Table.Briefing: Climate

Windkraft: Rekord bei Bewilligungen + Wüsten-COP: Kämpfe wie beim Klima + Industrie: Mit Abwärme zu den Klimazielen

Liebe Leserin, lieber Leser,

auf der Geburtstagstorte brennen neun Kerzen: Am heutigen 12. Dezember jubelten 2015 in den Messehallen des Pariser Flughafens Le Bourget die COP-Delegierten, weil sie endlich das Pariser Abkommen beschlossen hatten. Was für eine Erleichterung und Freude! Seitdem trösten sich die Klimaretterinnen und -retter, wenn alles mal wieder zum Verzweifeln ist, mit den Worten von Humphrey Bogart und Ingrid Bergman aus Casablanca: “We will always have Paris!

Wirklich? Nun ja, wenn der Champagner ausgetrunken ist, schauen wir wieder halbwegs nüchtern auf die Welt. Und immerhin: Es gibt wirklich gute Neuigkeiten vom Ausbau der Windkraft in Deutschland. Und positiv ist auch, welche unglaublichen Effizienzpotenziale beim Wärmeverbrauch der Industrie liegen.

Aber wie das so ist mit Neunjährigen: Richtig verlassen kann man sich nicht auf sie. Deshalb müssen wir auch dieses Mal darüber berichten, wie eine COP zur Wüstenbildung auch aus Klimasicht kein Erfolg wird, wie Bürokratie-Wirrwarr die Windbranche in ihrem Erfolg bedroht, wie umstritten CO₂-Waldzertifikate bleiben und wie bedrohlich Waldverlust und Tundra-Schmelze sind und bleiben.

Also: Bonne Anniversaire, Pariser Abkommen – und trotzdem wachsam bleiben!

Ihr
Bernhard Pötter
Bild von Bernhard  Pötter

Analyse

Rekordergebnisse: Der Wind-Ausbau kommt endlich in Fahrt

Windpark in Thüringen: In knapp zwei Jahren wird der Windkraft-Ausbau wegen der vielen Zuschläge noch einmal anziehen.

Neue Zahlen zeigen: Der Ausbau der Windkraft in Deutschland kommt schneller voran, als viele Experten vor einer Weile noch zu hoffen gewagt haben. Die gerade abgeschlossene Ausschreibungsrunde für Windanlagen an Land hat alle Rekorde gebrochen und erlaubt es Deutschland, wieder auf den ambitionierten Zubaupfad des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zu schwenken. Ein Großteil des Erfolgs geht auf Reformen der aktuellen Bundesregierung, vorangetrieben durch das Wirtschaftsministerium, zurück. Die sichtbaren Erfolge dieser Reformen in Form von tatsächlich gebauten Windkraftanlagen wird allerdings erst die neue Regierung ernten können.

Im Jahr 2024 gab es laut neusten Zahlen der Bundesnetzagentur bei der Windenergie an Land (“Onshore”) Zuschläge im Umfang von elf Gigawatt – das ist rund doppelt so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2017 zugebaut wurde. Der Turnaround ist vor allem in der kürzlich beendeten vierten Ausschreibungsrunde des Jahres zu sehen. In dieser waren 4,1 Gigawatt ausgeschrieben; Gebote gingen für 6,1 Gigawatt ein. Anders als viele vorherige Ausschreibungsrunden war die jüngste Ausschreibungsrunde somit deutlich überzeichnet. Insgesamt wurden 348 Gebote mit einer Kapazität von 4,1 Gigawatt bezuschlagt. In den ersten drei Ausschreibungsrunden, in denen die gesetzlich vorgegebenen Ausschreibungsmengen verringert worden waren, um zu niedrige Preise zu verhindern, waren jeweils zwischen 1,8 und 2,7 Gigawatt an neuer Kapazität bezuschlagt worden – mit kontinuierlicher Zunahme der Zuschläge.

Branche lobt Reformen

Die Branche zeigt sich hochzufrieden mit der Entwicklung. “Für die Windenergie an Land war 2024 ein absolutes Erfolgsjahr”, sagt die Präsidentin des Bundesverbands Windenergie, Bärbel Heidebroek. Das Ergebnis der jüngsten Ausschreibung zeige, “wie stark sich die Reformen der scheidenden Bundesregierung bemerkbar machen”. Auch RWE lobte die Politik: “Die Genehmigungen im Windbereich haben in den letzten zwei bis drei Jahren deutlich zugenommen”, sagt Katja Wünschel, RWE-Managerin für Erneuerbare Energien in Europa, im Interview mit Capital. Man könne ein Windenergieprojekt jetzt innerhalb von vier Jahren anschließen, so die RWE-Managerin. Das sei eine “deutliche Beschleunigung” zu den sechs bis acht Jahren, die es noch vor wenigen Jahren von der Planung bis zur Fertigstellung dauerte.

Um den Windkraftausbau zu beschleunigen, hatte die Bundesregierung mit mehreren Gesetzesänderungen Auflagen verringert und Klagen erschwert:

  • Mit dem “Wind-an-Land-Gesetz” wurden den Bundesländern erstmals verbindliche Flächenziele für die Ausweisung von Windparks gegeben und die Planungsverfahren stark verkürzt.
  • Die Genehmigungsverfahren wurden durch eine Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes deutlich vereinfacht. Zusätzlich beschleunigt wurde die Genehmigung neuer Windparks in ausgewiesenen Gebieten durch die Anwendung der EU-Notfallverordnung.
  • Mit einer Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes wurden die Naturschutzauflagen für neue Windparks drastisch verringert, indem auf gutachterliche Geländebegehungen in der Regel verzichtet werden kann.
  • Indem im EEG festgeschrieben wurde, dass erneuerbare Energien im “überragenden öffentlichen Interesse” liegen, wurden Klagen gegen neue Windparks stark erschwert, weil sie bei Abwägungsentscheidungen nun eine hohe Priorität besitzen.

Diese Änderungen sollen helfen, die erhöhten Ausbauziele zu erreichen. Denn um bis zum Jahr 2030 mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu decken, ist sowohl beim Wind- als auch bei Solaranlagen eine Vervielfachung der früheren Jahreswerte erforderlich. Doch während bei der Solarenergie die Ziele im vergangenen und laufenden Jahr bereits übertroffen wurden, wurden sie bei der Windenergie bisher deutlich verfehlt. Denn wegen der langen Vorlaufzeiten wirken sich Gesetzesänderungen dort erst mit größerer Verzögerung aus.

Bei all dem Lob gibt es jedoch auch mahnende Stimmen. “Es ist gut, dass sich der Erneuerbaren-Ausbau beschleunigt, denn es ist eine elementare Säule der Energiewende”, sagt zwar Matthias Belitz, Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz im Verband der Chemischen Industrie. “Mindestens genauso dringend” sei aber, dass der Ausbau der Erneuerbaren “endlich mit den verfügbaren Netzkapazitäten, dem Ausbau des Stromnetzes und der Speicher sowie erforderlicher Backup-Kraftwerke synchronisiert wird”, fordert Belitz.

Die realen Erfolge fährt erst die nächste Bundesregierung ein

Bei den Genehmigungen neuer Windräder war in diesem Jahr bereits ein starker Anstieg auf zwölf Gigawatt zu verzeichnen. Und jetzt schlagen sich diese Genehmigungen auch in den Ausschreibungen nieder. Die ganz konkreten Erfolge – also das starke Wachstum bei den tatsächlich in Betrieb genommenen Windrädern – wird aber erst die nächste Bundesregierung einfahren.

Denn vom Zuschlag bei der Auktion bis zur Inbetriebnahme eines Windparks vergehen nach Angaben des BWE im Schnitt noch 20 Monate. Erst ab dem vierten Quartal 2025 sei darum “mit einem deutlich gestiegenen Zubauvolumen” zu rechnen. Das Ausbauziel, das in den kommenden Jahren bei zehn Gigawatt brutto liegt, dürfte somit im Jahr 2025 noch einmal verfehlt werden; im Jahr 2026 ist es angesichts der jüngsten Ausschreibungen und Genehmigungen aber durchaus erreichbar.

Zu Beginn des nächsten Jahres könnte der Ausbau allerdings erstmal ins Stocken geraten, warnte der BWE am Mittwoch. Grund ist die neue Pflicht, dass die roten Blinklichter an Windrädern vom 1. Januar nur noch leuchten dürfen, wenn ein Flugzeug in der Nähe ist; zu anderen Zeiten müssen sie ausgeschaltet sein, um die optische Belästigung von Anwohnern zu verringern und damit die Akzeptanz von Windparks zu erhöhen.

Probleme durch neue Blinklicht-Regelung

Doch die Umsetzung dieser “bedarfsgesteuerten Nachtkennzeichnung” macht Probleme: Zwar seien bis zum Jahreswechsel fast alle Windräder, für die die neue Regel gilt, mit der notwendigen Technik ausgestattet, die es ermöglicht, die Transpondersignale von Flugzeugen zu empfangen. Doch bevor diese in Betrieb genommen werden darf, muss sie von den Behörden getestet und abgenommen werden. Mit dieser Aufgabe kommen die Behörden aber vielerorts nicht hinterher, darum drohten ab Januar hohe Strafzahlungen für bestehende Windparks und Probleme bei der Inbetriebnahme neuer, erklärte der Verband. Es brauche dringend eine Klarstellung des Ministeriums, dass keine Strafen anfallen, wenn die Abnahme ohne Verschulden der Betreiber nicht erfolgen könne.

Im BMWK ist das Problem bekannt. Dort weist man darauf hin, dass die Frist für die Installation der Technik bereits mehrmals verlängert worden sei; eigentlich hätten die Betreiber demnach genug Zeit, sie rechtzeitig zu installieren. Strafzahlungen aufgrund der fehlenden Abnahme und verzögerte Inbetriebnahmen sollten aber nach Möglichkeit verhindert werden, sagte ein Sprecher auf Anfrage von Table.Briefings. “Wir sind im Gespräch mit den Netzbetreibern, um eine gute Lösung hinzubekommen.”

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Wüsten-COP: Wie der Kampf um Rechtsrahmen und Finanzen den Klimakonferenzen ähnelt

Eröffnung der COP16 in Riad, Saudi Arabien, am 2. Dezember.

Auch kurz vor dem Ende der COP16 zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) ist die größte der vielen Entscheidungen in Riad noch ungelöst: Wie kann eine umfassende Lösung gegen die Ausbreitung der Trockengebiete und Dürren aussehen? Gleichzeitig ist weiter umstritten, in welche juristische Form ein Abkommen zu diesen Fragen gegossen werden soll – und wie die riesige Finanzierungslücke auch bei der Bekämpfung der Wüstenbildung geschlossen werden kann.

Die COP16 zeigt aber auch: Das Thema gewinnt an Bedeutung, und Länder wie Spanien, die sich traditionell weniger mit ihm befasst haben, zeigen inzwischen stärkeres Interesse. Denn das Problem wird größer: Mehr als drei Viertel aller Flächen auf der Erde waren zwischen 1990 und 2020 trockener als in den drei Jahrzehnten zuvor. Ohne neue Anstrengungen, warnen Experten, werden bis 2050 drei von vier Menschen von Dürre betroffen sein. Häufigere und schwerere Dürren, steigende Treibhausgasemissionen und nicht nachhaltige Nutzung trocknen die Böden oft so weit aus, dass es keine Erholung mehr gibt.

31 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Trockengebieten

Laut eines neuen Berichts des Science Policy Interface der UNCCD haben sich die Trockengebiete zwischen 1990 und 2020 um etwa 4,3 Millionen Quadratkilometer ausgedehnt – eine Fläche von einem Drittel Indiens. Ehemals feuchte Gebiete trocknen aus, 40 Prozent der weltweiten Ackerfläche sind betroffen.

Im Jahr 2020 lebten fast 31 Prozent der Weltbevölkerung in Trockengebieten, 1990 waren es noch 22,5 Prozent. Ohne ernsthafte Maßnahmen werden bis zum Ende des Jahrhunderts fünf Milliarden Menschen in dürren Regionen leben. Die Dürre-Bekämpfung sollte oberste Priorität der COP 16 sein: “Dieses Phänomen macht vor keinem Land und keinem Biom halt. Der Amazonas-Regenwald brennt, die Philippinen wurden dieses Jahr zum ersten Mal von der Dürre heimgesucht, und auch der boreale Wald in Kanada brannte”, sagte UNCCD-Exekutivsekretär Ibrahim Thiaw.

“Jeden Tag eine Milliarde mobilisieren”

Thiaw hat die Länder aufgefordert, ihr Ziel der Landwiederherstellung von einer Milliarde Hektar bis 2030 auf 1,5 Milliarden Hektar zu erhöhen. Von grundlegender Bedeutung sei die Finanzierung zur Verwirklichung dieser Ziele. Thiaw sagt, es sei notwendig, “nicht nur öffentliche Mittel zu sichern, sondern auch private Ressourcen zu mobilisieren. Wir müssen jeden Tag eine Milliarde US-Dollar mobilisieren, um bis 2030 weltweit 1,5 Milliarden Hektar wiederherzustellen.”

In Riad wird intensiv über einen globalen Mechanismus zur Dürreresistenz diskutiert. Zu Beginn der COP16 wurden den Ländern von einer Arbeitsgruppe für Dürre sieben Optionen vorgelegt. Nun steht die Entscheidung zwischen einem Protokoll und einer globalen Rahmenvereinbarung an.

Protokoll oder Rahmenvereinbarung?

Ein Protokoll ist ein rechtsverbindliches Instrument mit einem umfassenden rechtlichen Ansatz auf allen Ebenen. Es enthält spezifische Verpflichtungen, darunter ein Dürrerisikomanagement, Überwachung, Frühwarnung, Schadensbegrenzung, Reaktion und Wiederherstellung im Zusammenhang mit Dürren.

Die andere Option ist ein globaler Rahmen für die Widerstandsfähigkeit. Dabei handelt es sich um ein übergreifendes strategisches Politikinstrument. Es zielt auf ein globales Ziel und zeitgebundene Ziele und Indikatoren, Maßnahmenvorschläge und Überwachungs- und Lernsysteme ab.

  • Afrika wünscht sich ein Protokoll, da es auch die Mittel für die Umsetzung garantiert.
  • Die Europäische Union, trotz einiger Bedenken hinsichtlich der zugesagten Mittel, und wichtige Entwicklungsländer wie Indien und Brasilien sind offen für ein Protokoll, zumal die Forderung aus Afrika stammt – denn die UNCCD wurde nach schweren Hungersnöten in Afrika ins Leben gerufen. Im Gegensatz zu Afrika wären diese Länder jedoch auch bereit, sich auf ein globales Rahmenwerk einzulassen.
  • Die USA und Japan lehnen jeden formellen Mechanismus ab und bevorzugen andere mögliche Optionen.
  • China ist in seiner Haltung nicht eindeutig.

Es fehlen 278 Milliarden pro Jahr

Zum ersten Mal hat die UNCCD eine Bewertung des Finanzbedarfs vorgenommen. Das Resultat sind große Lücken:

  • Bis 2030 werden jährliche Investitionen von etwa 355 Milliarden US-Dollar benötigt. Absehbar sind aber nur 77 Milliarden jährlich.
  • Global entsteht eine Finanzierungslücke von 278 Milliarden US-Dollar pro Jahr, Afrika allein fehlen 191 Milliarden US-Dollar.
  • Der kumulierte Investitionsbedarf zwischen 2016 und 2030 wird auf rund 2,6 Billionen US-Dollar geschätzt – so viel, wie die Welt allein 2023 für Militärausgaben aufwendet. Bislang wurden von diesen Investitionen aber nur 18 Prozent getätigt.
  • 72 Prozent der Investitionen stammen bisher aus inländischen Mitteln der betroffenen Staaten. “Die Steuerzahler heilen die Wunden”, sagte Amina Mohammed, stellvertretende UN-Generalsekretärin.
  • Auf bilaterale und multilaterale Mittel entfallen 22 Prozent, auf den privaten Sektor nur sechs Prozent der Gesamtinvestitionen. “Die Regierungen müssen Subventionen für schädigende Investitionen abschaffen, und sie durch Maßnahmen ersetzen, die landfreundliche Investitionen fördern. Die Entwicklungshilfe muss den Kampf gegen Wüstenbildung, Degradierung und Dürre stärker unterstützen”, sagte Mohamed.

Für die UNCCD ist die Steigerung privater Investitionen der Schlüssel zur Deckung des Finanzbedarfs. Exekutivsekretär Ibrahim Thiaw, sagt, dass die Unternehmen zu ihrem eigenen Wohl mehr beitragen müssen. “Das ist keine Wohltätigkeit, sondern eine Investition.”

Auch UNCCD in Geldnöten

Geld brauchen aber nicht nur die Länder, sondern auch das UNCCD-Sekretariat und sein globaler Mechanismus. Die Länder sollen einen Zweijahreshaushalt (2025 und 2026) für das UNCCD-Sekretariat beschließen. Während die Arbeit der Behörde in den letzten zehn Jahren zugenommen hat, ist ihr Kernhaushalt mit geringen Anpassungen nahezu konstant geblieben. Hohe Inflationsraten und steigende Rohstoffpreise sowie mehr Aufgaben machen eine Aufstockung des Budgets erforderlich.

Wie auch das Klimasekretariat der UN ist das UNCCD-Sekretariat auf freiwillige Beiträge angewiesen, um die Defizite im Haushalt auszugleichen. In den letzten zehn Jahren hat die Abhängigkeit von freiwilligen Beiträgen zugenommen. Deren Anteil stieg von 28 Prozent der Gesamtausgaben 2012-2013 auf 56 Prozent im Zeitraum 2022-2023. Ohne mehr Geld müsste die UNCCD Personal abbauen.

Vorgeschlagen wurde eine Erhöhung der Beiträge aus den Ländern um etwa 31 Prozent. Das stößt auf Schwierigkeiten: Die EU, ihre Mitgliedsstaaten sowie wichtige Entwicklungsländer wie Indien und Brasilien erkennen an, dass die Beiträge steigen sollen, möchten aber über die prozentuale Erhöhung noch einmal nachdenken. Mehrere afrikanische Länder sind besorgt über die vorgeschlagene Erhöhung, da sie zu einer weiteren Belastung der Staatskasse führen würde. Der größte Widerstand gegen die vorgeschlagene Beitragserhöhung kam jedoch aus den USA und Japan.

  • Dürre
  • Klimafinanzierung
  • Landwirtschaft
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EU-Klimaziele: Wie die Industrie dafür Wärmepumpen und Abwärme nutzen soll

Effiziente Nutzung von Prozesswärme wird wichtiger: Bierflaschen in einer Abfüllanlage in Gemünd.

Ohne die effizientere Nutzung von Prozesswärme aus der Industrie sind die europäischen Klimaziele kaum erreichbar. Denn die Hauptemissionsquelle der Industrie ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe – vor allem Gas – zur Wärmeerzeugung in Produktionsprozessen von Lebensmitteln, Papier, Chemikalien, Stahl und Zement. Laut einem an diesem Donnerstag veröffentlichten Bericht des Thinktanks Regulatory Assistance Project (RAP) könnten erhebliche Mengen an Treibhausgasemissionen durch die Elektrifizierung von Industrieprozessen vermieden werden.

Demnach waren im Jahr 2020 nur drei Prozent der Prozesswärme elektrifiziert – der Rest wurde durch fossile Energieträger gewonnen. Dabei könnten mit heute kommerziell verfügbaren Technologien schon bis zu 60 Prozent elektrifiziert sein, schreiben die RAP-Experten. Bis 2035 liege das Potenzial sogar bei 90 Prozent. Barrieren für eine schnellere Elektrifizierung sind:

  • hohe Investitions- und Betriebskosten, Investitionsrisiken und unsichere Erträge;
  • mangelnde Infrastruktur, darunter fehlende Anschlüsse an das Stromnetz;
  • Wissenslücken über verfügbare Technologien, ihre Tauglichkeit und Vorteile und
  • technologische Lücken, insbesondere im Zusammenhang mit Hochtemperaturprozessen.

Elektrifizierungsrichtlinie für die Industrie

RAP schlägt deshalb eine EU-Elektrifizierungsrichtlinie für die Industrie vor, um 60 Prozent Elektrifizierung bis 2050 zu erreichen. Die Europäische Kommission müsse die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern, beispielsweise über Energie- und Kohlenstoffpreise, steuerliche Anreize und gezielte Unterstützung, um das Investitionsrisiko zu senken.

Zudem brauche es eine bessere Netzplanung und mehr Förderung für Forschung und Entwicklung. “Um das Elektrifizierungspotenzial in der deutschen Industrie zu heben, kommt es darauf an, die Netzentgelte zu reformieren und mehr Flexibilität zu fördern”, sagt Jan Rosenow, RAP-Direktor und Wissenschaftler am Environmental Change Institute der Universität Oxford. Bislang hätten große industrielle Stromverbraucher Rabatte für eine konstante Nachfrage erhalten. “Mit dem Aufkommen variabler erneuerbarer Energiequellen sollten wir jedoch zu dynamischen, zeitlich variierenden Netzgebühren übergehen, die die tatsächlichen Kosten der Stromübertragung widerspiegeln und einen flexiblen Energieeinsatz fördern.”

Die Industrie ist weltweit für bis zu 20 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. In Europa werden über 65 Prozent der Energie bei industriellen Anwendungen für Prozesse wie Trocknen, Bleichen, Sterilisierung und Destillierung verbraucht. Und ein Großteil dieser wertvollen Wärme geht verloren, weil er ungenutzt an die Umgebung abgegeben wird. Das will das Unternehmen Susheat nun ändern.

Ideen fürs Klima: Hochtemperatur-Wärmepumpen

Eine Möglichkeit, industrielle Abwärme effizienter zu nutzen und dadurch Treibhausgasemissionen einzusparen, sind Hochtemperatur-Wärmepumpen. Ein neues Forschungsprojekt von Susheat zielt auf eine solche Effizienz-Revolution beim Energieverbrauch der europäischen Industrie ab und soll die Dekarbonisierung in diesem Bereich vorantreiben. Die Entwickler von Susheat wollen 75 Prozent oder mehr der Wärme aus Sektoren wie der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, der Papierindustrie und der Petrochemie zurückgewinnen und wiederverwenden.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie schätzt, dass Wärmepumpen, die Temperaturen von bis zu 250 Grad Celsius liefern, die industriebedingten Emissionen Europas um etwa 20 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr reduzieren könnten und eine “bedeutende” Rolle beim Erreichen der EU-Klimaziele spielen können. Das System aus einer neuartigen Wärmepumpe mit einem Speichersystem könnte zudem in ein bis zwei Jahren einsatzfähig sein – wenn die politischen Rahmenbedingungen und die Finanzierungskosten stimmen.

Silvia Trevisan und Mateo Sanclemente Lozano sind Forscher der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm. Ihre Hochschule gehört zu den 14 Unternehmen und Universitäten, die an Susheat teilnehmen und in Ländern wie Rumänien, Italien, Österreich und Großbritannien ansässig sind, erklärten Trevisan und Lozano im Gespräch mit Table.Briefings. Mit einem Stirlingmotor der neuesten Generation, gebaut von der norwegischen Firma Enerin, nutzen sie die Abwärme und wandeln sie in Temperaturen von bis zu 250 Grad um.

Vorbild für Wärmespeicherung: die menschliche Lunge

Die KTH-Forscher verbinden die Wärmepumpe mit einem Speichersystem, das zum Teil die Form und Funktion der menschlichen Lunge nachahmt. Das System wurde von der Universitat de Lleida (Spanien) entwickelt und kann Wärme für mehrere Stunden speichern und so für mehr Flexibilität und Wärme auf Abruf sorgen.

Um noch flexibler und leistungsfähiger zu sein, sind die neuen industriellen Wärmepumpen- und Wärmespeichertechnologien mit einem solarthermischen Kraftwerk und einem KI-Managementsystem verbunden. So soll so viel Abwärme wie möglich wiederverwendet werden. Gleichzeitig soll das Technologiepaket für verschiedene Länder mit unterschiedlichen Strompreisen und -bedingungen geeignet sein.

“Man kann auch mit gebündelter Solarenergie Temperaturen zwischen 200 und 250 Grad erreichen”, sagt Trevisan. In einem Land wie Italien, wo Strom teuer ist, aber viel Sonne scheint, werde man mehr konzentrierte Solarwärme verwenden und weniger mit der Wärmepumpe produzieren. “In einem Land wie Norwegen, wo die Sonne weniger scheint, der Strom aber billig und umweltfreundlich ist, kann man die industrielle Wärmepumpe stärker einsetzen.”

Kapitalkosten und Amortisationszeiten sind Hindernisse

Die kommerziellen industriellen Hochtemperatur-Wärmepumpen, die 250 Grad erreichen, könnten in ein bis zwei Jahren zur Verfügung stehen. “Das integrierte System wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, da das Management komplexer ist – vielleicht vier bis fünf Jahre”, sagt Trevisan.

Die womöglich größten Herausforderungen sind die Kapitalkosten für die neuen Technologien und die von den Regierungen angebotenen Anreize. “Die Technologie könnte einen Wendepunkt darstellen”, sagt Trevisan. “Ein Großteil der Herausforderung hängt wahrscheinlich eher mit den Kapitalkosten und den Amortisationszeiten zusammen, die die Industrie bereit ist zu akzeptieren.”

Die European Heat Pump Association sieht das ähnlich. In den meisten EU-Ländern sowie in Norwegen, der Schweiz und Großbritannien gibt es staatliche Anreize, aber auch Hindernisse – unter anderem das mangelnde Bewusstsein für das Potenzial der neuen Technik. Deshalb fordert der Verband die EU-Kommission auf, diese neuen Technologien ins Zentrum ihres Gesetzes zur Beschleunigung der industriellen Dekarbonisierung (Industrial Decarbonisation Accelerator Act) zu stellen, das in Kürze veröffentlicht werden soll.

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Termine

12. Dezember, 11 Uhr, Brüssel
Veröffentlichung Future of Emissions Trading System in the EU: Role of Emissions Trading in EU Climate Policy
Der European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) veranstaltet dieses Event zur Veröffentlichung seines Berichts “Role of Emissions Trading in EU Climate Policy”. Infos

12. Dezember, 14 Uhr, Online
Webinar 2025 im Blick: Entwicklungen in der Energie- und Umweltpolitik
Auf Unternehmen kommen 2025 in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung einige Neuerungen zu. Wie können sie ihre Strategie anpassen und ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern? Die Deutsche Industrie- und Handelskammer und das Unternehmernetzwerk Klimaschutz veranstalten dieses Webinar.  Infos

12. Dezember, 15 Uhr, Online
Webinar Unlocking Climate Finance for Transport Transformation: New Tools for LMICs
Das World Resources Institute veranstaltet dieses Webinar zur Frage, wie die Verkehrswende in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen finanziert werden kann. Infos

12. Dezember, 15 Uhr, Online
Diskussion Entspannt Energie handeln mit innovativen Wettermodellen
Mit dem Siegeszug der erneuerbaren Energien werden gute Wetterdaten aus hochaufgelösten Wettermodellen zu einer immer wichtigeren Währung. Dies gilt nicht nur für Betreiber von Ökostrom-Anlagen, sondern insbesondere auch für den Energiehandel. Doch wie weit lassen sich Wetterdaten granulieren? Darüber wird auf diesem Event von Energate diskutiert. Infos

13. Dezember, 11.45 Uhr, Online
Diskussion Was tun gegen Klima-Desinformation und fossilen Lobbyismus?
Die Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet diesen Talk mit dem Spiegel-Kolumnisten und Autor Christian Stöcker sowie der freien Journalistin und Autorin Louisa Schneider. Infos

13. Dezember, 13.30 Uhr, Karlsruhe
Workshop Ökologischer und sozialer Umbau der Wirtschaft
Wie sieht eine Wirtschaft aus, in der soziale Gerechtigkeit, Erhalt unserer Ökosysteme und globale Verantwortung konsequent zusammen gedacht werden? Wie können Gewinnmaximierung und grenzenloses Wachstum abgelöst werden durch Gemeinwohlorientierung, Suffizienz und Kooperation? Darüber diskutiert das Netzwerk Zukunftsfähiges Wirtschaften auf dem Workshop. Infos

13. Dezember, 18 Uhr, Emden
Diskussion und Vortrag Mobilitätswende und Transformation der Autoindustrie
Der sozial-ökologische Umbau der Gesellschaft ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft. Wie können die Klimaziele erreicht und gleichzeitig die sozialen Ansprüche der Beschäftigten der Auto- und Zulieferindustrie gesichert werden? Darüber diskutiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung bei dieser Veranstaltung in Emden. Infos

16. Dezember, 10 Uhr, Online
Webinar Städte auf dem Weg zur Klimaneutralität – Erfahrungsberichte aus Dijon Métropole und Aachen
In diesem Seminar werden Erfahrungen vorgestellt, die mit sogenannten Climate City Contracts gemacht wurden, um strukturelle, institutionelle und kulturelle Barrieren auf dem Weg zur Klimaneutralität zu überwinden. Dijon Métropole (FR) und Aachen (DE) gehören zu den 112 Städten, die ausgewählt wurden, um an der EU-Mission für 100 klimaneutrale und intelligente Städte bis 2030 teilzunehmen, auch bekannt als die Cities Mission. Das Projekt Tandem veranstaltet dieses Event. Infos

18. Dezember, 16 Uhr, Online
Webinar Tracking Next-Generation NDCs: New Insights and Tools
Auf diesem Webinar gibt das World Resources Institute einen Überblick darüber, welche Punkte bei den Einreichungen der nächsten Runde der NDCs weiter sind. Infos

18. Dezember, 19 Uhr, Online
Webinar Continuing Clean Energy Progress Under the Trump Administration
Welche Veränderungen der Energiepolitik kann man unter der Trump-Administration erwarten? Zu dieser Frage veranstaltet das World Resources Institute ein Webinar. Infos

News

Klima in Zahlen: Warum auch der Globale Norden mehr gegen Entwaldung tun muss

In den Entwaldungsdiskussionen auf internationalen Klimakonferenzen geht es meist schwerpunktmäßig um die tropischen Wälder. Der Schutz des Amazonas-Regenwalds beispielsweise erhält viel Aufmerksamkeit – und tatsächlich wurden im brasilianischen Teil der Amazonas-Region laut der Umweltschutzorganisation WWF in den letzten elf Monaten so viele Brände gezählt wie seit 2007 nicht mehr. Bis Mitte Oktober waren demnach 13 Millionen Hektar von den Feuern betroffen. Zählt man die Brände im Cerrado und Pantanal hinzu – zwei weitere bedeutende Biome Brasiliens -, steigt die Fläche auf 30,1 Millionen Hektar.

Bisher ging die Forschung davon aus, dass die tropischen Regenwälder besonders viel Kohlenstoff speichern. Doch aufgrund von Bränden und wegen des Klimawandels schwindet ihre CO₂-Aufnahmefähigkeit. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen liefern sogar Hinweise darauf, dass inzwischen die Wälder der nördlichen Breiten, etwa die borealen Nadelwälder Russlands und Kanadas, zu einer wichtigeren CO₂-Senke geworden sein könnten. Umso wichtiger ist ihr Schutz – und umso wichtiger wäre es, innerhalb der internationalen Klimaverhandlungen mehr über sie zu reden, sagen Vertreter des Globalen Südens wie beispielsweise Sikeade Egbuwalo, im Umweltministerium Nigerias in leitender Funktion für die Biodiversität zuständig. Auf der Plattform Climate Home News kritisiert sie den “tief verwurzelten doppelten Standard”.

Doch Daten des World Resources Institute (WRI) zeigen: Auch auf der nördlichen Erdhalbkugel gehen große Waldflächen verloren. Und während die Wälder im Süden unter anderem abgeholzt werden, um dem Agrobusiness und Bergbau sowie der Öl- und Gasförderung Platz zu machen, spielt im Norden neben Waldbränden die Forstwirtschaft eine wichtige Rolle. Das WRI unterscheidet dabei fünf Hauptgründe von Entwaldung:

  • Durch Forstwirtschaft gingen zwischen 2001 und 2023 weltweit rund 155 Millionen Hektar Baumbestand verloren. Auf diesen Flächen kann der Wald allerdings nachwachsen, sei es auf natürliche Weise oder durch Pflanzungen.
  • Die Rohstoffproduktion, etwa in der Landwirtschaft, im Bergbau oder der Öl- und Gasindustrie, oft für den Export, ist für einen Verlust von 102 Millionen Hektar verantwortlich. Diese Waldzerstörung ist dauerhaft, hier wächst voraussichtlich nichts mehr nach.
  • Wenn menschliche Siedlungen gebaut werden, wird der Wald ebenfalls dauerhaft zerstört. Dadurch gingen im Zeitraum drei Millionen Hektar Baumbestand verloren.
  • Separat erfasst das WRI die landwirtschaftliche Produktion, die nur vorübergehend auf entwaldeten Flächen stattfindet. Hier kann der Wald zurückkommen. Dennoch gingen in dieser Kategorie im Betrachtungszeitraum 113 Millionen Hektar Wald verloren.
  • Waldbrände schließlich sind mit einem Verlust von 113 Millionen Hektar Baumbestand verbunden. Darunter fasst das WRI Feuer, auf die keine landwirtschaftlichen Aktivitäten oder andere “sichtbare menschliche Umwandlungen” folgen – anders als etwa Brände im Globalen Süden, die der Rodung für die Landwirtschaft dienen und in anderen Kategorien auftauchen. ae
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Anpassungsstrategie: Wie die Regierung dem Klimawandel begegnen will

Die rot-grüne Bundesregierung hat ihre Strategie zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise beschlossen. Das teilte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Mittwoch nach dem Kabinettsbeschluss mit. Die Strategie basiert auf dem im Sommer in Kraft getretenen Klimaanpassungsgesetz und legt erstmals messbare Ziele fest, die helfen sollen, Deutschland angesichts der Klimarisiken widerstandsfähiger zu machen. 

Bessere Warnung der Bevölkerung

Im Fokus steht dabei unter anderem eine bessere Warnung der Bevölkerung im Ernstfall, etwa durch die bundesweite Warn-App Nina. Deren Nutzerzahlen sollen bis 2030 deutlich steigen. Auch andere Warnsysteme, wie etwa Sirenen, sollen deutschlandweit ausgebaut werden. Es gehe um ein ganzes Maßnahmenbündel, betonte Lemke. Etwa um verbesserte Trinkpläne in Pflegeeinrichtungen und um die Ausweitung von Grünflächen in Städten. Aber auch um eine resilientere Infrastruktur und darum, beispielsweise die Höhe von Brücken an künftige Starkregenereignisse und Hochwasserkatastrophen anzupassen, erklärte sie.

Durch die fortschreitende Erderwärmung werden Extremwetter immer wahrscheinlicher. Die Anpassung an diese Folgen ist seit 2023 als staatliche Aufgabe in einem eigenen Gesetz verankert.

Schäden in Höhe von 145 Milliarden Euro seit 2000

Lemke betonte, dass die Anpassung an die Klimafolgen auch eine wichtige Kostenfrage sei. “Wir wollen damit die Schäden begrenzt behalten, die infolge der Klimaveränderungen auch in Deutschland auftreten. Seit 2000 sind das bereits Schäden in Höhe von 145 Milliarden Euro. Dem wollen wir mit Vorsorge begegnen”, erklärte sie. Es handele sich dabei um eine ressortübergreifende Aufgabe und nach Angaben ihres Ministeriums auch um eine Aufgabe, die auch unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl im kommenden Frühjahr weitergeführt werde. Die nun beschlossene Strategie gilt ab sofort und ist bis zum Aufsetzen einer neuen durch eine künftige Bundesregierung bindend. dpa/lb

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CO₂-Zertifikate: Rücktritte im Zertifizierungs-Gremium ICVCM

Wegen Kritik an den Bewertungsmaßstäben für Kohlenstoff-Zertifikate durch den Integrity Council for the Voluntary Carbon Market (ICVCM) haben zwei Mitglieder des Gremiums ihren Rücktritt bekannt gegeben. Den ICVCM-Beschluss, die Rechenmethoden für bestimmte Waldschutz-Zertifikate als “hoch integer” zu qualifizieren, halten Lambert Schneider vom Berliner Öko-Institut und Jürg Füssler von Infras in Zürich für falsch. Aus ihrer Sicht traf das Gremium Entscheidungen gegen die eigenen Regeln.

ICVCM ist eine Brancheninitiative, um auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt Vertrauen in die Zertifikate wiederherzustellen. Sie versammelt unabhängige Expertinnen und Experten, die beurteilen, ob Messmethoden für Kompensationsprojekte möglichst zu keinen Überschätzungen führen. Gründungsmitglieder sind unter anderem Google und der Bezos Earth Fund.

Bereits im Juni erhielten erste Methoden das neue Gütesiegel. Es ging dabei um Projekte, die ozonschädigende Kältemittel aus Elektroschrott vernichten und Methan aus Mülldeponien auffangen. Diese Projekte sind wenig kontrovers, aber auch klein und wenig begehrt. Ebenfalls im Sommer erklärte Schneider seinen Rückzug aus dem Gremium, den er jetzt erst öffentlich machte.

Wichtig und kontrovers dagegen sind Waldschutzprojekte, die den Markt dominieren. Ihre Methoden wurden stark weiterentwickelt. Drei erhielten nun während der COP29 in Baku den begehrten “High Integrity”-Stempel: TREES von ART sowie VM48 und J-REDD+ von Verra. Der Co-Vorsitzende des Expertengremiums der ICVCM erklärte, man habe festgestellt, dass die betroffenen Methoden “strenge Ansätze verfolgen, um unter anderem Zusätzlichkeit, Dauerhaftigkeit, solide Quantifizierung und soziale Absicherung zu gewährleisten”.

Doch es gab Streitpunkte, etwa über die Rechenmethoden, die Aufschluss darüber bringen sollen, wie viel Emissionen ein Waldschutzprojekt verhindert. Manche Methoden führen zu Über- oder Unterbewertungen. “Man könnte argumentieren, dass eine Unterschätzung in einigen Gebieten oder Projekten eine Überschätzung in anderen kompensieren würde”, schreiben Füssler und Schneider in einem aktuellen gemeinsamen Blog-Post. Die Überbewertungen mancher Projekte wären dann also kein Problem. Füssler und Schneider fürchten jedoch: Wo Entwaldung ohnehin schon sinkt, ist der Anreiz größer, ein Kompensationsprojekt auszurufen. ICVCM schließt das zwar nicht aus, will die Gefahr aber mit “mehr Forschung” im Auge behalten, hieß es. Man habe außerdem “keine Gründe für die Annahmen gefunden, dass es in Tropenwaldländern zu einem systematischen Rückgang der Entwaldung kommt.”

Schneider kritisierte, diese verschiedenen Standpunkte seien nicht nach außen abgebildet worden. ICVCM sieht das anders: Man habe Bedenken öffentlich “im Detail dargelegt und erklärt, warum sie als unwesentlich eingestuft wurden”. Tin Fischer

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Wärmepumpen: Zahl der Förderanträge zuletzt stark gestiegen

Die Unsicherheit über die künftige Förderung für klimafreundliche Heizungen führt offenbar zu einer deutlich höheren Nachfrage: Nach Informationen von Table.Briefings wurden Ende November und Anfang Dezember von der KfW im Schnitt 9.100 Anträge pro Woche bewilligt. Das ist ein Anstieg von 55 Prozent gegenüber den Werten aus den drei Wochen zuvor. Ein Teil dieses Anstiegs könnte daran liegen, dass bis zum 30. November Anträge für bereits zuvor eingebaute Heizungen nachgereicht werden können.

Im BMWK geht man davon aus, dass der Anstieg überwiegend auf die Sorge vor einer Kürzung der Förderung zurückgeht. Dafür spricht, dass die Zahlen auch in der ersten Dezemberwoche, also nach dem Stichtag für die Nachmeldungen, im Vergleich zu den ersten Novemberwochen noch rund 40 Prozent höher waren als in den ersten Novemberwochen. Die Antragzahlen beziehen sich auf sämtliche klimafreundlichen Heizungen; in den vergangenen Monaten entfielen rund 80 Prozent davon auf Wärmepumpen, der Rest überwiegend auf Biomasse-Heizungen und Fernwärme-Anschlüsse.

Wie es mit der Förderung in Zukunft weitergeht, ist offen. Das von Robert Habeck geführte BMWK geht davon aus, dass sie im nächsten Jahr auch ohne verabschiedeten Haushalt zunächst unverändert fortgesetzt wird. Unter einer neuen Regierung könnte es jedoch deutliche Veränderungen geben: Unions-Fraktionsvize Jens Spahn hatte beim “Forum Wärmepumpe” kürzlich angekündigt, die Förderung werde “der aktuellen Haushaltslage angepasst”; mittelfristig sollten die Subventionen komplett gestrichen werden. SPD und Grüne als mögliche Koalitionspartner der Union wollen dagegen daran festhalten. mkr

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Arktische Tundra: Darum wird die Region zur CO₂-Quelle

Die vergangenen neun Jahre waren in der Arktis die wärmsten seit Aufzeichnungsbeginn. Der Permafrost taut, die Waldbrände werden durch den Klimawandel beschleunigt. Zusammen hat all das dazu geführt, dass sich die arktische Tundra in eine CO₂- und Methan-Quelle verwandelt hat, wie ein Update der Arctic Report Card für das Jahr 2024 zeigt. Der Report spricht von einem “neuen Regime” und warnt vor “dramatischen Veränderungen innerhalb des vergangenen Jahrzehnts”.

Insgesamt haben 97 Forschende aus elf Ländern unter der Leitung der US-Klimabehörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) am Bericht mitgewirkt. “Viele der Vitalzeichen der Arktis erreichen entweder Rekordwerte oder grenzen fast jedes Jahr an Rekordwerte“, sagt Gerald Frost, leitender Wissenschaftler bei Alaska Biological Research Inc. und langjähriger Autor der Arctic Report Card. In den Ergebnissen zeigt sich etwa:

  • In den vergangenen 20 Jahren sind durch Brände in der Nordpolarregion durchschnittlich 207 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr in die Luft gelangt.
  • Die mittlere Wassertemperatur in den meisten flachen Gewässern des Arktischen Ozeans war im August um zwei bis vier Grad wärmer als im Vergleichszeitraum 1991 bis 2020.
  • Die Permafrost-Temperaturen in Alaska waren die zweitwärmsten seit Aufzeichnungsbeginn.
  • Die Population von wandernden Karibus ist in den letzten Jahrzehnten um 65 Prozent gesunken. Hauptgründe dafür seien die Hitze im Sommer und steigende Niederschläge. Das gefährdet die Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung.
  • Die Schneeschmelze beginnt mittlerweile ein bis zwei Wochen früher und die Tundra wird grüner aufgrund der höheren Temperaturen.
  • Der diesjährige Sommer war der feuchteste in der Arktis seit Aufzeichnungsbeginn. Vermehrt regnet es auch auf Schneeflächen, wodurch die Gegend von einer Eisdecke überzogen wird. Das erschwert den Menschen die Fortbewegung und den Tieren die Futtersuche.

Aus dem Bericht geht hervor, dass sich manche Bevölkerungsgruppen wie etwa die indigene Jägergemeinschaft der Kangiqtugaapik besser an die “wärmere, feuchtere und unsichere Welt” anpassen können. Auch einige Pflanzen- und Tierarten, darunter die Eisrobben in der Beringstraße, kommen mit den Veränderungen zurecht. Ihre Population bleibt stabil, weil sie ihre Ernährung vom arktischen Kabeljau auf Safran-Kabeljau umstellen. Dennoch sind die Risiken laut Report insgesamt nur zu bewältigen, wenn weltweit der Treibhausgasausstoß gestoppt wird. lb

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Must-Reads

FAZ: Klimawandel belastet die großen Versicherungen. Ein Bericht zeigt, dass 28 führende Versicherer im Jahr 2023 fast ebenso viel für klimabedingte Schäden ausgeben mussten (10,6 Milliarden Dollar), wie sie von Unternehmenskunden aus der Fossilindustrie an Prämien einnahmen (11,3 Milliarden Dollar).

Euronews: Skigebiete ohne Schnee. Wegen des Klimawandels stellen sich immer mehr Skigebiete auf die Zeit ein, in der es nicht mehr genügend Schnee geben wird. Das europäische Projekt “BeyondSnow” unterstützt sie dabei. In Slowenien setzt man auf Wanderer und Radfahrer als künftige Besucher. Zum Artikel

Washington Post: Für Musk hat der Klimawandel an Bedeutung verloren. Lange Zeit war der Klimawandel für Elon Musk das größte Problem der Gegenwart. Diese Zeit ist vorbei. Zwar leugnet Musk nicht den Klimawandel, aber er hält ihn mittlerweile für ein weniger dringliches Problem und setzt für seine Bewältigung vor allem auf Technologien. Zum Artikel

Time: Besser wohnen und das Klima schützen. 215 Millionen Menschen wohnen in den USA in schlechten Verhältnissen. Maßnahmen zur Gebäudesanierung könnten nicht nur ihre Lebensqualität erhöhen, sondern auch im Kampf gegen den Klimawandel helfen. Zum Artikel

Bloomberg: Wasser sparen in Rechenzentren. Microsoft hat ein neues Konzept für Rechenzentren vorgestellt, das für die Belastungen durch KI-Anwendungen optimiert ist und kein Wasser für die Kühlung verbraucht. Pro Jahr und Rechenzentrum sollen so 125 Millionen Liter Wasser eingespart werden. Zum Artikel

Heads

Ungreifbar – Der Stahl- und Kohle-Investor Daniel Křetínský

Daniel Křetínský während eines Interviews in Frankreich.

Seine Kritiker verliehen Daniel Křetínský (49) schon viele Etiketten: Die “tschechische Sphinx” werde er von der Financial Times genannt. Der französische Journalist Jérôme Lefilliâtre nannte ihn in einer Biografie den “Müllsammler Europas”. Denn Křetínský hat im Jahr 2009 unter anderem die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) und 2016 die Leag in der Lausitz erworben. Durch den Kauf der Kohleunternehmen stieg der Milliardär zu einem der größten Luftverschmutzer Europas auf.

Unklar, ob Křetínský eigenes Geld in Stahl-Transformation investieren will

Nun kommt eine weitere charakterisierende Metapher hinzu: “Zugeknöpft wie eine Auster” sei er zu seinen konkreten Plänen für die Thyssenkrupp-Stahltochter TKSE, sagte Jürgen Kerner im Gespräch mit Table.Briefings. Der zweite Vorsitzende der IG Metall und Aufsichtsratsmitglied der Thyssenkrupp AG hat jedoch einen durchaus differenzierten Eindruck von Křetínský.

An der TKSE hält Křetínský bereits ein Fünftel der Anteile, für weitere 30 Prozent besteht eine Option. “Wenn ich ihm eine Nachricht zukommen lasse, kommt sofort eine Reaktion”, sagt Kerner. “Das ist sehr freundlich.” Aber ein Gespräch über die wichtigen Fragen finde trotzdem nicht statt.

Ohne ein verbindliches Gespräch bleibe unklar, ob Křetínský eigenes Geld in den Konzern investieren wolle, um die Restrukturierung und ökologische Transformation des defizitären größten deutschen Stahlkonzerns mit zu ermöglichen. “Jede Woche, die ohne so ein Gespräch vergeht, nährt die Zweifel bei mir und den Kolleginnen und Kollegen, dass er der richtige Eigentümer ist”, mahnt Kerner. Dabei sei der Tscheche eigentlich “ein sehr zugewandter Mensch”, mit dem man sich gut “über vielerlei Themen auf einer Metaebene” unterhalten könne.  

Ganz ähnlich beschreibt Sigmar Gabriel den Investor im Gespräch mit Table.Briefings: “Ich habe Herrn Křetínský als außerordentlich kenntnisreichen und sehr guten Analytiker kennengelernt”, sagt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister, der im Spätsommer im Streit mit dem Thyssenkrupp-Vorstand seinen Posten als TKSE-Aufsichtsratsvorsitzender räumte. Damals empfahl Gabriel sogar, Křetínský solle die TKSE vollständig übernehmen – eine Aussage, der ehemalige Wirtschaftsminister nun aber nicht wiederholen wollte. 

Im Schlepptau der Privatisierungsgewinner 

Křetínský gehört laut der Forbes-Reichenliste mit 9,4 Milliarden US-Dollar zu den drei reichsten Tschechen, seine Firmenbeteiligungen werden auf das Fünffache taxiert. Wie er als Sohn eines Informatikprofessors und einer Verfassungsrichterin zu diesem Reichtum gekommen ist, erklärt sich durch mehrere für ihn glückliche Umstände: zunächst lernte er nach seinem Jura-Studium und der Promotion an der Masaryk-Universität in Brünn Patrik Tkác und Petr Kellner kennen.  

Tkác, erfolgreicher Bankier aus der Slowakei, holte Křetínský 1999 in seine Investmentfirma J&T, und machte ihn 2003 zum Partner. Gemeinsam gründeten sie 2009 die Holding EPH und engagierten sich zunächst im Geschäft mit fossiler Energie in Mittelosteuropa. Kellner wiederum hatte während der sogenannten Coupon-Privatisierung nach der Wende in Tschechien mit seinem in den Niederlanden registrierten Fonds PPF anscheinend wertlose Anteile der ehemaligen Staatsbetriebe aufgekauft und damit ein Vermögen gemacht. Mit Kellners Tochter Anna war Křetínský jahrelang liiert, mit der Hilfe ihres Vaters baute er am verschachtelten EPH-Firmenimperium. 

Außerdem profitierte er enorm von der Vollinvasion Russlands in der Ukraine. Seitdem rentierten sich nicht nur die Kohlekraftwerke in Ostdeutschland und anderswo, sondern stiegen nach Angaben der tschechischen NGO Re-Set auch die Gewinne aus dem Erdgastransit von Sibirien nach Westeuropa, welche die EPH-Mehrheitsbeteiligung an Eustream einstreicht. Die ukrainische Regierung war davon genauso wenig begeistert wie über die anhaltenden Geschäfte des in Düsseldorf ansässigen Handelskonzerns Metro in Russland. Bei der kriselnden Metro hatte sich Křetínský 2018 eingekauft. 

Kritik an Klimawandelleugnung durch seine Medienbeteiligung

Heute gehört Křetínský ein schwer durchschaubares Firmengeflecht in ganz Europa. Beteiligungen hält er etwa an Supermarktketten wie Sainsbury (Großbritannien) und Casino (Frankreich), an Fußballclubs wie Westham United und Sparta Prag, und der niederländischen Post. In Frankreich kaufte er neben der Illustrierten Elle auch das linke Magazin Marianne und den zweitgrößten Verlag Editis. In seinem Heimatland bespielt sein Czech News Center ein Drittel des Medienmarkts, darunter das Boulevardblatt Blesk. 

Gerade dieses Blatt, so Křetínskýs zahlreiche Gegner aus der Umweltschützer-Szene, habe immer wieder den Klimawandel geleugnet – vermeintlich passend zu einem Investor, der einen Großteil seines Vermögens mit fossiler Energie gemacht hat. Ein prominenter Gegner ist EU-Kommissar Jozef Síkela. Er hatte in seiner Zeit als tschechischer Industrie- und Handelsminister Křetínskýs Übernahmeversuch des Pipelinebetreibers Net4Gas abgewehrt und das Unternehmen verstaatlicht. Síkela fühlte sich durch negative Berichterstattung in Blesk unfair bedrängt. Inzwischen präsentiert sich Křetínský als Klimaschützer und gibt an, mit seinen Firmen die Energiewende voranbringen zu wollen. 

Unterbewertete Unternehmen 

Die Geschäftsstrategie von Křetínský ist es, kriselnde Unternehmen günstig aufzukaufen. Danach hält er sie in der Regel jahrelang. Er zerlegt sie anders als viele andere Investoren gewöhnlich nicht in Einzelteile. Aber er investiert oft auch nicht in größerem Stil, um die Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Darauf hofft aber der IG-Metaller Kerner immer noch für die TKSE.

Dass Křetínský allerdings im Gegenteil Gewinne entzieht, wie ein Greenpeace-Bericht über die Leag kürzlich nahelegte, bestritt sein Sprecher Daniel Častvaj. “Als Aktionäre haben wir noch keinen einzigen Euro Gewinn als Dividende erhalten“, schrieb Častvaj an Table.Briefings. “Alle Gewinne werden im Unternehmen reinvestiert.” Ansonsten bitte er um Verständnis, dass ein Interview mit Křetínský zur Leag oder zur TKSE derzeit nicht möglich sei. Da ist sie wieder – die Auster. Alex Veit

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Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    auf der Geburtstagstorte brennen neun Kerzen: Am heutigen 12. Dezember jubelten 2015 in den Messehallen des Pariser Flughafens Le Bourget die COP-Delegierten, weil sie endlich das Pariser Abkommen beschlossen hatten. Was für eine Erleichterung und Freude! Seitdem trösten sich die Klimaretterinnen und -retter, wenn alles mal wieder zum Verzweifeln ist, mit den Worten von Humphrey Bogart und Ingrid Bergman aus Casablanca: “We will always have Paris!

    Wirklich? Nun ja, wenn der Champagner ausgetrunken ist, schauen wir wieder halbwegs nüchtern auf die Welt. Und immerhin: Es gibt wirklich gute Neuigkeiten vom Ausbau der Windkraft in Deutschland. Und positiv ist auch, welche unglaublichen Effizienzpotenziale beim Wärmeverbrauch der Industrie liegen.

    Aber wie das so ist mit Neunjährigen: Richtig verlassen kann man sich nicht auf sie. Deshalb müssen wir auch dieses Mal darüber berichten, wie eine COP zur Wüstenbildung auch aus Klimasicht kein Erfolg wird, wie Bürokratie-Wirrwarr die Windbranche in ihrem Erfolg bedroht, wie umstritten CO₂-Waldzertifikate bleiben und wie bedrohlich Waldverlust und Tundra-Schmelze sind und bleiben.

    Also: Bonne Anniversaire, Pariser Abkommen – und trotzdem wachsam bleiben!

    Ihr
    Bernhard Pötter
    Bild von Bernhard  Pötter

    Analyse

    Rekordergebnisse: Der Wind-Ausbau kommt endlich in Fahrt

    Windpark in Thüringen: In knapp zwei Jahren wird der Windkraft-Ausbau wegen der vielen Zuschläge noch einmal anziehen.

    Neue Zahlen zeigen: Der Ausbau der Windkraft in Deutschland kommt schneller voran, als viele Experten vor einer Weile noch zu hoffen gewagt haben. Die gerade abgeschlossene Ausschreibungsrunde für Windanlagen an Land hat alle Rekorde gebrochen und erlaubt es Deutschland, wieder auf den ambitionierten Zubaupfad des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zu schwenken. Ein Großteil des Erfolgs geht auf Reformen der aktuellen Bundesregierung, vorangetrieben durch das Wirtschaftsministerium, zurück. Die sichtbaren Erfolge dieser Reformen in Form von tatsächlich gebauten Windkraftanlagen wird allerdings erst die neue Regierung ernten können.

    Im Jahr 2024 gab es laut neusten Zahlen der Bundesnetzagentur bei der Windenergie an Land (“Onshore”) Zuschläge im Umfang von elf Gigawatt – das ist rund doppelt so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2017 zugebaut wurde. Der Turnaround ist vor allem in der kürzlich beendeten vierten Ausschreibungsrunde des Jahres zu sehen. In dieser waren 4,1 Gigawatt ausgeschrieben; Gebote gingen für 6,1 Gigawatt ein. Anders als viele vorherige Ausschreibungsrunden war die jüngste Ausschreibungsrunde somit deutlich überzeichnet. Insgesamt wurden 348 Gebote mit einer Kapazität von 4,1 Gigawatt bezuschlagt. In den ersten drei Ausschreibungsrunden, in denen die gesetzlich vorgegebenen Ausschreibungsmengen verringert worden waren, um zu niedrige Preise zu verhindern, waren jeweils zwischen 1,8 und 2,7 Gigawatt an neuer Kapazität bezuschlagt worden – mit kontinuierlicher Zunahme der Zuschläge.

    Branche lobt Reformen

    Die Branche zeigt sich hochzufrieden mit der Entwicklung. “Für die Windenergie an Land war 2024 ein absolutes Erfolgsjahr”, sagt die Präsidentin des Bundesverbands Windenergie, Bärbel Heidebroek. Das Ergebnis der jüngsten Ausschreibung zeige, “wie stark sich die Reformen der scheidenden Bundesregierung bemerkbar machen”. Auch RWE lobte die Politik: “Die Genehmigungen im Windbereich haben in den letzten zwei bis drei Jahren deutlich zugenommen”, sagt Katja Wünschel, RWE-Managerin für Erneuerbare Energien in Europa, im Interview mit Capital. Man könne ein Windenergieprojekt jetzt innerhalb von vier Jahren anschließen, so die RWE-Managerin. Das sei eine “deutliche Beschleunigung” zu den sechs bis acht Jahren, die es noch vor wenigen Jahren von der Planung bis zur Fertigstellung dauerte.

    Um den Windkraftausbau zu beschleunigen, hatte die Bundesregierung mit mehreren Gesetzesänderungen Auflagen verringert und Klagen erschwert:

    • Mit dem “Wind-an-Land-Gesetz” wurden den Bundesländern erstmals verbindliche Flächenziele für die Ausweisung von Windparks gegeben und die Planungsverfahren stark verkürzt.
    • Die Genehmigungsverfahren wurden durch eine Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes deutlich vereinfacht. Zusätzlich beschleunigt wurde die Genehmigung neuer Windparks in ausgewiesenen Gebieten durch die Anwendung der EU-Notfallverordnung.
    • Mit einer Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes wurden die Naturschutzauflagen für neue Windparks drastisch verringert, indem auf gutachterliche Geländebegehungen in der Regel verzichtet werden kann.
    • Indem im EEG festgeschrieben wurde, dass erneuerbare Energien im “überragenden öffentlichen Interesse” liegen, wurden Klagen gegen neue Windparks stark erschwert, weil sie bei Abwägungsentscheidungen nun eine hohe Priorität besitzen.

    Diese Änderungen sollen helfen, die erhöhten Ausbauziele zu erreichen. Denn um bis zum Jahr 2030 mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu decken, ist sowohl beim Wind- als auch bei Solaranlagen eine Vervielfachung der früheren Jahreswerte erforderlich. Doch während bei der Solarenergie die Ziele im vergangenen und laufenden Jahr bereits übertroffen wurden, wurden sie bei der Windenergie bisher deutlich verfehlt. Denn wegen der langen Vorlaufzeiten wirken sich Gesetzesänderungen dort erst mit größerer Verzögerung aus.

    Bei all dem Lob gibt es jedoch auch mahnende Stimmen. “Es ist gut, dass sich der Erneuerbaren-Ausbau beschleunigt, denn es ist eine elementare Säule der Energiewende”, sagt zwar Matthias Belitz, Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz im Verband der Chemischen Industrie. “Mindestens genauso dringend” sei aber, dass der Ausbau der Erneuerbaren “endlich mit den verfügbaren Netzkapazitäten, dem Ausbau des Stromnetzes und der Speicher sowie erforderlicher Backup-Kraftwerke synchronisiert wird”, fordert Belitz.

    Die realen Erfolge fährt erst die nächste Bundesregierung ein

    Bei den Genehmigungen neuer Windräder war in diesem Jahr bereits ein starker Anstieg auf zwölf Gigawatt zu verzeichnen. Und jetzt schlagen sich diese Genehmigungen auch in den Ausschreibungen nieder. Die ganz konkreten Erfolge – also das starke Wachstum bei den tatsächlich in Betrieb genommenen Windrädern – wird aber erst die nächste Bundesregierung einfahren.

    Denn vom Zuschlag bei der Auktion bis zur Inbetriebnahme eines Windparks vergehen nach Angaben des BWE im Schnitt noch 20 Monate. Erst ab dem vierten Quartal 2025 sei darum “mit einem deutlich gestiegenen Zubauvolumen” zu rechnen. Das Ausbauziel, das in den kommenden Jahren bei zehn Gigawatt brutto liegt, dürfte somit im Jahr 2025 noch einmal verfehlt werden; im Jahr 2026 ist es angesichts der jüngsten Ausschreibungen und Genehmigungen aber durchaus erreichbar.

    Zu Beginn des nächsten Jahres könnte der Ausbau allerdings erstmal ins Stocken geraten, warnte der BWE am Mittwoch. Grund ist die neue Pflicht, dass die roten Blinklichter an Windrädern vom 1. Januar nur noch leuchten dürfen, wenn ein Flugzeug in der Nähe ist; zu anderen Zeiten müssen sie ausgeschaltet sein, um die optische Belästigung von Anwohnern zu verringern und damit die Akzeptanz von Windparks zu erhöhen.

    Probleme durch neue Blinklicht-Regelung

    Doch die Umsetzung dieser “bedarfsgesteuerten Nachtkennzeichnung” macht Probleme: Zwar seien bis zum Jahreswechsel fast alle Windräder, für die die neue Regel gilt, mit der notwendigen Technik ausgestattet, die es ermöglicht, die Transpondersignale von Flugzeugen zu empfangen. Doch bevor diese in Betrieb genommen werden darf, muss sie von den Behörden getestet und abgenommen werden. Mit dieser Aufgabe kommen die Behörden aber vielerorts nicht hinterher, darum drohten ab Januar hohe Strafzahlungen für bestehende Windparks und Probleme bei der Inbetriebnahme neuer, erklärte der Verband. Es brauche dringend eine Klarstellung des Ministeriums, dass keine Strafen anfallen, wenn die Abnahme ohne Verschulden der Betreiber nicht erfolgen könne.

    Im BMWK ist das Problem bekannt. Dort weist man darauf hin, dass die Frist für die Installation der Technik bereits mehrmals verlängert worden sei; eigentlich hätten die Betreiber demnach genug Zeit, sie rechtzeitig zu installieren. Strafzahlungen aufgrund der fehlenden Abnahme und verzögerte Inbetriebnahmen sollten aber nach Möglichkeit verhindert werden, sagte ein Sprecher auf Anfrage von Table.Briefings. “Wir sind im Gespräch mit den Netzbetreibern, um eine gute Lösung hinzubekommen.”

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    Wüsten-COP: Wie der Kampf um Rechtsrahmen und Finanzen den Klimakonferenzen ähnelt

    Eröffnung der COP16 in Riad, Saudi Arabien, am 2. Dezember.

    Auch kurz vor dem Ende der COP16 zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) ist die größte der vielen Entscheidungen in Riad noch ungelöst: Wie kann eine umfassende Lösung gegen die Ausbreitung der Trockengebiete und Dürren aussehen? Gleichzeitig ist weiter umstritten, in welche juristische Form ein Abkommen zu diesen Fragen gegossen werden soll – und wie die riesige Finanzierungslücke auch bei der Bekämpfung der Wüstenbildung geschlossen werden kann.

    Die COP16 zeigt aber auch: Das Thema gewinnt an Bedeutung, und Länder wie Spanien, die sich traditionell weniger mit ihm befasst haben, zeigen inzwischen stärkeres Interesse. Denn das Problem wird größer: Mehr als drei Viertel aller Flächen auf der Erde waren zwischen 1990 und 2020 trockener als in den drei Jahrzehnten zuvor. Ohne neue Anstrengungen, warnen Experten, werden bis 2050 drei von vier Menschen von Dürre betroffen sein. Häufigere und schwerere Dürren, steigende Treibhausgasemissionen und nicht nachhaltige Nutzung trocknen die Böden oft so weit aus, dass es keine Erholung mehr gibt.

    31 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Trockengebieten

    Laut eines neuen Berichts des Science Policy Interface der UNCCD haben sich die Trockengebiete zwischen 1990 und 2020 um etwa 4,3 Millionen Quadratkilometer ausgedehnt – eine Fläche von einem Drittel Indiens. Ehemals feuchte Gebiete trocknen aus, 40 Prozent der weltweiten Ackerfläche sind betroffen.

    Im Jahr 2020 lebten fast 31 Prozent der Weltbevölkerung in Trockengebieten, 1990 waren es noch 22,5 Prozent. Ohne ernsthafte Maßnahmen werden bis zum Ende des Jahrhunderts fünf Milliarden Menschen in dürren Regionen leben. Die Dürre-Bekämpfung sollte oberste Priorität der COP 16 sein: “Dieses Phänomen macht vor keinem Land und keinem Biom halt. Der Amazonas-Regenwald brennt, die Philippinen wurden dieses Jahr zum ersten Mal von der Dürre heimgesucht, und auch der boreale Wald in Kanada brannte”, sagte UNCCD-Exekutivsekretär Ibrahim Thiaw.

    “Jeden Tag eine Milliarde mobilisieren”

    Thiaw hat die Länder aufgefordert, ihr Ziel der Landwiederherstellung von einer Milliarde Hektar bis 2030 auf 1,5 Milliarden Hektar zu erhöhen. Von grundlegender Bedeutung sei die Finanzierung zur Verwirklichung dieser Ziele. Thiaw sagt, es sei notwendig, “nicht nur öffentliche Mittel zu sichern, sondern auch private Ressourcen zu mobilisieren. Wir müssen jeden Tag eine Milliarde US-Dollar mobilisieren, um bis 2030 weltweit 1,5 Milliarden Hektar wiederherzustellen.”

    In Riad wird intensiv über einen globalen Mechanismus zur Dürreresistenz diskutiert. Zu Beginn der COP16 wurden den Ländern von einer Arbeitsgruppe für Dürre sieben Optionen vorgelegt. Nun steht die Entscheidung zwischen einem Protokoll und einer globalen Rahmenvereinbarung an.

    Protokoll oder Rahmenvereinbarung?

    Ein Protokoll ist ein rechtsverbindliches Instrument mit einem umfassenden rechtlichen Ansatz auf allen Ebenen. Es enthält spezifische Verpflichtungen, darunter ein Dürrerisikomanagement, Überwachung, Frühwarnung, Schadensbegrenzung, Reaktion und Wiederherstellung im Zusammenhang mit Dürren.

    Die andere Option ist ein globaler Rahmen für die Widerstandsfähigkeit. Dabei handelt es sich um ein übergreifendes strategisches Politikinstrument. Es zielt auf ein globales Ziel und zeitgebundene Ziele und Indikatoren, Maßnahmenvorschläge und Überwachungs- und Lernsysteme ab.

    • Afrika wünscht sich ein Protokoll, da es auch die Mittel für die Umsetzung garantiert.
    • Die Europäische Union, trotz einiger Bedenken hinsichtlich der zugesagten Mittel, und wichtige Entwicklungsländer wie Indien und Brasilien sind offen für ein Protokoll, zumal die Forderung aus Afrika stammt – denn die UNCCD wurde nach schweren Hungersnöten in Afrika ins Leben gerufen. Im Gegensatz zu Afrika wären diese Länder jedoch auch bereit, sich auf ein globales Rahmenwerk einzulassen.
    • Die USA und Japan lehnen jeden formellen Mechanismus ab und bevorzugen andere mögliche Optionen.
    • China ist in seiner Haltung nicht eindeutig.

    Es fehlen 278 Milliarden pro Jahr

    Zum ersten Mal hat die UNCCD eine Bewertung des Finanzbedarfs vorgenommen. Das Resultat sind große Lücken:

    • Bis 2030 werden jährliche Investitionen von etwa 355 Milliarden US-Dollar benötigt. Absehbar sind aber nur 77 Milliarden jährlich.
    • Global entsteht eine Finanzierungslücke von 278 Milliarden US-Dollar pro Jahr, Afrika allein fehlen 191 Milliarden US-Dollar.
    • Der kumulierte Investitionsbedarf zwischen 2016 und 2030 wird auf rund 2,6 Billionen US-Dollar geschätzt – so viel, wie die Welt allein 2023 für Militärausgaben aufwendet. Bislang wurden von diesen Investitionen aber nur 18 Prozent getätigt.
    • 72 Prozent der Investitionen stammen bisher aus inländischen Mitteln der betroffenen Staaten. “Die Steuerzahler heilen die Wunden”, sagte Amina Mohammed, stellvertretende UN-Generalsekretärin.
    • Auf bilaterale und multilaterale Mittel entfallen 22 Prozent, auf den privaten Sektor nur sechs Prozent der Gesamtinvestitionen. “Die Regierungen müssen Subventionen für schädigende Investitionen abschaffen, und sie durch Maßnahmen ersetzen, die landfreundliche Investitionen fördern. Die Entwicklungshilfe muss den Kampf gegen Wüstenbildung, Degradierung und Dürre stärker unterstützen”, sagte Mohamed.

    Für die UNCCD ist die Steigerung privater Investitionen der Schlüssel zur Deckung des Finanzbedarfs. Exekutivsekretär Ibrahim Thiaw, sagt, dass die Unternehmen zu ihrem eigenen Wohl mehr beitragen müssen. “Das ist keine Wohltätigkeit, sondern eine Investition.”

    Auch UNCCD in Geldnöten

    Geld brauchen aber nicht nur die Länder, sondern auch das UNCCD-Sekretariat und sein globaler Mechanismus. Die Länder sollen einen Zweijahreshaushalt (2025 und 2026) für das UNCCD-Sekretariat beschließen. Während die Arbeit der Behörde in den letzten zehn Jahren zugenommen hat, ist ihr Kernhaushalt mit geringen Anpassungen nahezu konstant geblieben. Hohe Inflationsraten und steigende Rohstoffpreise sowie mehr Aufgaben machen eine Aufstockung des Budgets erforderlich.

    Wie auch das Klimasekretariat der UN ist das UNCCD-Sekretariat auf freiwillige Beiträge angewiesen, um die Defizite im Haushalt auszugleichen. In den letzten zehn Jahren hat die Abhängigkeit von freiwilligen Beiträgen zugenommen. Deren Anteil stieg von 28 Prozent der Gesamtausgaben 2012-2013 auf 56 Prozent im Zeitraum 2022-2023. Ohne mehr Geld müsste die UNCCD Personal abbauen.

    Vorgeschlagen wurde eine Erhöhung der Beiträge aus den Ländern um etwa 31 Prozent. Das stößt auf Schwierigkeiten: Die EU, ihre Mitgliedsstaaten sowie wichtige Entwicklungsländer wie Indien und Brasilien erkennen an, dass die Beiträge steigen sollen, möchten aber über die prozentuale Erhöhung noch einmal nachdenken. Mehrere afrikanische Länder sind besorgt über die vorgeschlagene Erhöhung, da sie zu einer weiteren Belastung der Staatskasse führen würde. Der größte Widerstand gegen die vorgeschlagene Beitragserhöhung kam jedoch aus den USA und Japan.

    • Dürre
    • Klimafinanzierung
    • Landwirtschaft
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    EU-Klimaziele: Wie die Industrie dafür Wärmepumpen und Abwärme nutzen soll

    Effiziente Nutzung von Prozesswärme wird wichtiger: Bierflaschen in einer Abfüllanlage in Gemünd.

    Ohne die effizientere Nutzung von Prozesswärme aus der Industrie sind die europäischen Klimaziele kaum erreichbar. Denn die Hauptemissionsquelle der Industrie ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe – vor allem Gas – zur Wärmeerzeugung in Produktionsprozessen von Lebensmitteln, Papier, Chemikalien, Stahl und Zement. Laut einem an diesem Donnerstag veröffentlichten Bericht des Thinktanks Regulatory Assistance Project (RAP) könnten erhebliche Mengen an Treibhausgasemissionen durch die Elektrifizierung von Industrieprozessen vermieden werden.

    Demnach waren im Jahr 2020 nur drei Prozent der Prozesswärme elektrifiziert – der Rest wurde durch fossile Energieträger gewonnen. Dabei könnten mit heute kommerziell verfügbaren Technologien schon bis zu 60 Prozent elektrifiziert sein, schreiben die RAP-Experten. Bis 2035 liege das Potenzial sogar bei 90 Prozent. Barrieren für eine schnellere Elektrifizierung sind:

    • hohe Investitions- und Betriebskosten, Investitionsrisiken und unsichere Erträge;
    • mangelnde Infrastruktur, darunter fehlende Anschlüsse an das Stromnetz;
    • Wissenslücken über verfügbare Technologien, ihre Tauglichkeit und Vorteile und
    • technologische Lücken, insbesondere im Zusammenhang mit Hochtemperaturprozessen.

    Elektrifizierungsrichtlinie für die Industrie

    RAP schlägt deshalb eine EU-Elektrifizierungsrichtlinie für die Industrie vor, um 60 Prozent Elektrifizierung bis 2050 zu erreichen. Die Europäische Kommission müsse die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern, beispielsweise über Energie- und Kohlenstoffpreise, steuerliche Anreize und gezielte Unterstützung, um das Investitionsrisiko zu senken.

    Zudem brauche es eine bessere Netzplanung und mehr Förderung für Forschung und Entwicklung. “Um das Elektrifizierungspotenzial in der deutschen Industrie zu heben, kommt es darauf an, die Netzentgelte zu reformieren und mehr Flexibilität zu fördern”, sagt Jan Rosenow, RAP-Direktor und Wissenschaftler am Environmental Change Institute der Universität Oxford. Bislang hätten große industrielle Stromverbraucher Rabatte für eine konstante Nachfrage erhalten. “Mit dem Aufkommen variabler erneuerbarer Energiequellen sollten wir jedoch zu dynamischen, zeitlich variierenden Netzgebühren übergehen, die die tatsächlichen Kosten der Stromübertragung widerspiegeln und einen flexiblen Energieeinsatz fördern.”

    Die Industrie ist weltweit für bis zu 20 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. In Europa werden über 65 Prozent der Energie bei industriellen Anwendungen für Prozesse wie Trocknen, Bleichen, Sterilisierung und Destillierung verbraucht. Und ein Großteil dieser wertvollen Wärme geht verloren, weil er ungenutzt an die Umgebung abgegeben wird. Das will das Unternehmen Susheat nun ändern.

    Ideen fürs Klima: Hochtemperatur-Wärmepumpen

    Eine Möglichkeit, industrielle Abwärme effizienter zu nutzen und dadurch Treibhausgasemissionen einzusparen, sind Hochtemperatur-Wärmepumpen. Ein neues Forschungsprojekt von Susheat zielt auf eine solche Effizienz-Revolution beim Energieverbrauch der europäischen Industrie ab und soll die Dekarbonisierung in diesem Bereich vorantreiben. Die Entwickler von Susheat wollen 75 Prozent oder mehr der Wärme aus Sektoren wie der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, der Papierindustrie und der Petrochemie zurückgewinnen und wiederverwenden.

    Eine kürzlich veröffentlichte Studie schätzt, dass Wärmepumpen, die Temperaturen von bis zu 250 Grad Celsius liefern, die industriebedingten Emissionen Europas um etwa 20 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr reduzieren könnten und eine “bedeutende” Rolle beim Erreichen der EU-Klimaziele spielen können. Das System aus einer neuartigen Wärmepumpe mit einem Speichersystem könnte zudem in ein bis zwei Jahren einsatzfähig sein – wenn die politischen Rahmenbedingungen und die Finanzierungskosten stimmen.

    Silvia Trevisan und Mateo Sanclemente Lozano sind Forscher der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm. Ihre Hochschule gehört zu den 14 Unternehmen und Universitäten, die an Susheat teilnehmen und in Ländern wie Rumänien, Italien, Österreich und Großbritannien ansässig sind, erklärten Trevisan und Lozano im Gespräch mit Table.Briefings. Mit einem Stirlingmotor der neuesten Generation, gebaut von der norwegischen Firma Enerin, nutzen sie die Abwärme und wandeln sie in Temperaturen von bis zu 250 Grad um.

    Vorbild für Wärmespeicherung: die menschliche Lunge

    Die KTH-Forscher verbinden die Wärmepumpe mit einem Speichersystem, das zum Teil die Form und Funktion der menschlichen Lunge nachahmt. Das System wurde von der Universitat de Lleida (Spanien) entwickelt und kann Wärme für mehrere Stunden speichern und so für mehr Flexibilität und Wärme auf Abruf sorgen.

    Um noch flexibler und leistungsfähiger zu sein, sind die neuen industriellen Wärmepumpen- und Wärmespeichertechnologien mit einem solarthermischen Kraftwerk und einem KI-Managementsystem verbunden. So soll so viel Abwärme wie möglich wiederverwendet werden. Gleichzeitig soll das Technologiepaket für verschiedene Länder mit unterschiedlichen Strompreisen und -bedingungen geeignet sein.

    “Man kann auch mit gebündelter Solarenergie Temperaturen zwischen 200 und 250 Grad erreichen”, sagt Trevisan. In einem Land wie Italien, wo Strom teuer ist, aber viel Sonne scheint, werde man mehr konzentrierte Solarwärme verwenden und weniger mit der Wärmepumpe produzieren. “In einem Land wie Norwegen, wo die Sonne weniger scheint, der Strom aber billig und umweltfreundlich ist, kann man die industrielle Wärmepumpe stärker einsetzen.”

    Kapitalkosten und Amortisationszeiten sind Hindernisse

    Die kommerziellen industriellen Hochtemperatur-Wärmepumpen, die 250 Grad erreichen, könnten in ein bis zwei Jahren zur Verfügung stehen. “Das integrierte System wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, da das Management komplexer ist – vielleicht vier bis fünf Jahre”, sagt Trevisan.

    Die womöglich größten Herausforderungen sind die Kapitalkosten für die neuen Technologien und die von den Regierungen angebotenen Anreize. “Die Technologie könnte einen Wendepunkt darstellen”, sagt Trevisan. “Ein Großteil der Herausforderung hängt wahrscheinlich eher mit den Kapitalkosten und den Amortisationszeiten zusammen, die die Industrie bereit ist zu akzeptieren.”

    Die European Heat Pump Association sieht das ähnlich. In den meisten EU-Ländern sowie in Norwegen, der Schweiz und Großbritannien gibt es staatliche Anreize, aber auch Hindernisse – unter anderem das mangelnde Bewusstsein für das Potenzial der neuen Technik. Deshalb fordert der Verband die EU-Kommission auf, diese neuen Technologien ins Zentrum ihres Gesetzes zur Beschleunigung der industriellen Dekarbonisierung (Industrial Decarbonisation Accelerator Act) zu stellen, das in Kürze veröffentlicht werden soll.

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    Termine

    12. Dezember, 11 Uhr, Brüssel
    Veröffentlichung Future of Emissions Trading System in the EU: Role of Emissions Trading in EU Climate Policy
    Der European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) veranstaltet dieses Event zur Veröffentlichung seines Berichts “Role of Emissions Trading in EU Climate Policy”. Infos

    12. Dezember, 14 Uhr, Online
    Webinar 2025 im Blick: Entwicklungen in der Energie- und Umweltpolitik
    Auf Unternehmen kommen 2025 in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung einige Neuerungen zu. Wie können sie ihre Strategie anpassen und ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern? Die Deutsche Industrie- und Handelskammer und das Unternehmernetzwerk Klimaschutz veranstalten dieses Webinar.  Infos

    12. Dezember, 15 Uhr, Online
    Webinar Unlocking Climate Finance for Transport Transformation: New Tools for LMICs
    Das World Resources Institute veranstaltet dieses Webinar zur Frage, wie die Verkehrswende in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen finanziert werden kann. Infos

    12. Dezember, 15 Uhr, Online
    Diskussion Entspannt Energie handeln mit innovativen Wettermodellen
    Mit dem Siegeszug der erneuerbaren Energien werden gute Wetterdaten aus hochaufgelösten Wettermodellen zu einer immer wichtigeren Währung. Dies gilt nicht nur für Betreiber von Ökostrom-Anlagen, sondern insbesondere auch für den Energiehandel. Doch wie weit lassen sich Wetterdaten granulieren? Darüber wird auf diesem Event von Energate diskutiert. Infos

    13. Dezember, 11.45 Uhr, Online
    Diskussion Was tun gegen Klima-Desinformation und fossilen Lobbyismus?
    Die Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet diesen Talk mit dem Spiegel-Kolumnisten und Autor Christian Stöcker sowie der freien Journalistin und Autorin Louisa Schneider. Infos

    13. Dezember, 13.30 Uhr, Karlsruhe
    Workshop Ökologischer und sozialer Umbau der Wirtschaft
    Wie sieht eine Wirtschaft aus, in der soziale Gerechtigkeit, Erhalt unserer Ökosysteme und globale Verantwortung konsequent zusammen gedacht werden? Wie können Gewinnmaximierung und grenzenloses Wachstum abgelöst werden durch Gemeinwohlorientierung, Suffizienz und Kooperation? Darüber diskutiert das Netzwerk Zukunftsfähiges Wirtschaften auf dem Workshop. Infos

    13. Dezember, 18 Uhr, Emden
    Diskussion und Vortrag Mobilitätswende und Transformation der Autoindustrie
    Der sozial-ökologische Umbau der Gesellschaft ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft. Wie können die Klimaziele erreicht und gleichzeitig die sozialen Ansprüche der Beschäftigten der Auto- und Zulieferindustrie gesichert werden? Darüber diskutiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung bei dieser Veranstaltung in Emden. Infos

    16. Dezember, 10 Uhr, Online
    Webinar Städte auf dem Weg zur Klimaneutralität – Erfahrungsberichte aus Dijon Métropole und Aachen
    In diesem Seminar werden Erfahrungen vorgestellt, die mit sogenannten Climate City Contracts gemacht wurden, um strukturelle, institutionelle und kulturelle Barrieren auf dem Weg zur Klimaneutralität zu überwinden. Dijon Métropole (FR) und Aachen (DE) gehören zu den 112 Städten, die ausgewählt wurden, um an der EU-Mission für 100 klimaneutrale und intelligente Städte bis 2030 teilzunehmen, auch bekannt als die Cities Mission. Das Projekt Tandem veranstaltet dieses Event. Infos

    18. Dezember, 16 Uhr, Online
    Webinar Tracking Next-Generation NDCs: New Insights and Tools
    Auf diesem Webinar gibt das World Resources Institute einen Überblick darüber, welche Punkte bei den Einreichungen der nächsten Runde der NDCs weiter sind. Infos

    18. Dezember, 19 Uhr, Online
    Webinar Continuing Clean Energy Progress Under the Trump Administration
    Welche Veränderungen der Energiepolitik kann man unter der Trump-Administration erwarten? Zu dieser Frage veranstaltet das World Resources Institute ein Webinar. Infos

    News

    Klima in Zahlen: Warum auch der Globale Norden mehr gegen Entwaldung tun muss

    In den Entwaldungsdiskussionen auf internationalen Klimakonferenzen geht es meist schwerpunktmäßig um die tropischen Wälder. Der Schutz des Amazonas-Regenwalds beispielsweise erhält viel Aufmerksamkeit – und tatsächlich wurden im brasilianischen Teil der Amazonas-Region laut der Umweltschutzorganisation WWF in den letzten elf Monaten so viele Brände gezählt wie seit 2007 nicht mehr. Bis Mitte Oktober waren demnach 13 Millionen Hektar von den Feuern betroffen. Zählt man die Brände im Cerrado und Pantanal hinzu – zwei weitere bedeutende Biome Brasiliens -, steigt die Fläche auf 30,1 Millionen Hektar.

    Bisher ging die Forschung davon aus, dass die tropischen Regenwälder besonders viel Kohlenstoff speichern. Doch aufgrund von Bränden und wegen des Klimawandels schwindet ihre CO₂-Aufnahmefähigkeit. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen liefern sogar Hinweise darauf, dass inzwischen die Wälder der nördlichen Breiten, etwa die borealen Nadelwälder Russlands und Kanadas, zu einer wichtigeren CO₂-Senke geworden sein könnten. Umso wichtiger ist ihr Schutz – und umso wichtiger wäre es, innerhalb der internationalen Klimaverhandlungen mehr über sie zu reden, sagen Vertreter des Globalen Südens wie beispielsweise Sikeade Egbuwalo, im Umweltministerium Nigerias in leitender Funktion für die Biodiversität zuständig. Auf der Plattform Climate Home News kritisiert sie den “tief verwurzelten doppelten Standard”.

    Doch Daten des World Resources Institute (WRI) zeigen: Auch auf der nördlichen Erdhalbkugel gehen große Waldflächen verloren. Und während die Wälder im Süden unter anderem abgeholzt werden, um dem Agrobusiness und Bergbau sowie der Öl- und Gasförderung Platz zu machen, spielt im Norden neben Waldbränden die Forstwirtschaft eine wichtige Rolle. Das WRI unterscheidet dabei fünf Hauptgründe von Entwaldung:

    • Durch Forstwirtschaft gingen zwischen 2001 und 2023 weltweit rund 155 Millionen Hektar Baumbestand verloren. Auf diesen Flächen kann der Wald allerdings nachwachsen, sei es auf natürliche Weise oder durch Pflanzungen.
    • Die Rohstoffproduktion, etwa in der Landwirtschaft, im Bergbau oder der Öl- und Gasindustrie, oft für den Export, ist für einen Verlust von 102 Millionen Hektar verantwortlich. Diese Waldzerstörung ist dauerhaft, hier wächst voraussichtlich nichts mehr nach.
    • Wenn menschliche Siedlungen gebaut werden, wird der Wald ebenfalls dauerhaft zerstört. Dadurch gingen im Zeitraum drei Millionen Hektar Baumbestand verloren.
    • Separat erfasst das WRI die landwirtschaftliche Produktion, die nur vorübergehend auf entwaldeten Flächen stattfindet. Hier kann der Wald zurückkommen. Dennoch gingen in dieser Kategorie im Betrachtungszeitraum 113 Millionen Hektar Wald verloren.
    • Waldbrände schließlich sind mit einem Verlust von 113 Millionen Hektar Baumbestand verbunden. Darunter fasst das WRI Feuer, auf die keine landwirtschaftlichen Aktivitäten oder andere “sichtbare menschliche Umwandlungen” folgen – anders als etwa Brände im Globalen Süden, die der Rodung für die Landwirtschaft dienen und in anderen Kategorien auftauchen. ae
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    Anpassungsstrategie: Wie die Regierung dem Klimawandel begegnen will

    Die rot-grüne Bundesregierung hat ihre Strategie zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise beschlossen. Das teilte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Mittwoch nach dem Kabinettsbeschluss mit. Die Strategie basiert auf dem im Sommer in Kraft getretenen Klimaanpassungsgesetz und legt erstmals messbare Ziele fest, die helfen sollen, Deutschland angesichts der Klimarisiken widerstandsfähiger zu machen. 

    Bessere Warnung der Bevölkerung

    Im Fokus steht dabei unter anderem eine bessere Warnung der Bevölkerung im Ernstfall, etwa durch die bundesweite Warn-App Nina. Deren Nutzerzahlen sollen bis 2030 deutlich steigen. Auch andere Warnsysteme, wie etwa Sirenen, sollen deutschlandweit ausgebaut werden. Es gehe um ein ganzes Maßnahmenbündel, betonte Lemke. Etwa um verbesserte Trinkpläne in Pflegeeinrichtungen und um die Ausweitung von Grünflächen in Städten. Aber auch um eine resilientere Infrastruktur und darum, beispielsweise die Höhe von Brücken an künftige Starkregenereignisse und Hochwasserkatastrophen anzupassen, erklärte sie.

    Durch die fortschreitende Erderwärmung werden Extremwetter immer wahrscheinlicher. Die Anpassung an diese Folgen ist seit 2023 als staatliche Aufgabe in einem eigenen Gesetz verankert.

    Schäden in Höhe von 145 Milliarden Euro seit 2000

    Lemke betonte, dass die Anpassung an die Klimafolgen auch eine wichtige Kostenfrage sei. “Wir wollen damit die Schäden begrenzt behalten, die infolge der Klimaveränderungen auch in Deutschland auftreten. Seit 2000 sind das bereits Schäden in Höhe von 145 Milliarden Euro. Dem wollen wir mit Vorsorge begegnen”, erklärte sie. Es handele sich dabei um eine ressortübergreifende Aufgabe und nach Angaben ihres Ministeriums auch um eine Aufgabe, die auch unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl im kommenden Frühjahr weitergeführt werde. Die nun beschlossene Strategie gilt ab sofort und ist bis zum Aufsetzen einer neuen durch eine künftige Bundesregierung bindend. dpa/lb

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    CO₂-Zertifikate: Rücktritte im Zertifizierungs-Gremium ICVCM

    Wegen Kritik an den Bewertungsmaßstäben für Kohlenstoff-Zertifikate durch den Integrity Council for the Voluntary Carbon Market (ICVCM) haben zwei Mitglieder des Gremiums ihren Rücktritt bekannt gegeben. Den ICVCM-Beschluss, die Rechenmethoden für bestimmte Waldschutz-Zertifikate als “hoch integer” zu qualifizieren, halten Lambert Schneider vom Berliner Öko-Institut und Jürg Füssler von Infras in Zürich für falsch. Aus ihrer Sicht traf das Gremium Entscheidungen gegen die eigenen Regeln.

    ICVCM ist eine Brancheninitiative, um auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt Vertrauen in die Zertifikate wiederherzustellen. Sie versammelt unabhängige Expertinnen und Experten, die beurteilen, ob Messmethoden für Kompensationsprojekte möglichst zu keinen Überschätzungen führen. Gründungsmitglieder sind unter anderem Google und der Bezos Earth Fund.

    Bereits im Juni erhielten erste Methoden das neue Gütesiegel. Es ging dabei um Projekte, die ozonschädigende Kältemittel aus Elektroschrott vernichten und Methan aus Mülldeponien auffangen. Diese Projekte sind wenig kontrovers, aber auch klein und wenig begehrt. Ebenfalls im Sommer erklärte Schneider seinen Rückzug aus dem Gremium, den er jetzt erst öffentlich machte.

    Wichtig und kontrovers dagegen sind Waldschutzprojekte, die den Markt dominieren. Ihre Methoden wurden stark weiterentwickelt. Drei erhielten nun während der COP29 in Baku den begehrten “High Integrity”-Stempel: TREES von ART sowie VM48 und J-REDD+ von Verra. Der Co-Vorsitzende des Expertengremiums der ICVCM erklärte, man habe festgestellt, dass die betroffenen Methoden “strenge Ansätze verfolgen, um unter anderem Zusätzlichkeit, Dauerhaftigkeit, solide Quantifizierung und soziale Absicherung zu gewährleisten”.

    Doch es gab Streitpunkte, etwa über die Rechenmethoden, die Aufschluss darüber bringen sollen, wie viel Emissionen ein Waldschutzprojekt verhindert. Manche Methoden führen zu Über- oder Unterbewertungen. “Man könnte argumentieren, dass eine Unterschätzung in einigen Gebieten oder Projekten eine Überschätzung in anderen kompensieren würde”, schreiben Füssler und Schneider in einem aktuellen gemeinsamen Blog-Post. Die Überbewertungen mancher Projekte wären dann also kein Problem. Füssler und Schneider fürchten jedoch: Wo Entwaldung ohnehin schon sinkt, ist der Anreiz größer, ein Kompensationsprojekt auszurufen. ICVCM schließt das zwar nicht aus, will die Gefahr aber mit “mehr Forschung” im Auge behalten, hieß es. Man habe außerdem “keine Gründe für die Annahmen gefunden, dass es in Tropenwaldländern zu einem systematischen Rückgang der Entwaldung kommt.”

    Schneider kritisierte, diese verschiedenen Standpunkte seien nicht nach außen abgebildet worden. ICVCM sieht das anders: Man habe Bedenken öffentlich “im Detail dargelegt und erklärt, warum sie als unwesentlich eingestuft wurden”. Tin Fischer

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    Wärmepumpen: Zahl der Förderanträge zuletzt stark gestiegen

    Die Unsicherheit über die künftige Förderung für klimafreundliche Heizungen führt offenbar zu einer deutlich höheren Nachfrage: Nach Informationen von Table.Briefings wurden Ende November und Anfang Dezember von der KfW im Schnitt 9.100 Anträge pro Woche bewilligt. Das ist ein Anstieg von 55 Prozent gegenüber den Werten aus den drei Wochen zuvor. Ein Teil dieses Anstiegs könnte daran liegen, dass bis zum 30. November Anträge für bereits zuvor eingebaute Heizungen nachgereicht werden können.

    Im BMWK geht man davon aus, dass der Anstieg überwiegend auf die Sorge vor einer Kürzung der Förderung zurückgeht. Dafür spricht, dass die Zahlen auch in der ersten Dezemberwoche, also nach dem Stichtag für die Nachmeldungen, im Vergleich zu den ersten Novemberwochen noch rund 40 Prozent höher waren als in den ersten Novemberwochen. Die Antragzahlen beziehen sich auf sämtliche klimafreundlichen Heizungen; in den vergangenen Monaten entfielen rund 80 Prozent davon auf Wärmepumpen, der Rest überwiegend auf Biomasse-Heizungen und Fernwärme-Anschlüsse.

    Wie es mit der Förderung in Zukunft weitergeht, ist offen. Das von Robert Habeck geführte BMWK geht davon aus, dass sie im nächsten Jahr auch ohne verabschiedeten Haushalt zunächst unverändert fortgesetzt wird. Unter einer neuen Regierung könnte es jedoch deutliche Veränderungen geben: Unions-Fraktionsvize Jens Spahn hatte beim “Forum Wärmepumpe” kürzlich angekündigt, die Förderung werde “der aktuellen Haushaltslage angepasst”; mittelfristig sollten die Subventionen komplett gestrichen werden. SPD und Grüne als mögliche Koalitionspartner der Union wollen dagegen daran festhalten. mkr

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    Arktische Tundra: Darum wird die Region zur CO₂-Quelle

    Die vergangenen neun Jahre waren in der Arktis die wärmsten seit Aufzeichnungsbeginn. Der Permafrost taut, die Waldbrände werden durch den Klimawandel beschleunigt. Zusammen hat all das dazu geführt, dass sich die arktische Tundra in eine CO₂- und Methan-Quelle verwandelt hat, wie ein Update der Arctic Report Card für das Jahr 2024 zeigt. Der Report spricht von einem “neuen Regime” und warnt vor “dramatischen Veränderungen innerhalb des vergangenen Jahrzehnts”.

    Insgesamt haben 97 Forschende aus elf Ländern unter der Leitung der US-Klimabehörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) am Bericht mitgewirkt. “Viele der Vitalzeichen der Arktis erreichen entweder Rekordwerte oder grenzen fast jedes Jahr an Rekordwerte“, sagt Gerald Frost, leitender Wissenschaftler bei Alaska Biological Research Inc. und langjähriger Autor der Arctic Report Card. In den Ergebnissen zeigt sich etwa:

    • In den vergangenen 20 Jahren sind durch Brände in der Nordpolarregion durchschnittlich 207 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr in die Luft gelangt.
    • Die mittlere Wassertemperatur in den meisten flachen Gewässern des Arktischen Ozeans war im August um zwei bis vier Grad wärmer als im Vergleichszeitraum 1991 bis 2020.
    • Die Permafrost-Temperaturen in Alaska waren die zweitwärmsten seit Aufzeichnungsbeginn.
    • Die Population von wandernden Karibus ist in den letzten Jahrzehnten um 65 Prozent gesunken. Hauptgründe dafür seien die Hitze im Sommer und steigende Niederschläge. Das gefährdet die Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung.
    • Die Schneeschmelze beginnt mittlerweile ein bis zwei Wochen früher und die Tundra wird grüner aufgrund der höheren Temperaturen.
    • Der diesjährige Sommer war der feuchteste in der Arktis seit Aufzeichnungsbeginn. Vermehrt regnet es auch auf Schneeflächen, wodurch die Gegend von einer Eisdecke überzogen wird. Das erschwert den Menschen die Fortbewegung und den Tieren die Futtersuche.

    Aus dem Bericht geht hervor, dass sich manche Bevölkerungsgruppen wie etwa die indigene Jägergemeinschaft der Kangiqtugaapik besser an die “wärmere, feuchtere und unsichere Welt” anpassen können. Auch einige Pflanzen- und Tierarten, darunter die Eisrobben in der Beringstraße, kommen mit den Veränderungen zurecht. Ihre Population bleibt stabil, weil sie ihre Ernährung vom arktischen Kabeljau auf Safran-Kabeljau umstellen. Dennoch sind die Risiken laut Report insgesamt nur zu bewältigen, wenn weltweit der Treibhausgasausstoß gestoppt wird. lb

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    Must-Reads

    FAZ: Klimawandel belastet die großen Versicherungen. Ein Bericht zeigt, dass 28 führende Versicherer im Jahr 2023 fast ebenso viel für klimabedingte Schäden ausgeben mussten (10,6 Milliarden Dollar), wie sie von Unternehmenskunden aus der Fossilindustrie an Prämien einnahmen (11,3 Milliarden Dollar).

    Euronews: Skigebiete ohne Schnee. Wegen des Klimawandels stellen sich immer mehr Skigebiete auf die Zeit ein, in der es nicht mehr genügend Schnee geben wird. Das europäische Projekt “BeyondSnow” unterstützt sie dabei. In Slowenien setzt man auf Wanderer und Radfahrer als künftige Besucher. Zum Artikel

    Washington Post: Für Musk hat der Klimawandel an Bedeutung verloren. Lange Zeit war der Klimawandel für Elon Musk das größte Problem der Gegenwart. Diese Zeit ist vorbei. Zwar leugnet Musk nicht den Klimawandel, aber er hält ihn mittlerweile für ein weniger dringliches Problem und setzt für seine Bewältigung vor allem auf Technologien. Zum Artikel

    Time: Besser wohnen und das Klima schützen. 215 Millionen Menschen wohnen in den USA in schlechten Verhältnissen. Maßnahmen zur Gebäudesanierung könnten nicht nur ihre Lebensqualität erhöhen, sondern auch im Kampf gegen den Klimawandel helfen. Zum Artikel

    Bloomberg: Wasser sparen in Rechenzentren. Microsoft hat ein neues Konzept für Rechenzentren vorgestellt, das für die Belastungen durch KI-Anwendungen optimiert ist und kein Wasser für die Kühlung verbraucht. Pro Jahr und Rechenzentrum sollen so 125 Millionen Liter Wasser eingespart werden. Zum Artikel

    Heads

    Ungreifbar – Der Stahl- und Kohle-Investor Daniel Křetínský

    Daniel Křetínský während eines Interviews in Frankreich.

    Seine Kritiker verliehen Daniel Křetínský (49) schon viele Etiketten: Die “tschechische Sphinx” werde er von der Financial Times genannt. Der französische Journalist Jérôme Lefilliâtre nannte ihn in einer Biografie den “Müllsammler Europas”. Denn Křetínský hat im Jahr 2009 unter anderem die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) und 2016 die Leag in der Lausitz erworben. Durch den Kauf der Kohleunternehmen stieg der Milliardär zu einem der größten Luftverschmutzer Europas auf.

    Unklar, ob Křetínský eigenes Geld in Stahl-Transformation investieren will

    Nun kommt eine weitere charakterisierende Metapher hinzu: “Zugeknöpft wie eine Auster” sei er zu seinen konkreten Plänen für die Thyssenkrupp-Stahltochter TKSE, sagte Jürgen Kerner im Gespräch mit Table.Briefings. Der zweite Vorsitzende der IG Metall und Aufsichtsratsmitglied der Thyssenkrupp AG hat jedoch einen durchaus differenzierten Eindruck von Křetínský.

    An der TKSE hält Křetínský bereits ein Fünftel der Anteile, für weitere 30 Prozent besteht eine Option. “Wenn ich ihm eine Nachricht zukommen lasse, kommt sofort eine Reaktion”, sagt Kerner. “Das ist sehr freundlich.” Aber ein Gespräch über die wichtigen Fragen finde trotzdem nicht statt.

    Ohne ein verbindliches Gespräch bleibe unklar, ob Křetínský eigenes Geld in den Konzern investieren wolle, um die Restrukturierung und ökologische Transformation des defizitären größten deutschen Stahlkonzerns mit zu ermöglichen. “Jede Woche, die ohne so ein Gespräch vergeht, nährt die Zweifel bei mir und den Kolleginnen und Kollegen, dass er der richtige Eigentümer ist”, mahnt Kerner. Dabei sei der Tscheche eigentlich “ein sehr zugewandter Mensch”, mit dem man sich gut “über vielerlei Themen auf einer Metaebene” unterhalten könne.  

    Ganz ähnlich beschreibt Sigmar Gabriel den Investor im Gespräch mit Table.Briefings: “Ich habe Herrn Křetínský als außerordentlich kenntnisreichen und sehr guten Analytiker kennengelernt”, sagt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister, der im Spätsommer im Streit mit dem Thyssenkrupp-Vorstand seinen Posten als TKSE-Aufsichtsratsvorsitzender räumte. Damals empfahl Gabriel sogar, Křetínský solle die TKSE vollständig übernehmen – eine Aussage, der ehemalige Wirtschaftsminister nun aber nicht wiederholen wollte. 

    Im Schlepptau der Privatisierungsgewinner 

    Křetínský gehört laut der Forbes-Reichenliste mit 9,4 Milliarden US-Dollar zu den drei reichsten Tschechen, seine Firmenbeteiligungen werden auf das Fünffache taxiert. Wie er als Sohn eines Informatikprofessors und einer Verfassungsrichterin zu diesem Reichtum gekommen ist, erklärt sich durch mehrere für ihn glückliche Umstände: zunächst lernte er nach seinem Jura-Studium und der Promotion an der Masaryk-Universität in Brünn Patrik Tkác und Petr Kellner kennen.  

    Tkác, erfolgreicher Bankier aus der Slowakei, holte Křetínský 1999 in seine Investmentfirma J&T, und machte ihn 2003 zum Partner. Gemeinsam gründeten sie 2009 die Holding EPH und engagierten sich zunächst im Geschäft mit fossiler Energie in Mittelosteuropa. Kellner wiederum hatte während der sogenannten Coupon-Privatisierung nach der Wende in Tschechien mit seinem in den Niederlanden registrierten Fonds PPF anscheinend wertlose Anteile der ehemaligen Staatsbetriebe aufgekauft und damit ein Vermögen gemacht. Mit Kellners Tochter Anna war Křetínský jahrelang liiert, mit der Hilfe ihres Vaters baute er am verschachtelten EPH-Firmenimperium. 

    Außerdem profitierte er enorm von der Vollinvasion Russlands in der Ukraine. Seitdem rentierten sich nicht nur die Kohlekraftwerke in Ostdeutschland und anderswo, sondern stiegen nach Angaben der tschechischen NGO Re-Set auch die Gewinne aus dem Erdgastransit von Sibirien nach Westeuropa, welche die EPH-Mehrheitsbeteiligung an Eustream einstreicht. Die ukrainische Regierung war davon genauso wenig begeistert wie über die anhaltenden Geschäfte des in Düsseldorf ansässigen Handelskonzerns Metro in Russland. Bei der kriselnden Metro hatte sich Křetínský 2018 eingekauft. 

    Kritik an Klimawandelleugnung durch seine Medienbeteiligung

    Heute gehört Křetínský ein schwer durchschaubares Firmengeflecht in ganz Europa. Beteiligungen hält er etwa an Supermarktketten wie Sainsbury (Großbritannien) und Casino (Frankreich), an Fußballclubs wie Westham United und Sparta Prag, und der niederländischen Post. In Frankreich kaufte er neben der Illustrierten Elle auch das linke Magazin Marianne und den zweitgrößten Verlag Editis. In seinem Heimatland bespielt sein Czech News Center ein Drittel des Medienmarkts, darunter das Boulevardblatt Blesk. 

    Gerade dieses Blatt, so Křetínskýs zahlreiche Gegner aus der Umweltschützer-Szene, habe immer wieder den Klimawandel geleugnet – vermeintlich passend zu einem Investor, der einen Großteil seines Vermögens mit fossiler Energie gemacht hat. Ein prominenter Gegner ist EU-Kommissar Jozef Síkela. Er hatte in seiner Zeit als tschechischer Industrie- und Handelsminister Křetínskýs Übernahmeversuch des Pipelinebetreibers Net4Gas abgewehrt und das Unternehmen verstaatlicht. Síkela fühlte sich durch negative Berichterstattung in Blesk unfair bedrängt. Inzwischen präsentiert sich Křetínský als Klimaschützer und gibt an, mit seinen Firmen die Energiewende voranbringen zu wollen. 

    Unterbewertete Unternehmen 

    Die Geschäftsstrategie von Křetínský ist es, kriselnde Unternehmen günstig aufzukaufen. Danach hält er sie in der Regel jahrelang. Er zerlegt sie anders als viele andere Investoren gewöhnlich nicht in Einzelteile. Aber er investiert oft auch nicht in größerem Stil, um die Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Darauf hofft aber der IG-Metaller Kerner immer noch für die TKSE.

    Dass Křetínský allerdings im Gegenteil Gewinne entzieht, wie ein Greenpeace-Bericht über die Leag kürzlich nahelegte, bestritt sein Sprecher Daniel Častvaj. “Als Aktionäre haben wir noch keinen einzigen Euro Gewinn als Dividende erhalten“, schrieb Častvaj an Table.Briefings. “Alle Gewinne werden im Unternehmen reinvestiert.” Ansonsten bitte er um Verständnis, dass ein Interview mit Křetínský zur Leag oder zur TKSE derzeit nicht möglich sei. Da ist sie wieder – die Auster. Alex Veit

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