endlich geht es los! Am heutigen Donnerstag startet die 28. UN-Klimakonferenz in Dubai. Wir werden Ihnen ab heute täglich die wichtigsten Entwicklungen schildern, Hintergründe liefern und die Details des COP-Prozesses darlegen. Bernhard Pötter, Alexandra Endres und Lukas Scheid sind vor Ort und werden zwei Wochen (plus x) aus Dubai berichten.
Zahlreiche wichtige Themen werden uns in den nächsten 14 Tagen beschäftigen: Wird sich die Weltgemeinschaft zu einem guten Kompromiss beim Global Stocktake zusammenraufen, der die Klimapolitik der kommenden Jahre bestimmen wird? Zu welchen Fortschritten ringen sich die Staaten bei der Klimafinanzierung durch? Wird COP-Präsident Al Jaber einen “Only Nixon Could Go To China”-Moment herbeiführen und mit Durchbrüchen überraschen? Wie werden die Debatten um den Gaza-Krieg die Konferenz und die Klimabewegung beeinflussen?
Im heutigen Interview schildert Luisa Neubauer die Gefahren der Klima-Resignation, was sie von Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet und warum der Streit bei den Fridays um die richtige Position zum Gaza-Krieg auf der COP kaum einen Unterschied machen wird. Bernhard Pötter analysiert die Positionen verschiedener Staatengruppen bei der “Globalen Bestandsaufnahme” zum Fortschritt im Klimaschutz. Einmal mehr zeichnet sich ab: Der Raum für Kompromisse ist klein.
Beste Grüße
Frau Neubauer, können Sie sich vorstellen, dass Greta Thunberg beim nächsten Klimastreik der Fridays for Future in Deutschland wieder auftritt?
Die Frage stellt sich derzeit nicht.
Was müsste dafür passieren?
Jeder in diesem Land kann Greta Thunberg einladen, das liegt ja nicht an mir, und das ist auch gut so.
Unterschiedliche Positionen zum Gaza-Krieg haben für Konflikte zwischen der deutschen und internationalen Fridays for Future Gruppe geführt. Wird es während der COP28 zu klärenden Gesprächen kommen?
Ich bin sehr vorsichtig mit meinen Erwartungen an die Klimakonferenz, politisch und zwischenmenschlich. Die Konferenz hat nicht den Ruf, der heilsamste Ort für erschöpfte Aktivisten zu sein. Aber wir werden natürlich sehr viel darüber sprechen, was passiert ist und wie wir wieder zusammenkommen.
Wird es gemeinsame Aktionen der jungen Protestbewegung geben?
Es wird natürlich Aktionen und Proteste geben, wie genau und in welcher Zusammensetzung, das weiß ich noch nicht. Aber es ist ja nicht so, als hätten vor allem wir aus Deutschland Probleme mit dem, was international gesagt wird. Aus internationaler Perspektive ist vor allem die Haltung Deutschlands ein Problem.
Die deutschen Fridays sind international isoliert?
Nicht wirklich, auch die Partner aus Österreich, der Schweiz und Frankreich und andere stehen uns in unserer Haltung nahe. Der normative Durchschnitt der internationalen Klimabewegung steht bei dem Thema woanders.
Was ist da passiert in den letzten sechs Wochen? Zeigt sich ein Riss, den es schon länger gibt?
Seit ich in der internationalen Bewegung arbeite, gibt es ein Misstrauen gegenüber weißen, europäischen Klimaschützern: Wie ernst meinen wir es mit der Klimagerechtigkeit? Das kann ich grundsätzlich gut verstehen, zu lange wurden falsche Versprechen gemacht von Generationen vor uns. Und das hat sich in den Augen mancher jetzt wieder bestätigt: Dass wir, wenn es hart auf hart kommt, nicht an der Seite unserer Partner und Freunde stehen. Aber wir erleben ja auch jenseits der Klimabewegung, wie verständnislos und enttäuscht auf die deutsche Position zu Israel und Gaza geschaut wird. Auch bei internationalen Organisationen: Früher wollten die Leute nicht für USAid arbeiten, jetzt hört man von einer ähnlichen Haltung gegenüber deutschen Organisationen.
Woran liegt dieses Misstrauen?
Viele fühlen sich verlassen davon, wie Deutschland durch diese Krise navigiert. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft in Gaza sehen viele als nachrangig. Die Klimabewegung ist eine kleine Projektionsfläche davon. Es gibt aber noch einen zweiten Faktor für dieses Misstrauen: Gerade wir Fridays in Deutschland sind im aktivistischen Handwerk pragmatisch sozialisiert, weil wir früh gemerkt haben, dass wir etwas bewegen und verändern können. Ich habe das auch bei AktivistInnen erlebt, die in Kambodscha einen Staudamm verhindert haben. Sie waren dafür im Gefängnis und haben den alternativen Nobelpreis bekommen – aber den Damm haben sie verhindert. Die sind total realpolitisch orientiert. Wenn das eigene System einem den Anschein vermittelt, man könne unter keinen Umständen gewinnen und selbst kleine Fortschritte aussichtslos wirken, dann wird die eigene Radikalität im Zweifel identitätsstiftender, als das eigentliche Organisieren.
Aber hat die internationale Klima-Gerechtigkeitsbewegung nicht schon lange die offiziellen Positionen des globalen Südens gegenüber dem globalen Norden eingenommen? Wenn es heißt “System change, not climate change” und damit eine grundsätzliche Ablehnung der Politik aus dem kapitalistischen Globalen Norden verbunden ist?
Bei uns war das nicht der Fall. Wir fordern auch in Deutschland “System change”, wenn wir mit “System” etwa ausbeuterische Verhältnisse meinen. Wir arbeiten weiter daran, diese Nord-Süd-Fronten aufzubrechen, indem wir sagen, wir erzählen eine neue Geschichte von jungen Leuten, die sich nicht auseinanderdividieren lassen von einer eindeutig ausbeuterischen Vergangenheit.
Aber passiert das nicht gerade – dass Sie sich auseinanderdividieren?
Die Gefahr besteht.
Was muss passieren, dass diese Kluft nicht weiter wächst?
Ich habe dafür keine einfache Formel. Sicher müssen wir sensibilisieren für historische Verantwortung, die nicht nur auf deutschen Schultern liegt, sondern eine Weltverantwortung ist. Das heißt auch Antisemitismus erkennen und das Existenzrecht Israels anerkennen. Aber wir sind auch gefragt, einen aufrichtigen und angemessenen politischen Umgang mit der Situation in Gaza zu finden. Ich kann es nachvollziehen, dass man Deutschland vorwirft, nicht klar genug dafür einzustehen, dass das Sterben in Gaza ein Ende findet. Es wäre ein wichtiger Schritt, wenn wir als Deutschland es schaffen könnten, in Richtung einer anhaltenden Feuerpause zum Schutz von Zivilisten hinzuwirken.
Ist die Klimabewegung in Dubai so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie als treibende Kraft ausfällt?
Diese Haltung wundert mich schon: Die letzten drei Jahre hat sich niemand hat für die internationale Bewegung interessiert. Jetzt könnte man den Eindruck bekommen, die internationale Arbeit sei unser Dreh- und Angelpunkt. Die internationale Klimabewegung ist riesengroß, Fridays for Future ist da ein relativ überschaubarer Teil. Wir sind in Deutschland sehr groß, aber nur selten in anderen Ländern. Natürlich wird es Aktivisten aus anderen Ländern geben, die ihre Sachen machen. Ich glaube nicht, dass die Debatte innerhalb der Fridays einen solchen Unterschied macht. Es fährt auch nur ein kleiner Teil der Fridays zur COP. Und wir denken auch: Etwaige Versöhnungsprozesse müssen vielleicht nicht ausschließlich in den zwei Wochen stattfinden, wo wir die Chance haben, internationale Klimademokratie zu beeinflussen.
Sie sagen, die Fridays sind nicht so relevant, dass ihre Probleme die Konferenz beeinflussen?
Die Stimmung ist relevant, aber das ist kein Fridays-Thema, sondern weltweit. Das hat mit der Klimabewegung weniger etwas zu tun, als mit der weltweiten Zivilgesellschaft. Die steht gerade woanders, als es die deutsche Staatsraison tut. Ich will nicht kleinreden, was wir leisten, aber internationale Dynamiken sind mächtiger als wir. Es gibt allerdings einen Unterschied: Wir als deutsche Fridays for Future Bewegung konnten bisher auf den COPs immer viel anstoßen: wir kennen uns gut aus, haben große Kapazitäten, kennen das Handwerk, das wir gut anwenden können. Vor einem Jahr bei der COP in Ägypten haben wir weite Teile der Proteste begleiten können. Diese Räume konnten wir gut öffnen, auch, weil wir als Menschen mit deutschem Pass privilegiert sind. Das wird jetzt schwieriger werden. Wir wurden in eine Situation gebracht, in der die Zusammenarbeit immer mit Erklärarbeit und Vermittlungsarbeit verbunden ist. Das widerspricht der Rushhour-Logik einer Klimakonferenz.
Wir wichtig sind die Konferenzen? Viele sind da skeptisch.
Es gibt riesige Defizite, aber es gibt aktuell keine Alternative. Es gibt den medialen Reflex, die COP zum singulären Höhepunkt des Jahres hochzuschreiben. Aber die fünfzig Wochen zwischen den COPs sind so wichtig wie die zwei Wochen bei der COP. Und was vorher nicht in Ansätzen geleistet wird, kann da nicht mehr ausgebügelt werden. Aber wir brauchen Orte, wo wir als Zivilgesellschaft zusammenkommen.
Sie sagen, die Fridays seien in Deutschland runtergeredet worden. Wo sehen Sie das?
Seit zwei oder drei Jahren gibt es in der Öffentlichkeit ein großes Erstaunen darüber, dass es ja gar nicht so einfach ist, Klima-Aktivismus in Deutschland zu machen. Ja, natürlich verlieren wir auch mal. Weil wir in einer so riesigen Krise sind, für die man 50 Jahre lang keine Lösung gefunden hat. Das krempeln wir nicht mal so eben in ein paar Jahren um und surfen auf einer grünen Welle davon. Wir sind als FFF in einem unglaublichen Klima-Hype reingestartet, das war schon damals eine totale Ausnahme. Aber wenn wir keine harten Zeiten hätten, bräuchten wir keine Klimabewegung.
Warum ist im letzten Jahr in Deutschland die Stimmung so gegen den Klimaschutz gekippt?
Dafür gibt es viele Erklärungen. Ein Grund ist sicherlich, dass ein Kanzler dachte, er könne das Klimaproblem an eine Partei und auch nur ein Ministerium outsourcen. Und wenn dann halb Deutschland auf diesen Minister einprügelt, dann sei das nicht das Problem des Kanzlers. Aber wenn man es nicht schafft, Klima demonstrativ zur Chefsache zu machen, dann fliegt dir halt dein Laden auseinander. Er müsste im Kabinett eine ökologische Mindestdisziplin durchzusetzen, die bedeutet, wir verhandeln nicht darüber, ob wir die Klimaziele einhalten. Und wer keinen besseren Vorschlag für einen aktuellen Plan machen kann, der hat kein Vorschlagsrecht. Wenn man all das nicht tut, so wie es Kanzler Scholz versäumt hat, dann landen wir an einem Punkt, wo die Existenzkrise unserer Zeit zu einem Privatproblem von Robert Habeck gemacht wird. Und nebenbei die Zuversicht und das Vertrauen in die Ampel und auch in die Demokratie verloren gehen und Resignation in diese Gesellschaft einzieht.
Wie wehren Sie sich gegen diese Resignation?
Die meisten Menschen meinen es ja gut. Und geben ihr Bestes. Das sieht oft sehr unterschiedlich aus, das ist auch okay so. Wenn die Resignation der Anfang von Ende ist, und politisch gesprochen die größte Gefahr für Klima und Demokratie, weil es die Resignierten sein werden, die einen Rechtsrutsch und eine Klimakrise zulassen werden – dann ist der Kampf gegen die eigene Resignation ein ganz banaler Teil von meinem täglichen Aktivismus. Und im nächsten Schritt stehen ja alle Türen offen, wenn wir nur genau hingucken.
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
Für die zentrale Entscheidung der COP28 zum “Global Stocktake” (GST) stehen den Delegationen harte Verhandlungen bevor. Denn die Vorstellungen der einzelnen Staaten und Ländergruppen, welche Folgen aus der ersten globalen Bestandsaufnahme zum Klimaschutz zu ziehen sind, gehen weit auseinander. Sie widersprechen sich teilweise sogar direkt. Das zeigt ein Überblick über die Vorschläge, die 23 UN-Staaten und Ländergruppen und etwa 50 internationale Organisationen dem Klimasekretariat UNFCCC vorgelegt haben. Table.Media hat die Dokumente ausgewertet.
Der GST zieht zum ersten Mal seit dem Beschluss des Pariser Abkommens 2015 eine Bilanz, was im Klimaschutz seitdem erreicht wurde und wie es weitergehen soll. Im September gab es eine Zusammenfassung der Erkenntnisse aus dem “technischen Dialog”. Dann fasste das UNFCCC-Sekretariat die Ergebnisse aus seiner Sicht zusammen. Auf der COP28 muss nun ein Dokument vorgelegt werden, das Grundlage für eine Entscheidung sein soll.
In den bisherigen Papieren gibt es große Übereinstimmung bei der Benennung von Lücken im bisherigen Klimaschutz. Aber auch viel Zustimmung bei anderen Themen:
In anderen Punkten gehen die Vorstellungen und Sichtweisen weit auseinander. Das zeigt ein Überblick über die wichtigsten Akteure und ihre besonderen Schwerpunkte.
Die Position der G77 und China wird vom derzeitigen Vorsitz Kuba vorgetragen. Sie entspricht weitgehend den bekannten Positionen dieses großen Zusammenschlusses von Entwicklungsländern in der UNO (inzwischen etwa 130 Staaten). Auch ihre Untergruppen wie LDC oder Basic ebenso wie große Länder wie China oder Indien wiederholen viele dieser Standpunkte:
Die Gruppe um Brasilien, Südafrika, Indien und China (BASIC) sieht sich als Führungsgruppe der G77/China. Gleichzeitig sind sie derzeit vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen und der Vergrößerung der BRICS-Gruppe, die außerdem noch Russland enthält, deutlich selbstbewusster. Die Forderungen der BASIC sind deutlich schärfer formuliert als die Erklärung der G77. Für sie ist die Klimakrise “die abstoßende Erbschaft von Kolonialismus und Imperialismus der letzten fünf Jahrhunderte”.
Die afrikanischen Länder legen größten Wert darauf, dass die Erklärung nachhaltige Entwicklung ihres Kontinents mit Klimazielen verbindet. Es müsse “Fortschritt bei den SDG” geben, eine Erklärung zum GST dürfe auf keinen Fall “die Unterentwicklung Afrikas vertiefen”. Oberstes Ziel müsse es sein, den 600 Millionen Menschen in Afrika ohne Zugang zu Strom und den 900 Millionen ohne sauberes Wasser zu helfen. Außerdem fordern sie:
Saudi-Arabien findet sich in mehreren Rollen wieder. Als dominanter Ölproduzent, dem die momentanen Preise große Gewinne sichern, als traditioneller Bremser in den Verhandlungen, der taktisch klug agiert. Gleichzeitig will das Land global eine wichtigere Rolle spielen und auch in der Zukunft einer dekarbonisierten Wirtschaft eine wichtige Rolle einnehmen. Die Forderungen des Königreichs:
Russland hält sich bei den Konferenzen traditionell im Hintergrund. Besonders seit dem Angriff auf die Ukraine suchen die Delegierten nicht die große Bühne, sind aber im Prozess immer präsent. Ihre Forderungen sind davon geprägt, dass die russische Volkswirtschaft zu einem großen Teil auf dem Export von Gas und Öl beruht. Deshalb:
China ist der vielleicht mächtigste Player bei den Klimaverhandlungen. Die Großmacht verfolgt ihre eigenen Ziele, leidet unter den Klimafolgen und treibt zu Hause den Ausbau der Erneuerbaren massiv voran. Gleichzeitig ist es vom fossilen Wirtschaftsmodell und dem Export abhängig. Das Land definiert sich nach wie vor als Entwicklungsland, um die Verhandlungsgruppe der G77/China zusammenzuhalten. Diese Rolle kommt nun etwa bei den Finanzierungsfragen des “Loss and Damage” Fonds immer stärker unter Druck. China als derzeit bei weitem größter CO₂-Emittent will deshalb unter anderem:
Die USA sind traditionell der große Gegenspieler Chinas. Mit dem politischen und ökonomischen Rivalen verbindet Washington Konkurrenz und Kooperation. Soll der Klimaprozess funktionieren, müssen sich China und die USA einig sein. Doch bei den Forderungen zum abschließenden GST-Beschluss der COP28 markiert die US-Regierung, die zu Hause vor einem Wahljahr steht, ihre Positionen:
Die Europäische Uion sieht sich gern als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Der Block aus 27 Staaten hat seit 1990 seinen CO₂-Ausstoß um etwa 25 Prozent gesenkt, für 2030 mit dem “Green Deal” ein Minus von 55 Prozent angestrebt und für 2050 Netto-Null-Emissionen. Die Mitgliedsstaaten der EU sind die größten Finanziers im internationalen Klimaschutz und bemühen sich um strategische Bündnisse mit Schwellen- und Entwicklungsländern. In die Schlusserklärung gehört für Europa deshalb:
CAN International, der Zusammenschluss von mehr als 1900 Umwelt- und Entwicklungsorganisationen aus 130 Ländern unter dem Dach der “Climate Action Network” begleitet die COPs von Anfang an. Die Experten und Lobbyisten der Gruppen sitzen inzwischen in vielen Länderdelegationen. Die deutsche Klimabeauftragte Jennifer Morgan oder der kanadische Umweltminister Steven Guilbeault arbeiteten früher hier. CAN liefert traditionell neben Expertise auch die Stimme der armen Entwicklungsländer und des Naturschutzes. Konkret fordern sie von einer Erklärung zum GST:
Die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) sind oft auch jene, die von der Klimakrise am stärksten getroffen werden: Ihr geografische Lage, ihre oft schwachen Institutionen, ihre Wirtschaftsstruktur und geringer Wohlstand führen dazu, dass Verluste und Schäden kaum abgepuffert werden können. Daher sind ihre Forderungen teilweise noch weitergehend. Sie plädieren unter anderem für folgende Elemente in der Erklärung:
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
30. November, 10 Uhr, UN Climate Change Global Innovation Hub, Zone B2
Eröffnung UN Climate Change Global Innovation Hub COP 28 Infos
30. November, 12.30 Uhr, Press Conference 2, Zone B6
Pressekonferenz Local Governments and Municipal Authorities COP28 Position and expectations for multilevel action and urbanization Infos
30. November, 15 Uhr, Virtueller-OECD Pavillion
Diskussion Greening global energy grids with AI and connectivity
Künstliche Intelligenz kann dabei helfen die Klimaziele für das Jahr 2050 zu erreichen. Diese Podiumsdiskussion der OECD analysiert die Beziehung zwischen KI, dem Internet der Dinge (IoT) und der zugrunde liegenden Konnektivitätsinfrastruktur sowie deren Auswirkungen auf effiziente Energiesysteme. Infos
30. November, 16 Uhr, Meeting Room 3, Zone B1
Mandated Event Understanding the Effects of Response Measures to Support Just Transition and Economic Diversification: Case Studies Infos
In den ersten neun Monaten des Jahres 2023 wurde weltweit kaum noch mit dem Bau neuer Kohlekraftwerke begonnen – einzig in China hielt der 2022 gestartete Bauboom weiter an. Laut Recherchen der Organisation Global Energy Monitor wurden im laufenden Jahr außerhalb Chinas nur in drei weiteren Staaten Bauprojekte für neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von weniger als 2 Gigawatt gestartet. Das liegt weit unter dem Durchschnitt von 16 Gigawatt in den letzten acht Jahren. Allerdings wurde in China in den letzten neun Monaten mit dem Bau von über 37 GW an neuer Kohlekapazität begonnen, was weit über dem Durchschnitt der letzten Jahre lag.
Außerhalb von China befinden sich aktuell noch 67 Gigawatt im Bau, deren Baubeginn teils schon vor dem Jahr 2023 lag. Insgesamt werden außerhalb Chinas allerdings immer weniger neue Kohlekraftwerke zugelassen oder geplant, wie langfristige Daten des Global Energy Monitors zeigen. Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert einen abnehmenden Kohleverbrauch für die kommenden Jahre. nib
Sultan Al Jaber, Präsident der COP28, streitet ab, dass die Vereinigten Arabischen Emirate die Klimakonferenz dazu nutzen wollten, Öl und Gas-Deals auszuhandeln. Am Montag hatten die BBC und das Centre for Climate Reporting berichtet, dass Al Jaber sich auf Verhandlungen über Fossile mit mindestens 15 Ländern vorbereitet habe. Die Berichterstattung bezog sich auf geleakte Dokumente. Sie sollen beispielsweise Vorbereitungen für Gespräche mit China über LNG-Lieferungen aus Mosambik, Kanada und Australien zeigen. Die geleakten Dokumente beziehen sich auf vorbereitende Treffen mit Ministern aus verschiedenen Ländern.
Laut Al Jaber sind diese Vorwürfe “falsch, nicht wahr, unrichtig, nicht zutreffend”. Die Berichterstattung darüber sei ein Versuch, seine Präsidentschaft der COP zu untergraben. Schon im Vorfeld hatte es Kritik an Al Jabers COP-Präsidentschaft gegeben. Er hat eine Reihe von hochrangigen Positionen in der Regierung und in der Wirtschaft inne, unter anderem als Vorstandsvorsitzender des staatlichen Ölriesen Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC). Al Jaber selbst sieht sich als Mediator zwischen Klimabewegung und der fossilen Industrie. Diese Kontroverse diskutieren wir auch im heutigen Portrait des COP-Präsidenten. rtr/kul
Von Januar bis Anfang November wurde deutlich weniger Amazonas-Regenwald zerstört als im Vergleich zu den ersten elf Monaten des Vorjahres. Die Waldzerstörung ist um 56 Prozent zurückgegangen. In Brasilien, Kolumbien, Peru und Bolivien sank die Abholzungsrate. Das zeigt eine Analyse des Waldüberwachungsprogramms MAAP der gemeinnützigen Organisation Amazon Conservation.
Der Amazonas, der größte Regenwald der Welt, trägt zur Eindämmung der globalen Erwärmung bei, da seine Bäume große Mengen an Kohlendioxid absorbieren. Der Rückgang fällt mit einem Wechsel der Regierungen hin zu linksgerichteten Präsidenten in Brasilien und Kolumbien zusammen, die sich seit vergangenem Jahr verstärkt für den Naturschutz einsetzen. Analysten führen den Rückgang größtenteils auf die strengere Durchsetzung von Umweltgesetzen in Brasilien zurück. Dort liegt ein Großteil des Amazonas-Waldes. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva trat am 1. Januar sein Amt an. Sein Vorgänger Jair Bolsonaro hatte die Abholzung des Regenwaldes für Bergbau, Viehzucht und andere Zwecke befürwortet.
Der Erfolg bei der Eindämmung der Entwaldung wird den Amazonas-Ländern mehr Einfluss geben, um auf der COP28 auf eine Finanzierung des Naturschutzes zu drängen, meinen Experten. 2021 hatten sich mehr als 100 Ländern auf der Klimakonferenz dazu verpflichtet, die globale Entwaldung bis 2030 zu beenden. Bisher hatten globale Daten nicht darauf hingedeutet, dass dieses Ziel in Reichweite ist.
Laut MAAP wurden im Amazonas-Gebiet zwischen dem 1. Januar und dem 8. November 9.117 Quadratkilometer weniger Wald zerstört – eine Fläche von der Größe Puerto Ricos. Carlos Nobre, Geowissenschaftler an der Universität von São Paulo und Mitbegründer des Science Panel for the Amazon Research Collective, bezeichnete die neuen Daten zur Entwaldung als “wunderbare Nachricht”. Die Entwaldung sank somit auf den niedrigsten Stand seit 2019, dem ersten Jahr, für das genaue Satellitendaten vorhanden sind. rtr/nib/kul
Deutschland gehört zu den Regionen mit dem weltweit höchsten Verlust an Wasser durch die Klimaerhitzung. Die jährlichen Verluste betragen 2,5 Kubikkilometer. Zum Vergleich: Der Bodensee umfasst circa 48 Kubikkilometer Wasser. Wie der neue Monitoring-Bericht zur “Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel” (DAS) zeigt, sind die Folgen weitreichend. So waren die vergangenen Jahre von starken regionalen Dürren geprägt. Vielerorts sanken die Grundwasserstände auf Rekordtiefe. Die Folge waren in manchen Jahren ein Rückgang der Ernten von Weizen und Silomais von 15 bis 20 Prozent. Die Wälder, insbesondere Fichtenbestände, litten ebenfalls unter dem Trockenstress und starben teils flächig ab. Durch die Trockenheit kam es vor allem in den nordöstlichen Bundesländern zu großen Waldbränden. Hinzu kamen erstmals Hitzewellen mit Temperaturen über 40 Grad Celsius nördlich von Hamburg, sowie weitreichende Veränderungen in den Ökosystemen im Meer und an Land.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke sprach von “verheerenden Folgen der Klimakrise”, die “sich auf die Gesundheit der Menschen, die Ökosysteme und die Wirtschaft” auswirken. Die Kommunen, so Lemke weiter, seien sich ihrer “entscheidenden Rolle” bei Vorsorgemaßnahmen zunehmend bewusst.
Dabei würden sie von der Bundesregierung durch das Klimaanpassungsgesetz und der zugehörigen Strategie unterstützt. Der Präsident des Bundesumweltamts, Dirk Messner, ergänzte mit optimistischen Einschätzungen: “Neben den Schäden zeigt der Bericht auch, dass Anpassungen vor Ort wirken. Die Zahl der Hitzetoten konnte durch gezielte Informationskampagnen reduziert werden.” Zudem arbeiteten Bund und Länder an der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wasserressourcen und Böden. Die Bundesregierung legt künftig alle vier Jahre einen Monitoring-Bericht zur DAS vor, wie es das Klimaanpassungsgesetz verlangt. Damit soll die Umsetzung messbarer Ziele nachvollzogen werden können. av
Mia Amor Mottley, die Ministerpräsidentin von Barbados, wurde mit ihrer ambitionierten Bridgetown-Agenda für die Reform der internationalen Finanzarchitektur zu einer mächtigen Verfechterin der Klimagerechtigkeit. Aber sie ist nicht die einzige Staatschefin, die sich den massiven Herausforderungen der heutigen Zeit stellt. Eine neue Generation Politiker aus dem Globalen Süden erhebt ihre Stimme.
Beispielsweise eröffnet der kenianische Präsident William Ruto neue Wege für klimapositives Wachstum in Afrika: Indem der Kontinent seine reichhaltigen natürlichen Ressourcen und sein grünes Produktionspotenzial nutze, könne er die industrialisierte Welt mit Waren und Dienstleistungen versorgen, um die Energiewende zu beschleunigen. In Lateinamerika hat der kolumbianische Präsident Gustavo Petro einen neuen Marshallplan zur Finanzierung globaler Klimamaßnahmen gefordert. Und Luiz Inácio Lula da Silva, der jetzt seine dritte Amtszeit als brasilianischer Präsident angetreten hat, will während der G20-Präsidentschaft seines Landes im nächsten Jahr nicht nur den Hunger, die Armut und die Ungleichheit bekämpfen, sondern auch nachhaltige Entwicklung fördern und überkommene globale Verwaltungsstrukturen reformieren.
Nach einem Jahrzehnt des Protektionismus und der Fragmentierung sollen diese Initiativen einen globalen Konsens dafür schaffen, dringend benötigte Reformen durchzuführen. Nach COVID-19 erlebt die Welt nun das, was die G20 “kaskadierende Krisen” genannt hat, darunter einen dramatischen Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise, untragbare Schuldenbelastung der weltweit ärmsten Länder und eine Rekordzahl klimabedingter Katastrophen. Um gegen den Klimawandel wesentliche Fortschritte zu machen und ihre Entwicklungsziele zu erreichen, benötigen die Entwicklungsländer jährlich mindestens eine Billion Dollar. Aber nichts zu tun, wäre sogar noch teurer.
Unsere gemeinsame Zukunft hängt von einer dramatischen Steigerung der Finanzierung ab, und dazu müssen zunächst einmal Abgaben auf die Übergewinne fossiler Energiekonzerne erhoben werden. Laut Fatih Birol, dem Vorsitzenden der Internationalen Energieagentur, hat die globale Öl- und Gasindustrie 2022 etwa vier Billionen Dollar verdient – erstaunliche 2,5 Billionen mehr als im Durchschnitt der letzten Jahre.
Woher kam dieses Geld? Die kurze Antwort ist, von den Verbrauchern. Einige der weltweit reichsten Unternehmen profitieren von einer Krise der Lebenshaltungskosten – die weitgehend durch hohe Energiepreise angetrieben wurde und überproportional die Armen und Bedürftigen traf. Die größten Profiteure dieser effektiven Sondersteuer auf die Weltwirtschaft waren die Ölstaaten, deren Exportgewinne – einschließlich jener von Ländern wie Kanada, Australien, Irak und Iran – 2022 insgesamt bei fast einer Billion Dollar lagen.
Die größten dieser Länder, deren Pro-Kopf-Einkommen zu den weltweit höchsten zählt, wären durchaus in der Lage, auf ihre außerordentlich hohen Kohlenwasserstoffgewinne eine freiwillige Abgabe in einen globalen Fonds für nachhaltige Entwicklung zu zahlen. Eine dreiprozentige Steuer auf die Exportgewinne der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE, 119 Milliarden Dollar), Katar (116 Milliarden), Kuwait (98 Milliarden), Norwegen (etwa 174 Milliarden) und Saudi-Arabien (311 Milliarden) für 2022 würde etwa 25 Milliarden Dollar einbringen – was kaum über dem liegt, was allein Saudi-Arabien in letzter Zeit für Fußball, Golf, Formel-Eins-Rennen und andere Sportgeschäfte ausgegeben hat.
Dass die diesjährige Klimawandelkonferenz der Vereinten Nationen (COP28) in einem dieser Länder, nämlich den VAE stattfindet, könnte ein glücklicher Zufall sein: Als der designierte COP28-Präsident Sultan Al Jaber im Juli seinen Aktionsplan vorstellte, nannte er als einen der vier wichtigsten Punkte die “Festlegung der Klimafinanzierung” und argumentierte, “alle Formen der Finanzierung” müssten “verfügbarer, zugänglicher und erschwinglicher” werden. Außerdem hat er die Geberländer, die ihre Versprechen noch nicht erfüllt haben, aufgefordert: “Zeigt mir das Geld.”
Aber als designiertes Präsidentschaftsland haben die VAE die Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen. Um die COP28 in Gang zu bringen, sollte Al Jaber – der außerdem Geschäftsführer und Gruppen-CEO der nationalen Ölgesellschaft von Abu Dhabi ist – am besten ankündigen, sein Land werde drei Milliarden Dollar seiner Übergewinne an eine globale Finanzierungseinrichtung übertragen, und seine reichen Golfnachbarn davon überzeugen, dasselbe zu tun. Mehr als die Hälfte dieser Beiträge könnte in den Verlust- und Schadensfonds fließen, auf den sich die COP27 geeinigt hat, dessen Anfangsfinanzierung aber immer noch sehr gering ist. Der Rest könnte als Kapital- und Zuschussfinanzierung in neue Einrichtungen zur Klimaanpassung und Linderung der Folgeschäden fließen.
Mit einer solchen Abgabe müsste die internationale Gemeinschaft dann ein größeres Finanzierungsprogramm für die Entwicklungsländer ins Leben rufen – nach dem Prinzip, dass reiche, traditionell große und zahlungskräftige Verschmutzer mehr beitragen, um den ärmeren Ländern bei der Anpassung an die globale Erwärmung zu helfen. So sollten nicht nur die Hilfsbudgets vergrößert werden, sondern auch die Nachschubfinanzierung der Internationalen Entwicklungsorganisation – der Finanzierungsfazilität der Weltbank für die ärmsten Länder – für 2024.
Der Ökonom N.K. Singh und der ehemalige US-Finanzminister Lawrence H. Summers haben zwei Berichte an die G20 erstellt, deren erster vor dem jüngsten Gipfel der Ländergruppe in Delhi veröffentlicht wurde. Ihr zentraler Vorschlag ist, 90 Milliarden Dollar in Form vergünstigter Finanzmittel bereitzustellen. Außerdem müsse die Gesamtkapazität des Systems der multilateralen Entwicklungsbanken (MEB) erhöht werden, was bedeutet, dessen jährliche Verpflichtungen auf 300 Milliarden Dollar regulärer Finanzmittel für Länder mittleren Einkommens zu verdreifachen.
Ebenso schlagen sie vor, die Weltbank zu rekapitalisieren und verstärkt Garantien einzusetzen. Diese könnten von den reichen Ländern vergeben werden, um es den MEB zu ermöglichen, auf den Kapitalmärkten zu attraktiven Bedingungen Kredite aufzunehmen.
Solche Initiativen können, wenn sie richtig durchgeführt werden, die Kreditvergabe durch den Privatsektor mobilisieren, was für unsere Klimaziele entscheidend ist. Die Abgabe auf Übergewinne und die Garantien könnten, wenn sie auf der COP28 beschlossen werden, gemeinsam als Grundlage dafür dienen, den Entwicklungsländern bis 2030 jährlich eine Billion Dollar Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Vor 75 Jahren haben die USA Europa im Rahmen ihres Marshallplans 13,3 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau nach dem Krieg geliehen – eine Summe, die heute 169 Milliarden entsprechen würde. Dies war ein bemerkenswertes Beispiel globaler Führung, die zu Jahrzehnten stabilen Wirtschaftswachstums und internationaler Zusammenarbeit beigetragen hat.
Auch wenn die Welt und ihre Krisen heute sehr anders aussehen, muss die Antwort auf die Probleme ebenso ehrgeizig sein. Die Länder des Globalen Südens haben einen Weg nach vorn gezeigt. Jetzt müssen ihre reichen Partner aus dem Norden vorangehen und die nötigen Finanzmittel bereitstellen. Das Geld ist da, aber wir brauchen die politische Vision und den Willen, es einzusetzen, bevor die nächste Krise kommt.
Gordon Brown, ehemaliger Premierminister von Großbritannien, ist Sondergesandter für weltweite Bildung bei den Vereinten Nationen. Permacrisis: A Plan to Fix a Fractured World von Gordon Brown, Mohamed A. El-Erian, Michael Spence und Reid Lidow wurde am 28. September 2023 veröffentlicht. In Kooperation mit Project Syndicate, 2023. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.
Die Ablehnung war deutlich und sie kam zügig, nur zwei Wochen nachdem die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Sultan Ahmed Al Jaber Anfang Januar 2023 zum COP28-Präsidenten ernannt hatten. Mehr als 400 NGOs formulierten einen offenen Brief an UN-Generalsekretär António Guterres, in dem sie forderten, dass die Personalie rückgängig gemacht werden müsse. Denn: Al Jaber, der CEO der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC), sei alles Mögliche – aber kein Klimaschützer.
Zum Beweis listeten sie ein paar Fakten auf: Im weltweiten Ranking der größten Ölproduzenten liege ADNOC auf Platz 12, beim Ausstoß von Treibhausgasen nehme das Unternehmen Rang 14 ein. Und zur vorigen Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh hätten die VAE mehr Lobbyisten der fossilen Industrie mitgebracht als jede andere Nation.
Geändert hat das nichts. Wenn die “Conference of Parties” (COP) heute in ihre 28. Runde geht, dann wird sie zum ersten Mal von einem Konzernchef geleitet. Von einem fossilen Konzernchef.
Dass der 50-Jährige einmal eine so prominente Rolle in der Weltpolitik übernehmen würde, war nicht unbedingt vorbestimmt. Er wuchs in Umm al-Qaiwan auf, dem kleinsten Scheichtum der Vereinigten Arabischen Emirate, abseits vom politisch dominierenden Dubai und dem erdölreichen Abu Dhabi. Für sein Studium – Chemieingenieurswesen und BWL – ging er nach Kalifornien. In England promovierte er in Wirtschaftswissenschaften. Dazwischen, 1998, begann er seine Arbeit beim staatlichen Ölkonzern ADNOC, zunächst als Prozess- und Planungsingenieur in der Erdgassparte.
Dort stieg er schnell auf, wechselte als Manager zur staatlichen Investmentgesellschaft Mubadala, gründete Masdar, einen Versorger für erneuerbare Energien, und wurde von den damals neuen Herrschern auf Weltreise geschickt. Ihr Ziel: die Diversifizierung ihrer Wirtschaft voranzutreiben und das Geschäft mit der sauberen Energie auszubauen. Nach Besuchen in 15 Ländern auf vier Kontinenten kam Al Jaber mit einem Plan zurück: Nahe dem Flughafen Abu Dhabi solle Masdar City entstehen, eine CO₂-neutrale Stadt für 50.000 Einwohner, in der junge Menschen lernen, wie die nachhaltige Zukunft gestaltet werden kann.
Seitdem sind weitere Aufgaben dazugekommen. 2009 berief ihn der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon in seine Advisory Group on Energy and Climate, 2010 wurde er zum Klima-Sondergesandten der VAE, 2016 Vorstandschef von ADNOC und 2020 Industrieminister. Zwischenzeitlich übernahm er noch den Chefposten des National Media Council, außerdem sitzt er in mehreren Aufsichtsräten.
Die Beschäftigung mit der Energiewende, seine Besuche bei vorigen Klimakonferenzen und seine verschiedenen Einblicke und Kontakte in die Wirtschaft sind es denn auch, die Befürworter Al Jabers betonen. Frans Timmermans etwa sagte ihm jegliche Unterstützung zu, als er noch EU-Kommissar für Klimaschutz war. John Kerry, der US-Sondergesandte für Klimafragen, bezeichnete ihn als “hervorragende Wahl”. Kerry sieht in ihm einen Mittler zwischen den Welten. “Wenn er das nicht hinbekommt, wenn die Öl- und Gasindustrie nicht teilnimmt und keinen ernsthaften Beitrag leistet, dann werden die Vereinigten Arabischen Emirate sehr schlecht aussehen, und er weiß das.” Sollten sie sich dazu jedoch durchringen, könnten die Emirate zu einem “all-time catalyst” werden, zu einem Akteur, der an entscheidender Stelle den Schalter umgelegt hat.
Öffentlich bekennt sich Al Jaber zur Energiewende. “Das Herunterfahren der fossilen Energien ist unerlässlich”, sagte er dem “Time Magazine”. “Das müssen wir akzeptieren.” Zugleich erklärte er, dass die Welt noch nicht bereit dafür sei, ganz auf Öl und Gas zu verzichten. “Wir können nicht den Stecker des bisherigen Energiesystems ziehen, bevor wir ein neues aufgebaut haben.”
Sätze wie diese lassen Kritiker aufhorchen. Noch können sie keine Belege für ein glaubwürdiges Umschwenken der arabischen Ölwelt erkennen, im Gegenteil. Sie verweisen auf die 150 Milliarden US-Dollar, die alleine ADNOC in seine Expansion stecken will. Bis 2030 plant das Unternehmen, seine tägliche Förderung von heute knapp drei auf fünf Millionen Barrel zu steigern.
Und dann sind da noch Recherchen von Medien. Dem “Guardian” zufolge landeten Mails, die nur für die Konferenzorganisation bestimmt waren, auch auf den ADNOC-Servern. Die “BBC” meldete, dass VAE-Verhandler die politischen Gespräche während der COP auch für neue Geschäftsabschlüsse, also den Verkauf von Öl und Gas, nutzen wollten. “Bloomberg” berichtete, dass das Unternehmen Masdar, laut eigener Aussage eines der größten für erneuerbare Energien, gemessen an der installierten Kapazität weltweit nur auf Platz 62 rangiert. Zudem wird Masdar City wohl frühestens erst 2030 fertig, und nicht wie geplant 2016. Bislang ist gerade mal ein Drittel der anvisierten Stadt errichtet.
Vor der Klimakonferenz war Sultan Ahmed Al Jaber wieder viel unterwegs, auf internationaler “Listening Tour”, wie es hieß. Emmanuel Macron, Olaf Scholz, Papst Franziskus, John Kerry, King Charles und andere hat er getroffen. Auf der COP28 muss er dieses Zuhören und Ausloten fortsetzen, wenn er die Konferenz zum Erfolg führen will. Erfahrung darin, die Interessen von fast 200 Staaten zu moderieren, hat er bislang nicht.
Seine eigenen Ziele – und die der Emirate – könnten dabei selbst zum Konfliktfeld werden. Das eine tun und das andere nicht lassen, das war bislang die Maxime: Die Erdölstaaten wollen das erneuerbare Business etablieren – und das fossile weiter ausbauen, bevor sie es dann womöglich zurückfahren. Gelingen soll der Spagat mit “Carbon Capture and Storage” (CCS), mit dem Abscheiden und unterirdischen Einlagern von klimaschädlichem Kohlendioxid. Die Technik soll das dreckige Verfeuern fossiler Rohstoffe künftig legitimieren.
Dass die teure, energieintensive und wenig ausgereifte CCS-Technologie zum Wandel bislang nur Kleinstmengen beigetragen hat, scheint Al Jaber nicht zu stören. Er wettet auf die Zukunft und darauf, dass die globale Marktreife in ein paar Jahren erreicht wird.
Deutlich früher dürfte sich dagegen zeigen, ob ihm tatsächlich daran gelegen ist, die Welt vor dem Klimawandel zu bewahren. In 14 Tagen wird man mehr wissen über Sultan Ahmed Al Jaber. Marc Winkelmann
endlich geht es los! Am heutigen Donnerstag startet die 28. UN-Klimakonferenz in Dubai. Wir werden Ihnen ab heute täglich die wichtigsten Entwicklungen schildern, Hintergründe liefern und die Details des COP-Prozesses darlegen. Bernhard Pötter, Alexandra Endres und Lukas Scheid sind vor Ort und werden zwei Wochen (plus x) aus Dubai berichten.
Zahlreiche wichtige Themen werden uns in den nächsten 14 Tagen beschäftigen: Wird sich die Weltgemeinschaft zu einem guten Kompromiss beim Global Stocktake zusammenraufen, der die Klimapolitik der kommenden Jahre bestimmen wird? Zu welchen Fortschritten ringen sich die Staaten bei der Klimafinanzierung durch? Wird COP-Präsident Al Jaber einen “Only Nixon Could Go To China”-Moment herbeiführen und mit Durchbrüchen überraschen? Wie werden die Debatten um den Gaza-Krieg die Konferenz und die Klimabewegung beeinflussen?
Im heutigen Interview schildert Luisa Neubauer die Gefahren der Klima-Resignation, was sie von Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet und warum der Streit bei den Fridays um die richtige Position zum Gaza-Krieg auf der COP kaum einen Unterschied machen wird. Bernhard Pötter analysiert die Positionen verschiedener Staatengruppen bei der “Globalen Bestandsaufnahme” zum Fortschritt im Klimaschutz. Einmal mehr zeichnet sich ab: Der Raum für Kompromisse ist klein.
Beste Grüße
Frau Neubauer, können Sie sich vorstellen, dass Greta Thunberg beim nächsten Klimastreik der Fridays for Future in Deutschland wieder auftritt?
Die Frage stellt sich derzeit nicht.
Was müsste dafür passieren?
Jeder in diesem Land kann Greta Thunberg einladen, das liegt ja nicht an mir, und das ist auch gut so.
Unterschiedliche Positionen zum Gaza-Krieg haben für Konflikte zwischen der deutschen und internationalen Fridays for Future Gruppe geführt. Wird es während der COP28 zu klärenden Gesprächen kommen?
Ich bin sehr vorsichtig mit meinen Erwartungen an die Klimakonferenz, politisch und zwischenmenschlich. Die Konferenz hat nicht den Ruf, der heilsamste Ort für erschöpfte Aktivisten zu sein. Aber wir werden natürlich sehr viel darüber sprechen, was passiert ist und wie wir wieder zusammenkommen.
Wird es gemeinsame Aktionen der jungen Protestbewegung geben?
Es wird natürlich Aktionen und Proteste geben, wie genau und in welcher Zusammensetzung, das weiß ich noch nicht. Aber es ist ja nicht so, als hätten vor allem wir aus Deutschland Probleme mit dem, was international gesagt wird. Aus internationaler Perspektive ist vor allem die Haltung Deutschlands ein Problem.
Die deutschen Fridays sind international isoliert?
Nicht wirklich, auch die Partner aus Österreich, der Schweiz und Frankreich und andere stehen uns in unserer Haltung nahe. Der normative Durchschnitt der internationalen Klimabewegung steht bei dem Thema woanders.
Was ist da passiert in den letzten sechs Wochen? Zeigt sich ein Riss, den es schon länger gibt?
Seit ich in der internationalen Bewegung arbeite, gibt es ein Misstrauen gegenüber weißen, europäischen Klimaschützern: Wie ernst meinen wir es mit der Klimagerechtigkeit? Das kann ich grundsätzlich gut verstehen, zu lange wurden falsche Versprechen gemacht von Generationen vor uns. Und das hat sich in den Augen mancher jetzt wieder bestätigt: Dass wir, wenn es hart auf hart kommt, nicht an der Seite unserer Partner und Freunde stehen. Aber wir erleben ja auch jenseits der Klimabewegung, wie verständnislos und enttäuscht auf die deutsche Position zu Israel und Gaza geschaut wird. Auch bei internationalen Organisationen: Früher wollten die Leute nicht für USAid arbeiten, jetzt hört man von einer ähnlichen Haltung gegenüber deutschen Organisationen.
Woran liegt dieses Misstrauen?
Viele fühlen sich verlassen davon, wie Deutschland durch diese Krise navigiert. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft in Gaza sehen viele als nachrangig. Die Klimabewegung ist eine kleine Projektionsfläche davon. Es gibt aber noch einen zweiten Faktor für dieses Misstrauen: Gerade wir Fridays in Deutschland sind im aktivistischen Handwerk pragmatisch sozialisiert, weil wir früh gemerkt haben, dass wir etwas bewegen und verändern können. Ich habe das auch bei AktivistInnen erlebt, die in Kambodscha einen Staudamm verhindert haben. Sie waren dafür im Gefängnis und haben den alternativen Nobelpreis bekommen – aber den Damm haben sie verhindert. Die sind total realpolitisch orientiert. Wenn das eigene System einem den Anschein vermittelt, man könne unter keinen Umständen gewinnen und selbst kleine Fortschritte aussichtslos wirken, dann wird die eigene Radikalität im Zweifel identitätsstiftender, als das eigentliche Organisieren.
Aber hat die internationale Klima-Gerechtigkeitsbewegung nicht schon lange die offiziellen Positionen des globalen Südens gegenüber dem globalen Norden eingenommen? Wenn es heißt “System change, not climate change” und damit eine grundsätzliche Ablehnung der Politik aus dem kapitalistischen Globalen Norden verbunden ist?
Bei uns war das nicht der Fall. Wir fordern auch in Deutschland “System change”, wenn wir mit “System” etwa ausbeuterische Verhältnisse meinen. Wir arbeiten weiter daran, diese Nord-Süd-Fronten aufzubrechen, indem wir sagen, wir erzählen eine neue Geschichte von jungen Leuten, die sich nicht auseinanderdividieren lassen von einer eindeutig ausbeuterischen Vergangenheit.
Aber passiert das nicht gerade – dass Sie sich auseinanderdividieren?
Die Gefahr besteht.
Was muss passieren, dass diese Kluft nicht weiter wächst?
Ich habe dafür keine einfache Formel. Sicher müssen wir sensibilisieren für historische Verantwortung, die nicht nur auf deutschen Schultern liegt, sondern eine Weltverantwortung ist. Das heißt auch Antisemitismus erkennen und das Existenzrecht Israels anerkennen. Aber wir sind auch gefragt, einen aufrichtigen und angemessenen politischen Umgang mit der Situation in Gaza zu finden. Ich kann es nachvollziehen, dass man Deutschland vorwirft, nicht klar genug dafür einzustehen, dass das Sterben in Gaza ein Ende findet. Es wäre ein wichtiger Schritt, wenn wir als Deutschland es schaffen könnten, in Richtung einer anhaltenden Feuerpause zum Schutz von Zivilisten hinzuwirken.
Ist die Klimabewegung in Dubai so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie als treibende Kraft ausfällt?
Diese Haltung wundert mich schon: Die letzten drei Jahre hat sich niemand hat für die internationale Bewegung interessiert. Jetzt könnte man den Eindruck bekommen, die internationale Arbeit sei unser Dreh- und Angelpunkt. Die internationale Klimabewegung ist riesengroß, Fridays for Future ist da ein relativ überschaubarer Teil. Wir sind in Deutschland sehr groß, aber nur selten in anderen Ländern. Natürlich wird es Aktivisten aus anderen Ländern geben, die ihre Sachen machen. Ich glaube nicht, dass die Debatte innerhalb der Fridays einen solchen Unterschied macht. Es fährt auch nur ein kleiner Teil der Fridays zur COP. Und wir denken auch: Etwaige Versöhnungsprozesse müssen vielleicht nicht ausschließlich in den zwei Wochen stattfinden, wo wir die Chance haben, internationale Klimademokratie zu beeinflussen.
Sie sagen, die Fridays sind nicht so relevant, dass ihre Probleme die Konferenz beeinflussen?
Die Stimmung ist relevant, aber das ist kein Fridays-Thema, sondern weltweit. Das hat mit der Klimabewegung weniger etwas zu tun, als mit der weltweiten Zivilgesellschaft. Die steht gerade woanders, als es die deutsche Staatsraison tut. Ich will nicht kleinreden, was wir leisten, aber internationale Dynamiken sind mächtiger als wir. Es gibt allerdings einen Unterschied: Wir als deutsche Fridays for Future Bewegung konnten bisher auf den COPs immer viel anstoßen: wir kennen uns gut aus, haben große Kapazitäten, kennen das Handwerk, das wir gut anwenden können. Vor einem Jahr bei der COP in Ägypten haben wir weite Teile der Proteste begleiten können. Diese Räume konnten wir gut öffnen, auch, weil wir als Menschen mit deutschem Pass privilegiert sind. Das wird jetzt schwieriger werden. Wir wurden in eine Situation gebracht, in der die Zusammenarbeit immer mit Erklärarbeit und Vermittlungsarbeit verbunden ist. Das widerspricht der Rushhour-Logik einer Klimakonferenz.
Wir wichtig sind die Konferenzen? Viele sind da skeptisch.
Es gibt riesige Defizite, aber es gibt aktuell keine Alternative. Es gibt den medialen Reflex, die COP zum singulären Höhepunkt des Jahres hochzuschreiben. Aber die fünfzig Wochen zwischen den COPs sind so wichtig wie die zwei Wochen bei der COP. Und was vorher nicht in Ansätzen geleistet wird, kann da nicht mehr ausgebügelt werden. Aber wir brauchen Orte, wo wir als Zivilgesellschaft zusammenkommen.
Sie sagen, die Fridays seien in Deutschland runtergeredet worden. Wo sehen Sie das?
Seit zwei oder drei Jahren gibt es in der Öffentlichkeit ein großes Erstaunen darüber, dass es ja gar nicht so einfach ist, Klima-Aktivismus in Deutschland zu machen. Ja, natürlich verlieren wir auch mal. Weil wir in einer so riesigen Krise sind, für die man 50 Jahre lang keine Lösung gefunden hat. Das krempeln wir nicht mal so eben in ein paar Jahren um und surfen auf einer grünen Welle davon. Wir sind als FFF in einem unglaublichen Klima-Hype reingestartet, das war schon damals eine totale Ausnahme. Aber wenn wir keine harten Zeiten hätten, bräuchten wir keine Klimabewegung.
Warum ist im letzten Jahr in Deutschland die Stimmung so gegen den Klimaschutz gekippt?
Dafür gibt es viele Erklärungen. Ein Grund ist sicherlich, dass ein Kanzler dachte, er könne das Klimaproblem an eine Partei und auch nur ein Ministerium outsourcen. Und wenn dann halb Deutschland auf diesen Minister einprügelt, dann sei das nicht das Problem des Kanzlers. Aber wenn man es nicht schafft, Klima demonstrativ zur Chefsache zu machen, dann fliegt dir halt dein Laden auseinander. Er müsste im Kabinett eine ökologische Mindestdisziplin durchzusetzen, die bedeutet, wir verhandeln nicht darüber, ob wir die Klimaziele einhalten. Und wer keinen besseren Vorschlag für einen aktuellen Plan machen kann, der hat kein Vorschlagsrecht. Wenn man all das nicht tut, so wie es Kanzler Scholz versäumt hat, dann landen wir an einem Punkt, wo die Existenzkrise unserer Zeit zu einem Privatproblem von Robert Habeck gemacht wird. Und nebenbei die Zuversicht und das Vertrauen in die Ampel und auch in die Demokratie verloren gehen und Resignation in diese Gesellschaft einzieht.
Wie wehren Sie sich gegen diese Resignation?
Die meisten Menschen meinen es ja gut. Und geben ihr Bestes. Das sieht oft sehr unterschiedlich aus, das ist auch okay so. Wenn die Resignation der Anfang von Ende ist, und politisch gesprochen die größte Gefahr für Klima und Demokratie, weil es die Resignierten sein werden, die einen Rechtsrutsch und eine Klimakrise zulassen werden – dann ist der Kampf gegen die eigene Resignation ein ganz banaler Teil von meinem täglichen Aktivismus. Und im nächsten Schritt stehen ja alle Türen offen, wenn wir nur genau hingucken.
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
Für die zentrale Entscheidung der COP28 zum “Global Stocktake” (GST) stehen den Delegationen harte Verhandlungen bevor. Denn die Vorstellungen der einzelnen Staaten und Ländergruppen, welche Folgen aus der ersten globalen Bestandsaufnahme zum Klimaschutz zu ziehen sind, gehen weit auseinander. Sie widersprechen sich teilweise sogar direkt. Das zeigt ein Überblick über die Vorschläge, die 23 UN-Staaten und Ländergruppen und etwa 50 internationale Organisationen dem Klimasekretariat UNFCCC vorgelegt haben. Table.Media hat die Dokumente ausgewertet.
Der GST zieht zum ersten Mal seit dem Beschluss des Pariser Abkommens 2015 eine Bilanz, was im Klimaschutz seitdem erreicht wurde und wie es weitergehen soll. Im September gab es eine Zusammenfassung der Erkenntnisse aus dem “technischen Dialog”. Dann fasste das UNFCCC-Sekretariat die Ergebnisse aus seiner Sicht zusammen. Auf der COP28 muss nun ein Dokument vorgelegt werden, das Grundlage für eine Entscheidung sein soll.
In den bisherigen Papieren gibt es große Übereinstimmung bei der Benennung von Lücken im bisherigen Klimaschutz. Aber auch viel Zustimmung bei anderen Themen:
In anderen Punkten gehen die Vorstellungen und Sichtweisen weit auseinander. Das zeigt ein Überblick über die wichtigsten Akteure und ihre besonderen Schwerpunkte.
Die Position der G77 und China wird vom derzeitigen Vorsitz Kuba vorgetragen. Sie entspricht weitgehend den bekannten Positionen dieses großen Zusammenschlusses von Entwicklungsländern in der UNO (inzwischen etwa 130 Staaten). Auch ihre Untergruppen wie LDC oder Basic ebenso wie große Länder wie China oder Indien wiederholen viele dieser Standpunkte:
Die Gruppe um Brasilien, Südafrika, Indien und China (BASIC) sieht sich als Führungsgruppe der G77/China. Gleichzeitig sind sie derzeit vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen und der Vergrößerung der BRICS-Gruppe, die außerdem noch Russland enthält, deutlich selbstbewusster. Die Forderungen der BASIC sind deutlich schärfer formuliert als die Erklärung der G77. Für sie ist die Klimakrise “die abstoßende Erbschaft von Kolonialismus und Imperialismus der letzten fünf Jahrhunderte”.
Die afrikanischen Länder legen größten Wert darauf, dass die Erklärung nachhaltige Entwicklung ihres Kontinents mit Klimazielen verbindet. Es müsse “Fortschritt bei den SDG” geben, eine Erklärung zum GST dürfe auf keinen Fall “die Unterentwicklung Afrikas vertiefen”. Oberstes Ziel müsse es sein, den 600 Millionen Menschen in Afrika ohne Zugang zu Strom und den 900 Millionen ohne sauberes Wasser zu helfen. Außerdem fordern sie:
Saudi-Arabien findet sich in mehreren Rollen wieder. Als dominanter Ölproduzent, dem die momentanen Preise große Gewinne sichern, als traditioneller Bremser in den Verhandlungen, der taktisch klug agiert. Gleichzeitig will das Land global eine wichtigere Rolle spielen und auch in der Zukunft einer dekarbonisierten Wirtschaft eine wichtige Rolle einnehmen. Die Forderungen des Königreichs:
Russland hält sich bei den Konferenzen traditionell im Hintergrund. Besonders seit dem Angriff auf die Ukraine suchen die Delegierten nicht die große Bühne, sind aber im Prozess immer präsent. Ihre Forderungen sind davon geprägt, dass die russische Volkswirtschaft zu einem großen Teil auf dem Export von Gas und Öl beruht. Deshalb:
China ist der vielleicht mächtigste Player bei den Klimaverhandlungen. Die Großmacht verfolgt ihre eigenen Ziele, leidet unter den Klimafolgen und treibt zu Hause den Ausbau der Erneuerbaren massiv voran. Gleichzeitig ist es vom fossilen Wirtschaftsmodell und dem Export abhängig. Das Land definiert sich nach wie vor als Entwicklungsland, um die Verhandlungsgruppe der G77/China zusammenzuhalten. Diese Rolle kommt nun etwa bei den Finanzierungsfragen des “Loss and Damage” Fonds immer stärker unter Druck. China als derzeit bei weitem größter CO₂-Emittent will deshalb unter anderem:
Die USA sind traditionell der große Gegenspieler Chinas. Mit dem politischen und ökonomischen Rivalen verbindet Washington Konkurrenz und Kooperation. Soll der Klimaprozess funktionieren, müssen sich China und die USA einig sein. Doch bei den Forderungen zum abschließenden GST-Beschluss der COP28 markiert die US-Regierung, die zu Hause vor einem Wahljahr steht, ihre Positionen:
Die Europäische Uion sieht sich gern als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Der Block aus 27 Staaten hat seit 1990 seinen CO₂-Ausstoß um etwa 25 Prozent gesenkt, für 2030 mit dem “Green Deal” ein Minus von 55 Prozent angestrebt und für 2050 Netto-Null-Emissionen. Die Mitgliedsstaaten der EU sind die größten Finanziers im internationalen Klimaschutz und bemühen sich um strategische Bündnisse mit Schwellen- und Entwicklungsländern. In die Schlusserklärung gehört für Europa deshalb:
CAN International, der Zusammenschluss von mehr als 1900 Umwelt- und Entwicklungsorganisationen aus 130 Ländern unter dem Dach der “Climate Action Network” begleitet die COPs von Anfang an. Die Experten und Lobbyisten der Gruppen sitzen inzwischen in vielen Länderdelegationen. Die deutsche Klimabeauftragte Jennifer Morgan oder der kanadische Umweltminister Steven Guilbeault arbeiteten früher hier. CAN liefert traditionell neben Expertise auch die Stimme der armen Entwicklungsländer und des Naturschutzes. Konkret fordern sie von einer Erklärung zum GST:
Die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) sind oft auch jene, die von der Klimakrise am stärksten getroffen werden: Ihr geografische Lage, ihre oft schwachen Institutionen, ihre Wirtschaftsstruktur und geringer Wohlstand führen dazu, dass Verluste und Schäden kaum abgepuffert werden können. Daher sind ihre Forderungen teilweise noch weitergehend. Sie plädieren unter anderem für folgende Elemente in der Erklärung:
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
30. November, 10 Uhr, UN Climate Change Global Innovation Hub, Zone B2
Eröffnung UN Climate Change Global Innovation Hub COP 28 Infos
30. November, 12.30 Uhr, Press Conference 2, Zone B6
Pressekonferenz Local Governments and Municipal Authorities COP28 Position and expectations for multilevel action and urbanization Infos
30. November, 15 Uhr, Virtueller-OECD Pavillion
Diskussion Greening global energy grids with AI and connectivity
Künstliche Intelligenz kann dabei helfen die Klimaziele für das Jahr 2050 zu erreichen. Diese Podiumsdiskussion der OECD analysiert die Beziehung zwischen KI, dem Internet der Dinge (IoT) und der zugrunde liegenden Konnektivitätsinfrastruktur sowie deren Auswirkungen auf effiziente Energiesysteme. Infos
30. November, 16 Uhr, Meeting Room 3, Zone B1
Mandated Event Understanding the Effects of Response Measures to Support Just Transition and Economic Diversification: Case Studies Infos
In den ersten neun Monaten des Jahres 2023 wurde weltweit kaum noch mit dem Bau neuer Kohlekraftwerke begonnen – einzig in China hielt der 2022 gestartete Bauboom weiter an. Laut Recherchen der Organisation Global Energy Monitor wurden im laufenden Jahr außerhalb Chinas nur in drei weiteren Staaten Bauprojekte für neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von weniger als 2 Gigawatt gestartet. Das liegt weit unter dem Durchschnitt von 16 Gigawatt in den letzten acht Jahren. Allerdings wurde in China in den letzten neun Monaten mit dem Bau von über 37 GW an neuer Kohlekapazität begonnen, was weit über dem Durchschnitt der letzten Jahre lag.
Außerhalb von China befinden sich aktuell noch 67 Gigawatt im Bau, deren Baubeginn teils schon vor dem Jahr 2023 lag. Insgesamt werden außerhalb Chinas allerdings immer weniger neue Kohlekraftwerke zugelassen oder geplant, wie langfristige Daten des Global Energy Monitors zeigen. Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert einen abnehmenden Kohleverbrauch für die kommenden Jahre. nib
Sultan Al Jaber, Präsident der COP28, streitet ab, dass die Vereinigten Arabischen Emirate die Klimakonferenz dazu nutzen wollten, Öl und Gas-Deals auszuhandeln. Am Montag hatten die BBC und das Centre for Climate Reporting berichtet, dass Al Jaber sich auf Verhandlungen über Fossile mit mindestens 15 Ländern vorbereitet habe. Die Berichterstattung bezog sich auf geleakte Dokumente. Sie sollen beispielsweise Vorbereitungen für Gespräche mit China über LNG-Lieferungen aus Mosambik, Kanada und Australien zeigen. Die geleakten Dokumente beziehen sich auf vorbereitende Treffen mit Ministern aus verschiedenen Ländern.
Laut Al Jaber sind diese Vorwürfe “falsch, nicht wahr, unrichtig, nicht zutreffend”. Die Berichterstattung darüber sei ein Versuch, seine Präsidentschaft der COP zu untergraben. Schon im Vorfeld hatte es Kritik an Al Jabers COP-Präsidentschaft gegeben. Er hat eine Reihe von hochrangigen Positionen in der Regierung und in der Wirtschaft inne, unter anderem als Vorstandsvorsitzender des staatlichen Ölriesen Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC). Al Jaber selbst sieht sich als Mediator zwischen Klimabewegung und der fossilen Industrie. Diese Kontroverse diskutieren wir auch im heutigen Portrait des COP-Präsidenten. rtr/kul
Von Januar bis Anfang November wurde deutlich weniger Amazonas-Regenwald zerstört als im Vergleich zu den ersten elf Monaten des Vorjahres. Die Waldzerstörung ist um 56 Prozent zurückgegangen. In Brasilien, Kolumbien, Peru und Bolivien sank die Abholzungsrate. Das zeigt eine Analyse des Waldüberwachungsprogramms MAAP der gemeinnützigen Organisation Amazon Conservation.
Der Amazonas, der größte Regenwald der Welt, trägt zur Eindämmung der globalen Erwärmung bei, da seine Bäume große Mengen an Kohlendioxid absorbieren. Der Rückgang fällt mit einem Wechsel der Regierungen hin zu linksgerichteten Präsidenten in Brasilien und Kolumbien zusammen, die sich seit vergangenem Jahr verstärkt für den Naturschutz einsetzen. Analysten führen den Rückgang größtenteils auf die strengere Durchsetzung von Umweltgesetzen in Brasilien zurück. Dort liegt ein Großteil des Amazonas-Waldes. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva trat am 1. Januar sein Amt an. Sein Vorgänger Jair Bolsonaro hatte die Abholzung des Regenwaldes für Bergbau, Viehzucht und andere Zwecke befürwortet.
Der Erfolg bei der Eindämmung der Entwaldung wird den Amazonas-Ländern mehr Einfluss geben, um auf der COP28 auf eine Finanzierung des Naturschutzes zu drängen, meinen Experten. 2021 hatten sich mehr als 100 Ländern auf der Klimakonferenz dazu verpflichtet, die globale Entwaldung bis 2030 zu beenden. Bisher hatten globale Daten nicht darauf hingedeutet, dass dieses Ziel in Reichweite ist.
Laut MAAP wurden im Amazonas-Gebiet zwischen dem 1. Januar und dem 8. November 9.117 Quadratkilometer weniger Wald zerstört – eine Fläche von der Größe Puerto Ricos. Carlos Nobre, Geowissenschaftler an der Universität von São Paulo und Mitbegründer des Science Panel for the Amazon Research Collective, bezeichnete die neuen Daten zur Entwaldung als “wunderbare Nachricht”. Die Entwaldung sank somit auf den niedrigsten Stand seit 2019, dem ersten Jahr, für das genaue Satellitendaten vorhanden sind. rtr/nib/kul
Deutschland gehört zu den Regionen mit dem weltweit höchsten Verlust an Wasser durch die Klimaerhitzung. Die jährlichen Verluste betragen 2,5 Kubikkilometer. Zum Vergleich: Der Bodensee umfasst circa 48 Kubikkilometer Wasser. Wie der neue Monitoring-Bericht zur “Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel” (DAS) zeigt, sind die Folgen weitreichend. So waren die vergangenen Jahre von starken regionalen Dürren geprägt. Vielerorts sanken die Grundwasserstände auf Rekordtiefe. Die Folge waren in manchen Jahren ein Rückgang der Ernten von Weizen und Silomais von 15 bis 20 Prozent. Die Wälder, insbesondere Fichtenbestände, litten ebenfalls unter dem Trockenstress und starben teils flächig ab. Durch die Trockenheit kam es vor allem in den nordöstlichen Bundesländern zu großen Waldbränden. Hinzu kamen erstmals Hitzewellen mit Temperaturen über 40 Grad Celsius nördlich von Hamburg, sowie weitreichende Veränderungen in den Ökosystemen im Meer und an Land.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke sprach von “verheerenden Folgen der Klimakrise”, die “sich auf die Gesundheit der Menschen, die Ökosysteme und die Wirtschaft” auswirken. Die Kommunen, so Lemke weiter, seien sich ihrer “entscheidenden Rolle” bei Vorsorgemaßnahmen zunehmend bewusst.
Dabei würden sie von der Bundesregierung durch das Klimaanpassungsgesetz und der zugehörigen Strategie unterstützt. Der Präsident des Bundesumweltamts, Dirk Messner, ergänzte mit optimistischen Einschätzungen: “Neben den Schäden zeigt der Bericht auch, dass Anpassungen vor Ort wirken. Die Zahl der Hitzetoten konnte durch gezielte Informationskampagnen reduziert werden.” Zudem arbeiteten Bund und Länder an der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wasserressourcen und Böden. Die Bundesregierung legt künftig alle vier Jahre einen Monitoring-Bericht zur DAS vor, wie es das Klimaanpassungsgesetz verlangt. Damit soll die Umsetzung messbarer Ziele nachvollzogen werden können. av
Mia Amor Mottley, die Ministerpräsidentin von Barbados, wurde mit ihrer ambitionierten Bridgetown-Agenda für die Reform der internationalen Finanzarchitektur zu einer mächtigen Verfechterin der Klimagerechtigkeit. Aber sie ist nicht die einzige Staatschefin, die sich den massiven Herausforderungen der heutigen Zeit stellt. Eine neue Generation Politiker aus dem Globalen Süden erhebt ihre Stimme.
Beispielsweise eröffnet der kenianische Präsident William Ruto neue Wege für klimapositives Wachstum in Afrika: Indem der Kontinent seine reichhaltigen natürlichen Ressourcen und sein grünes Produktionspotenzial nutze, könne er die industrialisierte Welt mit Waren und Dienstleistungen versorgen, um die Energiewende zu beschleunigen. In Lateinamerika hat der kolumbianische Präsident Gustavo Petro einen neuen Marshallplan zur Finanzierung globaler Klimamaßnahmen gefordert. Und Luiz Inácio Lula da Silva, der jetzt seine dritte Amtszeit als brasilianischer Präsident angetreten hat, will während der G20-Präsidentschaft seines Landes im nächsten Jahr nicht nur den Hunger, die Armut und die Ungleichheit bekämpfen, sondern auch nachhaltige Entwicklung fördern und überkommene globale Verwaltungsstrukturen reformieren.
Nach einem Jahrzehnt des Protektionismus und der Fragmentierung sollen diese Initiativen einen globalen Konsens dafür schaffen, dringend benötigte Reformen durchzuführen. Nach COVID-19 erlebt die Welt nun das, was die G20 “kaskadierende Krisen” genannt hat, darunter einen dramatischen Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise, untragbare Schuldenbelastung der weltweit ärmsten Länder und eine Rekordzahl klimabedingter Katastrophen. Um gegen den Klimawandel wesentliche Fortschritte zu machen und ihre Entwicklungsziele zu erreichen, benötigen die Entwicklungsländer jährlich mindestens eine Billion Dollar. Aber nichts zu tun, wäre sogar noch teurer.
Unsere gemeinsame Zukunft hängt von einer dramatischen Steigerung der Finanzierung ab, und dazu müssen zunächst einmal Abgaben auf die Übergewinne fossiler Energiekonzerne erhoben werden. Laut Fatih Birol, dem Vorsitzenden der Internationalen Energieagentur, hat die globale Öl- und Gasindustrie 2022 etwa vier Billionen Dollar verdient – erstaunliche 2,5 Billionen mehr als im Durchschnitt der letzten Jahre.
Woher kam dieses Geld? Die kurze Antwort ist, von den Verbrauchern. Einige der weltweit reichsten Unternehmen profitieren von einer Krise der Lebenshaltungskosten – die weitgehend durch hohe Energiepreise angetrieben wurde und überproportional die Armen und Bedürftigen traf. Die größten Profiteure dieser effektiven Sondersteuer auf die Weltwirtschaft waren die Ölstaaten, deren Exportgewinne – einschließlich jener von Ländern wie Kanada, Australien, Irak und Iran – 2022 insgesamt bei fast einer Billion Dollar lagen.
Die größten dieser Länder, deren Pro-Kopf-Einkommen zu den weltweit höchsten zählt, wären durchaus in der Lage, auf ihre außerordentlich hohen Kohlenwasserstoffgewinne eine freiwillige Abgabe in einen globalen Fonds für nachhaltige Entwicklung zu zahlen. Eine dreiprozentige Steuer auf die Exportgewinne der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE, 119 Milliarden Dollar), Katar (116 Milliarden), Kuwait (98 Milliarden), Norwegen (etwa 174 Milliarden) und Saudi-Arabien (311 Milliarden) für 2022 würde etwa 25 Milliarden Dollar einbringen – was kaum über dem liegt, was allein Saudi-Arabien in letzter Zeit für Fußball, Golf, Formel-Eins-Rennen und andere Sportgeschäfte ausgegeben hat.
Dass die diesjährige Klimawandelkonferenz der Vereinten Nationen (COP28) in einem dieser Länder, nämlich den VAE stattfindet, könnte ein glücklicher Zufall sein: Als der designierte COP28-Präsident Sultan Al Jaber im Juli seinen Aktionsplan vorstellte, nannte er als einen der vier wichtigsten Punkte die “Festlegung der Klimafinanzierung” und argumentierte, “alle Formen der Finanzierung” müssten “verfügbarer, zugänglicher und erschwinglicher” werden. Außerdem hat er die Geberländer, die ihre Versprechen noch nicht erfüllt haben, aufgefordert: “Zeigt mir das Geld.”
Aber als designiertes Präsidentschaftsland haben die VAE die Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen. Um die COP28 in Gang zu bringen, sollte Al Jaber – der außerdem Geschäftsführer und Gruppen-CEO der nationalen Ölgesellschaft von Abu Dhabi ist – am besten ankündigen, sein Land werde drei Milliarden Dollar seiner Übergewinne an eine globale Finanzierungseinrichtung übertragen, und seine reichen Golfnachbarn davon überzeugen, dasselbe zu tun. Mehr als die Hälfte dieser Beiträge könnte in den Verlust- und Schadensfonds fließen, auf den sich die COP27 geeinigt hat, dessen Anfangsfinanzierung aber immer noch sehr gering ist. Der Rest könnte als Kapital- und Zuschussfinanzierung in neue Einrichtungen zur Klimaanpassung und Linderung der Folgeschäden fließen.
Mit einer solchen Abgabe müsste die internationale Gemeinschaft dann ein größeres Finanzierungsprogramm für die Entwicklungsländer ins Leben rufen – nach dem Prinzip, dass reiche, traditionell große und zahlungskräftige Verschmutzer mehr beitragen, um den ärmeren Ländern bei der Anpassung an die globale Erwärmung zu helfen. So sollten nicht nur die Hilfsbudgets vergrößert werden, sondern auch die Nachschubfinanzierung der Internationalen Entwicklungsorganisation – der Finanzierungsfazilität der Weltbank für die ärmsten Länder – für 2024.
Der Ökonom N.K. Singh und der ehemalige US-Finanzminister Lawrence H. Summers haben zwei Berichte an die G20 erstellt, deren erster vor dem jüngsten Gipfel der Ländergruppe in Delhi veröffentlicht wurde. Ihr zentraler Vorschlag ist, 90 Milliarden Dollar in Form vergünstigter Finanzmittel bereitzustellen. Außerdem müsse die Gesamtkapazität des Systems der multilateralen Entwicklungsbanken (MEB) erhöht werden, was bedeutet, dessen jährliche Verpflichtungen auf 300 Milliarden Dollar regulärer Finanzmittel für Länder mittleren Einkommens zu verdreifachen.
Ebenso schlagen sie vor, die Weltbank zu rekapitalisieren und verstärkt Garantien einzusetzen. Diese könnten von den reichen Ländern vergeben werden, um es den MEB zu ermöglichen, auf den Kapitalmärkten zu attraktiven Bedingungen Kredite aufzunehmen.
Solche Initiativen können, wenn sie richtig durchgeführt werden, die Kreditvergabe durch den Privatsektor mobilisieren, was für unsere Klimaziele entscheidend ist. Die Abgabe auf Übergewinne und die Garantien könnten, wenn sie auf der COP28 beschlossen werden, gemeinsam als Grundlage dafür dienen, den Entwicklungsländern bis 2030 jährlich eine Billion Dollar Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Vor 75 Jahren haben die USA Europa im Rahmen ihres Marshallplans 13,3 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau nach dem Krieg geliehen – eine Summe, die heute 169 Milliarden entsprechen würde. Dies war ein bemerkenswertes Beispiel globaler Führung, die zu Jahrzehnten stabilen Wirtschaftswachstums und internationaler Zusammenarbeit beigetragen hat.
Auch wenn die Welt und ihre Krisen heute sehr anders aussehen, muss die Antwort auf die Probleme ebenso ehrgeizig sein. Die Länder des Globalen Südens haben einen Weg nach vorn gezeigt. Jetzt müssen ihre reichen Partner aus dem Norden vorangehen und die nötigen Finanzmittel bereitstellen. Das Geld ist da, aber wir brauchen die politische Vision und den Willen, es einzusetzen, bevor die nächste Krise kommt.
Gordon Brown, ehemaliger Premierminister von Großbritannien, ist Sondergesandter für weltweite Bildung bei den Vereinten Nationen. Permacrisis: A Plan to Fix a Fractured World von Gordon Brown, Mohamed A. El-Erian, Michael Spence und Reid Lidow wurde am 28. September 2023 veröffentlicht. In Kooperation mit Project Syndicate, 2023. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.
Die Ablehnung war deutlich und sie kam zügig, nur zwei Wochen nachdem die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Sultan Ahmed Al Jaber Anfang Januar 2023 zum COP28-Präsidenten ernannt hatten. Mehr als 400 NGOs formulierten einen offenen Brief an UN-Generalsekretär António Guterres, in dem sie forderten, dass die Personalie rückgängig gemacht werden müsse. Denn: Al Jaber, der CEO der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC), sei alles Mögliche – aber kein Klimaschützer.
Zum Beweis listeten sie ein paar Fakten auf: Im weltweiten Ranking der größten Ölproduzenten liege ADNOC auf Platz 12, beim Ausstoß von Treibhausgasen nehme das Unternehmen Rang 14 ein. Und zur vorigen Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh hätten die VAE mehr Lobbyisten der fossilen Industrie mitgebracht als jede andere Nation.
Geändert hat das nichts. Wenn die “Conference of Parties” (COP) heute in ihre 28. Runde geht, dann wird sie zum ersten Mal von einem Konzernchef geleitet. Von einem fossilen Konzernchef.
Dass der 50-Jährige einmal eine so prominente Rolle in der Weltpolitik übernehmen würde, war nicht unbedingt vorbestimmt. Er wuchs in Umm al-Qaiwan auf, dem kleinsten Scheichtum der Vereinigten Arabischen Emirate, abseits vom politisch dominierenden Dubai und dem erdölreichen Abu Dhabi. Für sein Studium – Chemieingenieurswesen und BWL – ging er nach Kalifornien. In England promovierte er in Wirtschaftswissenschaften. Dazwischen, 1998, begann er seine Arbeit beim staatlichen Ölkonzern ADNOC, zunächst als Prozess- und Planungsingenieur in der Erdgassparte.
Dort stieg er schnell auf, wechselte als Manager zur staatlichen Investmentgesellschaft Mubadala, gründete Masdar, einen Versorger für erneuerbare Energien, und wurde von den damals neuen Herrschern auf Weltreise geschickt. Ihr Ziel: die Diversifizierung ihrer Wirtschaft voranzutreiben und das Geschäft mit der sauberen Energie auszubauen. Nach Besuchen in 15 Ländern auf vier Kontinenten kam Al Jaber mit einem Plan zurück: Nahe dem Flughafen Abu Dhabi solle Masdar City entstehen, eine CO₂-neutrale Stadt für 50.000 Einwohner, in der junge Menschen lernen, wie die nachhaltige Zukunft gestaltet werden kann.
Seitdem sind weitere Aufgaben dazugekommen. 2009 berief ihn der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon in seine Advisory Group on Energy and Climate, 2010 wurde er zum Klima-Sondergesandten der VAE, 2016 Vorstandschef von ADNOC und 2020 Industrieminister. Zwischenzeitlich übernahm er noch den Chefposten des National Media Council, außerdem sitzt er in mehreren Aufsichtsräten.
Die Beschäftigung mit der Energiewende, seine Besuche bei vorigen Klimakonferenzen und seine verschiedenen Einblicke und Kontakte in die Wirtschaft sind es denn auch, die Befürworter Al Jabers betonen. Frans Timmermans etwa sagte ihm jegliche Unterstützung zu, als er noch EU-Kommissar für Klimaschutz war. John Kerry, der US-Sondergesandte für Klimafragen, bezeichnete ihn als “hervorragende Wahl”. Kerry sieht in ihm einen Mittler zwischen den Welten. “Wenn er das nicht hinbekommt, wenn die Öl- und Gasindustrie nicht teilnimmt und keinen ernsthaften Beitrag leistet, dann werden die Vereinigten Arabischen Emirate sehr schlecht aussehen, und er weiß das.” Sollten sie sich dazu jedoch durchringen, könnten die Emirate zu einem “all-time catalyst” werden, zu einem Akteur, der an entscheidender Stelle den Schalter umgelegt hat.
Öffentlich bekennt sich Al Jaber zur Energiewende. “Das Herunterfahren der fossilen Energien ist unerlässlich”, sagte er dem “Time Magazine”. “Das müssen wir akzeptieren.” Zugleich erklärte er, dass die Welt noch nicht bereit dafür sei, ganz auf Öl und Gas zu verzichten. “Wir können nicht den Stecker des bisherigen Energiesystems ziehen, bevor wir ein neues aufgebaut haben.”
Sätze wie diese lassen Kritiker aufhorchen. Noch können sie keine Belege für ein glaubwürdiges Umschwenken der arabischen Ölwelt erkennen, im Gegenteil. Sie verweisen auf die 150 Milliarden US-Dollar, die alleine ADNOC in seine Expansion stecken will. Bis 2030 plant das Unternehmen, seine tägliche Förderung von heute knapp drei auf fünf Millionen Barrel zu steigern.
Und dann sind da noch Recherchen von Medien. Dem “Guardian” zufolge landeten Mails, die nur für die Konferenzorganisation bestimmt waren, auch auf den ADNOC-Servern. Die “BBC” meldete, dass VAE-Verhandler die politischen Gespräche während der COP auch für neue Geschäftsabschlüsse, also den Verkauf von Öl und Gas, nutzen wollten. “Bloomberg” berichtete, dass das Unternehmen Masdar, laut eigener Aussage eines der größten für erneuerbare Energien, gemessen an der installierten Kapazität weltweit nur auf Platz 62 rangiert. Zudem wird Masdar City wohl frühestens erst 2030 fertig, und nicht wie geplant 2016. Bislang ist gerade mal ein Drittel der anvisierten Stadt errichtet.
Vor der Klimakonferenz war Sultan Ahmed Al Jaber wieder viel unterwegs, auf internationaler “Listening Tour”, wie es hieß. Emmanuel Macron, Olaf Scholz, Papst Franziskus, John Kerry, King Charles und andere hat er getroffen. Auf der COP28 muss er dieses Zuhören und Ausloten fortsetzen, wenn er die Konferenz zum Erfolg führen will. Erfahrung darin, die Interessen von fast 200 Staaten zu moderieren, hat er bislang nicht.
Seine eigenen Ziele – und die der Emirate – könnten dabei selbst zum Konfliktfeld werden. Das eine tun und das andere nicht lassen, das war bislang die Maxime: Die Erdölstaaten wollen das erneuerbare Business etablieren – und das fossile weiter ausbauen, bevor sie es dann womöglich zurückfahren. Gelingen soll der Spagat mit “Carbon Capture and Storage” (CCS), mit dem Abscheiden und unterirdischen Einlagern von klimaschädlichem Kohlendioxid. Die Technik soll das dreckige Verfeuern fossiler Rohstoffe künftig legitimieren.
Dass die teure, energieintensive und wenig ausgereifte CCS-Technologie zum Wandel bislang nur Kleinstmengen beigetragen hat, scheint Al Jaber nicht zu stören. Er wettet auf die Zukunft und darauf, dass die globale Marktreife in ein paar Jahren erreicht wird.
Deutlich früher dürfte sich dagegen zeigen, ob ihm tatsächlich daran gelegen ist, die Welt vor dem Klimawandel zu bewahren. In 14 Tagen wird man mehr wissen über Sultan Ahmed Al Jaber. Marc Winkelmann