irgendwann ist es auch mal gut, war die Stimmung auf den Fluren des Bonner Konferenzzentrums am Donnerstag. Nach zehn Tagen ist die SB60 UN-Zwischenkonferenz zu Ende und wie immer bleiben viele Fragen offen. Wir bringen Ihnen deshalb ein Climate.Table-Spezial der wichtigsten Sitzung bis zur COP29 im November.
Damit liefern wir einen Überblick, was entschieden (wenig) und zur Bearbeitung weitergereicht (viel) wurde. Wir blicken vor allem auf das große Streitthema Finanzen und haben uns ganz genau angeschaut, was sich hinter der Masse an Vorschlägen verbirgt. Wir schauen auch darauf, wie der Konflikt zwischen Israel und Gaza weiter die internationale Klimabewegung spaltet. Und wir porträtieren Nabeel Munir, der als einer der Co-Chairs in Baku einen wichtigen Schiedsrichter spielen wird.
Trotz aller Erschöpfung nach der Konferenz: Wir wünschen spannende Lektüre!
Mit einigen Stunden Verspätung ist am späten Freitag die SB60-Zwischenkonferenz in Bonn zu Ende gegangen. Kurz vor Schluss gab es nach Angaben aus Verhandlungskreisen noch Klärungsbedarf seitens der Türkei zu Forderungen nach mehr Mitsprache bei bestimmten Gremien. Als dieser Punkt geklärt war, konnte die Bilanz von “Bonn 2024” gezogen werden: Bei den erwartet zähen Verhandlungen gab es kleine Schritte zur Vorbereitung der COP29 in Baku im November, aber keine großen Durchbrüche. Immerhin: Einen quälend langen Streit über die Tagesordnung über die gesamte Zeit der Konferenz wie im vorigen Jahr vermieden die knapp 6.000 Teilnehmenden.
Im Einzelnen und gemessen an den Erwartungen sind die Resultate von Bonn:
In einigen Bereichen zum neuen Klimafinanzziel (New Collective Quantified Goal – NCQG) wurden auf der SB60 in Bonn zwar Schnittmengen gefunden – nennenswerte Fortschritte gab es aber kaum. Die Industrieländer “spielen weiterhin mit verdeckten Karten”, sagt David Ryfisch von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch zu Table.Briefings. Die COP-Präsidentschaft aus Aserbaidschan müsse jetzt das Heft in die Hand nehmen und den NCQG-Prozess beschleunigen.
So gab es etwa keine Fortschritte bei der Höhe des neuen Klimafinanzziels und der Frage, welche Staaten einen Beitrag leisten sollen. Ein Input-Paper, das den Stand der Verhandlungen wiedergibt, zeigt:
Laut Climate Home News wurden die Billionen-Summen von der arabischen und afrikanischen Staatengruppe vorgebracht. Ana Mulio Alvarez von E3G bezeichnet den Vorstoß der arabischen Staatengruppe als einen “überraschenden Schritt”. Die Gruppe fordert 441 Milliarden US-Dollar an Zuschüssen pro Jahr für die Klimafinanzierung und schlägt Steuern auf die Mode- und Waffenindustrie vor. Die EU nimmt den Vorstoß laut Beobachtern aber nicht sonderlich ernst.
Finale Entscheidungen zur Höhe des NCQG und auch zur Erweiterung der Geberbasis hätten die Mandate der Verhandler überschritten, so Alden Meyer von E3G. Hier sind also die Ministerinnen und Minister vor und in Baku in der Pflicht. Das NCQG-Paper zeigt:
Laut Beobachtern brauche es gute Ideen und politische Kompromisse, um diese Pattsituation zu durchbrechen. Ein Kompromiss könnte sein, dass Staaten wie China im Rahmen der UN-Prozesse berichten sollten, was sie ohnehin schon an Klimafinanzierung leisten – beispielsweise über bilaterale Süd-Süd-Kooperation. Dadurch würden sie langsam in den Prozess integriert.
Bei den Quellen zur Finanzierung und dem Zeitplan gibt es noch viel Unstimmigkeit:
Zur zeitlichen Gültigkeit des NCQG haben die Verhandler sehr unterschiedliche Vorschläge gemacht:
Zudem werden unterschiedliche Überprüfungszeiträume von einem, fünf oder zehn Jahren vorgeschlagen.
Größere Zustimmung gibt es in den Bereichen Transparenz und Zugang zu Finanzmitteln, wie Beobachter berichten. Der Zugang zu externer Unterstützung soll erleichtert werden, zudem soll mehr Transparenz über die Zahlungen hergestellt werden. Finale Entscheidungen wurden nicht getroffen.
“Viele Entwicklungsländer waren nicht bereit, sich auf diese Themen einzulassen. Sie sahen die Vorschläge als Ablenkung von der wirklich heiklen Diskussion über die Höhe des NCQG”, sagt Alvarez von E3G.
Laut Ryfisch habe es in Bonn zwar ein paar Fortschritte gegeben, aber die großen Fragen blieben ungeklärt. Damit das NCQG auf der COP29 in Baku final beschlossen werden könne, müsse die COP-Präsidentschaft aktiv werden und mehr Tempo machen. Wie schon beim “Loss and Damage Fund” vor zwei Jahren sollte die Präsidentschaft ein Ministerpärchen aus einem Vertreter des Globalen Nordens und einem Vertreter des Globalen Südens einsetzen, um den Verhandlungsparteien schnellere Kompromisse zu entlocken, schlägt Ryfisch vor.
Andere Beobachter zeigen sich recht pessimistisch. Im Extremfall könne es in Baku auch nur zu vereinzelten Kompromissen und einem Abschlussdokument mit viel vager Sprache kommen. Wichtige Entscheidungen könnten auf das nächste Jahr vertagt werden. Das wäre fatal, da die Staaten Anfang 2025 neue nationale Klimapläne (NDCs) vorlegen müssen. Unklarheit über das neue Finanzziel und den Zugang zu neuer Klimafinanzierung könnte zu wenig ambitionierten NDCs führen, schreiben einige Verhandler im Input-Paper.
Der anhaltende Konflikt zwischen Israel und Palästina spaltet weiterhin die internationale Klimabewegung. Auch auf der SB60 in Bonn zeigten sich die Spannungen vor allem beim Climate Action Network (CAN), wie schon auf der COP28 in Dubai. Mit über 19.000 Mitgliedern vernetzt CAN die internationale Klima- und Umweltorganisationen. Insgesamt sehen sich die deutschen Gruppen isoliert, weil sie die ausschließliche Verurteilung von Israel für den Gaza-Krieg ablehnen. Inzwischen haben sich die streitenden Gruppen offenbar intern darauf geeinigt, das Thema in der Bewegung kleinzuhalten und die Auseinandersetzung nicht zu eskalieren.
Gleich zu Beginn der Konferenz rückte das Thema in die Öffentlichkeit. Ohne Absprache mit anderen Umweltorganisationen veranstalteten Tasneem Essop, Chefin von CAN International, und Anabella Rosenberg, stellvertretende Leiterin der politischen Strategie von CAN International, bei der Eröffnungszeremonie einen Protest am Rand der Bühne. Sie hielten eine Palästina-Flagge und ein Banner mit dem Spruch “Kein business as usual Geschäft während eines Völkermords” hoch. Erst nach einer Unterbrechung der Sitzung und mehrfachen Bitten des Versammlungsleiters wurden sie von UN-Sicherheitspersonal abgeführt. Die UN-Akkreditierung für die Konferenz wurde ihnen entzogen. Unklar bleibt, ob ihr Verstoß gegen das Demonstrationsverbot während der UN-Sitzung noch weitere Konsequenzen haben wird. Von ihnen hieß es, der Protest sei privat und nicht in ihrer CAN-Funktion gewesen.
Spannungen gab es bereits vor der SB60. CAN International veröffentlichte Ende Mai ein Statement zur Situation in Palästina, in dem sie sich gegen Israel positionieren und solidarisch mit Palästina zeigen. Dabei verurteilten sie die Invasion Israels “unmissverständlich” und sprachen von einem sich entwickelnden “Völkermord”. Der Übergriff der Hamas am 7. Oktober wird in dem Statement nicht thematisiert.
Viele deutsche Organisationen trugen diese Sprache nicht mit. Über das Statement wurde bei CAN demokratisch abgestimmt, die deutsche Position war in der Minderheit. “Dieses Statement hat eine Mehrheit der Mitglieder unterstützt, aber sehr viele auch nicht”, sagt Brick Medak, Teamleiter für Energiepolitik und Klimaschutz beim Deutschen Naturschutzbund (NABU) im Gespräch mit Table.Briefings. Der NABU distanziert sich vom CAN-Statement.
Die deutschen Umweltverbände sind sich laut Medak in ihrer Beurteilung der Lage in Gaza einig. “Die Auseinandersetzung in der globalen Klimabewegung ist sicherlich nicht hilfreich, weil sich die Klimabewegung auf Klimapolitik konzentrieren sollte”, sagt er. Germanwatch teilt zwar das im Statement angesprochene Leid der Zivilisten in Gaza und die Verstöße der israelischen Armee gegen das humanitäre Völkerrecht. Sie distanzieren sich aber dennoch: “Wir unterstützen das Statement in dieser Form nicht, da es die Gräueltaten und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch die Hamas überhaupt nicht erwähnt”, sagt Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros von Germanwatch.
CAN International selbst äußert sich nicht zu den Spannungen innerhalb des Netzwerks. Mehrere Anfragen von Table.Briefings blieben unbeantwortet.
Intern heißt es, es habe auf der SB60 unter Klimaaktivistinnen und -aktivisten hitzige Diskussionen rund um die Positionierung zu Gaza gegeben. Für viele Aktivisten des Globalen Südens steht das Leid von Palästina für etwas Größeres – für eine Art Stellvertreterkonflikt für die vielen Ungerechtigkeiten des Globalen Nordens, gegen die sie seit Jahren protestieren. Deutsche Organisationen würden dabei mit ihrer Positionierung ziemlich allein dastehen.
Aus Sicht von europäischen NGO-Beobachtern beeinflusst die Spannung innerhalb der Klimabewegung die Verhandlung in Bonn aber eher nicht. Trotzdem ist der Konflikt auf der Konferenz omnipräsent und unterbricht die Verhandlungen in den zwei Wochen immer wieder. Vor dem Konferenzgebäude gibt es morgens regelmäßig Pro-Palästinensische Protestaktionen, und einige Konferenzteilnehmende tragen das palästinensische Kufiya-Tuch um den Hals.
Die Bewegung “Hungern bis ihr ehrlich seid” beendet nach 100 Tagen offiziell ihren Hungerstreik. Die Begründung: Kanzler Olaf Scholz habe weder eine “Trendwende” im Klimaschutz eingeleitet, noch das Gespräch mit den Aktivisten gesucht. Zuvor hatten sie bereits eine einwöchige Streikpause eingelegt, um Scholz Bedenkzeit zu geben, nachdem ein Aktivist für eine Nacht ins Krankenhaus musste. Seit Mitte März forderten die Aktivisten mit ihrer Kampagne eine Regierungserklärung des Kanzlers, in der er sich zur Klimakrise äußert, die Gefahren öffentlich anerkennt und erklärt, dass es kein CO₂-Restbudget mehr gebe.
Scholz jüngste Stellungnahme im Bundestag, dass der “menschengemachte Klimawandel die größte globale Herausforderung” sei, reichte ihnen nicht. Trotzdem sagen die Aktivisten, dass sie Erfolge erzielen konnten: “Unser Anliegen hat mediale Aufmerksamkeit bekommen und die Bundesregierung war gezwungen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen”, sagt eine Sprecherin von “Hungern bis ihr ehrlich seid” gegenüber Table.Briefings. Frustrierend sei aber, dass die Bundesregierung auf kein Gesprächsangebot eingegangen war.
Kritik übte die Kampagne auch an den Medien. Es sei zu viel über den Hungerstreik und zu wenig über die Daten der Klimakrise berichtet worden, sagen sie. Am Donnerstagmittag beendeten die Klimaaktivisten den Hungerstreik, indem sie sich als Protest auf die Straße klebten. Das soll die letzte Aktion gewesen sein. Die Bewegung erklärte, sich nun aufzulösen. Weitere Proteste sind nicht mehr geplant. Allen Hungerstreikenden soll es gut gehen. Sie haben langsam wieder angefangen, Nahrung zu sich zu nehmen. seh
Im Vorfeld des Bonner Treffens hatte der pakistanische Diplomat Nabeel Munir, Vorsitzender des Subsidiary Body for Implementation (SBI) – eines der beiden technischen Gremien des UNFCCC -, einen großen Wunsch: Die zweiwöchigen technischen Verhandlungen sollten reibungslos beginnen. Sein Wunsch wurde ihm erfüllt. Die Sitzung begann trotz der Proteste Russlands (wegen fehlender Visa) und der Zivilgesellschaft (wegen Israels Krieg in Gaza) mit der Annahme der Tagesordnung durch die teilnehmenden Länder.
Munir wünschte sich keine Wiederholung des letzten Jahres, seiner ersten Amtszeit als SBI-Vorsitzender, als es den Ländern erst am vorletzten Tag der Tagung gelang, die Tagesordnung zu verabschieden. Eine Einigung über die Tagesordnung ist der erste Schritt, und da das umstrittene Thema der Klimafinanzierung das wichtigste Thema in diesem Jahr ist, war ein reibungsloser Ablauf eine große Herausforderung. Der SBI-Vorsitzende weist jedoch darauf hin, dass die wichtigen Finanzthemen in erster Linie auf der Klimakonferenz in Baku, Aserbaidschan (COP29), final behandelt werden. Die Diskussionen in Bonn umfassen auch den gerechten Übergang weg von den fossilen Energien, die Anpassung an den Klimawandel, die Reduktion der Emissionen – und natürlich schließt jeder dieser Punkte das Thema Klimafinanzen ein.
Obwohl die Menschen weltweit mit intensiveren und extremeren Wetterereignissen konfrontiert sind, stehen Tempo und Umfang der Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels in keinem angemessenen Verhältnis zu dieser Herausforderung. Munir hebt zwei wichtige Faktoren hervor, die das Handeln behindern: Geopolitik und Vertrauen. “Die allgemeine Geopolitik und die Spaltungen, die wir in der Welt beobachten, schlagen sich in allen Arten von Verhandlungen nieder, und der Klimawandel bildet da keine Ausnahme. Der andere Faktor ist wahrscheinlich spezifischer für den Klimawandel, und das ist das Vertrauen”.
Das fehlende Vertrauen zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden, beispielsweise bedingt durch zu langsame Fortschritte bei der Klimafinanzierung, “hemmt wirklich den Fortschritt“, sagt Munir. Sowohl Munir als auch sein niederländischer Kollege Harry Vreuls, Vorsitzender des SBSTA, versuchen, dieses Vertrauensdefizit zu überwinden. Munir räumt ein, dass “noch eine Menge Arbeit zu tun ist”.
Der pakistanische Diplomat hat in der Klimadiplomatie eine steile Lernkurve durchlaufen. Munir ist so etwas wie ein UNFCCC-Neuling. Während seiner siebenjährigen Tätigkeit bei der pakistanischen UN-Mission in New York hatte Munir Gelegenheit, sich mit Klimathemen zu befassen. Aber erst 2019, als er nach Islamabad versetzt wurde, wuchs sein Klimaengagement. “Glasgow war meine erste COP”, sagte er.
Munir mag ein Neuling im UNFCCC/COP-Prozess sein, aber er ist kein Anfänger. “In Glasgow war ich der pakistanische Delegationsleiter, im nächsten Jahr leitete ich die Gruppe der G-77 und China, da Pakistan den rotierenden Vorsitz innehatte, und dann wurde ich Vorsitzender des SBI”. Neben seinen klimabezogenen Aufgaben ist er auch Pakistans Botschafter in Korea.
Zu sehen, wie die lautstarke Forderung nach einem Fonds für Verluste und Schäden, die in Glasgow ihren Anfang genommen hatte, auf der COP28 in Dubai Realität wurde, ist für Munir ein Höhepunkt. “Von einem Parteidelegierten, der die Forderung erhebt, über den Einsatz für den Fonds als G77-Vorsitzender bis hin zur Überwachung seiner Einrichtung als SBI-Vorsitzender – das war eine befriedigende Erfahrung.” Wie hat sich also Munirs Sichtweise verändert, während er von der Führung der pakistanischen Delegation über den Vorsitz der G77-China zum obersten Schiedsrichter und Schlichter der SBI wurde? Der Fokus erweitert sich, und es gibt mehr Perspektiven zu berücksichtigen, so Munir.
Während sich die Bonner Treffen dem Ende zuneigen und die Verhandlungsführer sich auf monatelange harte Arbeit vorbereiten, die im November in Baku ihren Höhepunkt finden wird, sagte Munir: “Es geht nicht nur um den Norden oder den Süden, jeder muss Dinge tun, die über seine Wohlfühlzone hinausgehen. Das ist genau das, was ich den Menschen auf beiden Seiten der Kluft sage: Ihr müsst verstehen, dass Klimaschutz in unser aller Interesse ist, dass wir zusammenarbeiten, denn nur gemeinsames Handeln wird wirklich etwas bewirken können”. Urmi Goswami
irgendwann ist es auch mal gut, war die Stimmung auf den Fluren des Bonner Konferenzzentrums am Donnerstag. Nach zehn Tagen ist die SB60 UN-Zwischenkonferenz zu Ende und wie immer bleiben viele Fragen offen. Wir bringen Ihnen deshalb ein Climate.Table-Spezial der wichtigsten Sitzung bis zur COP29 im November.
Damit liefern wir einen Überblick, was entschieden (wenig) und zur Bearbeitung weitergereicht (viel) wurde. Wir blicken vor allem auf das große Streitthema Finanzen und haben uns ganz genau angeschaut, was sich hinter der Masse an Vorschlägen verbirgt. Wir schauen auch darauf, wie der Konflikt zwischen Israel und Gaza weiter die internationale Klimabewegung spaltet. Und wir porträtieren Nabeel Munir, der als einer der Co-Chairs in Baku einen wichtigen Schiedsrichter spielen wird.
Trotz aller Erschöpfung nach der Konferenz: Wir wünschen spannende Lektüre!
Mit einigen Stunden Verspätung ist am späten Freitag die SB60-Zwischenkonferenz in Bonn zu Ende gegangen. Kurz vor Schluss gab es nach Angaben aus Verhandlungskreisen noch Klärungsbedarf seitens der Türkei zu Forderungen nach mehr Mitsprache bei bestimmten Gremien. Als dieser Punkt geklärt war, konnte die Bilanz von “Bonn 2024” gezogen werden: Bei den erwartet zähen Verhandlungen gab es kleine Schritte zur Vorbereitung der COP29 in Baku im November, aber keine großen Durchbrüche. Immerhin: Einen quälend langen Streit über die Tagesordnung über die gesamte Zeit der Konferenz wie im vorigen Jahr vermieden die knapp 6.000 Teilnehmenden.
Im Einzelnen und gemessen an den Erwartungen sind die Resultate von Bonn:
In einigen Bereichen zum neuen Klimafinanzziel (New Collective Quantified Goal – NCQG) wurden auf der SB60 in Bonn zwar Schnittmengen gefunden – nennenswerte Fortschritte gab es aber kaum. Die Industrieländer “spielen weiterhin mit verdeckten Karten”, sagt David Ryfisch von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch zu Table.Briefings. Die COP-Präsidentschaft aus Aserbaidschan müsse jetzt das Heft in die Hand nehmen und den NCQG-Prozess beschleunigen.
So gab es etwa keine Fortschritte bei der Höhe des neuen Klimafinanzziels und der Frage, welche Staaten einen Beitrag leisten sollen. Ein Input-Paper, das den Stand der Verhandlungen wiedergibt, zeigt:
Laut Climate Home News wurden die Billionen-Summen von der arabischen und afrikanischen Staatengruppe vorgebracht. Ana Mulio Alvarez von E3G bezeichnet den Vorstoß der arabischen Staatengruppe als einen “überraschenden Schritt”. Die Gruppe fordert 441 Milliarden US-Dollar an Zuschüssen pro Jahr für die Klimafinanzierung und schlägt Steuern auf die Mode- und Waffenindustrie vor. Die EU nimmt den Vorstoß laut Beobachtern aber nicht sonderlich ernst.
Finale Entscheidungen zur Höhe des NCQG und auch zur Erweiterung der Geberbasis hätten die Mandate der Verhandler überschritten, so Alden Meyer von E3G. Hier sind also die Ministerinnen und Minister vor und in Baku in der Pflicht. Das NCQG-Paper zeigt:
Laut Beobachtern brauche es gute Ideen und politische Kompromisse, um diese Pattsituation zu durchbrechen. Ein Kompromiss könnte sein, dass Staaten wie China im Rahmen der UN-Prozesse berichten sollten, was sie ohnehin schon an Klimafinanzierung leisten – beispielsweise über bilaterale Süd-Süd-Kooperation. Dadurch würden sie langsam in den Prozess integriert.
Bei den Quellen zur Finanzierung und dem Zeitplan gibt es noch viel Unstimmigkeit:
Zur zeitlichen Gültigkeit des NCQG haben die Verhandler sehr unterschiedliche Vorschläge gemacht:
Zudem werden unterschiedliche Überprüfungszeiträume von einem, fünf oder zehn Jahren vorgeschlagen.
Größere Zustimmung gibt es in den Bereichen Transparenz und Zugang zu Finanzmitteln, wie Beobachter berichten. Der Zugang zu externer Unterstützung soll erleichtert werden, zudem soll mehr Transparenz über die Zahlungen hergestellt werden. Finale Entscheidungen wurden nicht getroffen.
“Viele Entwicklungsländer waren nicht bereit, sich auf diese Themen einzulassen. Sie sahen die Vorschläge als Ablenkung von der wirklich heiklen Diskussion über die Höhe des NCQG”, sagt Alvarez von E3G.
Laut Ryfisch habe es in Bonn zwar ein paar Fortschritte gegeben, aber die großen Fragen blieben ungeklärt. Damit das NCQG auf der COP29 in Baku final beschlossen werden könne, müsse die COP-Präsidentschaft aktiv werden und mehr Tempo machen. Wie schon beim “Loss and Damage Fund” vor zwei Jahren sollte die Präsidentschaft ein Ministerpärchen aus einem Vertreter des Globalen Nordens und einem Vertreter des Globalen Südens einsetzen, um den Verhandlungsparteien schnellere Kompromisse zu entlocken, schlägt Ryfisch vor.
Andere Beobachter zeigen sich recht pessimistisch. Im Extremfall könne es in Baku auch nur zu vereinzelten Kompromissen und einem Abschlussdokument mit viel vager Sprache kommen. Wichtige Entscheidungen könnten auf das nächste Jahr vertagt werden. Das wäre fatal, da die Staaten Anfang 2025 neue nationale Klimapläne (NDCs) vorlegen müssen. Unklarheit über das neue Finanzziel und den Zugang zu neuer Klimafinanzierung könnte zu wenig ambitionierten NDCs führen, schreiben einige Verhandler im Input-Paper.
Der anhaltende Konflikt zwischen Israel und Palästina spaltet weiterhin die internationale Klimabewegung. Auch auf der SB60 in Bonn zeigten sich die Spannungen vor allem beim Climate Action Network (CAN), wie schon auf der COP28 in Dubai. Mit über 19.000 Mitgliedern vernetzt CAN die internationale Klima- und Umweltorganisationen. Insgesamt sehen sich die deutschen Gruppen isoliert, weil sie die ausschließliche Verurteilung von Israel für den Gaza-Krieg ablehnen. Inzwischen haben sich die streitenden Gruppen offenbar intern darauf geeinigt, das Thema in der Bewegung kleinzuhalten und die Auseinandersetzung nicht zu eskalieren.
Gleich zu Beginn der Konferenz rückte das Thema in die Öffentlichkeit. Ohne Absprache mit anderen Umweltorganisationen veranstalteten Tasneem Essop, Chefin von CAN International, und Anabella Rosenberg, stellvertretende Leiterin der politischen Strategie von CAN International, bei der Eröffnungszeremonie einen Protest am Rand der Bühne. Sie hielten eine Palästina-Flagge und ein Banner mit dem Spruch “Kein business as usual Geschäft während eines Völkermords” hoch. Erst nach einer Unterbrechung der Sitzung und mehrfachen Bitten des Versammlungsleiters wurden sie von UN-Sicherheitspersonal abgeführt. Die UN-Akkreditierung für die Konferenz wurde ihnen entzogen. Unklar bleibt, ob ihr Verstoß gegen das Demonstrationsverbot während der UN-Sitzung noch weitere Konsequenzen haben wird. Von ihnen hieß es, der Protest sei privat und nicht in ihrer CAN-Funktion gewesen.
Spannungen gab es bereits vor der SB60. CAN International veröffentlichte Ende Mai ein Statement zur Situation in Palästina, in dem sie sich gegen Israel positionieren und solidarisch mit Palästina zeigen. Dabei verurteilten sie die Invasion Israels “unmissverständlich” und sprachen von einem sich entwickelnden “Völkermord”. Der Übergriff der Hamas am 7. Oktober wird in dem Statement nicht thematisiert.
Viele deutsche Organisationen trugen diese Sprache nicht mit. Über das Statement wurde bei CAN demokratisch abgestimmt, die deutsche Position war in der Minderheit. “Dieses Statement hat eine Mehrheit der Mitglieder unterstützt, aber sehr viele auch nicht”, sagt Brick Medak, Teamleiter für Energiepolitik und Klimaschutz beim Deutschen Naturschutzbund (NABU) im Gespräch mit Table.Briefings. Der NABU distanziert sich vom CAN-Statement.
Die deutschen Umweltverbände sind sich laut Medak in ihrer Beurteilung der Lage in Gaza einig. “Die Auseinandersetzung in der globalen Klimabewegung ist sicherlich nicht hilfreich, weil sich die Klimabewegung auf Klimapolitik konzentrieren sollte”, sagt er. Germanwatch teilt zwar das im Statement angesprochene Leid der Zivilisten in Gaza und die Verstöße der israelischen Armee gegen das humanitäre Völkerrecht. Sie distanzieren sich aber dennoch: “Wir unterstützen das Statement in dieser Form nicht, da es die Gräueltaten und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch die Hamas überhaupt nicht erwähnt”, sagt Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros von Germanwatch.
CAN International selbst äußert sich nicht zu den Spannungen innerhalb des Netzwerks. Mehrere Anfragen von Table.Briefings blieben unbeantwortet.
Intern heißt es, es habe auf der SB60 unter Klimaaktivistinnen und -aktivisten hitzige Diskussionen rund um die Positionierung zu Gaza gegeben. Für viele Aktivisten des Globalen Südens steht das Leid von Palästina für etwas Größeres – für eine Art Stellvertreterkonflikt für die vielen Ungerechtigkeiten des Globalen Nordens, gegen die sie seit Jahren protestieren. Deutsche Organisationen würden dabei mit ihrer Positionierung ziemlich allein dastehen.
Aus Sicht von europäischen NGO-Beobachtern beeinflusst die Spannung innerhalb der Klimabewegung die Verhandlung in Bonn aber eher nicht. Trotzdem ist der Konflikt auf der Konferenz omnipräsent und unterbricht die Verhandlungen in den zwei Wochen immer wieder. Vor dem Konferenzgebäude gibt es morgens regelmäßig Pro-Palästinensische Protestaktionen, und einige Konferenzteilnehmende tragen das palästinensische Kufiya-Tuch um den Hals.
Die Bewegung “Hungern bis ihr ehrlich seid” beendet nach 100 Tagen offiziell ihren Hungerstreik. Die Begründung: Kanzler Olaf Scholz habe weder eine “Trendwende” im Klimaschutz eingeleitet, noch das Gespräch mit den Aktivisten gesucht. Zuvor hatten sie bereits eine einwöchige Streikpause eingelegt, um Scholz Bedenkzeit zu geben, nachdem ein Aktivist für eine Nacht ins Krankenhaus musste. Seit Mitte März forderten die Aktivisten mit ihrer Kampagne eine Regierungserklärung des Kanzlers, in der er sich zur Klimakrise äußert, die Gefahren öffentlich anerkennt und erklärt, dass es kein CO₂-Restbudget mehr gebe.
Scholz jüngste Stellungnahme im Bundestag, dass der “menschengemachte Klimawandel die größte globale Herausforderung” sei, reichte ihnen nicht. Trotzdem sagen die Aktivisten, dass sie Erfolge erzielen konnten: “Unser Anliegen hat mediale Aufmerksamkeit bekommen und die Bundesregierung war gezwungen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen”, sagt eine Sprecherin von “Hungern bis ihr ehrlich seid” gegenüber Table.Briefings. Frustrierend sei aber, dass die Bundesregierung auf kein Gesprächsangebot eingegangen war.
Kritik übte die Kampagne auch an den Medien. Es sei zu viel über den Hungerstreik und zu wenig über die Daten der Klimakrise berichtet worden, sagen sie. Am Donnerstagmittag beendeten die Klimaaktivisten den Hungerstreik, indem sie sich als Protest auf die Straße klebten. Das soll die letzte Aktion gewesen sein. Die Bewegung erklärte, sich nun aufzulösen. Weitere Proteste sind nicht mehr geplant. Allen Hungerstreikenden soll es gut gehen. Sie haben langsam wieder angefangen, Nahrung zu sich zu nehmen. seh
Im Vorfeld des Bonner Treffens hatte der pakistanische Diplomat Nabeel Munir, Vorsitzender des Subsidiary Body for Implementation (SBI) – eines der beiden technischen Gremien des UNFCCC -, einen großen Wunsch: Die zweiwöchigen technischen Verhandlungen sollten reibungslos beginnen. Sein Wunsch wurde ihm erfüllt. Die Sitzung begann trotz der Proteste Russlands (wegen fehlender Visa) und der Zivilgesellschaft (wegen Israels Krieg in Gaza) mit der Annahme der Tagesordnung durch die teilnehmenden Länder.
Munir wünschte sich keine Wiederholung des letzten Jahres, seiner ersten Amtszeit als SBI-Vorsitzender, als es den Ländern erst am vorletzten Tag der Tagung gelang, die Tagesordnung zu verabschieden. Eine Einigung über die Tagesordnung ist der erste Schritt, und da das umstrittene Thema der Klimafinanzierung das wichtigste Thema in diesem Jahr ist, war ein reibungsloser Ablauf eine große Herausforderung. Der SBI-Vorsitzende weist jedoch darauf hin, dass die wichtigen Finanzthemen in erster Linie auf der Klimakonferenz in Baku, Aserbaidschan (COP29), final behandelt werden. Die Diskussionen in Bonn umfassen auch den gerechten Übergang weg von den fossilen Energien, die Anpassung an den Klimawandel, die Reduktion der Emissionen – und natürlich schließt jeder dieser Punkte das Thema Klimafinanzen ein.
Obwohl die Menschen weltweit mit intensiveren und extremeren Wetterereignissen konfrontiert sind, stehen Tempo und Umfang der Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels in keinem angemessenen Verhältnis zu dieser Herausforderung. Munir hebt zwei wichtige Faktoren hervor, die das Handeln behindern: Geopolitik und Vertrauen. “Die allgemeine Geopolitik und die Spaltungen, die wir in der Welt beobachten, schlagen sich in allen Arten von Verhandlungen nieder, und der Klimawandel bildet da keine Ausnahme. Der andere Faktor ist wahrscheinlich spezifischer für den Klimawandel, und das ist das Vertrauen”.
Das fehlende Vertrauen zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden, beispielsweise bedingt durch zu langsame Fortschritte bei der Klimafinanzierung, “hemmt wirklich den Fortschritt“, sagt Munir. Sowohl Munir als auch sein niederländischer Kollege Harry Vreuls, Vorsitzender des SBSTA, versuchen, dieses Vertrauensdefizit zu überwinden. Munir räumt ein, dass “noch eine Menge Arbeit zu tun ist”.
Der pakistanische Diplomat hat in der Klimadiplomatie eine steile Lernkurve durchlaufen. Munir ist so etwas wie ein UNFCCC-Neuling. Während seiner siebenjährigen Tätigkeit bei der pakistanischen UN-Mission in New York hatte Munir Gelegenheit, sich mit Klimathemen zu befassen. Aber erst 2019, als er nach Islamabad versetzt wurde, wuchs sein Klimaengagement. “Glasgow war meine erste COP”, sagte er.
Munir mag ein Neuling im UNFCCC/COP-Prozess sein, aber er ist kein Anfänger. “In Glasgow war ich der pakistanische Delegationsleiter, im nächsten Jahr leitete ich die Gruppe der G-77 und China, da Pakistan den rotierenden Vorsitz innehatte, und dann wurde ich Vorsitzender des SBI”. Neben seinen klimabezogenen Aufgaben ist er auch Pakistans Botschafter in Korea.
Zu sehen, wie die lautstarke Forderung nach einem Fonds für Verluste und Schäden, die in Glasgow ihren Anfang genommen hatte, auf der COP28 in Dubai Realität wurde, ist für Munir ein Höhepunkt. “Von einem Parteidelegierten, der die Forderung erhebt, über den Einsatz für den Fonds als G77-Vorsitzender bis hin zur Überwachung seiner Einrichtung als SBI-Vorsitzender – das war eine befriedigende Erfahrung.” Wie hat sich also Munirs Sichtweise verändert, während er von der Führung der pakistanischen Delegation über den Vorsitz der G77-China zum obersten Schiedsrichter und Schlichter der SBI wurde? Der Fokus erweitert sich, und es gibt mehr Perspektiven zu berücksichtigen, so Munir.
Während sich die Bonner Treffen dem Ende zuneigen und die Verhandlungsführer sich auf monatelange harte Arbeit vorbereiten, die im November in Baku ihren Höhepunkt finden wird, sagte Munir: “Es geht nicht nur um den Norden oder den Süden, jeder muss Dinge tun, die über seine Wohlfühlzone hinausgehen. Das ist genau das, was ich den Menschen auf beiden Seiten der Kluft sage: Ihr müsst verstehen, dass Klimaschutz in unser aller Interesse ist, dass wir zusammenarbeiten, denn nur gemeinsames Handeln wird wirklich etwas bewirken können”. Urmi Goswami