Table.Briefing: ESG

Blackrocks Klimabilanz dürftig + Reparatur-Recht: EU-Vorschlag erneut verschoben

  • Drei Jahre nach CEO-Brief: Blackrocks Klimabilanz
  • EU: Recht auf Reparatur – Entwurf erneut verschoben
  • Helena Marschall von Fridays For Future zur ETS-Reform
  • Termine
  • NGO verklagen Danone wegen Umgang mit Plastik
  • US-Senat befragt Autohersteller zu Zwangsarbeitsrisiken
  • Manager-Boni werden vermehrt an ESG-Kriterien gebunden
  • Munich Re: Naturkatastrophen werden teurer
  • Studie: Mehr Work-Life-Balance ist auch gut für Unternehmen
  • Presseschau
  • Ruth von Heusinger sieht den ETS als globales Vorbild
  • Ole Seidenberg – Natur profitiert von High-Tech
Liebe Leserin, lieber Leser,

wie dringend notwendig eine Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist, zeigt die am Dienstag vorgestellte Schadenbilanz des Rückversicherers Munich Re. Demnach nehmen die Schäden durch Naturkatastrophen stetig zu und summierten sich 2022 auf weltweit 270 Milliarden Dollar. Es ist zu erwarten, dass die Schäden für Mensch und Natur mit der weiteren Klimaerwärmung größer werden. Und damit auch die finanziellen Lasten.

In diese Kerbe schlug 2020 viel beachtet auch Larry Fink, CEO des Vermögensverwalters Blackrock, in seinem jährlichen Brief an CEOs. “Jede Regierung, jedes Unternehmen und alle Aktionäre müssen sich dem Klimawandel stellen”, schrieb Fink. Drei Jahre später ist die Klima-Bilanz des weltgrößten Vermögensverwalter “durchwachsen”, wie Nico Beckert berichtet.

Der europäische Green Deal zählt zu den Vorhaben, mit denen die europäische Politik die Klimakrise bekämpfen will. Ein wichtiger Hebel dafür: Langlebige Produkte und nachhaltiger Konsum. Diesen möchte die Kommission unter anderem mit einem Recht auf Reparatur nutzen. Leonie Düngefeld analysiert, warum der Vorschlag dafür schon wieder verschoben wurde.

Der kurz vor Weihnachten neu gefasste Emissionshandel soll die notwendige Transformation finanziell unterstützen. Mit den Maßnahmen schlage die EU die richtige Richtung ein, es müsse allerdings viel schneller gehen, sagt Helena Marschall von Fridays for Future. Ebenfalls Nachbesserungsbedarf sieht Ruth von Heusinger, Geschäftsführerin von ForTomorrow. Wenn es gelingt, diesen zu erfüllen, dann könnte das europäische System aber auch ein Vorbild für einen globalen Mechanismus sein.

Ich wünsche eine gute Lektüre.

Ihr
Torsten Sewing
Bild von Torsten  Sewing

Analyse

Blackrocks dürftige Klimabilanz

Finks Brief an CEOs von 2020 war eine große Überraschung. Der Blackrock-Vorsitzende warnte, Klimarisiken würden zunehmend zu Investitionsrisiken. Übersetzt: Investitionen in fossile Industrien verlieren an Attraktivität, da sie in Zukunft an Wert zu verlieren drohen. Schon bald werde es deshalb zu einer “erheblichen Umschichtung von Kapital” kommen. Nachhaltiges Investieren sei die “beste Grundlage für künftige Kundenportfolios”. Doch die Zwischenbilanz nach drei Jahren sieht recht dürftig aus: Blackrock investiert weiter in fossile Industrien, stimmt auf Hauptversammlungen nur wenigen Klima-Anträgen zu und das dominierende Geschäftsmodell der passiven Fonds verbaut wichtige Druckmittel.

Blackrock: Nachhaltigkeit als “neuer Standard für Investitionen”

Blackrock selbst wollte Nachhaltigkeit zum “neuen Standard für Investitionen” machen. Der Vermögensverwalter:

  • will das Ziel unterstützen, bis 2050 oder früher Klimaneutralität zu erreichen;
  • hat sich bei den aktiv verwalteten Fonds aus Unternehmen zurückgezogen, die mehr als 25 Prozent ihrer Einnahmen mit Kraftwerkskohle erzielen. Sektoren, die von Kohle abhängig sind, sollen genau untersucht werden;
  • will mehr grüne Fonds und Finanzprodukte auflegen, beispielsweise nachhaltige ETFs und Pensionsfonds;
  • bittet Unternehmen, ihre Klimarisiken zu veröffentlichen und Ziele und Pläne vorzulegen, wie sie ihre Treibhausgas-Emissionen verringern wollen;
  • will den Anteil des verwalteten Vermögens angeben, “der auf Netto-Null-Ziele ausgerichtet ist”. Für alle Aktien- und Anleihefonds soll dargestellt werden, wie sie zum Temperaturanstieg beitragen – allerdings nur “für Märkte, in denen ausreichend glaubhafte Daten zur Verfügung stehen”;
  • und will sich beispielsweise auf Hauptversammlungen stärker für Nachhaltigkeitsthemen engagieren.

Bisher nur 6 Prozent aller Gelder in nachhaltigen Fonds

Blackrock verwaltet nach eigenen Angaben “rund 490 Milliarden US-Dollar in ESG-Fonds“. 2020 lag die Zahl noch bei gut 200 Milliarden, 2021 erreichte sie einen Höchststand von 509 Milliarden. Knapp über 6 Prozent des von Blackrock verwalteten Vermögens ist somit in ESG-Fonds angelegt. Etwa 25 Prozent des verwalteten Vermögens sind in Unternehmen oder staatlich ausgegebene Vermögenswerte investiert, die Ziele zur Reduktion ihres Treibhausgas-Ausstoßes haben (“Science-based Targets” oder vergleichbares). Bis 2030 soll dieser Anteil auf 75 Prozent wachsen, weil sich mehr Unternehmen solche Ziele setzen.

Doch der Klimanutzen vieler vermeintlich grüner Fonds ist begrenzt, sagt Jan Fichtner, der an der Universität Amsterdam zu Sustainable Finance und Indexfonds forscht. “Viele Blackrock-Fonds sind jetzt ESG-Integration-Fonds. Unsere Untersuchungen zeigen aber, dass die sich kaum von den herkömmlichen Indexfonds unterscheiden. Sie schließen zwar Kohleunternehmen aus, aber Öl- und Gasunternehmen kommen weiter in den Fonds vor.”

Kohleausstieg gilt nicht für passive Fonds

Auch Blackrocks Divestment aus der Kohle ist unzureichend. Das Unternehmen kann noch immer in 80 Prozent aller Unternehmen investieren, die Kohleminen oder -kraftwerke betreiben. Blackrocks Ausschlusskriterien lassen zu viel Spielraum. Für die Öl- und Gasindustrie hat Blackrock sich gar keine konkreten Ziele gesetzt. Als der texanische Pensionsfonds seine Investitionen zurückziehen wollte, bekannte Blackrock, man sei der vermutlich größte Investor in fossile Energien. Man wolle, “dass die (fossilen) Unternehmen Erfolg haben und gedeihen”.

Blackrock betont, viele Schwellenländer seien weiterhin auf fossile Energieträger angewiesen. Regierungen und Unternehmen müssten sicherstellen, dass die Menschen weiterhin Zugang zu zuverlässiger und billiger Energie haben. Die Energiewende werde Jahrzehnte dauern, so Blackrock. Einige Entwicklungen zeigen, dass es auch schneller gehen könnte. Die westlichen Staaten haben sich mit ersten Partnerländern auf Just Energy Transition Partnerships (JETP) geeinigt, an denen sich auch private Geldgeber beteiligen sollen. Investitionen in fossile Industrien und Rohstoffe sind zudem nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar.

Blackrocks Kohleausschluss gilt nicht für die passiven Fonds des Unternehmens. Die machen einen immensen Teil des verwalteten Vermögens aus. Im Unterschied zu aktiv verwalteten Fonds, wird das Anlagevermögen dabei nur passiv investiert, beispielsweise in alle Werte eines Aktienindex. Mittlerweile verwaltet die iShares-Sparte von Blackrock über zwei Billionen US-Dollar an Vermögen in solchen Fonds. Hinzu kommen weitere Billionen im Bereich Index-Fonds für institutionelle Investoren.

Grüne Fonds sind nicht immer grün

Die Gelder sind langfristig angelegt. Passive Fonds können ihren Anteil an fossilen Unternehmen nur verkaufen, wenn sie aus dem Aktienindex ausscheiden, den der Fonds kopiert. Blackrock kann die Unternehmen also nicht zu mehr Nachhaltigkeit zwingen, indem es mit dem Verkauf der Aktien droht.

Der Vermögensverwalter will diese Passivität durch eine aktivere Ausübung seiner Stimmrechte auf Hauptversammlungen überwinden. Aktivisten loben dies als “180-Grad-Wende“. Hat das Unternehmen 2020 lediglich zwölf Prozent aller ESG-Anträge (Anträge mit ökologischem und sozialem Fokus) auf Hauptversammlungen zugestimmt, lag die Zahl 2021 bei immerhin 40 Prozent. Zwischen Juni 2021 und 2022 ist die Zustimmungsrate jedoch auf 22 Prozent gefallen. Das Unternehmen liegt bei der Zustimmung zu Klima-Anträgen noch immer hinter vielen Wettbewerbern zurück, wie eine Analyse von ShareAction zeigt.

In jüngster Zeit seien mehr Anträge zu einschränkend und würden zu sehr in das Management der jeweiligen Unternehmen eingreifen, so Blackrock. Das Unternehmen lehnt Anträge ab, die einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen forderten. Und obwohl Blackrock von Unternehmen mehr Transparenz über Klimarisiken und -pläne fordert, lobbyiert der Vermögensverwalter gegen US-Regeln zur Offenlegung von Scope3-Emissionen.

Grüne Investments kommen kaum in der Realwirtschaft an

Kritiker sehen auch Blackrocks Versprechen kritisch, mehr ESG-Fonds aufzulegen. Was nach einem Widerspruch klingt, liegt im Design vieler Fonds begründet. Nachhaltige ETFs würden beispielsweise nur Aktien aufkaufen, die schon an der Börse gehandelt werden, sagt Tariq Fancy, ein ehemaliger Top-Manager, der bei Blackrock für den ESG-Bereich zuständig war. “Durch die Investition in einen solchen Fonds wird kein zusätzliches Kapital für nachhaltigere Unternehmen oder Zwecke bereitgestellt”, so Fancy. Und Fichtner ergänzt: “Viele ESG-Fonds können gar nicht in Kapitalerhöhungen investieren. Vor allem bei passiven Fonds ist das nicht möglich, da sie ja nur einen Index nachbilden”.

Blackrock selbst betont immer wieder, man verwalte nur die Gelder der Kunden und habe die gesetzlich festgeschriebene “treuhänderische Pflicht”, die Gelder im Sinne der Kunden, also gewinnbringend, anzulegen. Ein Ausschluss der fossilen Industrien würde dem zuwiderlaufen. Zwischen den Zeilen bedeutet das: Wenn die Kunden keine grünen Anlagen wollen, sind uns die Hände gebunden.

Ehemaliger Blackrock-Nachhaltigkeitschef fordert Regulierung

Doch sind Blackrock aufgrund des Wettbewerbs ein Stück weit die Hände gebunden? Wenn Blackrock als erster Vermögensverwalter komplett aus fossilen Anlagen aussteigen würde, könnten viele Kunden einfach zu anderen Anbietern wechseln. Aus diesen Gründen sei es illusorisch, dass Blackrock und andere Vermögensverwalter aus eigenem Antrieb eine grüne Transformation herbeiführen, sagt Fancy. Stattdessen brauche es staatliche Regulierungen wie einen CO₂-Preis, um fossile Industrien zu verteuern. Dann würden sich Investitionen nicht mehr lohnen und die Finanzströme würden viel schneller in grüne Industrien fließen, so der ehemalige Blackrock-Nachhaltigkeitschef Tariq Fancy.

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EU: Recht auf Reparatur – Entwurf erneut verschoben

Bereits im März 2020 kündigte die Kommission im Rahmen des Green Deals – ihrer ersten Priorität – einen Legislativvorschlag zum nachhaltigen Konsum von Gütern und dem Recht auf Reparatur an. Geplant sind gezielte Änderungen an der Richtlinie über den Verkauf von Waren und ein neues Recht auf Reparatur, entweder innerhalb der Richtlinie oder in einem separaten Instrument. Anfang Juli 2022 wollte die Kommission den Entwurf vorstellen. Mittlerweile hat sich der Termin um fast ein Jahr verschoben.

Im Dezember hatte Ana Gallego Torres, Generaldirektorin der zuständigen DG JUST, den Entwurf noch für Anfang 2023 angekündigt und erklärt, man arbeite nach wie vor an der Folgenabschätzung. Die aktuelle Agenda der Kommission sieht nun den 31. Mai als Termin vor. “Wir arbeiten intensiv an diesem wichtigen Vorschlag”, sagt eine Sprecherin auf erneute Nachfrage von Table Media. Weiter äußere man sich jedoch nicht zu internen Prozessen.

Inhaltlich soll der Entwurf auf drei Säulen basieren, berichten Teilnehmende der öffentlichen Konsultation und der Stakeholder-Befragung: auf einer Ausweitung der gesetzlichen Gewährleistung von Produkten, auf Reparaturregelungen außerhalb der Gewährleistung, und auf einer Stärkung des Secondhand-Marktes.

Dass der Entwurf erneut verschoben wird, wundert und besorgt Abgeordnete sowie Verbraucherschützer. Selbst wenn es bei dem Termin im Mai bleibt, wird es knapp, das Vorhaben noch in der laufenden Legislaturperiode im Parlament voranzubringen.

Lobbyeinfluss auf Kontrollgremium unklar

Grund für die Verschiebung des Vorschlags im November war eine negative Stellungnahme des Ausschusses für Regulierungskontrolle (Regulatory Scrutiny Board), das die Qualität der Folgenabschätzungen von geplanten Gesetzestexten prüft (Europe.Table berichtete).

Anna Cavazzini (Grüne), Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) und René Repasi (S&D) wollten wissen, ob es einen direkten Lobbyeinfluss von Unternehmen auf das Gremium gegeben hatte, das intransparent ist. Die beiden Abgeordneten stellten deshalb einen Antrag auf Einblick in entsprechende Dokumente. In der Antwort der Kommission hieß es: “Die Mitglieder des Boards erörtern keine einzelnen Dossiers mit direkt betroffenen Akteuren. Aus diesem Grund haben sie sich nicht mit externen Interessengruppen zum Thema der Initiative getroffen.”

Bereits zuvor hatte Cavazzini mit dem Vorsitzenden des Regulatory Scrutiny Board gesprochen. Danach war ihr trotzdem nicht hundertprozentig klar, wie das Gremium arbeite, sagt sie, etwa hinsichtlich der Frage, ob es die Folgenabschätzung vor allem für Unternehmen prüfe oder auch Umwelt- und Sozialbelange einbeziehe.

Kohärenz mit verwandten Initiativen gewährleisten

Der Umfang des Vorhabens und die Abstimmung mit weiteren Gesetzesvorschlägen wie der Ökodesignverordnung spielen vermutlich eine Rolle für die Verzögerung. Diese und die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel sind Teil des Bündels an Instrumenten, die das Recht auf Reparatur stärken sollen.

“Eines der Probleme für die DG JUST könnte darin bestehen, dass sie die Kohärenz mit diesen Instrumenten sicherstellen muss, diese anderen Initiativen aber bereits laufen”, sagt eine Verbraucherschützerin Table Media. “Sie werden bereits vom Parlament und vom Rat geändert, sind also ein moving target.” Um alle Vorhaben bestmöglich aufeinander abzustimmen, wäre es jedoch schlauer gewesen, alles in einem Gesamtpaket vorzustellen, kommentiert Anna Cavazzini.

Bundesregierung plant Aktionsprogramm

Die Industrie unterstützt ein Recht auf Reparatur nur zum Teil. “Mehr Reparaturen sind aus Gründen der Nachhaltigkeit tatsächlich wünschenswert und wir unterstützen einige Vorschläge dazu”, sagt Werner Scholz vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie, “aber die Kosten und auch die Bequemlichkeit sind die größten Hürden”. Es müsse sehr sorgfältig geprüft werden, welche Maßnahmen tatsächlich zu mehr Reparaturen führen würden. Längere Gewährleistungsfristen oder eine längere Bereitstellungspflicht für Ersatzteile etwa lehnt der Verband ab.

Patrycja Gautier vom Europäischen Verbraucherverband (BEUC) rechnet bereits mit einer Enttäuschung: “Nach allem, was wir gehört haben, wird der Kommissionsvorschlag die wichtigsten Änderungen nicht einführen, etwa längere gesetzliche Gewährleistungsrechte für langlebigere Waren oder die Möglichkeit für Verbraucher, ihre Ansprüche direkt an den Hersteller zu richten”. Ein wirkliches Recht auf Reparatur werde es ohne diese Elemente nicht geben, ergänzt sie.

Im Bundesumweltministerium (BMUV) habe man noch die Information, der Entwurf würde im März vorgestellt, sagte ein Sprecher. Die Bundesregierung halte den Gesetzesvorschlag für “sehr wichtig” und setze sich dafür ein, dass der momentane Zeitplan eingehalten werde. Währenddessen setzt sie auch auf eigene Maßnahmen: Für dieses Jahr hat sie das Aktionsprogramm “Reparieren statt Wegwerfen” angekündigt. Darin will sie neue Maßnahmen zusammenfassen, um das Reparieren in Deutschland wirksamer zu fördern. Im September hatte das BMUV dafür ein Budget von zwei Millionen Euro genannt.

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“Richtige Maßnahmen, aber in der falschen Geschwindigkeit.”

Helena Marschall von Fridays for Future: Die Maßnahmen der EU gehen nicht weit genug.
Helena Marschall ist Aktivistin bei Fridays for Future.

Frau Marschall, wie bewerten Sie die Ergebnisse der ETS-Reform? Wo sehen Sie Stärken, wo sehen Sie Schwächen?

Wie so oft in der Klimakrise gibt es eine Divergenz. Einerseits macht die EU neue und große Schritte: Sie führt einen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr ein und löscht Zertifikate im ETS1. Damit erfasst das System nun 75 Prozent aller Emissionen in der EU. Außerdem bekommen wir einen Sozialfonds und Grenzausgleichsmechanismen.

Wir sehen richtige Maßnahmen, aber in der falschen Geschwindigkeit. Vor 20 Jahren wäre das ein gutes Paket gewesen. Aber mittlerweile eskaliert die Klimakrise und die jetzt vorliegenden Maßnahmen reichen nicht aus für die Erreichung des 1,5 Grad-Zieles. Die Politik muss ambitionierter handeln, weil wir unter immensem Zeitdruck stehen.

Aber bei der Bewertung des EU Green Deal sollten wir auch bedenken: Alles, was wir jetzt sehen, wurde nur möglich durch den Protest, den wir seit 2018 auf die Straße tragen. Das ist mir wichtig zu sagen, weil dies viele Menschen vergessen haben. Vieles, was die Politik jetzt umsetzt, war vor 2018 undenkbar. Bewirkt haben die Politikänderung all die Menschen, die vor und nach der Europawahl demonstrierten.

Welche Rolle spielt Fridays for Future dabei?

Wir gehen einerseits weiter auf die Straße und verfolgen andererseits ganz genau, was die Politik macht. Schon bei den Verhandlungen zur Taxonomie haben wir gesehen, dass es sich lohnt nachzufragen. Das passiert wohl bislang wohl eher selten. Jedenfalls wurden manche EU-Abgeordnete nervös, als wir ihnen ein paar Mails schickten. Womöglich kennen sie es nicht, dass jemand wirklich darauf achtet, was in Brüssel passiert. Da liegt für uns ein ganz großes Potenzial: Wir beobachten, was passiert. Und beschaffen uns auf diese Weise Informationen, mit denen wir dann politischen Druck aufbauen können.

Fridays for Future hat gezeigt, dass Politik reagiert, wenn es “Druck von der Straße” gibt. Jetzt liegen Ergebnisse vor – die Sie für nicht ausreichend erachten. Was muss Ihrer Meinung nach jetzt passieren?

Wir erleben eine Diskursverschiebung in der Gesellschaft: Die Frage, ob Klimaschutz wichtig ist, ist ausdiskutiert. Heute kann sich kein Politiker, keine Politikerin hinstellen und dies abstreiten. Entscheidend ist nun die konkrete Umsetzung. Entsprechend beschäftigt sich die Zivilgesellschaft jetzt mit Umsetzungs- und Transformationsfragen, die dank unseres breiten Engagements auch angegangen werden. Dazu gehören rund 300 mit uns assoziierte “For Future” Gruppen, getragen von Unternehmern, Lehrern, Eltern oder Bauern. Wir konsolidieren die Mehrheiten für einen echten Klimaschutz und gehen die harten Umsetzungsfragen an, um tatsächlich Emissionen zu mindern. Und das werden wir auch weiter tun.

Wie wichtig ist der Emissionshandel für die Transformation hin zu einer dekarbonisierten Europäischen Union?

Auch wenn die Zerstörung unserer Umwelt einen Preis bekommt, ist das nicht die alleinige Lösung. Denn ein Preissystem ist sehr volatil und kann durch langfristige Verträge, Garantien und Subventionen untergraben werden.

Die Politik sollte die Rahmenbedingungen an vielen Stellen ändern und klare ordnungsrechtliche Lösungen schaffen. Dazu gehört der Ausstieg aus bestimmten Industrien. Das heißt auch, neben der Nachfrageseite sollte die Politik die Angebotsseite im Blick haben. Es gibt wichtige politische Vorhaben: So unterstützt das Europaparlament z.B. das “Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty”, das die Förderung fossiler Energie weltweit stoppen will. Der internationale Vertrag hat zum Ziel, dass kein Land der Welt von der Öl-, Kohle- oder Gasförderung profitiert – ähnlich der Nichtverbreitungsverträge zu Nuklearwaffen und Landminen. Das könnte eine von vielen richtigen Antworten sein.

Reicht der Umfang des von der EU geplanten Sozialfonds aus, obwohl er niedriger ausfällt als ursprünglich geplant?

Wir begrüßen den Sozialfonds sehr. Das ist ein wichtiges Instrument. Aber er muss nachgebessert werden.

Vermissen Sie darüber hinaus Instrumente im Reform-Paket?

Das Paket ist sehr umfangreich. Aber die zugrundeliegenden Zielvorstellungen sind realitätsfern. Klimapolitik im 21. Jahrhundert muss bedeuten, jede Maßnahme und jedes Gesetz in allen Sektoren auf das 1,5-Grad-Ziel hin zu überprüfen. Ich denke hier an die europäische Agrarpolitik, die sich überhaupt nicht an der Klimapolitik orientiert, an eine verfehlte EU-Taxonomie, die Atom- und Gasenergie als nachhaltig klassifiziert oder an klimaschädliche Subventionen – sie alle untergraben den Green Deal.

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Termine

11.1.2023
Online-Talk The Future on Our Plates – Sustainable Agriculture and Global Food Security (IJP)
In dem Talk geht es sowohl um die globale Ernährungssicherheit als auch darum, wie bestimmte Länder eine nachhaltigere Landwirtschaft anstreben. Info & Anmeldung

12.1.2023
Online-Talk After the COP15 agreement: Are nature credits the key to save the planet?
Wie kann Afrika seine Position als treibende Kraft bei der Entwicklung von Biodiversitätskrediten stärken? Diese und weitere Fragen diskutieren Expertinnen bei diesem Africa-Talk. Info & Anmeldung

12.1.2023
Veranstaltung Vorstellung des Sustainability Transformation Monitor (u.a. Mercator, Bertelsmann)
Der Sustainability Transformation Monitor befragt Akteure der Real- und Finanzwirtschaft zur Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft. Am 12. Januar werden die Ergebnisse vorgestellt. Info & Anmeldung

12.1.2023
Auftaktveranstaltung Der Europäische Sozialfonds Plus für Deutschland
Mit der neuen Förderperiode will der ESF Plus zu einem sozialeren Europa beitragen und die Europäische Säule sozialer Rechte in die konkrete Praxis umsetzen. Info & Anmeldung

16.-20.1.2023, Davos
Treffen, Weltwirtschaftsforum
Dieses Jahr kommt das Weltwirtschaftsforum im Rahmen von “Cooperation in a Fragmented World” zusammen.

17.1.2023, Davos
Diskussion Transforming global supply chains: the road to resilience and sustainability (Economist Impact)
Eine Leitfrage der Diskussion wird sein: Wie können Unternehmen ihre Lieferketten transformieren? Info & Anmeldung

17.1.2023, Berlin
Veranstaltung Agrarkongress 2023 – Lebensgrundlagen schützen, Krisen begegnen (BMUV)
Bundesumweltministerin Steffi Lemke, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und weitere Referenten stellen konkrete Schritte hin zu einer krisensicheren Landwirtschaft vor. Die Anmeldung ist nur noch für Online-Teilnahmen geöffnet. Info & Anmeldung

17.-19.1.2023
Online-Konferenz Emerging Pollutants: Protecting Water Quality for the Health of People and the Environment (UNESCO-IWRA)
Die Konferenz will aufzeigen, wie die Wasserqualität sich vor neu auftretenden Schadstoffen schützen lässt. Info & Anmeldung

18.1.2023
Online-Seminar Nachhaltige Beschaffung – Green Meetings: Umweltfreundliche Veranstaltungen mit nachwachsenden Rohstoffen (FNR)
Neben einer Einleitung in das Thema umweltfreundliche Veranstaltungen werden in diesem Seminar auch Hinweise für öffentliche Ausschreibungen gegeben. Info & Anmeldung

18.1.2023, Berlin
Fachgespräch Klimaverträgliche öffentliche Beschaffung (Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung)
Das Fachgespräch findet im Paul-Löbe-Haus statt. Anmeldeschluss ist am 13. Januar, um 11 Uhr. Info & Anmeldung

19.1.2023
Online-Ergebnispräsentation Forschungsvorhaben Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung (BMUV)
Ein Forschungskonsortium der Universität Stuttgart die Umweltwirkungen (Treibhausgas und Schadstoffemissionen) verschiedener verkehrsplanerischer und -politischer Maßnahmen ermittelt. Info & Anmeldung

18.-21.1.2023, Berlin
Konferenz Global Forum for Food and Agriculture
Unmittelbar vor der Grünen Woche gibt das GFFA Impulse für die Weiterentwicklung der Ernährungssysteme weltweit. Info & Anmeldung

20.-29.1.2023, Berlin
Messe Internationale Grüne Woche
Erstmals seit 2020 findet die international wichtigste Messe für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau wieder in den Berliner Messehallen statt. Info & Anmeldung

News

NGO verklagen Danone wegen Umgang mit Plastik

Umweltgruppen haben in Frankreich Klage gegen den Lebensmittelkonzern Danone eingereicht. Das Unternehmen habe nicht ausreichend über die Kunststoffe informiert, die in seiner Produktion verwendet werden, sagten die Umweltschützer am Montag. “Wir möchten, dass Danone seinen Bericht zur Sorgfaltspflicht erneut veröffentlicht und speziell über seinen Plastikverbrauch Rechenschaft ablegt, einschließlich einer konkreten Strategie zu dessen Reduzierung“, forderte Antidia Citores von der Meeresschutz-Kampagne Surfrider Foundation Europe.

Danone zeigte sich in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Reuters von den Anschuldigungen überrascht und wies diese zurück. Danone sei “seit langem als Pionier im Bereich des Umweltrisikomanagements anerkannt” und habe seinen Plastikverbrauch zwischen 2018 und 2021 um zwölf Prozent gesenkt, hieß es. 2025 sollen alle Verpackungen des Konzerns wiederverwendbar, recycelbar oder kompostierbar sein.

Die NGO reichten die Klage am Montag bei einem Pariser Zivilgericht ein. Immer mehr NGO gehen rechtlich gegen große Unternehmen vor und berufen sich dabei auf ein nationales Gesetz zu Sorgfaltspflichten. Seit 2017 müssen alle Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten in Frankreich oder weltweit 10.000 Beschäftigten – quer durch alle Branchen – menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einhalten. Sie müssen Risiken aus den Bereichen Menschenrechten, Grundfreiheiten, Gesundheit und Umwelt identifizieren und schwerwiegenden Verletzungen dieser Rechte vorbeugen. NGO kommt in dem Fall des französischen Gesetzes eine wichtige Rolle bei dessen Umsetzung zu.

Im Gegensatz zu einem ähnlichen Fall, der gegen den Ölriesen TotalEnergies wegen eines umstrittenen Pipelineprojekts in Afrika angestrengt wurde, wollen die Umweltorganisationen Surfrider und ihre Partner jedoch keine strafrechtlichen Schritte gegen Danone anstrengen. Reuters/cd

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US-Senat befragt Autohersteller zu Zulieferungen aus Zwangsarbeit in Xinjiang 

Der Vorsitzende des Finanzausschusses im US-Senat, Ron Wyden, hat am 22. Dezember Briefe an Honda, Ford, GM, Mercedes-Benz, Stellantis, Tesla, Toyota und Volkswagen verschickt. Er will von den Autobauern wissen, wie sie sicherstellen, dass kein Material aus Zwangsarbeit in der westchinesischen Region Xinjiang in ihren Lieferketten verwendet werden. Außerdem interessiert ihn, ob die Unternehmen jemals Geschäftsbeziehungen beendet haben, weil Zulieferer entsprechende Verdachtsmomente nicht entkräften konnten. 

Hintergrund des Schreibens ist eine aktuelle Studie der britischen Sheffield Hallam University. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass “praktisch jeder große traditionelle Automobil- und Elektrofahrzeughersteller in erheblichem Maße der Zwangsarbeit in der Uiguren-Region ausgesetzt ist”. Zulieferer, die Zwangsarbeiter einsetzen, seien laut Studie in der Förderung von Rohstoffen, deren Verarbeitung und Veredelung sowie in der Teilefertigung tätig. 

Vor einem Jahr hat der US-Kongress den Uyghur Forced Labor Prevention Act verabschiedet, der Importe aus der Region Xinjiang generell verbietet, wenn nicht nachwiesen werden kann, dass sie ohne Zwangsarbeit hergestellt wurden. Die EU wiederum plant ein allgemeines Vermarktungsverbot für Produkte aus Zwangsarbeit. Es könnte in den kommenden Monaten beschlossen werden und würde auch für Einfuhren aus China gelten. 

Die Situation in Xinjiang ist zudem eine erste Bewährungsprobe für die Wirksamkeit des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Es ist Anfang des Jahres in Kraft getreten und verpflichtet Konzerne wie Volkswagen und Mercedes-Benz, für die Einhaltung der Menschenrechte in ihren globalen Lieferketten zu sorgen. Das Verbot von Zwangsarbeit ist dabei ein zentraler Punkt. nh/ch

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Manager-Boni werden vermehrt an ESG-Kriterien gebunden

Eine jüngst veröffentliche Untersuchung der weltweit tätigen Beratungsgesellschaft Willis Towers Watson (WTW) zeigt, dass ESG-Kriterien eine immer wichtiger für die Vergütungssysteme von Führungskräften werden. Grund sei der zunehmende Druck von Anlegern, Kunden, Aufsichtsbehörden und Mitarbeitern.

Als Datenbasis dienten die Berichte von 885 großen Aktiengesellschaften aus den USA, Kanada und Europa. Danach

  • berichten 69 Prozent der US-Unternehmen, ihr Vergütungssystem beinhaltet mindestens ein ESG-Kriterium. Im Vorjahr waren es noch 60 Prozent. Bei europäischen Firmen lag die Quote mit 90 Prozent (2021: 79 Prozent) deutlich darüber,
  • haben 67 Prozent der US-Aktiengesellschaften ESG-Kriterien in ihren kurzfristigen und 8 Prozent in ihren langfristigen Vergütungssystemen verankert. Bei europäischen Unternehmen hat sich die Quote bei langfristigen Systemen innerhalb von zwei Jahren auf 44 Prozent verdoppelt,
  • kündigen 5 Prozent der US-Unternehmen an, ESG-Kriterien neu in die Vergütungssysteme ihrer Führungskräfte aufnehmen zu wollen. Andere planen, sie zu erweitern oder anzupassen. Vergleichbare Ankündigungen machten 38 Prozent der europäischen Firmen.

WTW-Direktor Kenneth Kuk erwartet, dass dieser Trend sich noch verstärkt, weil sich “die Messung, Berichterstattung und Steuerung von ESG-Kennzahlen in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird”. Das vereinfache ihre Anwendung in Vergütungssystemen. ch

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Munich Re: Naturkatastrophen werden teurer

Der Rückversicherer Munich Re erwartet in den kommenden Jahren weltweit steigende Schäden durch Naturkatastrophen. Im Jahr 2022 verursachten Überschwemmungen, Stürme, Waldbrände und andere Naturkatastrophen volkswirtschaftliche Schäden von 270 Milliarden Dollar, wie das Unternehmen am Dienstag mitteilte. Damit reiht sich das Jahr in die “schadenintensiven” vergangenen fünf Jahre ein. Die teuerste Katastrophe war mit 100 Milliarden Dollar der Hurrikan “Ian”, der Ende September 2022 auf die US-Ostküste traf.

Versicherungen tragen zunehmend die Kosten von Naturkatastrophen: Von den 270 Milliarden Gesamtschaden der Naturkatastrophen-Bilanz waren rund 120 Milliarden versichert. Dabei sind zwei Faktoren wichtig: Natürliche Zyklen wie La Niña begünstigen Hurrikane in Nordamerika, Hochwasser in Australien, Hitze und Trockenheit in China oder stärkere Monsun-Niederschläge in Südasien. Der Klimawandel fördert diese Wetterextreme – sodass sich Effekte mitunter verstärken.

Die Munich Re dokumentiert seit Jahrzehnten die Schäden durch Naturkatastrophen, weil sie das Risikomanagement beeinflussen. Der Rückversicherer sieht sich als Pionier bei der Analyse der Auswirkungen der anthropogenen globalen Erwärmung und damit des Klimawandels. Die vergangenen acht Jahre waren die wärmsten überhaupt und der damit verbundene höhere Energieinhalt in der Atmosphäre verändere die Risikoeinschätzung. Zwar ließen sich einzelne Schadenereignisse nicht allein auf den Klimawandel zurückführen. Die Analyse langfristiger Trends von meteorologischen Daten in Verbindung mit versicherungstechnischen und sozioökonomischen Daten liefert jedoch wichtige Hinweise auf sich ändernde Risiken aus Unwettergefahren. DPA/tse

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Studie: Mehr Work-Life-Balance ist auch gut für Unternehmen

Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben kommen nicht nur den Arbeitnehmern zugute, sondern auch den Unternehmen. Das ist das Ergebnis der Studie “Working Time and Work-Life Balance around the World”. Sie wurde Anfang Januar von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mit Sitz in Genf vorgestellt und spricht von einer Win-Win-Situation. Als positive Effekte für die Arbeitgeber nennt sie: eine größere Loyalität der Mitarbeiter, verbesserte Rekrutierungsbedingungen am Arbeitsmarkt, geringere Fehlzeiten und eine höhere Produktivität.

Great Resignation hat den Arbeitsmarkt verändert

 “Das Phänomen der sogenannten Great Resignation hat in der post-pandemischen Welt einen hohen Stellenwert in sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fragen bekommen”, hebt Jon Messenger hervor. Er leitet die Working Conditions Group der ILO und ist Co-Autor der Studie. Zentral sei dabei die Work-Life-Balance. Der ILO-Experte rät deshalb, Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen und “einen sehr sorgfältigen Blick auf die Struktur und die Länge der Arbeitszeit” zu werfen.

Die Great Resignation bezeichnet die seit Corona sprunghaft angestiegene Bereitschaft von Beschäftigten, ihre bisherige Arbeit zu hinterfragen und freiwillig zu kündigen bzw. sich einen anderen Job zu suchen. Das gilt Meinungsforschern zufolge auch für Deutschland. Als Ursache gilt die krisenbedingte Höherbewertung von Gesundheit, Lebenszufriedenheit und sozialem Umfeld. Gleichzeitig klagen immer mehr Menschen über große Arbeitsbelastung und Stress.

Längere Arbeitszeiten sind kontraproduktiv

Die ILO-Studie warnt deshalb davor, dem Arbeits- und Fachkräftemangel in vielen Ländern mit einer Verlängerung der Arbeitszeit und kürzeren Pausenzeiten zu begegnen – zumal längere Arbeitszeiten in aller Regel mit niedrigerer Arbeitsproduktivität einhergingen. Zielführender sei stattdessen eine Debatte über flexible Arbeitszeitmodelle und Teilzeitarbeit. Die Möglichkeiten der Telearbeit und die jüngsten Erfahrungen mit Homeoffice böten dafür gute Ansatzpunkte. ch

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Presseschau

Hat der Amazonas seinen “Tipping-Point” erreicht? NEW YORK TIMES
ESG-Investments: In China droht ein Erwachen FINANCIAL TIMES
EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte setzt Maßstäbe THE GUARDIAN
Die schwedische Jugend klagt für mehr Klimaschutz SUEDDEUTSCHE
Woher deutsche Klimaaktivisten Geld bekommen SUEDDEUTSCHE
Kann die Nordsee das neue wirtschaftliche Zentrum Europas werden? THE ECONOMIST
Wie heimischer Bergbau Deutschland unabhängiger von China machen soll TAGESSPIEGEL
Wie Unternehmen mit Öko-Krediten Geld sparen HANDELSBLATT
In den USA erstmals mehr Investments in Erneuerbare als in fossile Energien BLOOMBERG
Deutschland bricht den Rekord in Windenergie BLOOMBERG
Im Dezember fielen Lebensmittelpreise zum neunten Mal in Folge THE WALL STREET JOURNAL
Illegale Fischerei: EU stuft Kamerun als “nicht-kooperierendes Land” ein EURACTIV
Podcast: Die Lösung des Mikroplastikproblems in der Kleidung THE FUTURE OF EVERYTHING
Kohle-Rückkehr lässt die Klimaziele platzen ZDF
Norwegen will Deutschland mit Wasserstoff versorgen FAZ
Die Hälfte der Gletscher der Erde könnte trotz Erreichung von Klimazielen schmelzen THE WASHINGTON POST

Standpunkt

Das EU-ETS-System – ein Modell für einen globalen Emissionshandel

Von Ruth von Heusinger
Ruth von Heusinger ist Diplom-Physikerin und Geschäftsführerin der gGmbH ForTomorrow.

Das EU-ETS-System hatte einige Schwachstellen, aber nach seiner Reform bietet es nun eine gute Vorlage, um sich weltweit daran zu orientieren. Die Zeit dafür drängt. Denn um das Übereinkommen von Paris einzuhalten, also den weltweiten Temperaturanstieg auf möglichst 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu beschränken, dürfen wir nur noch eine begrenzte Menge an Treibhausgasen in die Atmosphäre emittieren. Bei gleichbleibenden weltweiten Emissionen ist dieses sogenannte Restbudget (das “Cap”) in gut sechs Jahren aufgebraucht. Für die Begrenzung auf 1,5 Grad müssen die Emissionen gegenüber 2010 bis 2030 um 45 Prozent sinken. 

Wichtig ist, dass dieses Cap effizient verteilt wird. Aus meiner Sicht wäre dafür ein weltweites “Cap and Trade System” am besten geeignet. Allerdings sollten die politisch Handelnden aus den Fehlern lernen, welche die EU früher gemacht hat. Seit 2005 gibt es den EU-Emissionshandel (EU-ETS), ein Cap and Trade System für Treibhausgase. Die EU hat das Cap festgesetzt und versteigert dieses in Form von Emissionsrechten. Emittenten müssen sich für jede Tonne CO₂ Äquivalente (CO₂eq) ein Emissionsrecht kaufen. So wird sichergestellt, dass das festgesetzte Cap nicht überschritten werden kann und Emissionen dort reduziert werden, wo es am kostengünstigsten ist. 

Allerdings setzte die EU das Cap bei seiner Einführung 2005 viel zu hoch an – ein Geburtsfehler. Das führte dazu, dass nach der Weltwirtschaftskrise 2008 die Preise für Emissionsrechte sogar bei nur rund sechs Euro pro Tonne lagen. Viel zu niedrig, um Anreize für Investitionen in neue klimafreundliche Technologien zu setzen. Und die Preise waren auch zu niedrig, als dass die EU Klimaschutzmaßnahmen über die Einnahmen aus dem Verkauf der Emissionsrechte adäquat hätte finanzieren können. Der Preis stieg erst infolge der Einführung der Marktstabilitätsreserve im Jahr 2020 und die Aussicht auf eine Reform des Systems. Trotz des gravierenden Geburtsfehlers hat der ETS bereits zu deutlichen Emissionsreduzierungen geführt. Seit seiner Einführung sind die Emissionen in den regulierten Sektoren um rund 43 Prozent gesunken. Einen weiteren Geburtsfehler hat die EU nun ebenfalls beseitigt. Bislang deckte der ETS nur rund 40 Prozent aller Emissionen ab. 

EU-ETS-Reform ist richtungsweisend für einen globalen Emissionshandel

Aber kurz vor Weihnachten 2022 beschloss die EU eine Verschärfung und Ausweitung des ETS, die man auch als richtungsweisend für einen globalen Emissionshandel verstehen kann. Die EU, die das das weltweit größte und älteste Emissionshandelssystem betreibt, zeigt jetzt, wie Sektoren (hier: Gebäude und Verkehr) in ein Cap and Trade System integriert werden können. Damit fungiert sie als Vorbild für andere Staaten, beispielsweise für China mit seinem 2021 gestarteten Emissionshandelssystem.

Außerdem schafft die EU die notwendige soziale Flankierung des ETS. Zur Bekämpfung von Energie- und Mobilitätsarmut schafft sie einen Klima-Sozialfonds, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert, weil beispielsweise Einnahmen aus dem Emissionshandel in sozial wirksame Investitionen fließen, beispielsweise den öffentlichen Nahverkehr oder die Gebäudesanierung, wovon gerade auch Menschen mit geringerem Einkommen profitieren. 

Ab 2024 erfasst der Mechanismus der EU auch die Schifffahrt, die für drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Hier geht die EU einen wichtigen Schritt in Richtung eines globalen ETS, denn sie erfasst nicht nur innereuropäische, sondern auch außereuropäische Routen.

Ein weiterer global wichtiger Schritt der EU ist der ab 2026 greifende Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), ein CO₂-Grenzausgleichssystem. Güter, die in die EU importiert werden, müssen einen zum EU-ETS äquivalenten CO₂-Preis bezahlen. CO₂-Preise, die im Ursprungsland gezahlt wurden, sollen anrechenbar sein. Wenn diese Umsetzung in der Praxis gelingt, wäre dies für ein weltweites System ebenfalls ein Vorbild. 

Natürlich werden durch diese politischen Maßnahmen bestimmte treibhausgasintensive Güter erstmal teurer. Der Preis pro Tonne CO₂eq liegt derzeit vor Steuern bei rund 80 Euro. Aber die Versteigerung der Emissionsrechte bringt Rekordeinnahmen – die zu 100 Prozent in Klimamaßnahmen investiert werden müssen. 

Das Cap muss konsequent sinken!

Allerdings bewirkt ein hoher Emissionsrechtepreis allein noch keine Reduktion der Treibhausgase. Er sorgt erstmal nur dafür, dass eine klimafreundliche Transformation unterstützt wird. Die Emissionsreduktion wird durch das Cap festgelegt. Auch das mittlerweile deutlich abgesenkte Cap ist noch immer zu hoch für den Pfad, der die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzt. Hier muss die EU nachbessern, um wirklich Vorbild für ein globales ETS zu sein. 

Um den Prozess zu beschleunigen, können parallel Bürger aktiv werden – indem sie Emissionsrechte kaufen und ungenutzte Zertifikate stilllegen. So kann das Cap gesenkt werden und damit sichergestellt werden, dass in der EU weniger CO₂ ausgestoßen wird. Tonne für Tonne, Emissionsrecht für Emissionsrecht können wir selbst den Prozess beschleunigen und dafür sorgen, dass das EU-ETS wirklich zum Vorbild für ein globales ETS wird.

Als Vorbild taugt die EU aber nur, wenn sie konsequent das Cap senkt. Ein weltweites Arrangement ist entscheidend, weil wir die Klimakrise nur gemeinsam lösen können. Und um langfristig weltweit klimaneutral zu wirtschaften, sollten in einem globalen ETS die Emissionsrechte von denen verkauft werden, die eine äquivalente Menge an Treibhausgasen aus der Luft holen.

Ruth von Heusinger, Diplom Physikerin, arbeitete erst im Bereich erneuerbare Energien und Emissionshandel bei Statkraft und dann im Markt der freiwilligen CO₂-Kompensation bei atmosfair. Was fehlte, war die Möglichkeit, mit Klimaschutzmaßnahmen in Europa zu kompensieren. Darum gründete sie im Jahr 2019 die gemeinnützige GmbH ForTomorrow. 

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  • Klimaschutz

Heads

Ole Seidenberg – Natur profitiert von High-Tech

Ole Seidenberg ist Co-Founder von Skyseed, das mit Drohnen Pflanzen sät.
Ole Seidenberg ist Co-Founder von Skyseed, das mit Drohnen Pflanzen sät.

Im Studium der Soziologie, Politik und Psychologie lernt Ole Seidenberg, dass Organisationsstrukturen die Wirksamkeit von Unternehmen beeinflussen – und dass Hierarchien zum Selbstzweck werden können. Er gründet 2009 zunächst eine Kommunikations-Agentur mit dem Ziel, soziale und ökologische Ziele der Öffentlichkeit wirksam zu kommunizieren (Wigwam), später mit Open State eine Beratung, die gemeinsam mit Unternehmen neue systemische Strukturen zu entwickeln sucht, um aufrichtigere und am Gemeinwohl orientierte Unternehmenskulturen zu ermöglichen. Damit schafft er Räume für andere Arten der Innovation. Das waren z.B. Camps, in denen die Beteiligten manchmal über Wochen neue Erfahrungen sammelten und diese dann in ihr Unternehmen brachten, oder es war der Umbau vorhandener Räume wie z.B. einer Notunterkunft für Geflüchtete in Berlin gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern.

Nachhaltigkeitsthemen und vor allem den Klimawandel dachten er und seine Kollegen schon immer mit. Dennoch wollten sie mehr: Es ist das eine, Unternehmen in Workshops mit den Herausforderungen des Klimawandels zu konfrontieren – und es ist etwas anderes, in diesem Feld unmittelbar wirksam zu werden. Letzteres war die Motivation für Seidenberg, gemeinsam mit Freunden desselben Umfelds Skyseed zu gründen, ein Unternehmen, das auf einen klar umrissenen Bedarf antwortet. Und das für diesen Bedarf eine technologische Lösung entwickeln will, die ähnlich “skalierbar” ist wie traditionelle “Platform-Unternehmen”, dabei aber nicht gegen, sondern mit natürlichen Ressourcen und Prozessen arbeitet. Denn die Aufgabe ist so umfangreich, dass exponentielles Wachstum zur Lösung gehört – aber eben innerhalb planetarer Grenzen.

Renaturierung von Böden mithilfe von Drohnen

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) weist 2022 für Wald in Deutschland mehr als 500.000 Hektar Schadfläche aus. Skyseed setzt Drohnen ein, um mit Kraut-, Strauch- und Baumsamen gefüllte Pellets auszubringen. Diese “erste Hilfe” für Renaturierung erfordert eine genaue Bodenanalyse und wird unterstützt durch detaillierte Klimasimulationen einerseits und Feld-Versuche andererseits. Die Entwicklung der Pellet-Mischung, als auch die Auswahl der einzusetzenden Samen erfolgt dabei “in Startup-üblicher Taktung, obwohl das Erforschen eines solchen Produktes eigentlich Jahre dauern würde”, wie Seidenberg sagt, denn “wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn wir erst 10 Jahre das Produkt entwickeln, ist es für die Regeneration der Böden mitten in der Klimakrise vielleicht schon zu spät.”. Skyseed orientiert sich an der natürlichen Sukzession, denkt diese jedoch unter den Bedingungen des Klimawandels weiter.

Wachsen kann Skyseed auch dank starker Unterstützung aus der Venture Capital Szene, die die Bedeutung von “Climate Tech Lösungen” zunehmend erkennt. Mit insgesamt 2,6 Millionen Euro wurde das Unternehmen bisher ausgestattet, angesichts der zahlreichen Herausforderungen in Hardware und Ökologie dennoch gerade genug, um seriös zu starten. “Immerhin: Wald- und Landbesitzer jeglicher Art verstehen die Mehrwerte unserer Lösung sofort, selbst wenn wir kaum vergleichbar zur klassischen Aufforstung sind. Es wird zunehmend deutlich, dass nur mit einer diversen Artenmischung und gesunden Böden mittelfristig noch Geld auf der Fläche verdient werden kann, auch, wenn dazu ein Paradigmenwechsel nötig ist”, sagt Seidenberg.

Wie aber skalieren? Gelingen soll dies vor allem mit einer starken Vergrößerung der Pellet-Produktions-Kapazitäten, denn beim Aufbau der Drohnen-Befliegung seien die Hürden vergleichsweise leicht zu nehmen: “Ist unsere Saat-Drohne einmal ausgereift, können wir in wenigen Schritten auch Europa-weit befliegen, voraussichtlich mit einem dezentralen Netzwerk an geschulten Saat-Piloten und Pilotinnen.” Entscheidend, so Seidenberg, sei die Auswahl und der Bezug der richtigen Arten für die jeweilige Region und das vorhandene Boden-Biom. Torsten Sewing

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Dessert

Das Baguette muss gerettet werden. Darüber sind sich die Franzosen einig. An der Spitze der Bewegung: Staatspräsident Emmanuel Macron. Bäckern und Konditoren, die sich zum katholischen Dreikönigsfest im Élysée-Palast versammelt hatten, sicherte er jede erdenkliche Unterstützung zu, damit das weltbekannte Stangenweißbrot nicht steigenden Energiepreisen und der grassierenden Inflation zum Opfer fällt. Zuvor hatte er in dieser Sache bereits Premierministerin Élisabeth Borne und Finanzminister Bruno Le Maire vor die Presse geschickt. Nicht zu vergessen die “Operation Baguette”. In einer konzertierten Aktion tauchten in den letzten Tagen Abgeordnete der Regierungsparteien in Bäckereien ihrer Wahlkreise auf, um über staatliche Hilfen zu informieren.

Im säkularen Frankreich ist La Baguette eine Art Nationalheiligtum. Seit letztem Jahr gehört es auch zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe. Es gibt eine Art Reinheitsgebot und ein bußgeldbewehrtes Dekret aus Zeiten der Revolution. Das wurde 1790 erlassen und stellt sicher, dass jeden Tag im Jahr in fußläufiger Entfernung frisches Baguette gekauft werden kann. Doch viel wichtiger ist, dass es im allgemeinen Bewusstsein die traditionelle französische Handwerkskunst repräsentiert: “250 Gramm Magie und Perfektion” (Emmanuel Macron).

Jenseits allen Lokalkolorits verweist die französische Baguette-Debatte auf ein weit größeres Problem. Handwerker und Kleinunternehmen stehen nicht nur für Tradition und lebendige Nachbarschaften. Sie bilden auch das Rückgrat regionaler Wirtschaftskreisläufe, die wiederum das Herzstück einer nachhaltigen Transformation darstellen. Sind diese kleinsten ökonomischen Einheiten erst einmal verschwunden, lassen sie sich kaum wiederbeleben. Anlass genug, sie in besonderem Maße vor Krisen und Anpassungsrisiken zu schützen und ihre Zukunftsfähigkeit zu fördern – in Frankreich wie anderswo. Carsten Hübner

ESG.Table Redaktion

Licenses:
    • Drei Jahre nach CEO-Brief: Blackrocks Klimabilanz
    • EU: Recht auf Reparatur – Entwurf erneut verschoben
    • Helena Marschall von Fridays For Future zur ETS-Reform
    • Termine
    • NGO verklagen Danone wegen Umgang mit Plastik
    • US-Senat befragt Autohersteller zu Zwangsarbeitsrisiken
    • Manager-Boni werden vermehrt an ESG-Kriterien gebunden
    • Munich Re: Naturkatastrophen werden teurer
    • Studie: Mehr Work-Life-Balance ist auch gut für Unternehmen
    • Presseschau
    • Ruth von Heusinger sieht den ETS als globales Vorbild
    • Ole Seidenberg – Natur profitiert von High-Tech
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wie dringend notwendig eine Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist, zeigt die am Dienstag vorgestellte Schadenbilanz des Rückversicherers Munich Re. Demnach nehmen die Schäden durch Naturkatastrophen stetig zu und summierten sich 2022 auf weltweit 270 Milliarden Dollar. Es ist zu erwarten, dass die Schäden für Mensch und Natur mit der weiteren Klimaerwärmung größer werden. Und damit auch die finanziellen Lasten.

    In diese Kerbe schlug 2020 viel beachtet auch Larry Fink, CEO des Vermögensverwalters Blackrock, in seinem jährlichen Brief an CEOs. “Jede Regierung, jedes Unternehmen und alle Aktionäre müssen sich dem Klimawandel stellen”, schrieb Fink. Drei Jahre später ist die Klima-Bilanz des weltgrößten Vermögensverwalter “durchwachsen”, wie Nico Beckert berichtet.

    Der europäische Green Deal zählt zu den Vorhaben, mit denen die europäische Politik die Klimakrise bekämpfen will. Ein wichtiger Hebel dafür: Langlebige Produkte und nachhaltiger Konsum. Diesen möchte die Kommission unter anderem mit einem Recht auf Reparatur nutzen. Leonie Düngefeld analysiert, warum der Vorschlag dafür schon wieder verschoben wurde.

    Der kurz vor Weihnachten neu gefasste Emissionshandel soll die notwendige Transformation finanziell unterstützen. Mit den Maßnahmen schlage die EU die richtige Richtung ein, es müsse allerdings viel schneller gehen, sagt Helena Marschall von Fridays for Future. Ebenfalls Nachbesserungsbedarf sieht Ruth von Heusinger, Geschäftsführerin von ForTomorrow. Wenn es gelingt, diesen zu erfüllen, dann könnte das europäische System aber auch ein Vorbild für einen globalen Mechanismus sein.

    Ich wünsche eine gute Lektüre.

    Ihr
    Torsten Sewing
    Bild von Torsten  Sewing

    Analyse

    Blackrocks dürftige Klimabilanz

    Finks Brief an CEOs von 2020 war eine große Überraschung. Der Blackrock-Vorsitzende warnte, Klimarisiken würden zunehmend zu Investitionsrisiken. Übersetzt: Investitionen in fossile Industrien verlieren an Attraktivität, da sie in Zukunft an Wert zu verlieren drohen. Schon bald werde es deshalb zu einer “erheblichen Umschichtung von Kapital” kommen. Nachhaltiges Investieren sei die “beste Grundlage für künftige Kundenportfolios”. Doch die Zwischenbilanz nach drei Jahren sieht recht dürftig aus: Blackrock investiert weiter in fossile Industrien, stimmt auf Hauptversammlungen nur wenigen Klima-Anträgen zu und das dominierende Geschäftsmodell der passiven Fonds verbaut wichtige Druckmittel.

    Blackrock: Nachhaltigkeit als “neuer Standard für Investitionen”

    Blackrock selbst wollte Nachhaltigkeit zum “neuen Standard für Investitionen” machen. Der Vermögensverwalter:

    • will das Ziel unterstützen, bis 2050 oder früher Klimaneutralität zu erreichen;
    • hat sich bei den aktiv verwalteten Fonds aus Unternehmen zurückgezogen, die mehr als 25 Prozent ihrer Einnahmen mit Kraftwerkskohle erzielen. Sektoren, die von Kohle abhängig sind, sollen genau untersucht werden;
    • will mehr grüne Fonds und Finanzprodukte auflegen, beispielsweise nachhaltige ETFs und Pensionsfonds;
    • bittet Unternehmen, ihre Klimarisiken zu veröffentlichen und Ziele und Pläne vorzulegen, wie sie ihre Treibhausgas-Emissionen verringern wollen;
    • will den Anteil des verwalteten Vermögens angeben, “der auf Netto-Null-Ziele ausgerichtet ist”. Für alle Aktien- und Anleihefonds soll dargestellt werden, wie sie zum Temperaturanstieg beitragen – allerdings nur “für Märkte, in denen ausreichend glaubhafte Daten zur Verfügung stehen”;
    • und will sich beispielsweise auf Hauptversammlungen stärker für Nachhaltigkeitsthemen engagieren.

    Bisher nur 6 Prozent aller Gelder in nachhaltigen Fonds

    Blackrock verwaltet nach eigenen Angaben “rund 490 Milliarden US-Dollar in ESG-Fonds“. 2020 lag die Zahl noch bei gut 200 Milliarden, 2021 erreichte sie einen Höchststand von 509 Milliarden. Knapp über 6 Prozent des von Blackrock verwalteten Vermögens ist somit in ESG-Fonds angelegt. Etwa 25 Prozent des verwalteten Vermögens sind in Unternehmen oder staatlich ausgegebene Vermögenswerte investiert, die Ziele zur Reduktion ihres Treibhausgas-Ausstoßes haben (“Science-based Targets” oder vergleichbares). Bis 2030 soll dieser Anteil auf 75 Prozent wachsen, weil sich mehr Unternehmen solche Ziele setzen.

    Doch der Klimanutzen vieler vermeintlich grüner Fonds ist begrenzt, sagt Jan Fichtner, der an der Universität Amsterdam zu Sustainable Finance und Indexfonds forscht. “Viele Blackrock-Fonds sind jetzt ESG-Integration-Fonds. Unsere Untersuchungen zeigen aber, dass die sich kaum von den herkömmlichen Indexfonds unterscheiden. Sie schließen zwar Kohleunternehmen aus, aber Öl- und Gasunternehmen kommen weiter in den Fonds vor.”

    Kohleausstieg gilt nicht für passive Fonds

    Auch Blackrocks Divestment aus der Kohle ist unzureichend. Das Unternehmen kann noch immer in 80 Prozent aller Unternehmen investieren, die Kohleminen oder -kraftwerke betreiben. Blackrocks Ausschlusskriterien lassen zu viel Spielraum. Für die Öl- und Gasindustrie hat Blackrock sich gar keine konkreten Ziele gesetzt. Als der texanische Pensionsfonds seine Investitionen zurückziehen wollte, bekannte Blackrock, man sei der vermutlich größte Investor in fossile Energien. Man wolle, “dass die (fossilen) Unternehmen Erfolg haben und gedeihen”.

    Blackrock betont, viele Schwellenländer seien weiterhin auf fossile Energieträger angewiesen. Regierungen und Unternehmen müssten sicherstellen, dass die Menschen weiterhin Zugang zu zuverlässiger und billiger Energie haben. Die Energiewende werde Jahrzehnte dauern, so Blackrock. Einige Entwicklungen zeigen, dass es auch schneller gehen könnte. Die westlichen Staaten haben sich mit ersten Partnerländern auf Just Energy Transition Partnerships (JETP) geeinigt, an denen sich auch private Geldgeber beteiligen sollen. Investitionen in fossile Industrien und Rohstoffe sind zudem nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar.

    Blackrocks Kohleausschluss gilt nicht für die passiven Fonds des Unternehmens. Die machen einen immensen Teil des verwalteten Vermögens aus. Im Unterschied zu aktiv verwalteten Fonds, wird das Anlagevermögen dabei nur passiv investiert, beispielsweise in alle Werte eines Aktienindex. Mittlerweile verwaltet die iShares-Sparte von Blackrock über zwei Billionen US-Dollar an Vermögen in solchen Fonds. Hinzu kommen weitere Billionen im Bereich Index-Fonds für institutionelle Investoren.

    Grüne Fonds sind nicht immer grün

    Die Gelder sind langfristig angelegt. Passive Fonds können ihren Anteil an fossilen Unternehmen nur verkaufen, wenn sie aus dem Aktienindex ausscheiden, den der Fonds kopiert. Blackrock kann die Unternehmen also nicht zu mehr Nachhaltigkeit zwingen, indem es mit dem Verkauf der Aktien droht.

    Der Vermögensverwalter will diese Passivität durch eine aktivere Ausübung seiner Stimmrechte auf Hauptversammlungen überwinden. Aktivisten loben dies als “180-Grad-Wende“. Hat das Unternehmen 2020 lediglich zwölf Prozent aller ESG-Anträge (Anträge mit ökologischem und sozialem Fokus) auf Hauptversammlungen zugestimmt, lag die Zahl 2021 bei immerhin 40 Prozent. Zwischen Juni 2021 und 2022 ist die Zustimmungsrate jedoch auf 22 Prozent gefallen. Das Unternehmen liegt bei der Zustimmung zu Klima-Anträgen noch immer hinter vielen Wettbewerbern zurück, wie eine Analyse von ShareAction zeigt.

    In jüngster Zeit seien mehr Anträge zu einschränkend und würden zu sehr in das Management der jeweiligen Unternehmen eingreifen, so Blackrock. Das Unternehmen lehnt Anträge ab, die einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen forderten. Und obwohl Blackrock von Unternehmen mehr Transparenz über Klimarisiken und -pläne fordert, lobbyiert der Vermögensverwalter gegen US-Regeln zur Offenlegung von Scope3-Emissionen.

    Grüne Investments kommen kaum in der Realwirtschaft an

    Kritiker sehen auch Blackrocks Versprechen kritisch, mehr ESG-Fonds aufzulegen. Was nach einem Widerspruch klingt, liegt im Design vieler Fonds begründet. Nachhaltige ETFs würden beispielsweise nur Aktien aufkaufen, die schon an der Börse gehandelt werden, sagt Tariq Fancy, ein ehemaliger Top-Manager, der bei Blackrock für den ESG-Bereich zuständig war. “Durch die Investition in einen solchen Fonds wird kein zusätzliches Kapital für nachhaltigere Unternehmen oder Zwecke bereitgestellt”, so Fancy. Und Fichtner ergänzt: “Viele ESG-Fonds können gar nicht in Kapitalerhöhungen investieren. Vor allem bei passiven Fonds ist das nicht möglich, da sie ja nur einen Index nachbilden”.

    Blackrock selbst betont immer wieder, man verwalte nur die Gelder der Kunden und habe die gesetzlich festgeschriebene “treuhänderische Pflicht”, die Gelder im Sinne der Kunden, also gewinnbringend, anzulegen. Ein Ausschluss der fossilen Industrien würde dem zuwiderlaufen. Zwischen den Zeilen bedeutet das: Wenn die Kunden keine grünen Anlagen wollen, sind uns die Hände gebunden.

    Ehemaliger Blackrock-Nachhaltigkeitschef fordert Regulierung

    Doch sind Blackrock aufgrund des Wettbewerbs ein Stück weit die Hände gebunden? Wenn Blackrock als erster Vermögensverwalter komplett aus fossilen Anlagen aussteigen würde, könnten viele Kunden einfach zu anderen Anbietern wechseln. Aus diesen Gründen sei es illusorisch, dass Blackrock und andere Vermögensverwalter aus eigenem Antrieb eine grüne Transformation herbeiführen, sagt Fancy. Stattdessen brauche es staatliche Regulierungen wie einen CO₂-Preis, um fossile Industrien zu verteuern. Dann würden sich Investitionen nicht mehr lohnen und die Finanzströme würden viel schneller in grüne Industrien fließen, so der ehemalige Blackrock-Nachhaltigkeitschef Tariq Fancy.

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    EU: Recht auf Reparatur – Entwurf erneut verschoben

    Bereits im März 2020 kündigte die Kommission im Rahmen des Green Deals – ihrer ersten Priorität – einen Legislativvorschlag zum nachhaltigen Konsum von Gütern und dem Recht auf Reparatur an. Geplant sind gezielte Änderungen an der Richtlinie über den Verkauf von Waren und ein neues Recht auf Reparatur, entweder innerhalb der Richtlinie oder in einem separaten Instrument. Anfang Juli 2022 wollte die Kommission den Entwurf vorstellen. Mittlerweile hat sich der Termin um fast ein Jahr verschoben.

    Im Dezember hatte Ana Gallego Torres, Generaldirektorin der zuständigen DG JUST, den Entwurf noch für Anfang 2023 angekündigt und erklärt, man arbeite nach wie vor an der Folgenabschätzung. Die aktuelle Agenda der Kommission sieht nun den 31. Mai als Termin vor. “Wir arbeiten intensiv an diesem wichtigen Vorschlag”, sagt eine Sprecherin auf erneute Nachfrage von Table Media. Weiter äußere man sich jedoch nicht zu internen Prozessen.

    Inhaltlich soll der Entwurf auf drei Säulen basieren, berichten Teilnehmende der öffentlichen Konsultation und der Stakeholder-Befragung: auf einer Ausweitung der gesetzlichen Gewährleistung von Produkten, auf Reparaturregelungen außerhalb der Gewährleistung, und auf einer Stärkung des Secondhand-Marktes.

    Dass der Entwurf erneut verschoben wird, wundert und besorgt Abgeordnete sowie Verbraucherschützer. Selbst wenn es bei dem Termin im Mai bleibt, wird es knapp, das Vorhaben noch in der laufenden Legislaturperiode im Parlament voranzubringen.

    Lobbyeinfluss auf Kontrollgremium unklar

    Grund für die Verschiebung des Vorschlags im November war eine negative Stellungnahme des Ausschusses für Regulierungskontrolle (Regulatory Scrutiny Board), das die Qualität der Folgenabschätzungen von geplanten Gesetzestexten prüft (Europe.Table berichtete).

    Anna Cavazzini (Grüne), Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) und René Repasi (S&D) wollten wissen, ob es einen direkten Lobbyeinfluss von Unternehmen auf das Gremium gegeben hatte, das intransparent ist. Die beiden Abgeordneten stellten deshalb einen Antrag auf Einblick in entsprechende Dokumente. In der Antwort der Kommission hieß es: “Die Mitglieder des Boards erörtern keine einzelnen Dossiers mit direkt betroffenen Akteuren. Aus diesem Grund haben sie sich nicht mit externen Interessengruppen zum Thema der Initiative getroffen.”

    Bereits zuvor hatte Cavazzini mit dem Vorsitzenden des Regulatory Scrutiny Board gesprochen. Danach war ihr trotzdem nicht hundertprozentig klar, wie das Gremium arbeite, sagt sie, etwa hinsichtlich der Frage, ob es die Folgenabschätzung vor allem für Unternehmen prüfe oder auch Umwelt- und Sozialbelange einbeziehe.

    Kohärenz mit verwandten Initiativen gewährleisten

    Der Umfang des Vorhabens und die Abstimmung mit weiteren Gesetzesvorschlägen wie der Ökodesignverordnung spielen vermutlich eine Rolle für die Verzögerung. Diese und die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel sind Teil des Bündels an Instrumenten, die das Recht auf Reparatur stärken sollen.

    “Eines der Probleme für die DG JUST könnte darin bestehen, dass sie die Kohärenz mit diesen Instrumenten sicherstellen muss, diese anderen Initiativen aber bereits laufen”, sagt eine Verbraucherschützerin Table Media. “Sie werden bereits vom Parlament und vom Rat geändert, sind also ein moving target.” Um alle Vorhaben bestmöglich aufeinander abzustimmen, wäre es jedoch schlauer gewesen, alles in einem Gesamtpaket vorzustellen, kommentiert Anna Cavazzini.

    Bundesregierung plant Aktionsprogramm

    Die Industrie unterstützt ein Recht auf Reparatur nur zum Teil. “Mehr Reparaturen sind aus Gründen der Nachhaltigkeit tatsächlich wünschenswert und wir unterstützen einige Vorschläge dazu”, sagt Werner Scholz vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie, “aber die Kosten und auch die Bequemlichkeit sind die größten Hürden”. Es müsse sehr sorgfältig geprüft werden, welche Maßnahmen tatsächlich zu mehr Reparaturen führen würden. Längere Gewährleistungsfristen oder eine längere Bereitstellungspflicht für Ersatzteile etwa lehnt der Verband ab.

    Patrycja Gautier vom Europäischen Verbraucherverband (BEUC) rechnet bereits mit einer Enttäuschung: “Nach allem, was wir gehört haben, wird der Kommissionsvorschlag die wichtigsten Änderungen nicht einführen, etwa längere gesetzliche Gewährleistungsrechte für langlebigere Waren oder die Möglichkeit für Verbraucher, ihre Ansprüche direkt an den Hersteller zu richten”. Ein wirkliches Recht auf Reparatur werde es ohne diese Elemente nicht geben, ergänzt sie.

    Im Bundesumweltministerium (BMUV) habe man noch die Information, der Entwurf würde im März vorgestellt, sagte ein Sprecher. Die Bundesregierung halte den Gesetzesvorschlag für “sehr wichtig” und setze sich dafür ein, dass der momentane Zeitplan eingehalten werde. Währenddessen setzt sie auch auf eigene Maßnahmen: Für dieses Jahr hat sie das Aktionsprogramm “Reparieren statt Wegwerfen” angekündigt. Darin will sie neue Maßnahmen zusammenfassen, um das Reparieren in Deutschland wirksamer zu fördern. Im September hatte das BMUV dafür ein Budget von zwei Millionen Euro genannt.

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    “Richtige Maßnahmen, aber in der falschen Geschwindigkeit.”

    Helena Marschall von Fridays for Future: Die Maßnahmen der EU gehen nicht weit genug.
    Helena Marschall ist Aktivistin bei Fridays for Future.

    Frau Marschall, wie bewerten Sie die Ergebnisse der ETS-Reform? Wo sehen Sie Stärken, wo sehen Sie Schwächen?

    Wie so oft in der Klimakrise gibt es eine Divergenz. Einerseits macht die EU neue und große Schritte: Sie führt einen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr ein und löscht Zertifikate im ETS1. Damit erfasst das System nun 75 Prozent aller Emissionen in der EU. Außerdem bekommen wir einen Sozialfonds und Grenzausgleichsmechanismen.

    Wir sehen richtige Maßnahmen, aber in der falschen Geschwindigkeit. Vor 20 Jahren wäre das ein gutes Paket gewesen. Aber mittlerweile eskaliert die Klimakrise und die jetzt vorliegenden Maßnahmen reichen nicht aus für die Erreichung des 1,5 Grad-Zieles. Die Politik muss ambitionierter handeln, weil wir unter immensem Zeitdruck stehen.

    Aber bei der Bewertung des EU Green Deal sollten wir auch bedenken: Alles, was wir jetzt sehen, wurde nur möglich durch den Protest, den wir seit 2018 auf die Straße tragen. Das ist mir wichtig zu sagen, weil dies viele Menschen vergessen haben. Vieles, was die Politik jetzt umsetzt, war vor 2018 undenkbar. Bewirkt haben die Politikänderung all die Menschen, die vor und nach der Europawahl demonstrierten.

    Welche Rolle spielt Fridays for Future dabei?

    Wir gehen einerseits weiter auf die Straße und verfolgen andererseits ganz genau, was die Politik macht. Schon bei den Verhandlungen zur Taxonomie haben wir gesehen, dass es sich lohnt nachzufragen. Das passiert wohl bislang wohl eher selten. Jedenfalls wurden manche EU-Abgeordnete nervös, als wir ihnen ein paar Mails schickten. Womöglich kennen sie es nicht, dass jemand wirklich darauf achtet, was in Brüssel passiert. Da liegt für uns ein ganz großes Potenzial: Wir beobachten, was passiert. Und beschaffen uns auf diese Weise Informationen, mit denen wir dann politischen Druck aufbauen können.

    Fridays for Future hat gezeigt, dass Politik reagiert, wenn es “Druck von der Straße” gibt. Jetzt liegen Ergebnisse vor – die Sie für nicht ausreichend erachten. Was muss Ihrer Meinung nach jetzt passieren?

    Wir erleben eine Diskursverschiebung in der Gesellschaft: Die Frage, ob Klimaschutz wichtig ist, ist ausdiskutiert. Heute kann sich kein Politiker, keine Politikerin hinstellen und dies abstreiten. Entscheidend ist nun die konkrete Umsetzung. Entsprechend beschäftigt sich die Zivilgesellschaft jetzt mit Umsetzungs- und Transformationsfragen, die dank unseres breiten Engagements auch angegangen werden. Dazu gehören rund 300 mit uns assoziierte “For Future” Gruppen, getragen von Unternehmern, Lehrern, Eltern oder Bauern. Wir konsolidieren die Mehrheiten für einen echten Klimaschutz und gehen die harten Umsetzungsfragen an, um tatsächlich Emissionen zu mindern. Und das werden wir auch weiter tun.

    Wie wichtig ist der Emissionshandel für die Transformation hin zu einer dekarbonisierten Europäischen Union?

    Auch wenn die Zerstörung unserer Umwelt einen Preis bekommt, ist das nicht die alleinige Lösung. Denn ein Preissystem ist sehr volatil und kann durch langfristige Verträge, Garantien und Subventionen untergraben werden.

    Die Politik sollte die Rahmenbedingungen an vielen Stellen ändern und klare ordnungsrechtliche Lösungen schaffen. Dazu gehört der Ausstieg aus bestimmten Industrien. Das heißt auch, neben der Nachfrageseite sollte die Politik die Angebotsseite im Blick haben. Es gibt wichtige politische Vorhaben: So unterstützt das Europaparlament z.B. das “Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty”, das die Förderung fossiler Energie weltweit stoppen will. Der internationale Vertrag hat zum Ziel, dass kein Land der Welt von der Öl-, Kohle- oder Gasförderung profitiert – ähnlich der Nichtverbreitungsverträge zu Nuklearwaffen und Landminen. Das könnte eine von vielen richtigen Antworten sein.

    Reicht der Umfang des von der EU geplanten Sozialfonds aus, obwohl er niedriger ausfällt als ursprünglich geplant?

    Wir begrüßen den Sozialfonds sehr. Das ist ein wichtiges Instrument. Aber er muss nachgebessert werden.

    Vermissen Sie darüber hinaus Instrumente im Reform-Paket?

    Das Paket ist sehr umfangreich. Aber die zugrundeliegenden Zielvorstellungen sind realitätsfern. Klimapolitik im 21. Jahrhundert muss bedeuten, jede Maßnahme und jedes Gesetz in allen Sektoren auf das 1,5-Grad-Ziel hin zu überprüfen. Ich denke hier an die europäische Agrarpolitik, die sich überhaupt nicht an der Klimapolitik orientiert, an eine verfehlte EU-Taxonomie, die Atom- und Gasenergie als nachhaltig klassifiziert oder an klimaschädliche Subventionen – sie alle untergraben den Green Deal.

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    Termine

    11.1.2023
    Online-Talk The Future on Our Plates – Sustainable Agriculture and Global Food Security (IJP)
    In dem Talk geht es sowohl um die globale Ernährungssicherheit als auch darum, wie bestimmte Länder eine nachhaltigere Landwirtschaft anstreben. Info & Anmeldung

    12.1.2023
    Online-Talk After the COP15 agreement: Are nature credits the key to save the planet?
    Wie kann Afrika seine Position als treibende Kraft bei der Entwicklung von Biodiversitätskrediten stärken? Diese und weitere Fragen diskutieren Expertinnen bei diesem Africa-Talk. Info & Anmeldung

    12.1.2023
    Veranstaltung Vorstellung des Sustainability Transformation Monitor (u.a. Mercator, Bertelsmann)
    Der Sustainability Transformation Monitor befragt Akteure der Real- und Finanzwirtschaft zur Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft. Am 12. Januar werden die Ergebnisse vorgestellt. Info & Anmeldung

    12.1.2023
    Auftaktveranstaltung Der Europäische Sozialfonds Plus für Deutschland
    Mit der neuen Förderperiode will der ESF Plus zu einem sozialeren Europa beitragen und die Europäische Säule sozialer Rechte in die konkrete Praxis umsetzen. Info & Anmeldung

    16.-20.1.2023, Davos
    Treffen, Weltwirtschaftsforum
    Dieses Jahr kommt das Weltwirtschaftsforum im Rahmen von “Cooperation in a Fragmented World” zusammen.

    17.1.2023, Davos
    Diskussion Transforming global supply chains: the road to resilience and sustainability (Economist Impact)
    Eine Leitfrage der Diskussion wird sein: Wie können Unternehmen ihre Lieferketten transformieren? Info & Anmeldung

    17.1.2023, Berlin
    Veranstaltung Agrarkongress 2023 – Lebensgrundlagen schützen, Krisen begegnen (BMUV)
    Bundesumweltministerin Steffi Lemke, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und weitere Referenten stellen konkrete Schritte hin zu einer krisensicheren Landwirtschaft vor. Die Anmeldung ist nur noch für Online-Teilnahmen geöffnet. Info & Anmeldung

    17.-19.1.2023
    Online-Konferenz Emerging Pollutants: Protecting Water Quality for the Health of People and the Environment (UNESCO-IWRA)
    Die Konferenz will aufzeigen, wie die Wasserqualität sich vor neu auftretenden Schadstoffen schützen lässt. Info & Anmeldung

    18.1.2023
    Online-Seminar Nachhaltige Beschaffung – Green Meetings: Umweltfreundliche Veranstaltungen mit nachwachsenden Rohstoffen (FNR)
    Neben einer Einleitung in das Thema umweltfreundliche Veranstaltungen werden in diesem Seminar auch Hinweise für öffentliche Ausschreibungen gegeben. Info & Anmeldung

    18.1.2023, Berlin
    Fachgespräch Klimaverträgliche öffentliche Beschaffung (Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung)
    Das Fachgespräch findet im Paul-Löbe-Haus statt. Anmeldeschluss ist am 13. Januar, um 11 Uhr. Info & Anmeldung

    19.1.2023
    Online-Ergebnispräsentation Forschungsvorhaben Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung (BMUV)
    Ein Forschungskonsortium der Universität Stuttgart die Umweltwirkungen (Treibhausgas und Schadstoffemissionen) verschiedener verkehrsplanerischer und -politischer Maßnahmen ermittelt. Info & Anmeldung

    18.-21.1.2023, Berlin
    Konferenz Global Forum for Food and Agriculture
    Unmittelbar vor der Grünen Woche gibt das GFFA Impulse für die Weiterentwicklung der Ernährungssysteme weltweit. Info & Anmeldung

    20.-29.1.2023, Berlin
    Messe Internationale Grüne Woche
    Erstmals seit 2020 findet die international wichtigste Messe für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau wieder in den Berliner Messehallen statt. Info & Anmeldung

    News

    NGO verklagen Danone wegen Umgang mit Plastik

    Umweltgruppen haben in Frankreich Klage gegen den Lebensmittelkonzern Danone eingereicht. Das Unternehmen habe nicht ausreichend über die Kunststoffe informiert, die in seiner Produktion verwendet werden, sagten die Umweltschützer am Montag. “Wir möchten, dass Danone seinen Bericht zur Sorgfaltspflicht erneut veröffentlicht und speziell über seinen Plastikverbrauch Rechenschaft ablegt, einschließlich einer konkreten Strategie zu dessen Reduzierung“, forderte Antidia Citores von der Meeresschutz-Kampagne Surfrider Foundation Europe.

    Danone zeigte sich in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Reuters von den Anschuldigungen überrascht und wies diese zurück. Danone sei “seit langem als Pionier im Bereich des Umweltrisikomanagements anerkannt” und habe seinen Plastikverbrauch zwischen 2018 und 2021 um zwölf Prozent gesenkt, hieß es. 2025 sollen alle Verpackungen des Konzerns wiederverwendbar, recycelbar oder kompostierbar sein.

    Die NGO reichten die Klage am Montag bei einem Pariser Zivilgericht ein. Immer mehr NGO gehen rechtlich gegen große Unternehmen vor und berufen sich dabei auf ein nationales Gesetz zu Sorgfaltspflichten. Seit 2017 müssen alle Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten in Frankreich oder weltweit 10.000 Beschäftigten – quer durch alle Branchen – menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einhalten. Sie müssen Risiken aus den Bereichen Menschenrechten, Grundfreiheiten, Gesundheit und Umwelt identifizieren und schwerwiegenden Verletzungen dieser Rechte vorbeugen. NGO kommt in dem Fall des französischen Gesetzes eine wichtige Rolle bei dessen Umsetzung zu.

    Im Gegensatz zu einem ähnlichen Fall, der gegen den Ölriesen TotalEnergies wegen eines umstrittenen Pipelineprojekts in Afrika angestrengt wurde, wollen die Umweltorganisationen Surfrider und ihre Partner jedoch keine strafrechtlichen Schritte gegen Danone anstrengen. Reuters/cd

    • Handel
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    • Lieferkettengesetz
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    US-Senat befragt Autohersteller zu Zulieferungen aus Zwangsarbeit in Xinjiang 

    Der Vorsitzende des Finanzausschusses im US-Senat, Ron Wyden, hat am 22. Dezember Briefe an Honda, Ford, GM, Mercedes-Benz, Stellantis, Tesla, Toyota und Volkswagen verschickt. Er will von den Autobauern wissen, wie sie sicherstellen, dass kein Material aus Zwangsarbeit in der westchinesischen Region Xinjiang in ihren Lieferketten verwendet werden. Außerdem interessiert ihn, ob die Unternehmen jemals Geschäftsbeziehungen beendet haben, weil Zulieferer entsprechende Verdachtsmomente nicht entkräften konnten. 

    Hintergrund des Schreibens ist eine aktuelle Studie der britischen Sheffield Hallam University. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass “praktisch jeder große traditionelle Automobil- und Elektrofahrzeughersteller in erheblichem Maße der Zwangsarbeit in der Uiguren-Region ausgesetzt ist”. Zulieferer, die Zwangsarbeiter einsetzen, seien laut Studie in der Förderung von Rohstoffen, deren Verarbeitung und Veredelung sowie in der Teilefertigung tätig. 

    Vor einem Jahr hat der US-Kongress den Uyghur Forced Labor Prevention Act verabschiedet, der Importe aus der Region Xinjiang generell verbietet, wenn nicht nachwiesen werden kann, dass sie ohne Zwangsarbeit hergestellt wurden. Die EU wiederum plant ein allgemeines Vermarktungsverbot für Produkte aus Zwangsarbeit. Es könnte in den kommenden Monaten beschlossen werden und würde auch für Einfuhren aus China gelten. 

    Die Situation in Xinjiang ist zudem eine erste Bewährungsprobe für die Wirksamkeit des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Es ist Anfang des Jahres in Kraft getreten und verpflichtet Konzerne wie Volkswagen und Mercedes-Benz, für die Einhaltung der Menschenrechte in ihren globalen Lieferketten zu sorgen. Das Verbot von Zwangsarbeit ist dabei ein zentraler Punkt. nh/ch

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    Manager-Boni werden vermehrt an ESG-Kriterien gebunden

    Eine jüngst veröffentliche Untersuchung der weltweit tätigen Beratungsgesellschaft Willis Towers Watson (WTW) zeigt, dass ESG-Kriterien eine immer wichtiger für die Vergütungssysteme von Führungskräften werden. Grund sei der zunehmende Druck von Anlegern, Kunden, Aufsichtsbehörden und Mitarbeitern.

    Als Datenbasis dienten die Berichte von 885 großen Aktiengesellschaften aus den USA, Kanada und Europa. Danach

    • berichten 69 Prozent der US-Unternehmen, ihr Vergütungssystem beinhaltet mindestens ein ESG-Kriterium. Im Vorjahr waren es noch 60 Prozent. Bei europäischen Firmen lag die Quote mit 90 Prozent (2021: 79 Prozent) deutlich darüber,
    • haben 67 Prozent der US-Aktiengesellschaften ESG-Kriterien in ihren kurzfristigen und 8 Prozent in ihren langfristigen Vergütungssystemen verankert. Bei europäischen Unternehmen hat sich die Quote bei langfristigen Systemen innerhalb von zwei Jahren auf 44 Prozent verdoppelt,
    • kündigen 5 Prozent der US-Unternehmen an, ESG-Kriterien neu in die Vergütungssysteme ihrer Führungskräfte aufnehmen zu wollen. Andere planen, sie zu erweitern oder anzupassen. Vergleichbare Ankündigungen machten 38 Prozent der europäischen Firmen.

    WTW-Direktor Kenneth Kuk erwartet, dass dieser Trend sich noch verstärkt, weil sich “die Messung, Berichterstattung und Steuerung von ESG-Kennzahlen in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird”. Das vereinfache ihre Anwendung in Vergütungssystemen. ch

    • ESG-Kriterien
    • Unternehmen
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    Munich Re: Naturkatastrophen werden teurer

    Der Rückversicherer Munich Re erwartet in den kommenden Jahren weltweit steigende Schäden durch Naturkatastrophen. Im Jahr 2022 verursachten Überschwemmungen, Stürme, Waldbrände und andere Naturkatastrophen volkswirtschaftliche Schäden von 270 Milliarden Dollar, wie das Unternehmen am Dienstag mitteilte. Damit reiht sich das Jahr in die “schadenintensiven” vergangenen fünf Jahre ein. Die teuerste Katastrophe war mit 100 Milliarden Dollar der Hurrikan “Ian”, der Ende September 2022 auf die US-Ostküste traf.

    Versicherungen tragen zunehmend die Kosten von Naturkatastrophen: Von den 270 Milliarden Gesamtschaden der Naturkatastrophen-Bilanz waren rund 120 Milliarden versichert. Dabei sind zwei Faktoren wichtig: Natürliche Zyklen wie La Niña begünstigen Hurrikane in Nordamerika, Hochwasser in Australien, Hitze und Trockenheit in China oder stärkere Monsun-Niederschläge in Südasien. Der Klimawandel fördert diese Wetterextreme – sodass sich Effekte mitunter verstärken.

    Die Munich Re dokumentiert seit Jahrzehnten die Schäden durch Naturkatastrophen, weil sie das Risikomanagement beeinflussen. Der Rückversicherer sieht sich als Pionier bei der Analyse der Auswirkungen der anthropogenen globalen Erwärmung und damit des Klimawandels. Die vergangenen acht Jahre waren die wärmsten überhaupt und der damit verbundene höhere Energieinhalt in der Atmosphäre verändere die Risikoeinschätzung. Zwar ließen sich einzelne Schadenereignisse nicht allein auf den Klimawandel zurückführen. Die Analyse langfristiger Trends von meteorologischen Daten in Verbindung mit versicherungstechnischen und sozioökonomischen Daten liefert jedoch wichtige Hinweise auf sich ändernde Risiken aus Unwettergefahren. DPA/tse

    • Klima & Umwelt
    • Klimawandel

    Studie: Mehr Work-Life-Balance ist auch gut für Unternehmen

    Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben kommen nicht nur den Arbeitnehmern zugute, sondern auch den Unternehmen. Das ist das Ergebnis der Studie “Working Time and Work-Life Balance around the World”. Sie wurde Anfang Januar von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mit Sitz in Genf vorgestellt und spricht von einer Win-Win-Situation. Als positive Effekte für die Arbeitgeber nennt sie: eine größere Loyalität der Mitarbeiter, verbesserte Rekrutierungsbedingungen am Arbeitsmarkt, geringere Fehlzeiten und eine höhere Produktivität.

    Great Resignation hat den Arbeitsmarkt verändert

     “Das Phänomen der sogenannten Great Resignation hat in der post-pandemischen Welt einen hohen Stellenwert in sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fragen bekommen”, hebt Jon Messenger hervor. Er leitet die Working Conditions Group der ILO und ist Co-Autor der Studie. Zentral sei dabei die Work-Life-Balance. Der ILO-Experte rät deshalb, Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen und “einen sehr sorgfältigen Blick auf die Struktur und die Länge der Arbeitszeit” zu werfen.

    Die Great Resignation bezeichnet die seit Corona sprunghaft angestiegene Bereitschaft von Beschäftigten, ihre bisherige Arbeit zu hinterfragen und freiwillig zu kündigen bzw. sich einen anderen Job zu suchen. Das gilt Meinungsforschern zufolge auch für Deutschland. Als Ursache gilt die krisenbedingte Höherbewertung von Gesundheit, Lebenszufriedenheit und sozialem Umfeld. Gleichzeitig klagen immer mehr Menschen über große Arbeitsbelastung und Stress.

    Längere Arbeitszeiten sind kontraproduktiv

    Die ILO-Studie warnt deshalb davor, dem Arbeits- und Fachkräftemangel in vielen Ländern mit einer Verlängerung der Arbeitszeit und kürzeren Pausenzeiten zu begegnen – zumal längere Arbeitszeiten in aller Regel mit niedrigerer Arbeitsproduktivität einhergingen. Zielführender sei stattdessen eine Debatte über flexible Arbeitszeitmodelle und Teilzeitarbeit. Die Möglichkeiten der Telearbeit und die jüngsten Erfahrungen mit Homeoffice böten dafür gute Ansatzpunkte. ch

    • Arbeit
    • Arbeitnehmerrechte
    • ILO

    Presseschau

    Hat der Amazonas seinen “Tipping-Point” erreicht? NEW YORK TIMES
    ESG-Investments: In China droht ein Erwachen FINANCIAL TIMES
    EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte setzt Maßstäbe THE GUARDIAN
    Die schwedische Jugend klagt für mehr Klimaschutz SUEDDEUTSCHE
    Woher deutsche Klimaaktivisten Geld bekommen SUEDDEUTSCHE
    Kann die Nordsee das neue wirtschaftliche Zentrum Europas werden? THE ECONOMIST
    Wie heimischer Bergbau Deutschland unabhängiger von China machen soll TAGESSPIEGEL
    Wie Unternehmen mit Öko-Krediten Geld sparen HANDELSBLATT
    In den USA erstmals mehr Investments in Erneuerbare als in fossile Energien BLOOMBERG
    Deutschland bricht den Rekord in Windenergie BLOOMBERG
    Im Dezember fielen Lebensmittelpreise zum neunten Mal in Folge THE WALL STREET JOURNAL
    Illegale Fischerei: EU stuft Kamerun als “nicht-kooperierendes Land” ein EURACTIV
    Podcast: Die Lösung des Mikroplastikproblems in der Kleidung THE FUTURE OF EVERYTHING
    Kohle-Rückkehr lässt die Klimaziele platzen ZDF
    Norwegen will Deutschland mit Wasserstoff versorgen FAZ
    Die Hälfte der Gletscher der Erde könnte trotz Erreichung von Klimazielen schmelzen THE WASHINGTON POST

    Standpunkt

    Das EU-ETS-System – ein Modell für einen globalen Emissionshandel

    Von Ruth von Heusinger
    Ruth von Heusinger ist Diplom-Physikerin und Geschäftsführerin der gGmbH ForTomorrow.

    Das EU-ETS-System hatte einige Schwachstellen, aber nach seiner Reform bietet es nun eine gute Vorlage, um sich weltweit daran zu orientieren. Die Zeit dafür drängt. Denn um das Übereinkommen von Paris einzuhalten, also den weltweiten Temperaturanstieg auf möglichst 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu beschränken, dürfen wir nur noch eine begrenzte Menge an Treibhausgasen in die Atmosphäre emittieren. Bei gleichbleibenden weltweiten Emissionen ist dieses sogenannte Restbudget (das “Cap”) in gut sechs Jahren aufgebraucht. Für die Begrenzung auf 1,5 Grad müssen die Emissionen gegenüber 2010 bis 2030 um 45 Prozent sinken. 

    Wichtig ist, dass dieses Cap effizient verteilt wird. Aus meiner Sicht wäre dafür ein weltweites “Cap and Trade System” am besten geeignet. Allerdings sollten die politisch Handelnden aus den Fehlern lernen, welche die EU früher gemacht hat. Seit 2005 gibt es den EU-Emissionshandel (EU-ETS), ein Cap and Trade System für Treibhausgase. Die EU hat das Cap festgesetzt und versteigert dieses in Form von Emissionsrechten. Emittenten müssen sich für jede Tonne CO₂ Äquivalente (CO₂eq) ein Emissionsrecht kaufen. So wird sichergestellt, dass das festgesetzte Cap nicht überschritten werden kann und Emissionen dort reduziert werden, wo es am kostengünstigsten ist. 

    Allerdings setzte die EU das Cap bei seiner Einführung 2005 viel zu hoch an – ein Geburtsfehler. Das führte dazu, dass nach der Weltwirtschaftskrise 2008 die Preise für Emissionsrechte sogar bei nur rund sechs Euro pro Tonne lagen. Viel zu niedrig, um Anreize für Investitionen in neue klimafreundliche Technologien zu setzen. Und die Preise waren auch zu niedrig, als dass die EU Klimaschutzmaßnahmen über die Einnahmen aus dem Verkauf der Emissionsrechte adäquat hätte finanzieren können. Der Preis stieg erst infolge der Einführung der Marktstabilitätsreserve im Jahr 2020 und die Aussicht auf eine Reform des Systems. Trotz des gravierenden Geburtsfehlers hat der ETS bereits zu deutlichen Emissionsreduzierungen geführt. Seit seiner Einführung sind die Emissionen in den regulierten Sektoren um rund 43 Prozent gesunken. Einen weiteren Geburtsfehler hat die EU nun ebenfalls beseitigt. Bislang deckte der ETS nur rund 40 Prozent aller Emissionen ab. 

    EU-ETS-Reform ist richtungsweisend für einen globalen Emissionshandel

    Aber kurz vor Weihnachten 2022 beschloss die EU eine Verschärfung und Ausweitung des ETS, die man auch als richtungsweisend für einen globalen Emissionshandel verstehen kann. Die EU, die das das weltweit größte und älteste Emissionshandelssystem betreibt, zeigt jetzt, wie Sektoren (hier: Gebäude und Verkehr) in ein Cap and Trade System integriert werden können. Damit fungiert sie als Vorbild für andere Staaten, beispielsweise für China mit seinem 2021 gestarteten Emissionshandelssystem.

    Außerdem schafft die EU die notwendige soziale Flankierung des ETS. Zur Bekämpfung von Energie- und Mobilitätsarmut schafft sie einen Klima-Sozialfonds, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert, weil beispielsweise Einnahmen aus dem Emissionshandel in sozial wirksame Investitionen fließen, beispielsweise den öffentlichen Nahverkehr oder die Gebäudesanierung, wovon gerade auch Menschen mit geringerem Einkommen profitieren. 

    Ab 2024 erfasst der Mechanismus der EU auch die Schifffahrt, die für drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Hier geht die EU einen wichtigen Schritt in Richtung eines globalen ETS, denn sie erfasst nicht nur innereuropäische, sondern auch außereuropäische Routen.

    Ein weiterer global wichtiger Schritt der EU ist der ab 2026 greifende Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), ein CO₂-Grenzausgleichssystem. Güter, die in die EU importiert werden, müssen einen zum EU-ETS äquivalenten CO₂-Preis bezahlen. CO₂-Preise, die im Ursprungsland gezahlt wurden, sollen anrechenbar sein. Wenn diese Umsetzung in der Praxis gelingt, wäre dies für ein weltweites System ebenfalls ein Vorbild. 

    Natürlich werden durch diese politischen Maßnahmen bestimmte treibhausgasintensive Güter erstmal teurer. Der Preis pro Tonne CO₂eq liegt derzeit vor Steuern bei rund 80 Euro. Aber die Versteigerung der Emissionsrechte bringt Rekordeinnahmen – die zu 100 Prozent in Klimamaßnahmen investiert werden müssen. 

    Das Cap muss konsequent sinken!

    Allerdings bewirkt ein hoher Emissionsrechtepreis allein noch keine Reduktion der Treibhausgase. Er sorgt erstmal nur dafür, dass eine klimafreundliche Transformation unterstützt wird. Die Emissionsreduktion wird durch das Cap festgelegt. Auch das mittlerweile deutlich abgesenkte Cap ist noch immer zu hoch für den Pfad, der die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzt. Hier muss die EU nachbessern, um wirklich Vorbild für ein globales ETS zu sein. 

    Um den Prozess zu beschleunigen, können parallel Bürger aktiv werden – indem sie Emissionsrechte kaufen und ungenutzte Zertifikate stilllegen. So kann das Cap gesenkt werden und damit sichergestellt werden, dass in der EU weniger CO₂ ausgestoßen wird. Tonne für Tonne, Emissionsrecht für Emissionsrecht können wir selbst den Prozess beschleunigen und dafür sorgen, dass das EU-ETS wirklich zum Vorbild für ein globales ETS wird.

    Als Vorbild taugt die EU aber nur, wenn sie konsequent das Cap senkt. Ein weltweites Arrangement ist entscheidend, weil wir die Klimakrise nur gemeinsam lösen können. Und um langfristig weltweit klimaneutral zu wirtschaften, sollten in einem globalen ETS die Emissionsrechte von denen verkauft werden, die eine äquivalente Menge an Treibhausgasen aus der Luft holen.

    Ruth von Heusinger, Diplom Physikerin, arbeitete erst im Bereich erneuerbare Energien und Emissionshandel bei Statkraft und dann im Markt der freiwilligen CO₂-Kompensation bei atmosfair. Was fehlte, war die Möglichkeit, mit Klimaschutzmaßnahmen in Europa zu kompensieren. Darum gründete sie im Jahr 2019 die gemeinnützige GmbH ForTomorrow. 

    • Emissionshandel
    • EU
    • Green Deal
    • Klimaschutz

    Heads

    Ole Seidenberg – Natur profitiert von High-Tech

    Ole Seidenberg ist Co-Founder von Skyseed, das mit Drohnen Pflanzen sät.
    Ole Seidenberg ist Co-Founder von Skyseed, das mit Drohnen Pflanzen sät.

    Im Studium der Soziologie, Politik und Psychologie lernt Ole Seidenberg, dass Organisationsstrukturen die Wirksamkeit von Unternehmen beeinflussen – und dass Hierarchien zum Selbstzweck werden können. Er gründet 2009 zunächst eine Kommunikations-Agentur mit dem Ziel, soziale und ökologische Ziele der Öffentlichkeit wirksam zu kommunizieren (Wigwam), später mit Open State eine Beratung, die gemeinsam mit Unternehmen neue systemische Strukturen zu entwickeln sucht, um aufrichtigere und am Gemeinwohl orientierte Unternehmenskulturen zu ermöglichen. Damit schafft er Räume für andere Arten der Innovation. Das waren z.B. Camps, in denen die Beteiligten manchmal über Wochen neue Erfahrungen sammelten und diese dann in ihr Unternehmen brachten, oder es war der Umbau vorhandener Räume wie z.B. einer Notunterkunft für Geflüchtete in Berlin gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern.

    Nachhaltigkeitsthemen und vor allem den Klimawandel dachten er und seine Kollegen schon immer mit. Dennoch wollten sie mehr: Es ist das eine, Unternehmen in Workshops mit den Herausforderungen des Klimawandels zu konfrontieren – und es ist etwas anderes, in diesem Feld unmittelbar wirksam zu werden. Letzteres war die Motivation für Seidenberg, gemeinsam mit Freunden desselben Umfelds Skyseed zu gründen, ein Unternehmen, das auf einen klar umrissenen Bedarf antwortet. Und das für diesen Bedarf eine technologische Lösung entwickeln will, die ähnlich “skalierbar” ist wie traditionelle “Platform-Unternehmen”, dabei aber nicht gegen, sondern mit natürlichen Ressourcen und Prozessen arbeitet. Denn die Aufgabe ist so umfangreich, dass exponentielles Wachstum zur Lösung gehört – aber eben innerhalb planetarer Grenzen.

    Renaturierung von Böden mithilfe von Drohnen

    Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) weist 2022 für Wald in Deutschland mehr als 500.000 Hektar Schadfläche aus. Skyseed setzt Drohnen ein, um mit Kraut-, Strauch- und Baumsamen gefüllte Pellets auszubringen. Diese “erste Hilfe” für Renaturierung erfordert eine genaue Bodenanalyse und wird unterstützt durch detaillierte Klimasimulationen einerseits und Feld-Versuche andererseits. Die Entwicklung der Pellet-Mischung, als auch die Auswahl der einzusetzenden Samen erfolgt dabei “in Startup-üblicher Taktung, obwohl das Erforschen eines solchen Produktes eigentlich Jahre dauern würde”, wie Seidenberg sagt, denn “wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn wir erst 10 Jahre das Produkt entwickeln, ist es für die Regeneration der Böden mitten in der Klimakrise vielleicht schon zu spät.”. Skyseed orientiert sich an der natürlichen Sukzession, denkt diese jedoch unter den Bedingungen des Klimawandels weiter.

    Wachsen kann Skyseed auch dank starker Unterstützung aus der Venture Capital Szene, die die Bedeutung von “Climate Tech Lösungen” zunehmend erkennt. Mit insgesamt 2,6 Millionen Euro wurde das Unternehmen bisher ausgestattet, angesichts der zahlreichen Herausforderungen in Hardware und Ökologie dennoch gerade genug, um seriös zu starten. “Immerhin: Wald- und Landbesitzer jeglicher Art verstehen die Mehrwerte unserer Lösung sofort, selbst wenn wir kaum vergleichbar zur klassischen Aufforstung sind. Es wird zunehmend deutlich, dass nur mit einer diversen Artenmischung und gesunden Böden mittelfristig noch Geld auf der Fläche verdient werden kann, auch, wenn dazu ein Paradigmenwechsel nötig ist”, sagt Seidenberg.

    Wie aber skalieren? Gelingen soll dies vor allem mit einer starken Vergrößerung der Pellet-Produktions-Kapazitäten, denn beim Aufbau der Drohnen-Befliegung seien die Hürden vergleichsweise leicht zu nehmen: “Ist unsere Saat-Drohne einmal ausgereift, können wir in wenigen Schritten auch Europa-weit befliegen, voraussichtlich mit einem dezentralen Netzwerk an geschulten Saat-Piloten und Pilotinnen.” Entscheidend, so Seidenberg, sei die Auswahl und der Bezug der richtigen Arten für die jeweilige Region und das vorhandene Boden-Biom. Torsten Sewing

    • Klima & Umwelt
    • Renaturierung
    • Start-ups
    • Technologie

    Dessert

    Das Baguette muss gerettet werden. Darüber sind sich die Franzosen einig. An der Spitze der Bewegung: Staatspräsident Emmanuel Macron. Bäckern und Konditoren, die sich zum katholischen Dreikönigsfest im Élysée-Palast versammelt hatten, sicherte er jede erdenkliche Unterstützung zu, damit das weltbekannte Stangenweißbrot nicht steigenden Energiepreisen und der grassierenden Inflation zum Opfer fällt. Zuvor hatte er in dieser Sache bereits Premierministerin Élisabeth Borne und Finanzminister Bruno Le Maire vor die Presse geschickt. Nicht zu vergessen die “Operation Baguette”. In einer konzertierten Aktion tauchten in den letzten Tagen Abgeordnete der Regierungsparteien in Bäckereien ihrer Wahlkreise auf, um über staatliche Hilfen zu informieren.

    Im säkularen Frankreich ist La Baguette eine Art Nationalheiligtum. Seit letztem Jahr gehört es auch zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe. Es gibt eine Art Reinheitsgebot und ein bußgeldbewehrtes Dekret aus Zeiten der Revolution. Das wurde 1790 erlassen und stellt sicher, dass jeden Tag im Jahr in fußläufiger Entfernung frisches Baguette gekauft werden kann. Doch viel wichtiger ist, dass es im allgemeinen Bewusstsein die traditionelle französische Handwerkskunst repräsentiert: “250 Gramm Magie und Perfektion” (Emmanuel Macron).

    Jenseits allen Lokalkolorits verweist die französische Baguette-Debatte auf ein weit größeres Problem. Handwerker und Kleinunternehmen stehen nicht nur für Tradition und lebendige Nachbarschaften. Sie bilden auch das Rückgrat regionaler Wirtschaftskreisläufe, die wiederum das Herzstück einer nachhaltigen Transformation darstellen. Sind diese kleinsten ökonomischen Einheiten erst einmal verschwunden, lassen sie sich kaum wiederbeleben. Anlass genug, sie in besonderem Maße vor Krisen und Anpassungsrisiken zu schützen und ihre Zukunftsfähigkeit zu fördern – in Frankreich wie anderswo. Carsten Hübner

    ESG.Table Redaktion

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