fordert die EU zu viel Nachhaltigkeit von ihren Handelspartnern? Der Vorwurf wird immer wieder geäußert, auch im Zuge des geplanten Mercosur-Abkommens – Carlos Ivan Simones Leal hingegen sagt, dass der Wunsch “richtig und wichtig” sei. In dem Interview, das Caspar Dohmen und Till Hoppe geführt haben, fordert der brasilianische Ökonom allerdings etwas anderes: Vertrauen. Und Verhandlungen auf Augenhöhe.
Bei der Tiefsee werden diese gerade weitergeführt. Eigentlich sollten sie, nach zwei Jahren, zu Regeln führen, die für den möglichen, umstrittenen Abbau von Rohstoffen auf dem sensiblen Meeresgrund gelten sollten. Das aber ist gescheitert. Wie es nun weiter geht und welche Positionen die Industrie und die EU vertreten, das analysiert Leonie Düngefeld.
Vor einer Weichenstellung steht auch der Senegal. Kann eine Energiewende klappen, die durch die verstärkte Ausbeutung fossiler Quellen finanziert wird? Die Regierung treibt diesen Plan voran – die Umwelt- und Klimaschützer sind, vorsichtig ausgedrückt, skeptisch. Lucia Weiß hat vor Ort recherchiert.
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Herr Simonsen Leal, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will das Handelsabkommen zwischen EU und Mercosur bis Ende des Jahres unterzeichnen. Halten Sie das für realistisch?
Ich gehe davon aus, dass mein Land ein Abkommen will – vorausgesetzt, es ist das, was 2019 unterzeichnet wurde. Wenn die EU nun noch andere Bedingungen stellt, muss das geprüft werden. Meine Frage lautet: Werden diese zusätzlichen Dinge wichtiger sein als das Ziel des Abkommens selbst? Was wir hier wirklich diskutieren, ist die relative Bedeutung verschiedener Themen. Sie sollten bedenken, dass wir Optionen haben. Gute Optionen.
Die EU fordert gerade von Brasilien ein zusätzliches Bekenntnis zu Klimaschutz und Arbeitnehmerrechten. Spricht Europa zu viel von Menschenrechten und Nachhaltigkeit?
Nein, ich denke, das ist richtig und wichtig. Wir betrachten Europa als einen stabilisierenden Faktor in einer verrückten Welt. Aber im Moment erleben wir eine große geopolitische Verschiebung.
Sie meinen das Großmächteduell von USA und China?
Genau.
In der hiesigen Wahrnehmung hat sich Brasilien zuletzt Peking angenähert, getrieben von wirtschaftlichen Interessen.
Brasilien ist grundsätzlich bündnisfrei. Wir wollen mit allen Handel treiben und uns mit allen austauschen. Wir haben eine kulturelle Vorliebe für Europa und denken, dass wir Teil der westlichen Welt sind. Aber Ihr betrachtet uns nicht als Teil der westlichen Welt. Vielleicht sollten wir mehr tun, um zur westlichen Welt zu gehören. Aber angesichts der Geschichte bedeutet das sicherlich nicht, dass wir das tun, was andere wollen.
Mitte Juli findet das erste Gipfeltreffen zwischen der EU und den lateinamerikanischen Staaten seit 2015 statt. Es scheint, als würde Europa Lateinamerika wiederentdecken.
Es geht um Europas Stellenwert: Für die USA kommt Deutschland an dritter oder vierter Stelle – nach den amerikanischen Bürgern, Briten und Japanern. Als Investor in Asien sind Sie ebenfalls nicht die Nummer eins. Wo Europa als Investor eine echte Dominanz hat, ist in Lateinamerika – insbesondere in Mexiko und Brasilien. Aber die Asiaten drängen auf den brasilianischen Automobilmarkt und werden versuchen, den deutschen und italienischen Unternehmen den Markt wegzunehmen. Und sie verkaufen sehr gute Produkte.
Das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur-Raum könnte europäischen Unternehmen also einen Wettbewerbsvorteil verschaffen?
Ich denke, das wäre ein sehr wichtiges Abkommen für beide Seiten. Aber wir hatten in den 20 Jahren der Verhandlungen so viele Probleme. Sie sehen, dass wir innerhalb Brasiliens eine Kopie der Europäischen Union haben. Wir sind 26 Staaten und die Verhandlungen in Brasilien sind genauso kompliziert wie in der Europäischen Union. Aber wenn es ein gutes Abkommen mit Europa gibt, wird Brasilien es wahrscheinlich unterzeichnen.
Womit wir wieder beim Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur wären. Und der Forderung der EU-Kommission, vor allem Brasilien auf Nachhaltigkeit zu verpflichten.
Brasilien geht mit seinen Imageproblemen nicht sehr gut um. Wir verstehen nicht, wie die Menschen in Europa uns wahrnehmen. Sie sehen uns nicht als ein Land, das 85 Prozent seines Stroms aus Wasserkraft erzeugt, in dem die meisten Autos mit Ethanol fahren und CO₂-neutral sind. Natürlich gibt es Brände im Amazonaswald. Wir haben Probleme, aber die Zerstörung des Waldes ist wohl zurzeit unter Kontrolle.
Dank der neuen Regierung von Präsident Lula da Silva?
Dank der Schutzmechanismen, die von der letzten Regierung nicht völlig zerstört wurden. Natürlich stellt sich die Frage, wie der angerichtete Schaden behoben werden kann. Das ist eine andere Frage. Aber sehen Sie: Wir sind ein Land, das seine Wälder mehr als jedes andere Land bewahrt hat. Wo ist der Schwarzwald? Der ist doch gar nicht mehr so schwarz, oder?
Und gibt es Ideen für eine solche nachhaltige Entwicklung?
Viele. Aber leider gibt es eine Menge Lärm von Leuten, die sagen, dass wir den ökologischen Tourismus zur Hauptaktivität im Amazonasgebiet machen müssen. Das wird wichtig sein, aber es wird nicht die Hauptaktivität sein. Wenn man den Amazonas mit Touristen überschwemmt, wird die Zerstörung an erster Stelle stehen. Man muss also ein Gleichgewicht schaffen. Die Fragen sind nicht einfach.
Wollen Sie uns damit sagen: Es reicht nicht aus, wenn die Europäer versuchen, die Brasilianer davon zu überzeugen, die Wälder zu schützen?
Das größte Interesse am Schutz des Amazonas haben wir. Für unsere Landwirtschaft kommt unser Wasser aus den Wäldern. Brasilien ist mit Luft, Wasser und Flüssen gesegnet. Durch die Verdunstung von Wasser entstehen Flüsse in der Luft, die Wasser in all unsere landwirtschaftlichen Flächen leiten, die deshalb äußerst produktiv sind.
Wo liegt also das Problem, die zusätzliche Erklärung zur Nachhaltigkeit zu unterzeichnen, die die EU gern sehen würde?
Die einzelnen Länder in der EU stellen unterschiedliche Forderungen. Es gibt eine gewisse Kakofonie. Das Problem ist: Es wurde etwas vereinbart, es wurde etwas unterschrieben. Und jetzt werden neue Regeln vorgeschlagen, die zumindest im Moment meiner Meinung nach nicht klar genug sind. Unser Präsident hat etwas gesagt, was ich für sehr klug halte. Wenn man einen Vertrag macht, kann man dann alle möglichen Eventualitäten regeln? Kaum. Es muss also ein gewisses Vertrauen vorhanden sein.
Vor allem die Grünen in Deutschland wollen Sanktionen verhängen können, wenn Brasilien oder die anderen drei Länder ihre Nachhaltigkeitsverpflichtungen nicht einhalten. Ist das aus Ihrer Sicht eine rote Linie?
Ich bin nicht die Regierung, aber wenn ich in der Position einer Regierung wäre, würde ich sagen: Nun, lasst uns konkreter werden. Wir sind keine Schuljungen, die sich von alten Kolonialmächten sanktionieren lassen. Wir haben andere Optionen. Wenn wir nicht in gutem Glauben handeln, ist es besser, das Abkommen nicht einzugehen. Einige Leute in Europa wollen kein Abkommen aus Gründen, die nur Vorwände sind.
Präsident Macron hat gefordert, dass die Landwirte in Lateinamerika zu vergleichbaren Nachhaltigkeitsstandards arbeiten sollen wie in Europa. Ist das in Ihren Augen versteckter Protektionismus?
Lassen Sie es mich anders formulieren: Verstehen Sie unsere Bedingungen wirklich so gut, dass Sie sagen können, dass wir weniger nachhaltig wirtschaften als Sie?
200 Meter unter dem Meeresspiegel beginnt die Tiefsee, das größte Ökosystem des Planeten und Lebensraum von Millionen Arten. Viele von ihnen sind noch nicht erforscht. In Gestein, Krusten und Knollen lagern in 2.000 bis 6.000 Metern Tiefe noch weitere Schätze: Mangan, Eisen und Metalle wie Kobalt, Nickel und Kupfer – Rohstoffe, die von der EU-Kommission als strategisch bedeutsam eingestuft werden, für Digitalisierung, Energie- und Mobilitätswende als auch für eine stärkere Unabhängigkeit von Importen aus Ländern wie China.
Über den möglichen Abbau dieser Rohstoffe in der Tiefsee verhandelt seit Sonntag erneut die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) in Kingston, Jamaika. 2021 hatte der pazifische Inselstaat Nauru, der gemeinsam mit der kanadischen The Metals Company (TMC) die weltweit erste Lizenz für den Abbau von Manganknollen beantragen will, die sogenannte Zwei-Jahres-Klausel des internationalen Seerechts ausgelöst. Die ISA musste demnach innerhalb von zwei Jahren ein Regelwerk vorlegen. Diese Frist ist nun abgelaufen, mit einer Regulierung noch in diesem Jahr ist jedoch nicht zu rechnen.
Die Versammlung der ISA-Mitglieder – 167 Staaten plus die EU – könnte nun theoretisch ein Moratorium für den Tiefseebergbau implementieren, welches gelten würde, bis die Regeln festgelegt sind. Dies schlägt etwa eine Gruppe um Frankreich und Chile vor. Frankreich fordert ein komplettes Verbot von Tiefseebergbau, die Assemblée Nationale stimmte Anfang des Jahres für ein Verbot in den französischen Gewässern.
Die deutsche Bundesregierung bemüht sich seit vergangenem Jahr um eine “vorsorgliche Pause”. “Tiefseebergbau würde die Meere weiter belasten und Ökosysteme unwiederbringlich zerstören”, erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke. “Deshalb werben wir als ersten Schritt für ein Innehalten und keine vorschnellen Entscheidungen auf Kosten der Meeresumwelt”. Deutschland befürworte die weitere Erforschung der Tiefsee, werde aber bis auf Weiteres keine Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen unterstützen, sagte Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium.
Dies entspricht auch der Position der EU: Die Kommission hatte sich 2021 in ihrer Agenda für die internationale Meerespolitik für eine vorsorgliche Pause ausgesprochen. Die EU werde sich für ein Verbot des Tiefseebergbaus einsetzen, bis die wissenschaftlichen Lücken geschlossen, schädliche Auswirkungen ausgeschlossen seien und die ISA Regeln für einen wirksamen Schutz der Meeresumwelt entwickelt habe. Dies hatte auch das EU-Parlament gefordert, unter anderem in seinem Initiativbericht für die EU-Rohstoffstrategie.
Immer mehr Mitgliedstaaten schließen sich dieser Position an, zuletzt Irland und Schweden. Jedoch nicht alle: Die norwegische Regierung gab Ende Juni bekannt, ein Gebiet in nationalen Gewässern für Bergbauaktivitäten freizugeben und eine Strategie für den Tiefseebergbau zu entwickeln. Ob sich die dort vorhandenen Vorkommen an Massivsulfiden, die zum Beispiel seltene Erden enthalten, als rentabel erweisen und nachhaltig abgebaut werden können, müsse erst noch herausgefunden werden. Norwegen erhofft sich jedoch die Entwicklung eines neuen Wirtschaftszweigs jenseits der Öl- und Gasindustrie und will “weltweit führend” in einer nachhaltigen und verantwortungsvollen Bewirtschaftung der Bodenschätze am Meeresboden werden. Über den Vorschlag muss zunächst noch das norwegische Parlament abstimmen.
Angesichts der Prognosen für den weltweit massiv steigenden Bedarf an Rohstoffen für die Energie- und Mobilitätswende scheinen die Schätze am Meeresboden auch für weitere Länder vielversprechend: Nach einem Test zur Ausgrabung einer kobaltreichen Kruste auf dem Meeresboden im Jahr 2020 erklärte die japanische Rohstoffagentur JOGMEC, das untersuchte Gebiet in der japanischen Tiefsee enthalte genügend Kobalt, um Japans Bedarf für 88 Jahre zu decken, und genügend Nickel, um den Bedarf für zwölf Jahre zu decken.
Auch die Industrie ist gespalten: Unternehmen wie Bosch und Continental setzen sich in der Deep Sea Mining Alliance für ein Vorantreiben des kommerziellen Tiefseebergbaus ein, und auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) will “Tiefseebergbau als Chance verstehen”. Auf der anderen Seite hat sich eine Gruppe um Volkswagen, BMW, Google, Philips und Samsung der Forderung nach einem Moratorium angeschlossen.
Regeln für die Erkundung der Rohstoffvorkommen in den internationalen Tiefseegewässern hat die ISA bereits etabliert. Die weltweit größten Vorkommen an Manganknollen werden in der Clarion-Clipperton-Zone erforscht, einem mit neun Millionen Quadratkilometern in etwa der Fläche Europas entsprechenden Gebiet im Pazifik zwischen Hawaii und Mexiko. Dort hat die ISA bislang 17 Explorationslizenzen erteilt, unter anderem an Deutschland, Frankreich, Belgien, Japan, Russland, China und ein osteuropäisches Konsortium.
Manganknollen enthalten neben Mangan, das vor allem in der Stahlproduktion zum Einsatz kommt, vor allem Metalle, die für Batterien verwendet werden – Kupfer, Nickel und Kobalt. Eine Studie des deutschen Öko-Instituts kam kürzlich jedoch zu dem Schluss, dass die Tiefseerohstoffe nicht essenziell für die Energiewende sind.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist von der deutschen Bundesregierung mit der Exploration in zwei Lizenzgebieten beauftragt: seit 2006 in einem etwa 75.000 Quadratkilometer großen Sektor in der Clarion-Clipperton-Zone, und zudem seit 2015 im Indischen Ozean, wo der mögliche Abbau von Massivsulfiden erkundet wird. Bei der Exploration geht es einerseits darum, die für den Abbau relevanten Rohstoffe auf ihre Beschaffenheit und ihre Verteilung zu untersuchen. 80 Prozent der Gelder, die der BGR für die Manganknollen-Exploration zur Verfügung stehen, investiert sie mittlerweile in die Erforschung der Ökosysteme, die von dem Bergbau betroffen wären, erklärt Annemiek Vink, Meeresbiologin bei der BGR.
Das Argument, die Tiefsee sei noch nicht ausreichend erforscht, stimme so nicht ganz, sagt Vink. “Seit dreißig bis vierzig Jahren beschäftigen sich Forscher mit der Tiefsee, es gibt Zehntausende Publikationen, darunter auch viele Hundert zum Thema Tiefseebergbau und dessen mögliche Umweltauswirkungen.” Die Clarion-Clipperton-Zone sei die besterforschte Tiefseezone der Welt. Das Problem sei ein anderes: die Komplexität der Ökosysteme. “Je mehr wir untersuchen, desto mehr finden wir heraus, wie komplex und heterogen der Artenbestand ist“, erklärt sie.
Welche Auswirkungen es in einzelnen Regionen des riesigen potenziellen Abbaugebiets hätte, wenn die Manganknollen aus dem Ökosystem unwiederbringlich entfernt würden, könne man noch nicht sagen. Vor zwei Jahren testeten die Forscher im deutschen Lizenzgebiet bereits einen Kollektor, der die Manganknollen am Meeresboden “erntet”. Nun müsse man prüfen, wie sich das Gebiet erholt, erklärt Vink. “Das sind Fragen, die Zeit brauchen.” Studien wie das von Deutschland geförderte DISCOL-Projekt im Südostpazifik bei Peru zeigen jedoch, dass sich die Ökosysteme auch Jahrzehnte nach dem Abbau von Manganknollen noch nicht erholt haben.
Bei den bis zum 21. Juli andauernden Verhandlungen der ISA in Jamaika steht nun eine Frage im Mittelpunkt: Wie geht die Behörde mit möglichen Abbauanträgen um, solange noch keine verbindlichen Regeln gelten? Nauru hat zwar bereits erklärt, mit seinem Antrag auf eine kommerzielle Rohstoffförderung zu warten. Da die Frist abgelaufen ist, können ab sofort jedoch theoretisch auch Anträge weiterer Staaten bei der ISA eingehen.
Umweltschützer kritisieren in diesem Zusammenhang auch die Verhandlungen um den EU Critical Raw Materials Act. Das vom Rat der EU verhandelte Mandat enthalte nicht die notwendigen ökologischen und sozialen Schutzmaßnahmen, erklärt die Environmental Justice Foundation. “Dies könnte die Hintertür für die Gewinnung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe, die in der Tiefsee gewonnen werden, durch EU-Länder oder ihre Einfuhr in die EU öffnen”, warnt die NGO.
Wenn alles nach Plan läuft, steigt der Senegal Ende des Jahres in die Gasförderung ein. Acht Jahre ist es her, dass Vorkommen im Meer gefunden wurden, im Norden des Landes an der Grenze zu Mauretanien – künftig nun soll ein schwimmendes LNG-Terminal nach Angaben des Hauptbetreibers BP rund 2,3 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr produzieren. Der Name des Projekts: “Grand Tortue Ahmeyim”.
Der Clou: Der Senegal will das Erdgas zugleich als Ressource für den energetischen Übergang nutzen. Die Gewinne sollen in grüne Energien und Technologien fließen. So hat es die Regierung des seit 2012 amtierenden Präsidenten Macky Sall in Aussicht gestellt. Laut ihr erhält der Senegal künftig zwischen 55 und 75 Prozent der Einnahmen: über den direkten staatlichen Anteil an den Einnahmen, über die Einnahmen der an der Förderung beteiligten staatseigene Firma Petrosen und über die Steuereinnahmen.
Nationale und internationale Umweltverbände sind allerdings skeptisch, ob und wie die senegalesische Regierung ihre Versprechen zum Ausbau erneuerbarer Energien umsetzen wird. Die senegalesische NGO Enda Énergie mahnt, die erneuerbaren Energien nicht aus dem Blick zu verlieren, zumal das Land hier schon enorme Anstrengungen unternommen habe. “Die Ausbeutung von Gas und Öl darf nicht dazu führen, diese Dynamik zu stoppen, sagte Aïssatou Diouf von Enda Énergie bei einer Tagung in Dakar im Frühjahr. Das Land gewinnt bereits 30 Prozent seiner Energie aus Sonne, Biomasse, Wind- und Wasserkraft, wie Saer Diop von der staatlichen Agentur für Energieeffizienz sagt. 2012 waren es laut Enda Énergie erst sieben Prozent.
Der Senegal hat sich im Pariser Klimaabkommen verpflichtet, seine Emissionen zu reduzieren. Umweltaktivisten befürchten trotzdem, dass das Land – ähnlich wie andere afrikanische Staaten – mit dem Start der Gasförderung seinen Fokus auf erneuerbare Energien verliert; Niger pochte kürzlich beispielsweise darauf, Kohle zu nutzen (Table.Media berichtete).
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Belastung des Meeres, aus dem das Gas geholt werden soll. Wie alle westafrikanischen Küstenländer kämpft der Senegal schon jetzt mit dem durch den Klimawandel steigenden Meeresspiegel sowie der Erwärmung des Wassers und die damit einhergehende Veränderung der Fischgründe – der Lebensgrundlage für zehntausende Menschen. Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sagt, dass die Gasförderung “in einem der größten Meeresschutzgebiete des Atlantik” angesiedelt sei und fordert “eine an den heimischen Energiebedürfnissen orientierte Strategie”, die parallel konsequent auf Sonnen- und Windenergie setzt.
Die Fischer im Norden Senegals bei St. Louis sehen sich schon jetzt von der bereits gebauten Gasplattform bedroht. Ihre Fanggebiete seien sehr stark eingeschränkt worden, sagt Abdoulaye Samba von der nationalen Interessensvertetung der Fischereiwirtschaft Fenagi (Fédération Nationale des Groupements d’Intérêts Economique de pêche) zuletzt beim Gipfel für Nachhaltiges Wirtschaften in Dakar Ende April. Die Fischerei, ein wichtiger Wirtschaftsfakor des Küstenstaates, steht wegen Überfischung und Folgen des Klimawandels ohnehin unter Druck.
Ein Umweltbericht von BP und seinen Partnern aus dem Juni 2019 kommt zu einem anderen Schluss. Die Studie bestätigt zwar, dass die Fischer einen Teil ihrer Fanggebiete verlieren werden und spricht von “zahlreichen Unsicherheiten”. Jedoch konstatiert der Bericht für die Fischer von St. Louis insgesamt “schwache Auswirkungen”.
In der Vergangenheit zeigte auch Deutschland Interesse an Flüssiggas aus dem Senegal, wie Kanzler Scholz bei einer Reise im Mai 2022 deutlich gemacht hatte. Doch laut Angaben der Bundesregierung gebe es “keinen neuen Stand“, wie es auf Anfrage von Table.Media heißt. “Es existiert keine Beteiligung der Bundesregierung bei der finanziellen Förderung zur Erschließung oder Nutzung von Erdgasfeldern in Senegal. Es liegen keine konkreten Anträge der Privatwirtschaft für eine entsprechende Förderung vor.”
Das Ministerium von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen verweist zusätzlich auf dessen kritische Anmerkungen zur Gasexploration im Senegal Anfang des Jahres bei einer Diskussionsveranstaltung. Die Deutsche Umwelthilfe sprach in einem Positionspapier vom Juli 2022 von “schmutzigen Geschäften für Deutschlands Energiehunger“. Sie unterstützt den Widerstand gegen die fossilen Energieprojekte, wie den des senegalesischen Klimaaktivisten Yero Sarr. Einer aktuellen Studie der Grünen-Bundestagsfraktion zufolge sollten fossile Projekte auch deshalb nicht weiterverfolgt werden, weil der Senegal seine Bevölkerung allein mit den Erneuerbaren mit Strom versorgen könnte. Beim Aufbau der Infrastruktur kommt es allerdings nicht allein auf die Art der Stromquelle an. Ein Bericht der NGO Enda Energie stellte 2018 fest, dass im ländlichen Raum knapp jeder und jede Zweite noch keinen Zugang zu Strom hat.
Um umweltfreundliche Energien politisch zu fördern, steht mit den Just Energy Transition Partnerships (JETPs) ein Instrument bereit. Die JETPs zwischen den G7 und ärmeren Staaten sollen dafür sorgen, dass der Übergang von fossilen hin zu erneuerbaren Energien optimal verläuft – für Umwelt und Bevölkerung. Der Senegal ist neben Südafrika das zweite Land auf dem Kontinent, das eine JETP abgeschlossen hat. Am Rande des Gipfels für einen neuen Finanzpakt in Paris hatte der Senegal ein Abkommen mit Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und der Europäischen Union unterzeichnet. Das westafrikanische Land soll 2,5 Milliarden Euro erhalten.
Die Finanzierungszusage für öffentliche und private Gelder gelte für drei bis fünf Jahre ab 2023, hieß es in einer Erklärung des Senegal und seiner Partnerländer. Weitere Finanzmittel könnten ergänzend bereitgestellt werden, auch über die fünf Jahre Laufzeit hinaus.
13.7.2023, 10:00-13:00 Uhr
Online-Seminar Klimaoptimierter Standort – Gebäudeeffizienz, Energiekonzepte, Elektromobilität & Co.: Praktische und rechtliche Tipps für die effiziente und nachhaltige Gestaltung Ihrer Gebäude, Standorte und Energiekonzepte Info & Anmeldung
14.7.2023, 19:00-22:00 Uhr
Webtalk Energie- und Hoffnungsträger Wasserstoff: Die Energiewende sieht eine Abkehr von fossilen Energien und eine Dekarbonisierung der Wirtschaft bis 2050 vor. Das Landesbüro Hessen/Rheinland-Pfalz der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung geht der Frage nach, welche Rolle Wasserstoff für die Energiewende spielen kann. Info & Anmeldung
14.-15.7.2023
Konferenz Zeitenwende – welche Zeitenwende? Umbrüche im globalen Kapitalismus: Umweltkatastrophen, geopolitische Konflikte, Lieferkettenunterbrechungen oder Energieknappheit bedrohen wirtschaftlichen Wohlstand und politische Ordnung. Info
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Podium Hamburg Design Talk #8 – Wie geht Produktion mit gutem Gewissen? Wie kann die Modeindustrie nachhaltig werden? Info & Anmeldung
20.-23.7.2023
Filmfestival Die 22. Ausgabe des Filmfestivals “NaturVision” feiert den Natur- und Umweltfilm. Aus knapp 300 Einreichungen wurden über 60 Filme für den internationalen Wettbewerb ausgewählt. Info
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Diskussion Wirtschaftspolitik für die nächste Generation: Energie- und Rohstoffsicherheit am Beispiel Wasserstoff – die transatlantische Perspektive Info
20.7.2023
Veranstaltungsreihe Nachhaltiges Bauen und Wohnen: In Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) stellt die Reihe “Bauwende unterwegs” ausgewählte Leuchtturmprojekte des nachhaltigen Bauens in ganz Deutschland vor. Info
25.7.2023
Webseminar Betrieblicher Klimaschutz für KMU – Wie können Unternehmen erfolgreich Klimamanagement einführen? Welche Maßnahmen sind wirtschaftlich sinnvoll? Und wie lassen sie sich überzeugend kommunizieren? Info & Anmeldung
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Vortrag Kommunaler Klimaschutz – Den solidarisch-ökologischen Wandel erfolgreich gestalten. Die Rolle der Kommunen im Transformationsprozess. Info & Anmeldung
27.7.2023
Webcast LkSG in der Umsetzung – auf dem Weg zu nachhaltigen Lieferketten an einem End-to-End-Beispiel. Experten von PwC berichten aus erster Hand. Info & Anmeldung
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Seminar Wirtschaft von morgen – Soziales und nachhaltiges Unternehmertum: Welchen Beitrag kann “die Wirtschaft” zur Bewältigung der sozial-ökologischen Transformation leisten? Info
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Wochenseminar Wirtschaft im Wandel – Aufbruch in eine soziale und nachhaltige Zukunft: Mit welchen Strategien lassen sich ökonomische, ökologische und soziale Ziele in Einklang bringen? Info
18.8.2023, 9:00-16:30 Uhr
Seminar Nachhaltigkeit im Einkauf – mehr als das Lieferkettengesetz: Die nachhaltige Supply Chain, wichtige CSR-Kriterien, Lieferantenbewertung, Praxis-Umsetzung Info & Anmeldung
Der Flugverkehr wird drastisch zunehmen. Von zwei (2021) auf mehr als zehn Milliarden Passagiere (2050) – so sagt es die Internationale Luftverkehrs-Vereinigung (IATA) voraus. Zugleich verspricht sie, bis Mitte des Jahrhundert kein CO₂ mehr auszustoßen und klimaneutral zu sein. Möglich machen sollen das vor allem nachhaltige Treibstoffe und Technologien, die noch erfunden und zur Marktreife gebracht werden müssen.
Dass das wahrscheinlich zu optimistisch gerechnet ist, darauf weist eine neue Studie des Paul Scherrer Instituts PSI und der ETH Zürich hin. “Neue Antriebe, klimaschonende Treibstoffe und das Herausfiltern von CO₂ aus der Atmosphäre, um es unterirdisch zu speichern (“Carbon Capture and Storage”) werden uns allein nicht ans Ziel bringen”, sagt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH. “Wir müssen zusätzlich den Flugverkehr reduzieren.” Der Grund: Neben den Kohlendioxid-Emissionen spielen Rußpartikel und Stickoxide, die in der Luft zu Methan und Ozon reagieren, sowie Wasserdampf und Kondensstreifen eine große Rolle. Zwar wirken diese sogenannten Nicht-CO2-Effekte jeweils deutlich kürzer als CO₂, das über lange Zeit in der Atmosphäre verbleibt. Aber durch die von Jahr zu Jahr steigende Zahl von Flügen, addieren sich ihre Effekte und verschwinden nicht mehr. “Diese Faktoren werden bislang in vielen Analysen und Net-Zero-Versprechen außer Acht gelassen oder nicht korrekt berechnet”, sagt Romain Sacchi vom Labor für Energiesystemanalysen des PSI.
Um den zugesagten Beitrag zur Einhaltung der Klimaziele leisten zu können, müssten – zusätzlich zu den neuen Technologien – mehr Flugzeuge als heute auf dem Boden bleiben: Gelingt es, klimaschonendere Treibstoffe einzusetzen, sollte der globale Verkehr um 0,4 Prozent pro Jahr sinken. Bleiben die Airlines bei fossilem Kerosin, müsste die Reduktion ab sofort 0,8 Prozent pro Jahr betragen, so die Forschenden. maw
Laut einer Studie der Beratung McKinsey sind bis zum Jahr 2030 Investitionen von bis zu vier Billionen US-Dollar notwendig, um den wachsenden Rohstoffbedarf für die Transformation hin zu einer Netto-Null-Wirtschaft zu decken. Der Grund: Viele Technologien – von erneuerbaren Energien über Batteriespeicher bis hin zu Elektrofahrzeugen – benötigen mehr und andere Rohstoffe und Materialien als die konventionellen Technologien, die sie ersetzen.
Als Beispiel führt der Bericht an, dass batterieelektrische Fahrzeuge materialintensiver und bis zu 20 Prozent schwerer sind als vergleichbare Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Auch die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erfordere einen höheren Materialeinsatz als konventionelle Kraftwerke. Bei der Photovoltaik liege er um den Faktor 1,4, bei Onshore-Wind um den Faktor 2,4 und bei Offshore-Wind um den Faktor 6,3 höher als bei konventionellen Technologien.
McKinsey prognostiziert daher ein empfindliches Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei wichtigen Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel, Mangan, Graphit und Dysprosium. Oder zum Beispiel bei Magneten, die in Elektromotoren und Windturbinenantrieben eingesetzt werden. Zur quantitativen Herausforderung käme die Dominanz einzelner Staaten auf dem Weltmarkt, etwa China bei Seltenen Erden und Indonesien bei Nickel. Die Folge sind potenziell instabile Lieferketten.
Wie groß die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern ist, zeigt ein neuer Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA). Demnach ist es den Importeuren bisher nicht gelungen, diese zu senken. Teilweise sei die Abhängigkeit in den letzten drei Jahren sogar gestiegen:
ch/nib
Die Mitglieder der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) haben sich am Freitag in London auf eine Strategie zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen geeinigt. Demnach soll der Ausstoß klimaschädlicher Abgase in der Schifffahrt bis 2050 auf nahezu null reduziert werden. Bereits ab 2030 sollen überwiegend kohlenstoffarme Treibstoffe zum Einsatz kommen. Rund 90 Prozent des Welthandels werden per Schiff abgewickelt.
Die IMO ist eine Agentur der Vereinten Nationen. Ihr gehören 175 Staaten an. Sie ist für die Entwicklung globaler Standards im Schiffsverkehr zuständig. Der Sektor trägt derzeit rund drei Prozent zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei. Das entspricht in etwa den Emissionen Deutschlands. Wirtschaftsprognosen gehen jedoch davon aus, dass sich die Emissionen bis 2050 verdoppeln könnten, wenn keine signifikanten Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Die neue Vereinbarung ist deutlich ambitionierter als der bisherige IMO-Beschluss, der lediglich eine Halbierung der Treibhausgase bis 2050 vorsah. Berechnungsbasis ist das Jahr 2008. IMO-Generalsekretär Kitack Lim nannte die Einigung deshalb eine “monumentale Entwicklung”, die ein neues Kapitel in der Dekarbonisierung der Schifffahrt einleite.
Auch Martin Kröger, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Reeder (VDR), war voll des Lobes. “Alle haben anerkannt, dass es keine Alternative zur Klimaneutralität gibt”, so Kröger. Deutsche Reedereien spielen in der internationalen Handelsschifffahrt eine bedeutende Rolle. Sie verfügen über rund 12,5 Prozent der weltweiten Containerschiffskapazität und liegen damit im Ländervergleich auf Platz zwei.
Faig Abbasov von der Umweltorganisation Transport & Environment sprach dagegen von einem “Wischiwaschi-Kompromiss”. Die Klimagespräche hätten ihn “an das Umstellen von Liegestühlen auf einem sinkenden Schiff erinnert”. Ähnlich kritisch bewertete Daniel Rao von Carbon Market Watch das Ergebnis. “Die Art und Weise, wie die IMO ihre Klimaziele verwässert hat, wird die Chancen des Schifffahrtssektors verringern, seine Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen zu erfüllen”, ist er sich sicher. ch
Nur jedes fünfte Familienunternehmen hat bislang ein individuelles Klimaziel definiert. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Fraunhofer IAO im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen. 30 Prozent gaben an, die Festlegung von Klimazielen sei in Arbeit. Knapp die Hälfte der befragten Unternehmen gab hingegen an, noch keine Klimaziele definiert zu haben.
In der Gruppe der Familienunternehmen, die bereits ein Klimaziel definiert haben, haben wiederum nur 3,7 Prozent dieses bereits umgesetzt. 56,8 Prozent befinden sich in der Umsetzungsphase, 38,2 Prozent planen die Umsetzung. Befragt wurden 600 Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen, davon etwa die Hälfte Familienunternehmen.
“Gerade die größeren Familienunternehmen haben die Relevanz des Themas aufgegriffen und erarbeiten aktuell besonders häufig Klimaziele”, heißt es im Fazit der Studie. “Kleinere Familienunternehmen haben hingegen noch viel offenes Potenzial bei der Setzung und Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen.” Handlungsoptionen lägen hier insbesondere in der Vernetzung mit anderen Unternehmen, externer Beratung und Experten, heißt es weiter.
Als größte Herausforderungen nannten die Familienunternehmen die Höhe der Investitionen, die geringe Wirtschaftlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen und unsichere regulatorische Rahmenbedingungen. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, sieht denn auch die Politik in der Pflicht. Sie müsse “klare und stabile Rahmenbedingungen schaffen, damit sichere und nachhaltige Investitionen in erneuerbare Energien und Infrastruktur möglich werden.”
Der Vergleich zwischen den befragten Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen zeigt, dass Familienunternehmen die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen generell als größere Herausforderung ansehen. Besondere Schwierigkeiten bereiten ihnen die damit verbundenen innerbetrieblichen Anforderungen. So werden fehlendes Know-how im Unternehmen und fehlende personelle Kapazitäten deutlich stärker als Herausforderung wahrgenommen als bei Nicht-Familienunternehmen.
Wenn Gründer eine neue Firma aufbauen, haben sie die Chance, diese von Beginn an nach sozial-ökologischen Kriterien auszurichten. In der Praxis passiert das aber längst nicht immer, wie eine Umfrage von ESG_VC belegt. Die britische Initiative, die Start-ups weltweit dabei berät, Nachhaltigkeit in ihre Geschäftsmodelle und Prozesse zu integrieren, hat zusammen mit Partnern Daten von 450 Start-ups in Großbritannien und Europa ausgewertet. Ein Ergebnis: Nur 5 Prozent erklärten, bereits konkrete Konzepte zu haben, um die jeweiligen Treibhausgasemissionen zu eliminieren – ein Jahr zuvor waren es noch 7 Prozent.
Auch die Bereitschaft, seinen CO₂-Fußabdruck zu messen, ist gering ausgeprägt. Zwar stieg die Zahl an, aber lediglich von 11 auf 16 Prozent. Immerhin: Für die kommenden 12 Monate kündigten 22 Prozent an, dies nachholen zu wollen. 20 Prozent erklärten, einen “Net Zero-Plan” implementieren zu wollen. Nachholbedarf zeigte sich auch sozialen Themen wie der Diversität in Unternehmen. 45 Prozent gaben an, dass in ihren Aufsichtsgremien keine Frau sitzt, und 15 Prozent sagten, dass in ihren obersten Führungsetagen nur Männer die Geschäfte führen würden. maw
African Nations Take Big Swing to Rule Global Offset Market – Bloomberg
Wenn es darum geht, Wälder aufzuforsten und Feuchtgebiete zu renaturieren, habe Afrika viel zu bieten, schreiben Antony Sguazzin und Ray Ndlovu. Von internationalen Kompensationsprogrammen profitieren die Länder bislang aber kaum – und deshalb wollen zunehmend mehr Regeln erlassen, um das zu ändern. Zimbabwe etwa hat angekündigt, künftig 50 Prozent der Erlöse solcher Projekte einzukassieren. Außerdem diskutieren die Staaten, eine gemeinsame Plattform aufzubauen. Zum Artikel
“Dimension vergleichbar mit dem Dieselskandal”: EU macht Greenwashing für Firmen zum Risiko – Handelsblatt
Dürfen Unternehmen künftig noch Labels wie “klimaneutral” und “CO₂-frei” an ihre Produkte kleben? Unternehmen sind verunsichert, denn die EU will empfindliche Strafen für irreführende Werbeaussagen verhängen – und das sogar rückwirkend. Der Entwurf, der noch abgestimmt werden muss, sieht unter anderem vor, dass umweltbezogene Claims von einer unabhängigen Prüfstelle zertifiziert werden müssen, etwa vom TÜV. Ein teures und aufwändiges Prozedere. Zum Artikel
Canada Offers Lesson in the Economic Toll of Climate Change – New York Times
Lydia DePillis ist der Frage nachgegangen, welche Bedrohung die Waldbrände in Kanada für die Wirtschaft des Landes bedeuten. Sie könnten, so vorsichtige Schätzungen, im dritten Quartal zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums um 0,6 Prozent führen. Und der Ausblick für die kommenden Jahre und Jahrzehnte ist düster. Zum Artikel
Capitalism Alone Won’t Save the Planet – Washington Post
Mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat und jedem Jahr, in dem die Erderwärmung neue Rekorde bricht, wird die Suche nach Lösungen für den Klimawandel dringlicher. Der Kapitalismus hat uns in diesen Schlamassel gebracht, und er muss uns helfen, ihn zu überwinden. Aber er ist nicht in der Lage, diese Aufgabe allein zu bewältigen, ist sich Mark Gongloff in seiner Analyse sicher. Zum Artikel
Climate Quitting: Warum Menschen dem Klima zuliebe ihre Jobs kündigen – Der Standard
Die Motive, warum man seine Anstellung kündigt, wandeln sich derzeit. Zunehmend mehr Menschen verlassen ihren Arbeitgeber, wenn dieser keine Antworten auf soziale und ökologische Herausforderungen parat hat. Lisa Breit hat mit Personen gesprochen, die sich gegen ihren Job und für eine umweltfreundlichere Tätigkeit entschieden haben. Zum Artikel
UN’s Sustainable Development Goals Are Mission Impossible – Washington Post
Auf halbem Weg zum Jahr 2023 – der Halbzeit der Sustainable Development Goals (SDGs), die 2015 unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen als Wegweiser für eine bessere Welt bis zum Ende dieses Jahrzehnts ins Leben gerufen wurden – ist die Welt noch lange nicht am Ziel. Eduardo Porter geht der Frage nach, ob die Ziele überhaupt noch zu schaffen sind. Zum Artikel
Warum der Bundeswehr der grüne Umbau schwerfällt – Handelsblatt
Militärs weltweit gehören zu den großen Umwelt- und Klimaverschmutzern, die Umstellung fällt allerdings schwer, wie Larissa Holzki am Beispiel der Bundeswehr beschreibt. “Ein grüner Umbau stellt Bundeswehr und Rüstungsindustrie vor eine der größten logistischen Herausforderungen ihrer Geschichte”, schreibt sie und zitiert eine Managerin. Demnach gibt es Rechnungen, denen zufolge alle Streitkräfte der Nato in Europa an nur einem gemeinsamen Standardkampftag 200.000 Tonnen fossilen Kraftstoff verbrauchen. Zum Artikel
Drop carbon offsetting-based environmental claims, companies urged – Guardian
In einem neuen Verhaltenskodex hat die Voluntary Carbon Markets Integrity Initiative (VCMI) Leitlinien veröffentlicht, wie Unternehmen Emissionsgutschriften als Teil einer guten Unternehmenspolitik nutzen sollten. Patrick Greenfield hat sich die Details angesehen. Zum Artikel
Nachhaltigkeit: Konsumenten bevorzugen die Reduktion von Emissionen – Logistik heute
Sandra Lehmann hat sich eine Studie der Kühne Logistics University (KLU), der Universität Hamburg und der University of Tennessee angesehen. Demnach sind Verbraucher bereit, deutlich mehr für Produkte zu bezahlen, wenn Unternehmen ihre eigenen Emissionen reduzieren statt nur zu kompensieren. Der Studie zufolge ist deshalb “eine klare Kommunikation” für Firmen besonders wichtig, so die Autorin. Zum Artikel
An ESG Loophole Helps Drive Billions into Gulf Fossil Fuel Giants – Bloomberg
Einer Recherche von Greg Ritchie zufolge hat Saudi Aramco, der weltweit größte Ölkonzern, ein kompliziertes Beteiligungsnetz aufgebaut, um Milliarden-Investitionen aus ESG-Fonds zu erhalten. Das Konstrukt legt Schwachstellen des ESG-Finanzmarkts offen – Anleger können nicht erkennen, in welche Unternehmen ihr Geld letztlich tatsächlich fließt. Die beteiligten Firmen JPMorgan, UBS, BlackRock und EIG wollten sich nicht äußern. Zum Artikel
Haben Sie den Film “Don´t look up” gesehen? In der Netflix-Produktion geht es um zwei Wissenschaftler:innen, die unablässig vor dem nahenden Einschlag eines Asteroiden warnen – und dabei schlicht nicht ernst genommen werden, ehe sämtliches Leben auf der Erde ausgelöscht wird. Nun mag man von Netflix halten, was man möchte. Auch geht die aktuelle Bedrohung von keinem Gesteinsbrocken aus dem All, sondern von der vermeintlich schleichenden, jedoch unweigerlich spürbaren Natur- und Klimakrise aus. Die Handlung von “Don´t look up!” bewegt sich dabei erschreckend nahe an dem, was wir gerade in der Diskussion zum Nature Restoration Law (NRL) beobachten können.
Mit dem EU-Gesetz sollen eigentlich alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, degradierte Ökosysteme in ihrem Land wiederherzustellen. Ein überlebensnotwendiges Vorhaben, schaut man sich den rasanten Verlust unserer Arten und Ökosysteme und die fatalen Auswirkungen und künftigen Bedrohungen auf unser aller Lebensgrundlage an. Doch die Europäische Volkspartei (EVP) hat das Gesetz in den vergangenen Wochen massiv attackiert – und schreckt dabei auch nicht vor Falschaussagen zurück.
Die zahlreichen EVP-Mythen zu Enteignung, Bedrohung der Ernährungssicherung, Einbruch der europäischen Wirtschaft und Co sind längst entkräftet – unter anderem auch vom litauischen EU-Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei, Virginijus Sinkevičius. Der Ausbau Erneuerbarer Energien und das NRL seien kein Widerspruch, sondern gingen Hand in Hand, sagen Energieunternehmen wie Wind Europe oder Solar Power Europe.
Das NRL sichere unsere Wirtschaftsgrundlage, sagen mehr als 60 der größten europäischen Unternehmen aus den Bereichen Konsum, Finanzen und Energie – darunter Nestlé, Unilever und Ikea. Und mehr als 70 Landwirt:innen und landwirtschaftliche Organisationen aus der EU betonen, wie wichtig das NRL für die Sicherung der Lebensmittelproduktion ist. Dazu kommt breite Unterstützung von Tausenden Wissenschaftler:innen sowie mehr als 900.000 EU-Bürger:innen.
Dass Lügen und Mythen besser verfangen als Tatsachen und komplizierte Zusammenhänge, ist nichts Neues. Dass sie von Abgeordneten kommen, die sich selbst in der Mitte der Gesellschaft verorten, schon. Und gerade das macht es besonders gefährlich: So ist es bereits traurig genug, dass die EVP ein so zentrales Gesetz zur Bewältigung der Natur- und Klimakrise abzuschmettern versucht. Obendrein schüren sie mit einem “Die da oben”-Narrativ auch noch großflächig Misstrauen in Demokratie und die europäischen Institutionen – und das kurz vor einer Europawahl, in der die rechten Parteien in Europa mit ihren Hufen scharren.
Doch es besteht noch Hoffnung. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Noch kann das NRL zum Erfolg werden. Denn längst stehen nicht alle EVP-Abgeordneten hinter dem NRL-feindlichen Kurs ihrer Fraktion. Deutlich wurde das bei der vergangenen Abstimmung im Umweltausschuss: Um sicherzustellen, dass die “Fraktionslinie” genau eingehalten wird, habe die EVP ein Drittel der Mitglieder durch “naturschutzskeptische” Abgeordnete ersetzt – so lautete der Vorwurf des Umweltausschuss-Vorsitzenden Pascal Canfin.
Trotzdem konnte die EVP das NRL im Umweltausschuss nicht verhindern. Und beim Votum im Umweltrat haben sich die EU-Umweltminister:innen klar hinter das Gesetz gestellt. Dabei ist das Parlament erfahrungsgemäß deutlich progressiver als der Rat. Das macht einmal mehr deutlich, in welcher politischen Schieflage wir uns aktuell befinden – und dass es noch deutlichen politischen Spielraum gibt.
Das ist auch wichtig, denn längst ist das Gesetz nicht perfekt. Schon der – mittlerweile verwässerte – Kommissionsvorschlag wies klare Lücken auf: So sollen in Europa nur etwa ein Prozent aller Flüsse renaturiert werden – vor dem Hintergrund unzähliger Überschwemmungen und der sich anbahnenden nächsten Oder-Katastrophe erscheint dieses Ziel nahezu absurd.
Von dem einen Drittel der ursprünglichen europäischen Moore in Agrarökosystemen, die wiederhergestellt werden sollten, soll wiederum nur ein Viertel wiedervernässt werden – also insgesamt rund acht Prozent der ehemaligen Moorflächen. Verschwindend gering, bedenkt man, welches Potenzial intakte Moore beim Klimaschutz entfalten können. Und nicht zuletzt könnte die fehlende Verknüpfung zwischen Meeresschutz und Fischereipolitik dazu führen, dass auch hier die Ziele ins Leere laufen.
Klar ist: Das Renaturierungsgesetz muss nicht nur über die Ziellinie kommen, es braucht auch Ambition und Wirksamkeit. Jetzt kommt es darauf an, dass sich die Abgeordneten bei der bevorstehenden Plenarabstimmung frei und nur ihrem Gewissen verpflichtet entscheiden. Mit ihrer Stimme können sie die bevorstehende Katastrophe, wie sie das dystopische “Don´t look up!” vorzeichnet, noch abwenden und die Wiederherstellung unserer Wälder, Moore und Meere endlich Realität werden lassen. Packen wir es an.
Raphael Weyland wurde 1979 in Freiburg im Breisgau geboren. Seit Juni 2015 vertritt der Jurist und Rechtsanwalt den Naturschutzbund Deutschland (NABU) in Brüssel. Er hat zahlreiche Beiträge zu umweltpolitischen Themen veröffentlicht.
Welche Risiken birgt ein Unternehmen durch seine Geschäftstätigkeit für Menschenrechte und Umwelt? Welche Maßnahmen sind nötig, um Prävention und um Abhilfe zu leisten? Und wie kann eine Firma generell ihren Sorgfaltspflichten mit einem menschenrechtlichen Ansatz gerecht werden? Das sind die Fragen, mit denen sich Diana Sanabria beim Logistikunternehmen Hapag-Lloyd AG beschäftigt. “Kein Unternehmen kann Menschenrechtsrisiken komplett ausschließen“, sagt die Juristin. Zum Beispiel könne man nicht sagen, dass Ungleichbehandlung keine Rolle spielt, wenn der Gender Pay Gap im deutschen Arbeitsmarkt im Jahr 2022 bei 39 Prozent lag. Bei ihrem Arbeitgeber selbst seien menschenrechtliche Risiken im Vergleich zwar nicht hoch, aber bei den rund 10.000 Zulieferern aus aller Welt sehe das anders aus.
Als Senior Manager Supply Chain Act (LkSG) muss Diana Sanabria täglich Dokumente wälzen und Kontakte zu unterschiedlichsten Stakeholdern pflegen – von verschiedenen Abteilungen innerhalb des Unternehmens, Betriebsräten und Gewerkschaften bis hin zu NGO und Hochschulen. Auch um die Erstellung des Berichts über die Erfüllung der im Gesetz verankerten Sorgfaltspflichten für das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sowie die Bearbeitung von Beschwerden, zum Beispiel von potenziell Betroffenen, kümmert sie sich gemeinsam mit ihrem Team. Das besteht bisher aus ihr, dem Vorgesetzten und einem weiteren Mitarbeiter und involviert darüber hinaus mehrere Abteilungen wie Compliance, Human Resources und Sustainability in verschiedenen Regionen. Außerdem behält Diana Sanabria die Nachrichtenlage im Blick. Ein Beispiel: “Als die Medien vor drei Monaten über einen LKW-Streik im hessischen Gräfenhausen berichteten, habe ich das sofort geprüft – es waren keine Zulieferer von uns dabei, ansonsten wären wir tätig geworden”, sagt sie.
Warum sie sich für diese Stelle entschieden hat? “Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist für mich wie ein Baby, das erst ein paar Monate alt ist – ich will es laufen sehen, und zwar richtig.” Das Gesetz trat Anfang des Jahres in Kraft und ist die Grundlage ihrer Arbeit. Hapag-Lloyd nehme das Thema sehr ernst, sagt sei. “Allein dass ich mit meinem Ansatz zum Thema eingestellt wurde, ist ein Statement.” Als Referentin für Weltwirtschaft beim Zentrum für Mission und Ökumene war Diana Sanabria Mitglied im Bundesvorstand der Kampagne für Saubere Kleidung und dort auf nationaler und europäischer Ebene für das Thema Sorgfaltspflichten zuständig. In dieser Position hat sie sich für das Gesetz stark gemacht.
Als gebürtige Kolumbianerin kenne sie den Anfang mehrerer Lieferketten, so Sanabria. Ein Beispiel: “Für den Abbau der Kohle, die nach Deutschland geliefert wird, braucht es viel Wasser – und das fehlt den indigenen Gemeinden, die in den betroffenen Regionen leben.” Sie spricht fast akzentfrei Deutsch. Dabei hat sie erst als Erwachsene begonnen, die Sprache zu lernen – während ihres Studiums in ihrer Heimatstadt Bogotá, wo sie ihren späteren Ehemann kennenlernte, einen gebürtigen Hamburger. Mithilfe eines DAAD-Stipendiums absolvierte Diana Sanabria dann ihren Master an der Universität Konstanz.
Nebenbei engagiert sich die Wahl-Hamburgerin beim Verein Doughnut Coalition für eine sozio-ökologische Transformation der Stadt, der nach dem gleichlautenden Konzept der britischen Ökonomieprofessorin Kate Raworth benannt wurde. Zudem begleitet sie als Mentorin Jura-Studierende der Bucerius Law School, die sich in der nahen Zukunft für Nachhaltigkeit durch Sorgfaltspflichten beruflich einsetzen wollen. Vielfach fehlen diese ESG-Expertinnen und -Experten noch, und das möchte sie ändern. Damit Unternehmen bessere Entscheidungen treffen. Und damit es auch in Ländern wie Kolumbien vorangeht mit dem Wandel. Janna Degener-Storr
fordert die EU zu viel Nachhaltigkeit von ihren Handelspartnern? Der Vorwurf wird immer wieder geäußert, auch im Zuge des geplanten Mercosur-Abkommens – Carlos Ivan Simones Leal hingegen sagt, dass der Wunsch “richtig und wichtig” sei. In dem Interview, das Caspar Dohmen und Till Hoppe geführt haben, fordert der brasilianische Ökonom allerdings etwas anderes: Vertrauen. Und Verhandlungen auf Augenhöhe.
Bei der Tiefsee werden diese gerade weitergeführt. Eigentlich sollten sie, nach zwei Jahren, zu Regeln führen, die für den möglichen, umstrittenen Abbau von Rohstoffen auf dem sensiblen Meeresgrund gelten sollten. Das aber ist gescheitert. Wie es nun weiter geht und welche Positionen die Industrie und die EU vertreten, das analysiert Leonie Düngefeld.
Vor einer Weichenstellung steht auch der Senegal. Kann eine Energiewende klappen, die durch die verstärkte Ausbeutung fossiler Quellen finanziert wird? Die Regierung treibt diesen Plan voran – die Umwelt- und Klimaschützer sind, vorsichtig ausgedrückt, skeptisch. Lucia Weiß hat vor Ort recherchiert.
Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeschickt wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Herr Simonsen Leal, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will das Handelsabkommen zwischen EU und Mercosur bis Ende des Jahres unterzeichnen. Halten Sie das für realistisch?
Ich gehe davon aus, dass mein Land ein Abkommen will – vorausgesetzt, es ist das, was 2019 unterzeichnet wurde. Wenn die EU nun noch andere Bedingungen stellt, muss das geprüft werden. Meine Frage lautet: Werden diese zusätzlichen Dinge wichtiger sein als das Ziel des Abkommens selbst? Was wir hier wirklich diskutieren, ist die relative Bedeutung verschiedener Themen. Sie sollten bedenken, dass wir Optionen haben. Gute Optionen.
Die EU fordert gerade von Brasilien ein zusätzliches Bekenntnis zu Klimaschutz und Arbeitnehmerrechten. Spricht Europa zu viel von Menschenrechten und Nachhaltigkeit?
Nein, ich denke, das ist richtig und wichtig. Wir betrachten Europa als einen stabilisierenden Faktor in einer verrückten Welt. Aber im Moment erleben wir eine große geopolitische Verschiebung.
Sie meinen das Großmächteduell von USA und China?
Genau.
In der hiesigen Wahrnehmung hat sich Brasilien zuletzt Peking angenähert, getrieben von wirtschaftlichen Interessen.
Brasilien ist grundsätzlich bündnisfrei. Wir wollen mit allen Handel treiben und uns mit allen austauschen. Wir haben eine kulturelle Vorliebe für Europa und denken, dass wir Teil der westlichen Welt sind. Aber Ihr betrachtet uns nicht als Teil der westlichen Welt. Vielleicht sollten wir mehr tun, um zur westlichen Welt zu gehören. Aber angesichts der Geschichte bedeutet das sicherlich nicht, dass wir das tun, was andere wollen.
Mitte Juli findet das erste Gipfeltreffen zwischen der EU und den lateinamerikanischen Staaten seit 2015 statt. Es scheint, als würde Europa Lateinamerika wiederentdecken.
Es geht um Europas Stellenwert: Für die USA kommt Deutschland an dritter oder vierter Stelle – nach den amerikanischen Bürgern, Briten und Japanern. Als Investor in Asien sind Sie ebenfalls nicht die Nummer eins. Wo Europa als Investor eine echte Dominanz hat, ist in Lateinamerika – insbesondere in Mexiko und Brasilien. Aber die Asiaten drängen auf den brasilianischen Automobilmarkt und werden versuchen, den deutschen und italienischen Unternehmen den Markt wegzunehmen. Und sie verkaufen sehr gute Produkte.
Das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur-Raum könnte europäischen Unternehmen also einen Wettbewerbsvorteil verschaffen?
Ich denke, das wäre ein sehr wichtiges Abkommen für beide Seiten. Aber wir hatten in den 20 Jahren der Verhandlungen so viele Probleme. Sie sehen, dass wir innerhalb Brasiliens eine Kopie der Europäischen Union haben. Wir sind 26 Staaten und die Verhandlungen in Brasilien sind genauso kompliziert wie in der Europäischen Union. Aber wenn es ein gutes Abkommen mit Europa gibt, wird Brasilien es wahrscheinlich unterzeichnen.
Womit wir wieder beim Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur wären. Und der Forderung der EU-Kommission, vor allem Brasilien auf Nachhaltigkeit zu verpflichten.
Brasilien geht mit seinen Imageproblemen nicht sehr gut um. Wir verstehen nicht, wie die Menschen in Europa uns wahrnehmen. Sie sehen uns nicht als ein Land, das 85 Prozent seines Stroms aus Wasserkraft erzeugt, in dem die meisten Autos mit Ethanol fahren und CO₂-neutral sind. Natürlich gibt es Brände im Amazonaswald. Wir haben Probleme, aber die Zerstörung des Waldes ist wohl zurzeit unter Kontrolle.
Dank der neuen Regierung von Präsident Lula da Silva?
Dank der Schutzmechanismen, die von der letzten Regierung nicht völlig zerstört wurden. Natürlich stellt sich die Frage, wie der angerichtete Schaden behoben werden kann. Das ist eine andere Frage. Aber sehen Sie: Wir sind ein Land, das seine Wälder mehr als jedes andere Land bewahrt hat. Wo ist der Schwarzwald? Der ist doch gar nicht mehr so schwarz, oder?
Und gibt es Ideen für eine solche nachhaltige Entwicklung?
Viele. Aber leider gibt es eine Menge Lärm von Leuten, die sagen, dass wir den ökologischen Tourismus zur Hauptaktivität im Amazonasgebiet machen müssen. Das wird wichtig sein, aber es wird nicht die Hauptaktivität sein. Wenn man den Amazonas mit Touristen überschwemmt, wird die Zerstörung an erster Stelle stehen. Man muss also ein Gleichgewicht schaffen. Die Fragen sind nicht einfach.
Wollen Sie uns damit sagen: Es reicht nicht aus, wenn die Europäer versuchen, die Brasilianer davon zu überzeugen, die Wälder zu schützen?
Das größte Interesse am Schutz des Amazonas haben wir. Für unsere Landwirtschaft kommt unser Wasser aus den Wäldern. Brasilien ist mit Luft, Wasser und Flüssen gesegnet. Durch die Verdunstung von Wasser entstehen Flüsse in der Luft, die Wasser in all unsere landwirtschaftlichen Flächen leiten, die deshalb äußerst produktiv sind.
Wo liegt also das Problem, die zusätzliche Erklärung zur Nachhaltigkeit zu unterzeichnen, die die EU gern sehen würde?
Die einzelnen Länder in der EU stellen unterschiedliche Forderungen. Es gibt eine gewisse Kakofonie. Das Problem ist: Es wurde etwas vereinbart, es wurde etwas unterschrieben. Und jetzt werden neue Regeln vorgeschlagen, die zumindest im Moment meiner Meinung nach nicht klar genug sind. Unser Präsident hat etwas gesagt, was ich für sehr klug halte. Wenn man einen Vertrag macht, kann man dann alle möglichen Eventualitäten regeln? Kaum. Es muss also ein gewisses Vertrauen vorhanden sein.
Vor allem die Grünen in Deutschland wollen Sanktionen verhängen können, wenn Brasilien oder die anderen drei Länder ihre Nachhaltigkeitsverpflichtungen nicht einhalten. Ist das aus Ihrer Sicht eine rote Linie?
Ich bin nicht die Regierung, aber wenn ich in der Position einer Regierung wäre, würde ich sagen: Nun, lasst uns konkreter werden. Wir sind keine Schuljungen, die sich von alten Kolonialmächten sanktionieren lassen. Wir haben andere Optionen. Wenn wir nicht in gutem Glauben handeln, ist es besser, das Abkommen nicht einzugehen. Einige Leute in Europa wollen kein Abkommen aus Gründen, die nur Vorwände sind.
Präsident Macron hat gefordert, dass die Landwirte in Lateinamerika zu vergleichbaren Nachhaltigkeitsstandards arbeiten sollen wie in Europa. Ist das in Ihren Augen versteckter Protektionismus?
Lassen Sie es mich anders formulieren: Verstehen Sie unsere Bedingungen wirklich so gut, dass Sie sagen können, dass wir weniger nachhaltig wirtschaften als Sie?
200 Meter unter dem Meeresspiegel beginnt die Tiefsee, das größte Ökosystem des Planeten und Lebensraum von Millionen Arten. Viele von ihnen sind noch nicht erforscht. In Gestein, Krusten und Knollen lagern in 2.000 bis 6.000 Metern Tiefe noch weitere Schätze: Mangan, Eisen und Metalle wie Kobalt, Nickel und Kupfer – Rohstoffe, die von der EU-Kommission als strategisch bedeutsam eingestuft werden, für Digitalisierung, Energie- und Mobilitätswende als auch für eine stärkere Unabhängigkeit von Importen aus Ländern wie China.
Über den möglichen Abbau dieser Rohstoffe in der Tiefsee verhandelt seit Sonntag erneut die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) in Kingston, Jamaika. 2021 hatte der pazifische Inselstaat Nauru, der gemeinsam mit der kanadischen The Metals Company (TMC) die weltweit erste Lizenz für den Abbau von Manganknollen beantragen will, die sogenannte Zwei-Jahres-Klausel des internationalen Seerechts ausgelöst. Die ISA musste demnach innerhalb von zwei Jahren ein Regelwerk vorlegen. Diese Frist ist nun abgelaufen, mit einer Regulierung noch in diesem Jahr ist jedoch nicht zu rechnen.
Die Versammlung der ISA-Mitglieder – 167 Staaten plus die EU – könnte nun theoretisch ein Moratorium für den Tiefseebergbau implementieren, welches gelten würde, bis die Regeln festgelegt sind. Dies schlägt etwa eine Gruppe um Frankreich und Chile vor. Frankreich fordert ein komplettes Verbot von Tiefseebergbau, die Assemblée Nationale stimmte Anfang des Jahres für ein Verbot in den französischen Gewässern.
Die deutsche Bundesregierung bemüht sich seit vergangenem Jahr um eine “vorsorgliche Pause”. “Tiefseebergbau würde die Meere weiter belasten und Ökosysteme unwiederbringlich zerstören”, erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke. “Deshalb werben wir als ersten Schritt für ein Innehalten und keine vorschnellen Entscheidungen auf Kosten der Meeresumwelt”. Deutschland befürworte die weitere Erforschung der Tiefsee, werde aber bis auf Weiteres keine Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen unterstützen, sagte Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium.
Dies entspricht auch der Position der EU: Die Kommission hatte sich 2021 in ihrer Agenda für die internationale Meerespolitik für eine vorsorgliche Pause ausgesprochen. Die EU werde sich für ein Verbot des Tiefseebergbaus einsetzen, bis die wissenschaftlichen Lücken geschlossen, schädliche Auswirkungen ausgeschlossen seien und die ISA Regeln für einen wirksamen Schutz der Meeresumwelt entwickelt habe. Dies hatte auch das EU-Parlament gefordert, unter anderem in seinem Initiativbericht für die EU-Rohstoffstrategie.
Immer mehr Mitgliedstaaten schließen sich dieser Position an, zuletzt Irland und Schweden. Jedoch nicht alle: Die norwegische Regierung gab Ende Juni bekannt, ein Gebiet in nationalen Gewässern für Bergbauaktivitäten freizugeben und eine Strategie für den Tiefseebergbau zu entwickeln. Ob sich die dort vorhandenen Vorkommen an Massivsulfiden, die zum Beispiel seltene Erden enthalten, als rentabel erweisen und nachhaltig abgebaut werden können, müsse erst noch herausgefunden werden. Norwegen erhofft sich jedoch die Entwicklung eines neuen Wirtschaftszweigs jenseits der Öl- und Gasindustrie und will “weltweit führend” in einer nachhaltigen und verantwortungsvollen Bewirtschaftung der Bodenschätze am Meeresboden werden. Über den Vorschlag muss zunächst noch das norwegische Parlament abstimmen.
Angesichts der Prognosen für den weltweit massiv steigenden Bedarf an Rohstoffen für die Energie- und Mobilitätswende scheinen die Schätze am Meeresboden auch für weitere Länder vielversprechend: Nach einem Test zur Ausgrabung einer kobaltreichen Kruste auf dem Meeresboden im Jahr 2020 erklärte die japanische Rohstoffagentur JOGMEC, das untersuchte Gebiet in der japanischen Tiefsee enthalte genügend Kobalt, um Japans Bedarf für 88 Jahre zu decken, und genügend Nickel, um den Bedarf für zwölf Jahre zu decken.
Auch die Industrie ist gespalten: Unternehmen wie Bosch und Continental setzen sich in der Deep Sea Mining Alliance für ein Vorantreiben des kommerziellen Tiefseebergbaus ein, und auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) will “Tiefseebergbau als Chance verstehen”. Auf der anderen Seite hat sich eine Gruppe um Volkswagen, BMW, Google, Philips und Samsung der Forderung nach einem Moratorium angeschlossen.
Regeln für die Erkundung der Rohstoffvorkommen in den internationalen Tiefseegewässern hat die ISA bereits etabliert. Die weltweit größten Vorkommen an Manganknollen werden in der Clarion-Clipperton-Zone erforscht, einem mit neun Millionen Quadratkilometern in etwa der Fläche Europas entsprechenden Gebiet im Pazifik zwischen Hawaii und Mexiko. Dort hat die ISA bislang 17 Explorationslizenzen erteilt, unter anderem an Deutschland, Frankreich, Belgien, Japan, Russland, China und ein osteuropäisches Konsortium.
Manganknollen enthalten neben Mangan, das vor allem in der Stahlproduktion zum Einsatz kommt, vor allem Metalle, die für Batterien verwendet werden – Kupfer, Nickel und Kobalt. Eine Studie des deutschen Öko-Instituts kam kürzlich jedoch zu dem Schluss, dass die Tiefseerohstoffe nicht essenziell für die Energiewende sind.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist von der deutschen Bundesregierung mit der Exploration in zwei Lizenzgebieten beauftragt: seit 2006 in einem etwa 75.000 Quadratkilometer großen Sektor in der Clarion-Clipperton-Zone, und zudem seit 2015 im Indischen Ozean, wo der mögliche Abbau von Massivsulfiden erkundet wird. Bei der Exploration geht es einerseits darum, die für den Abbau relevanten Rohstoffe auf ihre Beschaffenheit und ihre Verteilung zu untersuchen. 80 Prozent der Gelder, die der BGR für die Manganknollen-Exploration zur Verfügung stehen, investiert sie mittlerweile in die Erforschung der Ökosysteme, die von dem Bergbau betroffen wären, erklärt Annemiek Vink, Meeresbiologin bei der BGR.
Das Argument, die Tiefsee sei noch nicht ausreichend erforscht, stimme so nicht ganz, sagt Vink. “Seit dreißig bis vierzig Jahren beschäftigen sich Forscher mit der Tiefsee, es gibt Zehntausende Publikationen, darunter auch viele Hundert zum Thema Tiefseebergbau und dessen mögliche Umweltauswirkungen.” Die Clarion-Clipperton-Zone sei die besterforschte Tiefseezone der Welt. Das Problem sei ein anderes: die Komplexität der Ökosysteme. “Je mehr wir untersuchen, desto mehr finden wir heraus, wie komplex und heterogen der Artenbestand ist“, erklärt sie.
Welche Auswirkungen es in einzelnen Regionen des riesigen potenziellen Abbaugebiets hätte, wenn die Manganknollen aus dem Ökosystem unwiederbringlich entfernt würden, könne man noch nicht sagen. Vor zwei Jahren testeten die Forscher im deutschen Lizenzgebiet bereits einen Kollektor, der die Manganknollen am Meeresboden “erntet”. Nun müsse man prüfen, wie sich das Gebiet erholt, erklärt Vink. “Das sind Fragen, die Zeit brauchen.” Studien wie das von Deutschland geförderte DISCOL-Projekt im Südostpazifik bei Peru zeigen jedoch, dass sich die Ökosysteme auch Jahrzehnte nach dem Abbau von Manganknollen noch nicht erholt haben.
Bei den bis zum 21. Juli andauernden Verhandlungen der ISA in Jamaika steht nun eine Frage im Mittelpunkt: Wie geht die Behörde mit möglichen Abbauanträgen um, solange noch keine verbindlichen Regeln gelten? Nauru hat zwar bereits erklärt, mit seinem Antrag auf eine kommerzielle Rohstoffförderung zu warten. Da die Frist abgelaufen ist, können ab sofort jedoch theoretisch auch Anträge weiterer Staaten bei der ISA eingehen.
Umweltschützer kritisieren in diesem Zusammenhang auch die Verhandlungen um den EU Critical Raw Materials Act. Das vom Rat der EU verhandelte Mandat enthalte nicht die notwendigen ökologischen und sozialen Schutzmaßnahmen, erklärt die Environmental Justice Foundation. “Dies könnte die Hintertür für die Gewinnung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe, die in der Tiefsee gewonnen werden, durch EU-Länder oder ihre Einfuhr in die EU öffnen”, warnt die NGO.
Wenn alles nach Plan läuft, steigt der Senegal Ende des Jahres in die Gasförderung ein. Acht Jahre ist es her, dass Vorkommen im Meer gefunden wurden, im Norden des Landes an der Grenze zu Mauretanien – künftig nun soll ein schwimmendes LNG-Terminal nach Angaben des Hauptbetreibers BP rund 2,3 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr produzieren. Der Name des Projekts: “Grand Tortue Ahmeyim”.
Der Clou: Der Senegal will das Erdgas zugleich als Ressource für den energetischen Übergang nutzen. Die Gewinne sollen in grüne Energien und Technologien fließen. So hat es die Regierung des seit 2012 amtierenden Präsidenten Macky Sall in Aussicht gestellt. Laut ihr erhält der Senegal künftig zwischen 55 und 75 Prozent der Einnahmen: über den direkten staatlichen Anteil an den Einnahmen, über die Einnahmen der an der Förderung beteiligten staatseigene Firma Petrosen und über die Steuereinnahmen.
Nationale und internationale Umweltverbände sind allerdings skeptisch, ob und wie die senegalesische Regierung ihre Versprechen zum Ausbau erneuerbarer Energien umsetzen wird. Die senegalesische NGO Enda Énergie mahnt, die erneuerbaren Energien nicht aus dem Blick zu verlieren, zumal das Land hier schon enorme Anstrengungen unternommen habe. “Die Ausbeutung von Gas und Öl darf nicht dazu führen, diese Dynamik zu stoppen, sagte Aïssatou Diouf von Enda Énergie bei einer Tagung in Dakar im Frühjahr. Das Land gewinnt bereits 30 Prozent seiner Energie aus Sonne, Biomasse, Wind- und Wasserkraft, wie Saer Diop von der staatlichen Agentur für Energieeffizienz sagt. 2012 waren es laut Enda Énergie erst sieben Prozent.
Der Senegal hat sich im Pariser Klimaabkommen verpflichtet, seine Emissionen zu reduzieren. Umweltaktivisten befürchten trotzdem, dass das Land – ähnlich wie andere afrikanische Staaten – mit dem Start der Gasförderung seinen Fokus auf erneuerbare Energien verliert; Niger pochte kürzlich beispielsweise darauf, Kohle zu nutzen (Table.Media berichtete).
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Belastung des Meeres, aus dem das Gas geholt werden soll. Wie alle westafrikanischen Küstenländer kämpft der Senegal schon jetzt mit dem durch den Klimawandel steigenden Meeresspiegel sowie der Erwärmung des Wassers und die damit einhergehende Veränderung der Fischgründe – der Lebensgrundlage für zehntausende Menschen. Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sagt, dass die Gasförderung “in einem der größten Meeresschutzgebiete des Atlantik” angesiedelt sei und fordert “eine an den heimischen Energiebedürfnissen orientierte Strategie”, die parallel konsequent auf Sonnen- und Windenergie setzt.
Die Fischer im Norden Senegals bei St. Louis sehen sich schon jetzt von der bereits gebauten Gasplattform bedroht. Ihre Fanggebiete seien sehr stark eingeschränkt worden, sagt Abdoulaye Samba von der nationalen Interessensvertetung der Fischereiwirtschaft Fenagi (Fédération Nationale des Groupements d’Intérêts Economique de pêche) zuletzt beim Gipfel für Nachhaltiges Wirtschaften in Dakar Ende April. Die Fischerei, ein wichtiger Wirtschaftsfakor des Küstenstaates, steht wegen Überfischung und Folgen des Klimawandels ohnehin unter Druck.
Ein Umweltbericht von BP und seinen Partnern aus dem Juni 2019 kommt zu einem anderen Schluss. Die Studie bestätigt zwar, dass die Fischer einen Teil ihrer Fanggebiete verlieren werden und spricht von “zahlreichen Unsicherheiten”. Jedoch konstatiert der Bericht für die Fischer von St. Louis insgesamt “schwache Auswirkungen”.
In der Vergangenheit zeigte auch Deutschland Interesse an Flüssiggas aus dem Senegal, wie Kanzler Scholz bei einer Reise im Mai 2022 deutlich gemacht hatte. Doch laut Angaben der Bundesregierung gebe es “keinen neuen Stand“, wie es auf Anfrage von Table.Media heißt. “Es existiert keine Beteiligung der Bundesregierung bei der finanziellen Förderung zur Erschließung oder Nutzung von Erdgasfeldern in Senegal. Es liegen keine konkreten Anträge der Privatwirtschaft für eine entsprechende Förderung vor.”
Das Ministerium von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen verweist zusätzlich auf dessen kritische Anmerkungen zur Gasexploration im Senegal Anfang des Jahres bei einer Diskussionsveranstaltung. Die Deutsche Umwelthilfe sprach in einem Positionspapier vom Juli 2022 von “schmutzigen Geschäften für Deutschlands Energiehunger“. Sie unterstützt den Widerstand gegen die fossilen Energieprojekte, wie den des senegalesischen Klimaaktivisten Yero Sarr. Einer aktuellen Studie der Grünen-Bundestagsfraktion zufolge sollten fossile Projekte auch deshalb nicht weiterverfolgt werden, weil der Senegal seine Bevölkerung allein mit den Erneuerbaren mit Strom versorgen könnte. Beim Aufbau der Infrastruktur kommt es allerdings nicht allein auf die Art der Stromquelle an. Ein Bericht der NGO Enda Energie stellte 2018 fest, dass im ländlichen Raum knapp jeder und jede Zweite noch keinen Zugang zu Strom hat.
Um umweltfreundliche Energien politisch zu fördern, steht mit den Just Energy Transition Partnerships (JETPs) ein Instrument bereit. Die JETPs zwischen den G7 und ärmeren Staaten sollen dafür sorgen, dass der Übergang von fossilen hin zu erneuerbaren Energien optimal verläuft – für Umwelt und Bevölkerung. Der Senegal ist neben Südafrika das zweite Land auf dem Kontinent, das eine JETP abgeschlossen hat. Am Rande des Gipfels für einen neuen Finanzpakt in Paris hatte der Senegal ein Abkommen mit Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und der Europäischen Union unterzeichnet. Das westafrikanische Land soll 2,5 Milliarden Euro erhalten.
Die Finanzierungszusage für öffentliche und private Gelder gelte für drei bis fünf Jahre ab 2023, hieß es in einer Erklärung des Senegal und seiner Partnerländer. Weitere Finanzmittel könnten ergänzend bereitgestellt werden, auch über die fünf Jahre Laufzeit hinaus.
13.7.2023, 10:00-13:00 Uhr
Online-Seminar Klimaoptimierter Standort – Gebäudeeffizienz, Energiekonzepte, Elektromobilität & Co.: Praktische und rechtliche Tipps für die effiziente und nachhaltige Gestaltung Ihrer Gebäude, Standorte und Energiekonzepte Info & Anmeldung
14.7.2023, 19:00-22:00 Uhr
Webtalk Energie- und Hoffnungsträger Wasserstoff: Die Energiewende sieht eine Abkehr von fossilen Energien und eine Dekarbonisierung der Wirtschaft bis 2050 vor. Das Landesbüro Hessen/Rheinland-Pfalz der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung geht der Frage nach, welche Rolle Wasserstoff für die Energiewende spielen kann. Info & Anmeldung
14.-15.7.2023
Konferenz Zeitenwende – welche Zeitenwende? Umbrüche im globalen Kapitalismus: Umweltkatastrophen, geopolitische Konflikte, Lieferkettenunterbrechungen oder Energieknappheit bedrohen wirtschaftlichen Wohlstand und politische Ordnung. Info
18.7.2023
Podium Hamburg Design Talk #8 – Wie geht Produktion mit gutem Gewissen? Wie kann die Modeindustrie nachhaltig werden? Info & Anmeldung
20.-23.7.2023
Filmfestival Die 22. Ausgabe des Filmfestivals “NaturVision” feiert den Natur- und Umweltfilm. Aus knapp 300 Einreichungen wurden über 60 Filme für den internationalen Wettbewerb ausgewählt. Info
20.7.2023
Diskussion Wirtschaftspolitik für die nächste Generation: Energie- und Rohstoffsicherheit am Beispiel Wasserstoff – die transatlantische Perspektive Info
20.7.2023
Veranstaltungsreihe Nachhaltiges Bauen und Wohnen: In Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) stellt die Reihe “Bauwende unterwegs” ausgewählte Leuchtturmprojekte des nachhaltigen Bauens in ganz Deutschland vor. Info
25.7.2023
Webseminar Betrieblicher Klimaschutz für KMU – Wie können Unternehmen erfolgreich Klimamanagement einführen? Welche Maßnahmen sind wirtschaftlich sinnvoll? Und wie lassen sie sich überzeugend kommunizieren? Info & Anmeldung
26.7.2023
Vortrag Kommunaler Klimaschutz – Den solidarisch-ökologischen Wandel erfolgreich gestalten. Die Rolle der Kommunen im Transformationsprozess. Info & Anmeldung
27.7.2023
Webcast LkSG in der Umsetzung – auf dem Weg zu nachhaltigen Lieferketten an einem End-to-End-Beispiel. Experten von PwC berichten aus erster Hand. Info & Anmeldung
7.-11.8.2023
Seminar Wirtschaft von morgen – Soziales und nachhaltiges Unternehmertum: Welchen Beitrag kann “die Wirtschaft” zur Bewältigung der sozial-ökologischen Transformation leisten? Info
14.-18.8.2023
Wochenseminar Wirtschaft im Wandel – Aufbruch in eine soziale und nachhaltige Zukunft: Mit welchen Strategien lassen sich ökonomische, ökologische und soziale Ziele in Einklang bringen? Info
18.8.2023, 9:00-16:30 Uhr
Seminar Nachhaltigkeit im Einkauf – mehr als das Lieferkettengesetz: Die nachhaltige Supply Chain, wichtige CSR-Kriterien, Lieferantenbewertung, Praxis-Umsetzung Info & Anmeldung
Der Flugverkehr wird drastisch zunehmen. Von zwei (2021) auf mehr als zehn Milliarden Passagiere (2050) – so sagt es die Internationale Luftverkehrs-Vereinigung (IATA) voraus. Zugleich verspricht sie, bis Mitte des Jahrhundert kein CO₂ mehr auszustoßen und klimaneutral zu sein. Möglich machen sollen das vor allem nachhaltige Treibstoffe und Technologien, die noch erfunden und zur Marktreife gebracht werden müssen.
Dass das wahrscheinlich zu optimistisch gerechnet ist, darauf weist eine neue Studie des Paul Scherrer Instituts PSI und der ETH Zürich hin. “Neue Antriebe, klimaschonende Treibstoffe und das Herausfiltern von CO₂ aus der Atmosphäre, um es unterirdisch zu speichern (“Carbon Capture and Storage”) werden uns allein nicht ans Ziel bringen”, sagt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH. “Wir müssen zusätzlich den Flugverkehr reduzieren.” Der Grund: Neben den Kohlendioxid-Emissionen spielen Rußpartikel und Stickoxide, die in der Luft zu Methan und Ozon reagieren, sowie Wasserdampf und Kondensstreifen eine große Rolle. Zwar wirken diese sogenannten Nicht-CO2-Effekte jeweils deutlich kürzer als CO₂, das über lange Zeit in der Atmosphäre verbleibt. Aber durch die von Jahr zu Jahr steigende Zahl von Flügen, addieren sich ihre Effekte und verschwinden nicht mehr. “Diese Faktoren werden bislang in vielen Analysen und Net-Zero-Versprechen außer Acht gelassen oder nicht korrekt berechnet”, sagt Romain Sacchi vom Labor für Energiesystemanalysen des PSI.
Um den zugesagten Beitrag zur Einhaltung der Klimaziele leisten zu können, müssten – zusätzlich zu den neuen Technologien – mehr Flugzeuge als heute auf dem Boden bleiben: Gelingt es, klimaschonendere Treibstoffe einzusetzen, sollte der globale Verkehr um 0,4 Prozent pro Jahr sinken. Bleiben die Airlines bei fossilem Kerosin, müsste die Reduktion ab sofort 0,8 Prozent pro Jahr betragen, so die Forschenden. maw
Laut einer Studie der Beratung McKinsey sind bis zum Jahr 2030 Investitionen von bis zu vier Billionen US-Dollar notwendig, um den wachsenden Rohstoffbedarf für die Transformation hin zu einer Netto-Null-Wirtschaft zu decken. Der Grund: Viele Technologien – von erneuerbaren Energien über Batteriespeicher bis hin zu Elektrofahrzeugen – benötigen mehr und andere Rohstoffe und Materialien als die konventionellen Technologien, die sie ersetzen.
Als Beispiel führt der Bericht an, dass batterieelektrische Fahrzeuge materialintensiver und bis zu 20 Prozent schwerer sind als vergleichbare Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Auch die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erfordere einen höheren Materialeinsatz als konventionelle Kraftwerke. Bei der Photovoltaik liege er um den Faktor 1,4, bei Onshore-Wind um den Faktor 2,4 und bei Offshore-Wind um den Faktor 6,3 höher als bei konventionellen Technologien.
McKinsey prognostiziert daher ein empfindliches Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei wichtigen Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel, Mangan, Graphit und Dysprosium. Oder zum Beispiel bei Magneten, die in Elektromotoren und Windturbinenantrieben eingesetzt werden. Zur quantitativen Herausforderung käme die Dominanz einzelner Staaten auf dem Weltmarkt, etwa China bei Seltenen Erden und Indonesien bei Nickel. Die Folge sind potenziell instabile Lieferketten.
Wie groß die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern ist, zeigt ein neuer Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA). Demnach ist es den Importeuren bisher nicht gelungen, diese zu senken. Teilweise sei die Abhängigkeit in den letzten drei Jahren sogar gestiegen:
ch/nib
Die Mitglieder der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) haben sich am Freitag in London auf eine Strategie zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen geeinigt. Demnach soll der Ausstoß klimaschädlicher Abgase in der Schifffahrt bis 2050 auf nahezu null reduziert werden. Bereits ab 2030 sollen überwiegend kohlenstoffarme Treibstoffe zum Einsatz kommen. Rund 90 Prozent des Welthandels werden per Schiff abgewickelt.
Die IMO ist eine Agentur der Vereinten Nationen. Ihr gehören 175 Staaten an. Sie ist für die Entwicklung globaler Standards im Schiffsverkehr zuständig. Der Sektor trägt derzeit rund drei Prozent zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei. Das entspricht in etwa den Emissionen Deutschlands. Wirtschaftsprognosen gehen jedoch davon aus, dass sich die Emissionen bis 2050 verdoppeln könnten, wenn keine signifikanten Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Die neue Vereinbarung ist deutlich ambitionierter als der bisherige IMO-Beschluss, der lediglich eine Halbierung der Treibhausgase bis 2050 vorsah. Berechnungsbasis ist das Jahr 2008. IMO-Generalsekretär Kitack Lim nannte die Einigung deshalb eine “monumentale Entwicklung”, die ein neues Kapitel in der Dekarbonisierung der Schifffahrt einleite.
Auch Martin Kröger, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Reeder (VDR), war voll des Lobes. “Alle haben anerkannt, dass es keine Alternative zur Klimaneutralität gibt”, so Kröger. Deutsche Reedereien spielen in der internationalen Handelsschifffahrt eine bedeutende Rolle. Sie verfügen über rund 12,5 Prozent der weltweiten Containerschiffskapazität und liegen damit im Ländervergleich auf Platz zwei.
Faig Abbasov von der Umweltorganisation Transport & Environment sprach dagegen von einem “Wischiwaschi-Kompromiss”. Die Klimagespräche hätten ihn “an das Umstellen von Liegestühlen auf einem sinkenden Schiff erinnert”. Ähnlich kritisch bewertete Daniel Rao von Carbon Market Watch das Ergebnis. “Die Art und Weise, wie die IMO ihre Klimaziele verwässert hat, wird die Chancen des Schifffahrtssektors verringern, seine Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen zu erfüllen”, ist er sich sicher. ch
Nur jedes fünfte Familienunternehmen hat bislang ein individuelles Klimaziel definiert. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Fraunhofer IAO im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen. 30 Prozent gaben an, die Festlegung von Klimazielen sei in Arbeit. Knapp die Hälfte der befragten Unternehmen gab hingegen an, noch keine Klimaziele definiert zu haben.
In der Gruppe der Familienunternehmen, die bereits ein Klimaziel definiert haben, haben wiederum nur 3,7 Prozent dieses bereits umgesetzt. 56,8 Prozent befinden sich in der Umsetzungsphase, 38,2 Prozent planen die Umsetzung. Befragt wurden 600 Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen, davon etwa die Hälfte Familienunternehmen.
“Gerade die größeren Familienunternehmen haben die Relevanz des Themas aufgegriffen und erarbeiten aktuell besonders häufig Klimaziele”, heißt es im Fazit der Studie. “Kleinere Familienunternehmen haben hingegen noch viel offenes Potenzial bei der Setzung und Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen.” Handlungsoptionen lägen hier insbesondere in der Vernetzung mit anderen Unternehmen, externer Beratung und Experten, heißt es weiter.
Als größte Herausforderungen nannten die Familienunternehmen die Höhe der Investitionen, die geringe Wirtschaftlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen und unsichere regulatorische Rahmenbedingungen. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, sieht denn auch die Politik in der Pflicht. Sie müsse “klare und stabile Rahmenbedingungen schaffen, damit sichere und nachhaltige Investitionen in erneuerbare Energien und Infrastruktur möglich werden.”
Der Vergleich zwischen den befragten Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen zeigt, dass Familienunternehmen die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen generell als größere Herausforderung ansehen. Besondere Schwierigkeiten bereiten ihnen die damit verbundenen innerbetrieblichen Anforderungen. So werden fehlendes Know-how im Unternehmen und fehlende personelle Kapazitäten deutlich stärker als Herausforderung wahrgenommen als bei Nicht-Familienunternehmen.
Wenn Gründer eine neue Firma aufbauen, haben sie die Chance, diese von Beginn an nach sozial-ökologischen Kriterien auszurichten. In der Praxis passiert das aber längst nicht immer, wie eine Umfrage von ESG_VC belegt. Die britische Initiative, die Start-ups weltweit dabei berät, Nachhaltigkeit in ihre Geschäftsmodelle und Prozesse zu integrieren, hat zusammen mit Partnern Daten von 450 Start-ups in Großbritannien und Europa ausgewertet. Ein Ergebnis: Nur 5 Prozent erklärten, bereits konkrete Konzepte zu haben, um die jeweiligen Treibhausgasemissionen zu eliminieren – ein Jahr zuvor waren es noch 7 Prozent.
Auch die Bereitschaft, seinen CO₂-Fußabdruck zu messen, ist gering ausgeprägt. Zwar stieg die Zahl an, aber lediglich von 11 auf 16 Prozent. Immerhin: Für die kommenden 12 Monate kündigten 22 Prozent an, dies nachholen zu wollen. 20 Prozent erklärten, einen “Net Zero-Plan” implementieren zu wollen. Nachholbedarf zeigte sich auch sozialen Themen wie der Diversität in Unternehmen. 45 Prozent gaben an, dass in ihren Aufsichtsgremien keine Frau sitzt, und 15 Prozent sagten, dass in ihren obersten Führungsetagen nur Männer die Geschäfte führen würden. maw
African Nations Take Big Swing to Rule Global Offset Market – Bloomberg
Wenn es darum geht, Wälder aufzuforsten und Feuchtgebiete zu renaturieren, habe Afrika viel zu bieten, schreiben Antony Sguazzin und Ray Ndlovu. Von internationalen Kompensationsprogrammen profitieren die Länder bislang aber kaum – und deshalb wollen zunehmend mehr Regeln erlassen, um das zu ändern. Zimbabwe etwa hat angekündigt, künftig 50 Prozent der Erlöse solcher Projekte einzukassieren. Außerdem diskutieren die Staaten, eine gemeinsame Plattform aufzubauen. Zum Artikel
“Dimension vergleichbar mit dem Dieselskandal”: EU macht Greenwashing für Firmen zum Risiko – Handelsblatt
Dürfen Unternehmen künftig noch Labels wie “klimaneutral” und “CO₂-frei” an ihre Produkte kleben? Unternehmen sind verunsichert, denn die EU will empfindliche Strafen für irreführende Werbeaussagen verhängen – und das sogar rückwirkend. Der Entwurf, der noch abgestimmt werden muss, sieht unter anderem vor, dass umweltbezogene Claims von einer unabhängigen Prüfstelle zertifiziert werden müssen, etwa vom TÜV. Ein teures und aufwändiges Prozedere. Zum Artikel
Canada Offers Lesson in the Economic Toll of Climate Change – New York Times
Lydia DePillis ist der Frage nachgegangen, welche Bedrohung die Waldbrände in Kanada für die Wirtschaft des Landes bedeuten. Sie könnten, so vorsichtige Schätzungen, im dritten Quartal zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums um 0,6 Prozent führen. Und der Ausblick für die kommenden Jahre und Jahrzehnte ist düster. Zum Artikel
Capitalism Alone Won’t Save the Planet – Washington Post
Mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat und jedem Jahr, in dem die Erderwärmung neue Rekorde bricht, wird die Suche nach Lösungen für den Klimawandel dringlicher. Der Kapitalismus hat uns in diesen Schlamassel gebracht, und er muss uns helfen, ihn zu überwinden. Aber er ist nicht in der Lage, diese Aufgabe allein zu bewältigen, ist sich Mark Gongloff in seiner Analyse sicher. Zum Artikel
Climate Quitting: Warum Menschen dem Klima zuliebe ihre Jobs kündigen – Der Standard
Die Motive, warum man seine Anstellung kündigt, wandeln sich derzeit. Zunehmend mehr Menschen verlassen ihren Arbeitgeber, wenn dieser keine Antworten auf soziale und ökologische Herausforderungen parat hat. Lisa Breit hat mit Personen gesprochen, die sich gegen ihren Job und für eine umweltfreundlichere Tätigkeit entschieden haben. Zum Artikel
UN’s Sustainable Development Goals Are Mission Impossible – Washington Post
Auf halbem Weg zum Jahr 2023 – der Halbzeit der Sustainable Development Goals (SDGs), die 2015 unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen als Wegweiser für eine bessere Welt bis zum Ende dieses Jahrzehnts ins Leben gerufen wurden – ist die Welt noch lange nicht am Ziel. Eduardo Porter geht der Frage nach, ob die Ziele überhaupt noch zu schaffen sind. Zum Artikel
Warum der Bundeswehr der grüne Umbau schwerfällt – Handelsblatt
Militärs weltweit gehören zu den großen Umwelt- und Klimaverschmutzern, die Umstellung fällt allerdings schwer, wie Larissa Holzki am Beispiel der Bundeswehr beschreibt. “Ein grüner Umbau stellt Bundeswehr und Rüstungsindustrie vor eine der größten logistischen Herausforderungen ihrer Geschichte”, schreibt sie und zitiert eine Managerin. Demnach gibt es Rechnungen, denen zufolge alle Streitkräfte der Nato in Europa an nur einem gemeinsamen Standardkampftag 200.000 Tonnen fossilen Kraftstoff verbrauchen. Zum Artikel
Drop carbon offsetting-based environmental claims, companies urged – Guardian
In einem neuen Verhaltenskodex hat die Voluntary Carbon Markets Integrity Initiative (VCMI) Leitlinien veröffentlicht, wie Unternehmen Emissionsgutschriften als Teil einer guten Unternehmenspolitik nutzen sollten. Patrick Greenfield hat sich die Details angesehen. Zum Artikel
Nachhaltigkeit: Konsumenten bevorzugen die Reduktion von Emissionen – Logistik heute
Sandra Lehmann hat sich eine Studie der Kühne Logistics University (KLU), der Universität Hamburg und der University of Tennessee angesehen. Demnach sind Verbraucher bereit, deutlich mehr für Produkte zu bezahlen, wenn Unternehmen ihre eigenen Emissionen reduzieren statt nur zu kompensieren. Der Studie zufolge ist deshalb “eine klare Kommunikation” für Firmen besonders wichtig, so die Autorin. Zum Artikel
An ESG Loophole Helps Drive Billions into Gulf Fossil Fuel Giants – Bloomberg
Einer Recherche von Greg Ritchie zufolge hat Saudi Aramco, der weltweit größte Ölkonzern, ein kompliziertes Beteiligungsnetz aufgebaut, um Milliarden-Investitionen aus ESG-Fonds zu erhalten. Das Konstrukt legt Schwachstellen des ESG-Finanzmarkts offen – Anleger können nicht erkennen, in welche Unternehmen ihr Geld letztlich tatsächlich fließt. Die beteiligten Firmen JPMorgan, UBS, BlackRock und EIG wollten sich nicht äußern. Zum Artikel
Haben Sie den Film “Don´t look up” gesehen? In der Netflix-Produktion geht es um zwei Wissenschaftler:innen, die unablässig vor dem nahenden Einschlag eines Asteroiden warnen – und dabei schlicht nicht ernst genommen werden, ehe sämtliches Leben auf der Erde ausgelöscht wird. Nun mag man von Netflix halten, was man möchte. Auch geht die aktuelle Bedrohung von keinem Gesteinsbrocken aus dem All, sondern von der vermeintlich schleichenden, jedoch unweigerlich spürbaren Natur- und Klimakrise aus. Die Handlung von “Don´t look up!” bewegt sich dabei erschreckend nahe an dem, was wir gerade in der Diskussion zum Nature Restoration Law (NRL) beobachten können.
Mit dem EU-Gesetz sollen eigentlich alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, degradierte Ökosysteme in ihrem Land wiederherzustellen. Ein überlebensnotwendiges Vorhaben, schaut man sich den rasanten Verlust unserer Arten und Ökosysteme und die fatalen Auswirkungen und künftigen Bedrohungen auf unser aller Lebensgrundlage an. Doch die Europäische Volkspartei (EVP) hat das Gesetz in den vergangenen Wochen massiv attackiert – und schreckt dabei auch nicht vor Falschaussagen zurück.
Die zahlreichen EVP-Mythen zu Enteignung, Bedrohung der Ernährungssicherung, Einbruch der europäischen Wirtschaft und Co sind längst entkräftet – unter anderem auch vom litauischen EU-Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei, Virginijus Sinkevičius. Der Ausbau Erneuerbarer Energien und das NRL seien kein Widerspruch, sondern gingen Hand in Hand, sagen Energieunternehmen wie Wind Europe oder Solar Power Europe.
Das NRL sichere unsere Wirtschaftsgrundlage, sagen mehr als 60 der größten europäischen Unternehmen aus den Bereichen Konsum, Finanzen und Energie – darunter Nestlé, Unilever und Ikea. Und mehr als 70 Landwirt:innen und landwirtschaftliche Organisationen aus der EU betonen, wie wichtig das NRL für die Sicherung der Lebensmittelproduktion ist. Dazu kommt breite Unterstützung von Tausenden Wissenschaftler:innen sowie mehr als 900.000 EU-Bürger:innen.
Dass Lügen und Mythen besser verfangen als Tatsachen und komplizierte Zusammenhänge, ist nichts Neues. Dass sie von Abgeordneten kommen, die sich selbst in der Mitte der Gesellschaft verorten, schon. Und gerade das macht es besonders gefährlich: So ist es bereits traurig genug, dass die EVP ein so zentrales Gesetz zur Bewältigung der Natur- und Klimakrise abzuschmettern versucht. Obendrein schüren sie mit einem “Die da oben”-Narrativ auch noch großflächig Misstrauen in Demokratie und die europäischen Institutionen – und das kurz vor einer Europawahl, in der die rechten Parteien in Europa mit ihren Hufen scharren.
Doch es besteht noch Hoffnung. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Noch kann das NRL zum Erfolg werden. Denn längst stehen nicht alle EVP-Abgeordneten hinter dem NRL-feindlichen Kurs ihrer Fraktion. Deutlich wurde das bei der vergangenen Abstimmung im Umweltausschuss: Um sicherzustellen, dass die “Fraktionslinie” genau eingehalten wird, habe die EVP ein Drittel der Mitglieder durch “naturschutzskeptische” Abgeordnete ersetzt – so lautete der Vorwurf des Umweltausschuss-Vorsitzenden Pascal Canfin.
Trotzdem konnte die EVP das NRL im Umweltausschuss nicht verhindern. Und beim Votum im Umweltrat haben sich die EU-Umweltminister:innen klar hinter das Gesetz gestellt. Dabei ist das Parlament erfahrungsgemäß deutlich progressiver als der Rat. Das macht einmal mehr deutlich, in welcher politischen Schieflage wir uns aktuell befinden – und dass es noch deutlichen politischen Spielraum gibt.
Das ist auch wichtig, denn längst ist das Gesetz nicht perfekt. Schon der – mittlerweile verwässerte – Kommissionsvorschlag wies klare Lücken auf: So sollen in Europa nur etwa ein Prozent aller Flüsse renaturiert werden – vor dem Hintergrund unzähliger Überschwemmungen und der sich anbahnenden nächsten Oder-Katastrophe erscheint dieses Ziel nahezu absurd.
Von dem einen Drittel der ursprünglichen europäischen Moore in Agrarökosystemen, die wiederhergestellt werden sollten, soll wiederum nur ein Viertel wiedervernässt werden – also insgesamt rund acht Prozent der ehemaligen Moorflächen. Verschwindend gering, bedenkt man, welches Potenzial intakte Moore beim Klimaschutz entfalten können. Und nicht zuletzt könnte die fehlende Verknüpfung zwischen Meeresschutz und Fischereipolitik dazu führen, dass auch hier die Ziele ins Leere laufen.
Klar ist: Das Renaturierungsgesetz muss nicht nur über die Ziellinie kommen, es braucht auch Ambition und Wirksamkeit. Jetzt kommt es darauf an, dass sich die Abgeordneten bei der bevorstehenden Plenarabstimmung frei und nur ihrem Gewissen verpflichtet entscheiden. Mit ihrer Stimme können sie die bevorstehende Katastrophe, wie sie das dystopische “Don´t look up!” vorzeichnet, noch abwenden und die Wiederherstellung unserer Wälder, Moore und Meere endlich Realität werden lassen. Packen wir es an.
Raphael Weyland wurde 1979 in Freiburg im Breisgau geboren. Seit Juni 2015 vertritt der Jurist und Rechtsanwalt den Naturschutzbund Deutschland (NABU) in Brüssel. Er hat zahlreiche Beiträge zu umweltpolitischen Themen veröffentlicht.
Welche Risiken birgt ein Unternehmen durch seine Geschäftstätigkeit für Menschenrechte und Umwelt? Welche Maßnahmen sind nötig, um Prävention und um Abhilfe zu leisten? Und wie kann eine Firma generell ihren Sorgfaltspflichten mit einem menschenrechtlichen Ansatz gerecht werden? Das sind die Fragen, mit denen sich Diana Sanabria beim Logistikunternehmen Hapag-Lloyd AG beschäftigt. “Kein Unternehmen kann Menschenrechtsrisiken komplett ausschließen“, sagt die Juristin. Zum Beispiel könne man nicht sagen, dass Ungleichbehandlung keine Rolle spielt, wenn der Gender Pay Gap im deutschen Arbeitsmarkt im Jahr 2022 bei 39 Prozent lag. Bei ihrem Arbeitgeber selbst seien menschenrechtliche Risiken im Vergleich zwar nicht hoch, aber bei den rund 10.000 Zulieferern aus aller Welt sehe das anders aus.
Als Senior Manager Supply Chain Act (LkSG) muss Diana Sanabria täglich Dokumente wälzen und Kontakte zu unterschiedlichsten Stakeholdern pflegen – von verschiedenen Abteilungen innerhalb des Unternehmens, Betriebsräten und Gewerkschaften bis hin zu NGO und Hochschulen. Auch um die Erstellung des Berichts über die Erfüllung der im Gesetz verankerten Sorgfaltspflichten für das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sowie die Bearbeitung von Beschwerden, zum Beispiel von potenziell Betroffenen, kümmert sie sich gemeinsam mit ihrem Team. Das besteht bisher aus ihr, dem Vorgesetzten und einem weiteren Mitarbeiter und involviert darüber hinaus mehrere Abteilungen wie Compliance, Human Resources und Sustainability in verschiedenen Regionen. Außerdem behält Diana Sanabria die Nachrichtenlage im Blick. Ein Beispiel: “Als die Medien vor drei Monaten über einen LKW-Streik im hessischen Gräfenhausen berichteten, habe ich das sofort geprüft – es waren keine Zulieferer von uns dabei, ansonsten wären wir tätig geworden”, sagt sie.
Warum sie sich für diese Stelle entschieden hat? “Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist für mich wie ein Baby, das erst ein paar Monate alt ist – ich will es laufen sehen, und zwar richtig.” Das Gesetz trat Anfang des Jahres in Kraft und ist die Grundlage ihrer Arbeit. Hapag-Lloyd nehme das Thema sehr ernst, sagt sei. “Allein dass ich mit meinem Ansatz zum Thema eingestellt wurde, ist ein Statement.” Als Referentin für Weltwirtschaft beim Zentrum für Mission und Ökumene war Diana Sanabria Mitglied im Bundesvorstand der Kampagne für Saubere Kleidung und dort auf nationaler und europäischer Ebene für das Thema Sorgfaltspflichten zuständig. In dieser Position hat sie sich für das Gesetz stark gemacht.
Als gebürtige Kolumbianerin kenne sie den Anfang mehrerer Lieferketten, so Sanabria. Ein Beispiel: “Für den Abbau der Kohle, die nach Deutschland geliefert wird, braucht es viel Wasser – und das fehlt den indigenen Gemeinden, die in den betroffenen Regionen leben.” Sie spricht fast akzentfrei Deutsch. Dabei hat sie erst als Erwachsene begonnen, die Sprache zu lernen – während ihres Studiums in ihrer Heimatstadt Bogotá, wo sie ihren späteren Ehemann kennenlernte, einen gebürtigen Hamburger. Mithilfe eines DAAD-Stipendiums absolvierte Diana Sanabria dann ihren Master an der Universität Konstanz.
Nebenbei engagiert sich die Wahl-Hamburgerin beim Verein Doughnut Coalition für eine sozio-ökologische Transformation der Stadt, der nach dem gleichlautenden Konzept der britischen Ökonomieprofessorin Kate Raworth benannt wurde. Zudem begleitet sie als Mentorin Jura-Studierende der Bucerius Law School, die sich in der nahen Zukunft für Nachhaltigkeit durch Sorgfaltspflichten beruflich einsetzen wollen. Vielfach fehlen diese ESG-Expertinnen und -Experten noch, und das möchte sie ändern. Damit Unternehmen bessere Entscheidungen treffen. Und damit es auch in Ländern wie Kolumbien vorangeht mit dem Wandel. Janna Degener-Storr