Label ESG bereits für einen positiven Impact steht – also, dass sich etwas positiv verändert mit meinem Geld. Das ist aber im Bereich von ESG gar nicht unbedingt der Fall. Bei den allermeisten ESG-Fonds sind lediglich ein paar Investments ausgeschlossen, zum Beispiel Glücksspiel, Streubomben oder teilweise fossile Energien. Und schon ist das Produkt hellgrün ESG screened. Die Leute aber nehmen an, sie finanzieren damit die Zukunft. Meistens hat man aber nur ein paar Dinge nicht finanziert – die dann anderweitig trotzdem weiter finanziert werden. An der Realität ändert sich in vielen Fällen bisher im Endeffekt nichts.

    Das klingt nicht gerade optimistisch.
    Doch. Der Startpunkt ist gesetzt. Jetzt sollten wir mehr darüber sprechen, wie wir von ESG zu wirklichem Impact kommen. ESG ist für mich eher eine Methode. Was wir aber damit bewirken wollen, nämlich dass wir weniger CO₂ ausstoßen, dass wir klimaneutral werden, dass wir in eine echte Kreislaufwirtschaft kommen, ja, dass wir zukunftsfähig werden als Ökonomie, das ist halt noch gar nicht ganz ausgemacht und entwickelt sich gerade erst mehr innerhalb der größeren Sustainable Finance Diskussion. Ich hätte eine große Freude daran, wenn die Debatte an dieser Stelle vorankommt und wir mehr darüber sprechen, wie wir wirklich etwas zum Positiven verändern. Dahin sollte die Reise gehen.

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    Einigung zur Reform des EU-Emissionshandelssystems

    Am Sonntagmorgen einigten sich Mitgliedstaaten, Kommission und Parlament auf eine Reform des Emissionshandelssystems (ETS) sowie einen zweiten Emissionshandel für Gebäude und Verkehr. Zudem wurde ein Klimasozialfonds beschlossen.

    Die Reform des ETS sieht vor, dass die kostenlosen CO₂-Zertifikate für die Industrie 2034 vollständig durch den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) ersetzt werden. Zuvor werden sie ab 2026 schrittweise abgeschmolzen, während der CBAM parallel eingeführt wird (siehe Grafik). Ausgenommen sind Branchen, die nicht unter den CBAM fallen, beispielsweise die chemische Industrie. Sie bekommen vorerst weiter kostenlose Emissionsrechte. Unter den CBAM fallen Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel und Wasserstoff. Auch die Exportindustrie bekommt weiterhin Freizuteilungen, allerdings nur in geringem Umfang.

    Grafik zur Trilog Einigung zum Phase-Out der kostenlosen CO₂-Zertifikate: Phase-Out Freizuleitungen und Phase-In CBAM

    Das Ambitionsniveau der ETS-Reform wird durch die Entfernung von überschüssigen Zertifikaten aus dem Markt angehoben. Dadurch sind die betroffenen Sektoren gezwungen, ihre Emissionen bis 2030 um insgesamt 62 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken – bisher waren es 43 Prozent.

    Emissionshandel für Gebäude und Verkehr

    Der zweite Emissionshandel für Brennstoffe zur Gebäudeheizung und Kraftstoffe für den Straßenverkehr (ETS 2) soll ab 2027 parallel zum bestehenden ETS anlaufen. Sollte der Gaspreis ein Jahr vor dem Start über dem Niveau vor Beginn des Krieges in der Ukraine liegen, wird die Einführung auf 2028 verschoben. Der CO₂-Preis des ETS 2 gilt für private und kommerzielle Brennstoffnutzung.

    Zudem wird der ETS 2 mit einer Art Preisdeckel versehen. Die Trilog-Einigung sieht einen Preisstabilitätsmechanismus vor, der 20 Millionen zusätzliche Zertifikate freigibt, wenn der Preis pro Tonne CO₂ im ETS 2 über 45 Euro liegt.

    Kleinerer Klimasozialfonds ab 2026

    Für die Entlastung wurde ein Klimasozialfonds in Höhe von 87 Millionen Euro beschlossen. Parlament und Kommission hatten auf einen 144 Milliarden Euro Fonds gepocht, doch mit den Mitgliedstaaten war das nicht zu machen. Jedoch wurde die Forderung des Parlaments berücksichtigt, dass der Fonds bereits ein Jahr vor Inkrafttreten des ETS 2 greift. Zudem müssen auch die anderen Einnahmen aus dem ETS 2, die nicht in den Fonds, sondern in die Staatshaushalte der Länder fließen, für Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben werden.

    Mit der Trilog-Einigung zur ETS-Reform, zum CBAM sowie zum Klimasozialfonds ist der wesentliche Teil des Fit-for-55-Pakets beschlossen. Die Reform muss noch formal bestätigt werden. Dies kann noch bis zum Frühjahr 2023 dauern. Mehr Details zur Einigung über die ETS-Reform bietet der Europe.Table. luk

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    Biodiversität: Deutschland will 29 Millionen Euro für Unterstützungsinitiative zahlen

    Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat vergangene Woche auf der Biodiversitätskonferenz in Montreal angekündigt, dass Deutschland 29 Millionen Euro beisteuern wird, um Entwicklungsländer bei der Umsetzung ihrer nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne (NBSAP) zu unterstützen. Dafür startet Deutschland mit Kolumbien und weiteren Ländern die Initiative NBSAP Accelerator Partnership.

    Durch ein einheitliches Monitoring sollen mit den NBSAP Fortschritte beim Schutz der Biodiversität sicht- und kontrollierbar gemacht werden. Sie orientieren sich an den national festgelegten Beiträgen (NDC) aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Die Initiative NBSAP Accelerator Partnership hat das Ziel, dass Staaten sich bei der Erarbeitung, Umsetzung und Überwachung ihrer NBSAP gegenseitig unterstützen. Damit sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um den Biodiversitätsverlust schneller einzudämmen.

    Das Umweltministerium will im Rahmen der Initiative mit 20 Millionen Euro unter anderem die Etablierung der globalen Architektur der Partnerschaft, die Berichterstattung und Überwachung von Indikatoren in Ländern fördern. Das Entwicklungsministerium soll mit neun Millionen Euro weitere Unterstützungsprojekte in ausgewählten Ländern finanzieren.

    Zum Start der Initiative sagt Steffi Lemke: “Mit der […] Partnerschaft können wir unmittelbar nach Beschluss der neuen globalen Vereinbarung für die biologische Vielfalt mit der Umsetzung starten. […] Wir wollen eine echte Partnerschaft etablieren, bei der alle relevanten Akteure einbezogen werden und Verantwortung übernehmen.” Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Entwicklungsministerium, ergänzt: “Der Großteil des Artenreichtums unserer Erde befindet sich in Schwellen- und Entwicklungsländern. […] Darum haben wir auch eine Verantwortung, Schutz, nachhaltige Nutzung und Wiederherstellung von Natur in Entwicklungsländern tatkräftig zu unterstützen.” nh

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    Pakistanische Textilfabriken sollen durch ein neues Abkommen sicherer werden

    Der Accord über Gesundheit und Sicherheit in der Textil- und Bekleidungsindustrie gilt nun auch für Pakistan. Das erste Produktionsland mit dieser rechtsverbindlichen Vereinbarung war Bangladesch. In Pakistan gelte die Vereinbarung zwischen den globalen Gewerkschaften IndustriAll und UNI Global Union und Bekleidungsmarken und -einzelhändlern ab 2023 zunächst für drei Jahre, teilte der International Accord am 14. Dezember mit.

    Das Abkommen ist:

    • für Markenunternehmen rechtsverbindlich;
    • schreibt umfassende Gesundheits- und Sicherheitsinspektionen vor;
    • gibt zeitgebundene Renovierungspläne vor;
    • stellt sicher, dass die Zulieferer die Mittel haben, um die Sicherheitsmängel zu beseitigen;
    • schützt alle Arbeitnehmer in der gesamten Lieferkette der Markenhersteller;
    • bietet den Arbeitnehmern eine vertrauliche Möglichkeit, Sicherheits- und Gesundheitsprobleme anzusprechen;
    • und listet die Sicherheitsmängel in den Fabriken transparent auf.

    Die Vereinbarung unterzeichneten 187 Marken, von denen mindestens die Hälfte Ware aus Pakistan bezieht. Erfasst würden mehr als 500 Fabriken in den Provinzen Sindh und Punjab, wo Fabriken den Großteil der Textilien herstellen. Das Land exportiert Textilien im Umfang von jährlich 20 Milliarden Euro.

    Wissenschaftler des Wales Institute of Social and Economic Research und der Cardiff Business School haben im vergangenen Juli im Auftrag der NGO Clean Cloth Campaign Sicherheitsmängel in den Fabriken dokumentiert. Dazu befragten sie 585 Arbeiter. Davon gaben 85 Prozent aus 64 Fabriken an, sie hätten im Falle eines Feuers keinen Zugang zu einer geeigneten Nottreppe. Außerdem fehlen demnach unabhängige Fabrikinspektionen. Vor zehn Jahren waren bei dem Brand der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi 258 Menschen gestorben. In der Fabrik war der Brandschutz mangelhaft gewesen.

    Das neue Abkommen orientiert sich am Bangladesch-Abkommen, das nach dem Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik 2013 unterzeichnet wurde. Die Vereinbarung hat zumindest die exportorientierten Fabriken in Bangladesch verändert. In mehr als 1.600 Fabriken, in denen 2,5 Millionen Menschen arbeiten, wurden rund 200.000 Sicherheitsrisiken beseitigt. cd

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    • Lieferketten
    • Menschenrechte

    Presseschau

    Weltnaturgipfel endet mit historischer Vereinbarung zum Schutz der Biodiversität BBC
    Wie große Marken wie Tesco in den “Wilden Westen der globalen Lieferkette” gezogen werden THE GUARDIAN
    Sprechen ÖkonomInnen die falsche Sprache? MAKRONOM
    Desiree Fixler berät nun britische Aufsichtsbehörde HANDELSBLATT
    Wie Führungskräfte im Stakeholder-Kapitalismus bezahlt werden sollten THE FINANCIAL TIMES
    Tansania: Holzkohlehandel treibt unkontrollierte Entwaldung voran THE GUARDIAN

    Heads

    Katharina Reuter – Die Transformation mit 360-Grad-Blick vorantreiben

    Katharina Reuter ist Vorsitzende des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW).
    Katharina Reuter ist Vorsitzende des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft.

    Eine Namensänderung ist für jede Organisation ein Risiko, vor allem wenn der alte schon einige Jahrzehnte Tradition hat. Das war auch Katharina Reuter klar. Und trotzdem setzte sie durch, dass UnternehmensGrün, einer der traditionsreichsten Zusammenschlüsse nachhaltig orientierter Unternehmen, 2021 einen neuen Namen bekam, 29 Jahre nach der Gründung. Seitdem firmiert man unter dem Namen “Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft”. “Wir brauchten einen stärker selbsterklärenden Namen“, erklärt die Geschäftsführerin ihre Entscheidung. Es sollte klarer werden, dass es sich beim BNW um eine bundesweite Vereinigung handelt, mit dem Vertretungsanspruch, der damit einhergeht. “Wir können der grüne BDI des 21. Jahrhunderts werden”, so Reuter. Nur dafür muss eben auch das Branding stimmen.

    Das Ziel mag ambitioniert klingen. Der BNW vertritt heute rund 600 Unternehmen, während der BDI als Dachverband der Industrie mit dem Gewicht von über 100.000 Firmen spricht. Aber Katharina Reuter ist die richtige Frau, wenn es darum geht, aus einem zarten Pflänzchen Wachstum herauszuholen.

    Ohne Mehrheiten fehlte in der Politik der Hebel

    Das Interesse am Thema Nachhaltigkeit wurde der 46-Jährigen bereits zu Hause mitgegeben. Zwar wuchs sie in Berlin auf, aber die Familienurlaube führten regelmäßig auf einen Bauernhof in die fränkische Schweiz. “Das hat mich nachhaltig geprägt”, sagt Reuter heute: “Tatsächlich wollte ich ursprünglich Bäuerin werden.” Sie studierte Agrarwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. “Aber am Ende bin ich dann doch Großstädterin, das Leben richtig weit draußen konnte ich mir nicht vorstellen.” In Berlin war Reuter eine der Mitgründerinnen des Landesverbandes der Grünen Jugend und kandidierte erfolgreich bei den Berliner Kommunalwahlen. “Das war schon ein tolles Gefühl, seinen eigenen Namen auf dem Stimmzettel zu lesen”, sagt sie. Aber die mühsamen Prozesse in der Kommunalpolitik schreckten sie letztendlich ab. “Wenn Sie keine Mehrheit haben, fehlt Ihnen der Hebel, um wirklich etwas zu verändern.”

    Also zog es Reuter zunächst zur Zukunftsstiftung Landwirtschaft, wo sie 2005 als Geschäftsführerin begann. “Damals habe ich vor allem den Biolebensmittelmarkt und die nachhaltige Landwirtschaft als mächtigen Transformationshebel für unsere Gesellschaft gesehen.” Und sie war weiterhin nah an der Landwirtschaft dran, ihrem Kindheitstraum.

    BNW: Früher “Ökospinner”, heute Vorbild

    Wie aber fand die begeisterte Agrarwissenschaftlerin aus ihrem Bereich in die deutlich breitere Welt der nachhaltigen Wirtschaft? Es begann mit einem geplanten Karriererückschritt. “Ich hatte zwei Kinder bekommen und wollte aus der sehr verantwortungsvollen Position in eine Assistenzstelle wechseln”, so Reuter. Das Problem: Niemand lud sie zum Vorstellungsgespräch ein. “Die hielten mich mit meiner Erfahrung als Geschäftsführerin und meinem Doktortitel für überqualifiziert.”

    Also wurde Reuter doch wieder Geschäftsführerin, zunächst bei der Klima-Allianz Deutschland, dann ab 2014 bei UnternehmensGrün, immer auf der Suche nach möglichst großen Transformationshebeln. Und den sieht sie beim BNW: Der branchenübergreifende Wirtschaftsverband treibe die Transformation mit einem 360-Grad-Blick voran. “Wir müssen Energiewende, Agrarwende und Mobilitätswende zusammendenken”, sagt sie. Durch ein breites Spektrum an Unternehmen im BNW seien all diese Themen auf der Agenda. Nun ist die Agenda das Eine, gerade bei der Umsetzung hapert es in Deutschland häufig. Da will der BNW mit seinen Mitgliedsunternehmen die Vorbildfunktion einnehmen. “Unsere Mitglieder wurden früher als Ökospinner verlacht, heute zeigen sie, dass eine freiwillige Anpassung des Geschäftsmodells nicht unbedingt ein Nachteil ist.” Und während große Verbände immer auf den letzten Bremser warten müssten, könne der BNW kompromisslos für die Nachhaltigkeit kämpfen im Austausch mit der Politik. Pascal Mühle

    Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es, dass der BNW 450 Unternehmen vertrete.

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    ESG.Table Redaktion

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