Table.Briefing: Climate

UN-Bericht: Entschädigung für Klimakrise + Warum Methan-Lecks kaum gestopft werden + CO₂: Ozean wird richtig sauer

Liebe Leserin, lieber Leser,

bei der 79. UN-Generalversammlung in New York City spielt die Klimapolitik zumindest im Hintergrund eine wichtige Rolle. So legte etwa der Sonderberichterstatter für Menschenrechte einen brisanten Report vor: Der neue “Loss and Damage”-Fonds solle sich an “Klimagerechtigkeit” orientieren, heißt es darin. Vor allem einer der vier Pfeiler dazu dürfte für Kontroverse sorgen, analysiert Bernhard Pötter.

Auch die IEA tagt während der traditionellen Climate Week in New York City. Sie möchte gemeinsam mit COP29-Gastgeber Aserbaidschan neuen Schwung in die Global Methane Pledge bringen. Obwohl lukrativ, stockt es dennoch bei der Vermeidung von Methanemissionen – insbesondere beim Schließen von Lecks. Nico Beckert hat die Gründe recherchiert.

In den News lesen Sie heute über die siebte planetare Grenze, die demnächst überschritten werden könnte. Außerdem bieten wir einen Überblick zu den wichtigsten Klima-Verhandlungen während der UN-Generalversammlung, über die Atomkraftpläne der Banken – und warum Vietnam ausgerechnet jetzt einen Aktivisten aus der Haft entlässt.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihr
Lukas Bayer
Bild von Lukas  Bayer

Analyse

Klimagerechtigkeit: UN-Berichterstatter fordert Entschädigung für arme Länder

“Super-Taifun” Yagi hat Anfang September Vietnam verwüstet und mindestens 21 Menschen getötet.

Ein Bericht aus dem UN-Menschenrechtsausschuss an die 79. UN-Generalversammlung greift mit einer weitgehenden Definition von “Klimagerechtigkeit” (Climate Justice) in die Debatte um die Verteilung von “Loss and Damage”-Geldern für Klimafinanzierung ein. Der Report des Sonderberichterstatters zum Menschenrecht auf Entwicklung im UN-Menschenrechtsausschuss schlägt dafür vier Pfeiler (Minderung, Anpassung, Abhilfe und Transformation) vor, die von zwölf Menschenrechts-Prinzipien getragen werden sollen.

Diese Definition nimmt die Industriestaaten und die Wirtschaftsunternehmen stark in die Pflicht für umfassende Reparationszahlungen. Sie formuliert außerdem Richtlinien für den neuen “Loss and Damage”-Fonds, der derzeit von der Weltbank verwaltet wird.

Der “Loss and Damage”-Fonds bekommt Struktur

Der “Loss and Damage”-Fonds (LDF), der 2022 auf der COP27 beschlossen und im vorigen Jahr auf der COP28 zum ersten Mal gefüllt wurde, hat mit seinem Aufsichtsrat von 26 Mitgliedern im Juli seinen offiziellen Namen “Fund for Responding to Loss and Damage” festgelegt. Die Verwaltung des Fonds, dem inzwischen etwa 800 Millionen US-Dollar versprochen wurden, wird ihren Sitz auf den Philippinen haben. Vom 18. bis 20. September, kurz vor der UN-Generalversammlung, tagte in Baku der Aufsichtsrat des Gremiums zum dritten Mal.

Nach den Vorstellungen des UN-Menschenrechts-Sonderberichterstatters soll sich die Arbeit des Fonds am Prinzip der Klimagerechtigkeit ausrichten. Dieser Berichterstatter, der indische Verfassungsjurist und Menschenrechtsexperte Surya Deva, hat für seinen Report Interviews in Bangkok, Dubai, Genf und Suva auf Fidschi geführt, mehr als 90 Vorschläge aus Staaten, UN-Organisationen, Unternehmen und NGOs ausgewertet und mit Vertretern vieler Gruppen gesprochen. Er schlägt demnach vier “Pfeiler” vor, auf denen das Konzept der Klimagerechtigkeit ruhen soll:

Klimagerechtigkeit auf vier Pfeilern

  • Minderung von Treibhausgasemissionen (Mitigation), die eine Beendigung (Phase out) fossiler Brennstoffe und mehr Hilfe beim Erneuerbaren-Ausbau in den armen Ländern benötige.
  • Anpassung (Adaptation), etwa Deicherhöhungen, Umsiedlungen, Warnsysteme oder den Einsatz anderer Getreidesorten.
  • Abhilfe (Remediation) werde wichtiger, weil Minderung und Anpassung nicht ausreichten. Abhilfe sollte im Zusammenhang mit Klimawandel “volle Reparation, Restitution, Kompensation, Rehabilitierung, Satisfaktion und eine Garantie, dass sich das Problem nicht wiederholt” bedeuten. Menschen und Gemeinschaften sollten in der Lage sein, “Abhilfe für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Verluste und Schäden aus dem Klimawandel zu suchen”, so der Bericht.
  • Transformation, um von einer “neoliberalen, neokolonialen kapitalistischen” zu einer nachhaltigen und auf Kreislauf ausgerichteten Wirtschaftsweise zu kommen. Unverantwortliche Geschäftsmodelle müssten enden, auch die Lebensweise “besonders der reichen Menschen” – etwa bei der Nutzung von Privatjets oder sehr großer Wohnhäuser.

Kontrovers: Verursacher in die Pflicht nehmen

Besonders der Pfeiler “Abhilfe” dürfte auf Kritik bei den Industrieländern stoßen, wenn der Bericht die UN-Generalversammlung erreicht. Diese hatten im Pariser Abkommen extra auf den Passus Wert gelegt, das Abkommen enthalte “keine Basis für irgendeine Haftung oder Kompensation“. Deva allerdings betont in seinem Bericht, das internationale Menschenrecht solle als “Erster unter Gleichen”-Rechtsgrundsätzen gelten und könne daher eine solche Verpflichtung der Verursacher der Klimaschäden gegenüber den Opfern nicht ausschließen.

Ebenso für Unruhe dürfte sorgen, dass der Bericht “Anerkennung von Ökozid als ein internationales Verbrechen” empfiehlt, weil dies Unternehmen davon abhalten werde, der Umwelt zu schaden. Die Einführung eines Straftatbestands “Ökozid” ins EU-Recht haben zwar etwa das Europäische Parlament und die EU-Kommission gefordert. Sie ist aber in der UNO gegen den Widerstand vieler Staaten kaum durchzusetzen.

Für die konkrete Anwendung der vier Pfeiler führt der Bericht zwölf Prinzipien auf, unter anderem:

  • “Gerechtigkeit für viele Spezies” (Multi-species justice), die nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen und Ökosysteme einbeziehe;
  • Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Partizipation, die Berücksichtigung besonderer Verletzlichkeiten;
  • Prävention, Vorsorge und die Regel, dass der Verschmutzer zahlen soll;
  • gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung zwischen den Staaten, gerechter Übergang.

2030 sollen 300 Milliarden im Fonds sein

Auch die Reform des globalen Finanzsystems und ungerechter Handelsstrukturen leitet sich nach dem Bericht aus dem Menschenrecht auf Entwicklung in der Klimakrise ab. Für den LDF, der erst einmal von der Weltbank verwaltet werden soll, sollten vor allem die historischen CO₂-Emittenten einzahlen. Als “innovative Finanzierungsquellen” nennt er Reichensteuern, Abgabe auf Fossile, den Abbau von fossilen Subventionen oder Spenden – einen Beitrag von Ländern wie China oder den Ölstaaten, die von den Industrieländern in die Pflicht genommen werden sollen, erwähnt der Bericht nicht.

Und als angemessen für die Füllung des LDF verweist er auf einen Vorschlag der UN-Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD: 150 Milliarden US-Dollar zum Start, dann ansteigend auf 300 Milliarden bis 2030. Zur Erinnerung: Derzeit sind dem Fonds etwa 800 Millionen US-Dollar versprochen.

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Methanemissionen: Warum diese rentable Klimalösung kaum umgesetzt wird

Methanleaks bei der Öl- und Gasförderung und Transport zu schließen, ist oft kosteneffizient. Und trotzdem gibt es viele Hürden.
Methanleaks bei der Öl- und Gasförderung und beim Transport zu schließen, ist oft kosteneffizient. Und trotzdem gibt es viele Hürden.

Drei Jahre nach dem Start des Global Methane Pledge zur Reduktion der Methanemissionen um 30 Prozent bis 2030 sind die Emissionen des gefährlichen Treibhausgases im Energiesektor weiterhin fast auf Rekord-Niveau. Auf einem hochrangigen Gipfel am 24. September wollen die Internationale Energieagentur (IEA) und der Gastgeber der nächsten Klimakonferenz, Aserbaidschan, neuen Schwung in den Global Methane Pledge bringen. Das aber ist nicht so einfach.

Denn es gibt in dieser Frage ein Problem: Ein großer Teil der Methanemissionen des fossilen Energiesektors könnte ohne Kosten vermieden werden. Das aufgefangene Methan könnte als Erdgas mit Gewinn auf dem Weltmarkt verkauft werden. Aber weil sich Banken zunehmend aus dem fossilen Sektor zurückziehen und weniger Kredite vergeben, und weil viele Öl- und Gasunternehmen bessere Investitionsmöglichkeiten haben, wird bisher zu wenig gegen die Methanlecks unternommen. Hinzu kommen bürokratische und juristische Hürden.

Reduktion ist kosteneffizient – trotzdem passiert wenig

Es klingt zunächst wie ein großes Paradox: 40 Prozent der weltweiten Methanemissionen aus dem fossilen Sektor könnten kosteneffizient vermieden werden – 50 Prozent im Öl- und Gassektor, 15 Prozent aus dem Kohlesektor. Die Kosten für das Schließen von Lecks in der Förderinfrastruktur sind laut IEA geringer als der Preis, den die Förderstaaten für das aufgefangene Erdgas – Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas – auf dem Weltmarkt erzielen könnten.

Hinzu kommt: Die Öl- und Gasindustrie macht seit Jahren Milliardengewinne. Damit könnte sie eine der leichtesten Maßnahmen finanzieren, um die Klimakrise einzudämmen. Auf 20-Jahres-Sicht ist Methan 80-mal klimaschädlicher als CO₂ und für 30 Prozent der bisherigen globalen Erwärmung verantwortlich. Doch für viele Unternehmen sind andere Investitionen lukrativer. “Oft gibt es andere Investitionsmöglichkeiten mit höheren Renditen, was manchmal bedeutet, mehr in die Expansion der Förderung zu investieren”, sagt Brandon Locke, Methanexperte der Clean Air Task Force (CATF), zu Table.Briefings. Zudem hätten staatliche Öl- und Gasförderer weniger finanziellen Spielraum, da ein großer Teil ihrer Gewinne in die Staatshaushalte ihrer Heimatländer fließe und dort beispielsweise Sozialausgaben finanziere.

Banken ziehen sich aus Öl- und Gas zurück

Auch der Zugang zu externen Geldern ist häufig schwierig:

  • “Viele Banken ziehen sich zunehmend aus der Finanzierung von Projekten im Bereich der fossilen Energien zurück”, sagt Locke. Ohne günstige Kredite könne die Wirtschaftlichkeit eines Methan-Reduktionsprojekts scheitern, so Locke. Private Banken und Investmentfonds würden seltener in die Öl- und Gasindustrie investieren und hätten sich selbst Klimaziele gesetzt, schreibt auch die IEA. Das könne sich negativ auf Investitionen zur Methanverminderung auswirken. Daher mahnt die IEA: “Investitionskanäle für ‘Übergangsbereiche’ müssten offengehalten werden, ohne dass Schlupflöcher für Investitionen entstehen, die nicht mit den Pariser Klimazielen vereinbar sind.”
  • Auch staatliche Vorschriften für grüne Investments können sich negativ auf Investitionen zur Methanvermeidung auswirken. “Grüne Anleihen, die größte Kategorie nachhaltiger Finanzinstrumente, können im Allgemeinen nicht von Öl- und Gasunternehmen genutzt werden”, schreibt der Environmental Defense Fund (EDF). Denn staatliche Taxonomien für Grüne Anleihen enthalten laut EDF nicht das Auffinden von Methanlecks.
  • Andere Finanzinstrumente wie sogenannte “Sustainability-Linked Bonds” seien laut EDF noch nicht ausreichend auf die Methanvermeidung zugeschnitten.
  • Auch einige Entwicklungsbanken ziehen sich zunehmend aus fossilen Investments zurück. Allerdings ist laut IEA noch unklar, ob der Rückzug auch Methan-Projekte umfasst. Wenn gewisse Bedingungen erfüllt seien, “könnten viele dieser Institute weiterhin Mitigation-Projekte [zur Reduktion von Methanemissionen] finanzieren“, so die IEA.

Bisher wenig Klimafinanzierung für Methanreduktion

Laut der IEA sind bis zum Jahr 2030 zwischen 15 und 20 Milliarden US-Dollar nötig, um die Methanreduktion in Entwicklungs- und Schwellenländern zu finanzieren. Bisher spielt diese Methanreduktion allerdings in der internationalen Klimafinanzierung eine untergeordnete Rolle. Laut US-Handelsministerium fließen nur zwei Prozent der Klimafinanzierung überhaupt in die Vermeidung von Methanemissionen aus der Landwirtschaft, dem Abfall- und dem fossilen Energiesektor. Und der fossile Sektor erhält Schätzungen zufolge mit 100 Millionen US-Dollar (zwischen 2019 und 2020) nur einen verschwindend geringen Teil dieser Mittel. Um diese Finanzlücke zu schließen, sei eine “internationale Anstrengung von Regierungen, Industrie und Philanthropie” notwendig, mahnt die IEA.

Bürokratie erschwert den Fortschritt

Neben der Finanzierung erschweren auch bürokratische Hürden den Fortschritt bei der Methanreduktion. “Das aufgefangene Methan auf den Markt zu bringen, ist nicht so einfach, wie es in den Berechnungen klingt, denn es sind oft viele Akteure beteiligt“, sagt Locke von der Clean Air Task Force. Manchmal gehöre das aufgefangene Gas nicht den Unternehmen, die es auffangen würden. Und Firmen, die Methanlecks schließen und das Gas auffangen, müssten sich mit den Pipeline-Betreibern absprechen, um das Gas auf den Markt zu bringen, so der CATF-Experte. Im Tagesgeschäft gäbe es “viele vertragliche Hürden zu überwinden”.

Zudem fehle es “vielen Unternehmen” am Bewusstsein “über das Ausmaß ihrer Methanemissionen”, sagt Flavia Sollazzo vom Environmental Defense Fund Europe zu Table.Briefings. Messungen vor Ort hätten “oft gezeigt, dass die tatsächlichen Emissionen deutlich höher sind als geschätzt”, so die Senior Director im Bereich EU Energy Transition. Wenn Unternehmen ihre Methanemissionen unterschätzen, schätzen sie auch die Wirtschaftlichkeit von Reduktionsmaßnahmen falsch ein. Laut Sollazzo spielen auch geopolitische Faktoren eine Rolle: “In Regionen mit politischer Instabilität oder Energieversorgungssorgen kann der Fortschritt bei der Reduzierung von Methanemissionen erheblich behindert werden.”

Technologisch sei das Erkennen und Schließen von Lecks laut Locke kein Problem. “Wir verfügen über die meisten Technologien, um etwa 60 Prozent der Methanemissionen im Öl- und Gassektor zu reduzieren”, sagt er.

Regulierungen machen Hoffnung

Locke zeigt sich für die Zukunft optimistisch, da viele Regionen neue Regulierungen erlassen haben. Die EU-Methanregulierung und ihre Import-Vorschriften “wird enorme Auswirkungen auf die weltweiten Produktionsstandards für fossile Brennstoffe haben“, sagt Locke. Andere große Importeure wie Großbritannien, Japan und Korea erwägen ähnliche Vorschriften. “Wir fangen gerade erst an, die Auswirkungen der Vorschriften in der EU, den USA oder Nigeria zu erkennen”, zeigt sich Locke optimistisch.

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News

UN-Versammlung: Was zum Klima verhandelt wird

Beim Höhepunkt der 79. UN-Generalversammlung (UNGA79), die diese Woche in New York City stattfindet, ist auch die Klimakrise in vielen Verhandlungen, Veranstaltungen und inoffiziellen Treffen wichtiges Thema. Offiziell beschlossen wird wenig – aber rund um das Treffen von Staats- und Regierungschefs werden viele Weichen – etwa für die anstehende COP29 – gestellt.

Wichtige Themen sind vor und hinter verschlossenen Türen sowie auf der traditionellen “New York Climate Week”, die vor allem globale Unternehmen zu “Klimalösungen” einbindet, die Bereiche Finanzen, Effizienz der UN-Abläufe, Ausbau der Erneuerbaren und Vorausblick auf die anstehenden neuen Klimapläne (NDC) der UN-Staaten. Ein Überblick über die wichtigsten der über 500 Veranstaltungen findet sich bei Bloomberg News.

Zukunftsgipfel betont Ergebnisse der COP28

Begonnen hat die Woche mit dem UN-Zukunftsgipfel und dem “Pakt für die Zukunft” zur UN-Reform und der schnelleren Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Die Erklärung wurde am Sonntag nach monatelanger Vorbereitung, vor allem von Namibia und Deutschland, mit großer Mehrheit angenommen – allerdings widersprachen Russland und sechs Länder wie Iran, Nordkorea, Syrien oder Nicaragua, 15 enthielten sich. Im Klima-Kapitel bekennt sich die Erklärung zum Pariser Abkommen und dem 2- bzw. 1,5-Grad-Ziel. Auch bekräftigt sie den Beschluss der COP28 zur “Abkehr von den fossilen Brennstoffen“, erwähnt aber auch  “Übergangs-Treibstoffe, die eine Rolle bei der Umsetzung der Energiewende spielen können” – ein Hinweis auf weitere Gasnutzung.

Die Erklärung zur Verdopplung der Energieeffizienz und Verdreifachung der Erneuerbaren bis 2030 von COP28 und dem neuen “Pakt für die Zukunft” nimmt der erste globale Erneuerbaren-Gipfel auf, der Montag und Dienstag in New York stattfindet. Hochrangige Vertreter aus Politik, Unternehmen, Forschung und Zivilgesellschaft erarbeiten Pläne für den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren.

Vorschlag: eine jährliche To-do-Liste

Sieben wichtige Aufgaben für das nächste Jahr wiederum hat die “Climate Group”, Organisatorin der Climate Week, auf einer “To do-Liste” zusammengestellt. Auf ihr hat die non-profit-Lobbygruppe für besseren Klimaschutz folgende Ziele notiert:

  •  Kompensation für Arbeiter, die beim Kohleausstieg den Job verlieren
  • Weniger Bürokratie und höhere Ziele beim Ausbau der Erneuerbaren
  • Verbot von neuen Stahlhochöfen auf Kohlebasis
  • “Ernst machen” bei der Methan-Reduktion
  •  Schluss mit der Ignoranz gegenüber Energieeffizienz
  • Selbstverpflichtung von Regierungen und Konzernen zu “sauberer Nachfrage” nach Klimalösungen
  • Steuern auf Öl und Gas für die Energiewende

Die Veranstaltungen der “Climate Week“, die überall in New York stattfinden, fokussieren sich in diesem Jahr etwa auf Dekarbonisierung der Industrie, Verkehr, Ernährungssysteme und Künstliche Intelligenz.

Wie weit der Weg zu netto-null-Emissionen weltweit ist, zeigt wiederum das vierte globale “Net Zero-Stocktake”, das aus Anlass des Treffens veröffentlicht wurde. Demnach haben zwar inzwischen 148 von 198 UN-Staaten ein Netto-Null-Ziel, sowie etwa 270 Städte und mehr als 1.100 große Unternehmen – allerdings fehlt auch 40 Prozent aller “nicht-staatlichen Einheiten”, also Regionen, Unternehmen, Städten jede Form von Reduktionsziel. Und die Umsetzung der Ziele sei ebenfalls bei vielen Akteuren unklar.

Am Mittwoch wollen die UN-Umweltbehörde UNEP und die Weltbank-Tochter IFC eine Studie vorstellen, wie weltweit der steigende Bedarf an “nachhaltiger Kühlung” in Einklang mit den Klimazielen gebracht werden kann. bpo

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Ozeanversauerung: Siebte planetare Grenze wird demnächst überschritten

Eine siebte planetare Grenze könnte demnächst überschritten werden, weil die Ozeanversauerung durch den CO₂-Ausstoß zunimmt. Selbst die aktuellen Bedingungen seien bereits “für viele marine Arten” gefährlich. Das geht aus dem neuen “Planetary Health Check” des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hervor, der am Montag zur Climate Week am UN-Zukunftsgipfel vorgestellt wurde. Demnach befindet sich das Erdsystem in den Bereichen Klima, Biodiversität, Schadstoffe/Plastik und Stickstoff-/Phosphorkreislauf sogar im “Hochrisikobereich”.

Alle diese Bereiche seien “stark miteinander verbunden”, erklärt die Leitautorin Levke Caesar (PIK). Und in nahezu allen Bereichen “erhöht sich der Druck auf Stabilität, Resilienz und lebenserhaltende Funktionen unserer Ökosysteme”. Einzig bei der Aerosolbelastung sinkt das Risiko; zudem ist der Ozonabbau unter Kontrolle.

Jährlich aktualisierte Budgets und Szenarien

Mit dem jährlichen Gesundheitscheck sollen in einem nächsten Schritt erstmals Budgets – ähnlich dem CO₂-Budget – für alle Grenzen aufgestellt werden. Daraus entwickelt das Forschungsteam PBScience sichere Szenarien, um Politik und Unternehmen zu beraten – später auch für die regionale und lokale Ebene. “Der vorliegende Bericht ist nur ein Ausgangspunkt und enthält noch keine Angaben zu den Budgets, die von den Entscheidungsträgern verwendet werden sollen”, sagte Leitautor Boris Sakschewski zu Table.Briefings. Politiker und Unternehmer könnten dann auf Basis der Szenarien beispielsweise “regulatorische Limits setzen” und “Investments lenken”.

Vor allem aus der Wirtschaft habe es öfter den Ruf nach quantifizierten Daten gegeben, erklärte PIK-Direktor Johan Rockström die Initiative, an der mehr als hundert Forschende mitwirken. So soll etwa ein Dashboard “beinahe in Echtzeit” alle Kontrollvariablen anzeigen – etwa für den CO₂-Gehalt in der Atmosphäre, den pH-Wert der Ozeane oder den Prozentsatz an natürlichen Wäldern, verglichen mit einem Szenario ohne Landnutzungsveränderungen. Prominente Fürsprecher wie der brasilianische Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos unterstützen das Projekt; sie treten als “Botschafter für die Erde” auf.

Anders als bisherige Analysen zu den planetaren Grenzen ist der neue Bericht nicht peer-reviewed, er stützt sich aber auf peer-reviewte Methoden. “Wir können nicht jedes Mal auf Peer-Review Literatur warten“, meinte Caesar – auch in Bezug auf die Sachstandsberichte des IPCC, die nur alle sechs bis acht Jahre erscheinen. lb

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Verkehr: Auch Habeck fordert jetzt frühere Revision der Flottengrenzwerte

Überraschende Wende: Beim sogenannten Autogipfel, einer Videokonferenz mit Vertretern der Automobilbranche, hat sich Robert Habeck am Montagnachmittag deren Forderung angeschlossen, die EU-Flottengrenzwerte schon im Jahr 2025 zu überprüfen – und somit ein Jahr früher als derzeit geplant.

Das bedeute aber nicht, “dass wir dadurch die Ziele automatisch schleifen”, sagte der Bundeswirtschaftsminister. Am Ziel, ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zuzulassen, müsse festgehalten werden, denn dies sei die Voraussetzung dafür, dass der Verkehrssektor im Jahr 2050 klimaneutral sei. Den Pfad bis 2035 könne man aber noch einmal anschauen, um auf die “veränderte Wirklichkeit” zu reagieren, sagte Habeck. 

Die Automobilbranche drängt schon länger auf eine frühere Revision der Grenzwerte. Einzelne Hersteller wie Volkswagen fordern zudem, die Flottengrenzwerte kurzfristig abzuschwächen. Denn die CO₂-Höchstwerte, die vom nächsten Jahr an gelten, werden von einigen Konzernen verfehlt werden; diesen drohen dann hohe Strafzahlungen.

CDU und CSU unterstützten diese Forderung; im Dachverband der europäischen Automobilhersteller ACEA gab es dafür aber keine Mehrheit. Auch das Bundesumweltministerium hatte kürzlich betont, dass es für die Hersteller sehr wohl möglich sei, die Ziele zu erreichen.

Forderung nach neuer Kaufprämie nicht aufgegriffen

Neue Kaufprämien soll es nicht geben. Unter den Teilnehmern habe Einigkeit bestanden, dass “Schnellschüsse” und “Strohfeuer” nicht hilfreich seien, sagte Habeck. Auch ohne finanzielle Unterstützung seien E-Autos schon wirtschaftlich.

Eine aktuelle Berechnung des Thinktanks Agora Verkehrswende widerspricht dieser Einschätzung allerdings teilweise: Demnach seien über eine Haltedauer von fünf Jahren gerechnet nur Fahrzeuge aus der oberen Mittelklasse und der Oberklasse E-Autos günstiger als vergleichbare Verbrenner. Bei Kleinwagen und spritsparenden Fahrzeugen seien E-Fahrzeuge dagegen noch nicht wirtschaftlich; eine Kaufprämie von 6000 Euro würde das ändern.

Gefordert worden war eine neue E-Auto-Prämie in Höhe von 6000 Euro im Vorfeld in einem SPD-Papier. CDU-Chef Friedrich Merz lehnte eine neue Kaufprämie ab, während CSU-Chef Markus Söder eine “intelligente Prämie” forderte, die vor allem deutschen Herstellern zugutekommen sollte – was im Gegensatz zu EU- und WTO-Vorgaben stehen dürfte. mkr

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Kommunen: Wo die Herausforderungen bei der Wärmeplanung liegen

Bisher werden erst 14 Prozent der deutschen Haushalte mit Fernwärme versorgt, und diese wird erst zu rund 20 Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugt. Um die Wärmeversorgung wie geplant bis 2045 komplett zu dekarbonisieren, sollen beide Werte in den nächsten Jahren stark steigen. Die kommunale Wärmeplanung, zu der der Bund die Kommunen aus diesem Grund verpflichtet hat, stellt diese aber vor große Herausforderungen. Das zeigt eine umfangreiche Studie, die das Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge an der Universität Leipzig am Montag in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und mehreren weiteren Verbänden und Unternehmen veröffentlicht hat.

Eine für die Studie durchgeführte Umfrage, an der sich rund 600 der 11.000 deutschen Kommunen beteiligt haben, hat ergeben, dass die Lage vor allem für kleinere Kommunen schwierig ist, die weder über ausreichend Personal noch über ein eigenes Stadtwerk verfügen. Für diese schlagen die Autoren mehr Unterstützung in Form von gemeinsamer Planung in Zweckverbänden und zentralisierter Datenerhebung vor.

Weniger Probleme gibt es der Studie zufolge bei der Finanzierung: Eine Hochrechnung auf Grundlage der eingegangenen Rückmeldungen hat ergeben, dass die Kosten für die Planung deutschlandweit bei 520 Millionen Euro liegen dürften. Die 500 Millionen Euro, die der Bund den Kommunen dafür über die Länder zur Verfügung stellen will, dürften demzufolge fast ausreichend sein. Die Kosten der späteren Umsetzung der Pläne schätzen die Autoren auf 10,8 Milliarden Euro. Neben Eigenmitteln, Krediten und Verbraucher-Gebühren setzen die befragten Unternehmen dabei auch auf staatliche Fördergelder; gut ein Drittel der Kosten müssten der Studie zufolge dadurch abgedeckt werden. mkr

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Von der Leyen will Green Bonds in Entwicklungsländern subventionieren

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, die Ausgabe von grünen Staatsanleihen im Globalen Süden finanziell unterstützen zu wollen. In Europa hätten sich Green Bonds als ein unglaublich wirkungsvolles Instrument zur Mobilisierung privater Investitionen erwiesen, sagte von der Leyen in New York beim Gipfel der Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) am Rande der UN-Generalversammlung. Doch wenn ein Entwicklungsland grüne Anleihen ausgebe, müsse es den Anlegern oft sehr hohe Zinsen zahlen.

Von der Leyen kündigte eine “Green Coupon Facility” an, mit der Europa einen Teil der Zinsen für Emittenten grüner Anleihen subventionieren will. So soll es Entwicklungsländern ermöglicht werden, Geld für den Aufbau der eigenen Wirtschaft zu beschaffen. Bereits vergangenes Jahr hatte von der Leyen die Global Green Bond Initiative ins Leben gerufen. Der mit einer Milliarde Euro durch europäische Entwicklungsbanken, die EIB und die UN ausgestattete Fonds soll das Investmentrisiko für grüne Anleihen senken und bis zu 20 Milliarden Euro privaten Kapitals für nachhaltige Investitionen mobilisieren.

“Wer Treibhausgase ausstößt, muss bezahlen”

Außerdem erklärte von der Leyen, sich am Dienstag in New York mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau und der Industrie zusammensetzen zu wollen, um für eine weltweite CO₂-Bepreisung zu werben und deren Möglichkeiten zu diskutieren. “Das Prinzip ist ebenso wirksam wie einfach: Wer Treibhausgase ausstößt, muss dafür bezahlen.”

Als dritten Schritt für die Unterstützung des Globalen Südens kündigte die EU-Kommissionspräsidentin eine Erweiterung der EU-Konnektivitätsinitiative Global Gateway an. “Wir werden unseren Partnern ein integriertes Angebot unterbreiten.” Wenn Europa beispielsweise in Industriekapazitäten im Globalen Süden investiere, werde man auch versuchen, Handelspartnerschaften voranzutreiben, um die Industrien in die europäischen Lieferketten zu integrieren. Auch bei Wirtschaftsreformen wolle man unterstützen, so von der Leyen. luk

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Strompreiszone: Stuttgart will Alternativen zur Teilung

Im Streit um die mögliche Teilung der deutschen Stromgebotszone spricht sich ein Gutachten im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums für alternative Lösungen aus. Möglich sei zum Beispiel die regional unterschiedliche Vergütung von erneuerbaren Energien, Elektrolyseuren für die Wasserstoffproduktion und steuerbaren Kraftwerken im Rahmen von Kapazitätsmechanismen. “Vor einer Gebotszonentrennung in Deutschland sollten diese alternativen Instrumente zunächst geprüft und mit der Option des Gebotszonensplits abgewogen werden”, heißt es in dem am Montag in Berlin vorgestellten Gutachten.

Die grün-schwarze Landesregierung sieht sich damit auf einer Linie mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Das Gutachten bestätigt die ablehnende Haltung Stuttgarts gegenüber einer Gebotszonenteilung: “Mittel- bis langfristig kann nur der geplante Netzausbau die durch die Netzengpässe entstehenden Mehrkosten eines suboptimalen Kraftwerks- und Speichereinsatzes im Strommarkt wirksam reduzieren.”

Auswirkungen auf Industrie derzeit “relativ moderat”

Für Dezember werden ein Bericht und eine Empfehlung der europäischen Regulierungsagentur ACER zu einer möglichen Neuaufteilung der Strompreiszonen in der EU erwartet. Falls die deutsche Gebotszone geteilt würde, rechnen die Gutachter damit, “dass in der nördlichen Zone die durchschnittlichen Strompreise um etwa zehn Euro pro Megawattstunde (MWh) im Jahr 2025 und um sechs Euro im Jahr 2030 niedriger sein könnten als in der südlichen Zone”.

Für die Industrie in Baden-Württemberg seien “die Auswirkungen einer Gebotszonentrennung in ihrer heutigen Struktur im Großen und Ganzen relativ moderat”. Die Stromintensität der Industrie werde sich jedoch mit zunehmender Elektrifizierung stark verändern.

Stärkere Vorteile einer Gebotszonenteilung sehen die Gutachter jedoch bei weiter stockendem Netzausbau. “Die negativen Verteilungseffekte einer Trennung der Gebotszonen könnten dann durch die Einführung von Kompensationsmaßnahmen insbesondere für den Süden abgemildert werden.” Einige Experten sehen jedoch in der derzeitigen Situation positive Verteilungseffekte für die industriellen Zentren im Süden und Westen Deutschlands. ber

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Zeitung: Banken kündigen Finanzierung von Nuklearprogrammen an

Große Banken wollen laut einem Zeitungsbericht zusagen, ihre Unterstützung für den Ausbau der Kernenergie weltweit zu verstärken. Nach einem Bericht der Financial Times sollten am Rande des UN-Gipfels in New York 14 globale Finanzkonzerne ihre Pläne veröffentlichen, beim Ziel zu helfen, die Atomenergie in der Klimakrise voranzubringen.

Demnach wollten Vertreter etwa von Bank of America, Barclays, BNP Paribas, Citi, Morgan Stanley und Goldman Sachs am Montag auf einer Veranstaltung mit dem US-Klimagesandten John Podesta ihre Pläne verkünden. Damit soll eine Strategie von etwa 25 Staaten unterstützt werden, die am Rande der COP28 in Dubai verkündet hatten, sie planen die Verdreifachung der nuklearen Kapazitäten bis 2050. Die Staaten, unter ihnen viele mit zivilen und militärischen Atomprogrammen, wollen so die CO₂-arme Atomkraft als Alternative für eine klimaneutrale Energieversorgung propagieren. Sie zielen auf öffentliche Gelder für Entwicklung und Aufbau etwa von kleinen modularen Reaktoren, die bisher nicht zur Verfügung stehen. Im März hatten etwa 30 Staaten bei einem “Atomgipfel” in Brüssel gefordert, das “volle Potenzial der zivilen Nukleartechnik zu entfesseln”.

Gleichzeitig hat in den USA der Betreiber des stillgelegten Atomkraftwerks Three Mile Island angekündigt, man wolle den Betrieb in einem Reaktor wiederaufnehmen. Der Block 2 des AKW war in Harrisburg im Bundesstaat Pennsylvania 1979 durch eine unkontrollierte Kernschmelze außer Kontrolle geraten. Nun soll Block 1 des Werks reaktiviert werden, weil Microsoft angekündigt hat, 20 Jahre lang für den Strombedarf seiner Rechenzentren die Strommengen des Reaktors zu kaufen. Das Kraftwerk soll demnach von 2028 bis 2054 Strom liefern, die Investition kostet den Betreiber Constellation Energy 1,6 Milliarden Dollar an Investitionen. Die US-Regierung subventioniert als Teil ihrer Klimapläne die Verlängerung von AKW-Laufzeiten mit Milliardensummen. bpo   

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Menschenrechte: Warum Vietnam Aktivisten aus der Haft entlässt

Die vietnamesische Umweltaktivistin Hoàng Thị Minh Hồng wurde am vergangenen Samstag nach einem Jahr Haft aus dem Gefängnis entlassen. Hồng wurde am 31. Mai 2023 verhaftet und am 28. September 2023 wegen Steuerhinterziehung angeklagt und zu drei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt. Auch der Aktivist Trần Huỳnh Duy Thức wurde am Wochenende freigelassen, er saß seit 2009 im Gefängnis. Die Freilassungen erfolgten kurz vor der Reise des vietnamesischen Staatschefs, Generalsekretär Tô Lâm, in die USA. Dort nimmt er an der Generalversammlung der Vereinten Nationen teil.

In Vietnam werden immer wieder Aktivisten aufgrund von fadenscheinigen Begründungen verhaftet. Verschiedene NGOs betonen, dass es sich dabei um eine bewusste Einschüchterung von Aktivistinnen und Aktivisten handelt. Seit Mitte August 2024 wurden im Vietnam mindestens neun Menschenrechtsaktivisten unter dem Vorwand, “Anti-Staatspropaganda zu verbreiten”, verurteilt. Laut Human Rights Watch sitzen aktuell mindestens 160 Aktivistinnen und Aktivisten unrechtmäßig im Gefängnis.

Besorgniserregend sind diese Menschenrechtsverletzungen auch im Zusammenhang mit der Just Energy Transition Partnership (JETP), die Vietnam 2022 mit internationalen Partnern – darunter die EU und die USA – unterzeichnete. Mehr als 15 Milliarden US-Dollar sollen durch die JETP nach Vietnam fließen, um eine “gerechte Energiewende” zu ermöglichen. Die nun freigelassene Aktivistin Hồng hatte auch an der Umsetzung der JETP mitgearbeitet. kul

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Must-Reads

Financial Times: Die Landwirtschaft muss für ihre Emissionen zahlen, sagt der oberste EU-Klimaforscher. Ottmar Edenhofer, Vorsitzender des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats zum Klimawandel, warnt davor, dass die EU ihre Klimaziele aufgrund der hohen Emissionen im Agrarsektor nicht erreichen wird. Daher solle er gezwungen werden, für seine Treibhausgasemissionen zu zahlen. Während andere Sektoren ihre Emissionen verringert hätten, seien die in der Landwirtschaft “ziemlich stabil geblieben”. Ohne ein Preissignal sei es “sehr unwahrscheinlich, dass wir die Emissionen grundsätzlich reduzieren können”. Die Landwirtschaft ist für 12 Prozent der Emissionen in der EU verantwortlich. Zum Artikel

Spiegel: Schweizer stimmten gegen mehr Biodiversität. Am Sonntag haben die Schweizer eine Initiative für mehr Biodiversität abgelehnt. Die Biodiversitätsinitiative, die den Schutz von Natur, Ortsbildern und schützenswerten Landschaften in der Schweiz stärken wollte, wurde mit 63 Prozent Nein-Stimmen deutlich abgelehnt. Die Stimmbeteiligung lag bei 45,2 Prozent. Zum Artikel

CNN: Düstere Aussichten für den “Doomsday-Gletscher”. Wissenschaftler haben mithilfe von Eisbrecherschiffen und Unterwasserrobotern herausgefunden, dass der Thwaites-Gletscher, auch als “Doomsday-Gletscher” bekannt, in der Antarktis immer schneller schmilzt und möglicherweise unumkehrbar zusammenbricht. Dies könnte eine Katastrophe für den weltweiten Anstieg des Meeresspiegels sein. Zum Artikel

Reuters: US-Wahlen erschweren Klimafinanzierung. Länder zögern, sich zu verpflichten, bevor sie das Ergebnis der US-Wahlen kennen. Dabei ist ein neues Klimafinanzierungsziel als Ersatz für die auslaufende 100-Milliarden-Dollar-Verpflichtung notwendig. Die Regierungen analysieren verschiedene Szenarien für einen möglichen Sieg von Vizepräsidentin Kamala Harris oder von Ex-Präsident Donald Trump, der den Klimawandel verleugnet und die fossilen Brennstoffe fördern will. Zum Artikel

Reuters: Zu wenig Klimareduktionsziele. Mehr als 40 Prozent der großen Unternehmen, Städte und Regionen haben sich noch immer keine Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen gesetzt. Zwar haben seit dem vergangenen Jahr mehr Regierungen und Unternehmen Zusagen zur Klimaneutralität gemacht, doch wurde ihre Aufmerksamkeit durch Kriege, Wahlen und wirtschaftliche Herausforderungen zusätzlich abgelenkt. Zum Artikel

New York Times: Methanemissionen in den USA steigen weiter an. Die boomende fossile Brennstoffindustrie der USA stößt weiterhin immer mehr klimaschädliches Methan in die Atmosphäre aus. Im Gegensatz zu Kohlendioxid entstehen Methanemissionen nicht durch den Verbrauch, sondern durch die Produktion und den Transport von Erdgas. Zum Artikel

NTV: Weltbank stellt sich gegen Klimawandel. Die Weltbank hat im abgeschlossenen Fiskaljahr 2024 eine Rekordsumme von knapp 43 Milliarden US-Dollar (gut 38 Milliarden Euro) zur Finanzierung von Projekten für saubere Energien und andere klimaschützende Maßnahmen bereitgestellt. Dies stellt einen Anstieg um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr dar. Der Anteil der Mittel für Klimaprojekte an der gesamten Kreditvergabesumme der Weltbank in Höhe von 97 Milliarden US-Dollar betrug 44 Prozent. Zum Artikel

Standpunkt

Kohlendioxid-Speicherung: Der Gesetzentwurf unterschätzt die Gefahr durch CCU

Von Simon Wolf
Simon Wolf, Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch.

Wenn der Bundestag am kommenden Freitag über das Gesetz zur Kohlendioxid-Speicherung (KSpG) debattiert, wird der Fokus auf der Abscheidung und unterirdischen Lagerung von CO₂ liegen, kurz CCS (Carbon Capture and Storage). Grund zur Debatte gibt es genug. Die im Gesetz vorgesehene Ermöglichung von CCS für den Einsatz an Gaskraftwerken birgt die Gefahr, dass die Abkehr vom fossilen Geschäftsmodell länger als notwendig hinausgezögert wird.

Viel weniger im Rampenlicht steht ein weiteres Risiko, das durch die ebenfalls im KSpG adressierte Verwendung des aufgefangenen CO₂ entsteht, kurz CCU (Carbon Capture and Usage). Dabei erfreut sich CCU deutlich größerer Beliebtheit als CCS. Mit der Technologie sind vor allem in der Chemiebranche große Hoffnungen verbunden: Könnte damit nicht ein Teil des CO₂, das sich nach jetzigem Stand der Technik nicht vermeiden lässt, nicht nur neutralisiert, sondern auch noch produktiv eingesetzt werden, als Schaumstoff in Matratzen oder für Kunststoffe? Und ließen sich mittels CCU nicht Treibstoffe zum Beispiel für Flugzeuge klimaneutral gestalten?

Das Problem: Es gibt bei allem Hype um CCU bislang sehr wenig konkrete Ideen, wie CO₂ dauerhaft in Produkten eingespeichert oder permanent im Kreis geführt werden kann – und wie der Nachweis darüber gelingen soll. Zudem sind die entsprechenden Verfahren selbst sehr energieintensiv. Soll CO₂ wieder in chemische Grundstoffe umgewandelt werden, benötigt das extrem viel Energie und zusätzlichen Wasserstoff.

Der entscheidende Unterschied zwischen CCS und CCU

Der Änderungsentwurf zum KSpG hat zu CCU insgesamt wenig zu sagen. In einer kleinen, unscheinbaren Passage ist aber eine möglicherweise fatale Vorfestlegung angelegt. In Paragraf 4 des von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurfs heißt es mit Blick auf den Infrastrukturbau, dass ein Vorhaben neben der dauerhaften geologischen Einlagerung von CO₂ auch dann dem Wohl der Allgemeinheit dient, “wenn dadurch Kohlendioxid zur Deckung eines nachgewiesenen Bedarfs für die Nutzung von Kohlendioxid als Rohstoffquelle für Kohlenstoffverbindungen transportiert wird, um so zum Zwecke des Klimaschutzes die Emission von Kohlendioxid in Deutschland dauerhaft zu vermindern“.

Mit dieser faktischen Gleichsetzung von CCS und CCU wird der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Anwendungen verwischt. Denn mit CCS ist sichergestellt – unter der Voraussetzung, dass die Lagerstätte verantwortlich betrieben wird – dass das eingelagerte CO₂ dauerhaft nicht in die Atmosphäre gelangt. Bei CCU kommt es hingegen ganz auf die Verwendung des aufgefangenen CO₂ an.

Fürs Klima hochgefährliche Luftbuchung

Eine Verminderung von CO₂, wie es der Änderungsentwurf zum KSpG anstrebt, wird zwar auch dann erreicht, wenn mit aufgefangenem CO₂ beispielsweise Flugbenzin hergestellt wird. Diese Doppelnutzung von CO₂ ist tatsächlich vorteilhaft gegenüber der bisherigen Praxis, in der Gesamtbilanz ist sie aber weit entfernt von einer klimaneutralen Anwendung, weil das CO₂ am Ende doch in die Atmosphäre gelangt. Für wirklich klimaneutrales Fliegen müsste dieses CO₂ “neutralisiert” werden, zum Beispiel durch Direct Air Capture (DAC) – eine weitere Technik, die noch nicht wirklich verfügbar ist und auf jeden Fall extrem energieintensiv sein wird.

Eine unspezifische Anerkennung von CCU als Klimaschutzmaßnahme, etwa im Rahmen des Europäischen Emissionshandels, so wie es sich Unternehmen teilweise wünschen, wäre daher eine hochgefährliche Luftbuchung, die zu massiven zusätzlichen Emissionen führen könnte.  

In einem gerade erschienenen Entwurf eines Delegierten Rechtsaktes schlägt die EU-Kommission für die Anerkennung von CCU als Emissionsminderung im Rahmen des EU-Emissionshandels vor, dass das CO₂ “mindestens einige Jahrhunderte” gebunden sein muss. Damit läge der Fokus erst einmal auf Baumaterialien, bei denen solch eine lange Bindungsdauer möglich ist. Die Stellungnahmen von Unternehmen und Branchenverbänden zu diesem Rechtsakt lassen aber erwarten, dass der Druck hoch bleiben wird, auch eine kürzere Bindungsdauer als Klimaschutzmaßnahme anzuerkennen.

CCU-Regeln vom Kopf auf die Füße stellen

Auch deshalb sollte der Gesetzgeber in Deutschland von vornherein präzise vorgehen und keinen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Der Bundestag sollte daher sicherstellen, dass die entsprechende Formulierung im KSpG und weiteren Gesetzen angepasst wird: Die Gleichstellung mit CCS sollte nur dann erfolgen, wenn durch die CCU-Anwendung “Kohlendioxid nachweislich dauerhaft in Produkten gebunden wird”.

Der Änderungsentwurf zum KSpG liefert allerdings auch einen guten Ausgangspunkt dafür, wie ein sinnvoller Umgang mit CCU in zukünftigen gesetzlichen Regelungen gelingen kann. Wenn die Nutzung von CO₂ in Produkten verstanden wird als “Deckung eines Bedarfs für die Nutzung von Kohlendioxid als Rohstoffquelle, wie im Entwurf vorgesehen, dann sollte sie nicht als Klimaschutzmaßnahme gelten. Entscheidend wäre dann nicht mehr die Abscheidung des CO₂, sondern die Art seiner Verwendung. In dieser Weise vom Kopf auf die Füße gestellt, ist klar: Diejenigen, die den Kohlenstoff aufnehmen und nutzen, müssen auch die Verantwortung für das CO₂ tragen und die Emissionen in ihre Bilanz aufnehmen.

Simon Wolf ist Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch.

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Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    bei der 79. UN-Generalversammlung in New York City spielt die Klimapolitik zumindest im Hintergrund eine wichtige Rolle. So legte etwa der Sonderberichterstatter für Menschenrechte einen brisanten Report vor: Der neue “Loss and Damage”-Fonds solle sich an “Klimagerechtigkeit” orientieren, heißt es darin. Vor allem einer der vier Pfeiler dazu dürfte für Kontroverse sorgen, analysiert Bernhard Pötter.

    Auch die IEA tagt während der traditionellen Climate Week in New York City. Sie möchte gemeinsam mit COP29-Gastgeber Aserbaidschan neuen Schwung in die Global Methane Pledge bringen. Obwohl lukrativ, stockt es dennoch bei der Vermeidung von Methanemissionen – insbesondere beim Schließen von Lecks. Nico Beckert hat die Gründe recherchiert.

    In den News lesen Sie heute über die siebte planetare Grenze, die demnächst überschritten werden könnte. Außerdem bieten wir einen Überblick zu den wichtigsten Klima-Verhandlungen während der UN-Generalversammlung, über die Atomkraftpläne der Banken – und warum Vietnam ausgerechnet jetzt einen Aktivisten aus der Haft entlässt.

    Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

    Ihr
    Lukas Bayer
    Bild von Lukas  Bayer

    Analyse

    Klimagerechtigkeit: UN-Berichterstatter fordert Entschädigung für arme Länder

    “Super-Taifun” Yagi hat Anfang September Vietnam verwüstet und mindestens 21 Menschen getötet.

    Ein Bericht aus dem UN-Menschenrechtsausschuss an die 79. UN-Generalversammlung greift mit einer weitgehenden Definition von “Klimagerechtigkeit” (Climate Justice) in die Debatte um die Verteilung von “Loss and Damage”-Geldern für Klimafinanzierung ein. Der Report des Sonderberichterstatters zum Menschenrecht auf Entwicklung im UN-Menschenrechtsausschuss schlägt dafür vier Pfeiler (Minderung, Anpassung, Abhilfe und Transformation) vor, die von zwölf Menschenrechts-Prinzipien getragen werden sollen.

    Diese Definition nimmt die Industriestaaten und die Wirtschaftsunternehmen stark in die Pflicht für umfassende Reparationszahlungen. Sie formuliert außerdem Richtlinien für den neuen “Loss and Damage”-Fonds, der derzeit von der Weltbank verwaltet wird.

    Der “Loss and Damage”-Fonds bekommt Struktur

    Der “Loss and Damage”-Fonds (LDF), der 2022 auf der COP27 beschlossen und im vorigen Jahr auf der COP28 zum ersten Mal gefüllt wurde, hat mit seinem Aufsichtsrat von 26 Mitgliedern im Juli seinen offiziellen Namen “Fund for Responding to Loss and Damage” festgelegt. Die Verwaltung des Fonds, dem inzwischen etwa 800 Millionen US-Dollar versprochen wurden, wird ihren Sitz auf den Philippinen haben. Vom 18. bis 20. September, kurz vor der UN-Generalversammlung, tagte in Baku der Aufsichtsrat des Gremiums zum dritten Mal.

    Nach den Vorstellungen des UN-Menschenrechts-Sonderberichterstatters soll sich die Arbeit des Fonds am Prinzip der Klimagerechtigkeit ausrichten. Dieser Berichterstatter, der indische Verfassungsjurist und Menschenrechtsexperte Surya Deva, hat für seinen Report Interviews in Bangkok, Dubai, Genf und Suva auf Fidschi geführt, mehr als 90 Vorschläge aus Staaten, UN-Organisationen, Unternehmen und NGOs ausgewertet und mit Vertretern vieler Gruppen gesprochen. Er schlägt demnach vier “Pfeiler” vor, auf denen das Konzept der Klimagerechtigkeit ruhen soll:

    Klimagerechtigkeit auf vier Pfeilern

    • Minderung von Treibhausgasemissionen (Mitigation), die eine Beendigung (Phase out) fossiler Brennstoffe und mehr Hilfe beim Erneuerbaren-Ausbau in den armen Ländern benötige.
    • Anpassung (Adaptation), etwa Deicherhöhungen, Umsiedlungen, Warnsysteme oder den Einsatz anderer Getreidesorten.
    • Abhilfe (Remediation) werde wichtiger, weil Minderung und Anpassung nicht ausreichten. Abhilfe sollte im Zusammenhang mit Klimawandel “volle Reparation, Restitution, Kompensation, Rehabilitierung, Satisfaktion und eine Garantie, dass sich das Problem nicht wiederholt” bedeuten. Menschen und Gemeinschaften sollten in der Lage sein, “Abhilfe für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Verluste und Schäden aus dem Klimawandel zu suchen”, so der Bericht.
    • Transformation, um von einer “neoliberalen, neokolonialen kapitalistischen” zu einer nachhaltigen und auf Kreislauf ausgerichteten Wirtschaftsweise zu kommen. Unverantwortliche Geschäftsmodelle müssten enden, auch die Lebensweise “besonders der reichen Menschen” – etwa bei der Nutzung von Privatjets oder sehr großer Wohnhäuser.

    Kontrovers: Verursacher in die Pflicht nehmen

    Besonders der Pfeiler “Abhilfe” dürfte auf Kritik bei den Industrieländern stoßen, wenn der Bericht die UN-Generalversammlung erreicht. Diese hatten im Pariser Abkommen extra auf den Passus Wert gelegt, das Abkommen enthalte “keine Basis für irgendeine Haftung oder Kompensation“. Deva allerdings betont in seinem Bericht, das internationale Menschenrecht solle als “Erster unter Gleichen”-Rechtsgrundsätzen gelten und könne daher eine solche Verpflichtung der Verursacher der Klimaschäden gegenüber den Opfern nicht ausschließen.

    Ebenso für Unruhe dürfte sorgen, dass der Bericht “Anerkennung von Ökozid als ein internationales Verbrechen” empfiehlt, weil dies Unternehmen davon abhalten werde, der Umwelt zu schaden. Die Einführung eines Straftatbestands “Ökozid” ins EU-Recht haben zwar etwa das Europäische Parlament und die EU-Kommission gefordert. Sie ist aber in der UNO gegen den Widerstand vieler Staaten kaum durchzusetzen.

    Für die konkrete Anwendung der vier Pfeiler führt der Bericht zwölf Prinzipien auf, unter anderem:

    • “Gerechtigkeit für viele Spezies” (Multi-species justice), die nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen und Ökosysteme einbeziehe;
    • Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Partizipation, die Berücksichtigung besonderer Verletzlichkeiten;
    • Prävention, Vorsorge und die Regel, dass der Verschmutzer zahlen soll;
    • gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung zwischen den Staaten, gerechter Übergang.

    2030 sollen 300 Milliarden im Fonds sein

    Auch die Reform des globalen Finanzsystems und ungerechter Handelsstrukturen leitet sich nach dem Bericht aus dem Menschenrecht auf Entwicklung in der Klimakrise ab. Für den LDF, der erst einmal von der Weltbank verwaltet werden soll, sollten vor allem die historischen CO₂-Emittenten einzahlen. Als “innovative Finanzierungsquellen” nennt er Reichensteuern, Abgabe auf Fossile, den Abbau von fossilen Subventionen oder Spenden – einen Beitrag von Ländern wie China oder den Ölstaaten, die von den Industrieländern in die Pflicht genommen werden sollen, erwähnt der Bericht nicht.

    Und als angemessen für die Füllung des LDF verweist er auf einen Vorschlag der UN-Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD: 150 Milliarden US-Dollar zum Start, dann ansteigend auf 300 Milliarden bis 2030. Zur Erinnerung: Derzeit sind dem Fonds etwa 800 Millionen US-Dollar versprochen.

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    Methanemissionen: Warum diese rentable Klimalösung kaum umgesetzt wird

    Methanleaks bei der Öl- und Gasförderung und Transport zu schließen, ist oft kosteneffizient. Und trotzdem gibt es viele Hürden.
    Methanleaks bei der Öl- und Gasförderung und beim Transport zu schließen, ist oft kosteneffizient. Und trotzdem gibt es viele Hürden.

    Drei Jahre nach dem Start des Global Methane Pledge zur Reduktion der Methanemissionen um 30 Prozent bis 2030 sind die Emissionen des gefährlichen Treibhausgases im Energiesektor weiterhin fast auf Rekord-Niveau. Auf einem hochrangigen Gipfel am 24. September wollen die Internationale Energieagentur (IEA) und der Gastgeber der nächsten Klimakonferenz, Aserbaidschan, neuen Schwung in den Global Methane Pledge bringen. Das aber ist nicht so einfach.

    Denn es gibt in dieser Frage ein Problem: Ein großer Teil der Methanemissionen des fossilen Energiesektors könnte ohne Kosten vermieden werden. Das aufgefangene Methan könnte als Erdgas mit Gewinn auf dem Weltmarkt verkauft werden. Aber weil sich Banken zunehmend aus dem fossilen Sektor zurückziehen und weniger Kredite vergeben, und weil viele Öl- und Gasunternehmen bessere Investitionsmöglichkeiten haben, wird bisher zu wenig gegen die Methanlecks unternommen. Hinzu kommen bürokratische und juristische Hürden.

    Reduktion ist kosteneffizient – trotzdem passiert wenig

    Es klingt zunächst wie ein großes Paradox: 40 Prozent der weltweiten Methanemissionen aus dem fossilen Sektor könnten kosteneffizient vermieden werden – 50 Prozent im Öl- und Gassektor, 15 Prozent aus dem Kohlesektor. Die Kosten für das Schließen von Lecks in der Förderinfrastruktur sind laut IEA geringer als der Preis, den die Förderstaaten für das aufgefangene Erdgas – Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas – auf dem Weltmarkt erzielen könnten.

    Hinzu kommt: Die Öl- und Gasindustrie macht seit Jahren Milliardengewinne. Damit könnte sie eine der leichtesten Maßnahmen finanzieren, um die Klimakrise einzudämmen. Auf 20-Jahres-Sicht ist Methan 80-mal klimaschädlicher als CO₂ und für 30 Prozent der bisherigen globalen Erwärmung verantwortlich. Doch für viele Unternehmen sind andere Investitionen lukrativer. “Oft gibt es andere Investitionsmöglichkeiten mit höheren Renditen, was manchmal bedeutet, mehr in die Expansion der Förderung zu investieren”, sagt Brandon Locke, Methanexperte der Clean Air Task Force (CATF), zu Table.Briefings. Zudem hätten staatliche Öl- und Gasförderer weniger finanziellen Spielraum, da ein großer Teil ihrer Gewinne in die Staatshaushalte ihrer Heimatländer fließe und dort beispielsweise Sozialausgaben finanziere.

    Banken ziehen sich aus Öl- und Gas zurück

    Auch der Zugang zu externen Geldern ist häufig schwierig:

    • “Viele Banken ziehen sich zunehmend aus der Finanzierung von Projekten im Bereich der fossilen Energien zurück”, sagt Locke. Ohne günstige Kredite könne die Wirtschaftlichkeit eines Methan-Reduktionsprojekts scheitern, so Locke. Private Banken und Investmentfonds würden seltener in die Öl- und Gasindustrie investieren und hätten sich selbst Klimaziele gesetzt, schreibt auch die IEA. Das könne sich negativ auf Investitionen zur Methanverminderung auswirken. Daher mahnt die IEA: “Investitionskanäle für ‘Übergangsbereiche’ müssten offengehalten werden, ohne dass Schlupflöcher für Investitionen entstehen, die nicht mit den Pariser Klimazielen vereinbar sind.”
    • Auch staatliche Vorschriften für grüne Investments können sich negativ auf Investitionen zur Methanvermeidung auswirken. “Grüne Anleihen, die größte Kategorie nachhaltiger Finanzinstrumente, können im Allgemeinen nicht von Öl- und Gasunternehmen genutzt werden”, schreibt der Environmental Defense Fund (EDF). Denn staatliche Taxonomien für Grüne Anleihen enthalten laut EDF nicht das Auffinden von Methanlecks.
    • Andere Finanzinstrumente wie sogenannte “Sustainability-Linked Bonds” seien laut EDF noch nicht ausreichend auf die Methanvermeidung zugeschnitten.
    • Auch einige Entwicklungsbanken ziehen sich zunehmend aus fossilen Investments zurück. Allerdings ist laut IEA noch unklar, ob der Rückzug auch Methan-Projekte umfasst. Wenn gewisse Bedingungen erfüllt seien, “könnten viele dieser Institute weiterhin Mitigation-Projekte [zur Reduktion von Methanemissionen] finanzieren“, so die IEA.

    Bisher wenig Klimafinanzierung für Methanreduktion

    Laut der IEA sind bis zum Jahr 2030 zwischen 15 und 20 Milliarden US-Dollar nötig, um die Methanreduktion in Entwicklungs- und Schwellenländern zu finanzieren. Bisher spielt diese Methanreduktion allerdings in der internationalen Klimafinanzierung eine untergeordnete Rolle. Laut US-Handelsministerium fließen nur zwei Prozent der Klimafinanzierung überhaupt in die Vermeidung von Methanemissionen aus der Landwirtschaft, dem Abfall- und dem fossilen Energiesektor. Und der fossile Sektor erhält Schätzungen zufolge mit 100 Millionen US-Dollar (zwischen 2019 und 2020) nur einen verschwindend geringen Teil dieser Mittel. Um diese Finanzlücke zu schließen, sei eine “internationale Anstrengung von Regierungen, Industrie und Philanthropie” notwendig, mahnt die IEA.

    Bürokratie erschwert den Fortschritt

    Neben der Finanzierung erschweren auch bürokratische Hürden den Fortschritt bei der Methanreduktion. “Das aufgefangene Methan auf den Markt zu bringen, ist nicht so einfach, wie es in den Berechnungen klingt, denn es sind oft viele Akteure beteiligt“, sagt Locke von der Clean Air Task Force. Manchmal gehöre das aufgefangene Gas nicht den Unternehmen, die es auffangen würden. Und Firmen, die Methanlecks schließen und das Gas auffangen, müssten sich mit den Pipeline-Betreibern absprechen, um das Gas auf den Markt zu bringen, so der CATF-Experte. Im Tagesgeschäft gäbe es “viele vertragliche Hürden zu überwinden”.

    Zudem fehle es “vielen Unternehmen” am Bewusstsein “über das Ausmaß ihrer Methanemissionen”, sagt Flavia Sollazzo vom Environmental Defense Fund Europe zu Table.Briefings. Messungen vor Ort hätten “oft gezeigt, dass die tatsächlichen Emissionen deutlich höher sind als geschätzt”, so die Senior Director im Bereich EU Energy Transition. Wenn Unternehmen ihre Methanemissionen unterschätzen, schätzen sie auch die Wirtschaftlichkeit von Reduktionsmaßnahmen falsch ein. Laut Sollazzo spielen auch geopolitische Faktoren eine Rolle: “In Regionen mit politischer Instabilität oder Energieversorgungssorgen kann der Fortschritt bei der Reduzierung von Methanemissionen erheblich behindert werden.”

    Technologisch sei das Erkennen und Schließen von Lecks laut Locke kein Problem. “Wir verfügen über die meisten Technologien, um etwa 60 Prozent der Methanemissionen im Öl- und Gassektor zu reduzieren”, sagt er.

    Regulierungen machen Hoffnung

    Locke zeigt sich für die Zukunft optimistisch, da viele Regionen neue Regulierungen erlassen haben. Die EU-Methanregulierung und ihre Import-Vorschriften “wird enorme Auswirkungen auf die weltweiten Produktionsstandards für fossile Brennstoffe haben“, sagt Locke. Andere große Importeure wie Großbritannien, Japan und Korea erwägen ähnliche Vorschriften. “Wir fangen gerade erst an, die Auswirkungen der Vorschriften in der EU, den USA oder Nigeria zu erkennen”, zeigt sich Locke optimistisch.

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    News

    UN-Versammlung: Was zum Klima verhandelt wird

    Beim Höhepunkt der 79. UN-Generalversammlung (UNGA79), die diese Woche in New York City stattfindet, ist auch die Klimakrise in vielen Verhandlungen, Veranstaltungen und inoffiziellen Treffen wichtiges Thema. Offiziell beschlossen wird wenig – aber rund um das Treffen von Staats- und Regierungschefs werden viele Weichen – etwa für die anstehende COP29 – gestellt.

    Wichtige Themen sind vor und hinter verschlossenen Türen sowie auf der traditionellen “New York Climate Week”, die vor allem globale Unternehmen zu “Klimalösungen” einbindet, die Bereiche Finanzen, Effizienz der UN-Abläufe, Ausbau der Erneuerbaren und Vorausblick auf die anstehenden neuen Klimapläne (NDC) der UN-Staaten. Ein Überblick über die wichtigsten der über 500 Veranstaltungen findet sich bei Bloomberg News.

    Zukunftsgipfel betont Ergebnisse der COP28

    Begonnen hat die Woche mit dem UN-Zukunftsgipfel und dem “Pakt für die Zukunft” zur UN-Reform und der schnelleren Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Die Erklärung wurde am Sonntag nach monatelanger Vorbereitung, vor allem von Namibia und Deutschland, mit großer Mehrheit angenommen – allerdings widersprachen Russland und sechs Länder wie Iran, Nordkorea, Syrien oder Nicaragua, 15 enthielten sich. Im Klima-Kapitel bekennt sich die Erklärung zum Pariser Abkommen und dem 2- bzw. 1,5-Grad-Ziel. Auch bekräftigt sie den Beschluss der COP28 zur “Abkehr von den fossilen Brennstoffen“, erwähnt aber auch  “Übergangs-Treibstoffe, die eine Rolle bei der Umsetzung der Energiewende spielen können” – ein Hinweis auf weitere Gasnutzung.

    Die Erklärung zur Verdopplung der Energieeffizienz und Verdreifachung der Erneuerbaren bis 2030 von COP28 und dem neuen “Pakt für die Zukunft” nimmt der erste globale Erneuerbaren-Gipfel auf, der Montag und Dienstag in New York stattfindet. Hochrangige Vertreter aus Politik, Unternehmen, Forschung und Zivilgesellschaft erarbeiten Pläne für den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren.

    Vorschlag: eine jährliche To-do-Liste

    Sieben wichtige Aufgaben für das nächste Jahr wiederum hat die “Climate Group”, Organisatorin der Climate Week, auf einer “To do-Liste” zusammengestellt. Auf ihr hat die non-profit-Lobbygruppe für besseren Klimaschutz folgende Ziele notiert:

    •  Kompensation für Arbeiter, die beim Kohleausstieg den Job verlieren
    • Weniger Bürokratie und höhere Ziele beim Ausbau der Erneuerbaren
    • Verbot von neuen Stahlhochöfen auf Kohlebasis
    • “Ernst machen” bei der Methan-Reduktion
    •  Schluss mit der Ignoranz gegenüber Energieeffizienz
    • Selbstverpflichtung von Regierungen und Konzernen zu “sauberer Nachfrage” nach Klimalösungen
    • Steuern auf Öl und Gas für die Energiewende

    Die Veranstaltungen der “Climate Week“, die überall in New York stattfinden, fokussieren sich in diesem Jahr etwa auf Dekarbonisierung der Industrie, Verkehr, Ernährungssysteme und Künstliche Intelligenz.

    Wie weit der Weg zu netto-null-Emissionen weltweit ist, zeigt wiederum das vierte globale “Net Zero-Stocktake”, das aus Anlass des Treffens veröffentlicht wurde. Demnach haben zwar inzwischen 148 von 198 UN-Staaten ein Netto-Null-Ziel, sowie etwa 270 Städte und mehr als 1.100 große Unternehmen – allerdings fehlt auch 40 Prozent aller “nicht-staatlichen Einheiten”, also Regionen, Unternehmen, Städten jede Form von Reduktionsziel. Und die Umsetzung der Ziele sei ebenfalls bei vielen Akteuren unklar.

    Am Mittwoch wollen die UN-Umweltbehörde UNEP und die Weltbank-Tochter IFC eine Studie vorstellen, wie weltweit der steigende Bedarf an “nachhaltiger Kühlung” in Einklang mit den Klimazielen gebracht werden kann. bpo

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    Ozeanversauerung: Siebte planetare Grenze wird demnächst überschritten

    Eine siebte planetare Grenze könnte demnächst überschritten werden, weil die Ozeanversauerung durch den CO₂-Ausstoß zunimmt. Selbst die aktuellen Bedingungen seien bereits “für viele marine Arten” gefährlich. Das geht aus dem neuen “Planetary Health Check” des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hervor, der am Montag zur Climate Week am UN-Zukunftsgipfel vorgestellt wurde. Demnach befindet sich das Erdsystem in den Bereichen Klima, Biodiversität, Schadstoffe/Plastik und Stickstoff-/Phosphorkreislauf sogar im “Hochrisikobereich”.

    Alle diese Bereiche seien “stark miteinander verbunden”, erklärt die Leitautorin Levke Caesar (PIK). Und in nahezu allen Bereichen “erhöht sich der Druck auf Stabilität, Resilienz und lebenserhaltende Funktionen unserer Ökosysteme”. Einzig bei der Aerosolbelastung sinkt das Risiko; zudem ist der Ozonabbau unter Kontrolle.

    Jährlich aktualisierte Budgets und Szenarien

    Mit dem jährlichen Gesundheitscheck sollen in einem nächsten Schritt erstmals Budgets – ähnlich dem CO₂-Budget – für alle Grenzen aufgestellt werden. Daraus entwickelt das Forschungsteam PBScience sichere Szenarien, um Politik und Unternehmen zu beraten – später auch für die regionale und lokale Ebene. “Der vorliegende Bericht ist nur ein Ausgangspunkt und enthält noch keine Angaben zu den Budgets, die von den Entscheidungsträgern verwendet werden sollen”, sagte Leitautor Boris Sakschewski zu Table.Briefings. Politiker und Unternehmer könnten dann auf Basis der Szenarien beispielsweise “regulatorische Limits setzen” und “Investments lenken”.

    Vor allem aus der Wirtschaft habe es öfter den Ruf nach quantifizierten Daten gegeben, erklärte PIK-Direktor Johan Rockström die Initiative, an der mehr als hundert Forschende mitwirken. So soll etwa ein Dashboard “beinahe in Echtzeit” alle Kontrollvariablen anzeigen – etwa für den CO₂-Gehalt in der Atmosphäre, den pH-Wert der Ozeane oder den Prozentsatz an natürlichen Wäldern, verglichen mit einem Szenario ohne Landnutzungsveränderungen. Prominente Fürsprecher wie der brasilianische Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos unterstützen das Projekt; sie treten als “Botschafter für die Erde” auf.

    Anders als bisherige Analysen zu den planetaren Grenzen ist der neue Bericht nicht peer-reviewed, er stützt sich aber auf peer-reviewte Methoden. “Wir können nicht jedes Mal auf Peer-Review Literatur warten“, meinte Caesar – auch in Bezug auf die Sachstandsberichte des IPCC, die nur alle sechs bis acht Jahre erscheinen. lb

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    Verkehr: Auch Habeck fordert jetzt frühere Revision der Flottengrenzwerte

    Überraschende Wende: Beim sogenannten Autogipfel, einer Videokonferenz mit Vertretern der Automobilbranche, hat sich Robert Habeck am Montagnachmittag deren Forderung angeschlossen, die EU-Flottengrenzwerte schon im Jahr 2025 zu überprüfen – und somit ein Jahr früher als derzeit geplant.

    Das bedeute aber nicht, “dass wir dadurch die Ziele automatisch schleifen”, sagte der Bundeswirtschaftsminister. Am Ziel, ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zuzulassen, müsse festgehalten werden, denn dies sei die Voraussetzung dafür, dass der Verkehrssektor im Jahr 2050 klimaneutral sei. Den Pfad bis 2035 könne man aber noch einmal anschauen, um auf die “veränderte Wirklichkeit” zu reagieren, sagte Habeck. 

    Die Automobilbranche drängt schon länger auf eine frühere Revision der Grenzwerte. Einzelne Hersteller wie Volkswagen fordern zudem, die Flottengrenzwerte kurzfristig abzuschwächen. Denn die CO₂-Höchstwerte, die vom nächsten Jahr an gelten, werden von einigen Konzernen verfehlt werden; diesen drohen dann hohe Strafzahlungen.

    CDU und CSU unterstützten diese Forderung; im Dachverband der europäischen Automobilhersteller ACEA gab es dafür aber keine Mehrheit. Auch das Bundesumweltministerium hatte kürzlich betont, dass es für die Hersteller sehr wohl möglich sei, die Ziele zu erreichen.

    Forderung nach neuer Kaufprämie nicht aufgegriffen

    Neue Kaufprämien soll es nicht geben. Unter den Teilnehmern habe Einigkeit bestanden, dass “Schnellschüsse” und “Strohfeuer” nicht hilfreich seien, sagte Habeck. Auch ohne finanzielle Unterstützung seien E-Autos schon wirtschaftlich.

    Eine aktuelle Berechnung des Thinktanks Agora Verkehrswende widerspricht dieser Einschätzung allerdings teilweise: Demnach seien über eine Haltedauer von fünf Jahren gerechnet nur Fahrzeuge aus der oberen Mittelklasse und der Oberklasse E-Autos günstiger als vergleichbare Verbrenner. Bei Kleinwagen und spritsparenden Fahrzeugen seien E-Fahrzeuge dagegen noch nicht wirtschaftlich; eine Kaufprämie von 6000 Euro würde das ändern.

    Gefordert worden war eine neue E-Auto-Prämie in Höhe von 6000 Euro im Vorfeld in einem SPD-Papier. CDU-Chef Friedrich Merz lehnte eine neue Kaufprämie ab, während CSU-Chef Markus Söder eine “intelligente Prämie” forderte, die vor allem deutschen Herstellern zugutekommen sollte – was im Gegensatz zu EU- und WTO-Vorgaben stehen dürfte. mkr

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    Kommunen: Wo die Herausforderungen bei der Wärmeplanung liegen

    Bisher werden erst 14 Prozent der deutschen Haushalte mit Fernwärme versorgt, und diese wird erst zu rund 20 Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugt. Um die Wärmeversorgung wie geplant bis 2045 komplett zu dekarbonisieren, sollen beide Werte in den nächsten Jahren stark steigen. Die kommunale Wärmeplanung, zu der der Bund die Kommunen aus diesem Grund verpflichtet hat, stellt diese aber vor große Herausforderungen. Das zeigt eine umfangreiche Studie, die das Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge an der Universität Leipzig am Montag in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und mehreren weiteren Verbänden und Unternehmen veröffentlicht hat.

    Eine für die Studie durchgeführte Umfrage, an der sich rund 600 der 11.000 deutschen Kommunen beteiligt haben, hat ergeben, dass die Lage vor allem für kleinere Kommunen schwierig ist, die weder über ausreichend Personal noch über ein eigenes Stadtwerk verfügen. Für diese schlagen die Autoren mehr Unterstützung in Form von gemeinsamer Planung in Zweckverbänden und zentralisierter Datenerhebung vor.

    Weniger Probleme gibt es der Studie zufolge bei der Finanzierung: Eine Hochrechnung auf Grundlage der eingegangenen Rückmeldungen hat ergeben, dass die Kosten für die Planung deutschlandweit bei 520 Millionen Euro liegen dürften. Die 500 Millionen Euro, die der Bund den Kommunen dafür über die Länder zur Verfügung stellen will, dürften demzufolge fast ausreichend sein. Die Kosten der späteren Umsetzung der Pläne schätzen die Autoren auf 10,8 Milliarden Euro. Neben Eigenmitteln, Krediten und Verbraucher-Gebühren setzen die befragten Unternehmen dabei auch auf staatliche Fördergelder; gut ein Drittel der Kosten müssten der Studie zufolge dadurch abgedeckt werden. mkr

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    Von der Leyen will Green Bonds in Entwicklungsländern subventionieren

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, die Ausgabe von grünen Staatsanleihen im Globalen Süden finanziell unterstützen zu wollen. In Europa hätten sich Green Bonds als ein unglaublich wirkungsvolles Instrument zur Mobilisierung privater Investitionen erwiesen, sagte von der Leyen in New York beim Gipfel der Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) am Rande der UN-Generalversammlung. Doch wenn ein Entwicklungsland grüne Anleihen ausgebe, müsse es den Anlegern oft sehr hohe Zinsen zahlen.

    Von der Leyen kündigte eine “Green Coupon Facility” an, mit der Europa einen Teil der Zinsen für Emittenten grüner Anleihen subventionieren will. So soll es Entwicklungsländern ermöglicht werden, Geld für den Aufbau der eigenen Wirtschaft zu beschaffen. Bereits vergangenes Jahr hatte von der Leyen die Global Green Bond Initiative ins Leben gerufen. Der mit einer Milliarde Euro durch europäische Entwicklungsbanken, die EIB und die UN ausgestattete Fonds soll das Investmentrisiko für grüne Anleihen senken und bis zu 20 Milliarden Euro privaten Kapitals für nachhaltige Investitionen mobilisieren.

    “Wer Treibhausgase ausstößt, muss bezahlen”

    Außerdem erklärte von der Leyen, sich am Dienstag in New York mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau und der Industrie zusammensetzen zu wollen, um für eine weltweite CO₂-Bepreisung zu werben und deren Möglichkeiten zu diskutieren. “Das Prinzip ist ebenso wirksam wie einfach: Wer Treibhausgase ausstößt, muss dafür bezahlen.”

    Als dritten Schritt für die Unterstützung des Globalen Südens kündigte die EU-Kommissionspräsidentin eine Erweiterung der EU-Konnektivitätsinitiative Global Gateway an. “Wir werden unseren Partnern ein integriertes Angebot unterbreiten.” Wenn Europa beispielsweise in Industriekapazitäten im Globalen Süden investiere, werde man auch versuchen, Handelspartnerschaften voranzutreiben, um die Industrien in die europäischen Lieferketten zu integrieren. Auch bei Wirtschaftsreformen wolle man unterstützen, so von der Leyen. luk

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    Strompreiszone: Stuttgart will Alternativen zur Teilung

    Im Streit um die mögliche Teilung der deutschen Stromgebotszone spricht sich ein Gutachten im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums für alternative Lösungen aus. Möglich sei zum Beispiel die regional unterschiedliche Vergütung von erneuerbaren Energien, Elektrolyseuren für die Wasserstoffproduktion und steuerbaren Kraftwerken im Rahmen von Kapazitätsmechanismen. “Vor einer Gebotszonentrennung in Deutschland sollten diese alternativen Instrumente zunächst geprüft und mit der Option des Gebotszonensplits abgewogen werden”, heißt es in dem am Montag in Berlin vorgestellten Gutachten.

    Die grün-schwarze Landesregierung sieht sich damit auf einer Linie mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Das Gutachten bestätigt die ablehnende Haltung Stuttgarts gegenüber einer Gebotszonenteilung: “Mittel- bis langfristig kann nur der geplante Netzausbau die durch die Netzengpässe entstehenden Mehrkosten eines suboptimalen Kraftwerks- und Speichereinsatzes im Strommarkt wirksam reduzieren.”

    Auswirkungen auf Industrie derzeit “relativ moderat”

    Für Dezember werden ein Bericht und eine Empfehlung der europäischen Regulierungsagentur ACER zu einer möglichen Neuaufteilung der Strompreiszonen in der EU erwartet. Falls die deutsche Gebotszone geteilt würde, rechnen die Gutachter damit, “dass in der nördlichen Zone die durchschnittlichen Strompreise um etwa zehn Euro pro Megawattstunde (MWh) im Jahr 2025 und um sechs Euro im Jahr 2030 niedriger sein könnten als in der südlichen Zone”.

    Für die Industrie in Baden-Württemberg seien “die Auswirkungen einer Gebotszonentrennung in ihrer heutigen Struktur im Großen und Ganzen relativ moderat”. Die Stromintensität der Industrie werde sich jedoch mit zunehmender Elektrifizierung stark verändern.

    Stärkere Vorteile einer Gebotszonenteilung sehen die Gutachter jedoch bei weiter stockendem Netzausbau. “Die negativen Verteilungseffekte einer Trennung der Gebotszonen könnten dann durch die Einführung von Kompensationsmaßnahmen insbesondere für den Süden abgemildert werden.” Einige Experten sehen jedoch in der derzeitigen Situation positive Verteilungseffekte für die industriellen Zentren im Süden und Westen Deutschlands. ber

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    Zeitung: Banken kündigen Finanzierung von Nuklearprogrammen an

    Große Banken wollen laut einem Zeitungsbericht zusagen, ihre Unterstützung für den Ausbau der Kernenergie weltweit zu verstärken. Nach einem Bericht der Financial Times sollten am Rande des UN-Gipfels in New York 14 globale Finanzkonzerne ihre Pläne veröffentlichen, beim Ziel zu helfen, die Atomenergie in der Klimakrise voranzubringen.

    Demnach wollten Vertreter etwa von Bank of America, Barclays, BNP Paribas, Citi, Morgan Stanley und Goldman Sachs am Montag auf einer Veranstaltung mit dem US-Klimagesandten John Podesta ihre Pläne verkünden. Damit soll eine Strategie von etwa 25 Staaten unterstützt werden, die am Rande der COP28 in Dubai verkündet hatten, sie planen die Verdreifachung der nuklearen Kapazitäten bis 2050. Die Staaten, unter ihnen viele mit zivilen und militärischen Atomprogrammen, wollen so die CO₂-arme Atomkraft als Alternative für eine klimaneutrale Energieversorgung propagieren. Sie zielen auf öffentliche Gelder für Entwicklung und Aufbau etwa von kleinen modularen Reaktoren, die bisher nicht zur Verfügung stehen. Im März hatten etwa 30 Staaten bei einem “Atomgipfel” in Brüssel gefordert, das “volle Potenzial der zivilen Nukleartechnik zu entfesseln”.

    Gleichzeitig hat in den USA der Betreiber des stillgelegten Atomkraftwerks Three Mile Island angekündigt, man wolle den Betrieb in einem Reaktor wiederaufnehmen. Der Block 2 des AKW war in Harrisburg im Bundesstaat Pennsylvania 1979 durch eine unkontrollierte Kernschmelze außer Kontrolle geraten. Nun soll Block 1 des Werks reaktiviert werden, weil Microsoft angekündigt hat, 20 Jahre lang für den Strombedarf seiner Rechenzentren die Strommengen des Reaktors zu kaufen. Das Kraftwerk soll demnach von 2028 bis 2054 Strom liefern, die Investition kostet den Betreiber Constellation Energy 1,6 Milliarden Dollar an Investitionen. Die US-Regierung subventioniert als Teil ihrer Klimapläne die Verlängerung von AKW-Laufzeiten mit Milliardensummen. bpo   

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    Menschenrechte: Warum Vietnam Aktivisten aus der Haft entlässt

    Die vietnamesische Umweltaktivistin Hoàng Thị Minh Hồng wurde am vergangenen Samstag nach einem Jahr Haft aus dem Gefängnis entlassen. Hồng wurde am 31. Mai 2023 verhaftet und am 28. September 2023 wegen Steuerhinterziehung angeklagt und zu drei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt. Auch der Aktivist Trần Huỳnh Duy Thức wurde am Wochenende freigelassen, er saß seit 2009 im Gefängnis. Die Freilassungen erfolgten kurz vor der Reise des vietnamesischen Staatschefs, Generalsekretär Tô Lâm, in die USA. Dort nimmt er an der Generalversammlung der Vereinten Nationen teil.

    In Vietnam werden immer wieder Aktivisten aufgrund von fadenscheinigen Begründungen verhaftet. Verschiedene NGOs betonen, dass es sich dabei um eine bewusste Einschüchterung von Aktivistinnen und Aktivisten handelt. Seit Mitte August 2024 wurden im Vietnam mindestens neun Menschenrechtsaktivisten unter dem Vorwand, “Anti-Staatspropaganda zu verbreiten”, verurteilt. Laut Human Rights Watch sitzen aktuell mindestens 160 Aktivistinnen und Aktivisten unrechtmäßig im Gefängnis.

    Besorgniserregend sind diese Menschenrechtsverletzungen auch im Zusammenhang mit der Just Energy Transition Partnership (JETP), die Vietnam 2022 mit internationalen Partnern – darunter die EU und die USA – unterzeichnete. Mehr als 15 Milliarden US-Dollar sollen durch die JETP nach Vietnam fließen, um eine “gerechte Energiewende” zu ermöglichen. Die nun freigelassene Aktivistin Hồng hatte auch an der Umsetzung der JETP mitgearbeitet. kul

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    Must-Reads

    Financial Times: Die Landwirtschaft muss für ihre Emissionen zahlen, sagt der oberste EU-Klimaforscher. Ottmar Edenhofer, Vorsitzender des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats zum Klimawandel, warnt davor, dass die EU ihre Klimaziele aufgrund der hohen Emissionen im Agrarsektor nicht erreichen wird. Daher solle er gezwungen werden, für seine Treibhausgasemissionen zu zahlen. Während andere Sektoren ihre Emissionen verringert hätten, seien die in der Landwirtschaft “ziemlich stabil geblieben”. Ohne ein Preissignal sei es “sehr unwahrscheinlich, dass wir die Emissionen grundsätzlich reduzieren können”. Die Landwirtschaft ist für 12 Prozent der Emissionen in der EU verantwortlich. Zum Artikel

    Spiegel: Schweizer stimmten gegen mehr Biodiversität. Am Sonntag haben die Schweizer eine Initiative für mehr Biodiversität abgelehnt. Die Biodiversitätsinitiative, die den Schutz von Natur, Ortsbildern und schützenswerten Landschaften in der Schweiz stärken wollte, wurde mit 63 Prozent Nein-Stimmen deutlich abgelehnt. Die Stimmbeteiligung lag bei 45,2 Prozent. Zum Artikel

    CNN: Düstere Aussichten für den “Doomsday-Gletscher”. Wissenschaftler haben mithilfe von Eisbrecherschiffen und Unterwasserrobotern herausgefunden, dass der Thwaites-Gletscher, auch als “Doomsday-Gletscher” bekannt, in der Antarktis immer schneller schmilzt und möglicherweise unumkehrbar zusammenbricht. Dies könnte eine Katastrophe für den weltweiten Anstieg des Meeresspiegels sein. Zum Artikel

    Reuters: US-Wahlen erschweren Klimafinanzierung. Länder zögern, sich zu verpflichten, bevor sie das Ergebnis der US-Wahlen kennen. Dabei ist ein neues Klimafinanzierungsziel als Ersatz für die auslaufende 100-Milliarden-Dollar-Verpflichtung notwendig. Die Regierungen analysieren verschiedene Szenarien für einen möglichen Sieg von Vizepräsidentin Kamala Harris oder von Ex-Präsident Donald Trump, der den Klimawandel verleugnet und die fossilen Brennstoffe fördern will. Zum Artikel

    Reuters: Zu wenig Klimareduktionsziele. Mehr als 40 Prozent der großen Unternehmen, Städte und Regionen haben sich noch immer keine Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen gesetzt. Zwar haben seit dem vergangenen Jahr mehr Regierungen und Unternehmen Zusagen zur Klimaneutralität gemacht, doch wurde ihre Aufmerksamkeit durch Kriege, Wahlen und wirtschaftliche Herausforderungen zusätzlich abgelenkt. Zum Artikel

    New York Times: Methanemissionen in den USA steigen weiter an. Die boomende fossile Brennstoffindustrie der USA stößt weiterhin immer mehr klimaschädliches Methan in die Atmosphäre aus. Im Gegensatz zu Kohlendioxid entstehen Methanemissionen nicht durch den Verbrauch, sondern durch die Produktion und den Transport von Erdgas. Zum Artikel

    NTV: Weltbank stellt sich gegen Klimawandel. Die Weltbank hat im abgeschlossenen Fiskaljahr 2024 eine Rekordsumme von knapp 43 Milliarden US-Dollar (gut 38 Milliarden Euro) zur Finanzierung von Projekten für saubere Energien und andere klimaschützende Maßnahmen bereitgestellt. Dies stellt einen Anstieg um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr dar. Der Anteil der Mittel für Klimaprojekte an der gesamten Kreditvergabesumme der Weltbank in Höhe von 97 Milliarden US-Dollar betrug 44 Prozent. Zum Artikel

    Standpunkt

    Kohlendioxid-Speicherung: Der Gesetzentwurf unterschätzt die Gefahr durch CCU

    Von Simon Wolf
    Simon Wolf, Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch.

    Wenn der Bundestag am kommenden Freitag über das Gesetz zur Kohlendioxid-Speicherung (KSpG) debattiert, wird der Fokus auf der Abscheidung und unterirdischen Lagerung von CO₂ liegen, kurz CCS (Carbon Capture and Storage). Grund zur Debatte gibt es genug. Die im Gesetz vorgesehene Ermöglichung von CCS für den Einsatz an Gaskraftwerken birgt die Gefahr, dass die Abkehr vom fossilen Geschäftsmodell länger als notwendig hinausgezögert wird.

    Viel weniger im Rampenlicht steht ein weiteres Risiko, das durch die ebenfalls im KSpG adressierte Verwendung des aufgefangenen CO₂ entsteht, kurz CCU (Carbon Capture and Usage). Dabei erfreut sich CCU deutlich größerer Beliebtheit als CCS. Mit der Technologie sind vor allem in der Chemiebranche große Hoffnungen verbunden: Könnte damit nicht ein Teil des CO₂, das sich nach jetzigem Stand der Technik nicht vermeiden lässt, nicht nur neutralisiert, sondern auch noch produktiv eingesetzt werden, als Schaumstoff in Matratzen oder für Kunststoffe? Und ließen sich mittels CCU nicht Treibstoffe zum Beispiel für Flugzeuge klimaneutral gestalten?

    Das Problem: Es gibt bei allem Hype um CCU bislang sehr wenig konkrete Ideen, wie CO₂ dauerhaft in Produkten eingespeichert oder permanent im Kreis geführt werden kann – und wie der Nachweis darüber gelingen soll. Zudem sind die entsprechenden Verfahren selbst sehr energieintensiv. Soll CO₂ wieder in chemische Grundstoffe umgewandelt werden, benötigt das extrem viel Energie und zusätzlichen Wasserstoff.

    Der entscheidende Unterschied zwischen CCS und CCU

    Der Änderungsentwurf zum KSpG hat zu CCU insgesamt wenig zu sagen. In einer kleinen, unscheinbaren Passage ist aber eine möglicherweise fatale Vorfestlegung angelegt. In Paragraf 4 des von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurfs heißt es mit Blick auf den Infrastrukturbau, dass ein Vorhaben neben der dauerhaften geologischen Einlagerung von CO₂ auch dann dem Wohl der Allgemeinheit dient, “wenn dadurch Kohlendioxid zur Deckung eines nachgewiesenen Bedarfs für die Nutzung von Kohlendioxid als Rohstoffquelle für Kohlenstoffverbindungen transportiert wird, um so zum Zwecke des Klimaschutzes die Emission von Kohlendioxid in Deutschland dauerhaft zu vermindern“.

    Mit dieser faktischen Gleichsetzung von CCS und CCU wird der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Anwendungen verwischt. Denn mit CCS ist sichergestellt – unter der Voraussetzung, dass die Lagerstätte verantwortlich betrieben wird – dass das eingelagerte CO₂ dauerhaft nicht in die Atmosphäre gelangt. Bei CCU kommt es hingegen ganz auf die Verwendung des aufgefangenen CO₂ an.

    Fürs Klima hochgefährliche Luftbuchung

    Eine Verminderung von CO₂, wie es der Änderungsentwurf zum KSpG anstrebt, wird zwar auch dann erreicht, wenn mit aufgefangenem CO₂ beispielsweise Flugbenzin hergestellt wird. Diese Doppelnutzung von CO₂ ist tatsächlich vorteilhaft gegenüber der bisherigen Praxis, in der Gesamtbilanz ist sie aber weit entfernt von einer klimaneutralen Anwendung, weil das CO₂ am Ende doch in die Atmosphäre gelangt. Für wirklich klimaneutrales Fliegen müsste dieses CO₂ “neutralisiert” werden, zum Beispiel durch Direct Air Capture (DAC) – eine weitere Technik, die noch nicht wirklich verfügbar ist und auf jeden Fall extrem energieintensiv sein wird.

    Eine unspezifische Anerkennung von CCU als Klimaschutzmaßnahme, etwa im Rahmen des Europäischen Emissionshandels, so wie es sich Unternehmen teilweise wünschen, wäre daher eine hochgefährliche Luftbuchung, die zu massiven zusätzlichen Emissionen führen könnte.  

    In einem gerade erschienenen Entwurf eines Delegierten Rechtsaktes schlägt die EU-Kommission für die Anerkennung von CCU als Emissionsminderung im Rahmen des EU-Emissionshandels vor, dass das CO₂ “mindestens einige Jahrhunderte” gebunden sein muss. Damit läge der Fokus erst einmal auf Baumaterialien, bei denen solch eine lange Bindungsdauer möglich ist. Die Stellungnahmen von Unternehmen und Branchenverbänden zu diesem Rechtsakt lassen aber erwarten, dass der Druck hoch bleiben wird, auch eine kürzere Bindungsdauer als Klimaschutzmaßnahme anzuerkennen.

    CCU-Regeln vom Kopf auf die Füße stellen

    Auch deshalb sollte der Gesetzgeber in Deutschland von vornherein präzise vorgehen und keinen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Der Bundestag sollte daher sicherstellen, dass die entsprechende Formulierung im KSpG und weiteren Gesetzen angepasst wird: Die Gleichstellung mit CCS sollte nur dann erfolgen, wenn durch die CCU-Anwendung “Kohlendioxid nachweislich dauerhaft in Produkten gebunden wird”.

    Der Änderungsentwurf zum KSpG liefert allerdings auch einen guten Ausgangspunkt dafür, wie ein sinnvoller Umgang mit CCU in zukünftigen gesetzlichen Regelungen gelingen kann. Wenn die Nutzung von CO₂ in Produkten verstanden wird als “Deckung eines Bedarfs für die Nutzung von Kohlendioxid als Rohstoffquelle, wie im Entwurf vorgesehen, dann sollte sie nicht als Klimaschutzmaßnahme gelten. Entscheidend wäre dann nicht mehr die Abscheidung des CO₂, sondern die Art seiner Verwendung. In dieser Weise vom Kopf auf die Füße gestellt, ist klar: Diejenigen, die den Kohlenstoff aufnehmen und nutzen, müssen auch die Verantwortung für das CO₂ tragen und die Emissionen in ihre Bilanz aufnehmen.

    Simon Wolf ist Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch.

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