ich begrüße Sie zur ersten Ausgabe des ESG.Table im neuen Jahr! Wir blicken auf spannende und für die Transformation enorm wichtige Monate.
Bis Ende 2024 könnten sich viele Mehrheiten verschieben: Bei der Europawahl im Juni, der US-Präsidentschaftswahl im November und einer Reihe von Kommunal- und Landtagswahlen in Deutschland droht ein Rechtsruck. Aktuelle Projektionen sagen dem rechten Parteienspektrum signifikante Zugewinne voraus. Damit könnten wichtige Transformationsvorhaben auf verschiedenen politischen Ebenen den nötigen politischen Rückhalt verlieren.
Auf EU-Ebene haben die Debatten um das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, um die Verpackungsverordnung oder um den Einsatz von Pestiziden im vergangenen Jahr gezeigt, wie tief die ideologischen Gräben bei wichtigen Transformationsthemen bereits sind und welche Folgen dies hat. Die konservativen Fraktionen im Parlament haben, unterstützt von großen Teilen der Industrie, erfolgreich versucht, wichtige Vorhaben zu verhindern oder abzuschwächen. In Brüssel wird daher bis zur Wahl am 9. Juni auf Hochtouren gearbeitet, um Gesetzesvorhaben des Green Deal noch rechtzeitig abzuschließen.
In Deutschland werden die Spielräume für die Gestaltung der Transformation und eine Abfederung von deren Belastungen für Wirtschaft und Bevölkerung durch die wohl anhaltend schwache Konjunktur geschmälert: Auch für 2024 erwarten Experten keine Trendwende. Stattdessen wird das Bruttoinlandsprodukt möglicherweise sogar schrumpfen. Damit ist die Lage in Deutschland schwieriger als etwa in den USA, Frankreich oder China, wo die Wirtschaft wahrscheinlich wieder wachsen wird.
Welche Folgen hat dies für die soziale und ökologische Transformation? Darüber halten wir Sie auch 2024 auf dem Laufenden – sogar öfter als bisher. Ab der kommenden Woche wird der ESG.Table zweimal wöchentlich erscheinen, mittwochs und freitags.
An unserem heutigen Jahresausblick haben Carsten Hübner, Alex Veit, Nicolas Heronymus, Caspar Dohmen, Marc Winkelmann sowie die Kolleginnen und Kollegen vom Climate.Table und Agrifood.Table mitgewirkt.
Ihnen alles Gute für 2024!
Datum: 1. Januar 2024
Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden und damit seinen Beitrag zum internationalen Klimaschutz leisten. Doch im Wärmesektor hinkt die Emissionsminderung den Zielen hinterher: In den vergangenen Jahren wurden die im Klimaschutzgesetz festgelegten CO2-Einsparungen mehrfach in Folge nicht erreicht. Das liegt auch daran, dass immer noch rund drei Viertel aller Haushalte mit fossilem Öl oder Gas heizen.
Am 1. Januar 2024 traten deshalb die 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) und das Wärmeplanungsgesetz (WPG) in Kraft. Sie wurden Ende 2023 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Das GEG ist ein zentraler Baustein der Wärmewende in Deutschland. Es schafft die gesetzliche Grundlage für den Umstieg auf erneuerbare Energien und damit die Dekarbonisierung des Wärmesektors. Die Umsetzung erfolgt stufenweise:
Die vom Bund zur Verfügung gestellten Fördermittel für die Dekarbonisierung des Wärmebereichs wurden Ende des Jahres beschlossen. Abschließend genehmigt werden sollen die Mittel für 2024 aber erst im Rahmen der Haushaltberatungen Ende Januar.
Datum: 1. Januar 2024
Der Anwendungsbereich des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) wird ab dem 1. Januar 2024 ausgeweitet: Waren vorher Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten betroffen, so sind nun alle Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten dazu verpflichtet, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung und Sorgfaltspflicht in ihren Lieferketten besser nachzukommen. Sie müssen unter anderem ein Risikomanagement einrichten, Präventionsmaßnahmen verankern, Beschwerdeverfahren einrichten und die Berichterstattung über das Lieferkettenmanagement dokumentieren.
Über das EU-Sorgfaltspflichtengesetz haben sich das EU-Parlament und der Rat im Dezember geeinigt. Sobald beide Institutionen das Ergebnis der Verhandlungen formal angenommen haben, wird es im Amtsblatt veröffentlicht und tritt 20 Tage später in Kraft. Bis die Richtlinie rechtlich bindend ist, müssen die Mitgliedstaaten sie allerdings erst in nationales Recht umsetzen. Dies wird voraussichtlich etwa zwei Jahre dauern.
Datum: 10. Januar 2024
Kurz vor Weihnachten haben sich die EU-Mitgliedstaaten im Umweltrat auf eine Position geeinigt; die Verhandlungen beginnen voraussichtlich am 10. Januar. Wegen der kontroversen Positionen zu dem Gesetz ist ungewiss, wie lange die Verhandlungen dauern werden. Die Verhandler streben eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode an.
Die EU will mit dem Gesetz das enorm gestiegene Aufkommen von Verpackungsmüll eindämmen. Jeder Bundesbürger verursachte 2021 im Schnitt 237 Kilogramm Verpackungsabfälle, mehr verbrauchten in der EU nur die Iren (246 Kilogramm).
Der Gesetzentwurf war von massiven Lobbykampagnen begleitet. Die Industrie wehrt sich gegen die geplanten Mehrwegquoten und Verbote bestimmter Einwegverpackungen. Diese beiden Themen gehören in den anstehenden Verhandlungen zwischen Rat und EU-Parlament zu den größten Knackpunkten.
Datum: 1. Februar 2024
Das zweite und letzte politische Trilog-Treffen zur “Recht auf Reparatur”-Richtlinie findet am 1. Februar in Brüssel statt. Damit sollte das Dossier noch vor den Europawahlen abgeschlossen sein. Mit der Richtlinie will die EU den nachhaltigen Konsum und die Kreislaufwirtschaft stärken. Reparaturen sollen vereinfacht, Abfall reduziert und die Reparaturbranche insgesamt gefördert werden.
Datum: Anfang 2024 (Haushaltsdebatte)
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat den Umweltbonus für den privaten Neukauf von Elektrofahrzeugen zum 18. Dezember 2023 abrupt gestoppt. Er sollte ab dem 1. Januar 2024 für vollelektrische Pkw mit einem Nettolistenpreis von bis zu 45.000 Euro insgesamt 4.500 Euro betragen und eigentlich erst Ende 2024 auslaufen. Der geplante Bundesanteil am Umweltbonus betrug 3.000 Euro, die Hersteller sollten 1.500 Euro beisteuern.
Hintergrund für die plötzliche Entscheidung ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sondervermögen und die deswegen von der Ampel-Spitze beschlossenen Einsparungen im Bundeshaushalt 2024.
Ob die Förderung tatsächlich ganz ausläuft, ist noch offen. Denn aus der SPD-Bundestagsfraktion sind inzwischen Forderungen nach einer Anschlussfinanzierung des Programms laut geworden. Dafür wolle man sich im Rahmen der Anfang des Jahres anstehenden Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 einsetzen. Auch der Verband der Automobilindustrie und der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe hatten die Entscheidung scharf kritisiert.
Eine Reihe von Herstellern hat inzwischen angekündigt, den wegfallenden Anteil des Bundes am Umweltbonus gegebenenfalls selbst zu tragen. Angesichts des schwächelnden Absatzes von Elektroautos in Deutschland scheint dies auch notwendig. Laut Experten sind sie im Vergleich zu Verbrennern einfach zu teuer.
Datum: Anfang 2024
Eigentlich sollte der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angekündigte gemeinsame Entwurf von BMAS und BMWK für ein Bundestariftreuegesetz bereits im Sommer 2023 vorliegen. Doch das Vorhaben verzögert sich. Nun heißt es, der Gesetzentwurf werde Anfang 2024 in die Verbändebeteiligung gehen und im Laufe des Jahres verabschiedet werden.
Nach einem ersten Entwurf sollen Aufträge des Bundes ab einem Wert von 10.000 Euro künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden, die ihre Beschäftigten nach einem für die jeweilige Branche repräsentativen Tarifvertrag bezahlen. Welcher maßgeblich ist, soll der Bund per Verordnung festlegen. Die neuen Regelungen sollen für alle Branchen gelten und die Tariftreueversprechen der Auftragnehmer einer wirksamen Kontrolle unterworfen werden. Bei Verstößen sind Vertragsstrafen, eine Nachunternehmerhaftung sowie der Ausschluss vom Vergabeverfahren vorgesehen.
Ziel des Bundestariftreuegesetzes ist es, die Tarifbindung zu stärken. Derzeit profitieren nur noch rund die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland von Regelungen, die Tarifpartner ausgehandelt haben. Im Jahr 2000 waren es noch mehr als zwei Drittel gewesen.
Datum: Mitte Januar
Die im Dezember veröffentlichte Stromspeicherstrategie will das BMWK mit der Branche diskutieren – erste Stellungnahmen erwartet das Ministerium Mitte Januar. Die Strategie soll mehr Flexibilität im Energiesystem ermöglichen, beispielsweise um Dunkelflauten zu überbrücken. Ein Teil der Strategie befasst sich mit
Wichtige Infrastrukturelemente in der Strategie sind
Datum: Anfang 2024
Die EU-Ökodesign-Verordnung tritt Anfang 2024 in Kraft. Sie schreibt neue Anforderungen für ein nachhaltigeres Produktdesign vor und verbietet die Vernichtung von unverkaufter Kleidung und Schuhen. Rat und Parlament hatten sich im Dezember darauf geeinigt. Die Kommission muss innerhalb von neun Monaten einen Arbeitsplan vorlegen, für welche Produkte sie welche Ökodesign-Kriterien anhand von Delegierten Rechtsakten festlegen will. Auf Druck des Parlaments muss sie dabei bestimmte Waren prioritär behandeln: Textilien, Eisen, Stahl, Aluminium, Möbel, Reifen, Waschmittel, Farben, Schmiermittel und Chemikalien.
Datum: 1. Quartal 2024
Zu Wasserstoffkraftwerken hat Robert Habeck bereits im Februar des zurückliegenden Jahres eine Kraftwerkstrategie angekündigt, konnte den Zeitplan aber nicht halten. Trotzdem sollen bis spätestens 2038 alle Kohlekraftwerke erst durch Gas- und später Wasserstoffkraftwerke ersetzt werden. Nun soll die Strategie Habeck zufolge im ersten Quartal kommen, und erste Ausschreibungen bis Mitte des Jahres.
Dazu gehört auch die Schaffung eines Wasserstoff-Kernnetzes, wozu bereits Vorschläge des BMWK vorliegen, ebenso der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, die mittels des europäischen IPCEI-Formats gefördert werden soll.
Datum: April 2024
Die alle vier Jahre erfolgende Überarbeitung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie findet dieses Mal kurz nach der Halbzeit der Agenda 2030 statt. Die SDG-Bilanz ist auch hierzulande dürftig: In Deutschland droht bei 44 Prozent der 75 mit Indikatoren hinterlegten Zielen eine “wesentliche Zielverfehlung”. Deshalb soll die Strategie verbindlicher und wirksamer werden. Dafür will die Bundesregierung prüfen, inwieweit Indikatoren und Ziele überarbeitet werden können, um Fortschritte treffender messen und steuern zu können. Der Prozess läuft seit vergangenem Oktober.
Im März soll es eine erste “Dialogfassung” geben, die auf Grundlage der Bürgerbeteiligung erarbeitet wird und ab April online kommentiert werden kann. Die finale Fassung will das Kabinett im Winter 2024 verabschieden. Zu den Schwerpunkten der Bundesregierung im Zuge der Überarbeitung ist für den 19. Januar im Bundestag eine Debatte zu dem Regierungsbericht “Halbzeit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung” angesetzt.
Datum: Bald
Für die energieintensive Industrie, die unter hohen Strompreisen leidet, will das BMWK bald Klimaschutzverträge ausschreiben, wartet aber noch auf die Zustimmung der EU-Kommission. Klimaschutzverträge sollen die Risiken unternehmerischer Investitionen in klimafreundlichere Technologien und Produktionsweisen mit öffentlichem Geld absichern.
Datum: Zeitnah
Deutschland und die EU wollen sich vom Import wichtiger Rohstoffe unabhängiger machen, insbesondere, um die große Abhängigkeit von China zu reduzieren. Gleichzeitig steigt der Bedarf enorm: Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und Kupfer sind für strategisch wichtige Technologien wie Solarpanele, Windräder und Batterien notwendig.
Im vergangenen Jahr hat die EU den Critical Raw Materials Act verabschiedet, der strategischen Rohstoffprojekten Anschub geben soll. Die Bundesregierung hat Eckpunkte für eine deutsche Rohstoffstrategie formuliert, die in die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie einfließen werden. Darüber hinaus hat sie im Koalitionsvertrag eine Reform des Bundesberggesetzes geplant: Damit soll der heimische Rohstoffabbau ökologisch ausgestaltet und erleichtert werden. Auch geopolitisch sei die Weiterentwicklung des Bergrechts wichtig, um die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu sichern, so das Bundeswirtschaftsministerium.
Im vergangenen Jahr hat das Ministerium bereits einen Konsultationsprozess durchgeführt und Eckpunkte erstellt. Der Entwurf befindet sich nun in der finalen Abstimmung; die Ressortabstimmung soll zeitnah eingeleitet werden. Die Eckpunkte sollen die Grundlage für einen Referentenentwurf bilden.
Datum: Zeitnah
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist der Bevölkerung 2024 noch eine Ernährungsstrategie schuldig. Die bereits für das vergangene Jahr versprochene Strategie hatte es Mitte November zwar in die Ressortabstimmung geschafft, war dann aber nicht mehr wie angekündigt zum Jahresende von der Bundesregierung beschlossen worden. “Zeitnah” soll das laut BMEL nun nachgeholt werden. Bis die ersten Maßnahmen aus der Ernährungsstrategie dann aber wirklich umgesetzt werden, kann es noch wesentlich länger dauern. Das BMEL selbst peilt dafür das Jahr 2025 an.
Datum: 1. Quartal 2024
Der Bundestag hat die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – bis auf einige Zwischenlösungen für die Windkraft – in das neue Jahr verschoben. Die geplanten Änderungen durch das sogenannte Solarpaket I, einem Gesetzentwurf der Bundesregierung aus dem vergangenen Sommer, sollen nun im ersten Quartal abschließend beraten werden.
In dem Paket stecken Regelungen für den weiteren Ausbau von “besonderen” Photovoltaikanlagen auf
Aber auch zum Mieterstrom, gemeinschaftlicher Solarstromversorgung in Mehrfamilienhäusern, zu Stecker-Solar-Geräten und zur Beschleunigung von Netzanschlüssen enthält der Gesetzentwurf neue Aspekte.
Datum: 1. Quartal 2024
Bundesumweltministerin Steffi Lemke will in diesem Jahr die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie durch das Kabinett bringen. Im April 2023 hatte das Ministerium einen Beteiligungsprozess in verschiedenen Arbeitsgruppen gestartet, der im Dezember mit einer letzten Dialogwerkstatt endete. Im ersten Quartal 2024 ist ein Treffen von Lemke und Vertretern der Spitzenverbände geplant. Danach will das Ministerium die Strategie fertigstellen und die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses präsentieren. Im Frühjahr soll das Kabinett die Strategie erstmals diskutieren.
Datum: 1. Halbjahr 2024
Die Bundesregierung strebt an, das sogenannte Vergabetransformationspaket im ersten Halbjahr 2024 in das parlamentarische Verfahren einzubringen. Aktuell arbeitet das federführende BMWK an einem Referentenentwurf. Damit will die Ampel-Koalition die öffentliche Beschaffung in Deutschland wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten sowie die Verbindlichkeit stärken. Zudem sollen Verfahren einfacher, professioneller, digitaler und schneller werden.
Bislang sind Aufträge von Bund, Ländern und Kommunen noch nicht der Hebel, der sie für die sozial-ökologische Transformation sein könnten. So wurden im Jahr 2021 nur in rund zwölf Prozent der Verfahren Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt. Die aktuellsten Daten aus den ersten beiden Vergabestatistiken für 2021 sind unvollständig und daher nur bedingt aussagekräftig, sie decken sich aber mit dem Eindruck vieler Fachleute.
Datum: Frühjahr/Herbst
Die Reform und finanzielle Ausstattung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die internationale Politik weiter beschäftigen. Die Bank hat sich zum Ziel gesetzt, künftig mehr Investitionen in den Klimaschutz zu ermöglichen. Besonders im IWF wird die Schuldenkrise ein wichtiges Thema bleiben. Viele Entwicklungsländer haben kein Geld, um die Energiewende zu finanzieren. Die Weltbank hat bereits erste Schritte unternommen, um Mittel freizumachen – aber ihr Chef Ajay Banga hat deutlich gemacht, dass das Institut dringend mehr Kapital dafür braucht. Woher die Mittel kommen könnten, dürfte im kommenden Jahr auf der Frühjahrstagung von Weltbank und IWF und dem Jahrestreffen im Herbst Thema sein.
Datum: Mitte 2024
Der Klimawandel führt auch in Deutschland zu einer Zunahme extremer Wetterereignisse. Die damit verbundenen Schäden sind erheblich. Nach Angaben der Bundesregierung belaufen sie sich seit dem Jahr 2000 auf mindestens 145 Milliarden Euro, davon mindestens 80 Milliarden Euro allein seit 2018. Je nach Klimaszenario steigen die zu erwartenden volkswirtschaftlichen Folgekosten bis 2050 auf mindestens 280 bis 900 Milliarden Euro.
Vor diesem Hintergrund haben Bundestag und Bundesrat Ende 2023 dem Bundes-Klimaanpassungsgesetz (KAnG) zugestimmt. Damit kann es Mitte 2024 in Kraft treten. Mit dem Gesetz gibt die Bundesregierung der Klimaanpassung in Bund, Ländern und Kommunen einen gemeinsamen Rahmen. Ziel ist es, dass in Deutschland künftig auf allen föderalen Ebenen Konzepte zur Klimaanpassung erarbeitet und flächendeckend Maßnahmen zur Klimavorsorge ergriffen werden. Hierfür gelten folgende Fristen:
Ein Berücksichtigungsgebot im KAnG soll sicherstellen, dass die Träger öffentlicher Aufgaben das Ziel einer vorsorgenden Klimaanpassung bei ihrer Arbeit angemessen berücksichtigen. Umstritten ist, wie die Finanzierung der aus dem KAnG resultierenden Maßnahmen zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt werden soll.
Datum: 2024
Technologien, die Kohlenstoff aus Industrieprozessen filtern oder aus der Atmosphäre saugen, sind umstritten. Zu teuer und zu energieintensiv, sagen Kritiker, und tatsächlich ist ihr Beitrag bislang nur minimal im Vergleich zu dem Problem. Trotzdem hat es der Begriff “Carbon Capture” in das COP28-Abschlussdokument geschafft, als Innovation, die gefördert werden sollte, um den Klimawandel zu bremsen. Die erdöl- und gasfördernden Staaten und Konzerne wollen ihr Geschäftsmodell mit diesem Kniff noch möglichst lange ausreizen.
Die Bundesregierung hat sich dagegen ausgesprochen, um fossilen Praktiken keine weitere Legitimation zu geben. Trotzdem wird sie über kurz oder lang selbst nicht an der Diskussion vorbeikommen, was mit den heimischen Emissionen passieren soll. Weil sie nicht schnell genug sinken und sich CO2 nicht aus allen Sektoren vollkommen verbannen lässt, etwa aus der Zementproduktion, wird es zum Teil abgeschieden und gelagert werden müssen. Im hiesigen Erdgestein? In leergepumpten Öl- und Gasfeldern im Ausland? Darüber haben sich Bürger und Politik bislang wenig Gedanken gemacht. Währenddessen entsteht um Deutschland herum eine neue Kohlenstoffindustrie, die beginnt, mit dem ungeliebten Gas zu handeln und es zu speichern. Diesen Sektor im Jahr 2024 mitzugestalten, wäre angebracht, auch wenn Umweltschützer davon am liebsten ihre Finger lassen würden.
Die Bundesregierung will deshalb eine Carbon Management Strategie vorlegen. Auch auf Ebene der EU wird an einer solchen Strategie gearbeitet, die im ersten Quartal vorgelegt werden soll.
Datum: 2024
Das Auswärtige Amt (AA) geht mit deutlichen Mittelkürzungen in die parlamentarischen Beratungen zum Bundeshaushalt 2024. Das sehen zumindest die Vorschläge der Ampel-Koalition vom Dezember vor. Demnach sollen 800 Millionen Euro gestrichen werden, davon etwa die Hälfte bei der humanitären Hilfe.
Das AA beginnt 2024 mit der Umsetzung der im Dezember veröffentlichten Strategie zur Klimaaußenpolitik, bei der das Amt federführend ist. Die Strategie soll das internationale klimapolitische Handeln der gesamten Bundesregierung anleiten.
Weitere Schwerpunkte des AA im Jahr 2024 sind:
Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine Untersuchung durch wissenschaftliche Institutionen und den Bundesnachrichtendienst in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen der Klimakrise auf die nationale Sicherheit besser bewerten und zu können. Sie soll im Laufe des Jahres 2024 veröffentlicht werden.
Datum: 2024
Auch dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sollen die Mittel gekürzt werden. Laut dem Vorschlag der Bundesregierung soll der BMZ-Etat um insgesamt 930 Millionen Euro schrumpfen.
Besonders wichtig ist für das BMZ im Jahr 2024:
Datum: 22./23. September 2024
Die Bemühungen zum Erreichen der Sustainable Development Goals kommen kaum voran. Nur 15 Prozent der 169 Unterziele sind laut der UN-Halbzeitbilanz “on track”, könnten also wie geplant bis 2030 erreicht werden. Der “Summit of the Future” am 22./23. September 2024 in New York soll dem Prozess nun neuen Schwung verleihen. Als Schlusserklärung wird ein “Pakt für die Zukunft” mit fünf Kapiteln angestrebt, in denen es um
gehen soll. Als Anhänge sind zudem ein “Global Digital Compact” und eine “Declaration of Future Generations” geplant.
Der erste Entwurf des Pakts, “Zero Draft” genannt, soll bereits am 22. Januar veröffentlicht werden und gerade mal vier Seiten umfassen. Die Verhandler versuchen, den SDG-Impuls für eine größere Wirkung kurz und präzise zu halten. Beobachter erwarten, dass der Entwurf zunächst weniger ambitioniert ausfällt, der Text bis zum Summit im September aber nachgeschärft werden kann.
Deutschland nimmt hierbei eine besondere Rolle ein: Antje Leendertse, die Ständige Vertreterin Deutschlands bei den Vereinten Nationen, wurde zusammen mit dem Ständigen Vertreter Namibias, Neville Melvin Gertze, zu einer sogenannten Fazilitatorin des Summits ernannt.
Zudem richtet die Bundesregierung drei Monate vor dem Summit am 20./21. Juni 2024 die Hamburg Sustainability Conference aus. Sie könnte ein wichtiger Meilenstein für die Verhandlungen des Pakts sein und insbesondere die Reform der globalen Finanzarchitektur in den Fokus nehmen. Auf der weiteren Agenda der Konferenz (Motto: “Uniting Policy Makers and Business Leaders to Accelerate SDG Performance”) stehen die Themen Städte und Gebäude, Ernährungssicherheit, Mobilität und nachhaltige Lebensstile.
Datum: Ende Oktober 2024
Wahrscheinlich in Kolumbien findet Ende Oktober die “andere COP” statt: die COP16 zur Biodiversität. Nach dem Erfolg des Abkommens von 2022 in Montréal muss sich nun zeigen, wie es mit dessen Umsetzung vorangeht und wie die Verbindungen zum Klimaprozess – etwa beim Schutz von Wäldern, Mooren und Ozeanen – gestärkt werden können.
Datum: November 2024
Die Klimafinanzierung könnte eines der heißesten Eisen des kommenden Jahres werden. Wenn die Vorabprognose der OECD zutrifft, werden die Industriestaaten ihre für 2022 versprochenen 100 Milliarden US-Dollar an Finanzhilfen für Entwicklungsländer mit zwei Jahren Verspätung erreichen. Das wäre ein guter Auftakt für die COP29 im November. In Aserbaidschan soll entschieden werden, wie es nach 2025 mit der Klimafinanzierung weitergeht.
Datum: 2024
Bilder, die durch eine Künstliche Intelligenz kreiert werden, erzeugen vierzig Mal mehr CO2 als Texte. Zu diesem Ergebnis kam vor ein paar Wochen eine neue Studie. Überraschend war das nicht, einerseits. Andererseits fehlt es in der KI-Debatte noch an Fakten wie diesen, und deshalb muss man Sasha Luccioni, einer der Autorinnen, dankbar sein für ihre Beiträge. Die US-Forscherin des Unternehmens Hugging Face ist gerade dabei, sich international einen Namen auf diesem Feld zu machen. Sie wird auch im Jahr 2024 untersuchen, ob der Einsatz von KI tatsächlich so nachhaltig ist wie häufig propagiert.
Für Unternehmen ist das relevant, weil sie balancieren müssen zwischen dem Versuch, bei der Digitalisierung nicht auf der Strecke zu bleiben und der Anforderung, ihr Geschäftsmodell zu dekarbonisieren. Wie grün ist KI? Und wie hilft KI, grün zu werden? Diese Fragen werden in der Öffentlichkeit immer häufiger gestellt. Die sogenannte “Corporate Digital Responsibility”, die unternehmerische Verantwortung in der digitalen Transformation, wird deshalb weiter an Bedeutung gewinnen.
Herr Professor Traube, 2017 wären Sie fast Daniel Günthers Landwirtschaftsminister geworden. Es wurde dann aber eine Jamaika-Regierung mit Robert Habeck als Agrarminister. Hat Sie das gewurmt?
Nein, ich habe als parteiloser Verhandlungsführer der CDU für den Bereich Landwirtschaft und Umwelt einen wissenschaftlich fundierten Koalitionsvertrag mit entwickelt; das war gut so.
Sie haben 30 Jahre die Forschungsbereiche Pflanzenbau und ökologischer Landbau in Kiel geleitet und waren neun Jahre im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Sie sind also intensiver Begleiter der Agrarwende, der sich die EU mit dem Green Deal verschrieben hat. Geht sie voran?
Es wird häufig so getan, als ob die Agrarwende eine politische Entscheidung wäre. Dabei steht hinter dem Green Deal der Joint Research Council, das Wissenschaftsgremium der EU. Was hier umgesetzt werden soll, ist nichts anderes als der Stand der Forschung zur Frage, wie Landnutzung im Einklang mit Ressourcenschutz laufen sollte. Dieser Weg muss ambitioniert beschritten werden – und das ist leider nicht der Fall.
Woran hakt die Agrarwende?
Wir Wissenschaftler glaubten, dass mit dem Regierungswechsel ein Aufbruch kommt, nach dem jahrelangen Bremsen seitens der CDU-CSU und dem Klöckner-Ministerium. Aber das ist nicht der Fall. Die FDP hat die Lobby-Vertretung der Union zu 110 Prozent übernommen. Die Grünen und Cem Özdemir gehen bei weitem nicht mutig genug an die Konflikte mit den Koalitionspartnern heran. Und die Kanzlerpartei? Fällt völlig aus. Niemand seitens der SPD versucht, den gordischen Knoten zu durchschlagen.
Welche Art der Transformation brauchen wir?
Das Wichtigste ist, den Bevölkerungen in den reichen Ländern die Notwendigkeit einer Ernährungswende zu vermitteln und diese politisch zu untermauern. In Deutschland lehnen die konservativen Parteien einen Abbau der Subventionen für die Tierindustrie ab, die jährlich Milliardenbeiträge verschlingen. Begründung: Jeder solle selbst entscheiden dürfen, was er verzehrt. Das ist ein Wegducken vor gesellschaftlichen Problemen. Wir haben gigantische Kosten im Gesundheitswesen durch Fehlernährung. Ich kenne keine Studie weltweit, die das anders sehen würde – mal abgesehen von jenen im Auftrag des Bauernverbands. Wir müssen von unserem Fleischkonsum massiv herunter.
Massiv weniger Fleisch heißt konkret?
Es geht um Größenordnungen von 50 bis 70 Prozent.
Aus gesundheitlichen Gründen.
Und wegen unserer knappen Ressourcen. Für das Erzeugen von einer Kalorie Rindfleisch brauchen wir achtmal so viel Land wie für eine pflanzliche Kalorie. Wenn wir in den reichen Ländern den Verzehr tierischer Produkte halbieren würden, könnten wir zugleich den Hunger in der Welt halbieren. Der Hebel ist immens. Europa könnten seine Exporte an Brotgetreide dadurch mehr als verdoppeln, wie eine neue Nature-Studie zeigt. Wir könnten den Amazonas schonen, statt tropische Urwälder weiter zu roden für den Soja-Anbau. Und müssten dafür nicht Vegetarier werden, sondern konsequent ‘Flexitarier’.
Was ist dran an den Heilsversprechen durch die neuen genomischen Züchtungstechniken wie CripsrCas?
Auch wenn ich überzeugt bin, dass wir in den nächsten zehn Jahren auch CRISPRCas-Ansätze brauchen werden, sollten wir die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Wir brauchen sie, um den Einsatz des chemischen Pflanzenschutzes zu reduzieren. Nur: Mehr ernten werden wir dadurch sehr wahrscheinlich nicht. Höhere Erträge sehen wir heute schon in der klassischen Züchtung. Sie werden aber draußen auf den Äckern nicht mehr umgesetzt.
Keine höheren Ernten trotz besserer Züchtung – warum nicht?
Die Kulturvielfalt fehlt, die die Pflanzen widerstandsfähig macht. Vor 30 Jahren hatte man auf einem Acker in der Regel Kleegras, Getreide, Raps, Rüben und mehr. Heute gibt es in einer sogenannten Fruchtfolge oft nur noch zwei bis drei Kulturen, auch wenn die europäische Agrarpolitik neuerdings vier vorschreibt, was nur auf sehr begrenzter Fläche umgesetzt wird. Hier im Norden ist die gängige Fruchtfolge Raps-Weizen-Weizen. Wenn der Raps sehr viel Geld bringt, bauen die Landwirte ihn jedes zweite Jahr an. Und wundern sich dann über Rapskrankheiten, die wir seit 60 Jahren nicht mehr hatten. Sie züchten geradezu Krankheiten und Unkräuter. Der Ackerfuchsschwanz ist mittlerweile im Getreide herbizidresistent.
Vielfältige Fruchtfolgen würden mehr helfen als neue Pflanzenzüchtungen?
Bevor wir über gesellschaftlich umstrittene Technologien reden, müssten wir dringend über andere Innovationen sprechen. Wir haben einen zweijährigen Anbau von Kleegras im ökologischen und im konventionellen Landbau getestet. Ergebnis: Wir brauchten keine Pflanzenschutzmittel mehr! Stattdessen: Kohlenstoffspeicherung, Stickstoff aus der Luft, die CO2-Emissionen gegen Null. Und: Die Futterpflanze Kleegras stellt Eiweiß bereit – adé Importsoja. Wir haben der Bundesregierung vorgeschlagen, Kleegras in die Ökoregeln für alle Landwirte aufzunehmen – bisher noch ohne Erfolg.
Apropos ökologisch: Was ist mit dem Argument des Bauernverbands, das Bio-Anbau durch seine geringeren Erträge die Welternährung gefährde?
Das Argument ist falsch. Wenn wir weniger Fleisch konsumierten, könnten wir sogar mehr Ökolandbau machen, und dennoch den Welthunger bekämpfen. Dennoch halte ich die politische Agenda der Ampel, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030, weder für realistisch noch für sinnvoll. Wir haben in einigen Bundesländern gerade mal um die sechs Prozent.
Warum stellen nicht mehr Landwirte um?
Ich bin viel draußen und spreche mit Landwirten, die gerne etwas für die Umwelt tun möchten. Die beobachten dann aber beispielsweise beim Nachbarn, der vor vier Jahren auf Bio umgestellt hat, dass er erstmal zwei Hungerjahre überstehen musste – in denen er die Erzeugnisse noch nicht als Bio vertreiben durfte – und dann für seine Milch nicht den vollen Ökopreis bekommt. Da sagt er sich natürlich, warum soll ich dieses Risiko eingehen? Es gäbe andere Lösungen. Nur bietet die Politik sie nicht an.
Was schlagen Sie statt Bio vor?
Wir nennen das dritte Wege zur Ernährung der Welt. Das war ein großes Forschungsprojekt, das wir mit weltweit 20 Doktoranden durchgeführt haben. Dritte Wege sind Hybridsysteme mit Elementen des Ökolandbaus. Wenn konventionelle Landwirte nur 50 Prozent ihrer Fruchtfolge an Ökostandards ausrichten, kommen sie schon ohne Pflanzenschutz und Mineraldünger aus. Aber anstatt solche gangbaren Wege konsequent zu beschreiten, beharrt die eine Seite auf dem Status Quo, während die andere die reine Öko-Lehre vertritt. Ich sehe keine Politik, die sich am Machbaren orientiert.
Einspruch! Bio ist machbar, normiert und wird kontrolliert. Bestünde nicht die Gefahr eines Greenwashings bei dritten Wegen, etwa mit einer Kleegras-Anbaupflicht?
Die Betriebe sind in Bezug auf ihre Flächennutzung perfekt kontrolliert. Wir haben Satellitenaufnahmen, die genau zeigen, welche Kultur wo steht. Im Übrigen: Es ist vollkommen unangemessen, wenn Cem Özdemir den Ökolandbau in großen Anzeigen in Bezug auf Klimafreundlichkeit bewerben lässt. Die Klimabilanz zwischen Bio-Betrieben variiert nämlich mehr als die zwischen öko und konventionell. Werbung explizit für eine Gruppe der Landwirtschaft gehört sich nicht für einen Agrarminister.
Wie würden Sie Landwirte für Ihren öko-konventionellen-Weg gewinnen?
Wir könnten sofort im aktuellen Subventionssystem beginnen. Normalerweise baut der Landwirt als Futterpflanze langjährig auf der gleichen Fläche Mais an. Man könnte erhebliche Umweltkosten vermeiden, indem man ihm einen Ausgleich dafür gibt, dass er abwechselnd mit der Alternative Kleegras einen etwas geringeren Ertrag einfährt, aber mehr für die Umwelt leistet.
Und wie würden Sie die Gemeinsame Agrarpolitk langfristig entwickeln?
Es darf kein Geld mehr für Landbesitz geben. Heute zahlt die EU noch rund 150 Euro pro Hektar, die letztlich nur das Land verteuern. Ab 2028 sollte es nur noch Geld geben für Ökosystemleistungen. Dafür gibt es Modelle. Die Gemeinwohlprämie des Deutschen Verbands für Landschaftspflege hat sogar im EU-Parlament eine Mehrheit bekommen. Aber der Rat hat sie nicht verabschiedet, weil die konservative EVP dagegen war. Das ist inakzeptabel – besonders angesichts der aktuellen, auch finanziellen Situation.
Ist das, was Sie fordern, “regenerative Landwirtschaft”?
Der Begriff ist nicht geschützt, jeder kann sich regenerativ nennen. Eigentlich geht es um eine Rückbesinnung auf klassische ackerbauliche Regeln: Anbausysteme mit mehr Diversität, mit Tiefwurzlern wie Kleegras oder Leguminosen, die Wurzelgänge für nachfolgende Kulturen bilden, so dass Wasserzugänge erleichtert werden.
Dringen Sie mit diesen Vorschlägen bei den Agrarministern der Länder durch?
Bayern als sehr reiches Land ist da ein Vorreiter. Die haben ein Programm Luzerne, insbesondere in Franken, wo man Probleme mit Nitrat hat aufgrund der Durchlässigkeit der Böden und der Trockenheit. Indem sie dort zwei, drei Jahre Luzerne oder Kleegras anbauen, lösen sie das Problem. Abgesehen von Bayern sind die unionsgeführten Ministerien aber eher auf dem KI-Technologietrip. Und die grün geführten versuchen primär, Ökolandbau zu fördern.
Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist Düngung. Brüssel fand die 2017 und 2020 verbesserte Düngeverordnung (DÜV) so gut, dass es im Juni das Verfahren gegen Deutschland wegen erhöhter Nitratwerte eingestellt hat. Ihr Erfolg?
Nicht ‘mein Erfolg’, nein, aber ich denke, als Wissenschaftler einen notwendigen Beitrag geleistet zu haben. Das Julius-Kühn-Institut hat die Umsetzung der neuen DÜV in sechs Regionen in Deutschland untersucht – bei freiwilligen Teilnehmern. Ergebnis: Die Hälfte der Betriebe macht es sehr gut, die andere nicht. Und das sind Höfe, die glauben, dass sie gut sind! Trotzdem: Wir haben deutschlandweit eine Reduktion der Stickstoffüberschüsse um etwa 20 Prozent in fünf Jahren. Das zeigt, dass das Ordnungsrecht wirkt.
Gegen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hat die Deutsche Umwelthilfe wegen Nitratbelastung im Emsland kürzlich vor Gericht gesiegt. Hat Brüssel also voreilig Deutschland vom Haken gelassen?
Die Einstellung des Verfahrens gegen Deutschland drückte ein Vorschussvertrauen aus. Wobei immer noch Klagen in Hinblick auf die EU-Wasserrahmenrichtlinie und Ammoniak aus der Landwirtschaft drohen. Und in der EU-Meeresstrategie kommt Phosphat zum Tragen. Die Phosphorprobleme sind in manchen Tierhaltungsregionen noch deutlich ernster als die Nitratbelastung …
… die im Einzugsgebiet der Ems freilich noch zu hoch ist.
Die Klage der Deutschen Umwelthilfe kann ich sehr gut nachvollziehen. Die Landkreise Cloppenburg und Vechta, Hochburgen der Tierhaltung, haben noch immer kaum die gesetzlichen Mindestanforderungen umgesetzt und das wird unverständlicherweise auch fünf Jahre nach der Novellierung der Düngeregeln offenbar toleriert.
Und was kann Niedersachsen nun tun in seinen Roten Gebieten?
Eine Maßnahme, die schnell wirkt, wäre, dass man nicht nur weniger düngt, sondern vor allem die organische Düngung mit Gülle absenkt, denn über die Gülle kommt neben Stickstoff vor allem zu viel Phosphor aus der Tierhaltung zurück auf die Flächen.
Müssten die Bauern dafür Tiere schlachten?
Das ist eine unternehmerische Entscheidung. Der Landwirt hat Sorge dafür zu tragen, dass die überschüssige Gülle seiner Tiere abgefahren wird. Weil das kostet, kann es dann auf weniger Tiere hinauslaufen.
Zum Schluss: Werden Sie sich auch als Pensionär noch für die Agrarwende engagieren?
BASF hat mich in sein internationales Nature Advisory Council berufen ebenso wie die Tönnies-Forschung in ihr Kuratorium..
Wie können Sie dort helfen?
Ich habe dort über Milcherzeugung der Zukunft primär auf der Basis von Grünlandfutter vorgetragen. Im Auditorium: die Chefeinkäufer der großen Supermarktketten. Die Ernährungsindustrie ist mindestens ein Jahrzehnt weiter als die Politik und der Bauernverband!
ich begrüße Sie zur ersten Ausgabe des ESG.Table im neuen Jahr! Wir blicken auf spannende und für die Transformation enorm wichtige Monate.
Bis Ende 2024 könnten sich viele Mehrheiten verschieben: Bei der Europawahl im Juni, der US-Präsidentschaftswahl im November und einer Reihe von Kommunal- und Landtagswahlen in Deutschland droht ein Rechtsruck. Aktuelle Projektionen sagen dem rechten Parteienspektrum signifikante Zugewinne voraus. Damit könnten wichtige Transformationsvorhaben auf verschiedenen politischen Ebenen den nötigen politischen Rückhalt verlieren.
Auf EU-Ebene haben die Debatten um das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, um die Verpackungsverordnung oder um den Einsatz von Pestiziden im vergangenen Jahr gezeigt, wie tief die ideologischen Gräben bei wichtigen Transformationsthemen bereits sind und welche Folgen dies hat. Die konservativen Fraktionen im Parlament haben, unterstützt von großen Teilen der Industrie, erfolgreich versucht, wichtige Vorhaben zu verhindern oder abzuschwächen. In Brüssel wird daher bis zur Wahl am 9. Juni auf Hochtouren gearbeitet, um Gesetzesvorhaben des Green Deal noch rechtzeitig abzuschließen.
In Deutschland werden die Spielräume für die Gestaltung der Transformation und eine Abfederung von deren Belastungen für Wirtschaft und Bevölkerung durch die wohl anhaltend schwache Konjunktur geschmälert: Auch für 2024 erwarten Experten keine Trendwende. Stattdessen wird das Bruttoinlandsprodukt möglicherweise sogar schrumpfen. Damit ist die Lage in Deutschland schwieriger als etwa in den USA, Frankreich oder China, wo die Wirtschaft wahrscheinlich wieder wachsen wird.
Welche Folgen hat dies für die soziale und ökologische Transformation? Darüber halten wir Sie auch 2024 auf dem Laufenden – sogar öfter als bisher. Ab der kommenden Woche wird der ESG.Table zweimal wöchentlich erscheinen, mittwochs und freitags.
An unserem heutigen Jahresausblick haben Carsten Hübner, Alex Veit, Nicolas Heronymus, Caspar Dohmen, Marc Winkelmann sowie die Kolleginnen und Kollegen vom Climate.Table und Agrifood.Table mitgewirkt.
Ihnen alles Gute für 2024!
Datum: 1. Januar 2024
Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden und damit seinen Beitrag zum internationalen Klimaschutz leisten. Doch im Wärmesektor hinkt die Emissionsminderung den Zielen hinterher: In den vergangenen Jahren wurden die im Klimaschutzgesetz festgelegten CO2-Einsparungen mehrfach in Folge nicht erreicht. Das liegt auch daran, dass immer noch rund drei Viertel aller Haushalte mit fossilem Öl oder Gas heizen.
Am 1. Januar 2024 traten deshalb die 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) und das Wärmeplanungsgesetz (WPG) in Kraft. Sie wurden Ende 2023 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Das GEG ist ein zentraler Baustein der Wärmewende in Deutschland. Es schafft die gesetzliche Grundlage für den Umstieg auf erneuerbare Energien und damit die Dekarbonisierung des Wärmesektors. Die Umsetzung erfolgt stufenweise:
Die vom Bund zur Verfügung gestellten Fördermittel für die Dekarbonisierung des Wärmebereichs wurden Ende des Jahres beschlossen. Abschließend genehmigt werden sollen die Mittel für 2024 aber erst im Rahmen der Haushaltberatungen Ende Januar.
Datum: 1. Januar 2024
Der Anwendungsbereich des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) wird ab dem 1. Januar 2024 ausgeweitet: Waren vorher Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten betroffen, so sind nun alle Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten dazu verpflichtet, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung und Sorgfaltspflicht in ihren Lieferketten besser nachzukommen. Sie müssen unter anderem ein Risikomanagement einrichten, Präventionsmaßnahmen verankern, Beschwerdeverfahren einrichten und die Berichterstattung über das Lieferkettenmanagement dokumentieren.
Über das EU-Sorgfaltspflichtengesetz haben sich das EU-Parlament und der Rat im Dezember geeinigt. Sobald beide Institutionen das Ergebnis der Verhandlungen formal angenommen haben, wird es im Amtsblatt veröffentlicht und tritt 20 Tage später in Kraft. Bis die Richtlinie rechtlich bindend ist, müssen die Mitgliedstaaten sie allerdings erst in nationales Recht umsetzen. Dies wird voraussichtlich etwa zwei Jahre dauern.
Datum: 10. Januar 2024
Kurz vor Weihnachten haben sich die EU-Mitgliedstaaten im Umweltrat auf eine Position geeinigt; die Verhandlungen beginnen voraussichtlich am 10. Januar. Wegen der kontroversen Positionen zu dem Gesetz ist ungewiss, wie lange die Verhandlungen dauern werden. Die Verhandler streben eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode an.
Die EU will mit dem Gesetz das enorm gestiegene Aufkommen von Verpackungsmüll eindämmen. Jeder Bundesbürger verursachte 2021 im Schnitt 237 Kilogramm Verpackungsabfälle, mehr verbrauchten in der EU nur die Iren (246 Kilogramm).
Der Gesetzentwurf war von massiven Lobbykampagnen begleitet. Die Industrie wehrt sich gegen die geplanten Mehrwegquoten und Verbote bestimmter Einwegverpackungen. Diese beiden Themen gehören in den anstehenden Verhandlungen zwischen Rat und EU-Parlament zu den größten Knackpunkten.
Datum: 1. Februar 2024
Das zweite und letzte politische Trilog-Treffen zur “Recht auf Reparatur”-Richtlinie findet am 1. Februar in Brüssel statt. Damit sollte das Dossier noch vor den Europawahlen abgeschlossen sein. Mit der Richtlinie will die EU den nachhaltigen Konsum und die Kreislaufwirtschaft stärken. Reparaturen sollen vereinfacht, Abfall reduziert und die Reparaturbranche insgesamt gefördert werden.
Datum: Anfang 2024 (Haushaltsdebatte)
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat den Umweltbonus für den privaten Neukauf von Elektrofahrzeugen zum 18. Dezember 2023 abrupt gestoppt. Er sollte ab dem 1. Januar 2024 für vollelektrische Pkw mit einem Nettolistenpreis von bis zu 45.000 Euro insgesamt 4.500 Euro betragen und eigentlich erst Ende 2024 auslaufen. Der geplante Bundesanteil am Umweltbonus betrug 3.000 Euro, die Hersteller sollten 1.500 Euro beisteuern.
Hintergrund für die plötzliche Entscheidung ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sondervermögen und die deswegen von der Ampel-Spitze beschlossenen Einsparungen im Bundeshaushalt 2024.
Ob die Förderung tatsächlich ganz ausläuft, ist noch offen. Denn aus der SPD-Bundestagsfraktion sind inzwischen Forderungen nach einer Anschlussfinanzierung des Programms laut geworden. Dafür wolle man sich im Rahmen der Anfang des Jahres anstehenden Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 einsetzen. Auch der Verband der Automobilindustrie und der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe hatten die Entscheidung scharf kritisiert.
Eine Reihe von Herstellern hat inzwischen angekündigt, den wegfallenden Anteil des Bundes am Umweltbonus gegebenenfalls selbst zu tragen. Angesichts des schwächelnden Absatzes von Elektroautos in Deutschland scheint dies auch notwendig. Laut Experten sind sie im Vergleich zu Verbrennern einfach zu teuer.
Datum: Anfang 2024
Eigentlich sollte der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angekündigte gemeinsame Entwurf von BMAS und BMWK für ein Bundestariftreuegesetz bereits im Sommer 2023 vorliegen. Doch das Vorhaben verzögert sich. Nun heißt es, der Gesetzentwurf werde Anfang 2024 in die Verbändebeteiligung gehen und im Laufe des Jahres verabschiedet werden.
Nach einem ersten Entwurf sollen Aufträge des Bundes ab einem Wert von 10.000 Euro künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden, die ihre Beschäftigten nach einem für die jeweilige Branche repräsentativen Tarifvertrag bezahlen. Welcher maßgeblich ist, soll der Bund per Verordnung festlegen. Die neuen Regelungen sollen für alle Branchen gelten und die Tariftreueversprechen der Auftragnehmer einer wirksamen Kontrolle unterworfen werden. Bei Verstößen sind Vertragsstrafen, eine Nachunternehmerhaftung sowie der Ausschluss vom Vergabeverfahren vorgesehen.
Ziel des Bundestariftreuegesetzes ist es, die Tarifbindung zu stärken. Derzeit profitieren nur noch rund die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland von Regelungen, die Tarifpartner ausgehandelt haben. Im Jahr 2000 waren es noch mehr als zwei Drittel gewesen.
Datum: Mitte Januar
Die im Dezember veröffentlichte Stromspeicherstrategie will das BMWK mit der Branche diskutieren – erste Stellungnahmen erwartet das Ministerium Mitte Januar. Die Strategie soll mehr Flexibilität im Energiesystem ermöglichen, beispielsweise um Dunkelflauten zu überbrücken. Ein Teil der Strategie befasst sich mit
Wichtige Infrastrukturelemente in der Strategie sind
Datum: Anfang 2024
Die EU-Ökodesign-Verordnung tritt Anfang 2024 in Kraft. Sie schreibt neue Anforderungen für ein nachhaltigeres Produktdesign vor und verbietet die Vernichtung von unverkaufter Kleidung und Schuhen. Rat und Parlament hatten sich im Dezember darauf geeinigt. Die Kommission muss innerhalb von neun Monaten einen Arbeitsplan vorlegen, für welche Produkte sie welche Ökodesign-Kriterien anhand von Delegierten Rechtsakten festlegen will. Auf Druck des Parlaments muss sie dabei bestimmte Waren prioritär behandeln: Textilien, Eisen, Stahl, Aluminium, Möbel, Reifen, Waschmittel, Farben, Schmiermittel und Chemikalien.
Datum: 1. Quartal 2024
Zu Wasserstoffkraftwerken hat Robert Habeck bereits im Februar des zurückliegenden Jahres eine Kraftwerkstrategie angekündigt, konnte den Zeitplan aber nicht halten. Trotzdem sollen bis spätestens 2038 alle Kohlekraftwerke erst durch Gas- und später Wasserstoffkraftwerke ersetzt werden. Nun soll die Strategie Habeck zufolge im ersten Quartal kommen, und erste Ausschreibungen bis Mitte des Jahres.
Dazu gehört auch die Schaffung eines Wasserstoff-Kernnetzes, wozu bereits Vorschläge des BMWK vorliegen, ebenso der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, die mittels des europäischen IPCEI-Formats gefördert werden soll.
Datum: April 2024
Die alle vier Jahre erfolgende Überarbeitung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie findet dieses Mal kurz nach der Halbzeit der Agenda 2030 statt. Die SDG-Bilanz ist auch hierzulande dürftig: In Deutschland droht bei 44 Prozent der 75 mit Indikatoren hinterlegten Zielen eine “wesentliche Zielverfehlung”. Deshalb soll die Strategie verbindlicher und wirksamer werden. Dafür will die Bundesregierung prüfen, inwieweit Indikatoren und Ziele überarbeitet werden können, um Fortschritte treffender messen und steuern zu können. Der Prozess läuft seit vergangenem Oktober.
Im März soll es eine erste “Dialogfassung” geben, die auf Grundlage der Bürgerbeteiligung erarbeitet wird und ab April online kommentiert werden kann. Die finale Fassung will das Kabinett im Winter 2024 verabschieden. Zu den Schwerpunkten der Bundesregierung im Zuge der Überarbeitung ist für den 19. Januar im Bundestag eine Debatte zu dem Regierungsbericht “Halbzeit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung” angesetzt.
Datum: Bald
Für die energieintensive Industrie, die unter hohen Strompreisen leidet, will das BMWK bald Klimaschutzverträge ausschreiben, wartet aber noch auf die Zustimmung der EU-Kommission. Klimaschutzverträge sollen die Risiken unternehmerischer Investitionen in klimafreundlichere Technologien und Produktionsweisen mit öffentlichem Geld absichern.
Datum: Zeitnah
Deutschland und die EU wollen sich vom Import wichtiger Rohstoffe unabhängiger machen, insbesondere, um die große Abhängigkeit von China zu reduzieren. Gleichzeitig steigt der Bedarf enorm: Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und Kupfer sind für strategisch wichtige Technologien wie Solarpanele, Windräder und Batterien notwendig.
Im vergangenen Jahr hat die EU den Critical Raw Materials Act verabschiedet, der strategischen Rohstoffprojekten Anschub geben soll. Die Bundesregierung hat Eckpunkte für eine deutsche Rohstoffstrategie formuliert, die in die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie einfließen werden. Darüber hinaus hat sie im Koalitionsvertrag eine Reform des Bundesberggesetzes geplant: Damit soll der heimische Rohstoffabbau ökologisch ausgestaltet und erleichtert werden. Auch geopolitisch sei die Weiterentwicklung des Bergrechts wichtig, um die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu sichern, so das Bundeswirtschaftsministerium.
Im vergangenen Jahr hat das Ministerium bereits einen Konsultationsprozess durchgeführt und Eckpunkte erstellt. Der Entwurf befindet sich nun in der finalen Abstimmung; die Ressortabstimmung soll zeitnah eingeleitet werden. Die Eckpunkte sollen die Grundlage für einen Referentenentwurf bilden.
Datum: Zeitnah
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist der Bevölkerung 2024 noch eine Ernährungsstrategie schuldig. Die bereits für das vergangene Jahr versprochene Strategie hatte es Mitte November zwar in die Ressortabstimmung geschafft, war dann aber nicht mehr wie angekündigt zum Jahresende von der Bundesregierung beschlossen worden. “Zeitnah” soll das laut BMEL nun nachgeholt werden. Bis die ersten Maßnahmen aus der Ernährungsstrategie dann aber wirklich umgesetzt werden, kann es noch wesentlich länger dauern. Das BMEL selbst peilt dafür das Jahr 2025 an.
Datum: 1. Quartal 2024
Der Bundestag hat die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – bis auf einige Zwischenlösungen für die Windkraft – in das neue Jahr verschoben. Die geplanten Änderungen durch das sogenannte Solarpaket I, einem Gesetzentwurf der Bundesregierung aus dem vergangenen Sommer, sollen nun im ersten Quartal abschließend beraten werden.
In dem Paket stecken Regelungen für den weiteren Ausbau von “besonderen” Photovoltaikanlagen auf
Aber auch zum Mieterstrom, gemeinschaftlicher Solarstromversorgung in Mehrfamilienhäusern, zu Stecker-Solar-Geräten und zur Beschleunigung von Netzanschlüssen enthält der Gesetzentwurf neue Aspekte.
Datum: 1. Quartal 2024
Bundesumweltministerin Steffi Lemke will in diesem Jahr die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie durch das Kabinett bringen. Im April 2023 hatte das Ministerium einen Beteiligungsprozess in verschiedenen Arbeitsgruppen gestartet, der im Dezember mit einer letzten Dialogwerkstatt endete. Im ersten Quartal 2024 ist ein Treffen von Lemke und Vertretern der Spitzenverbände geplant. Danach will das Ministerium die Strategie fertigstellen und die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses präsentieren. Im Frühjahr soll das Kabinett die Strategie erstmals diskutieren.
Datum: 1. Halbjahr 2024
Die Bundesregierung strebt an, das sogenannte Vergabetransformationspaket im ersten Halbjahr 2024 in das parlamentarische Verfahren einzubringen. Aktuell arbeitet das federführende BMWK an einem Referentenentwurf. Damit will die Ampel-Koalition die öffentliche Beschaffung in Deutschland wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten sowie die Verbindlichkeit stärken. Zudem sollen Verfahren einfacher, professioneller, digitaler und schneller werden.
Bislang sind Aufträge von Bund, Ländern und Kommunen noch nicht der Hebel, der sie für die sozial-ökologische Transformation sein könnten. So wurden im Jahr 2021 nur in rund zwölf Prozent der Verfahren Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt. Die aktuellsten Daten aus den ersten beiden Vergabestatistiken für 2021 sind unvollständig und daher nur bedingt aussagekräftig, sie decken sich aber mit dem Eindruck vieler Fachleute.
Datum: Frühjahr/Herbst
Die Reform und finanzielle Ausstattung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die internationale Politik weiter beschäftigen. Die Bank hat sich zum Ziel gesetzt, künftig mehr Investitionen in den Klimaschutz zu ermöglichen. Besonders im IWF wird die Schuldenkrise ein wichtiges Thema bleiben. Viele Entwicklungsländer haben kein Geld, um die Energiewende zu finanzieren. Die Weltbank hat bereits erste Schritte unternommen, um Mittel freizumachen – aber ihr Chef Ajay Banga hat deutlich gemacht, dass das Institut dringend mehr Kapital dafür braucht. Woher die Mittel kommen könnten, dürfte im kommenden Jahr auf der Frühjahrstagung von Weltbank und IWF und dem Jahrestreffen im Herbst Thema sein.
Datum: Mitte 2024
Der Klimawandel führt auch in Deutschland zu einer Zunahme extremer Wetterereignisse. Die damit verbundenen Schäden sind erheblich. Nach Angaben der Bundesregierung belaufen sie sich seit dem Jahr 2000 auf mindestens 145 Milliarden Euro, davon mindestens 80 Milliarden Euro allein seit 2018. Je nach Klimaszenario steigen die zu erwartenden volkswirtschaftlichen Folgekosten bis 2050 auf mindestens 280 bis 900 Milliarden Euro.
Vor diesem Hintergrund haben Bundestag und Bundesrat Ende 2023 dem Bundes-Klimaanpassungsgesetz (KAnG) zugestimmt. Damit kann es Mitte 2024 in Kraft treten. Mit dem Gesetz gibt die Bundesregierung der Klimaanpassung in Bund, Ländern und Kommunen einen gemeinsamen Rahmen. Ziel ist es, dass in Deutschland künftig auf allen föderalen Ebenen Konzepte zur Klimaanpassung erarbeitet und flächendeckend Maßnahmen zur Klimavorsorge ergriffen werden. Hierfür gelten folgende Fristen:
Ein Berücksichtigungsgebot im KAnG soll sicherstellen, dass die Träger öffentlicher Aufgaben das Ziel einer vorsorgenden Klimaanpassung bei ihrer Arbeit angemessen berücksichtigen. Umstritten ist, wie die Finanzierung der aus dem KAnG resultierenden Maßnahmen zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt werden soll.
Datum: 2024
Technologien, die Kohlenstoff aus Industrieprozessen filtern oder aus der Atmosphäre saugen, sind umstritten. Zu teuer und zu energieintensiv, sagen Kritiker, und tatsächlich ist ihr Beitrag bislang nur minimal im Vergleich zu dem Problem. Trotzdem hat es der Begriff “Carbon Capture” in das COP28-Abschlussdokument geschafft, als Innovation, die gefördert werden sollte, um den Klimawandel zu bremsen. Die erdöl- und gasfördernden Staaten und Konzerne wollen ihr Geschäftsmodell mit diesem Kniff noch möglichst lange ausreizen.
Die Bundesregierung hat sich dagegen ausgesprochen, um fossilen Praktiken keine weitere Legitimation zu geben. Trotzdem wird sie über kurz oder lang selbst nicht an der Diskussion vorbeikommen, was mit den heimischen Emissionen passieren soll. Weil sie nicht schnell genug sinken und sich CO2 nicht aus allen Sektoren vollkommen verbannen lässt, etwa aus der Zementproduktion, wird es zum Teil abgeschieden und gelagert werden müssen. Im hiesigen Erdgestein? In leergepumpten Öl- und Gasfeldern im Ausland? Darüber haben sich Bürger und Politik bislang wenig Gedanken gemacht. Währenddessen entsteht um Deutschland herum eine neue Kohlenstoffindustrie, die beginnt, mit dem ungeliebten Gas zu handeln und es zu speichern. Diesen Sektor im Jahr 2024 mitzugestalten, wäre angebracht, auch wenn Umweltschützer davon am liebsten ihre Finger lassen würden.
Die Bundesregierung will deshalb eine Carbon Management Strategie vorlegen. Auch auf Ebene der EU wird an einer solchen Strategie gearbeitet, die im ersten Quartal vorgelegt werden soll.
Datum: 2024
Das Auswärtige Amt (AA) geht mit deutlichen Mittelkürzungen in die parlamentarischen Beratungen zum Bundeshaushalt 2024. Das sehen zumindest die Vorschläge der Ampel-Koalition vom Dezember vor. Demnach sollen 800 Millionen Euro gestrichen werden, davon etwa die Hälfte bei der humanitären Hilfe.
Das AA beginnt 2024 mit der Umsetzung der im Dezember veröffentlichten Strategie zur Klimaaußenpolitik, bei der das Amt federführend ist. Die Strategie soll das internationale klimapolitische Handeln der gesamten Bundesregierung anleiten.
Weitere Schwerpunkte des AA im Jahr 2024 sind:
Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine Untersuchung durch wissenschaftliche Institutionen und den Bundesnachrichtendienst in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen der Klimakrise auf die nationale Sicherheit besser bewerten und zu können. Sie soll im Laufe des Jahres 2024 veröffentlicht werden.
Datum: 2024
Auch dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sollen die Mittel gekürzt werden. Laut dem Vorschlag der Bundesregierung soll der BMZ-Etat um insgesamt 930 Millionen Euro schrumpfen.
Besonders wichtig ist für das BMZ im Jahr 2024:
Datum: 22./23. September 2024
Die Bemühungen zum Erreichen der Sustainable Development Goals kommen kaum voran. Nur 15 Prozent der 169 Unterziele sind laut der UN-Halbzeitbilanz “on track”, könnten also wie geplant bis 2030 erreicht werden. Der “Summit of the Future” am 22./23. September 2024 in New York soll dem Prozess nun neuen Schwung verleihen. Als Schlusserklärung wird ein “Pakt für die Zukunft” mit fünf Kapiteln angestrebt, in denen es um
gehen soll. Als Anhänge sind zudem ein “Global Digital Compact” und eine “Declaration of Future Generations” geplant.
Der erste Entwurf des Pakts, “Zero Draft” genannt, soll bereits am 22. Januar veröffentlicht werden und gerade mal vier Seiten umfassen. Die Verhandler versuchen, den SDG-Impuls für eine größere Wirkung kurz und präzise zu halten. Beobachter erwarten, dass der Entwurf zunächst weniger ambitioniert ausfällt, der Text bis zum Summit im September aber nachgeschärft werden kann.
Deutschland nimmt hierbei eine besondere Rolle ein: Antje Leendertse, die Ständige Vertreterin Deutschlands bei den Vereinten Nationen, wurde zusammen mit dem Ständigen Vertreter Namibias, Neville Melvin Gertze, zu einer sogenannten Fazilitatorin des Summits ernannt.
Zudem richtet die Bundesregierung drei Monate vor dem Summit am 20./21. Juni 2024 die Hamburg Sustainability Conference aus. Sie könnte ein wichtiger Meilenstein für die Verhandlungen des Pakts sein und insbesondere die Reform der globalen Finanzarchitektur in den Fokus nehmen. Auf der weiteren Agenda der Konferenz (Motto: “Uniting Policy Makers and Business Leaders to Accelerate SDG Performance”) stehen die Themen Städte und Gebäude, Ernährungssicherheit, Mobilität und nachhaltige Lebensstile.
Datum: Ende Oktober 2024
Wahrscheinlich in Kolumbien findet Ende Oktober die “andere COP” statt: die COP16 zur Biodiversität. Nach dem Erfolg des Abkommens von 2022 in Montréal muss sich nun zeigen, wie es mit dessen Umsetzung vorangeht und wie die Verbindungen zum Klimaprozess – etwa beim Schutz von Wäldern, Mooren und Ozeanen – gestärkt werden können.
Datum: November 2024
Die Klimafinanzierung könnte eines der heißesten Eisen des kommenden Jahres werden. Wenn die Vorabprognose der OECD zutrifft, werden die Industriestaaten ihre für 2022 versprochenen 100 Milliarden US-Dollar an Finanzhilfen für Entwicklungsländer mit zwei Jahren Verspätung erreichen. Das wäre ein guter Auftakt für die COP29 im November. In Aserbaidschan soll entschieden werden, wie es nach 2025 mit der Klimafinanzierung weitergeht.
Datum: 2024
Bilder, die durch eine Künstliche Intelligenz kreiert werden, erzeugen vierzig Mal mehr CO2 als Texte. Zu diesem Ergebnis kam vor ein paar Wochen eine neue Studie. Überraschend war das nicht, einerseits. Andererseits fehlt es in der KI-Debatte noch an Fakten wie diesen, und deshalb muss man Sasha Luccioni, einer der Autorinnen, dankbar sein für ihre Beiträge. Die US-Forscherin des Unternehmens Hugging Face ist gerade dabei, sich international einen Namen auf diesem Feld zu machen. Sie wird auch im Jahr 2024 untersuchen, ob der Einsatz von KI tatsächlich so nachhaltig ist wie häufig propagiert.
Für Unternehmen ist das relevant, weil sie balancieren müssen zwischen dem Versuch, bei der Digitalisierung nicht auf der Strecke zu bleiben und der Anforderung, ihr Geschäftsmodell zu dekarbonisieren. Wie grün ist KI? Und wie hilft KI, grün zu werden? Diese Fragen werden in der Öffentlichkeit immer häufiger gestellt. Die sogenannte “Corporate Digital Responsibility”, die unternehmerische Verantwortung in der digitalen Transformation, wird deshalb weiter an Bedeutung gewinnen.
Herr Professor Traube, 2017 wären Sie fast Daniel Günthers Landwirtschaftsminister geworden. Es wurde dann aber eine Jamaika-Regierung mit Robert Habeck als Agrarminister. Hat Sie das gewurmt?
Nein, ich habe als parteiloser Verhandlungsführer der CDU für den Bereich Landwirtschaft und Umwelt einen wissenschaftlich fundierten Koalitionsvertrag mit entwickelt; das war gut so.
Sie haben 30 Jahre die Forschungsbereiche Pflanzenbau und ökologischer Landbau in Kiel geleitet und waren neun Jahre im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Sie sind also intensiver Begleiter der Agrarwende, der sich die EU mit dem Green Deal verschrieben hat. Geht sie voran?
Es wird häufig so getan, als ob die Agrarwende eine politische Entscheidung wäre. Dabei steht hinter dem Green Deal der Joint Research Council, das Wissenschaftsgremium der EU. Was hier umgesetzt werden soll, ist nichts anderes als der Stand der Forschung zur Frage, wie Landnutzung im Einklang mit Ressourcenschutz laufen sollte. Dieser Weg muss ambitioniert beschritten werden – und das ist leider nicht der Fall.
Woran hakt die Agrarwende?
Wir Wissenschaftler glaubten, dass mit dem Regierungswechsel ein Aufbruch kommt, nach dem jahrelangen Bremsen seitens der CDU-CSU und dem Klöckner-Ministerium. Aber das ist nicht der Fall. Die FDP hat die Lobby-Vertretung der Union zu 110 Prozent übernommen. Die Grünen und Cem Özdemir gehen bei weitem nicht mutig genug an die Konflikte mit den Koalitionspartnern heran. Und die Kanzlerpartei? Fällt völlig aus. Niemand seitens der SPD versucht, den gordischen Knoten zu durchschlagen.
Welche Art der Transformation brauchen wir?
Das Wichtigste ist, den Bevölkerungen in den reichen Ländern die Notwendigkeit einer Ernährungswende zu vermitteln und diese politisch zu untermauern. In Deutschland lehnen die konservativen Parteien einen Abbau der Subventionen für die Tierindustrie ab, die jährlich Milliardenbeiträge verschlingen. Begründung: Jeder solle selbst entscheiden dürfen, was er verzehrt. Das ist ein Wegducken vor gesellschaftlichen Problemen. Wir haben gigantische Kosten im Gesundheitswesen durch Fehlernährung. Ich kenne keine Studie weltweit, die das anders sehen würde – mal abgesehen von jenen im Auftrag des Bauernverbands. Wir müssen von unserem Fleischkonsum massiv herunter.
Massiv weniger Fleisch heißt konkret?
Es geht um Größenordnungen von 50 bis 70 Prozent.
Aus gesundheitlichen Gründen.
Und wegen unserer knappen Ressourcen. Für das Erzeugen von einer Kalorie Rindfleisch brauchen wir achtmal so viel Land wie für eine pflanzliche Kalorie. Wenn wir in den reichen Ländern den Verzehr tierischer Produkte halbieren würden, könnten wir zugleich den Hunger in der Welt halbieren. Der Hebel ist immens. Europa könnten seine Exporte an Brotgetreide dadurch mehr als verdoppeln, wie eine neue Nature-Studie zeigt. Wir könnten den Amazonas schonen, statt tropische Urwälder weiter zu roden für den Soja-Anbau. Und müssten dafür nicht Vegetarier werden, sondern konsequent ‘Flexitarier’.
Was ist dran an den Heilsversprechen durch die neuen genomischen Züchtungstechniken wie CripsrCas?
Auch wenn ich überzeugt bin, dass wir in den nächsten zehn Jahren auch CRISPRCas-Ansätze brauchen werden, sollten wir die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Wir brauchen sie, um den Einsatz des chemischen Pflanzenschutzes zu reduzieren. Nur: Mehr ernten werden wir dadurch sehr wahrscheinlich nicht. Höhere Erträge sehen wir heute schon in der klassischen Züchtung. Sie werden aber draußen auf den Äckern nicht mehr umgesetzt.
Keine höheren Ernten trotz besserer Züchtung – warum nicht?
Die Kulturvielfalt fehlt, die die Pflanzen widerstandsfähig macht. Vor 30 Jahren hatte man auf einem Acker in der Regel Kleegras, Getreide, Raps, Rüben und mehr. Heute gibt es in einer sogenannten Fruchtfolge oft nur noch zwei bis drei Kulturen, auch wenn die europäische Agrarpolitik neuerdings vier vorschreibt, was nur auf sehr begrenzter Fläche umgesetzt wird. Hier im Norden ist die gängige Fruchtfolge Raps-Weizen-Weizen. Wenn der Raps sehr viel Geld bringt, bauen die Landwirte ihn jedes zweite Jahr an. Und wundern sich dann über Rapskrankheiten, die wir seit 60 Jahren nicht mehr hatten. Sie züchten geradezu Krankheiten und Unkräuter. Der Ackerfuchsschwanz ist mittlerweile im Getreide herbizidresistent.
Vielfältige Fruchtfolgen würden mehr helfen als neue Pflanzenzüchtungen?
Bevor wir über gesellschaftlich umstrittene Technologien reden, müssten wir dringend über andere Innovationen sprechen. Wir haben einen zweijährigen Anbau von Kleegras im ökologischen und im konventionellen Landbau getestet. Ergebnis: Wir brauchten keine Pflanzenschutzmittel mehr! Stattdessen: Kohlenstoffspeicherung, Stickstoff aus der Luft, die CO2-Emissionen gegen Null. Und: Die Futterpflanze Kleegras stellt Eiweiß bereit – adé Importsoja. Wir haben der Bundesregierung vorgeschlagen, Kleegras in die Ökoregeln für alle Landwirte aufzunehmen – bisher noch ohne Erfolg.
Apropos ökologisch: Was ist mit dem Argument des Bauernverbands, das Bio-Anbau durch seine geringeren Erträge die Welternährung gefährde?
Das Argument ist falsch. Wenn wir weniger Fleisch konsumierten, könnten wir sogar mehr Ökolandbau machen, und dennoch den Welthunger bekämpfen. Dennoch halte ich die politische Agenda der Ampel, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030, weder für realistisch noch für sinnvoll. Wir haben in einigen Bundesländern gerade mal um die sechs Prozent.
Warum stellen nicht mehr Landwirte um?
Ich bin viel draußen und spreche mit Landwirten, die gerne etwas für die Umwelt tun möchten. Die beobachten dann aber beispielsweise beim Nachbarn, der vor vier Jahren auf Bio umgestellt hat, dass er erstmal zwei Hungerjahre überstehen musste – in denen er die Erzeugnisse noch nicht als Bio vertreiben durfte – und dann für seine Milch nicht den vollen Ökopreis bekommt. Da sagt er sich natürlich, warum soll ich dieses Risiko eingehen? Es gäbe andere Lösungen. Nur bietet die Politik sie nicht an.
Was schlagen Sie statt Bio vor?
Wir nennen das dritte Wege zur Ernährung der Welt. Das war ein großes Forschungsprojekt, das wir mit weltweit 20 Doktoranden durchgeführt haben. Dritte Wege sind Hybridsysteme mit Elementen des Ökolandbaus. Wenn konventionelle Landwirte nur 50 Prozent ihrer Fruchtfolge an Ökostandards ausrichten, kommen sie schon ohne Pflanzenschutz und Mineraldünger aus. Aber anstatt solche gangbaren Wege konsequent zu beschreiten, beharrt die eine Seite auf dem Status Quo, während die andere die reine Öko-Lehre vertritt. Ich sehe keine Politik, die sich am Machbaren orientiert.
Einspruch! Bio ist machbar, normiert und wird kontrolliert. Bestünde nicht die Gefahr eines Greenwashings bei dritten Wegen, etwa mit einer Kleegras-Anbaupflicht?
Die Betriebe sind in Bezug auf ihre Flächennutzung perfekt kontrolliert. Wir haben Satellitenaufnahmen, die genau zeigen, welche Kultur wo steht. Im Übrigen: Es ist vollkommen unangemessen, wenn Cem Özdemir den Ökolandbau in großen Anzeigen in Bezug auf Klimafreundlichkeit bewerben lässt. Die Klimabilanz zwischen Bio-Betrieben variiert nämlich mehr als die zwischen öko und konventionell. Werbung explizit für eine Gruppe der Landwirtschaft gehört sich nicht für einen Agrarminister.
Wie würden Sie Landwirte für Ihren öko-konventionellen-Weg gewinnen?
Wir könnten sofort im aktuellen Subventionssystem beginnen. Normalerweise baut der Landwirt als Futterpflanze langjährig auf der gleichen Fläche Mais an. Man könnte erhebliche Umweltkosten vermeiden, indem man ihm einen Ausgleich dafür gibt, dass er abwechselnd mit der Alternative Kleegras einen etwas geringeren Ertrag einfährt, aber mehr für die Umwelt leistet.
Und wie würden Sie die Gemeinsame Agrarpolitk langfristig entwickeln?
Es darf kein Geld mehr für Landbesitz geben. Heute zahlt die EU noch rund 150 Euro pro Hektar, die letztlich nur das Land verteuern. Ab 2028 sollte es nur noch Geld geben für Ökosystemleistungen. Dafür gibt es Modelle. Die Gemeinwohlprämie des Deutschen Verbands für Landschaftspflege hat sogar im EU-Parlament eine Mehrheit bekommen. Aber der Rat hat sie nicht verabschiedet, weil die konservative EVP dagegen war. Das ist inakzeptabel – besonders angesichts der aktuellen, auch finanziellen Situation.
Ist das, was Sie fordern, “regenerative Landwirtschaft”?
Der Begriff ist nicht geschützt, jeder kann sich regenerativ nennen. Eigentlich geht es um eine Rückbesinnung auf klassische ackerbauliche Regeln: Anbausysteme mit mehr Diversität, mit Tiefwurzlern wie Kleegras oder Leguminosen, die Wurzelgänge für nachfolgende Kulturen bilden, so dass Wasserzugänge erleichtert werden.
Dringen Sie mit diesen Vorschlägen bei den Agrarministern der Länder durch?
Bayern als sehr reiches Land ist da ein Vorreiter. Die haben ein Programm Luzerne, insbesondere in Franken, wo man Probleme mit Nitrat hat aufgrund der Durchlässigkeit der Böden und der Trockenheit. Indem sie dort zwei, drei Jahre Luzerne oder Kleegras anbauen, lösen sie das Problem. Abgesehen von Bayern sind die unionsgeführten Ministerien aber eher auf dem KI-Technologietrip. Und die grün geführten versuchen primär, Ökolandbau zu fördern.
Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist Düngung. Brüssel fand die 2017 und 2020 verbesserte Düngeverordnung (DÜV) so gut, dass es im Juni das Verfahren gegen Deutschland wegen erhöhter Nitratwerte eingestellt hat. Ihr Erfolg?
Nicht ‘mein Erfolg’, nein, aber ich denke, als Wissenschaftler einen notwendigen Beitrag geleistet zu haben. Das Julius-Kühn-Institut hat die Umsetzung der neuen DÜV in sechs Regionen in Deutschland untersucht – bei freiwilligen Teilnehmern. Ergebnis: Die Hälfte der Betriebe macht es sehr gut, die andere nicht. Und das sind Höfe, die glauben, dass sie gut sind! Trotzdem: Wir haben deutschlandweit eine Reduktion der Stickstoffüberschüsse um etwa 20 Prozent in fünf Jahren. Das zeigt, dass das Ordnungsrecht wirkt.
Gegen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hat die Deutsche Umwelthilfe wegen Nitratbelastung im Emsland kürzlich vor Gericht gesiegt. Hat Brüssel also voreilig Deutschland vom Haken gelassen?
Die Einstellung des Verfahrens gegen Deutschland drückte ein Vorschussvertrauen aus. Wobei immer noch Klagen in Hinblick auf die EU-Wasserrahmenrichtlinie und Ammoniak aus der Landwirtschaft drohen. Und in der EU-Meeresstrategie kommt Phosphat zum Tragen. Die Phosphorprobleme sind in manchen Tierhaltungsregionen noch deutlich ernster als die Nitratbelastung …
… die im Einzugsgebiet der Ems freilich noch zu hoch ist.
Die Klage der Deutschen Umwelthilfe kann ich sehr gut nachvollziehen. Die Landkreise Cloppenburg und Vechta, Hochburgen der Tierhaltung, haben noch immer kaum die gesetzlichen Mindestanforderungen umgesetzt und das wird unverständlicherweise auch fünf Jahre nach der Novellierung der Düngeregeln offenbar toleriert.
Und was kann Niedersachsen nun tun in seinen Roten Gebieten?
Eine Maßnahme, die schnell wirkt, wäre, dass man nicht nur weniger düngt, sondern vor allem die organische Düngung mit Gülle absenkt, denn über die Gülle kommt neben Stickstoff vor allem zu viel Phosphor aus der Tierhaltung zurück auf die Flächen.
Müssten die Bauern dafür Tiere schlachten?
Das ist eine unternehmerische Entscheidung. Der Landwirt hat Sorge dafür zu tragen, dass die überschüssige Gülle seiner Tiere abgefahren wird. Weil das kostet, kann es dann auf weniger Tiere hinauslaufen.
Zum Schluss: Werden Sie sich auch als Pensionär noch für die Agrarwende engagieren?
BASF hat mich in sein internationales Nature Advisory Council berufen ebenso wie die Tönnies-Forschung in ihr Kuratorium..
Wie können Sie dort helfen?
Ich habe dort über Milcherzeugung der Zukunft primär auf der Basis von Grünlandfutter vorgetragen. Im Auditorium: die Chefeinkäufer der großen Supermarktketten. Die Ernährungsindustrie ist mindestens ein Jahrzehnt weiter als die Politik und der Bauernverband!