beim Climate.Table suchen wir immer halbwegs verzweifelt nach guten oder wenigstens nicht ganz so schlechten Nachrichten. Für diese hier machen wir gleich unseren Spezialbericht, einen Alert: Das neue Klimaziel der EU von minus 90 Prozent bis 2040. Und, ja: Das Ziel könnte und müsste wohl viel ehrgeiziger sein, es ist bislang nur der Vorschlag der Kommission und es fehlen noch die konkreten Gesetze und Maßnahmen.
Der Vorschlag zeigt, dass und wie Klimapolitik in Europa funktioniert. Einerseits mit weniger Mut als früher und als nötig. Aber auch in Zeiten von Inflation, globalen Konflikten und trotz der populistischen Stimmung vor den Europawahlen zeigt die EU, dass sie weiter in Richtung Dekarbonisierung gehen will. Dieses grundsätzliche Signal an die EU-Hauptstädte, an die Wirtschaft für klare Leitplanken und an die internationale Gemeinschaft ist nicht laut, aber deutlich. Wie gerupft die Klimapolitik aus den Wahlen und der neuen Kommission hervorgehen wird, werden wir genau im Auge behalten.
Schon jetzt schauen wir genau hin: Lukas Scheid schreibt über Details und Bedeutung des Kommissionsvorschlags. Manuel Berkel hat recherchiert, welche Rolle E-Fuels und CCS spielen sollen. Und er schreibt auch über ein bislang gern verschwiegenes Problem: Wie die geplante Erweiterung der EU eben diese Klimaziele für 2040 in Gefahr bringt.
Schließlich blicken wir auch noch auf das wichtigste Land in der EU-Klimapolitik, ohne das die europäischen Ziele nicht machbar sind: Deutschland muss sich nach der qualvollen Einigung beim Bundeshaushalt nun darüber verständigen, wie Energiewende und Klimaschutz langfristig zu finanzieren sind. Das fordern mit eigenen Ideen die Experten des Thinktanks Agora Energiewende im heutigen Standpunkt.
Wie immer wünschen wir viel Spaß und Erkenntnisse beim Lesen!
Die Umsetzung der europäischen Klimagesetze hat gerade erst begonnen – da kommt jetzt schon der Vorschlag der EU-Kommission für ein neues Klimaziel für 2040. Wie wirksam das Fit-for-55-Paket zur Erreichung der 2030er-Klimaziele wirklich ist, wird sich noch zeigen. Und trotzdem muss die Kommission bereits ein Jahrzehnt weiterdenken und das 2040-Ziel vorgeben. Dazu ist sie laut EU-Klimagesetz verpflichtet.
Von einigen Europaabgeordneten kommt allerdings die Kritik, man dürfe Industrie und Menschen keinen weiteren “Zwang und Verbote” aufdrücken, wie CDU/CSU-Gruppenchef Daniel Caspary das EU-Klimaziel 2040 kommentierte. Aber auch seine Partei hat für das Klimagesetz gestimmt, das die Kommission verpflichtete, ein Klimaziel für 2040 vorzustellen – kurz nach dem Global Stocktake, das im Dezember bei der COP28 in Dubai abgeschlossen wurde.
Die Kommission hat also keine Wahl. Doch kurz vor den Europawahlen schwindet offenbar die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen. Das zeigt sich nicht zuletzt auch durch die Forderungen der EVP nach weniger Regulierung im Umweltbereich. Die Versuchung ist groß, sich im Wahlkampf und unter dem Druck protestierender Bauern gegen weitere Maßnahmen zu stellen.
Dabei liegt der jetzige Vorschlag am unteren Ende der Empfehlung des EU-Klimabeirats, der der Kommission ein Ziel von 90 bis 95 Prozent vorgeschlagen hat. Das sorgt vor allem bei grünen Abgeordneten für Kritik. “Nicht sonderlich mutig”, nennt es Michael Bloss. Er kritisiert insbesondere, dass CCS auch zur Vermeidung von Emissionen fossiler Energieträger zum Einsatz kommen soll, anstatt nur in den schwer dekarbonisierbaren Industriesektoren.
Die Kommission verteidigt diese Pläne mit unvermeidbaren Restemissionen aus der Verbrennung von Öl in der Schifffahrt und Gas für Heiz- und Industriezwecke. Das eindeutige Ziel, das die EU noch bei der COP28 verfolgt hat, die Verbrennung Fossiler schnellstmöglich zu beenden, findet sich in dem nun vorgelegten Vorschlag also nur bedingt wieder. Etwa zehn Prozent der abgeschiedenen Emissionen sollen 2040 und sogar auch noch 2050 aus der Verbrennung Fossiler kommen, wenn man der Industrial Carbon Management Strategie der Kommission folgt.
Neben den bestehenden Instrumenten, mit denen die Kommission 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 erreichen will, sollen für das Klimaziel 2040 weitere dazu kommen. Darunter:
Allerdings hatte erst am Montag die Kommission Hilfen für die europäische Solarindustrie abgelehnt, die sich vor billigen Importen aus China fürchtet. Die Linie der Kommission zeigt also auch Widersprüche.
Darauf weist auch die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch hin. Einerseits lobte sie, dass die Kommission den bisherigen Rechtsrahmen der EU-Klimapolitik weiterführen wolle. Auch zeige der Anspruch, den grünen Umbau sozialverträglich zu gestalten, dass man in Brüssel verstanden habe, dass “für eine Erfolgsgeschichte Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammen gedacht werden müssen”, hieß es.
Lutz Weischer, Leiter des Berliner Germanwatch Büros, kritisiert “diesen konservativen Vorschlag” als “nur das absolute Minimum dessen, was nötig ist”. Auch fehle ein Enddatum für fossile Brennstoffe, das zeigen würde, “dass die EU die wegweisenden Beschlüsse des Weltklimagipfels von Dubai ernst nimmt.” Enttäuschend ambitionslos seien auch die Pläne für das internationale Engagement in der Klimapolitik.
Die Landwirtschaft könne ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, heißt es zwar von der Kommission. Konkreter wird sie allerdings nicht. In einer vorherigen Version des Vorschlags war der Agrarsektor noch deutlich stärker in die Pflicht genommen worden und als einer der Schlüsselsektoren zur CO₂-Reduzierung bezeichnet worden. Im finalen Vorschlag ist davon keine Rede mehr. “Auf Druck der Industrie und der Lobbygruppen, die nicht die gesamte Landwirtschaft vertreten, hat die Kommission die Landwirtschaft aus dem Spiel gelassen”, klagt die Brüsseler Umwelt-NGO European Environmental Bureau (EEB).
Das 90-Prozent-Ziel selbst ist nur eine minimale Ambitionserhöhung. Mit der Fortsetzung der Maßnahmen des Fit-for-55-Pakets für 2030 würde Europa gemäß Kommissionsprognosen bereits eine Emissionsreduktion von 88 Prozent im Jahr 2040 erreichen. Ob die EU damit ihre Rolle als globaler Klimavorreiter behält, ist unklar.
Da es sich bei dem Vorschlag nicht um einen legislativen Vorschlag handelt, beginnt die Debatte nun eher auf informeller Ebene. Parlament und Mitgliedstaaten müssen keine eigenen Positionen erarbeiten, könnten sich aber trotzdem positionieren und tun dies auch bereits. Das entsprechende Gesetzespaket wird frühestens für Anfang 2025 erwartet – also zur Amtszeit der nächsten EU-Kommission. Ein Wahlkampfthema für die Europawahl im Juni ist damit gesetzt.
Als Fixstern, an dem sich alle Klimagesetze orientieren, hat der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss die Mitteilung der EU-Kommission zum Klimaziel 2040 bezeichnet. Handfeste Gesetzentwürfe zu einzelnen Wirtschaftsbereichen werden zwar noch auf sich warten lassen, etwa die Erhöhung der Wind-, Solar- und Wasserstoffziele in der Erneuerbaren-Richtlinie. Doch welche Folgen eine Dekarbonisierung um 90 statt 55 Prozent für welche Sektoren hat, lässt sich aus dem am Dienstag vorgelegten Gesamtpaket schon gut ableiten.
Da ist etwa die umfangreiche Folgenabschätzung zum Vorschlag der Kommission. Ein Ziel von minus 90 Prozent Treibhausgasen liegt genau zwischen den Szenarien zwei und drei aus dem hunderte Seiten umfassenden Impact Assessment.
Deren Unterschiede liegen vor allem im stärkeren Gebrauch von synthetischen Kraft- und Brennstoffen (E-Fuels) und der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS). Zum Carbon Management hat die Kommission am Dienstag auch eine eigene Strategie veröffentlicht, die vor allem für Industrie und Landwirtschaft Bedeutung hat – und nicht zuletzt für die bevorstehende Strategie der Bundesregierung zum gleichen Thema.
Bis 2030 müssen 7.300 Kilometer an CO₂-Transportleitungen und Schiffsrouten eingerichtet werden, wie aus dem EU-Papier hervorgeht. Bis 2050 soll das Netz auf 19.000 Kilometer anwachsen. Dafür hält die Kommission 16 Milliarden Euro an Investitionen für nötig. Eine ausführliche Darstellung eines möglichen CO₂-Transportnetzes enthält eine ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Analyse des Joint Research Centre (JRC) der EU. In keinem Szenario sind darin CO₂-Speicher auf dem deutschen Festland nötig.
Ziel der Kommission ist ein europäischer Markt für Kohlendioxid. Besonders interessant für die vielen kleineren Industriebetriebe in Deutschland dürfte sein, dass die Kommission spezielle Lösungen für Anlagen abseits der industriellen Ballungsgebiete entwickeln will, um deren “Verhandlungsmacht gegenüber den Infrastrukturbetreibern zu stärken”, sodass auch sie an das Netz angeschlossen werden.
Schon 2024 will die Kommission mit den Arbeiten an mehreren Gesetzen beginnen: einem eigenen Regulierungspaket ähnlich dem Gasbinnenmarktpaket und einer Grundlage für die Netzplanung. Wenn möglich sollen auch vorhandene Gasleitungen und Speicher umgebaut werden – wobei grüne Gase wie Wasserstoff ausdrücklich Vorrang haben.
Ähnlich wie für Wasserstoff und Erdgas soll es bis Anfang 2026 außerdem eine neue Plattform geben, um Anbieter, Nutzer und Speicherbetreiber im künftigen CO₂-Markt zusammenzubringen. Gleichzeitig soll ein Investitionsatlas für Speicherprojekte vorliegen. Schon vor 2030 sollen die ersten Speicherkapazitäten verfügbar sein. Schon bis Juni dieses Jahres müssen die EU-Staaten eine Übersicht über Speichermöglichkeiten in ihren Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECPs) vorlegen.
Die Kosten für die CO₂-Abscheidung schwanken nach einer Analyse der Kommission erheblich – pro Tonne sollen sie 13 bis 103 Euro betragen – ohne Transport und Speicherung. Der Preis für CO₂-Futures im Jahr 2030 liegt derzeit etwa bei 77 Euro, sodass sich ein Großteil der Projekte bereits rechnen könnte. Ab dem kommenden Jahrzehnt könne so ein Markt für Carbon Management mit einem Volumen von 45 bis 100 Milliarden Euro entstehen. Als Konsequenz will die Kommission im kommenden Jahr prüfen, ob die bisher übliche Projektförderung etwa für Zementhersteller durch eine marktbasierte Förderung abgelöst werden kann.
Eine Rolle spielen soll CCS auch im Energiesektor. Wie sich in Entwürfen bereits abgezeichnet hatte, hat die Kommission nicht mehr den Ehrgeiz, die Stromversorgung bis 2040 komplett frei von Erdgas zu machen. Stattdessen rechnet sie nur noch damit, dass Erneuerbare und Kernenergie gut 90 Prozent des Stroms erzeugen: “Die verbleibenden zehn Prozent werden durch negative Emissionen kompensiert oder mit kohlenstoffarmen Lösungen, einschließlich der Nutzung von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, ausgestattet.”
Noch vor einigen Jahren galt CCS für Gas- oder gar Kohlekraftwerke als politisch tot. Inzwischen hält sich sogar die Ampel diese Hintertür in ihrer Kraftwerksstrategie offen und hat die Entscheidung über diese Technologie auf ihre eigene Carbon-Management-Strategie vertagt.
Fahrt aufnehmen wird laut EU-Kommission die Elektromobilität. Bis 2040 werden Verbrenner nur noch 26 Prozent des Pkw-Bestands ausmachen, wie aus der Folgenabschätzung hervorgeht. Zehn Jahre später sollen es gar nur noch Restbestände von zwei Prozent sein. Entsprechend wird der Anteil von batterieelektrischen Autos 2040 bei 57 Prozent liegen, 2050 bei 79 Prozent.
Überraschenderweise könnten sich Hybridautos länger halten als gedacht, für 2040 rechnet die Kommission mit einem Anteil von elf Prozent am Bestand: “Dies deutet darauf hin, dass diese Technologie eine wichtige Rolle bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen spielen wird. Im Jahr 2050 wird der Anteil der Plug-in-Hybride jedoch auf fünf Prozent sinken.”
Welche Rolle E-Fuels und Biokraftstoffe für die stark abnehmende Zahl von Verbrenner-Pkw spielen werden, geht aus der Folgenabschätzung nicht eindeutig hervor. Zwar soll der Verbrauch von E-Fuels gerade in den Klimapfaden mit hoher CO₂-Reduktion steil ansteigen. Allerdings fließt ein Großteil davon in den Schiffs- und Flugverkehr und in die Tanks von Lkw.
Für Pkw hat die Kommission am Dienstag keine genauen Zahlen veröffentlicht. Abschätzen lassen sie sich aber aus einem Balkendiagramm (Figure 68). Gut zehn Prozent des Energieverbrauchs von Pkw werden demnach 2040 durch E-Fuels gedeckt. Bis 2050 sinkt der Anteil aber deutlich, den Löwenanteil machen dann Strom für E-Autos und Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge aus.
Beim künftigen Klimaziel der EU konnten wichtige Teile von Europas Öffentlichkeit bisher nicht mitreden. Zehn Länder im Osten und Südosten des Kontinents möchten der EU27 beitreten und zumindest die Länder des Westbalkans haben gute Chancen, dieses Ereignis in den 2030ern feiern zu können. Doch indirekt räumt die Kommission selbst ein, dass sie die Bewerberländer nicht am wichtigsten Vorhaben ihrer künftigen Klimapolitik beteiligt hat.
Ein Kommissionsbeamter verwies jüngst auf die öffentliche Konsultation, welche die Behörde im vergangenen Jahr durchgeführt hat: “Von den Beitrittskandidaten sind keine Positionspapiere eingegangen.” Auch in den Treffen mit Interessengruppen sei die Frage der Erweiterung nicht angesprochen worden. Damit weicht die Kommission der Frage allerdings aus.
An den Konsultationen der Kommission beteiligen sich für gewöhnlich Bürger der Mitgliedstaaten, Wissenschaftler und vor allem NGOs und Wirtschaftsverbände. Sie sind nicht das Format für Regierungsverhandlungen.
“Die EU verschließt trotz einiger Bemühungen im Detail die Augen vor dem Big Picture”, beklagt Eleonora Allena vom Climate Action Network (CAN Europe). “Sie verpasst die Chance, den Westbalkan in die Festlegung der Klimaziele für 2040 einzubeziehen.” Sogar in einem schon eingeübten Format für die Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn wurden die Ziele bisher nicht verhandelt.
“Die Kommission und die Mitgliedsstaaten hätten auch damit beginnen können, die Beitrittsländer im Rahmen der Energy Community zu konsultieren – so wie bei den Zielen für 2030″, sagt Jörg Mühlenhoff von der Böll-Stiftung. Leider sei auch dieser Schritt noch nicht erfolgt.
Die Energy Community soll den Nachbarn der Europäischen Union dabei helfen, ihre Energie- und Klimagesetze zu übernehmen. Alle EU-Bewerberländer sind dort Vertragsparteien – bis auf die Türkei, die Beobachterstatus hat. Die Energy Community erklärt die ausgebliebene Beteiligung am Klima-Rahmen für 2040 mit dem aktuellen Fit-for-55-Paket für 2030: “Unser Hauptaugenmerk liegt derzeit auf der praktischen Umsetzung dieses Ziels.”
Auf dem Papier wollen die Vertragsparteien ihre Emissionen bis 2030 sogar stärker mindern als die EU – nach Angaben der Energy Community um 60,9 Prozent. “Unsere Analyse hat aber gezeigt, dass die Westbalkanstaaten weit davon entfernt sind, auch nur ihre Ziele für 2030 zu erreichen”, sagt Allena.
Schon im vergangenen Juni hatte Climate Action Network gefordert, dass die Erweiterung bei der Festlegung des Klimaziels berücksichtigt werden müsse. Zum gemeinsamen Problem wird mit dem Beitritt der hohe Anteil an fossiler Energie in vielen künftigen EU-Staaten.
“Ihre starke Abhängigkeit von Kohlekraftwerken könnte es besonders Serbien sowie Bosnien und Herzegowina schwer machen, ihre Emissionen bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren”, sagt Mühlenhoff. Noch um ein Vielfaches größer als auf dem Westbalkan ist der Kohleverbrauch nach Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) in der Ukraine und vor allem in der Türkei. Träten alle zehn Bewerberländer der EU bei, würde der Kohleverbrauch der Staatengemeinschaft nach dem Stand von 2021 um rund 46 Prozent steigen.
Falls diese Länder ihre Energieversorgung nicht auf die EU-Ziele ausrichten, drohen ihnen bei einem Beitritt hohe Kosten durch den Emissionshandel. Für die Kommission und die EU-Staaten bedeutet dies, dass sie die Bewerberländer besser unterstützen müssen – materiell und auch personell.
“Die moldawischen Behörden profitieren bereits von der schrittweise zunehmenden EU-Unterstützung in der Energie- und Klimagesetzgebung”, erklärt ein Sprecher der Delegation von Moldau in Brüssel. “Sie zählen aber bei der Umsetzung auf zusätzliche technische und fachliche Hilfe der EU.” Eine Überforderung der Regierungsapparate in den Westbalkanstaaten sieht auch Lea Fanku, Mitarbeiterin der albanischen Delegation in einem Gastbeitrag für das European Council on Foreign Relations.
Finanziell halten NGOs den üblichen Topf für Beitrittskandidaten – das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) – nicht für ausreichend. Das Thema müsse bei den Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen berücksichtigt werden, sagt Allena. Schon jetzt könne die EU den Just Transition Fund, die Aufbau- und Resilienzfazilität sowie REPowerEU für die Bewerber öffnen, heißt es bei der Böll-Stiftung.
“Es ist wichtig, jetzt zu handeln, denn es könnte zu einer Gegenreaktion der nationalen Regierungen kommen”, warnt Mühlenhoff. “Einzelne Bewerberländer könnten an ihren fossilen Energieunternehmen festhalten, möglicherweise unterstützt von Energiekonzernen aus China und Russland.”
Bisher hat die Kommission aber auch ihre Gründe, warum sie die Finanzhilfen nicht noch stärker ausweitet. Die jüngsten Zusagen aus dem neuen Wachstumsplan für den Westbalkan seien stärker als bislang von Fortschritten bei der Rechtsstaatlichkeit abhängig, schreibt Fanku.
Gerade die großen EU-Bewerberländer haben jüngst allerdings zukunftsweisende Schritte angekündigt. Die Türkei will 2026 einen Emissionshandel einführen, berichtet Germany Trade & Invest. Ende Januar hat die ukrainische Regierung eine Pilotphase ihres Zertifikatehandels schon für 2025 zugesagt. Selbst während des Krieges könne man die Industrie in die Lage versetzen, zu verstehen, wie dieser Markt funktioniert, sagte der ukrainische Umweltminister Ruslan Strilets.
Nach Wochen der hitzigen Debatten und Proteste hat der Bundestag in seiner Sitzung am vergangenen Freitag Klarheit über den Haushalt 2024 geschaffen. Doch eine Antwort, wie die dringend benötigten Investitionen in die Klimapolitik trotz der teils substanziellen Kürzungen in vielen Bereichen – von der Landwirtschaft über die Investitionen in Zukunftstechnologien bis zur Förderung bei der Gebäudesanierung – sichergestellt werden können, bleibt die Regierung schuldig.
Hinzu kommt, dass die wochenlange Debatte um Kürzungen gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimaschutz gekostet hat und Gelegenheiten für eine Instrumentalisierung durch rechtsradikale Kräfte bot. Umso wichtiger ist nun, für die nächsten Haushaltsjahre nachhaltige Lösungen auf den Tisch zu legen. Zwei Dinge sind hierfür zentral:
Schon bevor sich infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils am 15. November vergangenen Jahres der Umfang des Klima- und Transformationsfonds schlagartig um 60 Milliarden Euro reduzierte, war klar, dass es ausgewogenere Instrumente in der Klimapolitik braucht. Der Expertenrat für Klimafragen hat wiederholt kritisiert, dass sich die Klimapolitik der Bundesregierung zu stark auf die Vergabe von Fördermitteln konzentriert. Diese wurden zudem in den letzten Jahren wenig zielgerichtet mit der Gießkanne verteilt. Kurzfristig sollte die Förderung insbesondere im Gebäudebereich noch stärker am Bedarf ausgerichtet werden.
Außerdem kann für bestimmte Fälle die Umstellung der Förderung von einer Pauschale auf einen zinsgünstigen Kredit sinnvoll sein. Das macht den Kauf einer klimaneutralen Heizung bzw. die energetische Sanierung erschwinglich und entlastet gleichzeitig den Staatshaushalt. Im Verkehrsbereich kann eine Reform der Kfz-Steuer, die Anreize zum Kauf klimafreundlicher Fahrzeuge setzt, ein sinnvoller Ersatz für die entfallenden Umweltboni sein.
Die Rückkehr zum ursprünglich geplanten CO₂-Preispfad für den Gebäude- und Verkehrsbereich ist zwar ein Schritt in Richtung einer ausgewogeneren Klimapolitik, die auch marktwirtschaftliche Instrumente nutzt. Jedoch ist die zusätzliche Erhöhung um fünf Euro/t CO₂ – das entspricht 1,4 Cent pro Liter Benzin und damit weniger als ein Prozent des Spritpreises – zu niedrig, um Lenkungswirkung zu entfalten. Zugleich sollte dieses Geld nicht zum Stopfen des Haushaltsloches genutzt werden. Stattdessen sollte es an die Bevölkerung zurückgegeben werden, damit sich auch Bürgerinnen und Bürger mit geringerem Einkommen den Umstieg auf klimaneutrale Alternativen leisten können.
Auch nach einer Neujustierung der Instrumente werden zusätzliche Einnahmen benötigt, um die Klimaziele zu erreichen. Für die langfristige Wohlstandssicherung gilt es daher, ein zweites fiskalisches Problem zu lösen: Durch die zunehmende Digitalisierung, den demografischen Wandel und die Transformation zur Klimaneutralität verändern sich die klassischen Einnahmequellen der Staatskasse. Zum Beispiel fällt die Mineralölsteuer weg, wenn kein Öl mehr verkauft wird. Mit fallenden Emissionen schwinden CO₂-Einnahmen. Und wenn mehr Wertschöpfung von weniger Menschen erwirtschaftet wird, wirkt sich das auch auf das Aufkommen der Einkommenssteuer aus.
Diese Herausforderungen betreffen die gesamte Steuer- und Fiskalpolitik. Doch die Klima- und Energiepolitik bietet auch hier Lösungsansätze: Eine europaweit erhobene Abgabe entsprechend dem Ressourcenverbrauch könnte die Transformation der bestehenden und den Aufbau von zukunftsträchtigen Industrien finanzieren. Konkret würde das bedeuten, dass beispielsweise für neu produzierten Stahl eine neue Abgabe anfallen würden, die bei der Verwendung von Recycling-Stahl geringer ausfällt oder gar nicht erhoben wird. Die damit verbundenen Einnahmen bestehen langfristig fort, auch dann, wenn die Klimatransformation abgeschlossen ist. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass die Plastikabgabe 2024 nun doch wieder aus dem Haushalt finanziert werden soll – die Erhebung der Abgabe bei Kund:innen wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen.
Deutschland hat einen großen Rückstand bei Investitionen angehäuft. Auch für die Erreichung der Klimaziele stehen erhebliche Investitionen an. Der Staat hat dabei eine zentrale Rolle, um auch privates Kapital zu mobilisieren. Dies findet unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht ausreichend statt.
Um die Finanzierungslücke strukturell zu schließen, braucht es eine Modernisierung der Schuldenregel im Grundgesetz. Die Energiewende ist ein groß angelegtes Investitionsprojekt. Sie ersetzt, einfach gesagt, die laufenden Kosten für fossile Rohstoffe wie Erdgas, Kohle und Erdöl durch Investitionen – beispielsweise in Wind- und Solaranlagen. Ein Teil dieser Investitionen kann der Staat schon heute ohne Anrechnung auf die Schuldenbremse ermöglichen, wie es etwa jetzt über die Deutsche Bahn in Form einer Eigenkapitalerhöhung geplant ist. Dieser Weg wird aber nicht ausreichen. Die Einrichtung eines Sondervermögens, wie für die Bundeswehr, löst das Problem ebenfalls nicht nachhaltig. Denn ein starres Budget ist ungeeignet, um auf technologische und soziale Veränderungen einzugehen. Ist der Topf zu groß, gibt es keine Priorisierung. Ist er zu klein, stehen wir in einigen Jahren vor einem ähnlichen Problem.
Schon immer war die Kreditaufnahme des Staates grundgesetzlich beschränkt, was dem Schutz zukünftiger Generationen dienen soll – allerdings mit der wichtigen Unterscheidung zwischen investiven und konsumtiven Zwecken. Erst in ihrer Fassung seit 2009 wirkt die Schuldenbremse absolut und damit hoch restriktiv: Sie verhindert Investitionen, selbst wenn diese mittel- bis langfristig den Wohlstand sichern.
Übertragen auf das beliebte Vergleichsbild des schwäbischen Haushalts bedeutet das: Das Häusle muss auf einen Schlag bezahlt werden, da Immobilienkredite grundsätzlich verboten wären. Damit führt die Schuldenbremse zu einem Investitionsstau, gefährdet den nachhaltigen Wirtschaftsstandort Deutschland und verlangsamt die Transformation zur Klimaneutralität. Doch die schnelle Herstellung der Klimaneutralität, so hat es das Bundesverfassungsgericht 2021 unmissverständlich klargestellt – hat Verfassungsrang; ebenso zum Schutz der Freiheit und des Wohlstands künftiger Generationen.
Simon Müller ist Direktor von Agora Energiewende Deutschland. Lea Nesselhauf ist Juristin bei Agora Energiewende.
beim Climate.Table suchen wir immer halbwegs verzweifelt nach guten oder wenigstens nicht ganz so schlechten Nachrichten. Für diese hier machen wir gleich unseren Spezialbericht, einen Alert: Das neue Klimaziel der EU von minus 90 Prozent bis 2040. Und, ja: Das Ziel könnte und müsste wohl viel ehrgeiziger sein, es ist bislang nur der Vorschlag der Kommission und es fehlen noch die konkreten Gesetze und Maßnahmen.
Der Vorschlag zeigt, dass und wie Klimapolitik in Europa funktioniert. Einerseits mit weniger Mut als früher und als nötig. Aber auch in Zeiten von Inflation, globalen Konflikten und trotz der populistischen Stimmung vor den Europawahlen zeigt die EU, dass sie weiter in Richtung Dekarbonisierung gehen will. Dieses grundsätzliche Signal an die EU-Hauptstädte, an die Wirtschaft für klare Leitplanken und an die internationale Gemeinschaft ist nicht laut, aber deutlich. Wie gerupft die Klimapolitik aus den Wahlen und der neuen Kommission hervorgehen wird, werden wir genau im Auge behalten.
Schon jetzt schauen wir genau hin: Lukas Scheid schreibt über Details und Bedeutung des Kommissionsvorschlags. Manuel Berkel hat recherchiert, welche Rolle E-Fuels und CCS spielen sollen. Und er schreibt auch über ein bislang gern verschwiegenes Problem: Wie die geplante Erweiterung der EU eben diese Klimaziele für 2040 in Gefahr bringt.
Schließlich blicken wir auch noch auf das wichtigste Land in der EU-Klimapolitik, ohne das die europäischen Ziele nicht machbar sind: Deutschland muss sich nach der qualvollen Einigung beim Bundeshaushalt nun darüber verständigen, wie Energiewende und Klimaschutz langfristig zu finanzieren sind. Das fordern mit eigenen Ideen die Experten des Thinktanks Agora Energiewende im heutigen Standpunkt.
Wie immer wünschen wir viel Spaß und Erkenntnisse beim Lesen!
Die Umsetzung der europäischen Klimagesetze hat gerade erst begonnen – da kommt jetzt schon der Vorschlag der EU-Kommission für ein neues Klimaziel für 2040. Wie wirksam das Fit-for-55-Paket zur Erreichung der 2030er-Klimaziele wirklich ist, wird sich noch zeigen. Und trotzdem muss die Kommission bereits ein Jahrzehnt weiterdenken und das 2040-Ziel vorgeben. Dazu ist sie laut EU-Klimagesetz verpflichtet.
Von einigen Europaabgeordneten kommt allerdings die Kritik, man dürfe Industrie und Menschen keinen weiteren “Zwang und Verbote” aufdrücken, wie CDU/CSU-Gruppenchef Daniel Caspary das EU-Klimaziel 2040 kommentierte. Aber auch seine Partei hat für das Klimagesetz gestimmt, das die Kommission verpflichtete, ein Klimaziel für 2040 vorzustellen – kurz nach dem Global Stocktake, das im Dezember bei der COP28 in Dubai abgeschlossen wurde.
Die Kommission hat also keine Wahl. Doch kurz vor den Europawahlen schwindet offenbar die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen. Das zeigt sich nicht zuletzt auch durch die Forderungen der EVP nach weniger Regulierung im Umweltbereich. Die Versuchung ist groß, sich im Wahlkampf und unter dem Druck protestierender Bauern gegen weitere Maßnahmen zu stellen.
Dabei liegt der jetzige Vorschlag am unteren Ende der Empfehlung des EU-Klimabeirats, der der Kommission ein Ziel von 90 bis 95 Prozent vorgeschlagen hat. Das sorgt vor allem bei grünen Abgeordneten für Kritik. “Nicht sonderlich mutig”, nennt es Michael Bloss. Er kritisiert insbesondere, dass CCS auch zur Vermeidung von Emissionen fossiler Energieträger zum Einsatz kommen soll, anstatt nur in den schwer dekarbonisierbaren Industriesektoren.
Die Kommission verteidigt diese Pläne mit unvermeidbaren Restemissionen aus der Verbrennung von Öl in der Schifffahrt und Gas für Heiz- und Industriezwecke. Das eindeutige Ziel, das die EU noch bei der COP28 verfolgt hat, die Verbrennung Fossiler schnellstmöglich zu beenden, findet sich in dem nun vorgelegten Vorschlag also nur bedingt wieder. Etwa zehn Prozent der abgeschiedenen Emissionen sollen 2040 und sogar auch noch 2050 aus der Verbrennung Fossiler kommen, wenn man der Industrial Carbon Management Strategie der Kommission folgt.
Neben den bestehenden Instrumenten, mit denen die Kommission 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 erreichen will, sollen für das Klimaziel 2040 weitere dazu kommen. Darunter:
Allerdings hatte erst am Montag die Kommission Hilfen für die europäische Solarindustrie abgelehnt, die sich vor billigen Importen aus China fürchtet. Die Linie der Kommission zeigt also auch Widersprüche.
Darauf weist auch die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch hin. Einerseits lobte sie, dass die Kommission den bisherigen Rechtsrahmen der EU-Klimapolitik weiterführen wolle. Auch zeige der Anspruch, den grünen Umbau sozialverträglich zu gestalten, dass man in Brüssel verstanden habe, dass “für eine Erfolgsgeschichte Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammen gedacht werden müssen”, hieß es.
Lutz Weischer, Leiter des Berliner Germanwatch Büros, kritisiert “diesen konservativen Vorschlag” als “nur das absolute Minimum dessen, was nötig ist”. Auch fehle ein Enddatum für fossile Brennstoffe, das zeigen würde, “dass die EU die wegweisenden Beschlüsse des Weltklimagipfels von Dubai ernst nimmt.” Enttäuschend ambitionslos seien auch die Pläne für das internationale Engagement in der Klimapolitik.
Die Landwirtschaft könne ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, heißt es zwar von der Kommission. Konkreter wird sie allerdings nicht. In einer vorherigen Version des Vorschlags war der Agrarsektor noch deutlich stärker in die Pflicht genommen worden und als einer der Schlüsselsektoren zur CO₂-Reduzierung bezeichnet worden. Im finalen Vorschlag ist davon keine Rede mehr. “Auf Druck der Industrie und der Lobbygruppen, die nicht die gesamte Landwirtschaft vertreten, hat die Kommission die Landwirtschaft aus dem Spiel gelassen”, klagt die Brüsseler Umwelt-NGO European Environmental Bureau (EEB).
Das 90-Prozent-Ziel selbst ist nur eine minimale Ambitionserhöhung. Mit der Fortsetzung der Maßnahmen des Fit-for-55-Pakets für 2030 würde Europa gemäß Kommissionsprognosen bereits eine Emissionsreduktion von 88 Prozent im Jahr 2040 erreichen. Ob die EU damit ihre Rolle als globaler Klimavorreiter behält, ist unklar.
Da es sich bei dem Vorschlag nicht um einen legislativen Vorschlag handelt, beginnt die Debatte nun eher auf informeller Ebene. Parlament und Mitgliedstaaten müssen keine eigenen Positionen erarbeiten, könnten sich aber trotzdem positionieren und tun dies auch bereits. Das entsprechende Gesetzespaket wird frühestens für Anfang 2025 erwartet – also zur Amtszeit der nächsten EU-Kommission. Ein Wahlkampfthema für die Europawahl im Juni ist damit gesetzt.
Als Fixstern, an dem sich alle Klimagesetze orientieren, hat der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss die Mitteilung der EU-Kommission zum Klimaziel 2040 bezeichnet. Handfeste Gesetzentwürfe zu einzelnen Wirtschaftsbereichen werden zwar noch auf sich warten lassen, etwa die Erhöhung der Wind-, Solar- und Wasserstoffziele in der Erneuerbaren-Richtlinie. Doch welche Folgen eine Dekarbonisierung um 90 statt 55 Prozent für welche Sektoren hat, lässt sich aus dem am Dienstag vorgelegten Gesamtpaket schon gut ableiten.
Da ist etwa die umfangreiche Folgenabschätzung zum Vorschlag der Kommission. Ein Ziel von minus 90 Prozent Treibhausgasen liegt genau zwischen den Szenarien zwei und drei aus dem hunderte Seiten umfassenden Impact Assessment.
Deren Unterschiede liegen vor allem im stärkeren Gebrauch von synthetischen Kraft- und Brennstoffen (E-Fuels) und der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS). Zum Carbon Management hat die Kommission am Dienstag auch eine eigene Strategie veröffentlicht, die vor allem für Industrie und Landwirtschaft Bedeutung hat – und nicht zuletzt für die bevorstehende Strategie der Bundesregierung zum gleichen Thema.
Bis 2030 müssen 7.300 Kilometer an CO₂-Transportleitungen und Schiffsrouten eingerichtet werden, wie aus dem EU-Papier hervorgeht. Bis 2050 soll das Netz auf 19.000 Kilometer anwachsen. Dafür hält die Kommission 16 Milliarden Euro an Investitionen für nötig. Eine ausführliche Darstellung eines möglichen CO₂-Transportnetzes enthält eine ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Analyse des Joint Research Centre (JRC) der EU. In keinem Szenario sind darin CO₂-Speicher auf dem deutschen Festland nötig.
Ziel der Kommission ist ein europäischer Markt für Kohlendioxid. Besonders interessant für die vielen kleineren Industriebetriebe in Deutschland dürfte sein, dass die Kommission spezielle Lösungen für Anlagen abseits der industriellen Ballungsgebiete entwickeln will, um deren “Verhandlungsmacht gegenüber den Infrastrukturbetreibern zu stärken”, sodass auch sie an das Netz angeschlossen werden.
Schon 2024 will die Kommission mit den Arbeiten an mehreren Gesetzen beginnen: einem eigenen Regulierungspaket ähnlich dem Gasbinnenmarktpaket und einer Grundlage für die Netzplanung. Wenn möglich sollen auch vorhandene Gasleitungen und Speicher umgebaut werden – wobei grüne Gase wie Wasserstoff ausdrücklich Vorrang haben.
Ähnlich wie für Wasserstoff und Erdgas soll es bis Anfang 2026 außerdem eine neue Plattform geben, um Anbieter, Nutzer und Speicherbetreiber im künftigen CO₂-Markt zusammenzubringen. Gleichzeitig soll ein Investitionsatlas für Speicherprojekte vorliegen. Schon vor 2030 sollen die ersten Speicherkapazitäten verfügbar sein. Schon bis Juni dieses Jahres müssen die EU-Staaten eine Übersicht über Speichermöglichkeiten in ihren Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECPs) vorlegen.
Die Kosten für die CO₂-Abscheidung schwanken nach einer Analyse der Kommission erheblich – pro Tonne sollen sie 13 bis 103 Euro betragen – ohne Transport und Speicherung. Der Preis für CO₂-Futures im Jahr 2030 liegt derzeit etwa bei 77 Euro, sodass sich ein Großteil der Projekte bereits rechnen könnte. Ab dem kommenden Jahrzehnt könne so ein Markt für Carbon Management mit einem Volumen von 45 bis 100 Milliarden Euro entstehen. Als Konsequenz will die Kommission im kommenden Jahr prüfen, ob die bisher übliche Projektförderung etwa für Zementhersteller durch eine marktbasierte Förderung abgelöst werden kann.
Eine Rolle spielen soll CCS auch im Energiesektor. Wie sich in Entwürfen bereits abgezeichnet hatte, hat die Kommission nicht mehr den Ehrgeiz, die Stromversorgung bis 2040 komplett frei von Erdgas zu machen. Stattdessen rechnet sie nur noch damit, dass Erneuerbare und Kernenergie gut 90 Prozent des Stroms erzeugen: “Die verbleibenden zehn Prozent werden durch negative Emissionen kompensiert oder mit kohlenstoffarmen Lösungen, einschließlich der Nutzung von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, ausgestattet.”
Noch vor einigen Jahren galt CCS für Gas- oder gar Kohlekraftwerke als politisch tot. Inzwischen hält sich sogar die Ampel diese Hintertür in ihrer Kraftwerksstrategie offen und hat die Entscheidung über diese Technologie auf ihre eigene Carbon-Management-Strategie vertagt.
Fahrt aufnehmen wird laut EU-Kommission die Elektromobilität. Bis 2040 werden Verbrenner nur noch 26 Prozent des Pkw-Bestands ausmachen, wie aus der Folgenabschätzung hervorgeht. Zehn Jahre später sollen es gar nur noch Restbestände von zwei Prozent sein. Entsprechend wird der Anteil von batterieelektrischen Autos 2040 bei 57 Prozent liegen, 2050 bei 79 Prozent.
Überraschenderweise könnten sich Hybridautos länger halten als gedacht, für 2040 rechnet die Kommission mit einem Anteil von elf Prozent am Bestand: “Dies deutet darauf hin, dass diese Technologie eine wichtige Rolle bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen spielen wird. Im Jahr 2050 wird der Anteil der Plug-in-Hybride jedoch auf fünf Prozent sinken.”
Welche Rolle E-Fuels und Biokraftstoffe für die stark abnehmende Zahl von Verbrenner-Pkw spielen werden, geht aus der Folgenabschätzung nicht eindeutig hervor. Zwar soll der Verbrauch von E-Fuels gerade in den Klimapfaden mit hoher CO₂-Reduktion steil ansteigen. Allerdings fließt ein Großteil davon in den Schiffs- und Flugverkehr und in die Tanks von Lkw.
Für Pkw hat die Kommission am Dienstag keine genauen Zahlen veröffentlicht. Abschätzen lassen sie sich aber aus einem Balkendiagramm (Figure 68). Gut zehn Prozent des Energieverbrauchs von Pkw werden demnach 2040 durch E-Fuels gedeckt. Bis 2050 sinkt der Anteil aber deutlich, den Löwenanteil machen dann Strom für E-Autos und Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge aus.
Beim künftigen Klimaziel der EU konnten wichtige Teile von Europas Öffentlichkeit bisher nicht mitreden. Zehn Länder im Osten und Südosten des Kontinents möchten der EU27 beitreten und zumindest die Länder des Westbalkans haben gute Chancen, dieses Ereignis in den 2030ern feiern zu können. Doch indirekt räumt die Kommission selbst ein, dass sie die Bewerberländer nicht am wichtigsten Vorhaben ihrer künftigen Klimapolitik beteiligt hat.
Ein Kommissionsbeamter verwies jüngst auf die öffentliche Konsultation, welche die Behörde im vergangenen Jahr durchgeführt hat: “Von den Beitrittskandidaten sind keine Positionspapiere eingegangen.” Auch in den Treffen mit Interessengruppen sei die Frage der Erweiterung nicht angesprochen worden. Damit weicht die Kommission der Frage allerdings aus.
An den Konsultationen der Kommission beteiligen sich für gewöhnlich Bürger der Mitgliedstaaten, Wissenschaftler und vor allem NGOs und Wirtschaftsverbände. Sie sind nicht das Format für Regierungsverhandlungen.
“Die EU verschließt trotz einiger Bemühungen im Detail die Augen vor dem Big Picture”, beklagt Eleonora Allena vom Climate Action Network (CAN Europe). “Sie verpasst die Chance, den Westbalkan in die Festlegung der Klimaziele für 2040 einzubeziehen.” Sogar in einem schon eingeübten Format für die Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn wurden die Ziele bisher nicht verhandelt.
“Die Kommission und die Mitgliedsstaaten hätten auch damit beginnen können, die Beitrittsländer im Rahmen der Energy Community zu konsultieren – so wie bei den Zielen für 2030″, sagt Jörg Mühlenhoff von der Böll-Stiftung. Leider sei auch dieser Schritt noch nicht erfolgt.
Die Energy Community soll den Nachbarn der Europäischen Union dabei helfen, ihre Energie- und Klimagesetze zu übernehmen. Alle EU-Bewerberländer sind dort Vertragsparteien – bis auf die Türkei, die Beobachterstatus hat. Die Energy Community erklärt die ausgebliebene Beteiligung am Klima-Rahmen für 2040 mit dem aktuellen Fit-for-55-Paket für 2030: “Unser Hauptaugenmerk liegt derzeit auf der praktischen Umsetzung dieses Ziels.”
Auf dem Papier wollen die Vertragsparteien ihre Emissionen bis 2030 sogar stärker mindern als die EU – nach Angaben der Energy Community um 60,9 Prozent. “Unsere Analyse hat aber gezeigt, dass die Westbalkanstaaten weit davon entfernt sind, auch nur ihre Ziele für 2030 zu erreichen”, sagt Allena.
Schon im vergangenen Juni hatte Climate Action Network gefordert, dass die Erweiterung bei der Festlegung des Klimaziels berücksichtigt werden müsse. Zum gemeinsamen Problem wird mit dem Beitritt der hohe Anteil an fossiler Energie in vielen künftigen EU-Staaten.
“Ihre starke Abhängigkeit von Kohlekraftwerken könnte es besonders Serbien sowie Bosnien und Herzegowina schwer machen, ihre Emissionen bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren”, sagt Mühlenhoff. Noch um ein Vielfaches größer als auf dem Westbalkan ist der Kohleverbrauch nach Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) in der Ukraine und vor allem in der Türkei. Träten alle zehn Bewerberländer der EU bei, würde der Kohleverbrauch der Staatengemeinschaft nach dem Stand von 2021 um rund 46 Prozent steigen.
Falls diese Länder ihre Energieversorgung nicht auf die EU-Ziele ausrichten, drohen ihnen bei einem Beitritt hohe Kosten durch den Emissionshandel. Für die Kommission und die EU-Staaten bedeutet dies, dass sie die Bewerberländer besser unterstützen müssen – materiell und auch personell.
“Die moldawischen Behörden profitieren bereits von der schrittweise zunehmenden EU-Unterstützung in der Energie- und Klimagesetzgebung”, erklärt ein Sprecher der Delegation von Moldau in Brüssel. “Sie zählen aber bei der Umsetzung auf zusätzliche technische und fachliche Hilfe der EU.” Eine Überforderung der Regierungsapparate in den Westbalkanstaaten sieht auch Lea Fanku, Mitarbeiterin der albanischen Delegation in einem Gastbeitrag für das European Council on Foreign Relations.
Finanziell halten NGOs den üblichen Topf für Beitrittskandidaten – das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) – nicht für ausreichend. Das Thema müsse bei den Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen berücksichtigt werden, sagt Allena. Schon jetzt könne die EU den Just Transition Fund, die Aufbau- und Resilienzfazilität sowie REPowerEU für die Bewerber öffnen, heißt es bei der Böll-Stiftung.
“Es ist wichtig, jetzt zu handeln, denn es könnte zu einer Gegenreaktion der nationalen Regierungen kommen”, warnt Mühlenhoff. “Einzelne Bewerberländer könnten an ihren fossilen Energieunternehmen festhalten, möglicherweise unterstützt von Energiekonzernen aus China und Russland.”
Bisher hat die Kommission aber auch ihre Gründe, warum sie die Finanzhilfen nicht noch stärker ausweitet. Die jüngsten Zusagen aus dem neuen Wachstumsplan für den Westbalkan seien stärker als bislang von Fortschritten bei der Rechtsstaatlichkeit abhängig, schreibt Fanku.
Gerade die großen EU-Bewerberländer haben jüngst allerdings zukunftsweisende Schritte angekündigt. Die Türkei will 2026 einen Emissionshandel einführen, berichtet Germany Trade & Invest. Ende Januar hat die ukrainische Regierung eine Pilotphase ihres Zertifikatehandels schon für 2025 zugesagt. Selbst während des Krieges könne man die Industrie in die Lage versetzen, zu verstehen, wie dieser Markt funktioniert, sagte der ukrainische Umweltminister Ruslan Strilets.
Nach Wochen der hitzigen Debatten und Proteste hat der Bundestag in seiner Sitzung am vergangenen Freitag Klarheit über den Haushalt 2024 geschaffen. Doch eine Antwort, wie die dringend benötigten Investitionen in die Klimapolitik trotz der teils substanziellen Kürzungen in vielen Bereichen – von der Landwirtschaft über die Investitionen in Zukunftstechnologien bis zur Förderung bei der Gebäudesanierung – sichergestellt werden können, bleibt die Regierung schuldig.
Hinzu kommt, dass die wochenlange Debatte um Kürzungen gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimaschutz gekostet hat und Gelegenheiten für eine Instrumentalisierung durch rechtsradikale Kräfte bot. Umso wichtiger ist nun, für die nächsten Haushaltsjahre nachhaltige Lösungen auf den Tisch zu legen. Zwei Dinge sind hierfür zentral:
Schon bevor sich infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils am 15. November vergangenen Jahres der Umfang des Klima- und Transformationsfonds schlagartig um 60 Milliarden Euro reduzierte, war klar, dass es ausgewogenere Instrumente in der Klimapolitik braucht. Der Expertenrat für Klimafragen hat wiederholt kritisiert, dass sich die Klimapolitik der Bundesregierung zu stark auf die Vergabe von Fördermitteln konzentriert. Diese wurden zudem in den letzten Jahren wenig zielgerichtet mit der Gießkanne verteilt. Kurzfristig sollte die Förderung insbesondere im Gebäudebereich noch stärker am Bedarf ausgerichtet werden.
Außerdem kann für bestimmte Fälle die Umstellung der Förderung von einer Pauschale auf einen zinsgünstigen Kredit sinnvoll sein. Das macht den Kauf einer klimaneutralen Heizung bzw. die energetische Sanierung erschwinglich und entlastet gleichzeitig den Staatshaushalt. Im Verkehrsbereich kann eine Reform der Kfz-Steuer, die Anreize zum Kauf klimafreundlicher Fahrzeuge setzt, ein sinnvoller Ersatz für die entfallenden Umweltboni sein.
Die Rückkehr zum ursprünglich geplanten CO₂-Preispfad für den Gebäude- und Verkehrsbereich ist zwar ein Schritt in Richtung einer ausgewogeneren Klimapolitik, die auch marktwirtschaftliche Instrumente nutzt. Jedoch ist die zusätzliche Erhöhung um fünf Euro/t CO₂ – das entspricht 1,4 Cent pro Liter Benzin und damit weniger als ein Prozent des Spritpreises – zu niedrig, um Lenkungswirkung zu entfalten. Zugleich sollte dieses Geld nicht zum Stopfen des Haushaltsloches genutzt werden. Stattdessen sollte es an die Bevölkerung zurückgegeben werden, damit sich auch Bürgerinnen und Bürger mit geringerem Einkommen den Umstieg auf klimaneutrale Alternativen leisten können.
Auch nach einer Neujustierung der Instrumente werden zusätzliche Einnahmen benötigt, um die Klimaziele zu erreichen. Für die langfristige Wohlstandssicherung gilt es daher, ein zweites fiskalisches Problem zu lösen: Durch die zunehmende Digitalisierung, den demografischen Wandel und die Transformation zur Klimaneutralität verändern sich die klassischen Einnahmequellen der Staatskasse. Zum Beispiel fällt die Mineralölsteuer weg, wenn kein Öl mehr verkauft wird. Mit fallenden Emissionen schwinden CO₂-Einnahmen. Und wenn mehr Wertschöpfung von weniger Menschen erwirtschaftet wird, wirkt sich das auch auf das Aufkommen der Einkommenssteuer aus.
Diese Herausforderungen betreffen die gesamte Steuer- und Fiskalpolitik. Doch die Klima- und Energiepolitik bietet auch hier Lösungsansätze: Eine europaweit erhobene Abgabe entsprechend dem Ressourcenverbrauch könnte die Transformation der bestehenden und den Aufbau von zukunftsträchtigen Industrien finanzieren. Konkret würde das bedeuten, dass beispielsweise für neu produzierten Stahl eine neue Abgabe anfallen würden, die bei der Verwendung von Recycling-Stahl geringer ausfällt oder gar nicht erhoben wird. Die damit verbundenen Einnahmen bestehen langfristig fort, auch dann, wenn die Klimatransformation abgeschlossen ist. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass die Plastikabgabe 2024 nun doch wieder aus dem Haushalt finanziert werden soll – die Erhebung der Abgabe bei Kund:innen wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen.
Deutschland hat einen großen Rückstand bei Investitionen angehäuft. Auch für die Erreichung der Klimaziele stehen erhebliche Investitionen an. Der Staat hat dabei eine zentrale Rolle, um auch privates Kapital zu mobilisieren. Dies findet unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht ausreichend statt.
Um die Finanzierungslücke strukturell zu schließen, braucht es eine Modernisierung der Schuldenregel im Grundgesetz. Die Energiewende ist ein groß angelegtes Investitionsprojekt. Sie ersetzt, einfach gesagt, die laufenden Kosten für fossile Rohstoffe wie Erdgas, Kohle und Erdöl durch Investitionen – beispielsweise in Wind- und Solaranlagen. Ein Teil dieser Investitionen kann der Staat schon heute ohne Anrechnung auf die Schuldenbremse ermöglichen, wie es etwa jetzt über die Deutsche Bahn in Form einer Eigenkapitalerhöhung geplant ist. Dieser Weg wird aber nicht ausreichen. Die Einrichtung eines Sondervermögens, wie für die Bundeswehr, löst das Problem ebenfalls nicht nachhaltig. Denn ein starres Budget ist ungeeignet, um auf technologische und soziale Veränderungen einzugehen. Ist der Topf zu groß, gibt es keine Priorisierung. Ist er zu klein, stehen wir in einigen Jahren vor einem ähnlichen Problem.
Schon immer war die Kreditaufnahme des Staates grundgesetzlich beschränkt, was dem Schutz zukünftiger Generationen dienen soll – allerdings mit der wichtigen Unterscheidung zwischen investiven und konsumtiven Zwecken. Erst in ihrer Fassung seit 2009 wirkt die Schuldenbremse absolut und damit hoch restriktiv: Sie verhindert Investitionen, selbst wenn diese mittel- bis langfristig den Wohlstand sichern.
Übertragen auf das beliebte Vergleichsbild des schwäbischen Haushalts bedeutet das: Das Häusle muss auf einen Schlag bezahlt werden, da Immobilienkredite grundsätzlich verboten wären. Damit führt die Schuldenbremse zu einem Investitionsstau, gefährdet den nachhaltigen Wirtschaftsstandort Deutschland und verlangsamt die Transformation zur Klimaneutralität. Doch die schnelle Herstellung der Klimaneutralität, so hat es das Bundesverfassungsgericht 2021 unmissverständlich klargestellt – hat Verfassungsrang; ebenso zum Schutz der Freiheit und des Wohlstands künftiger Generationen.
Simon Müller ist Direktor von Agora Energiewende Deutschland. Lea Nesselhauf ist Juristin bei Agora Energiewende.