jetzt geht’s los! Für die nächsten zwei Wochen blickt die Welt ins ägyptische Sharm el Sheikh. Bei der COP27 machen die Delegierten aus knapp 200 Staaten den nächsten Anlauf, um die Klimakrise noch einigermaßen in den Griff zu bekommen. Man muss leider sagen: Die Chancen dazu stehen nicht gut.
Das hat eine Flut von umfangreichen wissenschaftlichen Berichten in den letzten Tagen gezeigt: Die Welt ist keineswegs, wie auch in Ägypten wieder gefordert werden wird, auf dem Weg, “jetzt zu handeln”. Zwar werden die Staats- und Regierungschefs während des High-Level-Segments schöne Reden halten, um zu Beginn der COP positive Stimmung zu verbreiten. Doch die Emissionen steigen, Klimafolgen wie Dürren, Fluten, Waldbrände und Hitzewellen nehmen zu. Die Länder des Globalen Nordens und Südens stehen sich so feindselig gegenüber wie lange nicht mehr. Der russische Angriff auf die Ukraine macht alles noch komplizierter.
Wird es in Sharm el Sheikh trotzdem Fortschritte geben? Finden die Staaten ein Konzept für die Finanzierung von Verlusten durch den Klimawandel? Werden die Länder ihren Ausstieg aus den Fossilen bekräftigen oder verwässern? Wie viel gemeinsames Handeln ist noch möglich?
Das sind die Fragen, die uns die nächsten zwei Wochen begleiten werden. Unser Team wird die Verhandlungen vor Ort verfolgen. Und Sie auf dem Laufenden halten. Wir freuen uns auf spannende Tage.
Behalten Sie einen langen Atem!
Die COP27 in Sharm el-Sheikh ist mit einem ersten Erfolg der Entwicklungsländer gestartet: Der Umgang mit Verlusten und Schäden als Folge des Klimawandels im globalen Süden (Loss and Damage) wird ein sogenannter “Agenda Item” und steht somit ab sofort offiziell auf der Tagesordnung der Klimakonferenz. Das Thema Verluste und Schäden hat die reichen und armen Länder bisher gespalten. Laut Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry sei der Durchbruch nach 48 Stunden harter Verhandlungen erreicht worden. Man werde eine endgültige Entscheidung über Verluste und Schäden “spätestens 2024” anstreben, so Shoukry, der am Sonntag zum COP-Präsidenten gewählt wurde.
Schon 1991 forderten die kleinen Inselstaaten eine Art Versicherungssystem gegen die Klimakrise. Seitdem ist das Thema immer wieder aufgekommen, ernsthaft wurde es allerdings nie. Letztes Jahr wurde immerhin mit dem Glasgow Dialogue eine Gesprächsplattform über Loss and Damage eingerichtet. Laut Shoukry wurde der Agenda-Durchbruch bei Loss and Damage durch einen Kompromiss erreicht: Die Diskussion werde auf “Zusammenarbeit” und nicht auf “Haftung oder Entschädigung” gegründet.
Konkret fordern die Entwicklungsländer ein Finanzierungsinstrument für Schäden und Verluste, beispielsweise bei Dürren, Überschwemmungen, aber auch bei ökonomischen Schäden. Es geht darum, dass die Industrieländer als Hauptverursacher des Klimawandels auch finanziell Verantwortung für die Folgen jahrelanger CO2-Emissionen übernehmen. Die USA und auch einige EU-Staaten scheuen sich bislang vor einem solchen Schritt. Sie befürchten, für Naturkatastrophen haftbar gemacht zu werden und dass die Forderungen für Kompensation ins Unermessliche steigen.
Bevor sich die EU auf einen Finanzrahmen einlässt, will sie zunächst mit den Ländern des globalen Südens klären, wie groß der Bedarf ist. Das EU-Mandat für die COP beinhaltet lediglich die Bereitschaft für Gespräche. Ein hochrangiger EU-Beamter erklärte am Freitag, dass die Bereitschaft des globalen Südens zu solchen Gesprächen überraschend gering sei. Die EU sei bereit, Finanzierung für Verluste und Schäden bereitzustellen. Allerdings müsse sich diese an der Nachfrage orientieren, da sonst komplizierte und jahrelange Verhandlungen über Kriterien zur Kompensation folgen würden.
Eine Option könnte sein, dass ein gedeckelter Finanzierungsrahmen vereinbart wird, aus dem Verluste und Schäden kompensiert werden. Das wäre ein wichtiger Erfolg. Gleichzeitig könnte ein Scheitern bei dem Thema auch ein Scheitern der gesamten Konferenz bedeuten.
Die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan, ist mit der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas für die Verhandlungen eines Loss-and-Damage-Fahrplans zuständig.
Bei der COP27 stehen bereits beschlossene Verabredungen wieder zur Debatte. In Glasgow haben sich die Staaten darauf geeinigt, weniger fossile Brennstoffe zu nutzen und staatliche Subventionen in fossile Infrastruktur zu beenden.
Doch weil insbesondere in der EU wieder vermehrt Kohlekraftwerke in Betrieb genommen oder deren Betriebsdauer verlängert sowie Flüssigerdgaslieferungen (LNG) beispielsweise aus Aserbaidschan, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten angestrebt werden, gibt es Zweifel an der Einhaltung der Vereinbarungen. Die klimapolitische Glaubwürdigkeit Europas und des Westens steht auf dem Spiel. Zudem hat China neue Kohleminen genehmigt und auch Vietnam und Indonesien versuchen, ihre Kohleförderung auszuweiten.
Besonders einige afrikanische Staaten fordern deshalb, dass ihnen die Erschließung ihrer fossilen Energiequellen gestattet wird. Diese Position könnte die Gespräche in Sharm El-Sheikh erschweren.
2009 verpflichteten sich die Industrieländer von 2020 an jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar für Investitionen in CO2-Vermeidung und Klimaanpassungsmaßnahmen in weniger reichen Staaten zur Verfügung zu stellen. 2020 wurde das Ziel mit 83,3 Milliarden Dollar deutlich verfehlt. Laut OECD-Prognose liegen die Zahlen für 2022 bei maximal 88 Milliarden.
2023 sollen die 100 Milliarden aber zusammen kommen. Doch dafür müssen insbesondere die USA ihre Finanzierungszusagen erhöhen. Joe Bidens “Emergency Plan for Adaptation and Resilience” (PREPARE) sieht drei Milliarden Dollar jährlich für Klimaanpassung und eine Gesamtsumme zur Klimafinanzierung von elf Milliarden vor – allerdings erst ab 2024. Auch die EU ist gefordert. Laut eigenen Angaben haben die EU-Staaten 2021 knapp über 23 Milliarden Euro an öffentlicher Klimafinanzierung bereitgestellt. Dazu kommt privates Kapital.
Die ägyptische COP-Präsidentschaft wird Druck auf die Industrieländer ausüben, das Versprechen spätestens im kommenden Jahr einzuhalten. Denn als afrikanisches Gastgeberland repräsentiert Ägypten mit seinen Forderungen auch den globalen Süden.
Wichtig dabei ist aber nicht nur allein die Summe, sondern auch, wie viel Geld aus Zuschüssen und wie viel aus Darlehen besteht. Länder wie Japan und Frankreich überfüllen ihren Anteil zur Klimafinanzierung zwar, jedoch besteht ein Großteil aus Darlehen. Der globale Süden fordert jedoch Zuschüsse, insbesondere für Anpassungsmaßnahmen. In Glasgow haben sich die Länder darauf geeinigt, dass mindestens 50 Prozent der Klimafinanzierung in Anpassungsmaßnahmen fließen soll.
Nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms (UNEP) sind die bisherigen internationalen Hilfszahlungen an den globalen Süden für die Klimaanpassung (“Adaptation”) fünf bis zehn Mal geringer als der eigentliche Bedarf der Länder. Das UN-Büro für Handel und Entwicklung (UNCTAD) schätzt den Bedarf für Anpassungsfinanzierung in den Entwicklungsländern bis 2030 auf 300 Milliarden Dollar. Die Industriestaaten werden sich abermals in den Verhandlungen mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, zu wenig zu leisten.
Bis 2025 soll der Anteil an der Klimafinanzierung, der in Anpassungsmaßnahmen fließt, verdoppelt werden. Von aktuell rund 20 Milliarden US-Dollar (etwa ein Viertel der Gesamtsumme) auf dann 40 Milliarden – so wurde es in Glasgow beschlossen. Betrachtet man das 100-Milliarden-Versprechen gemeinsam mit dem Vorhaben, 50 Prozent für Adaptation bereitzustellen, müssten noch weitere zehn Milliarden fließen. Auch darauf werden die weniger entwickelten Länder pochen.
Die COP27 ist zudem der Auftakt der Gespräche über ein neues Finanzierungsziel nach 2025, das sich am Bedarf der Entwicklungsländer orientieren soll. Eine Einigung gilt jedoch als unwahrscheinlich und ist erst für die COP28 zum Global Stocktake – der Fortschrittsbilanz des Paris-Abkommens – geplant.
Trotz des immensen Bedarfs an Anpassungsmaßnahmen, mahnt insbesondere die EU immer wieder, dass man dabei nicht die Vermeidung von klimaschädlichen CO2-Emissionen vergessen dürfe. Daran werden die europäischen Verhandler auch in Sharm el-Sheikh erinnern.
Alle Länder waren vor der COP aufgefordert, ihre Klimaziele für 2030 anzuheben. Von den Industriestaaten hat nur Australien vor der COP27 ein Update bei der UN eingereicht. Zwar ist auch die EU bereit, ihren national festgelegten Beitrag (Nationally Determined Contribution, NDC) zu erhöhen, allerdings erst nach Abschluss der Verhandlungen des Fit-for-55-Pakets.
Stattdessen sollen auf Geheiß der G7 und der EU sogenannte Just Energy Transition Partnerships (JETPs) vorangetrieben werden. Ein erstes JETP mit Südafrika (Climate.Table berichtete) über 8,5 Milliarden US-Dollar wurde in Glasgow beschlossen. Weitere sind mit Vietnam, Indonesien, Indien und dem Senegal geplant – unter anderem auch, um die Nutzung von Kohle in den Ländern zu beenden.
Außerdem sind weitere Energie- und Wasserstoffpartnerschaften geplant. Die EU und Ägypten wollen auf der COP ihr gemeinsames Vorhaben besiegeln. Mit Namibia und Kasachstan wird Ursula von der Leyen noch während des High Level Segments gemeinsame Absichtserklärungen unterzeichnen.
Für das COP-Gastgeberland Ägypten sind Klimakrise und Klima-Konferenzen aus vielen Gründen aktuell:
Ägypten ist mit 102 Millionen Menschen auf engstem Raum verwundbar gegenüber Störungen im Naturhaushalt: 95 Prozent seiner Bevölkerung lebt im Tal des Nils. Durch den Klimawandel droht zunehmende Wasserknappheit. Außerdem ist das Nildelta vom Anstieg des Meeresspiegels und Versalzung bedroht: Von den prognostizierten Steigerungen um bis zu einem Meter bis 2100 wären Küstenstädte wie Alexandria besonders betroffen. 30 Prozent der Agrarproduktion im fruchtbaren Nildelta gilt als gefährdet.
Bei den Treibhausgas-Emissionen liegt Ägypten bei einem BIP von etwa 440 Milliarden Dollar mit etwa 250 Millionen Tonnen auf einem Level mit Frankreich. Pro Kopf liegt der Ausstoß mit 3,5 Tonnen allerdings deutliche niedriger (Frankreich: 5,4 Tonnen, Deutschland 8,6 Tonnen). Der aktuelle Klimaplan (NDC) sieht vor, dass das Land seine Emissionen bis 2030 noch steigert. Ein Netto-Null-Ziel für 2050 hat Ägypten nicht.
Ägyptens Klimapolitik wird vom Germanwatch “Climate Change Performance Index” mit “mittel” bewertet. Das Land rangiert damit auf dem 22. Rang von 61 Staaten – hinter Luxemburg, vor Frankreich. Der Index lobt die niedrigen Emissionen und den geringen Energieverbrauch. Er sieht aber auch Defizite bei Klimapolitik und dem Ausbau der Erneuerbaren.
In der Energiepolitik setzt das Land auf Erdgas. Lange war Energie knapp – das änderte sich 2015 mit der Entdeckung großer Gasvorkommen vor der Küste im Mittelmeer. Seitdem ist Ägypten zu einem wichtigen Produzenten und Lieferanten geworden – auch für Europa. Die Vorräte im Mittelmeer und Anlagen zur Verarbeitung und Verschiffung des LNG-Gases etwa aus dem Libanon und Israel machen es zu einer wichtigen Drehscheibe im Gas-Poker der Region Nordafrika/Naher Osten. Ein russisches Atomkraftwerk ist geplant, aber noch nicht im Bau. Kohlekraftwerke für Elektrizität hat Ägypten nicht.
Bei Elektrizität aus erneuerbaren Energien ruht viel auf der Wasserkraft am Nil (sieben Prozent des Stroms), nur zwei Prozent auf Wind und ein Prozent auf Solarkraft. Das Potenzial ist gewaltig, wird aber nur gering ausgeschöpft: nach Zahlen der International Renewable Energy Agency (IRENA) bieten jeweils etwa 60 Prozent der Landesfläche hervorragende Bedingungen für Strom aus Sonne und Wind.
Die Pläne der Regierung sehen vor, bis 2022 insgesamt 20 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren zu erzeugen. 2019 waren erst zehn Prozent erreicht. Offiziell soll der Anteil der Erneuerbaren am Strom bis 2035 auf 42 Prozent steigen. Die IRENA sieht allerdings das Potenzial, diesen Anteil auf 53 Prozent zu erhöhen.
Die ägyptischen Planungen zum Klima sehen unter anderem vor:
Um die Ziele zu erreichen, veranschlagt die Regierung bis 2030 insgesamt 246 Milliarden Dollar an Finanzhilfe aus dem Ausland.
Die Bewertung der ägyptischen Klimapolitik durch den “Climate Action Tracker” (CAT) lautet “Höchst unzureichend“. Ägypten gesteht sich demnach bis 2030 eine Steigerung der Emissionen von 50 Prozent zu. Dieses Ziel ist laut Climate Action Tracker so lax, dass es selbst mit den aktuellen Maßnahmen noch erreicht würde, die auf eine Zunahme der Emissionen von 15 bis 40 Prozent hinauslaufen. Wenn das Land seinen Anteil zur Erreichung der Pariser Klimaziele leisten wolle, sollten die Emissionen bis 2030 zumindest auf heutigem Niveau eingefroren werden, so CAT.
Die Bewertung warnt auch, Ägypten mache sich mit einem Drittel des gesamten afrikanischen Gasverbrauchs von diesem fossilen Energieträger abhängig. Damit riskiere die Regierung “sich in einen Pfad zu hohen CO2-Emissionen einzuschließen” und “keine Führerschaft” zu zeigen, wenn es um einen dringend nötigen Ausstieg aus den Fossilen gehe.
Diese “Führerschaft” soll Ägypten nun aber mit der COP beweisen. Die COP-Präsidentschaft sei für das Land die Chance, sich “auf der Weltbühne als führende Stimme des Globalen Südens” zu zeigen, schreibt Mohammed Soliman, Strategieberater bei der Carnegie-Stiftung. “Ägypten schaut auf den Gipfel als Gelegenheit, sein internationales Prestige aufzuhellen, seine Afro-arabische Identität zu betonen und Kairo als Brückenbauer zwischen dem Globalen Norden und Süden zu positionieren.”
8. November, 13 Uhr
IPCC Events Assessing adaptation needs. Findings from the IPCC WGII contribution to its Sixth Assessment Report,
Auf dem Panel werden die wichtigsten Erkenntnisse aus dem aktuellsten IPCC-Bericht vorgestellt und diskutiert. INFOS
9. November, 11.30 Uhr
Veröffentlichung Scaling Solar: Roadmap to Mobilizing Investment
Auf der Veranstaltung wird diskutiert, wie Solarkraft massiv ausgebaut werden kann, um Klimaziele zu erreichen. Die Rolle von Finanzinstituten und Regierungen steht dabei im Mittelpunkt. INFOS
9. November, 13.15 Uhr
Diskussion A Roadmap for Resilience: Financing Climate Action to Address Vulnerability, Food Security and Human Mobility
Die Veranstaltung der Internationalen Migrationsorganisation zeigt Möglichkeiten auf, wie die verletzlichsten Gruppen der Klimakrise gegenüber widerstandsfähiger werden können. Unter anderem geht es um Ernährungssicherheit und Mobilität. INFOS
10. November, 9 Uhr
Veröffentlichung Global Carbon Budget Report
Der Bericht des jährlichen Global Carbon Project wird veröffentlicht und zeigt das verbleibende CO2-Budget der Menschheit auf. INFOS
11. November, 9.30 Uhr
Diskussion: Enabling Just Transition: Policy, Technology, and Community Engagement
Es gibt keine einfache Lösung für eine klimagerechte Wende. In der Podiumsdiskussion teilen Akteure der Zivilgesellschaft gute Beispiele und Herausforderungen für Perspektiven auf Klimagerechtigkeit. INFOS
11. November, 15 Uhr
Podiumsdiskussion Making good on the Glasgow Climate Pact: a call to action to achieve one gigaton of emissions reductions from forests by 2025
Bei der Podiumsdiskussion geleitet vom UN REDD werden Klimaziele für die Emissionsreduzierung von Wäldern diskutiert. Auch ein Kohlenstoffpreis von mindestens 30 bis 50 Dollar wird diskutiert. INFOS
12. November, 15.30 Uhr
Podiumsdiskussion Locally Led Adaptation: Creating a Step-Change in Climate Finance and Resilience Building
Auf dem COP-Event wird diskutiert, wie lokal geführte Projekte Klimaadaption umsetzen können. Graswurzelbewegungen erzählen von ihren Erfahrungen und Herausforderungen. INFOS
14. November, 9 Uhr
Diskussion: Getting to Zero-Deforestation by 2030
Private, öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteure diskutieren darüber, wie man das Ziel von null Entwaldung im Jahr 2030 erreichen kann. Wiederaufforstung und die Verbesserung von Lebensbedingungen für Landwirte werden auch mitgedacht. INFO
Der Klimawandel “vollzieht sich “mit katastrophaler Geschwindigkeit und zerstört Leben und Existenzgrundlagen auf allen Kontinenten“: So warnte UN-Generalsekretär António Guterres zu Beginn der Klimakonferenz in Ägypten. Er forderte die UN-Staaten dazu auf, “das Notsignal des Planeten mit ehrgeizigen, glaubwürdigen Klimaschutzmaßnahmen” zu beantworten. Die Ergebnisse des am Sonntag vorgestellten “State of the Global Climate in 2022”-Bericht der UN-Weltorganisation für Meteorologie (WMO) nannte Guterres eine “Chronik des Klimachaos”.
Der Bericht zeigt: Die vergangenen acht Jahre sind auf dem besten Weg, die acht wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen zu werden. Demnach werden die Auswirkungen des Klimawandels immer dramatischer:
In einem am Montag veröffentlichten Bericht beklagt Oxfam die hohen Emissionen der Superreichen. Dem Report zufolge verursachen allein die 125 reichsten Milliardäre.
Durch ihre Investitionen hätten die Superreichen großen Einfluss auf klimaschädliche Unternehmen, schreibt die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation. Demnach haben die untersuchten Milliardäre durchschnittlich 14 Prozent ihrer Investitionen in fossile Industrien wie den Öl- und Gassektor oder die Zementherstellung investiert.
Die Organisation ruft die Regierungen auf, die “enorme Verantwortung der Superreichen für die Klimakrise” zu berücksichtigen. Emissionsdaten sollten für unterschiedliche Einkommensgruppen veröffentlicht werden. Superreiche und der Unternehmenssektor müssten stärker reguliert werden, um langfristige Nachhaltigkeit und eine Verringerung der Ungleichheit sicherzustellen.
Konkret fordert Oxfam:
Erst vor wenigen Tagen hatte eine ähnliche Studie gezeigt, dass die obersten ein Prozent der Einkommensbezieher im Vereinigten Königreich in einem Jahr so viel CO2-Emissionen verursachen wie die ärmsten zehn Prozent über zwei Jahrzehnte. nib
Unter der britischen Präsidentschaft der COP26 kam im vergangenen Jahr die ganze Welt zusammen, um den Klimapakt von Glasgow zu unterzeichnen. Der Pakt verpflichtete alle Nationen erneut, eine Klimakatastrophe abzuwenden, und er enthielt ehrgeizige neue Verpflichtungen. Werden diese umgesetzt, könnten sie eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad in Reichweite halten, unsere Wälder und Ozeane schützen und Menschen in den ärmsten und anfälligsten Ländern helfen, die bereits jetzt nicht mehr vermeidbaren Auswirkungen des Klimawandels zu überleben.
Seitdem sind wir daran erinnert worden, wie dringlich und enorm groß die Bedrohung ist. In Pakistan gab es Überschwemmungen in nie dagewesenem Ausmaß. Am Horn von Afrika gab es fünf Missernten, sodass 50 Millionen Menschen unter akuter Nahrungsmittelknappheit leiden. Auf allen Kontinenten wurden hunderte von extremen Wetterrekorden gebrochen.
Es ist ernüchternd, sich daran zu erinnern, dass das System der Erde zehn bis 20 Jahre braucht, um neue Treibhausgasemissionen vollständig zu absorbieren. Das heutige Klima und Wetter spiegeln die Emissionen von vor langer Zeit wider, und seither sind Milliarden von Tonnen an Emissionen in die Atmosphäre gelangt. Die extremen Temperaturen, Überschwemmungen, Dürren, Eisschmelze, Brände und das Versagen der Ökosysteme, die sich weltweit rapide verschlimmern, sind nur ein Bruchteil dessen, was uns noch bevorsteht.
Außerdem wird es noch 30 Jahre dauern, bis wir aufhören, den Bestand an Treibhausgasen in der Atmosphäre zu erhöhen. Es ist möglich, dass wir selbst beim derzeitigen Emissionsstand die meisten der wichtigen Klimasysteme der Erde bereits grundlegend destabilisiert haben, mit unabsehbaren und unumkehrbaren Folgen für die Menschheit.
Jede Tonne Emissionen, jede Dezimalstelle der Erwärmung macht einen Unterschied. Es gilt, keine Zeit zu verlieren.
In diesem Zusammenhang erleben wir den entsetzlichen Einmarsch Russlands in die Ukraine. Er hat uns gespalten und von der Konzentration auf einen Übergang in eine saubere, grüne Welt abgelenkt, von dem künftige Generationen abhängen. Das ist eine äußerst ernste Angelegenheit. Wir können uns keinen Aufschub leisten. Die Emissionen müssen jeden Tag, jede Woche und jeden Monat gesenkt werden, um den globalen Ausstoß bis 2030 ungefähr zu halbieren und bis Mitte des Jahrhunderts vollständig auf null zu senken, sodass der Bestand in der Atmosphäre abnehmen kann. Doch stattdessen fackelt Russland täglich Millionen von Dollar an Gas ab.
Wir können und müssen dafür sorgen, dass die russische Invasion die Umstellung von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hin zur sauberen Energie beschleunigt. Die Invasion hat uns unsere nicht nachhaltige Abhängigkeit von teuren, unbeständigen und umweltschädlichen fossilen Brennstoffen unmissverständlich aufgezeigt – und die schreckliche Tatsache, dass unser Verbrauch Putins Bomben finanziert.
Der Verzicht darauf, russisches Öl und Gas zu nutzen, ist in jeder Hinsicht sinnvoll. Wir können dadurch:
Wir haben außergewöhnliche Möglichkeiten, um Arbeitsplätze zu schaffen, die die Schaffung von Wohlstand überall unterstützen: in Bereichen wie Wasserstoff, Batteriespeicherung und intelligenten Netzen, die Produzierende und Konsumierende direkt verbinden, im Netto-Null-Verkehr, in der Industrie und der Infrastruktur.
Kurzfristig werden fossile Brennstoffe aus alternativen Quellen benötigt, um die unmittelbare Energiesicherheit zu gewährleisten. Aber insgesamt geht der Verbrauch fossiler Brennstoffe in Deutschland und im Vereinigten Königreich weiter zurück, und zwar im Rahmen unserer jeweiligen Netto-Null-Prognosen.
Auf der COP27 in Ägypten müssen wir ungeachtet der größeren geopolitischen Spannungen vor allem eines tun: Wir müssen das diplomatische Momentum erhalten und vergrößern. Dabei muss der Fokus vor allem darauf liegen, jene zu unterstützen, die es am meisten brauchen. Die Ziele sind gesetzt. Aber die Unterstützung und auch das Geld kommen dort, wo sie gebraucht werden, weder in ausreichendem Ausmaß noch schnell genug an.
Deshalb wird die COP27 auch “Aktions-COP” oder “Umsetzungs-COP” genannt. Während des gesamten Jahres 2022 hat das Vereinigte Königreich eng mit Ägypten und dem UNFCCC-Sekretariat und mit gleichgesinnten Partnern wie Deutschland zusammengearbeitet, um die Implementierung zu unterstützen. Wir sind Deutschland dankbar für seine Führungsrolle bei der Entwicklung des Plans zur Bereitstellung der 100 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung, die den besonders gefährdeten Ländern versprochen wurde, und auch für die Führungsrolle, die es im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft im Klimaschutz übernommen hat.
Bis zum Ende der COP27 müssen wir nachweisen können, dass die in Glasgow gemachten Versprechen eingehalten werden. Alle großen Emittenten müssen mehr tun. Jedes Land muss einen nationalen Plan verfolgen, der mit der 1,5-Grad-Grenze vereinbar ist. Wir müssen die Klimafinanzierung aufstocken, öffentlich und privat, um die ärmsten und am stärksten gefährdeten Länder zu unterstützen. Dabei müssen wir unsere Versprechen einhalten und dann noch weiter gehen, unter anderem durch neue, ländergeführte Partnerschaften für eine gerechte Energiewende, um die Fairness in den Mittelpunkt des Übergangs zu stellen.
Wir sehen Fortschritte im Bereich der globalen Anpassungsziele und bei den Verlusten und Schäden, und wir müssen den neuen Glasgow-Dialog und die Entwicklung des Santiago-Netzwerks nutzen, um die Fortschritte und die Unterstützung in diesen Bereichen zu verstärken. Zusätzlich müssen schnellere und kooperative sektorale Übergänge, wie sie in Glasgow vereinbart wurden, international fest verankert werden. Das Ziel ist es, Branchenübergänge zu schaffen, die die 1,5-Grad-Grenze in Sichtweite halten.
Auf der COP26 haben wir darauf gedrängt, dass eine große Bewegung aus Unternehmen, Städten, Regionen und der Zivilgesellschaft den Wettlauf in Richtung null Emissionen ebenfalls anführt. Wir haben versucht, Klimagerechtigkeit, Landrechte, junge Menschen und indigene Völker in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass dies auch weiterhin im Mittelpunkt unserer Aktivitäten steht, denn Partnerschaft, Kooperation und Zusammenarbeit auf allen Ebenen sind unerlässlich, um den Klimaschutz zu beschleunigen.
Kann also der Geist der Zusammenarbeit auf der COP27 lebendig bleiben? Es liegt an uns. Wir haben keine Wahl. Ich schöpfe Hoffnung aus der Tatsache, dass die Welt trotz aller Unterschiede in Paris und in Glasgow zusammengekommen ist und alle Länder sich verpflichtet haben, in ihrem eigenen und im gemeinsamen Interesse zu handeln. Ich schöpfe auch Trost aus den wirtschaftlichen Aspekten: Der Wohlstand und die Gesundheit einer sauberen, nachhaltigen Welt sind unendlich viel größer als unser derzeitiger Kurs, und Investoren und Wirtschaftsführer haben begonnen, dies zu erkennen. Vor allem aber schöpfe ich Hoffnung aus den Gemeinschaften und Bürgerinnen und Bürgern überall auf der Welt, die einen gerechten und lebenswerten Planeten für heute und künftige Generationen fordern.
Nick Bridge ist seit Mai 2017 britischer Klima-Sondergesandter. Der Ökonom war zuvor Ständiger Vertreter des Vereinigten Königreichs bei der OECD und hatte diplomatische Positionen in China, Japan und den USA inne. Im Jahr 2022 wurde er zum Companion of the Order of St Michael and St George (CMG) ernannt.
Xie Zhenhua war eigentlich schon im politischen Ruhestand. Doch dann nahm die Karriere des Klimaexperten noch einmal richtig Fahrt auf. Als es darum ging, die langfristigen Klimaziele des größten CO2-Emittenten festzulegen, spielte Xie eine wichtige Rolle. Mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung ist er aus der chinesischen Klimapolitik kaum wegzudenken.
Seit 2007 ist Xie Chinas Chefverhandler auf den internationalen Klimakonferenzen. Zunächst tritt er als Hardliner auf. Teils lautstark vertritt er die Position, China als “Entwicklungsland” trage nicht die gleiche Verantwortung für die Bewältigung der Klimakrise wie die westlichen Industrieländer. Die harte Position Chinas trägt zum Scheitern der Kopenhagen-COP bei. Über die Jahre wird Xie diplomatischer, der Klimaschutz bekommt auch für China größere Bedeutung. 2014 einigen sich Xie und der damalige US-Außenminister John Kerry auf eine Übereinkunft zu Reduktion der Emissionen. Sie gilt als wichtiger Schritt für das Pariser Klimaabkommen. Xie und Kerry werden enge Kontakte und eine gewisse Sympathie nachgesagt. “Ich kenne ihn sehr gut, weil ich seit etwa 20 Jahre mit ihm zusammenarbeite”, sagte Kerry gegenüber Reuters. “Er ist seit langem eine Führungspersönlichkeit und glaubt an das, was er tut”.
Seine Fähigkeit, zuzuhören und zäh zu verhandeln, habe ihn befähigt, andere Entwicklungs- und Schwellenländer in schwierigen Verhandlungssituationen zu Kompromissen zu bewegen, sagte der ehemalige US-Verhandler Todd Stern. Stern und Xie kamen sich auch persönlich näher, besuchten ihre Heimatstädte Tianjin und Chicago. “Er hat einen Sinn für Humor und lacht gerne. Ich mochte ihn auf Anhieb”, so Stern.
Li Shuo von Greenpeace Ostasien sagte vor dem Klimagipfel in Glasgow: “Wenn man mit Xie spricht, hat man das Gefühl, mit einem echten Menschen zu kommunizieren, während man mit anderen chinesischen Beamten eher das Gefühl hat, mit Robotern zu sprechen.”
Zwar erkennt Xie die Gefahren des Klimawandels, doch er vertritt auch weiterhin die Interessen Chinas. Und das bedeutet: Die Wirtschaftsentwicklung darf durch den Klimawandel nicht zu stark gebremst werden. Die Konsequenz: Die mittel- bis langfristigen Klimaziele der Volksrepublik, die sich auf die Jahre 2030 und 2060 beziehen, sind nicht Paris-konform.
Ende 2019 tritt Xie im Alter von 70 Jahren von seiner Position als “Sonderbeauftragter für den Klimawandel” und Chefverhandler zurück. Doch sein Ruhestand währt nicht lange. Im Sommer 2020 wird er auf Einladung des Umweltministeriums Berater für Klimafragen. In dieser neuen Position gewinnt er wieder an politischem Einfluss und trägt maßgeblich zur Formulierung der langfristigen Klimaziele Chinas bei, die Xi Jinping auf der UN-Vollversammlung 2020 verkündet. Dabei nutzt er vor allem seine Verbindungen zur Tsinghua-Universität in Peking. 2017 erhält er den Lui Che Woo-Preis für seinen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels. Das Preisgeld in Höhe von umgerechnet 2,5 Millionen US-Dollar stiftet er an die Tsinghua, die damit das Institute for Climate Change and Sustainable Development (ICCSD) gründet. Xie wird Direktor des Instituts. Seit 2018 wurden am ICCSD Dekarbonisierungs-Pfade für die Industrie, den Transport-, Bau- und Energiesektor erforscht.
Nachdem Xie den Verantwortlichen des Umweltministeriums die Forschungsergebnisse vorträgt, finden sie den Weg zu Chinas Top-Entscheidungsgremien: dem Staatsrat und dem Politbüro. Ohne die stichhaltigen wissenschaftlichen Ergebnisse aus dem Institut hätte die Regierung eine so weitreichende Entscheidung wie über die Klimaziele nicht getroffen, sagen Analysten.
Auch im Westen gilt Xie als angesehener Experte. Seine Arbeit wurde mit einigen Preisen gewürdigt, darunter:
Xie hat sich seit Beginn seiner Karriere mit Energie-, Umwelt- und Klimafragen beschäftigt. Nach seinem Abschluss in Nukleartechnik an der Tsinghua-Universität wird er Beamter im damals neuen Ministerium für städtisches und ländliches Bauen und Umweltschutz, das für die Kontrolle der Verschmutzung von Flüssen und Meeren zuständig war. Doch sein Werdegang war nicht immer vorgezeichnet. Während der Kulturrevolution wird er wie Millionen andere Jugendliche auf das Land geschickt, um durch harte Arbeit umerzogen zu werden. Diese Erfahrung verbindet ihn mit Xi Jinping, der als Jugendlicher einen ähnlichen Weg durchschritt.
Im Februar 2021 wird Xie dann erneut Sonderbeauftragter für den Klimawandel. Li Shuo sagte damals, das sei “eindeutig ein auf die USA zugeschnittener Schritt, eine Bemühung, um sicherzustellen, dass die diplomatischen Kanäle vorhanden sind”. Denn Xie und Kerry verstehen sich gut. Bevor die bilateralen Klimagespräche der USA und China nach dem Streit um Taiwan von China beendet wurden, sollen sie häufig telefoniert haben. Damals wurde es als gutes Zeichen gewertet, dass der erfahrene und im Ausland geschätzte Xie Zhenhua wieder Chefverhandler und Sonderbeauftragter für den Klimawandel wird. Doch sollte sich die politische Großwetterlage weiter verschlechtern, wird selbst der erfahrene Xie eine kleinere Rolle spielen. Nico Beckert
jetzt geht’s los! Für die nächsten zwei Wochen blickt die Welt ins ägyptische Sharm el Sheikh. Bei der COP27 machen die Delegierten aus knapp 200 Staaten den nächsten Anlauf, um die Klimakrise noch einigermaßen in den Griff zu bekommen. Man muss leider sagen: Die Chancen dazu stehen nicht gut.
Das hat eine Flut von umfangreichen wissenschaftlichen Berichten in den letzten Tagen gezeigt: Die Welt ist keineswegs, wie auch in Ägypten wieder gefordert werden wird, auf dem Weg, “jetzt zu handeln”. Zwar werden die Staats- und Regierungschefs während des High-Level-Segments schöne Reden halten, um zu Beginn der COP positive Stimmung zu verbreiten. Doch die Emissionen steigen, Klimafolgen wie Dürren, Fluten, Waldbrände und Hitzewellen nehmen zu. Die Länder des Globalen Nordens und Südens stehen sich so feindselig gegenüber wie lange nicht mehr. Der russische Angriff auf die Ukraine macht alles noch komplizierter.
Wird es in Sharm el Sheikh trotzdem Fortschritte geben? Finden die Staaten ein Konzept für die Finanzierung von Verlusten durch den Klimawandel? Werden die Länder ihren Ausstieg aus den Fossilen bekräftigen oder verwässern? Wie viel gemeinsames Handeln ist noch möglich?
Das sind die Fragen, die uns die nächsten zwei Wochen begleiten werden. Unser Team wird die Verhandlungen vor Ort verfolgen. Und Sie auf dem Laufenden halten. Wir freuen uns auf spannende Tage.
Behalten Sie einen langen Atem!
Die COP27 in Sharm el-Sheikh ist mit einem ersten Erfolg der Entwicklungsländer gestartet: Der Umgang mit Verlusten und Schäden als Folge des Klimawandels im globalen Süden (Loss and Damage) wird ein sogenannter “Agenda Item” und steht somit ab sofort offiziell auf der Tagesordnung der Klimakonferenz. Das Thema Verluste und Schäden hat die reichen und armen Länder bisher gespalten. Laut Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry sei der Durchbruch nach 48 Stunden harter Verhandlungen erreicht worden. Man werde eine endgültige Entscheidung über Verluste und Schäden “spätestens 2024” anstreben, so Shoukry, der am Sonntag zum COP-Präsidenten gewählt wurde.
Schon 1991 forderten die kleinen Inselstaaten eine Art Versicherungssystem gegen die Klimakrise. Seitdem ist das Thema immer wieder aufgekommen, ernsthaft wurde es allerdings nie. Letztes Jahr wurde immerhin mit dem Glasgow Dialogue eine Gesprächsplattform über Loss and Damage eingerichtet. Laut Shoukry wurde der Agenda-Durchbruch bei Loss and Damage durch einen Kompromiss erreicht: Die Diskussion werde auf “Zusammenarbeit” und nicht auf “Haftung oder Entschädigung” gegründet.
Konkret fordern die Entwicklungsländer ein Finanzierungsinstrument für Schäden und Verluste, beispielsweise bei Dürren, Überschwemmungen, aber auch bei ökonomischen Schäden. Es geht darum, dass die Industrieländer als Hauptverursacher des Klimawandels auch finanziell Verantwortung für die Folgen jahrelanger CO2-Emissionen übernehmen. Die USA und auch einige EU-Staaten scheuen sich bislang vor einem solchen Schritt. Sie befürchten, für Naturkatastrophen haftbar gemacht zu werden und dass die Forderungen für Kompensation ins Unermessliche steigen.
Bevor sich die EU auf einen Finanzrahmen einlässt, will sie zunächst mit den Ländern des globalen Südens klären, wie groß der Bedarf ist. Das EU-Mandat für die COP beinhaltet lediglich die Bereitschaft für Gespräche. Ein hochrangiger EU-Beamter erklärte am Freitag, dass die Bereitschaft des globalen Südens zu solchen Gesprächen überraschend gering sei. Die EU sei bereit, Finanzierung für Verluste und Schäden bereitzustellen. Allerdings müsse sich diese an der Nachfrage orientieren, da sonst komplizierte und jahrelange Verhandlungen über Kriterien zur Kompensation folgen würden.
Eine Option könnte sein, dass ein gedeckelter Finanzierungsrahmen vereinbart wird, aus dem Verluste und Schäden kompensiert werden. Das wäre ein wichtiger Erfolg. Gleichzeitig könnte ein Scheitern bei dem Thema auch ein Scheitern der gesamten Konferenz bedeuten.
Die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan, ist mit der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas für die Verhandlungen eines Loss-and-Damage-Fahrplans zuständig.
Bei der COP27 stehen bereits beschlossene Verabredungen wieder zur Debatte. In Glasgow haben sich die Staaten darauf geeinigt, weniger fossile Brennstoffe zu nutzen und staatliche Subventionen in fossile Infrastruktur zu beenden.
Doch weil insbesondere in der EU wieder vermehrt Kohlekraftwerke in Betrieb genommen oder deren Betriebsdauer verlängert sowie Flüssigerdgaslieferungen (LNG) beispielsweise aus Aserbaidschan, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten angestrebt werden, gibt es Zweifel an der Einhaltung der Vereinbarungen. Die klimapolitische Glaubwürdigkeit Europas und des Westens steht auf dem Spiel. Zudem hat China neue Kohleminen genehmigt und auch Vietnam und Indonesien versuchen, ihre Kohleförderung auszuweiten.
Besonders einige afrikanische Staaten fordern deshalb, dass ihnen die Erschließung ihrer fossilen Energiequellen gestattet wird. Diese Position könnte die Gespräche in Sharm El-Sheikh erschweren.
2009 verpflichteten sich die Industrieländer von 2020 an jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar für Investitionen in CO2-Vermeidung und Klimaanpassungsmaßnahmen in weniger reichen Staaten zur Verfügung zu stellen. 2020 wurde das Ziel mit 83,3 Milliarden Dollar deutlich verfehlt. Laut OECD-Prognose liegen die Zahlen für 2022 bei maximal 88 Milliarden.
2023 sollen die 100 Milliarden aber zusammen kommen. Doch dafür müssen insbesondere die USA ihre Finanzierungszusagen erhöhen. Joe Bidens “Emergency Plan for Adaptation and Resilience” (PREPARE) sieht drei Milliarden Dollar jährlich für Klimaanpassung und eine Gesamtsumme zur Klimafinanzierung von elf Milliarden vor – allerdings erst ab 2024. Auch die EU ist gefordert. Laut eigenen Angaben haben die EU-Staaten 2021 knapp über 23 Milliarden Euro an öffentlicher Klimafinanzierung bereitgestellt. Dazu kommt privates Kapital.
Die ägyptische COP-Präsidentschaft wird Druck auf die Industrieländer ausüben, das Versprechen spätestens im kommenden Jahr einzuhalten. Denn als afrikanisches Gastgeberland repräsentiert Ägypten mit seinen Forderungen auch den globalen Süden.
Wichtig dabei ist aber nicht nur allein die Summe, sondern auch, wie viel Geld aus Zuschüssen und wie viel aus Darlehen besteht. Länder wie Japan und Frankreich überfüllen ihren Anteil zur Klimafinanzierung zwar, jedoch besteht ein Großteil aus Darlehen. Der globale Süden fordert jedoch Zuschüsse, insbesondere für Anpassungsmaßnahmen. In Glasgow haben sich die Länder darauf geeinigt, dass mindestens 50 Prozent der Klimafinanzierung in Anpassungsmaßnahmen fließen soll.
Nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms (UNEP) sind die bisherigen internationalen Hilfszahlungen an den globalen Süden für die Klimaanpassung (“Adaptation”) fünf bis zehn Mal geringer als der eigentliche Bedarf der Länder. Das UN-Büro für Handel und Entwicklung (UNCTAD) schätzt den Bedarf für Anpassungsfinanzierung in den Entwicklungsländern bis 2030 auf 300 Milliarden Dollar. Die Industriestaaten werden sich abermals in den Verhandlungen mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, zu wenig zu leisten.
Bis 2025 soll der Anteil an der Klimafinanzierung, der in Anpassungsmaßnahmen fließt, verdoppelt werden. Von aktuell rund 20 Milliarden US-Dollar (etwa ein Viertel der Gesamtsumme) auf dann 40 Milliarden – so wurde es in Glasgow beschlossen. Betrachtet man das 100-Milliarden-Versprechen gemeinsam mit dem Vorhaben, 50 Prozent für Adaptation bereitzustellen, müssten noch weitere zehn Milliarden fließen. Auch darauf werden die weniger entwickelten Länder pochen.
Die COP27 ist zudem der Auftakt der Gespräche über ein neues Finanzierungsziel nach 2025, das sich am Bedarf der Entwicklungsländer orientieren soll. Eine Einigung gilt jedoch als unwahrscheinlich und ist erst für die COP28 zum Global Stocktake – der Fortschrittsbilanz des Paris-Abkommens – geplant.
Trotz des immensen Bedarfs an Anpassungsmaßnahmen, mahnt insbesondere die EU immer wieder, dass man dabei nicht die Vermeidung von klimaschädlichen CO2-Emissionen vergessen dürfe. Daran werden die europäischen Verhandler auch in Sharm el-Sheikh erinnern.
Alle Länder waren vor der COP aufgefordert, ihre Klimaziele für 2030 anzuheben. Von den Industriestaaten hat nur Australien vor der COP27 ein Update bei der UN eingereicht. Zwar ist auch die EU bereit, ihren national festgelegten Beitrag (Nationally Determined Contribution, NDC) zu erhöhen, allerdings erst nach Abschluss der Verhandlungen des Fit-for-55-Pakets.
Stattdessen sollen auf Geheiß der G7 und der EU sogenannte Just Energy Transition Partnerships (JETPs) vorangetrieben werden. Ein erstes JETP mit Südafrika (Climate.Table berichtete) über 8,5 Milliarden US-Dollar wurde in Glasgow beschlossen. Weitere sind mit Vietnam, Indonesien, Indien und dem Senegal geplant – unter anderem auch, um die Nutzung von Kohle in den Ländern zu beenden.
Außerdem sind weitere Energie- und Wasserstoffpartnerschaften geplant. Die EU und Ägypten wollen auf der COP ihr gemeinsames Vorhaben besiegeln. Mit Namibia und Kasachstan wird Ursula von der Leyen noch während des High Level Segments gemeinsame Absichtserklärungen unterzeichnen.
Für das COP-Gastgeberland Ägypten sind Klimakrise und Klima-Konferenzen aus vielen Gründen aktuell:
Ägypten ist mit 102 Millionen Menschen auf engstem Raum verwundbar gegenüber Störungen im Naturhaushalt: 95 Prozent seiner Bevölkerung lebt im Tal des Nils. Durch den Klimawandel droht zunehmende Wasserknappheit. Außerdem ist das Nildelta vom Anstieg des Meeresspiegels und Versalzung bedroht: Von den prognostizierten Steigerungen um bis zu einem Meter bis 2100 wären Küstenstädte wie Alexandria besonders betroffen. 30 Prozent der Agrarproduktion im fruchtbaren Nildelta gilt als gefährdet.
Bei den Treibhausgas-Emissionen liegt Ägypten bei einem BIP von etwa 440 Milliarden Dollar mit etwa 250 Millionen Tonnen auf einem Level mit Frankreich. Pro Kopf liegt der Ausstoß mit 3,5 Tonnen allerdings deutliche niedriger (Frankreich: 5,4 Tonnen, Deutschland 8,6 Tonnen). Der aktuelle Klimaplan (NDC) sieht vor, dass das Land seine Emissionen bis 2030 noch steigert. Ein Netto-Null-Ziel für 2050 hat Ägypten nicht.
Ägyptens Klimapolitik wird vom Germanwatch “Climate Change Performance Index” mit “mittel” bewertet. Das Land rangiert damit auf dem 22. Rang von 61 Staaten – hinter Luxemburg, vor Frankreich. Der Index lobt die niedrigen Emissionen und den geringen Energieverbrauch. Er sieht aber auch Defizite bei Klimapolitik und dem Ausbau der Erneuerbaren.
In der Energiepolitik setzt das Land auf Erdgas. Lange war Energie knapp – das änderte sich 2015 mit der Entdeckung großer Gasvorkommen vor der Küste im Mittelmeer. Seitdem ist Ägypten zu einem wichtigen Produzenten und Lieferanten geworden – auch für Europa. Die Vorräte im Mittelmeer und Anlagen zur Verarbeitung und Verschiffung des LNG-Gases etwa aus dem Libanon und Israel machen es zu einer wichtigen Drehscheibe im Gas-Poker der Region Nordafrika/Naher Osten. Ein russisches Atomkraftwerk ist geplant, aber noch nicht im Bau. Kohlekraftwerke für Elektrizität hat Ägypten nicht.
Bei Elektrizität aus erneuerbaren Energien ruht viel auf der Wasserkraft am Nil (sieben Prozent des Stroms), nur zwei Prozent auf Wind und ein Prozent auf Solarkraft. Das Potenzial ist gewaltig, wird aber nur gering ausgeschöpft: nach Zahlen der International Renewable Energy Agency (IRENA) bieten jeweils etwa 60 Prozent der Landesfläche hervorragende Bedingungen für Strom aus Sonne und Wind.
Die Pläne der Regierung sehen vor, bis 2022 insgesamt 20 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren zu erzeugen. 2019 waren erst zehn Prozent erreicht. Offiziell soll der Anteil der Erneuerbaren am Strom bis 2035 auf 42 Prozent steigen. Die IRENA sieht allerdings das Potenzial, diesen Anteil auf 53 Prozent zu erhöhen.
Die ägyptischen Planungen zum Klima sehen unter anderem vor:
Um die Ziele zu erreichen, veranschlagt die Regierung bis 2030 insgesamt 246 Milliarden Dollar an Finanzhilfe aus dem Ausland.
Die Bewertung der ägyptischen Klimapolitik durch den “Climate Action Tracker” (CAT) lautet “Höchst unzureichend“. Ägypten gesteht sich demnach bis 2030 eine Steigerung der Emissionen von 50 Prozent zu. Dieses Ziel ist laut Climate Action Tracker so lax, dass es selbst mit den aktuellen Maßnahmen noch erreicht würde, die auf eine Zunahme der Emissionen von 15 bis 40 Prozent hinauslaufen. Wenn das Land seinen Anteil zur Erreichung der Pariser Klimaziele leisten wolle, sollten die Emissionen bis 2030 zumindest auf heutigem Niveau eingefroren werden, so CAT.
Die Bewertung warnt auch, Ägypten mache sich mit einem Drittel des gesamten afrikanischen Gasverbrauchs von diesem fossilen Energieträger abhängig. Damit riskiere die Regierung “sich in einen Pfad zu hohen CO2-Emissionen einzuschließen” und “keine Führerschaft” zu zeigen, wenn es um einen dringend nötigen Ausstieg aus den Fossilen gehe.
Diese “Führerschaft” soll Ägypten nun aber mit der COP beweisen. Die COP-Präsidentschaft sei für das Land die Chance, sich “auf der Weltbühne als führende Stimme des Globalen Südens” zu zeigen, schreibt Mohammed Soliman, Strategieberater bei der Carnegie-Stiftung. “Ägypten schaut auf den Gipfel als Gelegenheit, sein internationales Prestige aufzuhellen, seine Afro-arabische Identität zu betonen und Kairo als Brückenbauer zwischen dem Globalen Norden und Süden zu positionieren.”
8. November, 13 Uhr
IPCC Events Assessing adaptation needs. Findings from the IPCC WGII contribution to its Sixth Assessment Report,
Auf dem Panel werden die wichtigsten Erkenntnisse aus dem aktuellsten IPCC-Bericht vorgestellt und diskutiert. INFOS
9. November, 11.30 Uhr
Veröffentlichung Scaling Solar: Roadmap to Mobilizing Investment
Auf der Veranstaltung wird diskutiert, wie Solarkraft massiv ausgebaut werden kann, um Klimaziele zu erreichen. Die Rolle von Finanzinstituten und Regierungen steht dabei im Mittelpunkt. INFOS
9. November, 13.15 Uhr
Diskussion A Roadmap for Resilience: Financing Climate Action to Address Vulnerability, Food Security and Human Mobility
Die Veranstaltung der Internationalen Migrationsorganisation zeigt Möglichkeiten auf, wie die verletzlichsten Gruppen der Klimakrise gegenüber widerstandsfähiger werden können. Unter anderem geht es um Ernährungssicherheit und Mobilität. INFOS
10. November, 9 Uhr
Veröffentlichung Global Carbon Budget Report
Der Bericht des jährlichen Global Carbon Project wird veröffentlicht und zeigt das verbleibende CO2-Budget der Menschheit auf. INFOS
11. November, 9.30 Uhr
Diskussion: Enabling Just Transition: Policy, Technology, and Community Engagement
Es gibt keine einfache Lösung für eine klimagerechte Wende. In der Podiumsdiskussion teilen Akteure der Zivilgesellschaft gute Beispiele und Herausforderungen für Perspektiven auf Klimagerechtigkeit. INFOS
11. November, 15 Uhr
Podiumsdiskussion Making good on the Glasgow Climate Pact: a call to action to achieve one gigaton of emissions reductions from forests by 2025
Bei der Podiumsdiskussion geleitet vom UN REDD werden Klimaziele für die Emissionsreduzierung von Wäldern diskutiert. Auch ein Kohlenstoffpreis von mindestens 30 bis 50 Dollar wird diskutiert. INFOS
12. November, 15.30 Uhr
Podiumsdiskussion Locally Led Adaptation: Creating a Step-Change in Climate Finance and Resilience Building
Auf dem COP-Event wird diskutiert, wie lokal geführte Projekte Klimaadaption umsetzen können. Graswurzelbewegungen erzählen von ihren Erfahrungen und Herausforderungen. INFOS
14. November, 9 Uhr
Diskussion: Getting to Zero-Deforestation by 2030
Private, öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteure diskutieren darüber, wie man das Ziel von null Entwaldung im Jahr 2030 erreichen kann. Wiederaufforstung und die Verbesserung von Lebensbedingungen für Landwirte werden auch mitgedacht. INFO
Der Klimawandel “vollzieht sich “mit katastrophaler Geschwindigkeit und zerstört Leben und Existenzgrundlagen auf allen Kontinenten“: So warnte UN-Generalsekretär António Guterres zu Beginn der Klimakonferenz in Ägypten. Er forderte die UN-Staaten dazu auf, “das Notsignal des Planeten mit ehrgeizigen, glaubwürdigen Klimaschutzmaßnahmen” zu beantworten. Die Ergebnisse des am Sonntag vorgestellten “State of the Global Climate in 2022”-Bericht der UN-Weltorganisation für Meteorologie (WMO) nannte Guterres eine “Chronik des Klimachaos”.
Der Bericht zeigt: Die vergangenen acht Jahre sind auf dem besten Weg, die acht wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen zu werden. Demnach werden die Auswirkungen des Klimawandels immer dramatischer:
In einem am Montag veröffentlichten Bericht beklagt Oxfam die hohen Emissionen der Superreichen. Dem Report zufolge verursachen allein die 125 reichsten Milliardäre.
Durch ihre Investitionen hätten die Superreichen großen Einfluss auf klimaschädliche Unternehmen, schreibt die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation. Demnach haben die untersuchten Milliardäre durchschnittlich 14 Prozent ihrer Investitionen in fossile Industrien wie den Öl- und Gassektor oder die Zementherstellung investiert.
Die Organisation ruft die Regierungen auf, die “enorme Verantwortung der Superreichen für die Klimakrise” zu berücksichtigen. Emissionsdaten sollten für unterschiedliche Einkommensgruppen veröffentlicht werden. Superreiche und der Unternehmenssektor müssten stärker reguliert werden, um langfristige Nachhaltigkeit und eine Verringerung der Ungleichheit sicherzustellen.
Konkret fordert Oxfam:
Erst vor wenigen Tagen hatte eine ähnliche Studie gezeigt, dass die obersten ein Prozent der Einkommensbezieher im Vereinigten Königreich in einem Jahr so viel CO2-Emissionen verursachen wie die ärmsten zehn Prozent über zwei Jahrzehnte. nib
Unter der britischen Präsidentschaft der COP26 kam im vergangenen Jahr die ganze Welt zusammen, um den Klimapakt von Glasgow zu unterzeichnen. Der Pakt verpflichtete alle Nationen erneut, eine Klimakatastrophe abzuwenden, und er enthielt ehrgeizige neue Verpflichtungen. Werden diese umgesetzt, könnten sie eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad in Reichweite halten, unsere Wälder und Ozeane schützen und Menschen in den ärmsten und anfälligsten Ländern helfen, die bereits jetzt nicht mehr vermeidbaren Auswirkungen des Klimawandels zu überleben.
Seitdem sind wir daran erinnert worden, wie dringlich und enorm groß die Bedrohung ist. In Pakistan gab es Überschwemmungen in nie dagewesenem Ausmaß. Am Horn von Afrika gab es fünf Missernten, sodass 50 Millionen Menschen unter akuter Nahrungsmittelknappheit leiden. Auf allen Kontinenten wurden hunderte von extremen Wetterrekorden gebrochen.
Es ist ernüchternd, sich daran zu erinnern, dass das System der Erde zehn bis 20 Jahre braucht, um neue Treibhausgasemissionen vollständig zu absorbieren. Das heutige Klima und Wetter spiegeln die Emissionen von vor langer Zeit wider, und seither sind Milliarden von Tonnen an Emissionen in die Atmosphäre gelangt. Die extremen Temperaturen, Überschwemmungen, Dürren, Eisschmelze, Brände und das Versagen der Ökosysteme, die sich weltweit rapide verschlimmern, sind nur ein Bruchteil dessen, was uns noch bevorsteht.
Außerdem wird es noch 30 Jahre dauern, bis wir aufhören, den Bestand an Treibhausgasen in der Atmosphäre zu erhöhen. Es ist möglich, dass wir selbst beim derzeitigen Emissionsstand die meisten der wichtigen Klimasysteme der Erde bereits grundlegend destabilisiert haben, mit unabsehbaren und unumkehrbaren Folgen für die Menschheit.
Jede Tonne Emissionen, jede Dezimalstelle der Erwärmung macht einen Unterschied. Es gilt, keine Zeit zu verlieren.
In diesem Zusammenhang erleben wir den entsetzlichen Einmarsch Russlands in die Ukraine. Er hat uns gespalten und von der Konzentration auf einen Übergang in eine saubere, grüne Welt abgelenkt, von dem künftige Generationen abhängen. Das ist eine äußerst ernste Angelegenheit. Wir können uns keinen Aufschub leisten. Die Emissionen müssen jeden Tag, jede Woche und jeden Monat gesenkt werden, um den globalen Ausstoß bis 2030 ungefähr zu halbieren und bis Mitte des Jahrhunderts vollständig auf null zu senken, sodass der Bestand in der Atmosphäre abnehmen kann. Doch stattdessen fackelt Russland täglich Millionen von Dollar an Gas ab.
Wir können und müssen dafür sorgen, dass die russische Invasion die Umstellung von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hin zur sauberen Energie beschleunigt. Die Invasion hat uns unsere nicht nachhaltige Abhängigkeit von teuren, unbeständigen und umweltschädlichen fossilen Brennstoffen unmissverständlich aufgezeigt – und die schreckliche Tatsache, dass unser Verbrauch Putins Bomben finanziert.
Der Verzicht darauf, russisches Öl und Gas zu nutzen, ist in jeder Hinsicht sinnvoll. Wir können dadurch:
Wir haben außergewöhnliche Möglichkeiten, um Arbeitsplätze zu schaffen, die die Schaffung von Wohlstand überall unterstützen: in Bereichen wie Wasserstoff, Batteriespeicherung und intelligenten Netzen, die Produzierende und Konsumierende direkt verbinden, im Netto-Null-Verkehr, in der Industrie und der Infrastruktur.
Kurzfristig werden fossile Brennstoffe aus alternativen Quellen benötigt, um die unmittelbare Energiesicherheit zu gewährleisten. Aber insgesamt geht der Verbrauch fossiler Brennstoffe in Deutschland und im Vereinigten Königreich weiter zurück, und zwar im Rahmen unserer jeweiligen Netto-Null-Prognosen.
Auf der COP27 in Ägypten müssen wir ungeachtet der größeren geopolitischen Spannungen vor allem eines tun: Wir müssen das diplomatische Momentum erhalten und vergrößern. Dabei muss der Fokus vor allem darauf liegen, jene zu unterstützen, die es am meisten brauchen. Die Ziele sind gesetzt. Aber die Unterstützung und auch das Geld kommen dort, wo sie gebraucht werden, weder in ausreichendem Ausmaß noch schnell genug an.
Deshalb wird die COP27 auch “Aktions-COP” oder “Umsetzungs-COP” genannt. Während des gesamten Jahres 2022 hat das Vereinigte Königreich eng mit Ägypten und dem UNFCCC-Sekretariat und mit gleichgesinnten Partnern wie Deutschland zusammengearbeitet, um die Implementierung zu unterstützen. Wir sind Deutschland dankbar für seine Führungsrolle bei der Entwicklung des Plans zur Bereitstellung der 100 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung, die den besonders gefährdeten Ländern versprochen wurde, und auch für die Führungsrolle, die es im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft im Klimaschutz übernommen hat.
Bis zum Ende der COP27 müssen wir nachweisen können, dass die in Glasgow gemachten Versprechen eingehalten werden. Alle großen Emittenten müssen mehr tun. Jedes Land muss einen nationalen Plan verfolgen, der mit der 1,5-Grad-Grenze vereinbar ist. Wir müssen die Klimafinanzierung aufstocken, öffentlich und privat, um die ärmsten und am stärksten gefährdeten Länder zu unterstützen. Dabei müssen wir unsere Versprechen einhalten und dann noch weiter gehen, unter anderem durch neue, ländergeführte Partnerschaften für eine gerechte Energiewende, um die Fairness in den Mittelpunkt des Übergangs zu stellen.
Wir sehen Fortschritte im Bereich der globalen Anpassungsziele und bei den Verlusten und Schäden, und wir müssen den neuen Glasgow-Dialog und die Entwicklung des Santiago-Netzwerks nutzen, um die Fortschritte und die Unterstützung in diesen Bereichen zu verstärken. Zusätzlich müssen schnellere und kooperative sektorale Übergänge, wie sie in Glasgow vereinbart wurden, international fest verankert werden. Das Ziel ist es, Branchenübergänge zu schaffen, die die 1,5-Grad-Grenze in Sichtweite halten.
Auf der COP26 haben wir darauf gedrängt, dass eine große Bewegung aus Unternehmen, Städten, Regionen und der Zivilgesellschaft den Wettlauf in Richtung null Emissionen ebenfalls anführt. Wir haben versucht, Klimagerechtigkeit, Landrechte, junge Menschen und indigene Völker in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass dies auch weiterhin im Mittelpunkt unserer Aktivitäten steht, denn Partnerschaft, Kooperation und Zusammenarbeit auf allen Ebenen sind unerlässlich, um den Klimaschutz zu beschleunigen.
Kann also der Geist der Zusammenarbeit auf der COP27 lebendig bleiben? Es liegt an uns. Wir haben keine Wahl. Ich schöpfe Hoffnung aus der Tatsache, dass die Welt trotz aller Unterschiede in Paris und in Glasgow zusammengekommen ist und alle Länder sich verpflichtet haben, in ihrem eigenen und im gemeinsamen Interesse zu handeln. Ich schöpfe auch Trost aus den wirtschaftlichen Aspekten: Der Wohlstand und die Gesundheit einer sauberen, nachhaltigen Welt sind unendlich viel größer als unser derzeitiger Kurs, und Investoren und Wirtschaftsführer haben begonnen, dies zu erkennen. Vor allem aber schöpfe ich Hoffnung aus den Gemeinschaften und Bürgerinnen und Bürgern überall auf der Welt, die einen gerechten und lebenswerten Planeten für heute und künftige Generationen fordern.
Nick Bridge ist seit Mai 2017 britischer Klima-Sondergesandter. Der Ökonom war zuvor Ständiger Vertreter des Vereinigten Königreichs bei der OECD und hatte diplomatische Positionen in China, Japan und den USA inne. Im Jahr 2022 wurde er zum Companion of the Order of St Michael and St George (CMG) ernannt.
Xie Zhenhua war eigentlich schon im politischen Ruhestand. Doch dann nahm die Karriere des Klimaexperten noch einmal richtig Fahrt auf. Als es darum ging, die langfristigen Klimaziele des größten CO2-Emittenten festzulegen, spielte Xie eine wichtige Rolle. Mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung ist er aus der chinesischen Klimapolitik kaum wegzudenken.
Seit 2007 ist Xie Chinas Chefverhandler auf den internationalen Klimakonferenzen. Zunächst tritt er als Hardliner auf. Teils lautstark vertritt er die Position, China als “Entwicklungsland” trage nicht die gleiche Verantwortung für die Bewältigung der Klimakrise wie die westlichen Industrieländer. Die harte Position Chinas trägt zum Scheitern der Kopenhagen-COP bei. Über die Jahre wird Xie diplomatischer, der Klimaschutz bekommt auch für China größere Bedeutung. 2014 einigen sich Xie und der damalige US-Außenminister John Kerry auf eine Übereinkunft zu Reduktion der Emissionen. Sie gilt als wichtiger Schritt für das Pariser Klimaabkommen. Xie und Kerry werden enge Kontakte und eine gewisse Sympathie nachgesagt. “Ich kenne ihn sehr gut, weil ich seit etwa 20 Jahre mit ihm zusammenarbeite”, sagte Kerry gegenüber Reuters. “Er ist seit langem eine Führungspersönlichkeit und glaubt an das, was er tut”.
Seine Fähigkeit, zuzuhören und zäh zu verhandeln, habe ihn befähigt, andere Entwicklungs- und Schwellenländer in schwierigen Verhandlungssituationen zu Kompromissen zu bewegen, sagte der ehemalige US-Verhandler Todd Stern. Stern und Xie kamen sich auch persönlich näher, besuchten ihre Heimatstädte Tianjin und Chicago. “Er hat einen Sinn für Humor und lacht gerne. Ich mochte ihn auf Anhieb”, so Stern.
Li Shuo von Greenpeace Ostasien sagte vor dem Klimagipfel in Glasgow: “Wenn man mit Xie spricht, hat man das Gefühl, mit einem echten Menschen zu kommunizieren, während man mit anderen chinesischen Beamten eher das Gefühl hat, mit Robotern zu sprechen.”
Zwar erkennt Xie die Gefahren des Klimawandels, doch er vertritt auch weiterhin die Interessen Chinas. Und das bedeutet: Die Wirtschaftsentwicklung darf durch den Klimawandel nicht zu stark gebremst werden. Die Konsequenz: Die mittel- bis langfristigen Klimaziele der Volksrepublik, die sich auf die Jahre 2030 und 2060 beziehen, sind nicht Paris-konform.
Ende 2019 tritt Xie im Alter von 70 Jahren von seiner Position als “Sonderbeauftragter für den Klimawandel” und Chefverhandler zurück. Doch sein Ruhestand währt nicht lange. Im Sommer 2020 wird er auf Einladung des Umweltministeriums Berater für Klimafragen. In dieser neuen Position gewinnt er wieder an politischem Einfluss und trägt maßgeblich zur Formulierung der langfristigen Klimaziele Chinas bei, die Xi Jinping auf der UN-Vollversammlung 2020 verkündet. Dabei nutzt er vor allem seine Verbindungen zur Tsinghua-Universität in Peking. 2017 erhält er den Lui Che Woo-Preis für seinen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels. Das Preisgeld in Höhe von umgerechnet 2,5 Millionen US-Dollar stiftet er an die Tsinghua, die damit das Institute for Climate Change and Sustainable Development (ICCSD) gründet. Xie wird Direktor des Instituts. Seit 2018 wurden am ICCSD Dekarbonisierungs-Pfade für die Industrie, den Transport-, Bau- und Energiesektor erforscht.
Nachdem Xie den Verantwortlichen des Umweltministeriums die Forschungsergebnisse vorträgt, finden sie den Weg zu Chinas Top-Entscheidungsgremien: dem Staatsrat und dem Politbüro. Ohne die stichhaltigen wissenschaftlichen Ergebnisse aus dem Institut hätte die Regierung eine so weitreichende Entscheidung wie über die Klimaziele nicht getroffen, sagen Analysten.
Auch im Westen gilt Xie als angesehener Experte. Seine Arbeit wurde mit einigen Preisen gewürdigt, darunter:
Xie hat sich seit Beginn seiner Karriere mit Energie-, Umwelt- und Klimafragen beschäftigt. Nach seinem Abschluss in Nukleartechnik an der Tsinghua-Universität wird er Beamter im damals neuen Ministerium für städtisches und ländliches Bauen und Umweltschutz, das für die Kontrolle der Verschmutzung von Flüssen und Meeren zuständig war. Doch sein Werdegang war nicht immer vorgezeichnet. Während der Kulturrevolution wird er wie Millionen andere Jugendliche auf das Land geschickt, um durch harte Arbeit umerzogen zu werden. Diese Erfahrung verbindet ihn mit Xi Jinping, der als Jugendlicher einen ähnlichen Weg durchschritt.
Im Februar 2021 wird Xie dann erneut Sonderbeauftragter für den Klimawandel. Li Shuo sagte damals, das sei “eindeutig ein auf die USA zugeschnittener Schritt, eine Bemühung, um sicherzustellen, dass die diplomatischen Kanäle vorhanden sind”. Denn Xie und Kerry verstehen sich gut. Bevor die bilateralen Klimagespräche der USA und China nach dem Streit um Taiwan von China beendet wurden, sollen sie häufig telefoniert haben. Damals wurde es als gutes Zeichen gewertet, dass der erfahrene und im Ausland geschätzte Xie Zhenhua wieder Chefverhandler und Sonderbeauftragter für den Klimawandel wird. Doch sollte sich die politische Großwetterlage weiter verschlechtern, wird selbst der erfahrene Xie eine kleinere Rolle spielen. Nico Beckert