es ist seit langem ein zentraler Streitpunkt der Klimaverhandlungen: Wie soll globaler Klimaschutz finanziert werden? Diese Woche hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum großen Gipfel zu dieser Frage eingeladen. Er will das Thema “Umbau zu einem klimagerechten Finanzsystem” oben auf die Agenda setzen. Bei der Konferenz in Bonn wurde gemunkelt, Macron wolle die Bridgetown-Agenda von Mia Mottley kapern – der Globale Süden solle sich nicht vom Fahrersitz verdrängen lassen. Claire Stam hat jetzt die Details zu Macrons Gipfel.
In Zeiten der Schuldenkrisen kann man fragen, ob die Staaten des Globalen Südens überhaupt auf dem Fahrer- oder nicht vielmehr auf dem Schleudersitz sitzen. Alexandra Endres hat sich ein neues, altes Konzept zur Umwandlung von Schulden in Klimageld angeschaut: Debt-for-Nature-Swaps. Was gut klingt, erntet allerdings auch viel Kritik.
Und dann beklagen noch die Internationale Energieagentur IEA und die Weltbank-Tochter IFC, dass zu wenig Geld in die Energiewende im Globalen Süden fließe. Die Summen müssten sieben Mal größer sein, um das 1,5-Grad-Ziel einhalten zu können, aber dafür brauche es Reformen. Wobei wir wieder beim Macron-Gipfel vom Anfang wären. Aber wenn es bei den Finanzen wenig Hoffnung auf einfache Lösungen gibt, könnte es bei der internationalen Schifffahrt zu einer Klima-Überraschung kommen. Mehr dazu in den News.
Wir feiern mit diesem Briefing unsere 50. Ausgabe des Climate.Table. Und freuen uns weiter über neue Leserinnen und Leser. Wenn Ihnen diese Ausgabe gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen. Wir schauen jedenfalls voller Neugier nach vorn. Es bleibt aufregend.
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Mit seinem “Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt” will der französische Präsident Emmanuel Macron ab heute der internationalen Klimafinanzierung neuen Schwung, einen neuen Rahmen und neue Geldgeber verschaffen. Das zweitägige Treffen in Paris soll die diversen Debatten über Klimafinanzen unter einem Dach zusammenführen. Es soll private Investoren verstärkt für die Kapitalbedürfnisse der globalen Wende in die Pflicht nehmen.
Und es soll allgemein die Aufmerksamkeit auf das bislang oft vernachlässigte dritte Ziel des Pariser Abkommens aus Artikel 2 I c richten: Nämlich neben der Begrenzung der Temperatur und der Anpassung an den Klimawandel die “Finanzflüsse kompatibel zu machen mit einem Pfad Richtung niedriger Emissionen von Treibhausgasen und einer klimafesten Entwicklung.”
Die Organisatoren hoffen auf eine “gemeinsame Diagnose” der Herausforderungen und einer “neuen politischen Vision”, die zu “greifbaren, umsetzbaren” Ergebnissen führen sollen, heißt es aus dem Élysée-Palast. Nicht geplant ist eine Wort für Wort ausgehandelte gemeinsamen Erklärung, sondern ein “operativer” Fahrplan mit praktischen Maßnahmen.
Macron hatte den Gipfel auf dem G20-Gipfel im November 2022 angekündigt, nachdem er die “Bridgetown Initiative” von Mia Mottley, der Premierministerin von Barbados, unterstützt hatte. Mottley wird prominenter Gast in Paris sein. Ihre Agenda fordert ein globales Finanzsystem, das sich an den Bedürfnissen der am stärksten gefährdeten Länder orientiert: Es soll insgesamt Finanzmittel von 100 Milliarden Dollar mobilisieren, insbesondere aus dem Privatsektor und die Kapitalkosten in den Entwicklungsländern senken, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Das gilt zusätzlich zu den 100 Milliarden Dollar, die die Industrieländer ab 2020 dem Globalen Süden versprochen haben, und die sie bisher nicht vollständig geliefert haben.
Kurz vor Beginn des Gipfels in Paris haben Staats- und Regierungschefs die Forderung nach einer klimafesten Reform des Finanzsystems unterstützt und nach einem “neuen globalen Konsens” in dieser Frage gerufen, darunter US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz, Brasiliens Präsident Lula da Silva, Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa oder die Chefin der EU-Kommission Ursula von der Leyen.
Ohnehin haben die G20 eine Reform der Bretton-Woods-Finanzarchitektur gefordert, die angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr funktionsfähig sei. “Die Klimafrage kollidiert mit der Agenda der Reform der Bretton-Woods-Institutionen“, analysiert Philippe Zaouati, CEO von Mirova, einer auf nachhaltige Investitionen spezialisierten Vermögensverwaltungsgesellschaft.
Der französische Investor ist der Ansicht, dass das gesamte System “überdacht” und an die neuen klimatischen Gegebenheiten “angepasst” werden muss. Und das setzt eine stärkere Beteiligung des privaten Finanzsektors voraus. “Öffentliche Entwicklungshilfe ist gut, aber nicht alles”, betont Zaouati. “Derzeit sind zum Beispiel Pensionsfonds noch viel zu zögerlich, um in südliche Länder zu investieren. Dabei besteht gerade dort ein großer Investitionsbedarf”.
Die bisherigen Debatten haben aus Sicht von Paris ein Problem: Sie finden über zahlreiche Kanäle statt, die nicht unbedingt miteinander übereinstimmen und als “distanziert” gelten: Beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, bei den UN-Klimaverhandlungen, bei G7 und G20. “Diese internationalen Foren sind derzeit Gegenstand unzusammenhängender Aktionen, was die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen betrifft. Dieser Gipfel soll einen gemeinsamen Rahmen schaffen“, sagte Laurence Tubiana, Vorsitzende der European Climate Foundation und Architektin des Pariser Abkommens. Sie fordert das Finanzziel des Pariser Abkommens ein.
Paris strebt an, die zwei Tage im Palais Brongniart zum Knotenpunkt dieser verschiedenen Verhandlungsräume zu machen. Macron will trotz der Spannungen zwischen China und den USA, dem Krieg in der Ukraine und der tiefen Verärgerung der Länder des Südens erfolgreich sein. Der geopolitische Kontext ist “sehr kompliziert”, bemerkt Bertrand Badré, Direktor des Fonds für verantwortungsbewusste Investitionen Blue Orange Capital und ehemaliger Generaldirektor für Finanzen der Weltbank. “Es gibt immer weniger Lust, sich zu einigen”. Aber “wenn es uns nicht gelingt, den Entwicklungsländern in der Frage der Finanzierung entgegenzukommen, werden sie nicht am Verhandlungstisch sitzen bleiben und mit der Extraktion von Kohle, Öl und Gas beginnen”, befürchtet er.
Es haben sich rund 50 Staats- und Regierungschefs angekündigt. Neben der charismatischen Mia Mottley aus Barbados hat auch der Präsident Brasiliens, Lula da Silva, bereits seine Teilnahme zugesagt. Auch China dürfte mit seinem Premierminister Li Qiang hochrangig vertreten sein. UN-Generalsekretär António Guterres kommt ebenso wie die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, der deutsche Bundeskanzler, Olaf Scholz oder die Präsidenten von Ghana, Nana Akufo-Addo, Senegal, Macky Sall und Kenia, William Ruto. Die USA werden voraussichtlich durch den Klimagesandten John Kerry, und Finanzministerin Janet Yellen vertreten sein.
Die wichtigsten internationalen Organisationen, große Stiftungen, der Privatsektor, der akademische Sektor und die Zivilgesellschaft werden ebenfalls anwesend sein. Unter ihnen: der neue Präsident der Weltbank, Ajay Banga, der seit dem 1. Juni im Amt ist und für den dieser Gipfel das erste große internationale Treffen sein wird. Außerdem werden die geschäftsführende Direktorin des IWF, Kristalina Georgieva, und Mafalda Duarte, die sich anschickt, die Leitung des Grünen Klimafonds zu übernehmen, auf dem Gipfel sprechen. Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank und ehemalige Chefin des IWF, wird ebenfalls anwesend sein. Ebenso Mark Carney, ehemaliger Gouverneur der Bank of England, der die Initiative Gfanz (Glasgow Financial Alliance for Net Zero) ins Leben gerufen hat.
Geplant sind sechs Round Table-Gespräche zu folgenden Themen:
Es war der größte Schuldentausch für den Naturschutz, der je vereinbart wurde: Der “Debt-for-Nature-Swap”, den Ecuador Anfang Mai verkündete, soll dem Land in Zukunft mehrere Millionen US-Dollar pro Jahr bringen. Das Geld soll für den Schutz der Galapagos-Inseln verwendet werden. Das ist jenes Naturparadies, das Charles Darwin einst zu seiner Theorie über die Entstehung der Arten inspirierte.
Debt-for-Nature-Swaps sind nicht neu. Es gibt sie seit dem Ende der 1980er-Jahre. Doch wegen seines Rekordumfangs gilt der jüngste ecuadorianischen Schuldentausch unter den beteiligten Finanzinstitutionen als Meilenstein. Er soll die Tür für weitere große Deals öffnen.
In jüngster Zeit werden solche Debt Swaps auch verstärkt als Beitrag zur Klimafinanzierung gehandelt. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung empfahl kürzlich, das Instrument für nachhaltige Entwicklungszwecke auszuweiten (Table.Media berichtete). Auch auf dem Pariser Klimafinanzgipfel von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron werden Debt-for-Nature-Swaps ein Thema sein.
Im Fall Ecuadors lief das Geschäft laut Reuters so ab: Mithilfe der Schweizer Großbank Credit Suisse hat das Land Staatsanleihen zum Nennwert von 1,6 Milliarden US-Dollar zurückgekauft. Es zahlte dafür aber nur 664 Millionen US-Dollar, denn der Kurs der Papiere war wegen der anhaltenden politischen Krise im Land stark gefallen. Durch den Swap muss Ecuador über die kommenden Jahre rund eine Milliarde US-Dollar weniger an seine Gläubiger zurückzahlen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Regierung dazu, zwanzig Jahre lang rund 18 Millionen US-Dollar jährlich in den Naturschutz auf den Galapagos-Inseln zu investieren.
Die alten Schulden werden durch neue Anleihen über insgesamt 656 Millionen US-Dollar ersetzt, die durch US-Finanzbehörden und die Interamerikanische Entwicklungsbank abgesichert werden. Deren Ausfallrisiko ist geringer als das der alten Anleihen. Deshalb zahlt Ecuador für sie niedrigere Zinsen. Das Land kann seine neuen Schulden somit leichter bedienen.
Grundsätzlich unterscheidet man solche Schuldenrückkäufe, oft unter Beteiligung von Naturschutzorganisationen wie beispielsweise dem WWF oder Conservation International, von einem teilweisen – bi- oder multilateralen – Schuldenerlass zwischen Staaten.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nutzt das zwischenstaatliche Instrument laut BMZ seit 1993 für Klimaschutz-, Biodiversitäts- oder Gesundheitsprojekte in Partnerländern. Das Prinzip: Ein Partnerland verpflichtet sich, bestimmte Projekte zu finanzieren. Deutschland erlässt ihm im Gegenzug mindestens in gleicher Höhe Zins- und Tilgungszahlungen aus früheren Darlehen der KfW Entwicklungsbank. In Zukunft will das Ministerium laut einer Sprecherin den jährlichen Anteil an klimawirksamen Schuldenumwandlungen weiter erhöhen. Derzeit kann das BMZ auf Forderungen in Höhe von maximal 150 Millionen Euro pro Jahr verzichten.
Debt-for-Nature- oder Debt-for-Climate-Swaps werden häufig als ein gutes Mittel beschrieben, um die Klima- und die Schuldenkrise gemeinsam anzugehen. Das Argument: Gerade Länder, die besonders unter dem Klimawandel leiden, müssen häufig sehr viel Geld für den Schuldendienst aufwenden. Deshalb fehle ihnen das Geld für die nötigen Investitionen in Klimaschutz und Anpassung. Dagegen könnten Debt-for-Climate-Swaps helfen.
Einige aktuelle Anwendungsfälle für die Anleiherückkäufe sind – neben Ecuador – der Karibikstaat Belize, der 180 Millionen US-Dollar aus einer kürzlichen Umschuldung nutzt, um seine Küste, Korallenriffe und Mangroven besser zu schützen; und die Kapverden, die mit den Mitteln aus von Portugal erlassenen Schulden einen Natur- und Klimaschutzfonds füllen sollen. Dafür verzichte Portugal auf die Rückzahlung der kompletten Summe, die die Kapverden dem Land noch schulden: rund 153 Millionen US-Dollar, erklärten die Premierminister beider Länder kurz vor dem Gipfel in Paris. Der Präsident des Amazonas-Anrainerstaats Kolumbien, Gustavo Petro, hat seit seinem Amtsantritt im August 2022 schon mehrfach einen Schuldentausch für den Klimaschutz gefordert. Laut Reuters verhandeln derzeit mehrere afrikanische Länder und Inselstaaten aus der Karibik und dem Indischen Ozean über Debt-for-Nature-Swaps.
Doch im Vergleich zum globalen Bedarf an Klimafinanzierung setzen die Swaps bislang nur kleine Summen frei. Für einzelne Projekte könnten sie zwar ein sinnvolles Instrument sein, sagt Jörg Haas, Referent Globalisierung und Transformation bei der Heinrich-Böll-Stiftung. “Aber ihr Volumen ist zu klein, und die Transaktionskosten sind zu hoch, um in der Schuldenkrise einen Unterschied zu machen.”
“Es kommt immer darauf an, wie die Swaps gestaltet werden”, sagt Jan Kowalzig, Klimafinanz-Experte bei Oxfam. Und für Länder, die ohnehin nicht in der Lage seien, ihre Schulden zurückzuzahlen, seien Debt-for-Nature-Swaps nicht sinnvoll, denn ihnen bringe der Umtausch praktisch keine fiskalische Erleichterung.
Zudem seien die Debt-for-Nature-Swaps “sehr kleinteilig”, sagt Kowalzig. Gemessen am globalen Bedarf an Klimageld falle selbst der ungewöhnlich große Swap mit Ecuador kaum ins Gewicht.
Das NGO-Netzwerk CAN kritisiert zudem:
Statt der Swaps fordert CAN “einen Schuldenerlass in großem Ausmaß” und “eine signifikant erhöhte, zusätzliche und auf Zuschüssen basierende Klimafinanzierung“.
Im Projekt “Debt Relief for a Green and Inclusive Recovery (DRGR)”, an dem auch die Böll-Stiftung beteiligt ist, haben Forschende einen eigenen Vorschlag für eine umfassende Umschuldung für Klimaschutz und -anpassung entwickelt. Ihre Daten zeigen, dass sich die Verschuldung der Schwellen- und Entwicklungsländer zwischen 2008 und 2021 mehr als verdoppelt hat: von 1,4 Billionen auf 3,6 Billionen US-Dollar.
Die Berechnungen des DRGR beziehen sich auf 61 Länder, die von IWF und UNDP als hoch verschuldet eingestuft wurden.
Das ist deutlich komplexer als ein einzelner Swap – und viel schwerer zu erreichen. Doch “wir brauchen eine umfassende Entschuldungsinitiative”, sagt Jörg Haas. “Nur so können wir im Globalen Süden die Grundlage für eine Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele legen.”
Die Schweiz soll klimaneutral werden. Das hat die Schweizer Bevölkerung in einer Abstimmung am vergangenen Sonntag mit einer Mehrheit von 59 Prozent der Stimmen beschlossen, indem sie bei einer Volksabstimmung das neue Klimaschutzgesetz angenommen hat. Das Vorhaben wurde möglich, weil die Regierung einen Strategiewechsel vollzogen hat: Statt über höhere Kosten für die Verbraucher den CO₂-Ausstoß unattraktiv zu machen, wie es ein gescheiterter Entwurf vorsah, setzt man nun auf steuerliche Hilfen für den Umstieg.
Das Gesetz schreibt vor, dass das Land im Jahr 2050 netto null CO₂ ausstößt. Dafür definiert es einen Reduktionspfad in Etappen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt es auf Subventionen: Mit zwei Milliarden Franken sollen Hauseigentümer dabei unterstützt werden, Öl-, Gas- und Elektroheizungen zu ersetzen. Mit 1,3 Milliarden Franken sollen klimaschonende Innovationen in Unternehmen gefördert werden.
Die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei SVP hatte das Referendum gegen das Gesetz angestoßen. Mit dem Schlagwort “Stromfressergesetz” argumentierte sie, die Energiewende bedeute einen großen Zubau an elektrischer Energie und das koste zu viel. Unterstützt wurde die SVP vom Hauseigentümerverband und dem Gastro-Unternehmerverband Gastrosuisse. Alle anderen Parteien – von den Grünen, den Sozialdemokraten über die Freisinnig-Demokratische Partei FDP und die Mittepartei – waren für das Gesetz. Ebenso die Umwelt- und Wirtschaftsverbände.
Das Ja der Schweizer Bevölkerung zu den klimapolitischen Zielen erfolgt nach einer krachenden Niederlage vor zwei Jahren. Im Juni 2021 lehnte die Bevölkerung das damals geplante CO₂-Gesetz ab, das eine Erweiterung der bisherigen Klimapolitik der Schweiz bedeutet hätte. Es sah Lenkungsabgaben in Form von Flugticket-Abgaben sowie höhere Benzinpreise vor sowie einen Fonds für Innovationen und den Ersatz fossiler Heizungen. Auch dieses Gesetz wurde von allen anderen Parteien unterstützt. Dagegen organisierten Erdöl-Importeure und Heizölverkäufer das Referendum, die Schweizerische Volkspartei führte auch damals die Kampagne gegen das Gesetz an.
Die damalige Umwelt- und Energieministerin und Sozialdemokratin Simonetta Sommaruga erklärte die überraschende Niederlage so: “Die Bevölkerung will den Klimaschutz, sie will aber nicht das Gefühl haben, man werde bestraft oder es werde jetzt alles verboten“. Analysen nach der Abstimmung zeigten, dass die Bevölkerung das Prinzip der Lenkungsabgaben nicht verstand.
Also vollzog die Schweiz eine klimapolitische Kehrtwende und beschloss, statt auf Kostenwahrheit und Verursacherprinzip auf Steuerausgaben zu setzen, um den Verbrauch von fossiler Energie zu senken. Das neue Klimaschutz-Gesetz bietet weniger Angriffsflächen, weil damit weniger Personen und Gruppierungen direkt zur Kasse gebeten werden.
Das Klimaschutzgesetz war die Antwort des Parlamentes zur Gletscher-Initiative, die von einer breiten Koalition getragen wurde und ein Importverbot für fossile Brenn- und Treibstoffe ab 2050 forderte. Die Organisatoren der Initiative hatten dann im Vorfeld der aktuellen Abstimmung ihren weitergehenden Vorschlag zugunsten des Klimaschutzgesetzes zurückgezogen.
Die wenig konkrete Formulierung half dem Gesetz, eine solide Mehrheit an der Urne zu finden, bringt aber auch Nachteile mit sich: Das Gesetz enthält Ziele, doch ohne ausreichende Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen. Die Diskussion wird sich nun darauf verlagern, wie die Klimaneutralität erreicht werden kann.
Eine interessante Personalie dazu: Die Hauptrolle wird der neue Energieminister Albert Rösti von der SVP spielen, der seit Anfang Jahr im Amt ist und vor als Parlamentsmitglied noch gegen das Gesetz kämpfte. Er sagte kurz nach dem Erfolg für das Klimaschutzgesetz im Interview mit dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF: “Ich kann nun einiges zur Umsetzung bringen, werde aber Rechnung tragen, dass über vierzig Prozent der Bevölkerung einen Stromengpass befürchten.”
Albert Rösti setzt vorerst auf den Ausbau der Stromerzeugung. Aktuell wird der Ausbau der erneuerbaren Energien im Parlament beraten. Alpine Solaranlagen sollen auf Freiflächen gebaut werden sowie Windanlagen und zusätzliche Staudämme für die Wasserkraft, wobei der Landschaftsschutz bei der Bewilligungspraxis weniger stark gewichtet werden soll als bisher. Damit will die Schweiz den Mangel an Strom im Winter beheben sowie den Ausstieg aus der Atomenergie und die Elektrifizierung des Verkehrs möglich machen.
Verschiedene Parteien fordern bereits wieder, aus dem Atomausstieg auszusteigen und die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Ferner befindet sich das neue CO₂-Gesetz in der parlamentarischen Beratung, es soll weitere Maßnahmen zu den am Sonntag beschlossenen Klimaschutzzielen festlegen.
Um den Druck aufrechtzuerhalten, sammeln die Grünen und die Sozialdemokratische Partei Unterschriften für die sogenannte Klimafonds-Initiative. Sie fordert staatliche Milliarden-Investitionen für den Klimaschutz.
Die Landwirtschaft in Deutschland steht angesichts des Klimawandels vor einer doppelten Transformation. Zum einen ist sie mit rund acht Prozent einer der größten Emittenten von Treibhausgasen und muss ihren Ausstoß an klimaschädlichem CO₂, Methan und Lachgas deutlich reduzieren. Zum anderen ist sie bereits in vielen Regionen mit veränderten Klimabedingungen und deren Folgen konfrontiert. Neben dem Rückgang der Biodiversität sind es vor allem Wetterextreme wie Starkregen, Hitze und Trockenheit, die den Landwirten zu schaffen machen und Anpassungen erfordern.
“Um künftige Ernten und das Auskommen von Landwirtinnen und Landwirten zu sichern, müssen wir unsere Agrarökosysteme, soweit möglich, an die sich verändernden Bedingungen anpassen”, heißt es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Wegen der regional und saisonal sehr unterschiedlichen Situation gehe es um unterschiedliche Strategien: um angepasste Anbausysteme wie die regenerative und ökologische Landwirtschaft, die Erhöhung der Wasserspeicherfähigkeit der Böden durch Humusaufbau bis hin zur Züchtung klimaangepasster Pflanzen und der Weiterentwicklung des Wassermanagements, sodass – etwa durch Tröpfchenbewässerung – der Verbrauch sinkt.
Ein Blick auf den tagesaktuellen Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (ÜFZ) zeigt, dass es derzeit in Teilen Niedersachsens, Hessens und den ostdeutschen Bundesländern ungewöhnlich trocken ist. In ganzen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsen-Anhalts, Brandenburgs und Sachsens herrscht bis in eine Tiefe von etwa 1,80 Meter sogar “extreme” oder “außergewöhnliche” Dürre, die beiden höchsten offiziellen Einstufungen. In der Folge stehen die Pflanzen dort, wie auch anderswo in Deutschland, unter Trockenstress, der stellenweise bis zum sogenannten Welkepunkt reicht.
Dabei hatte das Jahr 2023 laut Umweltbundesamt (UBA) zunächst Hoffnung gemacht. Zwar waren die Monate März, April und Mai einzeln und zusammengenommen wärmer als im langjährigen Mittel der klimatologischen Referenzperiode 1961 bis 1990. Insgesamt brachte der Zeitraum aber im Mittel etwas mehr Niederschläge. Damit ging die Serie von neun trockenen Frühjahren in Folge zu Ende.
Wegen der Trockenheit im Mai zeigen die Bodenfeuchtekarten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) aber bereits wieder Trockenstress an, erklärt UBA-Wasserexperte Jörg Rechenberg. “Die weitere Entwicklung hängt vom Niederschlagsgeschehen ab, das für das Restjahr 2023 nicht zu prognostizieren ist”, so Rechenbach.
Auch Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), denkt, es sei noch zu früh für eine Bewertung. Allerdings zeichne sich ab, “dass es auch in diesem Jahr in einigen Regionen ein sehr trockenes Jahr werden könnte”. Wasser sei grundsätzlich ein großes Thema geworden, erklärte er gegenüber Table.Media. “Es wird zunehmend wichtiger, das Wasser in der Landschaft zu halten, zum Beispiel durch Speicherbecken”, so Krüsken. Doch dazu müsse die Bewässerungsinfrastruktur verbessert und ausgebaut werden.
Besonderes Augenmerk legt Krüsken zudem auf moderne Technologien wie Crispr/Cas, bei dem Forscher durch Schnitte mit der sogenannten Gen-Schere die DNA gezielt verändern können. Das Verfahren biete große Chancen, “zügig hitze- und trockenheitsresilientere Sorten zu bekommen“, ist allerdings umstritten. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2018 sind Veränderungen im Erbgut, die mit Crispr/Cas erzeugt wurden, als Gentechnik einzustufen.
Insgesamt fördert das Bundeslandwirtschaftsministerium nach eigenen Angaben derzeit mehr als 200 Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Züchtung klimaangepasster Sorten und Kulturpflanzen. Die Fördersumme liege bei über 55 Millionen Euro.
Krüsken verweist außerdem auf ein gemeinsames Modellvorhaben mit dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), das vom Braunschweiger Thünen-Institut wissenschaftlich begleitet wird. Im Mittelpunkt des Projektes, an dem sich 150 ökologisch und konventionell wirtschaftende Betriebe beteiligen, stehen Maßnahmen zum Humusaufbau, also zur Erhöhung der Fruchtbarkeit der oberen Bodenschichten; auch damit lässt sich die Klimaresilienz verbessern.
Peter Röhrig, Geschäftsführer des BÖLW, betont gegenüber Table.Media, es sei wichtig, “Landwirtschaft so zu betreiben, dass sie zur Grundwasserbildung und zum Gewässerschutz beiträgt“. Dazu brauche es neben dem Humusaufbau eine möglichst große Vielfalt der angebauten Pflanzen, weniger erosionsrelevante Kulturen wie Mais sowie ein intaktes Bodenleben und damit eine höhere Infiltrationsfähigkeit des Bodens bei Regen und Starkregen. “Für die Klimaanpassung kann beispielsweise auch der Ausbau von Agroforstsystemen relevant sein, um weniger auf Bewässerungswasser angewiesen zu sein”, so Röhrig.
Beide Verbandsvertreter erklären, dass die Land- und Forstwirtschaft in Deutschland nur für rund zwei Prozent der gewerblichen Wassernutzung verantwortlich sei. Gleichwohl begrüßt Röhrig die derzeit in mehreren Bundesländern diskutierte Einführung beziehungsweise Erhöhung von Wasserentgelten für die Landwirtschaft. Es dürfe nicht mehr Wasser verbraucht werden, als nachhaltig bereitgestellt werden könne. “Die angemessene Bepreisung des Wassers ist dazu ein relevantes Steuerungsinstrument”, so der BÖLW-Vorstand.
Der Bauernverband hingegen sieht das eher kritisch. “Mit zusätzlichen Gebühren würde die Lebensmittelpreise noch weiter steigen“, so Krüsken. Bisher werden Wassergebühren nur im Saarland, in Sachsen-Anhalt und in Niedersachsen erhoben.
22. Juni, 13 Uhr, Berlin
Symposium Client Earth Symposium
Das halbtägige Symposium bringt Experten und die interessierte Gesellschaft zusammen, um neue Wege vorzustellen, wie das Recht für einen systemischen Wandel zum Schutz der Menschen und aller Bewohner unseres Planeten genutzt werden kann. Infos
22. Juni, 16 Uhr, Augsburg/Online
Vorlesung Klimagerechtigkeit aus postkolonialer Perspektive
Im Rahmen der interdisziplinären Vortragsreihe “Klimaresilienz – Forschung und Transfer” im Sommersemester 2023 lädt das Zentrum für Klimaresilienz zu drei Gastvorträgen von Vertretern aus Forschung und Praxis ein. Zum Auftakt der Reihe informiert Franziska Müller von der Universität Hamburg über “Klimagerechtigkeit aus postkolonialer Perspektive”. Infos und Anmeldung
22. bis 23. Juni 2023, Paris
Gipfel Summit for a New Global Financing Pact
Am 22. und 23. Juni 2023 wird Frankreich Gastgeber eines internationalen Gipfels für einen neuen globalen Finanzierungspakt sein. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den Gipfel einberufen. Themen sind der Umbau des internationalen Finanzsystems und die Mobilisierung des Privatsektors für die Klimafinanzierung. Infos
23. bis 24. Juni, Frankfurt am Main
Konferenz Bürgerenergie-Konvent und engage-Konferenz
Die Doppelveranstaltung des Bündnisses Bürgerenergie legt den Fokus auf Bürgerbeteiligung bei der Energiewende. Eine Exkursion zu Hessens größtem Solarpark ist Teil der Veranstaltung. Infos und Anmeldung
24. Juni bis 2. Juli, London
Aktionswoche London Climate Action Week
Auf dem Event wollen Akteurinnen und Akteure aus verschiedenen Bereichen zeigen, wie eine Stadt und ihre Gesellschaft Klimapolitik voranbringen kann. Es gibt ein breites Programm, einige Veranstaltungen finden auch online statt. Infos und Anmeldung
27. Juni, 16.30, Berlin/Online
Seminar Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität: Potenziale und Perspektiven für die Grundstoffindustrie
Die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie der Bundesregierung will Kreislaufwirtschaft als ambitionierte Klimastrategie in der Industrietransformation verankern und gleichzeitig die Resilienz der Lieferketten stärken. Der Thinktank Agora Energiewende hat dazu eine Studie erstellt und wird sie bei diesem Event vorstellen. Infos
27. bis 28. Juni, München
Konferenz SZ Nachhaltigkeitsgipfel
Die Energiekrise ist auch im Jahr 2023 noch nicht vorbei, aber sie lässt wieder Raum für längerfristiges Denken. Damit ist der Klimaschutz zurück im Mittelpunkt der politischen Debatte – und zunehmend auch im Alltag der Menschen. Die Zukunftsfragen lauten: Schafft Deutschland den Umbau hin zu einer grünen Wirtschaft? Und: Endet das alles in einem grünen Wirtschaftswunder oder müssen wir für Klimaschutz verzichten? Zu diesen Themen gibt es beim Nachhaltigkeitsgipfel der Süddeutschen Zeitung Diskussionen und Vorträge. Infos
28. bis 29. Juni, Hannover
Fachkonferenz Windenergie und Artenschutz
Artenschutzbelange spielen bei der Realisierung von Windenergieprojekten eine wichtige Rolle und sind entscheidend für die Frage, ob ein Projekt erfolgreich umgesetzt werden kann. Auf der Fachkonferenz des Bundesverbands Windenergie wird darüber diskutiert, wie Windausbau und Artenschutz zusammen gehen können. Infos
29. Juni, 13.45 Uhr, Berlin
Konferenz ZEIT Klima-Konferenz
Der Fokus der Klima-Konferenz der Wochenzeitung Zeit liegt auf der Wasserstoffwirtschaft. Expertinnen und Experten diskutieren über die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen. Infos
Für die ungewöhnlich frühe und starke Hitzewelle im Nordatlantik gibt es bislang keine eindeutige wissenschaftliche Erklärung – aber eine Reihe von Theorien, welche Ursachen sie haben könnte. Seit Juni messen die Instrumente an der Oberfläche des Atlantik außergewöhnlich hohe Temperaturen, die 1,1 Grad Celsius über dem langjährigen Mittel liegen – und damit doppelt so viel Erwärmung zeigen wie das bislang wärmste Jahr.
Alle befragten Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieses Extremereignis mit der Erderhitzung in Zusammenhang steht. Als Erklärung für die aktuelle Entwicklung werden mehrere mögliche Ursachen angeführt, die sich überlagern können:
Bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen wurde ein neuer Klima- und Transformationsdialog zwischen den beiden Staaten beschlossen. Der Dialog soll bestehende Formate der Zusammenarbeit in den Bereichen bündeln und verstärken:
Der Mechanismus wird vom deutschen Wirtschaftsministerium und der Nationalen Reform- und Entwicklungskommission Chinas (NDRC), die Ministerialrang hat, koordiniert. Es ist ein jährliches Plenartreffen vorgesehen. Zudem wurden Pilotprojekte vereinbart, um den Klimaschutz gemeinsam voranzubringen.
Laut der Entwicklungsorganisation Germanwatch stellt der Dialog eine “wichtige Aufwertung des Themas” dar, er sei ein “beachtlicher Erfolg deutscher Klimadiplomatie”. Denn China habe sich sehr deutlich zur “Orientierung am 1,5-Grad-Ziel und zur Notwendigkeit beschleunigter Emissionsreduktionen noch in diesem Jahrzehnt” bekannt, so die Organisation. Während Kanzler Scholz erklärte, man habe sich mit China auch über Erfahrungen zum Kohleausstieg ausgetauscht, finden sich in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Staaten dazu keinerlei Inhalte. China ist der mit Abstand größte Kohleproduzent und -verbraucher weltweit. Es bleibe abzuwarten, welche Ergebnisse der Dialog bezüglich der Emissionsminderung haben werde, so Lutz Weischer von Germanwatch. nib
Einer der wichtigsten Beiträge zum globalen Klimaschutz könnte in diesem Jahr von unerwarteter Seite kommen: Die UN-Schifffahrtsorganisation IMO will ein neues Klimaziel verabschieden, das die Emissionen aus dem Schiffsverkehr deutlich reduzieren soll. Statt wie bisher geplant bis 2050 die Treibhausgasemissionen der Flotten nur zu halbieren, sollen sie nach dem Willen vieler Länder und Umweltgruppen bis 2050 auf Null sinken. Zudem sollen ehrgeizige Reduktionsziele für 2030 (je nach Vorschlag zwischen 29 und 50 Prozent) und 2040 (zwischen 83 Prozent 100 Prozent) beschlossen werden.
Diese Entscheidung fällt auf zwei internationalen Treffen der UN-Schifffahrtsorganisation IMO: Vom 26. bis 30. Juni tagt der IMO-Ausschuss “ISWG-GHG-15” für Debatten unter den Interessengruppen. Vom 3. bis 7. Juli soll dann der 80. Gipfel des IMO-Komittees für Umweltschutz “MEPC80″ Entscheidungen treffen.
Die internationale Schifffahrt ist bisher keinen stringenten Klimazielen unterworfen. Sie ist mit etwa einer Milliarde Tonne Treibhausgasen pro Jahr für knapp drei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, etwa so viel wie der weltweit fünftgrößte Verschmutzer Japan. Dabei sind die Frachtschiffe das Rückgrat des globalen Handels: Etwa 80 Prozent aller weltweit gehandelten Güter werden über die Ozeane transportiert. 40 Prozent des Frachtaufkommens bestehen aus fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas und Kohle.
Bislang unterlagen die Emissionen des Schiffsverkehrs nur einer Verpflichtung zu mehr Effizienz und dem Klimaziel, sie bis 2050 zu halbieren. Inzwischen gibt es aber unter den 175 IMO-Staaten eine breite Front von Ländern, die im Einklang mit den Forderungen des Weltklimarats IPCC eine Verschärfung fordern. Eine Allianz aus den USA, der EU, Großbritannien, Kanada und pazifischen Staaten fordert Netto-Null bis 2050 und Zwischenziele bis 2030 und 2040. Von einer Allianz unter anderem aus China, Indien, Saudi-Arabien und Südafrika, die solchen Zielen zögerlich gegenüberstehen, ist bisher kein Vorschlag bekannt. Doch diese Front der Bremser hat einen wichtigen Verbündeten verloren: Die Vereinigten Arabischen Emirate, Gastgeber der COP28, haben ihren Kurs von Ablehnung zu Unterstützung des höheren Klimaziels geändert.
Gleichzeitig mit einem neuen Ziel soll es bei den Sitzungen auch um einen Beschluss für effektive Maßnahmen zu mehr Klimaschutz gehen. Darunter sind:
Besonders die globale CO₂-Steuer wird von vielen Seiten gefordert: Staaten, Umweltgruppen, aber auch die Weltbank schlagen etwa einen Preis von 100 Dollar pro Tonne CO₂ vor. Das würde schätzungsweise 60 bis 80 Milliarden Dollar einbringen. Diese Mittel könnten für den Klimaschutz in armen Ländern verwendet werden – oder aber vor allem in die Schifffahrtsindustrie fließen, um klimaneutrale Antriebe voranzubringen. Auch die Verwendung dieser Mittel aus einer möglichen Schifffahrt-CO₂-Steuer soll auf der Konferenz in London debattiert und entschieden werden. bpo
Schwellen- und Entwicklungsländer müssen ab den frühen 2030er Jahren jährlich 2,8 Billionen US-Dollar in saubere Energien investieren, um die Klimaziele zu erreichen und den Zugang zu Energie zu decken. Das geht aus einem neuen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) und des Privatsektorarms der Weltbank (IFC) hervor. Derzeit investiert diese Staatengruppe demnach jährlich 770 Milliarden in saubere Energien – drei Viertel davon in den drei großen Schwellenländern China, Indien und Brasilien. Die Finanzierung der Energiewende in diesen Staaten sei die “die wichtigste Herausforderung”, um die Klimaziele zu erreichen, sagte IEA-Generaldirektor Fatih Birol bei der Vorstellung des Berichts.
Laut Studie sind die Kapitalkosten in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern rapide gestiegen. Die Kosten für ein Solarkraftwerk sind in vielen Staaten zwei bis drei Mal so hoch wie im globalen Norden oder China, so IEA und IFC. Durch den Zinsanstieg steige die Schuldenlast der Staaten. Investitionen im globalen Norden würden attraktiver, wodurch die Investoren größere Renditen für Erneuerbaren-Projekte im Globalen Süden erwarten. Laut Birol generieren die Niederlande mehr Solarstrom als Subsahara-Afrika. Das verdeutliche, wie ungleich die Investitionen in die Energiewende bisher geflossen sind.
Laut IEA und IFC würden öffentliche Mittel zur Finanzierung der Energiewende nicht ausreichen. Zwei Drittel der Investitionen müssten von privaten Investoren kommen. Die beiden Institutionen schlagen deshalb vor:
Laut dem Bericht müsste jeweils ein Drittel der Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren und die Verbesserung der Energieeffizienz fließen. Ein Viertel der Investitionen müsste in den Ausbau der Stromnetze gehen. Investitionen in Stromnetze würden derzeit noch zu über 90 Prozent von staatlichen Unternehmen aufgebracht, die sich allerdings oft mit schwerwiegenden Finanzierungsengpässen und mangelndem Zugang zu Kapitalmärkten konfrontiert sehen. nib
Offizielle Statistiken der schottischen Regierung zeigen, dass Schottland seine Klimaziele im Jahr 2021 verfehlt hat. Die Emissionen waren 2021 rund 49,2 Prozent niedriger als 1990, das rechtlich bindende Ziel wären aber 51,1 Prozent gewesen. Im Vergleich zum Vorjahr (2020) sind die Treibhausgasemissionen demnach um 2,4 Prozent angestiegen. Grund dafür waren laut der schottischen Regierung vor allem der inländische Verkehr, der nach dem Corona Lockdown 2020 wieder anzog. In den meisten anderen Sektoren seien die Emissionen gesunken.
Schottland hat sich selbst ehrgeizige Klimaziele gesetzt und möchte bis 2045 bei Net-Null-Emissionen ankommen – fünf Jahre vor dem Vereinigten Königreich. Als Reaktion auf das Verfehlen der Klimaziele für das Jahr 2021 möchte Màiri McAllan, Staatssekretärin für das Netto-Null-Ziel, noch in diesem Jahr einen ambitionierteren Klimaplan veröffentlichen, wie The Herald berichtet.
Gleichzeitig droht auch Kanada seine Klimaziele für 2050 zu verfehlen. Aktuell seien Genehmigungsverfahren für grüne Großprojekte im Bereich der erneuerbaren Energien, Wasserstofftechnologien oder kritische Rohstoffe “komplex, holprig und frustrierend”. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Business Council von Alberta. Wenn das Land keinen Weg fände, das zu ändern, sei das Netto-Null-Ziel bis 2050 nicht zu erreichen. Eine Analyse der Behörde Canada Energy Regulator (CER) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. kul
Die Gletscher im Himalaya könnten zum Ende des Jahrhunderts bis zu 75 Prozent ihres Volumens verlieren, warnt das in Nepals Hauptstadt Kathmandu ansässige International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD). Daran schuld sei die globale Erwärmung.
In den 2010er-Jahren seien die Gletscher einer Studie des ICIMOD zufolge um 65 Prozent schneller als im vorangegangenen Jahrzehnt geschrumpft. Für die 240 Millionen Menschen in der Bergregion hat dies dramatische Folgen: Es drohen gefährliche Überschwemmungen sowie Wassermangel. In der Region liegen berühmte Gipfel wie der Mount Everest und der K2.
Die internationalen Forscher gehen in ihrer Studie von einer globalen Erwärmung von drei Grad aus, auf die die Welt unter der aktuellen Klimapolitik zusteuere. Bei einer Erwärmung von vier Grad läge der Gletscherverlust bei bis zu 80 Prozent ihres Volumens. Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius oder zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit würden die Gletscher in der Region bis zum Jahr 2100 immer noch rund 30 bis 50 Prozent ihres Volumens verlieren. Wo sie am stärksten schmelzen würden, hänge vom Standort ab.
Die Untersuchungen der Klimafolgen sind für die Forscher im Himalaya besonders schwierig. Im Gegensatz zu den europäischen Alpen und den nordamerikanischen Rocky Mountains gibt es in der Region keine langen historischen Aufzeichnungen von Feldmessungen, die Aufschluss darüber geben, ob die Gletscher wachsen oder schrumpfen. 2019 gaben die USA jedoch Bilder von Spionagesatelliten von Gletschern der Region aus dem Jahr 1970 frei und schufen damit eine neue wissenschaftliche Grundlage. Hinzu kamen Fortschritte in der Satellitentechnologie. jul/rtr
Die EU-Batterieindustrie ist möglicherweise nicht in der Lage, über 2025 hinaus die Nachfrage zu decken. In der Folge besteht das Risiko, dass die EU entweder ihre CO₂-Ziele für 2035 verfehlt oder dieses Ziel durch importierte Batterien oder Elektroautos erreichen müsste, was der europäischen Industrie schaden würde. Zu diesem Ergebnis kommt ein kürzlich veröffentlichter Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs (European Court of Auditors, ECA), der den strategischen Aktionsplan der EU für Batterien evaluiert hat.
Die EU-Kommission habe zwar für die meisten Teile des Batterie-Aktionsplans Maßnahmen ergriffen. Unter anderem wurde kürzlich die Batterieverordnung verabschiedet. Doch es dauere teils noch mehrere Jahre, bis die einzelnen neuen Vorgaben für die Stärkung der europäischen Batteriewertschöpfungsketten in Kraft treten.
Der Bericht identifiziert vier wesentliche Probleme:
Die Prüfer warnen vor zwei Szenarien für den Fall, dass die Produktionskapazität für Batterien in der EU nicht wie geplant wächst. Es könne passieren, dass die EU den Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos erst nach 2035 verbietet. Damit würden die Klimaziele nicht erreicht werden. Bei dem zweiten Szenario müsse stark auf Batterien und Elektrofahrzeuge aus Drittländern gesetzt werden, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Dies sei zum Nachteil der europäischen Automobilindustrie und ihrer Beschäftigten.
Fast jeder fünfte im Jahr 2021 in der EU zugelassene Neuwagen hatte nach Angaben des Europäischen Automobilherstellerverbands Elektroantrieb. Zudem soll der Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos ab 2035 verboten werden. Daher seien Batterien von großer strategischer Bedeutung für die EU – und wichtig, um die Klimaziele zu erreichen, heißt es in dem Bericht des Rechnungshofs. leo/dpa
Als Wael Sawan im Januar 2023 CEO von Shell wurde, hatten Analysten Hoffnungen auf einen beschleunigten grünen Wandel. Der im Libanon geborene Kanadier leitete vor seinem Aufstieg an die Unternehmensspitze die Abteilung für “Integrated Gas and Renewables”. Seine Beförderung zum CEO sei ein “klares Zeichen”, dass Shell seine “vage Strategie für Erneuerbare” überarbeiten wolle, zitiert der Guardian eine Analystin. Doch vergangene Woche warf Sawan das Klimaziel des Öl- und Gasriesen über den Haufen, die Ölförderung bis 2030 um 20 Prozent zu senken. Schon im Frühjahr ließ er den Rotstift kreisen und beendete einige Offshore-Wind-, Wasserstoff- und Biokraftstoff-Projekte. Die Renditeprognosen dieser grünen Projekte überzeugten den Top-Manager nicht.
Eigentlich könnte Wael Sawan sehr zufrieden sein. Der 48-Jährige konnte in seiner kurzen Amtszeit schon zweimal Rekord-Quartalsgewinne vermelden. Doch Sawan ist enttäuscht vom Aktienkurs Shells, der hinter den Kursen der Konkurrenz zurückbleibt. In Zeiten hoher Energiepreise fährt die Öl- und Gasproduktion hohe Gewinne ein, auf die Shell nicht verzichten will. Die Milliarden-Gewinne sollen in Zukunft noch stärker für Aktienrückkäufe genutzt werden, um den Kurs der eigenen Papiere in die Höhe zu treiben.
Sawan sagt, man müsse “rentable Geschäftsmodelle” entwickeln, um die Dekarbonisierung des Energiesystems “wirklich zu beeinflussen”. Außerdem meint er: “Wir werden in die Modelle investieren, die funktionieren – diejenigen mit den höchsten Renditen, die unsere Stärken ausspielen”. Für Shell bedeutet das jedoch: Weiter auf fossile Energien zu setzen. Zwischen 2023 und 2025 will der Öl-Riese 40 Milliarden US-Dollar in die Öl- und Gasproduktion investieren. Die führende Position im LNG-Markt soll verteidigt werden. Dem stehen Investitionen von lediglich zehn bis 15 Milliarden für die “Entwicklung kohlenstoffarmer Energielösungen”, beispielsweise in den Bereichen Wasserstoff und Biokraftstoffe, sowie in Lade-Lösungen für E-Autos und Carbon-Capture-Technologien gegenüber.
Sawans Investitionsstrategie läuft den Forderungen und Beschlüssen zuwider, die etwa auf der COP26 in Glasgow oder von der Internationalen Energieagentur IEA formuliert worden sind: Die 1,5 Grad sind nur zu halten, wenn es keine neuen Investitionen in fossile Infrastruktur gibt.
Shells Kehrtwende in Sachen Klimaziel zeigt einmal mehr: Freiwillig werden die großen Öl- und Gasförderer nicht aus den fossilen Energien aussteigen. Zwar sagt Sultan al Jaber, COP28-Präsident und CEO der Abu Dhabi National Oil Company, ein Absenken der Förderung fossiler Energien sei “unvermeidlich”. Allerdings nennt er keinen Zeitpunkt und spricht häufig nur vom “Ausstieg aus den Emissionen”. Und Shell-Konkurrent BP hatte schon im Februar 2023 seine Emissions-Reduktionsziele aufgeweicht. Der Wettbewerb unter den Öl-Multis, der kurzfristige Blick auf Aktionäre und hohe Gewinne, macht einen phasenweisen Ausstieg aus den Fossilen unwahrscheinlich.
Shell müsse “langfristig Werte für unsere Aktionäre” schaffen, hat Sawan gegenüber der Financial Times gesagt. “Die Antwort kann nicht lauten: ‘Ich werde [in saubere Energieprojekte] investieren und schlechte Renditen erzielen, und das wird mein Gewissen entlasten’. Das ist falsch”.
Ob Sawans Strategie, den Aktienkurz hochzutreiben und weiterhin in fossile Energieträger zu investieren, erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Denn der Druck steigt. Im Sommer 2021 entschied ein niederländisches Gericht nach einer Klage, dass Shell seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 senken müsse. Shell ist in Berufung gegangen. Die Klimaziele des Konzerns basieren derzeit noch auf der Emissions-Intensität der erzeugten Energie. Die absoluten Emissionen können also steigen, wenn Shell zwar nachhaltiger produziert, aber mehr Öl und Gas fördert.
Wael Sawan scheint sich von der Klage nicht allzu sehr ablenken zu wollen. Als Absolvent der Harvard Business School sei er “nicht emotional”, was Geschäftsentscheidungen angehe. Er müsse “gutherzig, aber hartgesotten” sein, gibt ihn die Financial Times wieder. Diesen Aussagen ist zu entnehmen, dass Shell erst wirksame Dekarbonisierungs-Schritte einleitet, wenn die fossilen Geschäftsmodelle den Aktienkurs und die Gewinne schmälern sollten.
Sawan hat seine gesamte Karriere bei Shell verbracht. Er ist in Dubai aufgewachsen und hat einen Master-Abschluss in Chemieingenieurwesen. Er ist verheiratet und hat drei Söhne. Nico Beckert
es ist seit langem ein zentraler Streitpunkt der Klimaverhandlungen: Wie soll globaler Klimaschutz finanziert werden? Diese Woche hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum großen Gipfel zu dieser Frage eingeladen. Er will das Thema “Umbau zu einem klimagerechten Finanzsystem” oben auf die Agenda setzen. Bei der Konferenz in Bonn wurde gemunkelt, Macron wolle die Bridgetown-Agenda von Mia Mottley kapern – der Globale Süden solle sich nicht vom Fahrersitz verdrängen lassen. Claire Stam hat jetzt die Details zu Macrons Gipfel.
In Zeiten der Schuldenkrisen kann man fragen, ob die Staaten des Globalen Südens überhaupt auf dem Fahrer- oder nicht vielmehr auf dem Schleudersitz sitzen. Alexandra Endres hat sich ein neues, altes Konzept zur Umwandlung von Schulden in Klimageld angeschaut: Debt-for-Nature-Swaps. Was gut klingt, erntet allerdings auch viel Kritik.
Und dann beklagen noch die Internationale Energieagentur IEA und die Weltbank-Tochter IFC, dass zu wenig Geld in die Energiewende im Globalen Süden fließe. Die Summen müssten sieben Mal größer sein, um das 1,5-Grad-Ziel einhalten zu können, aber dafür brauche es Reformen. Wobei wir wieder beim Macron-Gipfel vom Anfang wären. Aber wenn es bei den Finanzen wenig Hoffnung auf einfache Lösungen gibt, könnte es bei der internationalen Schifffahrt zu einer Klima-Überraschung kommen. Mehr dazu in den News.
Wir feiern mit diesem Briefing unsere 50. Ausgabe des Climate.Table. Und freuen uns weiter über neue Leserinnen und Leser. Wenn Ihnen diese Ausgabe gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen. Wir schauen jedenfalls voller Neugier nach vorn. Es bleibt aufregend.
Beste Grüße!
Mit seinem “Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt” will der französische Präsident Emmanuel Macron ab heute der internationalen Klimafinanzierung neuen Schwung, einen neuen Rahmen und neue Geldgeber verschaffen. Das zweitägige Treffen in Paris soll die diversen Debatten über Klimafinanzen unter einem Dach zusammenführen. Es soll private Investoren verstärkt für die Kapitalbedürfnisse der globalen Wende in die Pflicht nehmen.
Und es soll allgemein die Aufmerksamkeit auf das bislang oft vernachlässigte dritte Ziel des Pariser Abkommens aus Artikel 2 I c richten: Nämlich neben der Begrenzung der Temperatur und der Anpassung an den Klimawandel die “Finanzflüsse kompatibel zu machen mit einem Pfad Richtung niedriger Emissionen von Treibhausgasen und einer klimafesten Entwicklung.”
Die Organisatoren hoffen auf eine “gemeinsame Diagnose” der Herausforderungen und einer “neuen politischen Vision”, die zu “greifbaren, umsetzbaren” Ergebnissen führen sollen, heißt es aus dem Élysée-Palast. Nicht geplant ist eine Wort für Wort ausgehandelte gemeinsamen Erklärung, sondern ein “operativer” Fahrplan mit praktischen Maßnahmen.
Macron hatte den Gipfel auf dem G20-Gipfel im November 2022 angekündigt, nachdem er die “Bridgetown Initiative” von Mia Mottley, der Premierministerin von Barbados, unterstützt hatte. Mottley wird prominenter Gast in Paris sein. Ihre Agenda fordert ein globales Finanzsystem, das sich an den Bedürfnissen der am stärksten gefährdeten Länder orientiert: Es soll insgesamt Finanzmittel von 100 Milliarden Dollar mobilisieren, insbesondere aus dem Privatsektor und die Kapitalkosten in den Entwicklungsländern senken, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Das gilt zusätzlich zu den 100 Milliarden Dollar, die die Industrieländer ab 2020 dem Globalen Süden versprochen haben, und die sie bisher nicht vollständig geliefert haben.
Kurz vor Beginn des Gipfels in Paris haben Staats- und Regierungschefs die Forderung nach einer klimafesten Reform des Finanzsystems unterstützt und nach einem “neuen globalen Konsens” in dieser Frage gerufen, darunter US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz, Brasiliens Präsident Lula da Silva, Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa oder die Chefin der EU-Kommission Ursula von der Leyen.
Ohnehin haben die G20 eine Reform der Bretton-Woods-Finanzarchitektur gefordert, die angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr funktionsfähig sei. “Die Klimafrage kollidiert mit der Agenda der Reform der Bretton-Woods-Institutionen“, analysiert Philippe Zaouati, CEO von Mirova, einer auf nachhaltige Investitionen spezialisierten Vermögensverwaltungsgesellschaft.
Der französische Investor ist der Ansicht, dass das gesamte System “überdacht” und an die neuen klimatischen Gegebenheiten “angepasst” werden muss. Und das setzt eine stärkere Beteiligung des privaten Finanzsektors voraus. “Öffentliche Entwicklungshilfe ist gut, aber nicht alles”, betont Zaouati. “Derzeit sind zum Beispiel Pensionsfonds noch viel zu zögerlich, um in südliche Länder zu investieren. Dabei besteht gerade dort ein großer Investitionsbedarf”.
Die bisherigen Debatten haben aus Sicht von Paris ein Problem: Sie finden über zahlreiche Kanäle statt, die nicht unbedingt miteinander übereinstimmen und als “distanziert” gelten: Beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, bei den UN-Klimaverhandlungen, bei G7 und G20. “Diese internationalen Foren sind derzeit Gegenstand unzusammenhängender Aktionen, was die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen betrifft. Dieser Gipfel soll einen gemeinsamen Rahmen schaffen“, sagte Laurence Tubiana, Vorsitzende der European Climate Foundation und Architektin des Pariser Abkommens. Sie fordert das Finanzziel des Pariser Abkommens ein.
Paris strebt an, die zwei Tage im Palais Brongniart zum Knotenpunkt dieser verschiedenen Verhandlungsräume zu machen. Macron will trotz der Spannungen zwischen China und den USA, dem Krieg in der Ukraine und der tiefen Verärgerung der Länder des Südens erfolgreich sein. Der geopolitische Kontext ist “sehr kompliziert”, bemerkt Bertrand Badré, Direktor des Fonds für verantwortungsbewusste Investitionen Blue Orange Capital und ehemaliger Generaldirektor für Finanzen der Weltbank. “Es gibt immer weniger Lust, sich zu einigen”. Aber “wenn es uns nicht gelingt, den Entwicklungsländern in der Frage der Finanzierung entgegenzukommen, werden sie nicht am Verhandlungstisch sitzen bleiben und mit der Extraktion von Kohle, Öl und Gas beginnen”, befürchtet er.
Es haben sich rund 50 Staats- und Regierungschefs angekündigt. Neben der charismatischen Mia Mottley aus Barbados hat auch der Präsident Brasiliens, Lula da Silva, bereits seine Teilnahme zugesagt. Auch China dürfte mit seinem Premierminister Li Qiang hochrangig vertreten sein. UN-Generalsekretär António Guterres kommt ebenso wie die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, der deutsche Bundeskanzler, Olaf Scholz oder die Präsidenten von Ghana, Nana Akufo-Addo, Senegal, Macky Sall und Kenia, William Ruto. Die USA werden voraussichtlich durch den Klimagesandten John Kerry, und Finanzministerin Janet Yellen vertreten sein.
Die wichtigsten internationalen Organisationen, große Stiftungen, der Privatsektor, der akademische Sektor und die Zivilgesellschaft werden ebenfalls anwesend sein. Unter ihnen: der neue Präsident der Weltbank, Ajay Banga, der seit dem 1. Juni im Amt ist und für den dieser Gipfel das erste große internationale Treffen sein wird. Außerdem werden die geschäftsführende Direktorin des IWF, Kristalina Georgieva, und Mafalda Duarte, die sich anschickt, die Leitung des Grünen Klimafonds zu übernehmen, auf dem Gipfel sprechen. Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank und ehemalige Chefin des IWF, wird ebenfalls anwesend sein. Ebenso Mark Carney, ehemaliger Gouverneur der Bank of England, der die Initiative Gfanz (Glasgow Financial Alliance for Net Zero) ins Leben gerufen hat.
Geplant sind sechs Round Table-Gespräche zu folgenden Themen:
Es war der größte Schuldentausch für den Naturschutz, der je vereinbart wurde: Der “Debt-for-Nature-Swap”, den Ecuador Anfang Mai verkündete, soll dem Land in Zukunft mehrere Millionen US-Dollar pro Jahr bringen. Das Geld soll für den Schutz der Galapagos-Inseln verwendet werden. Das ist jenes Naturparadies, das Charles Darwin einst zu seiner Theorie über die Entstehung der Arten inspirierte.
Debt-for-Nature-Swaps sind nicht neu. Es gibt sie seit dem Ende der 1980er-Jahre. Doch wegen seines Rekordumfangs gilt der jüngste ecuadorianischen Schuldentausch unter den beteiligten Finanzinstitutionen als Meilenstein. Er soll die Tür für weitere große Deals öffnen.
In jüngster Zeit werden solche Debt Swaps auch verstärkt als Beitrag zur Klimafinanzierung gehandelt. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung empfahl kürzlich, das Instrument für nachhaltige Entwicklungszwecke auszuweiten (Table.Media berichtete). Auch auf dem Pariser Klimafinanzgipfel von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron werden Debt-for-Nature-Swaps ein Thema sein.
Im Fall Ecuadors lief das Geschäft laut Reuters so ab: Mithilfe der Schweizer Großbank Credit Suisse hat das Land Staatsanleihen zum Nennwert von 1,6 Milliarden US-Dollar zurückgekauft. Es zahlte dafür aber nur 664 Millionen US-Dollar, denn der Kurs der Papiere war wegen der anhaltenden politischen Krise im Land stark gefallen. Durch den Swap muss Ecuador über die kommenden Jahre rund eine Milliarde US-Dollar weniger an seine Gläubiger zurückzahlen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Regierung dazu, zwanzig Jahre lang rund 18 Millionen US-Dollar jährlich in den Naturschutz auf den Galapagos-Inseln zu investieren.
Die alten Schulden werden durch neue Anleihen über insgesamt 656 Millionen US-Dollar ersetzt, die durch US-Finanzbehörden und die Interamerikanische Entwicklungsbank abgesichert werden. Deren Ausfallrisiko ist geringer als das der alten Anleihen. Deshalb zahlt Ecuador für sie niedrigere Zinsen. Das Land kann seine neuen Schulden somit leichter bedienen.
Grundsätzlich unterscheidet man solche Schuldenrückkäufe, oft unter Beteiligung von Naturschutzorganisationen wie beispielsweise dem WWF oder Conservation International, von einem teilweisen – bi- oder multilateralen – Schuldenerlass zwischen Staaten.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nutzt das zwischenstaatliche Instrument laut BMZ seit 1993 für Klimaschutz-, Biodiversitäts- oder Gesundheitsprojekte in Partnerländern. Das Prinzip: Ein Partnerland verpflichtet sich, bestimmte Projekte zu finanzieren. Deutschland erlässt ihm im Gegenzug mindestens in gleicher Höhe Zins- und Tilgungszahlungen aus früheren Darlehen der KfW Entwicklungsbank. In Zukunft will das Ministerium laut einer Sprecherin den jährlichen Anteil an klimawirksamen Schuldenumwandlungen weiter erhöhen. Derzeit kann das BMZ auf Forderungen in Höhe von maximal 150 Millionen Euro pro Jahr verzichten.
Debt-for-Nature- oder Debt-for-Climate-Swaps werden häufig als ein gutes Mittel beschrieben, um die Klima- und die Schuldenkrise gemeinsam anzugehen. Das Argument: Gerade Länder, die besonders unter dem Klimawandel leiden, müssen häufig sehr viel Geld für den Schuldendienst aufwenden. Deshalb fehle ihnen das Geld für die nötigen Investitionen in Klimaschutz und Anpassung. Dagegen könnten Debt-for-Climate-Swaps helfen.
Einige aktuelle Anwendungsfälle für die Anleiherückkäufe sind – neben Ecuador – der Karibikstaat Belize, der 180 Millionen US-Dollar aus einer kürzlichen Umschuldung nutzt, um seine Küste, Korallenriffe und Mangroven besser zu schützen; und die Kapverden, die mit den Mitteln aus von Portugal erlassenen Schulden einen Natur- und Klimaschutzfonds füllen sollen. Dafür verzichte Portugal auf die Rückzahlung der kompletten Summe, die die Kapverden dem Land noch schulden: rund 153 Millionen US-Dollar, erklärten die Premierminister beider Länder kurz vor dem Gipfel in Paris. Der Präsident des Amazonas-Anrainerstaats Kolumbien, Gustavo Petro, hat seit seinem Amtsantritt im August 2022 schon mehrfach einen Schuldentausch für den Klimaschutz gefordert. Laut Reuters verhandeln derzeit mehrere afrikanische Länder und Inselstaaten aus der Karibik und dem Indischen Ozean über Debt-for-Nature-Swaps.
Doch im Vergleich zum globalen Bedarf an Klimafinanzierung setzen die Swaps bislang nur kleine Summen frei. Für einzelne Projekte könnten sie zwar ein sinnvolles Instrument sein, sagt Jörg Haas, Referent Globalisierung und Transformation bei der Heinrich-Böll-Stiftung. “Aber ihr Volumen ist zu klein, und die Transaktionskosten sind zu hoch, um in der Schuldenkrise einen Unterschied zu machen.”
“Es kommt immer darauf an, wie die Swaps gestaltet werden”, sagt Jan Kowalzig, Klimafinanz-Experte bei Oxfam. Und für Länder, die ohnehin nicht in der Lage seien, ihre Schulden zurückzuzahlen, seien Debt-for-Nature-Swaps nicht sinnvoll, denn ihnen bringe der Umtausch praktisch keine fiskalische Erleichterung.
Zudem seien die Debt-for-Nature-Swaps “sehr kleinteilig”, sagt Kowalzig. Gemessen am globalen Bedarf an Klimageld falle selbst der ungewöhnlich große Swap mit Ecuador kaum ins Gewicht.
Das NGO-Netzwerk CAN kritisiert zudem:
Statt der Swaps fordert CAN “einen Schuldenerlass in großem Ausmaß” und “eine signifikant erhöhte, zusätzliche und auf Zuschüssen basierende Klimafinanzierung“.
Im Projekt “Debt Relief for a Green and Inclusive Recovery (DRGR)”, an dem auch die Böll-Stiftung beteiligt ist, haben Forschende einen eigenen Vorschlag für eine umfassende Umschuldung für Klimaschutz und -anpassung entwickelt. Ihre Daten zeigen, dass sich die Verschuldung der Schwellen- und Entwicklungsländer zwischen 2008 und 2021 mehr als verdoppelt hat: von 1,4 Billionen auf 3,6 Billionen US-Dollar.
Die Berechnungen des DRGR beziehen sich auf 61 Länder, die von IWF und UNDP als hoch verschuldet eingestuft wurden.
Das ist deutlich komplexer als ein einzelner Swap – und viel schwerer zu erreichen. Doch “wir brauchen eine umfassende Entschuldungsinitiative”, sagt Jörg Haas. “Nur so können wir im Globalen Süden die Grundlage für eine Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele legen.”
Die Schweiz soll klimaneutral werden. Das hat die Schweizer Bevölkerung in einer Abstimmung am vergangenen Sonntag mit einer Mehrheit von 59 Prozent der Stimmen beschlossen, indem sie bei einer Volksabstimmung das neue Klimaschutzgesetz angenommen hat. Das Vorhaben wurde möglich, weil die Regierung einen Strategiewechsel vollzogen hat: Statt über höhere Kosten für die Verbraucher den CO₂-Ausstoß unattraktiv zu machen, wie es ein gescheiterter Entwurf vorsah, setzt man nun auf steuerliche Hilfen für den Umstieg.
Das Gesetz schreibt vor, dass das Land im Jahr 2050 netto null CO₂ ausstößt. Dafür definiert es einen Reduktionspfad in Etappen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt es auf Subventionen: Mit zwei Milliarden Franken sollen Hauseigentümer dabei unterstützt werden, Öl-, Gas- und Elektroheizungen zu ersetzen. Mit 1,3 Milliarden Franken sollen klimaschonende Innovationen in Unternehmen gefördert werden.
Die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei SVP hatte das Referendum gegen das Gesetz angestoßen. Mit dem Schlagwort “Stromfressergesetz” argumentierte sie, die Energiewende bedeute einen großen Zubau an elektrischer Energie und das koste zu viel. Unterstützt wurde die SVP vom Hauseigentümerverband und dem Gastro-Unternehmerverband Gastrosuisse. Alle anderen Parteien – von den Grünen, den Sozialdemokraten über die Freisinnig-Demokratische Partei FDP und die Mittepartei – waren für das Gesetz. Ebenso die Umwelt- und Wirtschaftsverbände.
Das Ja der Schweizer Bevölkerung zu den klimapolitischen Zielen erfolgt nach einer krachenden Niederlage vor zwei Jahren. Im Juni 2021 lehnte die Bevölkerung das damals geplante CO₂-Gesetz ab, das eine Erweiterung der bisherigen Klimapolitik der Schweiz bedeutet hätte. Es sah Lenkungsabgaben in Form von Flugticket-Abgaben sowie höhere Benzinpreise vor sowie einen Fonds für Innovationen und den Ersatz fossiler Heizungen. Auch dieses Gesetz wurde von allen anderen Parteien unterstützt. Dagegen organisierten Erdöl-Importeure und Heizölverkäufer das Referendum, die Schweizerische Volkspartei führte auch damals die Kampagne gegen das Gesetz an.
Die damalige Umwelt- und Energieministerin und Sozialdemokratin Simonetta Sommaruga erklärte die überraschende Niederlage so: “Die Bevölkerung will den Klimaschutz, sie will aber nicht das Gefühl haben, man werde bestraft oder es werde jetzt alles verboten“. Analysen nach der Abstimmung zeigten, dass die Bevölkerung das Prinzip der Lenkungsabgaben nicht verstand.
Also vollzog die Schweiz eine klimapolitische Kehrtwende und beschloss, statt auf Kostenwahrheit und Verursacherprinzip auf Steuerausgaben zu setzen, um den Verbrauch von fossiler Energie zu senken. Das neue Klimaschutz-Gesetz bietet weniger Angriffsflächen, weil damit weniger Personen und Gruppierungen direkt zur Kasse gebeten werden.
Das Klimaschutzgesetz war die Antwort des Parlamentes zur Gletscher-Initiative, die von einer breiten Koalition getragen wurde und ein Importverbot für fossile Brenn- und Treibstoffe ab 2050 forderte. Die Organisatoren der Initiative hatten dann im Vorfeld der aktuellen Abstimmung ihren weitergehenden Vorschlag zugunsten des Klimaschutzgesetzes zurückgezogen.
Die wenig konkrete Formulierung half dem Gesetz, eine solide Mehrheit an der Urne zu finden, bringt aber auch Nachteile mit sich: Das Gesetz enthält Ziele, doch ohne ausreichende Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen. Die Diskussion wird sich nun darauf verlagern, wie die Klimaneutralität erreicht werden kann.
Eine interessante Personalie dazu: Die Hauptrolle wird der neue Energieminister Albert Rösti von der SVP spielen, der seit Anfang Jahr im Amt ist und vor als Parlamentsmitglied noch gegen das Gesetz kämpfte. Er sagte kurz nach dem Erfolg für das Klimaschutzgesetz im Interview mit dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF: “Ich kann nun einiges zur Umsetzung bringen, werde aber Rechnung tragen, dass über vierzig Prozent der Bevölkerung einen Stromengpass befürchten.”
Albert Rösti setzt vorerst auf den Ausbau der Stromerzeugung. Aktuell wird der Ausbau der erneuerbaren Energien im Parlament beraten. Alpine Solaranlagen sollen auf Freiflächen gebaut werden sowie Windanlagen und zusätzliche Staudämme für die Wasserkraft, wobei der Landschaftsschutz bei der Bewilligungspraxis weniger stark gewichtet werden soll als bisher. Damit will die Schweiz den Mangel an Strom im Winter beheben sowie den Ausstieg aus der Atomenergie und die Elektrifizierung des Verkehrs möglich machen.
Verschiedene Parteien fordern bereits wieder, aus dem Atomausstieg auszusteigen und die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Ferner befindet sich das neue CO₂-Gesetz in der parlamentarischen Beratung, es soll weitere Maßnahmen zu den am Sonntag beschlossenen Klimaschutzzielen festlegen.
Um den Druck aufrechtzuerhalten, sammeln die Grünen und die Sozialdemokratische Partei Unterschriften für die sogenannte Klimafonds-Initiative. Sie fordert staatliche Milliarden-Investitionen für den Klimaschutz.
Die Landwirtschaft in Deutschland steht angesichts des Klimawandels vor einer doppelten Transformation. Zum einen ist sie mit rund acht Prozent einer der größten Emittenten von Treibhausgasen und muss ihren Ausstoß an klimaschädlichem CO₂, Methan und Lachgas deutlich reduzieren. Zum anderen ist sie bereits in vielen Regionen mit veränderten Klimabedingungen und deren Folgen konfrontiert. Neben dem Rückgang der Biodiversität sind es vor allem Wetterextreme wie Starkregen, Hitze und Trockenheit, die den Landwirten zu schaffen machen und Anpassungen erfordern.
“Um künftige Ernten und das Auskommen von Landwirtinnen und Landwirten zu sichern, müssen wir unsere Agrarökosysteme, soweit möglich, an die sich verändernden Bedingungen anpassen”, heißt es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Wegen der regional und saisonal sehr unterschiedlichen Situation gehe es um unterschiedliche Strategien: um angepasste Anbausysteme wie die regenerative und ökologische Landwirtschaft, die Erhöhung der Wasserspeicherfähigkeit der Böden durch Humusaufbau bis hin zur Züchtung klimaangepasster Pflanzen und der Weiterentwicklung des Wassermanagements, sodass – etwa durch Tröpfchenbewässerung – der Verbrauch sinkt.
Ein Blick auf den tagesaktuellen Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (ÜFZ) zeigt, dass es derzeit in Teilen Niedersachsens, Hessens und den ostdeutschen Bundesländern ungewöhnlich trocken ist. In ganzen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsen-Anhalts, Brandenburgs und Sachsens herrscht bis in eine Tiefe von etwa 1,80 Meter sogar “extreme” oder “außergewöhnliche” Dürre, die beiden höchsten offiziellen Einstufungen. In der Folge stehen die Pflanzen dort, wie auch anderswo in Deutschland, unter Trockenstress, der stellenweise bis zum sogenannten Welkepunkt reicht.
Dabei hatte das Jahr 2023 laut Umweltbundesamt (UBA) zunächst Hoffnung gemacht. Zwar waren die Monate März, April und Mai einzeln und zusammengenommen wärmer als im langjährigen Mittel der klimatologischen Referenzperiode 1961 bis 1990. Insgesamt brachte der Zeitraum aber im Mittel etwas mehr Niederschläge. Damit ging die Serie von neun trockenen Frühjahren in Folge zu Ende.
Wegen der Trockenheit im Mai zeigen die Bodenfeuchtekarten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) aber bereits wieder Trockenstress an, erklärt UBA-Wasserexperte Jörg Rechenberg. “Die weitere Entwicklung hängt vom Niederschlagsgeschehen ab, das für das Restjahr 2023 nicht zu prognostizieren ist”, so Rechenbach.
Auch Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), denkt, es sei noch zu früh für eine Bewertung. Allerdings zeichne sich ab, “dass es auch in diesem Jahr in einigen Regionen ein sehr trockenes Jahr werden könnte”. Wasser sei grundsätzlich ein großes Thema geworden, erklärte er gegenüber Table.Media. “Es wird zunehmend wichtiger, das Wasser in der Landschaft zu halten, zum Beispiel durch Speicherbecken”, so Krüsken. Doch dazu müsse die Bewässerungsinfrastruktur verbessert und ausgebaut werden.
Besonderes Augenmerk legt Krüsken zudem auf moderne Technologien wie Crispr/Cas, bei dem Forscher durch Schnitte mit der sogenannten Gen-Schere die DNA gezielt verändern können. Das Verfahren biete große Chancen, “zügig hitze- und trockenheitsresilientere Sorten zu bekommen“, ist allerdings umstritten. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2018 sind Veränderungen im Erbgut, die mit Crispr/Cas erzeugt wurden, als Gentechnik einzustufen.
Insgesamt fördert das Bundeslandwirtschaftsministerium nach eigenen Angaben derzeit mehr als 200 Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Züchtung klimaangepasster Sorten und Kulturpflanzen. Die Fördersumme liege bei über 55 Millionen Euro.
Krüsken verweist außerdem auf ein gemeinsames Modellvorhaben mit dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), das vom Braunschweiger Thünen-Institut wissenschaftlich begleitet wird. Im Mittelpunkt des Projektes, an dem sich 150 ökologisch und konventionell wirtschaftende Betriebe beteiligen, stehen Maßnahmen zum Humusaufbau, also zur Erhöhung der Fruchtbarkeit der oberen Bodenschichten; auch damit lässt sich die Klimaresilienz verbessern.
Peter Röhrig, Geschäftsführer des BÖLW, betont gegenüber Table.Media, es sei wichtig, “Landwirtschaft so zu betreiben, dass sie zur Grundwasserbildung und zum Gewässerschutz beiträgt“. Dazu brauche es neben dem Humusaufbau eine möglichst große Vielfalt der angebauten Pflanzen, weniger erosionsrelevante Kulturen wie Mais sowie ein intaktes Bodenleben und damit eine höhere Infiltrationsfähigkeit des Bodens bei Regen und Starkregen. “Für die Klimaanpassung kann beispielsweise auch der Ausbau von Agroforstsystemen relevant sein, um weniger auf Bewässerungswasser angewiesen zu sein”, so Röhrig.
Beide Verbandsvertreter erklären, dass die Land- und Forstwirtschaft in Deutschland nur für rund zwei Prozent der gewerblichen Wassernutzung verantwortlich sei. Gleichwohl begrüßt Röhrig die derzeit in mehreren Bundesländern diskutierte Einführung beziehungsweise Erhöhung von Wasserentgelten für die Landwirtschaft. Es dürfe nicht mehr Wasser verbraucht werden, als nachhaltig bereitgestellt werden könne. “Die angemessene Bepreisung des Wassers ist dazu ein relevantes Steuerungsinstrument”, so der BÖLW-Vorstand.
Der Bauernverband hingegen sieht das eher kritisch. “Mit zusätzlichen Gebühren würde die Lebensmittelpreise noch weiter steigen“, so Krüsken. Bisher werden Wassergebühren nur im Saarland, in Sachsen-Anhalt und in Niedersachsen erhoben.
22. Juni, 13 Uhr, Berlin
Symposium Client Earth Symposium
Das halbtägige Symposium bringt Experten und die interessierte Gesellschaft zusammen, um neue Wege vorzustellen, wie das Recht für einen systemischen Wandel zum Schutz der Menschen und aller Bewohner unseres Planeten genutzt werden kann. Infos
22. Juni, 16 Uhr, Augsburg/Online
Vorlesung Klimagerechtigkeit aus postkolonialer Perspektive
Im Rahmen der interdisziplinären Vortragsreihe “Klimaresilienz – Forschung und Transfer” im Sommersemester 2023 lädt das Zentrum für Klimaresilienz zu drei Gastvorträgen von Vertretern aus Forschung und Praxis ein. Zum Auftakt der Reihe informiert Franziska Müller von der Universität Hamburg über “Klimagerechtigkeit aus postkolonialer Perspektive”. Infos und Anmeldung
22. bis 23. Juni 2023, Paris
Gipfel Summit for a New Global Financing Pact
Am 22. und 23. Juni 2023 wird Frankreich Gastgeber eines internationalen Gipfels für einen neuen globalen Finanzierungspakt sein. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den Gipfel einberufen. Themen sind der Umbau des internationalen Finanzsystems und die Mobilisierung des Privatsektors für die Klimafinanzierung. Infos
23. bis 24. Juni, Frankfurt am Main
Konferenz Bürgerenergie-Konvent und engage-Konferenz
Die Doppelveranstaltung des Bündnisses Bürgerenergie legt den Fokus auf Bürgerbeteiligung bei der Energiewende. Eine Exkursion zu Hessens größtem Solarpark ist Teil der Veranstaltung. Infos und Anmeldung
24. Juni bis 2. Juli, London
Aktionswoche London Climate Action Week
Auf dem Event wollen Akteurinnen und Akteure aus verschiedenen Bereichen zeigen, wie eine Stadt und ihre Gesellschaft Klimapolitik voranbringen kann. Es gibt ein breites Programm, einige Veranstaltungen finden auch online statt. Infos und Anmeldung
27. Juni, 16.30, Berlin/Online
Seminar Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität: Potenziale und Perspektiven für die Grundstoffindustrie
Die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie der Bundesregierung will Kreislaufwirtschaft als ambitionierte Klimastrategie in der Industrietransformation verankern und gleichzeitig die Resilienz der Lieferketten stärken. Der Thinktank Agora Energiewende hat dazu eine Studie erstellt und wird sie bei diesem Event vorstellen. Infos
27. bis 28. Juni, München
Konferenz SZ Nachhaltigkeitsgipfel
Die Energiekrise ist auch im Jahr 2023 noch nicht vorbei, aber sie lässt wieder Raum für längerfristiges Denken. Damit ist der Klimaschutz zurück im Mittelpunkt der politischen Debatte – und zunehmend auch im Alltag der Menschen. Die Zukunftsfragen lauten: Schafft Deutschland den Umbau hin zu einer grünen Wirtschaft? Und: Endet das alles in einem grünen Wirtschaftswunder oder müssen wir für Klimaschutz verzichten? Zu diesen Themen gibt es beim Nachhaltigkeitsgipfel der Süddeutschen Zeitung Diskussionen und Vorträge. Infos
28. bis 29. Juni, Hannover
Fachkonferenz Windenergie und Artenschutz
Artenschutzbelange spielen bei der Realisierung von Windenergieprojekten eine wichtige Rolle und sind entscheidend für die Frage, ob ein Projekt erfolgreich umgesetzt werden kann. Auf der Fachkonferenz des Bundesverbands Windenergie wird darüber diskutiert, wie Windausbau und Artenschutz zusammen gehen können. Infos
29. Juni, 13.45 Uhr, Berlin
Konferenz ZEIT Klima-Konferenz
Der Fokus der Klima-Konferenz der Wochenzeitung Zeit liegt auf der Wasserstoffwirtschaft. Expertinnen und Experten diskutieren über die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen. Infos
Für die ungewöhnlich frühe und starke Hitzewelle im Nordatlantik gibt es bislang keine eindeutige wissenschaftliche Erklärung – aber eine Reihe von Theorien, welche Ursachen sie haben könnte. Seit Juni messen die Instrumente an der Oberfläche des Atlantik außergewöhnlich hohe Temperaturen, die 1,1 Grad Celsius über dem langjährigen Mittel liegen – und damit doppelt so viel Erwärmung zeigen wie das bislang wärmste Jahr.
Alle befragten Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieses Extremereignis mit der Erderhitzung in Zusammenhang steht. Als Erklärung für die aktuelle Entwicklung werden mehrere mögliche Ursachen angeführt, die sich überlagern können:
Bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen wurde ein neuer Klima- und Transformationsdialog zwischen den beiden Staaten beschlossen. Der Dialog soll bestehende Formate der Zusammenarbeit in den Bereichen bündeln und verstärken:
Der Mechanismus wird vom deutschen Wirtschaftsministerium und der Nationalen Reform- und Entwicklungskommission Chinas (NDRC), die Ministerialrang hat, koordiniert. Es ist ein jährliches Plenartreffen vorgesehen. Zudem wurden Pilotprojekte vereinbart, um den Klimaschutz gemeinsam voranzubringen.
Laut der Entwicklungsorganisation Germanwatch stellt der Dialog eine “wichtige Aufwertung des Themas” dar, er sei ein “beachtlicher Erfolg deutscher Klimadiplomatie”. Denn China habe sich sehr deutlich zur “Orientierung am 1,5-Grad-Ziel und zur Notwendigkeit beschleunigter Emissionsreduktionen noch in diesem Jahrzehnt” bekannt, so die Organisation. Während Kanzler Scholz erklärte, man habe sich mit China auch über Erfahrungen zum Kohleausstieg ausgetauscht, finden sich in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Staaten dazu keinerlei Inhalte. China ist der mit Abstand größte Kohleproduzent und -verbraucher weltweit. Es bleibe abzuwarten, welche Ergebnisse der Dialog bezüglich der Emissionsminderung haben werde, so Lutz Weischer von Germanwatch. nib
Einer der wichtigsten Beiträge zum globalen Klimaschutz könnte in diesem Jahr von unerwarteter Seite kommen: Die UN-Schifffahrtsorganisation IMO will ein neues Klimaziel verabschieden, das die Emissionen aus dem Schiffsverkehr deutlich reduzieren soll. Statt wie bisher geplant bis 2050 die Treibhausgasemissionen der Flotten nur zu halbieren, sollen sie nach dem Willen vieler Länder und Umweltgruppen bis 2050 auf Null sinken. Zudem sollen ehrgeizige Reduktionsziele für 2030 (je nach Vorschlag zwischen 29 und 50 Prozent) und 2040 (zwischen 83 Prozent 100 Prozent) beschlossen werden.
Diese Entscheidung fällt auf zwei internationalen Treffen der UN-Schifffahrtsorganisation IMO: Vom 26. bis 30. Juni tagt der IMO-Ausschuss “ISWG-GHG-15” für Debatten unter den Interessengruppen. Vom 3. bis 7. Juli soll dann der 80. Gipfel des IMO-Komittees für Umweltschutz “MEPC80″ Entscheidungen treffen.
Die internationale Schifffahrt ist bisher keinen stringenten Klimazielen unterworfen. Sie ist mit etwa einer Milliarde Tonne Treibhausgasen pro Jahr für knapp drei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, etwa so viel wie der weltweit fünftgrößte Verschmutzer Japan. Dabei sind die Frachtschiffe das Rückgrat des globalen Handels: Etwa 80 Prozent aller weltweit gehandelten Güter werden über die Ozeane transportiert. 40 Prozent des Frachtaufkommens bestehen aus fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas und Kohle.
Bislang unterlagen die Emissionen des Schiffsverkehrs nur einer Verpflichtung zu mehr Effizienz und dem Klimaziel, sie bis 2050 zu halbieren. Inzwischen gibt es aber unter den 175 IMO-Staaten eine breite Front von Ländern, die im Einklang mit den Forderungen des Weltklimarats IPCC eine Verschärfung fordern. Eine Allianz aus den USA, der EU, Großbritannien, Kanada und pazifischen Staaten fordert Netto-Null bis 2050 und Zwischenziele bis 2030 und 2040. Von einer Allianz unter anderem aus China, Indien, Saudi-Arabien und Südafrika, die solchen Zielen zögerlich gegenüberstehen, ist bisher kein Vorschlag bekannt. Doch diese Front der Bremser hat einen wichtigen Verbündeten verloren: Die Vereinigten Arabischen Emirate, Gastgeber der COP28, haben ihren Kurs von Ablehnung zu Unterstützung des höheren Klimaziels geändert.
Gleichzeitig mit einem neuen Ziel soll es bei den Sitzungen auch um einen Beschluss für effektive Maßnahmen zu mehr Klimaschutz gehen. Darunter sind:
Besonders die globale CO₂-Steuer wird von vielen Seiten gefordert: Staaten, Umweltgruppen, aber auch die Weltbank schlagen etwa einen Preis von 100 Dollar pro Tonne CO₂ vor. Das würde schätzungsweise 60 bis 80 Milliarden Dollar einbringen. Diese Mittel könnten für den Klimaschutz in armen Ländern verwendet werden – oder aber vor allem in die Schifffahrtsindustrie fließen, um klimaneutrale Antriebe voranzubringen. Auch die Verwendung dieser Mittel aus einer möglichen Schifffahrt-CO₂-Steuer soll auf der Konferenz in London debattiert und entschieden werden. bpo
Schwellen- und Entwicklungsländer müssen ab den frühen 2030er Jahren jährlich 2,8 Billionen US-Dollar in saubere Energien investieren, um die Klimaziele zu erreichen und den Zugang zu Energie zu decken. Das geht aus einem neuen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) und des Privatsektorarms der Weltbank (IFC) hervor. Derzeit investiert diese Staatengruppe demnach jährlich 770 Milliarden in saubere Energien – drei Viertel davon in den drei großen Schwellenländern China, Indien und Brasilien. Die Finanzierung der Energiewende in diesen Staaten sei die “die wichtigste Herausforderung”, um die Klimaziele zu erreichen, sagte IEA-Generaldirektor Fatih Birol bei der Vorstellung des Berichts.
Laut Studie sind die Kapitalkosten in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern rapide gestiegen. Die Kosten für ein Solarkraftwerk sind in vielen Staaten zwei bis drei Mal so hoch wie im globalen Norden oder China, so IEA und IFC. Durch den Zinsanstieg steige die Schuldenlast der Staaten. Investitionen im globalen Norden würden attraktiver, wodurch die Investoren größere Renditen für Erneuerbaren-Projekte im Globalen Süden erwarten. Laut Birol generieren die Niederlande mehr Solarstrom als Subsahara-Afrika. Das verdeutliche, wie ungleich die Investitionen in die Energiewende bisher geflossen sind.
Laut IEA und IFC würden öffentliche Mittel zur Finanzierung der Energiewende nicht ausreichen. Zwei Drittel der Investitionen müssten von privaten Investoren kommen. Die beiden Institutionen schlagen deshalb vor:
Laut dem Bericht müsste jeweils ein Drittel der Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren und die Verbesserung der Energieeffizienz fließen. Ein Viertel der Investitionen müsste in den Ausbau der Stromnetze gehen. Investitionen in Stromnetze würden derzeit noch zu über 90 Prozent von staatlichen Unternehmen aufgebracht, die sich allerdings oft mit schwerwiegenden Finanzierungsengpässen und mangelndem Zugang zu Kapitalmärkten konfrontiert sehen. nib
Offizielle Statistiken der schottischen Regierung zeigen, dass Schottland seine Klimaziele im Jahr 2021 verfehlt hat. Die Emissionen waren 2021 rund 49,2 Prozent niedriger als 1990, das rechtlich bindende Ziel wären aber 51,1 Prozent gewesen. Im Vergleich zum Vorjahr (2020) sind die Treibhausgasemissionen demnach um 2,4 Prozent angestiegen. Grund dafür waren laut der schottischen Regierung vor allem der inländische Verkehr, der nach dem Corona Lockdown 2020 wieder anzog. In den meisten anderen Sektoren seien die Emissionen gesunken.
Schottland hat sich selbst ehrgeizige Klimaziele gesetzt und möchte bis 2045 bei Net-Null-Emissionen ankommen – fünf Jahre vor dem Vereinigten Königreich. Als Reaktion auf das Verfehlen der Klimaziele für das Jahr 2021 möchte Màiri McAllan, Staatssekretärin für das Netto-Null-Ziel, noch in diesem Jahr einen ambitionierteren Klimaplan veröffentlichen, wie The Herald berichtet.
Gleichzeitig droht auch Kanada seine Klimaziele für 2050 zu verfehlen. Aktuell seien Genehmigungsverfahren für grüne Großprojekte im Bereich der erneuerbaren Energien, Wasserstofftechnologien oder kritische Rohstoffe “komplex, holprig und frustrierend”. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Business Council von Alberta. Wenn das Land keinen Weg fände, das zu ändern, sei das Netto-Null-Ziel bis 2050 nicht zu erreichen. Eine Analyse der Behörde Canada Energy Regulator (CER) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. kul
Die Gletscher im Himalaya könnten zum Ende des Jahrhunderts bis zu 75 Prozent ihres Volumens verlieren, warnt das in Nepals Hauptstadt Kathmandu ansässige International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD). Daran schuld sei die globale Erwärmung.
In den 2010er-Jahren seien die Gletscher einer Studie des ICIMOD zufolge um 65 Prozent schneller als im vorangegangenen Jahrzehnt geschrumpft. Für die 240 Millionen Menschen in der Bergregion hat dies dramatische Folgen: Es drohen gefährliche Überschwemmungen sowie Wassermangel. In der Region liegen berühmte Gipfel wie der Mount Everest und der K2.
Die internationalen Forscher gehen in ihrer Studie von einer globalen Erwärmung von drei Grad aus, auf die die Welt unter der aktuellen Klimapolitik zusteuere. Bei einer Erwärmung von vier Grad läge der Gletscherverlust bei bis zu 80 Prozent ihres Volumens. Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius oder zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit würden die Gletscher in der Region bis zum Jahr 2100 immer noch rund 30 bis 50 Prozent ihres Volumens verlieren. Wo sie am stärksten schmelzen würden, hänge vom Standort ab.
Die Untersuchungen der Klimafolgen sind für die Forscher im Himalaya besonders schwierig. Im Gegensatz zu den europäischen Alpen und den nordamerikanischen Rocky Mountains gibt es in der Region keine langen historischen Aufzeichnungen von Feldmessungen, die Aufschluss darüber geben, ob die Gletscher wachsen oder schrumpfen. 2019 gaben die USA jedoch Bilder von Spionagesatelliten von Gletschern der Region aus dem Jahr 1970 frei und schufen damit eine neue wissenschaftliche Grundlage. Hinzu kamen Fortschritte in der Satellitentechnologie. jul/rtr
Die EU-Batterieindustrie ist möglicherweise nicht in der Lage, über 2025 hinaus die Nachfrage zu decken. In der Folge besteht das Risiko, dass die EU entweder ihre CO₂-Ziele für 2035 verfehlt oder dieses Ziel durch importierte Batterien oder Elektroautos erreichen müsste, was der europäischen Industrie schaden würde. Zu diesem Ergebnis kommt ein kürzlich veröffentlichter Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs (European Court of Auditors, ECA), der den strategischen Aktionsplan der EU für Batterien evaluiert hat.
Die EU-Kommission habe zwar für die meisten Teile des Batterie-Aktionsplans Maßnahmen ergriffen. Unter anderem wurde kürzlich die Batterieverordnung verabschiedet. Doch es dauere teils noch mehrere Jahre, bis die einzelnen neuen Vorgaben für die Stärkung der europäischen Batteriewertschöpfungsketten in Kraft treten.
Der Bericht identifiziert vier wesentliche Probleme:
Die Prüfer warnen vor zwei Szenarien für den Fall, dass die Produktionskapazität für Batterien in der EU nicht wie geplant wächst. Es könne passieren, dass die EU den Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos erst nach 2035 verbietet. Damit würden die Klimaziele nicht erreicht werden. Bei dem zweiten Szenario müsse stark auf Batterien und Elektrofahrzeuge aus Drittländern gesetzt werden, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Dies sei zum Nachteil der europäischen Automobilindustrie und ihrer Beschäftigten.
Fast jeder fünfte im Jahr 2021 in der EU zugelassene Neuwagen hatte nach Angaben des Europäischen Automobilherstellerverbands Elektroantrieb. Zudem soll der Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos ab 2035 verboten werden. Daher seien Batterien von großer strategischer Bedeutung für die EU – und wichtig, um die Klimaziele zu erreichen, heißt es in dem Bericht des Rechnungshofs. leo/dpa
Als Wael Sawan im Januar 2023 CEO von Shell wurde, hatten Analysten Hoffnungen auf einen beschleunigten grünen Wandel. Der im Libanon geborene Kanadier leitete vor seinem Aufstieg an die Unternehmensspitze die Abteilung für “Integrated Gas and Renewables”. Seine Beförderung zum CEO sei ein “klares Zeichen”, dass Shell seine “vage Strategie für Erneuerbare” überarbeiten wolle, zitiert der Guardian eine Analystin. Doch vergangene Woche warf Sawan das Klimaziel des Öl- und Gasriesen über den Haufen, die Ölförderung bis 2030 um 20 Prozent zu senken. Schon im Frühjahr ließ er den Rotstift kreisen und beendete einige Offshore-Wind-, Wasserstoff- und Biokraftstoff-Projekte. Die Renditeprognosen dieser grünen Projekte überzeugten den Top-Manager nicht.
Eigentlich könnte Wael Sawan sehr zufrieden sein. Der 48-Jährige konnte in seiner kurzen Amtszeit schon zweimal Rekord-Quartalsgewinne vermelden. Doch Sawan ist enttäuscht vom Aktienkurs Shells, der hinter den Kursen der Konkurrenz zurückbleibt. In Zeiten hoher Energiepreise fährt die Öl- und Gasproduktion hohe Gewinne ein, auf die Shell nicht verzichten will. Die Milliarden-Gewinne sollen in Zukunft noch stärker für Aktienrückkäufe genutzt werden, um den Kurs der eigenen Papiere in die Höhe zu treiben.
Sawan sagt, man müsse “rentable Geschäftsmodelle” entwickeln, um die Dekarbonisierung des Energiesystems “wirklich zu beeinflussen”. Außerdem meint er: “Wir werden in die Modelle investieren, die funktionieren – diejenigen mit den höchsten Renditen, die unsere Stärken ausspielen”. Für Shell bedeutet das jedoch: Weiter auf fossile Energien zu setzen. Zwischen 2023 und 2025 will der Öl-Riese 40 Milliarden US-Dollar in die Öl- und Gasproduktion investieren. Die führende Position im LNG-Markt soll verteidigt werden. Dem stehen Investitionen von lediglich zehn bis 15 Milliarden für die “Entwicklung kohlenstoffarmer Energielösungen”, beispielsweise in den Bereichen Wasserstoff und Biokraftstoffe, sowie in Lade-Lösungen für E-Autos und Carbon-Capture-Technologien gegenüber.
Sawans Investitionsstrategie läuft den Forderungen und Beschlüssen zuwider, die etwa auf der COP26 in Glasgow oder von der Internationalen Energieagentur IEA formuliert worden sind: Die 1,5 Grad sind nur zu halten, wenn es keine neuen Investitionen in fossile Infrastruktur gibt.
Shells Kehrtwende in Sachen Klimaziel zeigt einmal mehr: Freiwillig werden die großen Öl- und Gasförderer nicht aus den fossilen Energien aussteigen. Zwar sagt Sultan al Jaber, COP28-Präsident und CEO der Abu Dhabi National Oil Company, ein Absenken der Förderung fossiler Energien sei “unvermeidlich”. Allerdings nennt er keinen Zeitpunkt und spricht häufig nur vom “Ausstieg aus den Emissionen”. Und Shell-Konkurrent BP hatte schon im Februar 2023 seine Emissions-Reduktionsziele aufgeweicht. Der Wettbewerb unter den Öl-Multis, der kurzfristige Blick auf Aktionäre und hohe Gewinne, macht einen phasenweisen Ausstieg aus den Fossilen unwahrscheinlich.
Shell müsse “langfristig Werte für unsere Aktionäre” schaffen, hat Sawan gegenüber der Financial Times gesagt. “Die Antwort kann nicht lauten: ‘Ich werde [in saubere Energieprojekte] investieren und schlechte Renditen erzielen, und das wird mein Gewissen entlasten’. Das ist falsch”.
Ob Sawans Strategie, den Aktienkurz hochzutreiben und weiterhin in fossile Energieträger zu investieren, erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Denn der Druck steigt. Im Sommer 2021 entschied ein niederländisches Gericht nach einer Klage, dass Shell seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 senken müsse. Shell ist in Berufung gegangen. Die Klimaziele des Konzerns basieren derzeit noch auf der Emissions-Intensität der erzeugten Energie. Die absoluten Emissionen können also steigen, wenn Shell zwar nachhaltiger produziert, aber mehr Öl und Gas fördert.
Wael Sawan scheint sich von der Klage nicht allzu sehr ablenken zu wollen. Als Absolvent der Harvard Business School sei er “nicht emotional”, was Geschäftsentscheidungen angehe. Er müsse “gutherzig, aber hartgesotten” sein, gibt ihn die Financial Times wieder. Diesen Aussagen ist zu entnehmen, dass Shell erst wirksame Dekarbonisierungs-Schritte einleitet, wenn die fossilen Geschäftsmodelle den Aktienkurs und die Gewinne schmälern sollten.
Sawan hat seine gesamte Karriere bei Shell verbracht. Er ist in Dubai aufgewachsen und hat einen Master-Abschluss in Chemieingenieurwesen. Er ist verheiratet und hat drei Söhne. Nico Beckert