immerhin das Koalitionsklima scheint vorerst gerettet. Nach stundenlangen Verhandlungen haben sich SPD, Grüne und FDP auch im Klimabereich auf Kompromisse geeinigt. Das Ergebnis: Die einzelnen Ministerien wurden nicht aus der Verantwortung für mehr Klimaschutz entlassen. Verrechnungen zwischen “Klimasündern” und “Klimastrebern” unter den Ministerien sind in Zukunft möglich. Doch da sich die Klimaziele von Jahr zu Jahr verschärfen, wird es wenig Spielraum geben.
Vor welchen Aufgaben diese und zukünftige Regierungen bei der Energiewende stehen, zeigt unser Interview mit Francesco La Camera von der Berlin Energy Transition Week. Der IRENA-Chef sieht die Weltgemeinschaft vor einer Mammutaufgabe, denn vieles muss zeitgleich passieren: Jährlich bräuchte es 1.000 Gigawatt neuer EE-Kapazitäten, massive Anstrengungen beim Ausbau der Stromnetze und der Ausbildung von Fachkräften. La Camera warnt: Uns läuft die Zeit davon!
Wie drängend das Problem ist, zeigt auch der Zyklon “Freddy”, der gleich zweimal viele Staaten Südostafrikas heimgesucht hat. Die Klimawissenschaft ist sich einig: Solche Extremwetter-Ereignisse werden in Zukunft häufiger und extremer werden, wie Alexandra Endres recherchiert hat. Auch Vanuatu sieht sich durch die Klimakrise in seiner Existenz bedroht. Am Mittwoch hat die UN-Generalversammlung eine Resolution des Inselstaats einstimmig beschlossen. Die Klimapolitik landet somit vor dem Internationalen Gerichtshof. Bernhard Pötter hat die möglichen positiven Auswirkungen und Risiken für die internationale Klimapolitik ermittelt.
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Zentrale Fragen der globalen Klimakrise werden in Zukunft vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag verhandelt werden. Am Mittwoch nahm die UN-Generalversammlung in New York einstimmig eine entsprechende Resolution des Inselstaats Vanuatu an. Damit endet eine jahrelange Kampagne von UN-Staaten und Klimaschutz-Organisationen – und die juristische Debatte um die Pflichten und Verantwortung von Staaten im Klimawandel erreicht eine neue globale Dimension.
Die Resolution von Vanuatu, eingereicht im Frühjahr 2023, wurde ohne Aussprache und mit der Unterstützung von weit über 120 Ländern angenommen. Sie bittet den IGH um eine qualifizierte Einschätzung (“Advisory Opinion”), die juristisch nicht bindend ist, aber politische Wirkung entfalten soll. Das Projekt wird die Klimadebatte und die Verhandlungen auf den COPs in Zukunft mitprägen. Der Vorstoß könnte der internationalen Klimadiplomatie einen Schub geben. Er enthält aber auch beträchtliche Risiken für den Klimaprozess, warnen Beobachter.
Im Einzelnen bittet die Generalversammlung damit die Richter in Den Haag um eine Einschätzung dieser Fragen:
Die erfolgreiche Abstimmung gilt als großer diplomatischer Erfolg von Vanuatu. Die Idee dazu entstand 2019 an der Universität des Südlichen Pazifiks in der Hauptstadt Vanuatus bei einem Projekt von Studierenden. Die Regierung von Vanuatu hatte bei der UN-Generalversammlung 2021 das Vorhaben angekündigt und konstant Unterstützer gesammelt. Bei der COP27 in Sharm-El Sheikh wurde schließlich der Text der Resolution präsentiert.
“Sie schreiben heute Geschichte”, sagte UN-Generalsekretär António Guterres zu den Vertretern der Regierungen vor der Verabschiedung. Die Meinung des IGH werde “die Generalversammlung, die UNO und die Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, den stärkeren und entschlosseneren Klimaschutz zu verfolgen, den unsere Welt so dringend braucht. Sie wird auch die Handlungen der Staaten untereinander und gegenüber ihren Bürgern bestimmen.”
Die Resolution sei keine Wunderwaffe, betonte Vanuatus Premierminister Ishmael Kalsakau, aber sie zeige, dass die Länder zusammenkommen und handeln könnten. Sie suche keine Konfrontation, werde aber die internationale Zusammenarbeit stärken.
Die Erklärung des IGH wird es frühestens in etwa zwei Jahren geben. Solange wird das Verfahren brauchen: Der IGH wird voraussichtlich allen Staaten und manchen NGOs insgesamt neun Monaten Zeit geben, ihre Sicht der Dinge darzulegen und die Sicht der anderen zu kommentieren. Dann folgen einige Monate später Anhörungen in Den Haag und schließlich möglicherweise noch einmal bis zu einem Jahr später die Verkündigung der “Meinung”.
Diese Äußerung des Gerichts verpflichtet keinen Staat zum Handeln. Anders als im Schiedsgerichtsverfahren des IGH zwischen zwei Staaten sind die Äußerungen juristisch nicht bindend. Die Befürworter hoffen trotzdem auf Wirkung, sagt etwa Sebastien Duyck vom Zentrum für internationales Umweltrecht (CIEL) in Genf. “Wir erwarten, dass eine Meinung des Gerichts einen neuen soliden Grund für Klimaverhandlungen schafft und dabei hilft, existierende Prinzipien zu verfestigen”. Ein Vorteil sei, anders als bei nationalen Klimaklagen, dass nicht Organisationen der Zivilgesellschaft den Staat verklagten, sondern “dass eine Mehrheit der Staaten selbst handelt, um eine maßgebliche Meinung des Gerichtshofs zu hören”, so Duyck.
Auch für Felix Ekardt, Professor und Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik wäre “ein IGH-Gutachten allein zwar unverbindlich und die Staaten würden versuchen, es zu ignorieren. Sobald aber nationale Gerichte anfangen, IGH-Argumente aufzugreifen, auch wenn sie es rechtlich gesehen nicht müssten, könnten sich die Erfolgsaussichten von Klimaklagen deutlich erhöhen.”
Die Befürworter hoffen, der Gerichtshof könnte zum Beispiel:
Auch wenn eine solche Äußerung des IGH nicht juristisch bindend sei, könne sie doch wirken, sagt auch Andreas Buser, Verfassungs- und Völkerrechtler an der Freien Universität Berlin. “Eine solche Meinung kann im politischen Raum seine Wirkung entfalten. Er kann aber auch in der juristischen Wissenschaft seine Kreise ziehen und die Debatte um Grundrechte und Menschenrechte, etwa vor den dafür zuständigen UN-Gremien beeinflussen.” Schließlich könne ein Spruch des IGH auch Spuren in den Fällen hinterlassen, bei denen Klimaklagen vor nationalen Gerichten verhandelt werden.
Der Vorstoß von Vanuatu ist aber auch nicht ohne Risiko, betonen Beobachter. So könnten die Richterinnen und Richter am IGH, die ins Amt gekommen sind, weil sie von den Regierungen ihrer Länder berufen wurden, deshalb deutlich konservativer als erhofft auf die Anfrage reagieren.
Für Vanuatu jedenfalls, einen Inselstaat mit etwa 300.000 Einwohnern auf 13 Hauptinseln, sind die Auswirkungen der Klimakrise etwas sehr Reales. Erst Anfang März rief die Regierung den Notstand aus, weil zwei schwere Zyklone in nur einer Woche Teile der Inseln verwüstet hatten.
Mit einer deutlichen Warnung und dem Aufruf zu einer bislang ungekannten Anstrengung für den Ausbau der Erneuerbaren Energien hat die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) ihren “Welt-Energiewende Ausblick 2023” veröffentlicht. Die globale Energiewende sei “nicht auf Kurs”, und “alles außer drastischem und sofortigem Handeln verringert oder eliminiert möglicherweise die Chance, auf dem 1,5- oder 2-Grad Pfad zu bleiben”. Das ist ein Fazit aus dem Bericht, der am Dienstag auf dem “Berlin Energy Transition Dialog” (BETD) vorgestellt wurde. Table.Media hat dazu mit dem IRENA-Generalsekretär Francesco La Camera gesprochen.
Herr La Camera, Sie scheinen nicht sehr optimistisch, dass wir die Klimaziele einhalten.
Wir schaffen sie, wenn wir alles tun, was wir in diesem Konzept aufgeschrieben haben.
Das ist eine riesige Aufgabe.
Das ist offensichtlich. Und je weiter wir kommen, desto schwieriger wird es. Wenn Sie in Rom leben und ein Champions-League-Spiel in Mailand sehen wollen, sind das 600 Kilometer. Wenn Sie im Auto 100 Stundenkilometer fahren, sind Sie in sechs Stunden da. Aber wenn Sie die erste Stunde nur 60 fahren, müssen Sie die anderen Stunden 110 fahren. Wenn Sie die zweite Stunden weiter 60 fahren, müssen Sie 150 fahren. Und wenn Sie so weitermachen, werden Sie in der vierten Stunde realisieren, dass Sie es rein physikalisch nicht mehr schaffen.
Um die Klimaziele doch noch in erreichbarer Nähe zu halten, fordert die IRENA einen massiven Ausbau der erneuerbaren Kapazitäten weltweit. Selbst eine jährliche Rekordsumme von 1,3 Billionen Dollar, die 2022 in die Erneuerbaren geflossen sind, reiche nicht aus. Nötig sei das Vierfache: jährlich über fünf Billionen Dollar. Bis zum Jahr 2030 müssten 35 Billionen Dollar in Effizienz, Erneuerbare, Elektrifizierung, Netzausbau und flexiblere Energiequellen investiert werden.
In Ihrem Bericht steht praktisch: Alles sofort und gleichzeitig machen.
La Camera: Unsere Zahlen sind klar. Wenn Sie von 3.000 GW auf 10.000 GW bis 2030 wollen, sind das 1.000 GW pro Jahr. Das heißt, wir müssen das Rekordjahr 2022 mit 295 GW mehr als verdreifachen. (Table.Media berichtete.) Das war schon so im letzten Jahr, also müssen wir jetzt dreimal soviel und ein bisschen mehr ausbauen. Und wenn wir das nicht tun, müssen wir 3,5-mal so schnell sein, und irgendwann ist es physikalisch unmöglich. Deshalb sagt der IPCC, 2030 ist so wichtig. Denn danach wird es physikalisch eine so große Herausforderung.
Ist es denn physikalisch überhaupt noch machbar?
Es ist machbar. Aber wir müssen die globale Energiewende neu denken, vor allem zwischen Nord und Süd. Wir brauchen die physische und die juristische Infrastruktur und die handwerklichen Kenntnisse. Das hat bisher für das zentralisierte fossile System gut funktioniert, aber nicht für die saubere Energie.
Der Bericht fordert für die Einhaltung der Klimaziele von 1,5-Grad:
Trotz einiger Fortschritte – etwa weiter rapide sinkender Preise, die die Erneuerbaren zur günstigsten Energiequelle machen – gehe die Entwicklung “erbärmlich an dem vorbei, was gebraucht wird”, heißt es in ungewöhnlich harschen Tonfall von der IRENA. Auch die Wiederaufbaupakete nach der Covid-Pandemie seien eine “verpasste Chance”, weil nur sechs Prozent der weltweit 15 Billionen Dollar an Investitionen in saubere Energien geflossen seien.
Wo wird die Energiewende vor allem stattfinden?
La Camera: Besonders in Afrika und Südostasien. Dafür braucht es drei Pfeiler: Physikalische und juristische Grundlagen, die Arbeitskräfte und institutionelle Kapazitäten. Wir müssen verstehen, welche Spieler welche Rollen spielen. Die Energiewende vor allem etwa in Afrika schaffen nicht einzelne Länder. Das müssen multinationale Institutionen machen, die das Geld aufbringen. Wenn wir also über eine Reform des Welt-Finanzsystems und der Weltbank reden, dann müssen sie sich nicht nur mehr auf die Energiewende konzentrieren – sondern wir müssen auch entscheiden, wie sie das tun sollten.
Ist der Aufbau der Stromnetze dabei wichtiger als die tatsächlichen Wind- und Solarparks zu errichten?
Das sind verschiedene Rollen. Private Investoren bauen die Anlagen. Aber das Netz ist eine öffentliche Angelegenheit, das müssen Finanzinstitute organisieren. Das ist eine Art von Gemeingut. Wichtig ist auch der juristische Aspekt. Denn das Risiko für das Investment steigt, wenn die legalen Bedingungen unklar sind, wenn die Arbeitskräfte und die Institutionen fehlen. Wenn dagegen Hilfe da ist, wenn ein Rechtssystem funktioniert und es staatliche Hilfen gibt, ist es einfacher. Das fossile System hat diese Strukturen in hundert Jahren aufgebaut.
Und jetzt müssen wir es in sieben Jahren schaffen. Was sind da die größten Hindernisse?
Wir müssen verstehen, was wir brauchen und danach handeln. Dafür braucht es politischen Willen.
Was stimmt Sie optimistisch?
Das Verständnis für das Drama, in dem wir leben, ist reifer geworden.
Was erwarten Sie von der nächsten COP?
Dieser Bericht ist unsere Botschaft für die COP in Dubai. Das Wichtigste da ist, dass dieses Narrativ akzeptiert wird.
Die wichtigsten Details aus dem “Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung”:
Das Klimaschutzgesetz wird geändert: Anders als bisher muss nicht mehr jedes Ressort jedes Jahr exakte Obergrenzen beim Ausstoß der Treibhausgase einhalten. Nun soll “die Einhaltung der Klimaschutzziele anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden”, heißt es. Das bedeutet: Reduktionen können zwischen den Ministerien “verrechnet” werden: Wenn ein Ressort mehr Treibhausgase spart als gefordert, müssen andere weniger machen.
Bis zum Sommer soll eine entsprechende Novelle des Klimaschutzgesetzes in den Bundestag eingebracht werden. Sie sieht vor:
Die Aufweichung der starren Sektorziele für die einzelnen Ministerien, ein zentrales Instrument des Klimaschutzgesetzes, wird von vielen Umweltgruppen scharf kritisiert. Die “Gesamtrechnung” war allerdings schon im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigt worden.
Ein Gesetz zur Steigerung der Effizienz soll bis zum Sommer fertig sein. Es war bereits im Herbst im “Machtwort” von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten versprochen worden, aber intern in der Koalition nicht durchzusetzen.
An 144 Stellen sollen auf Autobahnen “Engpass”-Stellen als vordringlicher Bedarf schnell beseitigt werden. Dabei geht es nach Angaben aus der Koalition nicht um Neubau-Strecken. Gleichzeitig soll die Planung von Wind- und Solarparks weiter erleichtert werden. Kommunen können auf Wunsch auch in Regionen Windanlagen planen, auf denen das bisher nicht der Fall war. Entlang von Autobahnen sollen einfacher Solar- und Windparks errichtet werden können. Bei Autobahn-Neubauten soll es eine Solar-Pflicht geben.
Die LKW-Maut wird auf Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen ausgeweitet und erhöht: Ab 2024 wird ein CO₂-Aufschlag von 200 Euro pro Tonne CO₂ eingeführt. Ein Großteil dieser Einnahmen soll in Neubau, Ausbau und Erhalt der Bahnstrecken fließen. Die Rede ist von insgesamt etwa 20 Milliarden Euro über vier Jahre, was den Investitionsbedarf der Bahn von 45 Milliarden etwa zur Hälfte deckt.
Dazu kommen viele einzelne Maßnahmen, darunter:
Es bleibt bei der stark umstrittenen Einigung der Ampel von 2022, dass ab 2024 neue Heizungen mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien befeuert werden müssen. Für elektrische Wärmepumpen, die dafür hauptsächlich in Betracht kommen, soll es weitere Förderungen geben. Die Pflicht für den Einbau einer neuen Wärmepumpe entfällt, wenn das Gebäude an ein System der Fernwärme angeschlossen wird – oder wenn glaubwürdig ein System geplant wird, das mit grünem Wasserstoff betrieben werden soll. Das aber wird wohl nur für kleine “Inseln” gelten, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
Die Regelung zu fossilfreien Heizungen soll mit “technologieoffenem Ansatz” mit “ausreichenden Übergangszeiträumen” umgesetzt werden. Das Gebäude-Energiegesetz werde “pragmatisch ausgestaltet, unbillige Härten auch zum sozialen Ausgleich werden vermieden”, auch für Mieterinnen und Mieter.
Die Bundesregierung setzt weiter auf den europäischen Emissionshandel für Verkehr und Wärme, der 2027 eingeführt wird. Sie geht davon aus, dass der Preis für die CO₂-Lizenzen in diesen Bereichen bis 2030 auf etwa 200 Euro pro Tonne steigen wird. Das werde zusammen mit der erhöhten Lkw-Maut zu starker Nachfrage bei Elektro-Lkw führen. Außerdem werde das Öl- und Gasheizungen gegenüber der Wärmepumpe deutlich unattraktiver machen.
Der Ausgleich bei Flächenversiegelung durch Bauvorhaben wird neu geregelt. Bisher gilt Vorrang für den “Realkompensation” gegenüber einer Geldzahlung. Das führt bislang zu vereinzelten Naturflächen, die oft nicht als Biotope verbunden sind. Das wird nun verändert: Ausgleich soll nun stärker auch finanziell geleistet werden. Ein Gesetz und eine eigene Stelle beim Umweltministerium sollen den Ausgleich koordinieren, dass damit größere und wertvollere Naturflächen gesichert werden können.
Mindestens 700 Menschen sind gestorben, Hunderte werden noch vermisst, Hunderttausende haben ihr Zuhause verloren: Das ist die Bilanz des tropischen Zyklons Freddy, der bis Mitte März über Madagaskar, Malawi, Mosambik und weitere Länder Südostafrikas hinweggezogen ist.
Klimawissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen: Die Erderwärmung macht besonders intensive Stürme (wie Freddy) wahrscheinlicher und erhöht ihre Zerstörungskraft. Die Forschenden fordern Emissionsreduktionen, eine bessere Anpassung und den schnellen Aufbau von Strukturen, um im Fall von Klimaschäden (“Loss and Damage”) Finanzhilfe zu leisten.
In Malawi gewinne man erst nach und nach einen Überblick über die Schäden, sagt Claudia Plock. Sie leitet die Arbeit der Welthungerhilfe in Malawi, das besonders stark von Freddy getroffen wurde. Allein in dem Land kamen mindestens 511 Menschen ums Leben.
“Dieser Zyklon hat wesentlich größere Zerstörungen angerichtet als die vorhergehenden Zyklone”, so Plock – vor allem wegen der extrem starken Regenfälle, die Freddy in sehr kurzer Zeit über Malawi niedergehen ließ. Innerhalb von wenigen Tagen habe es so viel geregnet wie sonst in vielen Monaten, sagt Plock. Der Klimawissenschaftler Roxy Mathew Koll vom Indischen Institut für Tropenmeteorologie wertet die großen Regenmengen als “klares Signal des Klimawandels”.
Jetzt sei ein großer Teil der Ernte zerstört, sagt Plock. Laut UN haben viele Menschen auch ihre Viehherden verloren – in Malawi eine wichtige Lebensgrundlage. Plock berichtet von weggespülten Straßen, gekappten Strom- und Telefonleitungen, kaputten Schulen und Gesundheitszentren. Manche Regionen seien nach dem Sturm noch immer nicht erreichbar. Mehr als 500.000 Menschen seien in Malawi in Notunterkünften untergekommen. “Die meisten haben ihr ganzes Hab und Gut verloren.”
Nun lebten sie in sehr beengten, teils unhygienischen Verhältnissen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fürchtet einen Anstieg der Cholera-Infektionen. Bereits jetzt habe Malawi mit dem derzeit größten Cholera-Ausbruch in Afrika zu kämpfen. Vergangene Woche warnte die WHO davor, dass der Klimawandel weltweit die Ausbreitung des Erregers “wie mit einem Turbo antreibt”.
Markus Bremers, Sprecher des Deutschen Medikamenten-Hilfswerks action medeor, fürchtet, dass die Zahl der Cholera-Toten auch wegen Freddy deutlich steigen könnte: “Die Menschen haben nach dem Zyklon kein sauberes Trinkwasser und weniger zu essen. Das erhöht die Anfälligkeit für Durchfallerkrankungen und auch deren Auswirkungen. Die Gefahr, dass ein unterernährtes Kind an Cholera stirbt, ist deutlich erhöht.” Action medeor unterstützt Kliniken in der vom Zyklon betroffenen Region mit OP-Masken, Infusionslösungen, Antibiotika, Magen-Darm-Medikamenten und Schmerzmitteln.
Freddy passt in die Projektionen der Klimawissenschaft. Der Klimawandel habe für den Zyklon wahrscheinlich eine Rolle gespielt, sagt die Klimaforscherin Friederike Otto vom Imperial College in London: Die Erderwärmung mache starke Stürme wahrscheinlicher und erhöhe auch die Mengen an Niederschlag, die sie mit sich bringen.
Die von Otto geleitete World Weather Attribution Group (WWA) hat im vergangenen Jahr die Auswirkungen des Zyklons Batsirai und weiterer Stürme in der gleichen Region untersucht, die nun von Freddy getroffen wurde. Damals konnten sie zeigen, dass der Regen durch den Klimawandel häufiger und stärker wurde. “Wenn wir eine Studie zum Zyklon Freddy durchführten, wären die Ergebnisse sehr ähnlich”, sagt Otto.
Zudem seien die vom Zyklon getroffenen Länder besonders verwundbar, die Folgen der Stürme deshalb besonders schlimm. “So wird ein extremes Wetterereignis zur Katastrophe”, so Otto. Sie forderte die reichen Länder auf, ihre Treibhausgasemissionen schnell zu reduzieren, “und den verwundbaren Ländern bei der Anpassung an diese Art von Ereignissen zu helfen, die mit der fortschreitenden Erwärmung nur schlimmer werden.”
Auch Genito Maure, Klimaforscher an der Eduardo Mondlane University in Mosambik, warnt vor heftiger werdenden Überschwemmungen, Starkregen und Wind. Die Stadtplanung und Planung für den ländlichen Raum müsse sich in den betroffenen Regionen an die veränderten Verhältnisse ausrichten, sagt Mondlane.
Saleemul Huq, Direktor des Internationalen Instituts für Klimawandel und Entwicklung in Dhaka, Bangladesch, forderte angesichts der durch Freddy angerichteten Zerstörung: Das Übergangskommitee (Transitional Committee), das die Struktur für den “Loss and Damage”-Fonds vorbereitet, müsse bis zur kommenden COP28 konkrete Ergebnisse vorlegen. “Wir brauchen eine Finanzierung, die sehr schnell beginnt”, sagte Huq auf dem Table.Live-Briefing “German Roadmap to COP28”.
Der Zusammenhang zwischen höherer Lufttemperatur und Starkregen ist in der Klimawissenschaft gut belegt: Eine warme Atmosphäre kann mehr Wasserdampf aufnehmen, extrem starke Regenfälle treten dadurch häufiger auf. Erwärmt sich auch der Ozean, bilden sich Zyklone leichter, denn sie ziehen ihre Energie aus dem Wasser.
Laut IPCC werden Starkniederschläge und damit verbundene Überschwemmungen in Madagaskar und Südostafrika heute schon häufiger. Es gibt starke Hinweise darauf, dass tropische Zyklone durch die Erderhitzung intensiver werden und dass der Anteil besonders heftiger Zyklone (Kategorie 4 und 5) ebenfalls steigt. Freddy nahm mehrmals an Stärke zu und erreichte letztlich die höchste Kategorie 5.
Freddy war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: Laut Welt-Meteorologie-Organisation WMO legte der Sturm die lange Strecke von 8.000 Kilometern zurück und setzte so viel Energie frei wie “eine komplette durchschnittliche Hurrikansaison im Nordatlantik”. Zudem traf er mehrere Male auf Land. Eine Kommission soll nun prüfen, ob Freddy mit seinen 34 Tagen Dauer auch der am längsten anhaltende Sturm war, der je registriert wurde.
30. März, 10 Uhr, Berlin/Online
Forum Nationales Wasserforum – Wege zu einer krisensicheren und nachhaltigen Wasserwirtschaft
Das 4. Nationale Wasserforum 2023 bietet eine Standortbestimmung und Orientierung für die Umsetzung der Nationalen Wasserstrategie. Wo steht Deutschland? Was sind die Schwerpunkte der Bundesregierung in der Wasserpolitik? Wie nutzen wir den Rückenwind aus der Weltwasserkonferenz von New York? Veranstaltet wird das Wasserforum vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV). Infos
30. März, 13 Uhr, Online
Webinar Global Landscape of Renewable Energy Finance 2023
Der Bericht Global Landscape of Renewable Energy Finance 2023 der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) und der Climate Policy Initiative (CPI) analysiert die Investitionstrends im Bereich erneuerbare Energien im Zeitraum 2013-2020. Der Bericht stellt auch vorläufige Erkenntnisse für den Zeitraum 2021-2022 vor. Bei der Onlineveranstaltung diskutieren Expertinnen und Experten über die Ergebnisse. Infos
30 März, 14 Uhr, Berlin
Diskussion Beyond net-0: An international perspective on how decarbonisation strategies can foster a just transition and global cooperation
Auf der Veranstaltung vom Internationalen Netzwerk der Energiewende Think Tanks (INETTT) werden der Stand der Planung und Umsetzung von Energiewenden in verschiedenen Ländern diskutiert. Die Mitglieder des Netzwerks aus Mexiko (Iniciativa Climática de México), Südkorea (Green Energy Strategy Institute), Vietnam (Vietnam Initiative for Energy Transition), Brasilien (E+ Energy Transition Institute), Japan (Renewable Energy Institute) und Polen (Forum Energii) stellen die Schlüsselelemente ihrer Energiewenden vor. Infos
30. März, 15 Uhr, Online
Webinar The Gender-Environment Nexus
Die Gleichstellung der Geschlechter und ökologische Nachhaltigkeit werden immer wichtiger. Auf diesem Event der OECD wird darüber diskutiert, welche Maßnahmen gleichzeitig zu beiden Zielen beitragen können. Infos
31. März, 8.30 Uhr, Brüssel/Online
Konferenz Towards more energy savings in European SMEs – Focus on collective actions
Ziel der Konferenz ist es, Erfahrungen auszutauschen, die im Rahmen des europäischen Projekts GEAR@SME zum Thema Energieeinsparung und Klimaschutz gemacht wurden. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sinnvoll kollektive Maßnahmen zum Energiesparen sind. Inwiefern werden Kleine und mittelständige Unternehmen dadurch unterstützt? Infos
31. März – 2. April, Lüneburg
Kongress Bundesweiter Umwelt- und Verkehrskongress
Der 24. Bundesweite Umwelt- und Verkehrskongress (BUVKO) findet vom 31. März bis 2. April 2023 unter dem Motto “Was uns antreibt – gesund und klimaschonend unterwegs” an der Leuphana Universität in Lüneburg statt. Beim BUVKO treffen sich Aktive, Interessierte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich für eine nachhaltige Verkehrspolitik einsetzen. Der Kongress ist Fachtagung und Impulsgeber für mehr Bewegung in der Verkehrspolitik. Infos
4. April, 10 Uhr, Online
Vortrag Greenwashing verhindern und Verantwortung übernehmen
Die globale Klimakrise erfordert entschlossenes, gemeinsames Vorgehen. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass auch Unternehmen Verantwortung übernehmen und ihren Beitrag zur globalen Klimaneutralität leisten. Der Vortrag beim Bundesverband Mittelständische Wirtschaft beschäftigt sich mit der Frage, wie Unternehmen ihrer Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel gerecht werden können. Infos
4. April, 19.30 Uhr, Wiesbaden
Diskussion Überfischung, Plastikmüll und Klimaerwärmung – Wilder Westen auf Hoher See
Die Arten im Meer verschwinden aktuell doppelt so schnell wie die Arten an Land. Als Hauptursachen für den Verlust gelten Zerstörung der Lebensräume durch u.a. Fischerei, Wilderei, Meeresverschmutzung, Überdüngung sowie der voranschreitende Klimawandel mit Auswirkungen auf die Wassertemperatur und den Salzgehalt unserer Meere. Auf der Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird darüber diskutiert, warum das so ist, und was dagegen getan werden kann. Infos und Teilnahme
5. April, 14 Uhr, Online
Webinar Roadmap to tracking public energy research investment
Auf dem Webinar der International Energy Agency (IEA) wird darüber diskutiert, wie wichtig technische Innovationen für die Energiewende sind und welche Wege existieren, sie öffentlich zu finanzieren. Infos
Synthetische Kraftstoffe – besser bekannt als E-Fuels – werden voraussichtlich noch sehr lange ein knappes Gut sein. Laut einer Analyse des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) wird das globale Angebot im Jahr 2035 nicht ausreichen, um den Bedarf allein des deutschen Luftverkehrs, der Schifffahrt und der Chemie zu decken. In diesen Bereichen gelten synthetische Kraftstoffe als unverzichtbar für die Dekarbonisierung, da die vollständige Elektrifizierung nach aktuellem Forschungsstand nicht möglich ist.
Bis 2035 seien weltweit derzeit etwa 60 neue E-Fuel-Projekte angekündigt, von denen nur etwa ein Prozent mit einer finalen Investitionsentscheidung gesichert seien, schreiben die Autoren. Alle diese weltweiten Projekte entsprächen zusammen nur etwa zehn Prozent der Menge, die die drei genannten Branchen allein in Deutschland benötigen.
In den vergangenen vier Wochen wurde viel über E-Fuels diskutiert. Seit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sich in Brüssel dafür eingesetzt hatte, E-Fuels als Möglichkeit zum Erreichen der Klimaziele im Straßenverkehr zu deklarieren, stellt sich die Frage, woher die E-Fuels kommen sollen. Die PIK-Analyse legt nahe, dass für Autos – die im Gegensatz zu Schiffen oder Flugzeugen elektrifizierbar sind – voraussichtlich keine E-Fuels-Kapazitäten vorhanden sein werden.
Zwar erhofft sich Wissing durch die Erklärung der Kommission, dass Autos mit Verbrennungsmotor auch nach 2035 noch zugelassen werden dürfen, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt werden, einen deutlichen Hochlauf der Produktionskapazitäten durch eine erhöhte Nachfrage. Doch PIK-Forscher Falko Ueckerdt bleibt skeptisch: “Selbst wenn der Markthochlauf so schnell passiert wie beim Wachstumschampion Solar-Photovoltaik”, würde das globale Angebot nicht ausreichen. luk
Australien will eine seiner wichtigsten Klimarichtlinien verschärfen. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, will die Labor-Regierung von Premier Anthony Albanese zusammen mit den Grünen den sogenannten Safeguard Mechanism reformieren und damit eine harte Obergrenze für Treibhausgasemissionen einführen. Große Unternehmen müssen ihre Emissionen demnach deutlich reduzieren.
Laut Climate Council, einem australischen Klima-Think-Tank, ist das eine der bedeutendsten Reformen zur Einsparung von CO₂ im vergangenen Jahrzehnt. Reformen des Safeguard Mechanism werden als essenziell eingeschätzt, damit Australien sein Ziel einhalten kann, die Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 43 Prozent zu senken.
Der Safeguard Mechanism reguliert die Emissionen von Australiens 215 größten Emittenten, unter ihnen große Öl- und Gaskonzerne oder Bergbauunternehmen, wie Santos, BHP, Anglo Coal, Woodside, Chevron und Rio Tinto. Zusammen sind sie für rund 30 Prozent von Australiens Emissionen verantwortlich. Der Mechanismus wurde 2016 eingeführt, war bisher aber praktisch wirkungslos. Laut AP haben die größten Emittenten unter dem Mechanismus ihren Treibhausgasausstoß sogar um vier Prozent erhöht.
Unter dem Safeguard Mechanism legten die Behörden Emissionsobergrenzen für einzelne Anlagen fest. Aber insgesamt seien die erlaubten Emissionen “sehr viel höher gewesen als die von den Unternehmen ausgestoßene Menge”, kritisiert Climate Council. Selbst wenn die Firmen ihre Grenzen überschritten hätten, seien sie oft nicht sanktioniert worden.
Die geplante Reform soll die Unternehmen nun tatsächlich zwingen, ihre Emissionen graduell zu reduzieren. Für Branchen, die stark in den internationalen Handel eingebunden sind (“trade-exposed”), soll es Ausnahmen geben. Wie hoch die CO₂-Obergrenze laut der Reform ist, wurde allerdings nicht bekannt gegeben. Adam Bandt von Australiens Grünen sagte aber, eine “harte Grenze” würde dazu führen, dass die Hälfte der 116 im Land geplanten Gas- und Kohleprojekte nicht realisiert würden. Die Reform benötigt neben der Unterstützung der Grünen noch die Unterstützung von zwei weiteren Senatoren.
Aktuell kommt der größte Teil von Australiens Energie noch aus fossilen Energiequellen. Das Land exportiert außerdem Kohle. Im vergangenen Jahr hat das Land seine NDC verschärft, damit verbesserte sich die Bewertung des Landes von Climate Action Tracker von “highly insufficient” zu “insufficient”. kul
Die China National Offshore Oil Corporation hat mit dem Bau eines ersten Offshore-Projekts zur Speicherung von CO₂ vor der Küste Chinas begonnen. Ab Mitte April sollen über ein Bohrloch jährlich 300.000 Tonnen CO₂ unterirdisch gespeichert werden, wie das chinesische Wirtschaftsportal Caixin berichtet. China ist mit einem jährlichen CO₂-Ausstoß von gut 11,5 Milliarden Tonnen der weltweit größte Emittent.
Neben rund 40 Forschungsanlagen gibt es in der Volksrepublik bisher nur wenige Carbon Capture (Utilization) and Storage-Projekte (CCS und CCUS) bei denen in größerem Maße CO₂ gespeichert wird. Teils wird die Technologie eingesetzt, um die Öl- und Gas-Förderung zu erhöhen. Doch China will CCUS weiter erforschen und zukünftig auch die “industrielle Anwendung in großem Maßstab” realisieren, wie aus der Leitstrategie zur Erreichung der nationalen Klimaziele hervorgeht (China.Table berichtete). “In China entwickelt sich langsam, aber sicher eine CCUS-Industrie. Wir sehen eine konsequente Vorwärtsbewegung auf allen Ebenen – einschließlich der Politik, Wissenschaft und bei Unternehmensinvestitionen”, schreiben Analysten der Beratungsfirma Trivium China.
Dabei könnte auch das Konzept der “Bioenergy with Carbon Capture and Storage” (BECCS) eine wichtige Rolle spielen, wie zwei mögliche Szenarien hochrangiger chinesischer Forschungseinrichtungen zur Erreichung der Klimaziele zeigen. Bei BECCS werden Energiepflanzen angebaut, um CO₂ aus der Atmosphäre zu ziehen. Sie werden dann in Biogasanlagen genutzt oder verbrannt, um Strom zu gewinnen. Das CO₂, das dabei entsteht, wird aufgefangen und in Gesteinsschichten gespeichert.
Expertinnen und Experten bezweifeln die Sinnhaftigkeit von BECCS. Das Konzept verbraucht große Landesflächen und steht in Konkurrenz zur Landwirtschaft, die in China ohnehin unter Flächenmangel leidet. “Die Geschwindigkeit und die Größenordnung von BECCS, die für die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad erforderlich sind, stellen eine erhebliche Herausforderung für die Umsetzung dar”, schreibt der IPCC. nib
Der von Bundesumweltministerin Steffi Lemke vergangenen Freitag vorgelegte Vorschlag für ein Klimaanpassungsgesetz soll, so die Ministerin, “eine verbindliche Basis für eine vorsorgende Klimaanpassungsstrategie des Bundes” schaffen. Die Strategie selbst liegt noch nicht vor. Das Gesetz soll die Grundlage schaffen, sie zu entwickeln.
Lemkes Vorschlag geht nun in die Ressortabstimmung. Der Zeitplan sieht vor:
Nach Informationen aus Regierungskreisen enthält Lemkes Gesetzesentwurf folgende Vorschläge:
Die EU-Minister haben am Dienstag die Trilog-Ergebnisse zu drei wesentlichen Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets angenommen. Das Parlament hatte die Überarbeitungen von LULUCF, Effort Sharing und Marktstabilitätsreserve bereits vor zwei Wochen bestätigt. Somit können alle drei Dossiers im EU-Amtsblatt erscheinen, wodurch sie zu geltendem Recht werden.
Mit der neuen Verordnung zur Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) kommen neue Regeln für natürliche CO₂-Senken in der EU. Bis 2030 soll die Senkleistung um 15 Prozent auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent erhöht werden. Da dieses Ziel höher ist als im EU-Klimagesetz von 2021 beschlossen (225 Millionen Tonnen), besteht die Möglichkeit, dass die EU nun ihr bei der UN hinterlegtes Klimaziel von 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 anhebt. Die EU-Länder hatten diesen Schritt angekündigt, sobald alle Teile des Fit-for-55-Paket fertig verhandelt sind.
Die überarbeitete Effort Sharing Regulation (ESR, Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für jedes EU-Land individuell fest. Für Deutschland gilt: bis 2030 mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen (THG) als noch 2005. Im Durchschnitt müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40 Prozent senken.
Die ESR gilt für Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel (ETS) abgedeckt sind – derzeit rund 60 Prozent aller EU-Emissionen. Darunter sind die Sektoren Straßenverkehr, Gebäudebeheizung, Landwirtschaft, kleinere Industrieanlagen und die Abfallwirtschaft. Allerdings werden einige der Sektoren im Rahmen der ETS-Reform voraussichtlich in den kommenden Jahren in den Emissionshandel aufgenommen. Über die Trilog-Einigung zur ETS-Reform stimmen EU-Parlament und Rat erst im April ab.
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist Teil des ETS. Deren Überarbeitung wurde jedoch in einem eigenen Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt. Die MSR regelt den Abbau von Überschüssen an Emissionszertifikaten im ETS, um Preisvolatilität am CO₂-Markt möglichst gering zu halten. Bis Ende 2030 gehen jährlich 24 Prozent der nicht verkauften Zertifikate in die MSR über, mindestens aber 200 Millionen Zertifikate. 2031 sinkt die Aufnahmequote wieder auf zwölf Prozent ab und die Mindestzahl auf 100 Millionen Zertifikate. luk
Nur mit einer umfassenden, langfristig angelegten Strategie kann Deutschland seine gesetzlich festgelegten Ziele bis zur Netto-Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 erreichen. Zwar sind die gesetzlichen und politischen Grundlagen bereits geschaffen worden: Es gibt den Klimaschutzplan 2050, das Klimaschutzprogramm 2030, das Klimaschutzgesetz sowie die energiepolitischen Beschlüsse aus dem Jahr 2022. Aber Klimaschutzplan und Klimaschutzprogramm sind nicht mehr aktuell und müssen überarbeitet werden.
Die Bundesregierung plant nun auf Grundlage der Beschlüsse vom Koalitionsausschuss am 28. März 2023, das Klimaschutzgesetz zeitnah zu novellieren, ein umfassendes sektorübergreifendes Klimaschutzprogramm zu beschließen und für die Jahre 2035, 2040 und 2045 Ziele für Negativemissionen festzulegen. Doch dass Deutschland aktuell nach wie vor keinen langfristigen und übergreifenden Klimaschutzplan in Richtung Klimaneutralität hat, ist eine eklatante Leerstelle. Ob er zeitnah entwickelt werden soll, dazu schweigt das Papier des Koalitionsausschusses.
Eine solche Langfriststrategie sollte vor allem die Rolle und Bedeutung der gezielten Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) bewerten und einbeziehen. Natürliche und technische Senken wie Bioenergie mit CO₂-Abscheidung und -Speicherung (BECCS) oder direkte CO₂-Abscheidung aus der Luft und anschließende Speicherung (DACCS) sollen laut dem sogenannten Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung “eine Rolle spielen” – wichtig wäre aber zu klären, welche strategische Rolle das zukünftig konkret sein soll.
Ein weiterer Mangel ist die uneindeutige und unvollständige Mandatierung der wissenschaftlichen Politikberatung zum langfristigen Klimaschutz. Der Lenkungskreis der Wissenschaftsplattform Klimaschutz benennt in seiner Stellungnahme diese Lücken. Darüber hinaus identifiziert er sechs Themenfelder, die in einer Langfriststrategie bearbeitet werden sollten.
Die Frage, wie soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz vereinbar sind, wird schon heute gestellt und wird mit der Zeit noch wichtiger werden. Eine gesamtgesellschaftliche Zustimmung sowie eine faire Wohlstandsverteilung sind Grundlagen für eine erfolgreiche Klimapolitik. Klimapolitik sollte daher vorsorgend mit der Sozialpolitik verbunden werden. Dazu gehören beispielsweise die zeitnahe Umsetzung von gezielten Kompensationszahlungen für steigende CO₂-Preise. Außerdem sollten zielgruppenspezifische Instrumente zur Emissionsvermeidung diskutiert werden, die sich gerade an einkommensstarke Haushalte richten.
Akzeptanz und Beteiligung sind Schlüsselthemen für die erfolgreiche Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. Informationen und Kommunikationsangebote sind grundlegende, wenn auch begrenzt wirksame, Instrumente. Es ist daher notwendig, betroffenen Menschen größere Beteiligungschancen in Transformationsprozessen einzuräumen. Bürgerräte können beispielsweise ein adäquates Modell in einer Beteiligungslandschaft sein. Sie dürfen aber nicht als Allheilmittel der Beteiligung in der Klimapolitik angesehen werden.
Ohne internationale Kooperation ist das Erreichen des Pariser Klimaschutzabkommens nicht möglich. Doch die Bereitschaft zu multilateralen Kooperationen scheint gesunken zu sein. Es zeichnet sich ein industriepolitischer Wettbewerb um eine klimaneutrale Wirtschaft zwischen den führenden Wirtschaftsregionen der Welt ab. So hat die EU beispielsweise Anfang 2023 mit dem “Net Zero Industry Act” als Teil der europäischen Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) reagiert. Hier müssen Wissenslücken über nationale Maßnahmen und die positiven wie negativen Effekte im globalen Kontext dringend geschlossen werden.
Das Interesse an nachhaltigen Anlageprodukten bei institutionellen und privaten Investoren steigt. Jedoch fehlen bislang ein adäquates Klassifikationsschema oder verlässliche Kennzeichnungen von Anlageprodukten, die das Transformationspotenzial einer Investition anzeigen. Wird dieser Mangel behoben, kann der Finanzmarkt eine wichtige Rolle für den Klimaschutz einnehmen.
Das Klimarecht bildet das Rückgrat einer strategisch auf Klimaneutralität ausgerichteten Klimapolitik. Ein zukunftsfähiges Klimarecht muss sicherstellen, dass eigene Vorgaben wie etwa Sektorziele eingehalten werden. Insofern ist Transparenz über die Einhaltung von Zielen gut, eine Sanktionierung bei Nichteinhaltung allerdings besser. Darüber hinaus muss es eine Grundlage für die Planung, die Errichtung und den Betrieb zukünftiger Infrastrukturen wie Strom-, Wasserstoff- und CO₂-Netzen schaffen und anwendungsfreundlich im Vollzug für Behörden, Planungsträger und Gerichte sein.
Die gezielte Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre ist zur Einhaltung der Klimaziele unbedingt notwendig, darf aber keinesfalls die Anstrengungen zur Emissionsvermeidung schwächen. Es muss weiter erforscht werden, in welchem Ausmaß CO₂-Entnahmeoptionen genutzt werden können und welche Nutzungskonflikte sich dabei ergeben. Darüber hinaus kann CO₂ nur auf Grundlage eines stabilen Governance- und Finanzierungssystems langfristig gewährleistet werden.
Insgesamt sollten klimapolitische Maßnahmen für eine Langfriststrategie sollten danach bewertet werden, wie resilient sie sind und ob sie zu einer effektiven Governance beitragen. Der Pfad zur Klimaneutralität muss so robust gestaltet sein, dass weder Staat noch andere Akteure wesentlich vom Pfad abweichen, wenn sie unter Stress geraten.
Systemische Herausforderungen von Demokratien in Mehrebenensystemen sind angemessen in einer Langfriststrategie zu adressieren. Die Vorteile demokratischer Strukturen müssen gestärkt und so das technische, wirtschaftliche und soziale Kreativpotenzial demokratischer Strukturen für den Transformationsprozess nutzbar gemacht werden. Eine effektive Governance ist gekennzeichnet durch eine glaubhafte Selbstbindung der Politik an ihre Klimaschutzziele über Legislaturperioden hinaus.
Der Text ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung einer Stellungnahme des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform Klimaschutz, die am vergangenen Montag an die Bundesregierung übergeben wurde.
Kurz nach dem Klima-Volksentscheid in Berlin schaut Felix Nasser (30) positiv auf das Erreichte. Er sei “extrem” begeistert, was die Initiative als ehrenamtliche Demokratiebewegung erreicht hat, sagt der Mitbegründer von “Klimaneustart Berlin”. Ernüchterung ist natürlich auch dabei, dass der Volksentscheid zur Klimaneutralität ab dem Jahr 2030 in Berlin am Quorum gescheitert ist. Die Initiative habe es aber geschafft, die Klimakrise in den letzten drei Monaten zum Thema in der Stadt zu machen. Mehr als 60 Organisationen stehen hinter dem Vorhaben. Sie finanzierten die Aufstellung von 500 Großplakaten für die Kampagne. Die Gesamtkosten lagen bei 1,2 Millionen Euro. Nasser verweist aber auch auf die weniger sichtbaren Erfolge: Es seien viele Allianzen geknüpft worden.
Nasser ist Mitgründer von “Klimaneustart Berlin”, einer Initiative, die seit 2019 mehrere Kampagnen zu Fragen der Klimakrise erfolgreich lanciert hat. Mit der Notwendigkeit hat sich der Aktivist ausführlich auseinandergesetzt: Während seines Masterstudiums von 2017 bis 2019 zum Thema Systemische Resilienz bei Johan Rockström am Stockholmer Resilience Center beschäftigt er sich mit sogenannten Kipppunkten in Erdsystemen. An diesen Punkten können vormals lineare Entwicklungen in dynamische Verläufe umschlagen, werden irreversibel, schwer vorhersagbar und kaum mehr kontrollierbar. Die Entwicklungspfade beziehen sich auf von Rockström so benannte planetare Grenzen – die bekannteste betrifft den Klimawandel.
2018 fährt Felix Nasser zur internationalen Klimakonferenz COP24 ins polnische Katowice. Dort will die Weltgemeinschaft – drei Jahre nach den Pariser Beschlüssen – konkrete Schritte für die weitere Umsetzung des 1,5 Grad-Ziels beschließen. Dies misslingt. Er wünscht sich entschiedenes politisches Handeln, wechselt deswegen von der Wissenschaft in den Aktivismus. Weil Berlin für ihn die Großstadt ist, von der in der Klimakrise und in Deutschland potenziell die größte Strahlkraft für Veränderung erwartet, zieht er 2019 dort hin. Mit Gleichgesinnten gründet er die Initiative Klimaneustart, die schnell Zulauf bekommt.
Die Initiative entwickelt ab Mai 2019 eine Kampagne – sie will erreichen, dass Berlin den “Klimanotstand” erklärt, um die notwendige Transformation anzustoßen. Sie sammeln mehr als 40.000 Unterschriften, noch im selben Jahr folgt der Senat und ruft den Klimanotstand aus. Nach einer weiteren Unterschriftenaktion tagt ein “Bürgerrat Klima”, von April bis Juni 2022: 100 per Losverfahren ermittelte Bürgerinnen und Bürger erarbeiten Empfehlungen, wie das 1,5 Grad Ziel doch noch zu erreichen wäre. Dafür erarbeiten sich die Beteiligten das komplexe Thema.
Felix Nasser findet solche Selbstwirksamkeit motivierend, auch für sein eigenes Tun als Aktivist: Wenn viele Menschen in dieselbe Richtung arbeiten, könne ein solcher Aktivismus zu einer Bewegung werden, die es braucht, um als Zivilgesellschaft politischen Druck zu entfalten. Für die meisten Menschen sei es befriedigend, an der Antwort auf Probleme beteiligt zu sein – und das gelte umso mehr, wenn die Antworten gemeinsam entstünden und dabei das eigene Engagement erlebbar und gleichzeitig sichtbar werde, sagt er. Handeln müsse aber die Politik.
In Berlin erhöhen die Aktivistinnen und Aktivisten deswegen den Druck auf die Politik. Mehr als tausend Menschen haben über 260.000 Unterschriften gesammelt; auf Wochenmärkten, vor der Philharmonie und bei sonstigen Veranstaltungen. Das mündet schließlich in dem Klima-Volksentscheid vom 26. März. Hätte der Entscheid das Quorum der notwendigen Stimmen erreicht, wäre eine Gesetzesänderung sofort rechtskräftig geworden und hätte vom Senat umgesetzt werden müssen. Nasser sagt, ihm sei die Woche vor dem Entscheid schon klar geworden, dass es schwierig wird, das Quorum zu erreichen. Zu sehr wurden medial die Hürden einer früheren Klimaneutralität, beispielsweise hohe Kosten, in den Mittelpunkt gestellt.
Und was macht Felix Nasser nach dem Volksentscheid? In jedem Fall, sagt er, habe die Initiative gezeigt, wie selbstwirksam es sein kann, “Bock auf demokratische Prozesse” zu haben. Alle Beteiligten hätten die Stadt noch mal ganz anders erlebt. Ihm und anderen habe das, letztlich mehr Kraft gegeben als geraubt. Jetzt geht es in die strategische Neuausrichtung, sagt Nasser. Torsten Sewing / Mitarbeit: Nico Beckert
immerhin das Koalitionsklima scheint vorerst gerettet. Nach stundenlangen Verhandlungen haben sich SPD, Grüne und FDP auch im Klimabereich auf Kompromisse geeinigt. Das Ergebnis: Die einzelnen Ministerien wurden nicht aus der Verantwortung für mehr Klimaschutz entlassen. Verrechnungen zwischen “Klimasündern” und “Klimastrebern” unter den Ministerien sind in Zukunft möglich. Doch da sich die Klimaziele von Jahr zu Jahr verschärfen, wird es wenig Spielraum geben.
Vor welchen Aufgaben diese und zukünftige Regierungen bei der Energiewende stehen, zeigt unser Interview mit Francesco La Camera von der Berlin Energy Transition Week. Der IRENA-Chef sieht die Weltgemeinschaft vor einer Mammutaufgabe, denn vieles muss zeitgleich passieren: Jährlich bräuchte es 1.000 Gigawatt neuer EE-Kapazitäten, massive Anstrengungen beim Ausbau der Stromnetze und der Ausbildung von Fachkräften. La Camera warnt: Uns läuft die Zeit davon!
Wie drängend das Problem ist, zeigt auch der Zyklon “Freddy”, der gleich zweimal viele Staaten Südostafrikas heimgesucht hat. Die Klimawissenschaft ist sich einig: Solche Extremwetter-Ereignisse werden in Zukunft häufiger und extremer werden, wie Alexandra Endres recherchiert hat. Auch Vanuatu sieht sich durch die Klimakrise in seiner Existenz bedroht. Am Mittwoch hat die UN-Generalversammlung eine Resolution des Inselstaats einstimmig beschlossen. Die Klimapolitik landet somit vor dem Internationalen Gerichtshof. Bernhard Pötter hat die möglichen positiven Auswirkungen und Risiken für die internationale Klimapolitik ermittelt.
Beste Grüße!
Zentrale Fragen der globalen Klimakrise werden in Zukunft vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag verhandelt werden. Am Mittwoch nahm die UN-Generalversammlung in New York einstimmig eine entsprechende Resolution des Inselstaats Vanuatu an. Damit endet eine jahrelange Kampagne von UN-Staaten und Klimaschutz-Organisationen – und die juristische Debatte um die Pflichten und Verantwortung von Staaten im Klimawandel erreicht eine neue globale Dimension.
Die Resolution von Vanuatu, eingereicht im Frühjahr 2023, wurde ohne Aussprache und mit der Unterstützung von weit über 120 Ländern angenommen. Sie bittet den IGH um eine qualifizierte Einschätzung (“Advisory Opinion”), die juristisch nicht bindend ist, aber politische Wirkung entfalten soll. Das Projekt wird die Klimadebatte und die Verhandlungen auf den COPs in Zukunft mitprägen. Der Vorstoß könnte der internationalen Klimadiplomatie einen Schub geben. Er enthält aber auch beträchtliche Risiken für den Klimaprozess, warnen Beobachter.
Im Einzelnen bittet die Generalversammlung damit die Richter in Den Haag um eine Einschätzung dieser Fragen:
Die erfolgreiche Abstimmung gilt als großer diplomatischer Erfolg von Vanuatu. Die Idee dazu entstand 2019 an der Universität des Südlichen Pazifiks in der Hauptstadt Vanuatus bei einem Projekt von Studierenden. Die Regierung von Vanuatu hatte bei der UN-Generalversammlung 2021 das Vorhaben angekündigt und konstant Unterstützer gesammelt. Bei der COP27 in Sharm-El Sheikh wurde schließlich der Text der Resolution präsentiert.
“Sie schreiben heute Geschichte”, sagte UN-Generalsekretär António Guterres zu den Vertretern der Regierungen vor der Verabschiedung. Die Meinung des IGH werde “die Generalversammlung, die UNO und die Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, den stärkeren und entschlosseneren Klimaschutz zu verfolgen, den unsere Welt so dringend braucht. Sie wird auch die Handlungen der Staaten untereinander und gegenüber ihren Bürgern bestimmen.”
Die Resolution sei keine Wunderwaffe, betonte Vanuatus Premierminister Ishmael Kalsakau, aber sie zeige, dass die Länder zusammenkommen und handeln könnten. Sie suche keine Konfrontation, werde aber die internationale Zusammenarbeit stärken.
Die Erklärung des IGH wird es frühestens in etwa zwei Jahren geben. Solange wird das Verfahren brauchen: Der IGH wird voraussichtlich allen Staaten und manchen NGOs insgesamt neun Monaten Zeit geben, ihre Sicht der Dinge darzulegen und die Sicht der anderen zu kommentieren. Dann folgen einige Monate später Anhörungen in Den Haag und schließlich möglicherweise noch einmal bis zu einem Jahr später die Verkündigung der “Meinung”.
Diese Äußerung des Gerichts verpflichtet keinen Staat zum Handeln. Anders als im Schiedsgerichtsverfahren des IGH zwischen zwei Staaten sind die Äußerungen juristisch nicht bindend. Die Befürworter hoffen trotzdem auf Wirkung, sagt etwa Sebastien Duyck vom Zentrum für internationales Umweltrecht (CIEL) in Genf. “Wir erwarten, dass eine Meinung des Gerichts einen neuen soliden Grund für Klimaverhandlungen schafft und dabei hilft, existierende Prinzipien zu verfestigen”. Ein Vorteil sei, anders als bei nationalen Klimaklagen, dass nicht Organisationen der Zivilgesellschaft den Staat verklagten, sondern “dass eine Mehrheit der Staaten selbst handelt, um eine maßgebliche Meinung des Gerichtshofs zu hören”, so Duyck.
Auch für Felix Ekardt, Professor und Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik wäre “ein IGH-Gutachten allein zwar unverbindlich und die Staaten würden versuchen, es zu ignorieren. Sobald aber nationale Gerichte anfangen, IGH-Argumente aufzugreifen, auch wenn sie es rechtlich gesehen nicht müssten, könnten sich die Erfolgsaussichten von Klimaklagen deutlich erhöhen.”
Die Befürworter hoffen, der Gerichtshof könnte zum Beispiel:
Auch wenn eine solche Äußerung des IGH nicht juristisch bindend sei, könne sie doch wirken, sagt auch Andreas Buser, Verfassungs- und Völkerrechtler an der Freien Universität Berlin. “Eine solche Meinung kann im politischen Raum seine Wirkung entfalten. Er kann aber auch in der juristischen Wissenschaft seine Kreise ziehen und die Debatte um Grundrechte und Menschenrechte, etwa vor den dafür zuständigen UN-Gremien beeinflussen.” Schließlich könne ein Spruch des IGH auch Spuren in den Fällen hinterlassen, bei denen Klimaklagen vor nationalen Gerichten verhandelt werden.
Der Vorstoß von Vanuatu ist aber auch nicht ohne Risiko, betonen Beobachter. So könnten die Richterinnen und Richter am IGH, die ins Amt gekommen sind, weil sie von den Regierungen ihrer Länder berufen wurden, deshalb deutlich konservativer als erhofft auf die Anfrage reagieren.
Für Vanuatu jedenfalls, einen Inselstaat mit etwa 300.000 Einwohnern auf 13 Hauptinseln, sind die Auswirkungen der Klimakrise etwas sehr Reales. Erst Anfang März rief die Regierung den Notstand aus, weil zwei schwere Zyklone in nur einer Woche Teile der Inseln verwüstet hatten.
Mit einer deutlichen Warnung und dem Aufruf zu einer bislang ungekannten Anstrengung für den Ausbau der Erneuerbaren Energien hat die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) ihren “Welt-Energiewende Ausblick 2023” veröffentlicht. Die globale Energiewende sei “nicht auf Kurs”, und “alles außer drastischem und sofortigem Handeln verringert oder eliminiert möglicherweise die Chance, auf dem 1,5- oder 2-Grad Pfad zu bleiben”. Das ist ein Fazit aus dem Bericht, der am Dienstag auf dem “Berlin Energy Transition Dialog” (BETD) vorgestellt wurde. Table.Media hat dazu mit dem IRENA-Generalsekretär Francesco La Camera gesprochen.
Herr La Camera, Sie scheinen nicht sehr optimistisch, dass wir die Klimaziele einhalten.
Wir schaffen sie, wenn wir alles tun, was wir in diesem Konzept aufgeschrieben haben.
Das ist eine riesige Aufgabe.
Das ist offensichtlich. Und je weiter wir kommen, desto schwieriger wird es. Wenn Sie in Rom leben und ein Champions-League-Spiel in Mailand sehen wollen, sind das 600 Kilometer. Wenn Sie im Auto 100 Stundenkilometer fahren, sind Sie in sechs Stunden da. Aber wenn Sie die erste Stunde nur 60 fahren, müssen Sie die anderen Stunden 110 fahren. Wenn Sie die zweite Stunden weiter 60 fahren, müssen Sie 150 fahren. Und wenn Sie so weitermachen, werden Sie in der vierten Stunde realisieren, dass Sie es rein physikalisch nicht mehr schaffen.
Um die Klimaziele doch noch in erreichbarer Nähe zu halten, fordert die IRENA einen massiven Ausbau der erneuerbaren Kapazitäten weltweit. Selbst eine jährliche Rekordsumme von 1,3 Billionen Dollar, die 2022 in die Erneuerbaren geflossen sind, reiche nicht aus. Nötig sei das Vierfache: jährlich über fünf Billionen Dollar. Bis zum Jahr 2030 müssten 35 Billionen Dollar in Effizienz, Erneuerbare, Elektrifizierung, Netzausbau und flexiblere Energiequellen investiert werden.
In Ihrem Bericht steht praktisch: Alles sofort und gleichzeitig machen.
La Camera: Unsere Zahlen sind klar. Wenn Sie von 3.000 GW auf 10.000 GW bis 2030 wollen, sind das 1.000 GW pro Jahr. Das heißt, wir müssen das Rekordjahr 2022 mit 295 GW mehr als verdreifachen. (Table.Media berichtete.) Das war schon so im letzten Jahr, also müssen wir jetzt dreimal soviel und ein bisschen mehr ausbauen. Und wenn wir das nicht tun, müssen wir 3,5-mal so schnell sein, und irgendwann ist es physikalisch unmöglich. Deshalb sagt der IPCC, 2030 ist so wichtig. Denn danach wird es physikalisch eine so große Herausforderung.
Ist es denn physikalisch überhaupt noch machbar?
Es ist machbar. Aber wir müssen die globale Energiewende neu denken, vor allem zwischen Nord und Süd. Wir brauchen die physische und die juristische Infrastruktur und die handwerklichen Kenntnisse. Das hat bisher für das zentralisierte fossile System gut funktioniert, aber nicht für die saubere Energie.
Der Bericht fordert für die Einhaltung der Klimaziele von 1,5-Grad:
Trotz einiger Fortschritte – etwa weiter rapide sinkender Preise, die die Erneuerbaren zur günstigsten Energiequelle machen – gehe die Entwicklung “erbärmlich an dem vorbei, was gebraucht wird”, heißt es in ungewöhnlich harschen Tonfall von der IRENA. Auch die Wiederaufbaupakete nach der Covid-Pandemie seien eine “verpasste Chance”, weil nur sechs Prozent der weltweit 15 Billionen Dollar an Investitionen in saubere Energien geflossen seien.
Wo wird die Energiewende vor allem stattfinden?
La Camera: Besonders in Afrika und Südostasien. Dafür braucht es drei Pfeiler: Physikalische und juristische Grundlagen, die Arbeitskräfte und institutionelle Kapazitäten. Wir müssen verstehen, welche Spieler welche Rollen spielen. Die Energiewende vor allem etwa in Afrika schaffen nicht einzelne Länder. Das müssen multinationale Institutionen machen, die das Geld aufbringen. Wenn wir also über eine Reform des Welt-Finanzsystems und der Weltbank reden, dann müssen sie sich nicht nur mehr auf die Energiewende konzentrieren – sondern wir müssen auch entscheiden, wie sie das tun sollten.
Ist der Aufbau der Stromnetze dabei wichtiger als die tatsächlichen Wind- und Solarparks zu errichten?
Das sind verschiedene Rollen. Private Investoren bauen die Anlagen. Aber das Netz ist eine öffentliche Angelegenheit, das müssen Finanzinstitute organisieren. Das ist eine Art von Gemeingut. Wichtig ist auch der juristische Aspekt. Denn das Risiko für das Investment steigt, wenn die legalen Bedingungen unklar sind, wenn die Arbeitskräfte und die Institutionen fehlen. Wenn dagegen Hilfe da ist, wenn ein Rechtssystem funktioniert und es staatliche Hilfen gibt, ist es einfacher. Das fossile System hat diese Strukturen in hundert Jahren aufgebaut.
Und jetzt müssen wir es in sieben Jahren schaffen. Was sind da die größten Hindernisse?
Wir müssen verstehen, was wir brauchen und danach handeln. Dafür braucht es politischen Willen.
Was stimmt Sie optimistisch?
Das Verständnis für das Drama, in dem wir leben, ist reifer geworden.
Was erwarten Sie von der nächsten COP?
Dieser Bericht ist unsere Botschaft für die COP in Dubai. Das Wichtigste da ist, dass dieses Narrativ akzeptiert wird.
Die wichtigsten Details aus dem “Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung”:
Das Klimaschutzgesetz wird geändert: Anders als bisher muss nicht mehr jedes Ressort jedes Jahr exakte Obergrenzen beim Ausstoß der Treibhausgase einhalten. Nun soll “die Einhaltung der Klimaschutzziele anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden”, heißt es. Das bedeutet: Reduktionen können zwischen den Ministerien “verrechnet” werden: Wenn ein Ressort mehr Treibhausgase spart als gefordert, müssen andere weniger machen.
Bis zum Sommer soll eine entsprechende Novelle des Klimaschutzgesetzes in den Bundestag eingebracht werden. Sie sieht vor:
Die Aufweichung der starren Sektorziele für die einzelnen Ministerien, ein zentrales Instrument des Klimaschutzgesetzes, wird von vielen Umweltgruppen scharf kritisiert. Die “Gesamtrechnung” war allerdings schon im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigt worden.
Ein Gesetz zur Steigerung der Effizienz soll bis zum Sommer fertig sein. Es war bereits im Herbst im “Machtwort” von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten versprochen worden, aber intern in der Koalition nicht durchzusetzen.
An 144 Stellen sollen auf Autobahnen “Engpass”-Stellen als vordringlicher Bedarf schnell beseitigt werden. Dabei geht es nach Angaben aus der Koalition nicht um Neubau-Strecken. Gleichzeitig soll die Planung von Wind- und Solarparks weiter erleichtert werden. Kommunen können auf Wunsch auch in Regionen Windanlagen planen, auf denen das bisher nicht der Fall war. Entlang von Autobahnen sollen einfacher Solar- und Windparks errichtet werden können. Bei Autobahn-Neubauten soll es eine Solar-Pflicht geben.
Die LKW-Maut wird auf Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen ausgeweitet und erhöht: Ab 2024 wird ein CO₂-Aufschlag von 200 Euro pro Tonne CO₂ eingeführt. Ein Großteil dieser Einnahmen soll in Neubau, Ausbau und Erhalt der Bahnstrecken fließen. Die Rede ist von insgesamt etwa 20 Milliarden Euro über vier Jahre, was den Investitionsbedarf der Bahn von 45 Milliarden etwa zur Hälfte deckt.
Dazu kommen viele einzelne Maßnahmen, darunter:
Es bleibt bei der stark umstrittenen Einigung der Ampel von 2022, dass ab 2024 neue Heizungen mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien befeuert werden müssen. Für elektrische Wärmepumpen, die dafür hauptsächlich in Betracht kommen, soll es weitere Förderungen geben. Die Pflicht für den Einbau einer neuen Wärmepumpe entfällt, wenn das Gebäude an ein System der Fernwärme angeschlossen wird – oder wenn glaubwürdig ein System geplant wird, das mit grünem Wasserstoff betrieben werden soll. Das aber wird wohl nur für kleine “Inseln” gelten, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
Die Regelung zu fossilfreien Heizungen soll mit “technologieoffenem Ansatz” mit “ausreichenden Übergangszeiträumen” umgesetzt werden. Das Gebäude-Energiegesetz werde “pragmatisch ausgestaltet, unbillige Härten auch zum sozialen Ausgleich werden vermieden”, auch für Mieterinnen und Mieter.
Die Bundesregierung setzt weiter auf den europäischen Emissionshandel für Verkehr und Wärme, der 2027 eingeführt wird. Sie geht davon aus, dass der Preis für die CO₂-Lizenzen in diesen Bereichen bis 2030 auf etwa 200 Euro pro Tonne steigen wird. Das werde zusammen mit der erhöhten Lkw-Maut zu starker Nachfrage bei Elektro-Lkw führen. Außerdem werde das Öl- und Gasheizungen gegenüber der Wärmepumpe deutlich unattraktiver machen.
Der Ausgleich bei Flächenversiegelung durch Bauvorhaben wird neu geregelt. Bisher gilt Vorrang für den “Realkompensation” gegenüber einer Geldzahlung. Das führt bislang zu vereinzelten Naturflächen, die oft nicht als Biotope verbunden sind. Das wird nun verändert: Ausgleich soll nun stärker auch finanziell geleistet werden. Ein Gesetz und eine eigene Stelle beim Umweltministerium sollen den Ausgleich koordinieren, dass damit größere und wertvollere Naturflächen gesichert werden können.
Mindestens 700 Menschen sind gestorben, Hunderte werden noch vermisst, Hunderttausende haben ihr Zuhause verloren: Das ist die Bilanz des tropischen Zyklons Freddy, der bis Mitte März über Madagaskar, Malawi, Mosambik und weitere Länder Südostafrikas hinweggezogen ist.
Klimawissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen: Die Erderwärmung macht besonders intensive Stürme (wie Freddy) wahrscheinlicher und erhöht ihre Zerstörungskraft. Die Forschenden fordern Emissionsreduktionen, eine bessere Anpassung und den schnellen Aufbau von Strukturen, um im Fall von Klimaschäden (“Loss and Damage”) Finanzhilfe zu leisten.
In Malawi gewinne man erst nach und nach einen Überblick über die Schäden, sagt Claudia Plock. Sie leitet die Arbeit der Welthungerhilfe in Malawi, das besonders stark von Freddy getroffen wurde. Allein in dem Land kamen mindestens 511 Menschen ums Leben.
“Dieser Zyklon hat wesentlich größere Zerstörungen angerichtet als die vorhergehenden Zyklone”, so Plock – vor allem wegen der extrem starken Regenfälle, die Freddy in sehr kurzer Zeit über Malawi niedergehen ließ. Innerhalb von wenigen Tagen habe es so viel geregnet wie sonst in vielen Monaten, sagt Plock. Der Klimawissenschaftler Roxy Mathew Koll vom Indischen Institut für Tropenmeteorologie wertet die großen Regenmengen als “klares Signal des Klimawandels”.
Jetzt sei ein großer Teil der Ernte zerstört, sagt Plock. Laut UN haben viele Menschen auch ihre Viehherden verloren – in Malawi eine wichtige Lebensgrundlage. Plock berichtet von weggespülten Straßen, gekappten Strom- und Telefonleitungen, kaputten Schulen und Gesundheitszentren. Manche Regionen seien nach dem Sturm noch immer nicht erreichbar. Mehr als 500.000 Menschen seien in Malawi in Notunterkünften untergekommen. “Die meisten haben ihr ganzes Hab und Gut verloren.”
Nun lebten sie in sehr beengten, teils unhygienischen Verhältnissen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fürchtet einen Anstieg der Cholera-Infektionen. Bereits jetzt habe Malawi mit dem derzeit größten Cholera-Ausbruch in Afrika zu kämpfen. Vergangene Woche warnte die WHO davor, dass der Klimawandel weltweit die Ausbreitung des Erregers “wie mit einem Turbo antreibt”.
Markus Bremers, Sprecher des Deutschen Medikamenten-Hilfswerks action medeor, fürchtet, dass die Zahl der Cholera-Toten auch wegen Freddy deutlich steigen könnte: “Die Menschen haben nach dem Zyklon kein sauberes Trinkwasser und weniger zu essen. Das erhöht die Anfälligkeit für Durchfallerkrankungen und auch deren Auswirkungen. Die Gefahr, dass ein unterernährtes Kind an Cholera stirbt, ist deutlich erhöht.” Action medeor unterstützt Kliniken in der vom Zyklon betroffenen Region mit OP-Masken, Infusionslösungen, Antibiotika, Magen-Darm-Medikamenten und Schmerzmitteln.
Freddy passt in die Projektionen der Klimawissenschaft. Der Klimawandel habe für den Zyklon wahrscheinlich eine Rolle gespielt, sagt die Klimaforscherin Friederike Otto vom Imperial College in London: Die Erderwärmung mache starke Stürme wahrscheinlicher und erhöhe auch die Mengen an Niederschlag, die sie mit sich bringen.
Die von Otto geleitete World Weather Attribution Group (WWA) hat im vergangenen Jahr die Auswirkungen des Zyklons Batsirai und weiterer Stürme in der gleichen Region untersucht, die nun von Freddy getroffen wurde. Damals konnten sie zeigen, dass der Regen durch den Klimawandel häufiger und stärker wurde. “Wenn wir eine Studie zum Zyklon Freddy durchführten, wären die Ergebnisse sehr ähnlich”, sagt Otto.
Zudem seien die vom Zyklon getroffenen Länder besonders verwundbar, die Folgen der Stürme deshalb besonders schlimm. “So wird ein extremes Wetterereignis zur Katastrophe”, so Otto. Sie forderte die reichen Länder auf, ihre Treibhausgasemissionen schnell zu reduzieren, “und den verwundbaren Ländern bei der Anpassung an diese Art von Ereignissen zu helfen, die mit der fortschreitenden Erwärmung nur schlimmer werden.”
Auch Genito Maure, Klimaforscher an der Eduardo Mondlane University in Mosambik, warnt vor heftiger werdenden Überschwemmungen, Starkregen und Wind. Die Stadtplanung und Planung für den ländlichen Raum müsse sich in den betroffenen Regionen an die veränderten Verhältnisse ausrichten, sagt Mondlane.
Saleemul Huq, Direktor des Internationalen Instituts für Klimawandel und Entwicklung in Dhaka, Bangladesch, forderte angesichts der durch Freddy angerichteten Zerstörung: Das Übergangskommitee (Transitional Committee), das die Struktur für den “Loss and Damage”-Fonds vorbereitet, müsse bis zur kommenden COP28 konkrete Ergebnisse vorlegen. “Wir brauchen eine Finanzierung, die sehr schnell beginnt”, sagte Huq auf dem Table.Live-Briefing “German Roadmap to COP28”.
Der Zusammenhang zwischen höherer Lufttemperatur und Starkregen ist in der Klimawissenschaft gut belegt: Eine warme Atmosphäre kann mehr Wasserdampf aufnehmen, extrem starke Regenfälle treten dadurch häufiger auf. Erwärmt sich auch der Ozean, bilden sich Zyklone leichter, denn sie ziehen ihre Energie aus dem Wasser.
Laut IPCC werden Starkniederschläge und damit verbundene Überschwemmungen in Madagaskar und Südostafrika heute schon häufiger. Es gibt starke Hinweise darauf, dass tropische Zyklone durch die Erderhitzung intensiver werden und dass der Anteil besonders heftiger Zyklone (Kategorie 4 und 5) ebenfalls steigt. Freddy nahm mehrmals an Stärke zu und erreichte letztlich die höchste Kategorie 5.
Freddy war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: Laut Welt-Meteorologie-Organisation WMO legte der Sturm die lange Strecke von 8.000 Kilometern zurück und setzte so viel Energie frei wie “eine komplette durchschnittliche Hurrikansaison im Nordatlantik”. Zudem traf er mehrere Male auf Land. Eine Kommission soll nun prüfen, ob Freddy mit seinen 34 Tagen Dauer auch der am längsten anhaltende Sturm war, der je registriert wurde.
30. März, 10 Uhr, Berlin/Online
Forum Nationales Wasserforum – Wege zu einer krisensicheren und nachhaltigen Wasserwirtschaft
Das 4. Nationale Wasserforum 2023 bietet eine Standortbestimmung und Orientierung für die Umsetzung der Nationalen Wasserstrategie. Wo steht Deutschland? Was sind die Schwerpunkte der Bundesregierung in der Wasserpolitik? Wie nutzen wir den Rückenwind aus der Weltwasserkonferenz von New York? Veranstaltet wird das Wasserforum vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV). Infos
30. März, 13 Uhr, Online
Webinar Global Landscape of Renewable Energy Finance 2023
Der Bericht Global Landscape of Renewable Energy Finance 2023 der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) und der Climate Policy Initiative (CPI) analysiert die Investitionstrends im Bereich erneuerbare Energien im Zeitraum 2013-2020. Der Bericht stellt auch vorläufige Erkenntnisse für den Zeitraum 2021-2022 vor. Bei der Onlineveranstaltung diskutieren Expertinnen und Experten über die Ergebnisse. Infos
30 März, 14 Uhr, Berlin
Diskussion Beyond net-0: An international perspective on how decarbonisation strategies can foster a just transition and global cooperation
Auf der Veranstaltung vom Internationalen Netzwerk der Energiewende Think Tanks (INETTT) werden der Stand der Planung und Umsetzung von Energiewenden in verschiedenen Ländern diskutiert. Die Mitglieder des Netzwerks aus Mexiko (Iniciativa Climática de México), Südkorea (Green Energy Strategy Institute), Vietnam (Vietnam Initiative for Energy Transition), Brasilien (E+ Energy Transition Institute), Japan (Renewable Energy Institute) und Polen (Forum Energii) stellen die Schlüsselelemente ihrer Energiewenden vor. Infos
30. März, 15 Uhr, Online
Webinar The Gender-Environment Nexus
Die Gleichstellung der Geschlechter und ökologische Nachhaltigkeit werden immer wichtiger. Auf diesem Event der OECD wird darüber diskutiert, welche Maßnahmen gleichzeitig zu beiden Zielen beitragen können. Infos
31. März, 8.30 Uhr, Brüssel/Online
Konferenz Towards more energy savings in European SMEs – Focus on collective actions
Ziel der Konferenz ist es, Erfahrungen auszutauschen, die im Rahmen des europäischen Projekts GEAR@SME zum Thema Energieeinsparung und Klimaschutz gemacht wurden. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sinnvoll kollektive Maßnahmen zum Energiesparen sind. Inwiefern werden Kleine und mittelständige Unternehmen dadurch unterstützt? Infos
31. März – 2. April, Lüneburg
Kongress Bundesweiter Umwelt- und Verkehrskongress
Der 24. Bundesweite Umwelt- und Verkehrskongress (BUVKO) findet vom 31. März bis 2. April 2023 unter dem Motto “Was uns antreibt – gesund und klimaschonend unterwegs” an der Leuphana Universität in Lüneburg statt. Beim BUVKO treffen sich Aktive, Interessierte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich für eine nachhaltige Verkehrspolitik einsetzen. Der Kongress ist Fachtagung und Impulsgeber für mehr Bewegung in der Verkehrspolitik. Infos
4. April, 10 Uhr, Online
Vortrag Greenwashing verhindern und Verantwortung übernehmen
Die globale Klimakrise erfordert entschlossenes, gemeinsames Vorgehen. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass auch Unternehmen Verantwortung übernehmen und ihren Beitrag zur globalen Klimaneutralität leisten. Der Vortrag beim Bundesverband Mittelständische Wirtschaft beschäftigt sich mit der Frage, wie Unternehmen ihrer Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel gerecht werden können. Infos
4. April, 19.30 Uhr, Wiesbaden
Diskussion Überfischung, Plastikmüll und Klimaerwärmung – Wilder Westen auf Hoher See
Die Arten im Meer verschwinden aktuell doppelt so schnell wie die Arten an Land. Als Hauptursachen für den Verlust gelten Zerstörung der Lebensräume durch u.a. Fischerei, Wilderei, Meeresverschmutzung, Überdüngung sowie der voranschreitende Klimawandel mit Auswirkungen auf die Wassertemperatur und den Salzgehalt unserer Meere. Auf der Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird darüber diskutiert, warum das so ist, und was dagegen getan werden kann. Infos und Teilnahme
5. April, 14 Uhr, Online
Webinar Roadmap to tracking public energy research investment
Auf dem Webinar der International Energy Agency (IEA) wird darüber diskutiert, wie wichtig technische Innovationen für die Energiewende sind und welche Wege existieren, sie öffentlich zu finanzieren. Infos
Synthetische Kraftstoffe – besser bekannt als E-Fuels – werden voraussichtlich noch sehr lange ein knappes Gut sein. Laut einer Analyse des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) wird das globale Angebot im Jahr 2035 nicht ausreichen, um den Bedarf allein des deutschen Luftverkehrs, der Schifffahrt und der Chemie zu decken. In diesen Bereichen gelten synthetische Kraftstoffe als unverzichtbar für die Dekarbonisierung, da die vollständige Elektrifizierung nach aktuellem Forschungsstand nicht möglich ist.
Bis 2035 seien weltweit derzeit etwa 60 neue E-Fuel-Projekte angekündigt, von denen nur etwa ein Prozent mit einer finalen Investitionsentscheidung gesichert seien, schreiben die Autoren. Alle diese weltweiten Projekte entsprächen zusammen nur etwa zehn Prozent der Menge, die die drei genannten Branchen allein in Deutschland benötigen.
In den vergangenen vier Wochen wurde viel über E-Fuels diskutiert. Seit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sich in Brüssel dafür eingesetzt hatte, E-Fuels als Möglichkeit zum Erreichen der Klimaziele im Straßenverkehr zu deklarieren, stellt sich die Frage, woher die E-Fuels kommen sollen. Die PIK-Analyse legt nahe, dass für Autos – die im Gegensatz zu Schiffen oder Flugzeugen elektrifizierbar sind – voraussichtlich keine E-Fuels-Kapazitäten vorhanden sein werden.
Zwar erhofft sich Wissing durch die Erklärung der Kommission, dass Autos mit Verbrennungsmotor auch nach 2035 noch zugelassen werden dürfen, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt werden, einen deutlichen Hochlauf der Produktionskapazitäten durch eine erhöhte Nachfrage. Doch PIK-Forscher Falko Ueckerdt bleibt skeptisch: “Selbst wenn der Markthochlauf so schnell passiert wie beim Wachstumschampion Solar-Photovoltaik”, würde das globale Angebot nicht ausreichen. luk
Australien will eine seiner wichtigsten Klimarichtlinien verschärfen. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, will die Labor-Regierung von Premier Anthony Albanese zusammen mit den Grünen den sogenannten Safeguard Mechanism reformieren und damit eine harte Obergrenze für Treibhausgasemissionen einführen. Große Unternehmen müssen ihre Emissionen demnach deutlich reduzieren.
Laut Climate Council, einem australischen Klima-Think-Tank, ist das eine der bedeutendsten Reformen zur Einsparung von CO₂ im vergangenen Jahrzehnt. Reformen des Safeguard Mechanism werden als essenziell eingeschätzt, damit Australien sein Ziel einhalten kann, die Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 43 Prozent zu senken.
Der Safeguard Mechanism reguliert die Emissionen von Australiens 215 größten Emittenten, unter ihnen große Öl- und Gaskonzerne oder Bergbauunternehmen, wie Santos, BHP, Anglo Coal, Woodside, Chevron und Rio Tinto. Zusammen sind sie für rund 30 Prozent von Australiens Emissionen verantwortlich. Der Mechanismus wurde 2016 eingeführt, war bisher aber praktisch wirkungslos. Laut AP haben die größten Emittenten unter dem Mechanismus ihren Treibhausgasausstoß sogar um vier Prozent erhöht.
Unter dem Safeguard Mechanism legten die Behörden Emissionsobergrenzen für einzelne Anlagen fest. Aber insgesamt seien die erlaubten Emissionen “sehr viel höher gewesen als die von den Unternehmen ausgestoßene Menge”, kritisiert Climate Council. Selbst wenn die Firmen ihre Grenzen überschritten hätten, seien sie oft nicht sanktioniert worden.
Die geplante Reform soll die Unternehmen nun tatsächlich zwingen, ihre Emissionen graduell zu reduzieren. Für Branchen, die stark in den internationalen Handel eingebunden sind (“trade-exposed”), soll es Ausnahmen geben. Wie hoch die CO₂-Obergrenze laut der Reform ist, wurde allerdings nicht bekannt gegeben. Adam Bandt von Australiens Grünen sagte aber, eine “harte Grenze” würde dazu führen, dass die Hälfte der 116 im Land geplanten Gas- und Kohleprojekte nicht realisiert würden. Die Reform benötigt neben der Unterstützung der Grünen noch die Unterstützung von zwei weiteren Senatoren.
Aktuell kommt der größte Teil von Australiens Energie noch aus fossilen Energiequellen. Das Land exportiert außerdem Kohle. Im vergangenen Jahr hat das Land seine NDC verschärft, damit verbesserte sich die Bewertung des Landes von Climate Action Tracker von “highly insufficient” zu “insufficient”. kul
Die China National Offshore Oil Corporation hat mit dem Bau eines ersten Offshore-Projekts zur Speicherung von CO₂ vor der Küste Chinas begonnen. Ab Mitte April sollen über ein Bohrloch jährlich 300.000 Tonnen CO₂ unterirdisch gespeichert werden, wie das chinesische Wirtschaftsportal Caixin berichtet. China ist mit einem jährlichen CO₂-Ausstoß von gut 11,5 Milliarden Tonnen der weltweit größte Emittent.
Neben rund 40 Forschungsanlagen gibt es in der Volksrepublik bisher nur wenige Carbon Capture (Utilization) and Storage-Projekte (CCS und CCUS) bei denen in größerem Maße CO₂ gespeichert wird. Teils wird die Technologie eingesetzt, um die Öl- und Gas-Förderung zu erhöhen. Doch China will CCUS weiter erforschen und zukünftig auch die “industrielle Anwendung in großem Maßstab” realisieren, wie aus der Leitstrategie zur Erreichung der nationalen Klimaziele hervorgeht (China.Table berichtete). “In China entwickelt sich langsam, aber sicher eine CCUS-Industrie. Wir sehen eine konsequente Vorwärtsbewegung auf allen Ebenen – einschließlich der Politik, Wissenschaft und bei Unternehmensinvestitionen”, schreiben Analysten der Beratungsfirma Trivium China.
Dabei könnte auch das Konzept der “Bioenergy with Carbon Capture and Storage” (BECCS) eine wichtige Rolle spielen, wie zwei mögliche Szenarien hochrangiger chinesischer Forschungseinrichtungen zur Erreichung der Klimaziele zeigen. Bei BECCS werden Energiepflanzen angebaut, um CO₂ aus der Atmosphäre zu ziehen. Sie werden dann in Biogasanlagen genutzt oder verbrannt, um Strom zu gewinnen. Das CO₂, das dabei entsteht, wird aufgefangen und in Gesteinsschichten gespeichert.
Expertinnen und Experten bezweifeln die Sinnhaftigkeit von BECCS. Das Konzept verbraucht große Landesflächen und steht in Konkurrenz zur Landwirtschaft, die in China ohnehin unter Flächenmangel leidet. “Die Geschwindigkeit und die Größenordnung von BECCS, die für die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad erforderlich sind, stellen eine erhebliche Herausforderung für die Umsetzung dar”, schreibt der IPCC. nib
Der von Bundesumweltministerin Steffi Lemke vergangenen Freitag vorgelegte Vorschlag für ein Klimaanpassungsgesetz soll, so die Ministerin, “eine verbindliche Basis für eine vorsorgende Klimaanpassungsstrategie des Bundes” schaffen. Die Strategie selbst liegt noch nicht vor. Das Gesetz soll die Grundlage schaffen, sie zu entwickeln.
Lemkes Vorschlag geht nun in die Ressortabstimmung. Der Zeitplan sieht vor:
Nach Informationen aus Regierungskreisen enthält Lemkes Gesetzesentwurf folgende Vorschläge:
Die EU-Minister haben am Dienstag die Trilog-Ergebnisse zu drei wesentlichen Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets angenommen. Das Parlament hatte die Überarbeitungen von LULUCF, Effort Sharing und Marktstabilitätsreserve bereits vor zwei Wochen bestätigt. Somit können alle drei Dossiers im EU-Amtsblatt erscheinen, wodurch sie zu geltendem Recht werden.
Mit der neuen Verordnung zur Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) kommen neue Regeln für natürliche CO₂-Senken in der EU. Bis 2030 soll die Senkleistung um 15 Prozent auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent erhöht werden. Da dieses Ziel höher ist als im EU-Klimagesetz von 2021 beschlossen (225 Millionen Tonnen), besteht die Möglichkeit, dass die EU nun ihr bei der UN hinterlegtes Klimaziel von 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 anhebt. Die EU-Länder hatten diesen Schritt angekündigt, sobald alle Teile des Fit-for-55-Paket fertig verhandelt sind.
Die überarbeitete Effort Sharing Regulation (ESR, Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für jedes EU-Land individuell fest. Für Deutschland gilt: bis 2030 mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen (THG) als noch 2005. Im Durchschnitt müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40 Prozent senken.
Die ESR gilt für Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel (ETS) abgedeckt sind – derzeit rund 60 Prozent aller EU-Emissionen. Darunter sind die Sektoren Straßenverkehr, Gebäudebeheizung, Landwirtschaft, kleinere Industrieanlagen und die Abfallwirtschaft. Allerdings werden einige der Sektoren im Rahmen der ETS-Reform voraussichtlich in den kommenden Jahren in den Emissionshandel aufgenommen. Über die Trilog-Einigung zur ETS-Reform stimmen EU-Parlament und Rat erst im April ab.
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist Teil des ETS. Deren Überarbeitung wurde jedoch in einem eigenen Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt. Die MSR regelt den Abbau von Überschüssen an Emissionszertifikaten im ETS, um Preisvolatilität am CO₂-Markt möglichst gering zu halten. Bis Ende 2030 gehen jährlich 24 Prozent der nicht verkauften Zertifikate in die MSR über, mindestens aber 200 Millionen Zertifikate. 2031 sinkt die Aufnahmequote wieder auf zwölf Prozent ab und die Mindestzahl auf 100 Millionen Zertifikate. luk
Nur mit einer umfassenden, langfristig angelegten Strategie kann Deutschland seine gesetzlich festgelegten Ziele bis zur Netto-Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 erreichen. Zwar sind die gesetzlichen und politischen Grundlagen bereits geschaffen worden: Es gibt den Klimaschutzplan 2050, das Klimaschutzprogramm 2030, das Klimaschutzgesetz sowie die energiepolitischen Beschlüsse aus dem Jahr 2022. Aber Klimaschutzplan und Klimaschutzprogramm sind nicht mehr aktuell und müssen überarbeitet werden.
Die Bundesregierung plant nun auf Grundlage der Beschlüsse vom Koalitionsausschuss am 28. März 2023, das Klimaschutzgesetz zeitnah zu novellieren, ein umfassendes sektorübergreifendes Klimaschutzprogramm zu beschließen und für die Jahre 2035, 2040 und 2045 Ziele für Negativemissionen festzulegen. Doch dass Deutschland aktuell nach wie vor keinen langfristigen und übergreifenden Klimaschutzplan in Richtung Klimaneutralität hat, ist eine eklatante Leerstelle. Ob er zeitnah entwickelt werden soll, dazu schweigt das Papier des Koalitionsausschusses.
Eine solche Langfriststrategie sollte vor allem die Rolle und Bedeutung der gezielten Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) bewerten und einbeziehen. Natürliche und technische Senken wie Bioenergie mit CO₂-Abscheidung und -Speicherung (BECCS) oder direkte CO₂-Abscheidung aus der Luft und anschließende Speicherung (DACCS) sollen laut dem sogenannten Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung “eine Rolle spielen” – wichtig wäre aber zu klären, welche strategische Rolle das zukünftig konkret sein soll.
Ein weiterer Mangel ist die uneindeutige und unvollständige Mandatierung der wissenschaftlichen Politikberatung zum langfristigen Klimaschutz. Der Lenkungskreis der Wissenschaftsplattform Klimaschutz benennt in seiner Stellungnahme diese Lücken. Darüber hinaus identifiziert er sechs Themenfelder, die in einer Langfriststrategie bearbeitet werden sollten.
Die Frage, wie soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz vereinbar sind, wird schon heute gestellt und wird mit der Zeit noch wichtiger werden. Eine gesamtgesellschaftliche Zustimmung sowie eine faire Wohlstandsverteilung sind Grundlagen für eine erfolgreiche Klimapolitik. Klimapolitik sollte daher vorsorgend mit der Sozialpolitik verbunden werden. Dazu gehören beispielsweise die zeitnahe Umsetzung von gezielten Kompensationszahlungen für steigende CO₂-Preise. Außerdem sollten zielgruppenspezifische Instrumente zur Emissionsvermeidung diskutiert werden, die sich gerade an einkommensstarke Haushalte richten.
Akzeptanz und Beteiligung sind Schlüsselthemen für die erfolgreiche Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. Informationen und Kommunikationsangebote sind grundlegende, wenn auch begrenzt wirksame, Instrumente. Es ist daher notwendig, betroffenen Menschen größere Beteiligungschancen in Transformationsprozessen einzuräumen. Bürgerräte können beispielsweise ein adäquates Modell in einer Beteiligungslandschaft sein. Sie dürfen aber nicht als Allheilmittel der Beteiligung in der Klimapolitik angesehen werden.
Ohne internationale Kooperation ist das Erreichen des Pariser Klimaschutzabkommens nicht möglich. Doch die Bereitschaft zu multilateralen Kooperationen scheint gesunken zu sein. Es zeichnet sich ein industriepolitischer Wettbewerb um eine klimaneutrale Wirtschaft zwischen den führenden Wirtschaftsregionen der Welt ab. So hat die EU beispielsweise Anfang 2023 mit dem “Net Zero Industry Act” als Teil der europäischen Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) reagiert. Hier müssen Wissenslücken über nationale Maßnahmen und die positiven wie negativen Effekte im globalen Kontext dringend geschlossen werden.
Das Interesse an nachhaltigen Anlageprodukten bei institutionellen und privaten Investoren steigt. Jedoch fehlen bislang ein adäquates Klassifikationsschema oder verlässliche Kennzeichnungen von Anlageprodukten, die das Transformationspotenzial einer Investition anzeigen. Wird dieser Mangel behoben, kann der Finanzmarkt eine wichtige Rolle für den Klimaschutz einnehmen.
Das Klimarecht bildet das Rückgrat einer strategisch auf Klimaneutralität ausgerichteten Klimapolitik. Ein zukunftsfähiges Klimarecht muss sicherstellen, dass eigene Vorgaben wie etwa Sektorziele eingehalten werden. Insofern ist Transparenz über die Einhaltung von Zielen gut, eine Sanktionierung bei Nichteinhaltung allerdings besser. Darüber hinaus muss es eine Grundlage für die Planung, die Errichtung und den Betrieb zukünftiger Infrastrukturen wie Strom-, Wasserstoff- und CO₂-Netzen schaffen und anwendungsfreundlich im Vollzug für Behörden, Planungsträger und Gerichte sein.
Die gezielte Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre ist zur Einhaltung der Klimaziele unbedingt notwendig, darf aber keinesfalls die Anstrengungen zur Emissionsvermeidung schwächen. Es muss weiter erforscht werden, in welchem Ausmaß CO₂-Entnahmeoptionen genutzt werden können und welche Nutzungskonflikte sich dabei ergeben. Darüber hinaus kann CO₂ nur auf Grundlage eines stabilen Governance- und Finanzierungssystems langfristig gewährleistet werden.
Insgesamt sollten klimapolitische Maßnahmen für eine Langfriststrategie sollten danach bewertet werden, wie resilient sie sind und ob sie zu einer effektiven Governance beitragen. Der Pfad zur Klimaneutralität muss so robust gestaltet sein, dass weder Staat noch andere Akteure wesentlich vom Pfad abweichen, wenn sie unter Stress geraten.
Systemische Herausforderungen von Demokratien in Mehrebenensystemen sind angemessen in einer Langfriststrategie zu adressieren. Die Vorteile demokratischer Strukturen müssen gestärkt und so das technische, wirtschaftliche und soziale Kreativpotenzial demokratischer Strukturen für den Transformationsprozess nutzbar gemacht werden. Eine effektive Governance ist gekennzeichnet durch eine glaubhafte Selbstbindung der Politik an ihre Klimaschutzziele über Legislaturperioden hinaus.
Der Text ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung einer Stellungnahme des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform Klimaschutz, die am vergangenen Montag an die Bundesregierung übergeben wurde.
Kurz nach dem Klima-Volksentscheid in Berlin schaut Felix Nasser (30) positiv auf das Erreichte. Er sei “extrem” begeistert, was die Initiative als ehrenamtliche Demokratiebewegung erreicht hat, sagt der Mitbegründer von “Klimaneustart Berlin”. Ernüchterung ist natürlich auch dabei, dass der Volksentscheid zur Klimaneutralität ab dem Jahr 2030 in Berlin am Quorum gescheitert ist. Die Initiative habe es aber geschafft, die Klimakrise in den letzten drei Monaten zum Thema in der Stadt zu machen. Mehr als 60 Organisationen stehen hinter dem Vorhaben. Sie finanzierten die Aufstellung von 500 Großplakaten für die Kampagne. Die Gesamtkosten lagen bei 1,2 Millionen Euro. Nasser verweist aber auch auf die weniger sichtbaren Erfolge: Es seien viele Allianzen geknüpft worden.
Nasser ist Mitgründer von “Klimaneustart Berlin”, einer Initiative, die seit 2019 mehrere Kampagnen zu Fragen der Klimakrise erfolgreich lanciert hat. Mit der Notwendigkeit hat sich der Aktivist ausführlich auseinandergesetzt: Während seines Masterstudiums von 2017 bis 2019 zum Thema Systemische Resilienz bei Johan Rockström am Stockholmer Resilience Center beschäftigt er sich mit sogenannten Kipppunkten in Erdsystemen. An diesen Punkten können vormals lineare Entwicklungen in dynamische Verläufe umschlagen, werden irreversibel, schwer vorhersagbar und kaum mehr kontrollierbar. Die Entwicklungspfade beziehen sich auf von Rockström so benannte planetare Grenzen – die bekannteste betrifft den Klimawandel.
2018 fährt Felix Nasser zur internationalen Klimakonferenz COP24 ins polnische Katowice. Dort will die Weltgemeinschaft – drei Jahre nach den Pariser Beschlüssen – konkrete Schritte für die weitere Umsetzung des 1,5 Grad-Ziels beschließen. Dies misslingt. Er wünscht sich entschiedenes politisches Handeln, wechselt deswegen von der Wissenschaft in den Aktivismus. Weil Berlin für ihn die Großstadt ist, von der in der Klimakrise und in Deutschland potenziell die größte Strahlkraft für Veränderung erwartet, zieht er 2019 dort hin. Mit Gleichgesinnten gründet er die Initiative Klimaneustart, die schnell Zulauf bekommt.
Die Initiative entwickelt ab Mai 2019 eine Kampagne – sie will erreichen, dass Berlin den “Klimanotstand” erklärt, um die notwendige Transformation anzustoßen. Sie sammeln mehr als 40.000 Unterschriften, noch im selben Jahr folgt der Senat und ruft den Klimanotstand aus. Nach einer weiteren Unterschriftenaktion tagt ein “Bürgerrat Klima”, von April bis Juni 2022: 100 per Losverfahren ermittelte Bürgerinnen und Bürger erarbeiten Empfehlungen, wie das 1,5 Grad Ziel doch noch zu erreichen wäre. Dafür erarbeiten sich die Beteiligten das komplexe Thema.
Felix Nasser findet solche Selbstwirksamkeit motivierend, auch für sein eigenes Tun als Aktivist: Wenn viele Menschen in dieselbe Richtung arbeiten, könne ein solcher Aktivismus zu einer Bewegung werden, die es braucht, um als Zivilgesellschaft politischen Druck zu entfalten. Für die meisten Menschen sei es befriedigend, an der Antwort auf Probleme beteiligt zu sein – und das gelte umso mehr, wenn die Antworten gemeinsam entstünden und dabei das eigene Engagement erlebbar und gleichzeitig sichtbar werde, sagt er. Handeln müsse aber die Politik.
In Berlin erhöhen die Aktivistinnen und Aktivisten deswegen den Druck auf die Politik. Mehr als tausend Menschen haben über 260.000 Unterschriften gesammelt; auf Wochenmärkten, vor der Philharmonie und bei sonstigen Veranstaltungen. Das mündet schließlich in dem Klima-Volksentscheid vom 26. März. Hätte der Entscheid das Quorum der notwendigen Stimmen erreicht, wäre eine Gesetzesänderung sofort rechtskräftig geworden und hätte vom Senat umgesetzt werden müssen. Nasser sagt, ihm sei die Woche vor dem Entscheid schon klar geworden, dass es schwierig wird, das Quorum zu erreichen. Zu sehr wurden medial die Hürden einer früheren Klimaneutralität, beispielsweise hohe Kosten, in den Mittelpunkt gestellt.
Und was macht Felix Nasser nach dem Volksentscheid? In jedem Fall, sagt er, habe die Initiative gezeigt, wie selbstwirksam es sein kann, “Bock auf demokratische Prozesse” zu haben. Alle Beteiligten hätten die Stadt noch mal ganz anders erlebt. Ihm und anderen habe das, letztlich mehr Kraft gegeben als geraubt. Jetzt geht es in die strategische Neuausrichtung, sagt Nasser. Torsten Sewing / Mitarbeit: Nico Beckert