Table.Briefing: Climate

+++ Table.Alert: EU verliert Klima-Chef Frans Timmermans +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

Er ist ein Vollblut- und Volldampfpolitiker, der weder sich noch seine Umgebung schont: Frans Timmermans hat als Vizechef der EU-Kommission und europäischer Klimakommissar in den letzten Jahren wichtige Entscheidungen vorbereitet und durchgedrückt. Nun hat er einen weiteren Entschluss gefällt: Er tritt bei den Wahlen in seiner niederländischen Heimat an – und damit verbunden ist sein Rücktritt von den EU-Ämtern.

Die Entscheidung selbst kommt nicht überraschend. Der Termin allerdings schon, am vorletzten Tag, bevor das politische Brüssel im Sommerloch versinkt. Wir stellen deshalb in diesem Table.Alert vor, was nun passiert, wie die Kommission reagieren kann – und was der Rückzug für die Klimapolitik in der EU und weltweit bedeutet.

Und das ist vor allem: nichts Gutes. Denn mit Timmermans verlässt ein Klima-Kenner und effizienter Strippenzieher diesen wichtigen EU-Posten. Kurz vor wichtigen Entscheidungen in Brüssel und auf der nächsten COP in Dubai geht der Lotse von Bord. Dazu kommt noch: Wenn in Spanien eine rechte Regierung ans Ruder kommt, reden da Leugner des Klimawandels mit. Die EU-Ratspräsidentschaft von Spanien könnte deshalb beim Klimathema für die EU international ein Desaster werden.

Keine schönen Aussichten, die sich aus der Karriereplanung von Frans Timmermans ergeben. Weil ihm aber das Klimathema wohl tatsächlich am Herzen liegt, bleibt es spannend, ob er seine Nachfolge geregelt hat. Vielleicht präsentiert uns Kommissionschefin von der Leyen schnell eine fähige Nachfolgerin oder einen fähigen Nachfolger. Timmermans politisches Erbe und das Weltklima hätten es verdient.

Wir werden das jedenfalls genau beobachten

Viel Spaß beim Lesen

Ihr
Bernhard Pötter
Bild von Bernhard  Pötter

Analyse

Die EU verliert ihren Klima-Chef

Frans Timmermans kehrt in die niederländische Politik zurück und gibt seinen EU-Posten auf.

“Ich habe heute Morgen der Arbeiterpartei und GroenLinks mitgeteilt, dass ich bei den nächsten Wahlen als Listenführer für diese beiden Parteien kandidieren möchte”, erklärte Frans Timmermans am Donnerstag. Damit ist offiziell, was seit Ende vergangenen Jahres als Gerücht kursierte und sich seit dem Rücktritt des niederländischen Premierministers Mark Rutte vor zwei Wochen konkretisiert hatte. Timmermans kehrt Brüssel den Rücken und will Ruttes Nachfolger werden.

Das ist gleichbedeutend mit dem frühzeitigen Ende Timmermans’ als Green-Deal-Chef der EU und Exekutivvizepräsident der Kommission. Allerdings noch nicht sofort. Offiziell wollen die beiden Bündnis-Parteien ihren Spitzenkandidaten erst Mitte August benennen. Bis dahin darf und wird der Green-Deal-Kommissar also noch in Brüssel bleiben. Das stellte auch ein Kommissionssprecher am Donnerstag klar: Die Kandidatur sei zunächst hypothetisch und Gegenstand eines parteiinternen Verfahrens. Bis zum Abschluss dieses Prozesses habe dies keine Auswirkungen auf Timmermans’ Verfügbarkeit als Mitglied des Kollegiums und die Fortsetzung seiner Arbeit als Exekutivvizepräsident für den Green Deal, so der Sprecher.

Geteilte Reaktionen auf Timmermans’ Ankündigung

Die einen bedauern Timmermans’ Rückzug aus Brüssel. So kommentierte der grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss, die EU-Kommission verliere den visionären Baumeister des Green Deals, dessen Erfolge historisch seien. Der niederländische Sozialdemokrat Mohammed Chahim sagte, Timmermans sei das, was die Niederlande brauchten: “Führung und Vision, um die Niederlande grüner und sozialer zu machen.”

Andere können es kaum erwarten, dass Timmermans Brüssel endlich den Rücken kehrt. “Er wird nicht vermisst werden. Wir zählen darauf, dass die niederländischen Wähler ihn so behandeln werden, wie er es verdient hat”, twitterte der italienische Lega-Politiker Matteo Salvini. Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP, sagte Politico, ein Weggang von Timmermans sei gut für den Klimaschutz. Mit seiner provokanten Art habe er die Sache mit dem Renaturierungsgesetz verkompliziert. Lieses Pateikollege Dennis Radtke schrieb: “Es gibt wohl kaum jemanden, der in den letzten Jahren so großen Schaden angerichtet hat in Europa und dem Arbeitsplätze und sozialer Ausgleich so egal waren.”

Gentiloni oder Šefčovič als Nachfolger?

Die Frage, wer auf Timmermans bis zum Ende der Legislatur im Herbst 2024 folgt, ist nicht einfach. Zunächst einmal wird die niederländische Regierung einen neuen Kommissar oder Kommissarin vorschlagen und das scheidende Kabinett muss den Vorschlag annehmen. Diese Person wird allerdings kaum Kommissionsvize werden oder das Ressort Green Deal übernehmen. Die Entscheidung, wer welches Ressort betreut, trifft Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

In EU-Kreisen wird spekuliert, dass der Green Deal entweder vom italienischen Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni oder von Maroš Šefčovič, Vizepräsident für interinstitutionelle Beziehungen, übernommen wird. Letzterer war zuvor Energiekommissar, weshalb er für den Posten als geeignet gilt.

Offen ist zudem, wie deutlich die politische Schwächung im letzten Jahr der von-der-Leyen-Kommission ausfällt. Denn nicht nur Timmermans steht vor dem Absprung, auch die zweite Exekutivvizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, will Brüssel verlassen, um die Leitung der Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg zu übernehmen. Die Gefahr ist, dass die Kommission bis zur Europawahl 2024 in gleich mehreren Bereichen als lahme Ente auftritt.

Was passiert mit dem Green Deal?

Beim Green Deal wird Timmermans zweifellos eine große Lücke hinterlassen, allerdings sind die wesentlichen Gesetzesvorschläge des Fit-for-55-Pakets fertig verhandelt. Derzeit noch im Trilog befinden sich insbesondere die Dossiers zum Naturschutz und der Landwirtschaft, wie das Renaturierungsgesetz, die Industrieemissionsrichtlinie, die Pestizide-Verordnung und die Regulierung zur neuen Gentechnik.

Zwar hat sich Timmermans auch bei den Naturschutz-Gesetzen besonders hervorgetan und insbesondere auf der politischen Ebene immer wieder in die Debatte eingegriffen, beispielsweise als das Renaturierungsgesetz im Parlament zu scheitern drohte. Doch zuständig für die Farm-to-Fork-Strategie sowie die Biodiversitätsstrategie ist nicht Timmermans, sondern der Umwelt- und Agrarkommissar Virginijus Sinkevičius. Der Verlust Timmermans wäre politisch zwar groß, inhaltlich aber verkraftbar für die EU-Kommission.

  • EU-Klimapolitik

Timmermans Rückzug schwächt die Klimapolitik der EU

Mittendrin und Wortführer: Frans Timmermans bei der COP27 in Scharm-el-Sheikh, 19.11.2022

Aus klimapolitischer Sicht kommt Frans Timmermans’ Abgang einerseits zu einem günstigen, andererseits zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.

Zu verschmerzen ist der Rückzug des Vize-Chefs der EU-Kommission und Klima-Kommissars aus EU-interner Sicht: Die großen Pakete des “Green Deals” dieser Kommission hat Timmermans mit beträchtlicher Einsatz und Erfolg durchgesetzt. Er ist der Architekt des Fit-for-55-Pakets, hat dafür gesorgt, dass die EU ihr Klimaziel auf minus 57 Prozent bis 2030 anheben kann und hat (teilweise erfolgreich) darauf gedrängt, die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie mit einem Milliardentopf für einen klima-sensiblen Neustart zu verwenden. Etwa 80 Prozent dieser Aufgaben sind nach Expertenmeinung erledigt.

Manon Dufour, Chefin des Brüssler Büros des Umwelt-Thinktanks E3G, lobt Timmermans. Er sei entscheidend gewesen für die weltweit erste Verabschiedung eines Dekarbonisierungsrahmens für eine ganze Volkswirtschaft. Der Green Deal sei die “beste Strategie zur Erholung der EU nach der Pandemie”, so Dufour.

Fit for 55: Großteil der Arbeit ist getan

Die wichtigsten Erfolge von Timmermans’ Amtszeit aus klimapolitischer Sicht im Fit for 55-Paket:

  • Erhöhung des EU-Klimaziels auf minus 55 Prozent für 2030 und voraussichtlich weitere Erhöhung auf minus 57 Prozent
  • Reform und Verschärfung des Emissionshandels für die Energiewirtschaft und die Industrie
  • Einführung des zweiten Emissionshandels für Wärme und Verkehr inklusive des Klimasozialfonds als sozialen Ausgleich
  • Erhöhung der Senkleistung im LULUCF-Sektor auf 310 Millionen Tonnen CO2
  • Einbeziehung von Luft- und Schiffsverkehr in den ETS
  • Einführung des CO₂-Grenzausgleichs CBAM
  • Erneuerbaren-Ausbau: Anteil von bis zu 45 Prozent bis 2030
  • Energieeffizienz: Senkung des Primär- und des Endenergieverbrauchs von 38 bzw. 40,5 Prozent bis 2030.

Weiterhin ungelöst ist allerdings die Frage des Renaturierungsgesetzes, das nun in den Trilog geht. Allerdings hatte sich Timmermans vehement dafür eingesetzt, dass das Gesetz nicht schon im Parlament scheitert.

Die EU verliert ihren Klima-Steuermann

Für die internationale Rolle der EU könnte der Verlust von Timmermans große Probleme mit sich bringen. Der selbstbewusste Macher vertrat auf den COPs und bei anderen Gelegenheiten die vergleichsweise progressive Rolle der Europäer gegenüber vielen Bremsern im Prozess mit lauter Stimme und breitem Kreuz. Auch wenn intern immer wieder leise Kritik an Timmermans geäußert wurde: Er sei zu durchsetzungsstark, höre wenig zu und behandle gerade die Vertreter kleinerer Staaten manchmal herablassend.

Das Problem der EU: Vier Monate vor der wichtigen COP28 geht ihr Klima-Steuermann von Bord. Timmermans werde dort als “international exzellent vernetztes Verhandlungsschwergewicht” fehlen, so Oldag Caspar von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Die EU brauche “mit Höchstgeschwindigkeit” eine erfahrene Person, denn der “internationale Klimaschutz braucht eine starke Stimme der EU bei den Verhandlungen.”

Spanien könnte EU-Position schwächen

Die Lage der EU in Dubai könnte noch problematischer werden: Falls bei den spanischen Wahlen am kommenden Wochenende die konservative Volkspartei (PP) gewinnt, könnte die rechtspopulistische Vox in die Regierung einziehen. Von dieser Koalition erwarten Beobachter in der Rolle als EU-Ratspräsidentschaft wenig Ehrgeiz beim Klimaschutz. Im Gegenteil: Der Vox-Chef gilt als Klimawandelleugner und will aus dem Pariser Abkommen aussteigen. Das wäre eine fundamentale Schwächung der EU-Position, verglichen mit der sehr erfahrenen und international gut vernetzten bisherigen spanischen Klimaministerin Teresa Ribera.

In Voraussicht auf diese mögliche Konstellation trafen sich Anfang Juli bereits die Umweltminister der EU zum informellen Rat in Valladolid. Offiziell wurde danach nichts verkündet. Aber von Beobachtern hieß es, es hätten sich “Landezonen” abgezeichnet, die die EU für einen Kompromiss anstrebt. Diese Position wurde beim Treffen mit Sultan Al Jaber, dem designierten COP-Präsidenten, Industrieminister und Ölchef der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), am vergangenen Donnerstag in Brüssel auch angesprochen. Dazu gehören:

  • Eine Formulierung zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen
  • Ein Beschluss zum Aufbau der Erneuerbaren und zur Energieeffizienz
  • Eine Einigung darüber, wie der “Loss and Damage-Fonds” arbeiten soll
  • Ideen für ein “globales Ziel für Anpassung”
  • Zusagen für die Klimafinanzierung

EU-Staaten müssten auf harte Linie gegen VAE drängen

Am 20. Oktober wollen die Mitgliedsstaaten ihre Marschroute für die COP festlegen. Dabei, heißt es aus Verhandlerkreisen, könnte die EU ihre bisher sehr VAE-freundliche Position revidieren, was den Einsatz der umstrittenen CCS-Technik in einem zukünftigen Energiesystem betrifft. Breits im Frühjahr hatten die Mitgliedsstaaten einer Formulierung zugestimmt, die ein “Energiesystem frei von unverminderten fossilen Brennstoffen” fordert – sehr nah an Al Jabers Vorschlag, man solle die Emissionen, nicht die Brennstoffe bekämpfen. Der Vorschlag gilt als Türöffner für die CCS-Technik.

Gegen diese weiche EU-Haltung wehren sich seitdem Länder wie Deutschland, Dänemark, Österreich oder Belgien. Sie drängen darauf, dass die EU ein “globales Auslaufen” (Phase out) der fossilen Brennstoffe fordern soll. Ein frisch ins Amt gekommener EU-Klimakommissar als Nachfolger von Timmermans wäre im Oktober bei der EU-Sitzung und bei der COP im Dezember zu diesem Thema ein unsicherer Kandidat.

Timmermans als Ministerpräsident “würde Klima verstehen”

“Damit fällt den Mitgliedsländern eine stärkere Rolle zu, für diese Anliegen Druck zu machen“, sagt Linda Kalcher vom Brüsseler Think Tank “Strategic Perspective”. Wenn noch dazu kommt, dass die spanische Ratspräsidentschaft in Dubai nicht wirklich sprechfähig wäre, läge es umso mehr an den einzelnen EU-Ministerinnen und Ministern, sich zu äußern. Das aber könnte bei den unterschiedlichen Meinungen zu Klimaambitionen die EU-Position zersplittern lassen und schwächen.

Einen Trost hat Linda Kalcher allerdings: Sollte Timmermans in der niederländischen Politik erfolgreich sein und Ministerpräsident seines Landes werden, gebe es im EU-Rat einen Ministerpräsidenten, der die Themen “Klima und Agrarpolitik wirklich versteht und durchdrungen hat – und der sogar schon in der Debatte um die Klimaziele 2040 involviert ist.”    

  • COP28
  • Europa
  • Fit for 55
  • Green Deal

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    Er ist ein Vollblut- und Volldampfpolitiker, der weder sich noch seine Umgebung schont: Frans Timmermans hat als Vizechef der EU-Kommission und europäischer Klimakommissar in den letzten Jahren wichtige Entscheidungen vorbereitet und durchgedrückt. Nun hat er einen weiteren Entschluss gefällt: Er tritt bei den Wahlen in seiner niederländischen Heimat an – und damit verbunden ist sein Rücktritt von den EU-Ämtern.

    Die Entscheidung selbst kommt nicht überraschend. Der Termin allerdings schon, am vorletzten Tag, bevor das politische Brüssel im Sommerloch versinkt. Wir stellen deshalb in diesem Table.Alert vor, was nun passiert, wie die Kommission reagieren kann – und was der Rückzug für die Klimapolitik in der EU und weltweit bedeutet.

    Und das ist vor allem: nichts Gutes. Denn mit Timmermans verlässt ein Klima-Kenner und effizienter Strippenzieher diesen wichtigen EU-Posten. Kurz vor wichtigen Entscheidungen in Brüssel und auf der nächsten COP in Dubai geht der Lotse von Bord. Dazu kommt noch: Wenn in Spanien eine rechte Regierung ans Ruder kommt, reden da Leugner des Klimawandels mit. Die EU-Ratspräsidentschaft von Spanien könnte deshalb beim Klimathema für die EU international ein Desaster werden.

    Keine schönen Aussichten, die sich aus der Karriereplanung von Frans Timmermans ergeben. Weil ihm aber das Klimathema wohl tatsächlich am Herzen liegt, bleibt es spannend, ob er seine Nachfolge geregelt hat. Vielleicht präsentiert uns Kommissionschefin von der Leyen schnell eine fähige Nachfolgerin oder einen fähigen Nachfolger. Timmermans politisches Erbe und das Weltklima hätten es verdient.

    Wir werden das jedenfalls genau beobachten

    Viel Spaß beim Lesen

    Ihr
    Bernhard Pötter
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    Die EU verliert ihren Klima-Chef

    Frans Timmermans kehrt in die niederländische Politik zurück und gibt seinen EU-Posten auf.

    “Ich habe heute Morgen der Arbeiterpartei und GroenLinks mitgeteilt, dass ich bei den nächsten Wahlen als Listenführer für diese beiden Parteien kandidieren möchte”, erklärte Frans Timmermans am Donnerstag. Damit ist offiziell, was seit Ende vergangenen Jahres als Gerücht kursierte und sich seit dem Rücktritt des niederländischen Premierministers Mark Rutte vor zwei Wochen konkretisiert hatte. Timmermans kehrt Brüssel den Rücken und will Ruttes Nachfolger werden.

    Das ist gleichbedeutend mit dem frühzeitigen Ende Timmermans’ als Green-Deal-Chef der EU und Exekutivvizepräsident der Kommission. Allerdings noch nicht sofort. Offiziell wollen die beiden Bündnis-Parteien ihren Spitzenkandidaten erst Mitte August benennen. Bis dahin darf und wird der Green-Deal-Kommissar also noch in Brüssel bleiben. Das stellte auch ein Kommissionssprecher am Donnerstag klar: Die Kandidatur sei zunächst hypothetisch und Gegenstand eines parteiinternen Verfahrens. Bis zum Abschluss dieses Prozesses habe dies keine Auswirkungen auf Timmermans’ Verfügbarkeit als Mitglied des Kollegiums und die Fortsetzung seiner Arbeit als Exekutivvizepräsident für den Green Deal, so der Sprecher.

    Geteilte Reaktionen auf Timmermans’ Ankündigung

    Die einen bedauern Timmermans’ Rückzug aus Brüssel. So kommentierte der grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss, die EU-Kommission verliere den visionären Baumeister des Green Deals, dessen Erfolge historisch seien. Der niederländische Sozialdemokrat Mohammed Chahim sagte, Timmermans sei das, was die Niederlande brauchten: “Führung und Vision, um die Niederlande grüner und sozialer zu machen.”

    Andere können es kaum erwarten, dass Timmermans Brüssel endlich den Rücken kehrt. “Er wird nicht vermisst werden. Wir zählen darauf, dass die niederländischen Wähler ihn so behandeln werden, wie er es verdient hat”, twitterte der italienische Lega-Politiker Matteo Salvini. Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP, sagte Politico, ein Weggang von Timmermans sei gut für den Klimaschutz. Mit seiner provokanten Art habe er die Sache mit dem Renaturierungsgesetz verkompliziert. Lieses Pateikollege Dennis Radtke schrieb: “Es gibt wohl kaum jemanden, der in den letzten Jahren so großen Schaden angerichtet hat in Europa und dem Arbeitsplätze und sozialer Ausgleich so egal waren.”

    Gentiloni oder Šefčovič als Nachfolger?

    Die Frage, wer auf Timmermans bis zum Ende der Legislatur im Herbst 2024 folgt, ist nicht einfach. Zunächst einmal wird die niederländische Regierung einen neuen Kommissar oder Kommissarin vorschlagen und das scheidende Kabinett muss den Vorschlag annehmen. Diese Person wird allerdings kaum Kommissionsvize werden oder das Ressort Green Deal übernehmen. Die Entscheidung, wer welches Ressort betreut, trifft Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

    In EU-Kreisen wird spekuliert, dass der Green Deal entweder vom italienischen Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni oder von Maroš Šefčovič, Vizepräsident für interinstitutionelle Beziehungen, übernommen wird. Letzterer war zuvor Energiekommissar, weshalb er für den Posten als geeignet gilt.

    Offen ist zudem, wie deutlich die politische Schwächung im letzten Jahr der von-der-Leyen-Kommission ausfällt. Denn nicht nur Timmermans steht vor dem Absprung, auch die zweite Exekutivvizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, will Brüssel verlassen, um die Leitung der Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg zu übernehmen. Die Gefahr ist, dass die Kommission bis zur Europawahl 2024 in gleich mehreren Bereichen als lahme Ente auftritt.

    Was passiert mit dem Green Deal?

    Beim Green Deal wird Timmermans zweifellos eine große Lücke hinterlassen, allerdings sind die wesentlichen Gesetzesvorschläge des Fit-for-55-Pakets fertig verhandelt. Derzeit noch im Trilog befinden sich insbesondere die Dossiers zum Naturschutz und der Landwirtschaft, wie das Renaturierungsgesetz, die Industrieemissionsrichtlinie, die Pestizide-Verordnung und die Regulierung zur neuen Gentechnik.

    Zwar hat sich Timmermans auch bei den Naturschutz-Gesetzen besonders hervorgetan und insbesondere auf der politischen Ebene immer wieder in die Debatte eingegriffen, beispielsweise als das Renaturierungsgesetz im Parlament zu scheitern drohte. Doch zuständig für die Farm-to-Fork-Strategie sowie die Biodiversitätsstrategie ist nicht Timmermans, sondern der Umwelt- und Agrarkommissar Virginijus Sinkevičius. Der Verlust Timmermans wäre politisch zwar groß, inhaltlich aber verkraftbar für die EU-Kommission.

    • EU-Klimapolitik

    Timmermans Rückzug schwächt die Klimapolitik der EU

    Mittendrin und Wortführer: Frans Timmermans bei der COP27 in Scharm-el-Sheikh, 19.11.2022

    Aus klimapolitischer Sicht kommt Frans Timmermans’ Abgang einerseits zu einem günstigen, andererseits zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.

    Zu verschmerzen ist der Rückzug des Vize-Chefs der EU-Kommission und Klima-Kommissars aus EU-interner Sicht: Die großen Pakete des “Green Deals” dieser Kommission hat Timmermans mit beträchtlicher Einsatz und Erfolg durchgesetzt. Er ist der Architekt des Fit-for-55-Pakets, hat dafür gesorgt, dass die EU ihr Klimaziel auf minus 57 Prozent bis 2030 anheben kann und hat (teilweise erfolgreich) darauf gedrängt, die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie mit einem Milliardentopf für einen klima-sensiblen Neustart zu verwenden. Etwa 80 Prozent dieser Aufgaben sind nach Expertenmeinung erledigt.

    Manon Dufour, Chefin des Brüssler Büros des Umwelt-Thinktanks E3G, lobt Timmermans. Er sei entscheidend gewesen für die weltweit erste Verabschiedung eines Dekarbonisierungsrahmens für eine ganze Volkswirtschaft. Der Green Deal sei die “beste Strategie zur Erholung der EU nach der Pandemie”, so Dufour.

    Fit for 55: Großteil der Arbeit ist getan

    Die wichtigsten Erfolge von Timmermans’ Amtszeit aus klimapolitischer Sicht im Fit for 55-Paket:

    • Erhöhung des EU-Klimaziels auf minus 55 Prozent für 2030 und voraussichtlich weitere Erhöhung auf minus 57 Prozent
    • Reform und Verschärfung des Emissionshandels für die Energiewirtschaft und die Industrie
    • Einführung des zweiten Emissionshandels für Wärme und Verkehr inklusive des Klimasozialfonds als sozialen Ausgleich
    • Erhöhung der Senkleistung im LULUCF-Sektor auf 310 Millionen Tonnen CO2
    • Einbeziehung von Luft- und Schiffsverkehr in den ETS
    • Einführung des CO₂-Grenzausgleichs CBAM
    • Erneuerbaren-Ausbau: Anteil von bis zu 45 Prozent bis 2030
    • Energieeffizienz: Senkung des Primär- und des Endenergieverbrauchs von 38 bzw. 40,5 Prozent bis 2030.

    Weiterhin ungelöst ist allerdings die Frage des Renaturierungsgesetzes, das nun in den Trilog geht. Allerdings hatte sich Timmermans vehement dafür eingesetzt, dass das Gesetz nicht schon im Parlament scheitert.

    Die EU verliert ihren Klima-Steuermann

    Für die internationale Rolle der EU könnte der Verlust von Timmermans große Probleme mit sich bringen. Der selbstbewusste Macher vertrat auf den COPs und bei anderen Gelegenheiten die vergleichsweise progressive Rolle der Europäer gegenüber vielen Bremsern im Prozess mit lauter Stimme und breitem Kreuz. Auch wenn intern immer wieder leise Kritik an Timmermans geäußert wurde: Er sei zu durchsetzungsstark, höre wenig zu und behandle gerade die Vertreter kleinerer Staaten manchmal herablassend.

    Das Problem der EU: Vier Monate vor der wichtigen COP28 geht ihr Klima-Steuermann von Bord. Timmermans werde dort als “international exzellent vernetztes Verhandlungsschwergewicht” fehlen, so Oldag Caspar von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Die EU brauche “mit Höchstgeschwindigkeit” eine erfahrene Person, denn der “internationale Klimaschutz braucht eine starke Stimme der EU bei den Verhandlungen.”

    Spanien könnte EU-Position schwächen

    Die Lage der EU in Dubai könnte noch problematischer werden: Falls bei den spanischen Wahlen am kommenden Wochenende die konservative Volkspartei (PP) gewinnt, könnte die rechtspopulistische Vox in die Regierung einziehen. Von dieser Koalition erwarten Beobachter in der Rolle als EU-Ratspräsidentschaft wenig Ehrgeiz beim Klimaschutz. Im Gegenteil: Der Vox-Chef gilt als Klimawandelleugner und will aus dem Pariser Abkommen aussteigen. Das wäre eine fundamentale Schwächung der EU-Position, verglichen mit der sehr erfahrenen und international gut vernetzten bisherigen spanischen Klimaministerin Teresa Ribera.

    In Voraussicht auf diese mögliche Konstellation trafen sich Anfang Juli bereits die Umweltminister der EU zum informellen Rat in Valladolid. Offiziell wurde danach nichts verkündet. Aber von Beobachtern hieß es, es hätten sich “Landezonen” abgezeichnet, die die EU für einen Kompromiss anstrebt. Diese Position wurde beim Treffen mit Sultan Al Jaber, dem designierten COP-Präsidenten, Industrieminister und Ölchef der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), am vergangenen Donnerstag in Brüssel auch angesprochen. Dazu gehören:

    • Eine Formulierung zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen
    • Ein Beschluss zum Aufbau der Erneuerbaren und zur Energieeffizienz
    • Eine Einigung darüber, wie der “Loss and Damage-Fonds” arbeiten soll
    • Ideen für ein “globales Ziel für Anpassung”
    • Zusagen für die Klimafinanzierung

    EU-Staaten müssten auf harte Linie gegen VAE drängen

    Am 20. Oktober wollen die Mitgliedsstaaten ihre Marschroute für die COP festlegen. Dabei, heißt es aus Verhandlerkreisen, könnte die EU ihre bisher sehr VAE-freundliche Position revidieren, was den Einsatz der umstrittenen CCS-Technik in einem zukünftigen Energiesystem betrifft. Breits im Frühjahr hatten die Mitgliedsstaaten einer Formulierung zugestimmt, die ein “Energiesystem frei von unverminderten fossilen Brennstoffen” fordert – sehr nah an Al Jabers Vorschlag, man solle die Emissionen, nicht die Brennstoffe bekämpfen. Der Vorschlag gilt als Türöffner für die CCS-Technik.

    Gegen diese weiche EU-Haltung wehren sich seitdem Länder wie Deutschland, Dänemark, Österreich oder Belgien. Sie drängen darauf, dass die EU ein “globales Auslaufen” (Phase out) der fossilen Brennstoffe fordern soll. Ein frisch ins Amt gekommener EU-Klimakommissar als Nachfolger von Timmermans wäre im Oktober bei der EU-Sitzung und bei der COP im Dezember zu diesem Thema ein unsicherer Kandidat.

    Timmermans als Ministerpräsident “würde Klima verstehen”

    “Damit fällt den Mitgliedsländern eine stärkere Rolle zu, für diese Anliegen Druck zu machen“, sagt Linda Kalcher vom Brüsseler Think Tank “Strategic Perspective”. Wenn noch dazu kommt, dass die spanische Ratspräsidentschaft in Dubai nicht wirklich sprechfähig wäre, läge es umso mehr an den einzelnen EU-Ministerinnen und Ministern, sich zu äußern. Das aber könnte bei den unterschiedlichen Meinungen zu Klimaambitionen die EU-Position zersplittern lassen und schwächen.

    Einen Trost hat Linda Kalcher allerdings: Sollte Timmermans in der niederländischen Politik erfolgreich sein und Ministerpräsident seines Landes werden, gebe es im EU-Rat einen Ministerpräsidenten, der die Themen “Klima und Agrarpolitik wirklich versteht und durchdrungen hat – und der sogar schon in der Debatte um die Klimaziele 2040 involviert ist.”    

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