Table.Briefing: Climate

Klimafolgen des Ukrainekriegs + Kompensationen aus Kochern überschätzt + EU nicht auf Klimarisiken vorbeitetet

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Krieg in der Ukraine verursacht unfassbares menschliches Leid. Die Klimaauswirkungen treten dabei häufig zu Recht in den Hintergrund. Eine aktuelle Studie zeigt: Der Angriffskrieg Russlands auf sein Nachbarland hat zwischen 180 und 200 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen zur Folge, sei es durch die direkte Kriegshandlung, Feuer an der Front oder den Wiederaufbau. Anouk Schlung analysiert die Umweltwirkungen des Krieges und warum er auch an anderer Stelle zu mehr Emissionen führt.

Wir schauen außerdem auf den Markt für CO₂-Kompensationen. Viele Kompensationsprojekte wollen CO₂ einsparen, indem sie Menschen saubere Kochmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Die dabei zum Einsatz kommenden sauberen Kocher wirken sich positiv auf die Gesundheit der Menschen aus, aber ihre Klimawirkung wird stark überschätzt.

Unsere News widmen sich der Frage, auf welche Klimarisiken Europa laut der EU-Umweltagentur kaum vorbereitet ist und wie ambitionierte Klimapolitik von Wählern unterstützt wird.

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Lisa Kuner
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Analyse

Russlands Ukraine-Krieg hat gravierende Klimaauswirkungen – zerstörte Infrastruktur und Gebäude haben den größten Anteil an den Emissionen

Kämpfe im Februar 2024 im Donbas: Feuer an der Frontlinie machen 15 Prozent der CO₂-Emissionen des russischen Angriffskriegs aus.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat in den vergangenen zwei Jahren zu 180 bis 200 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen (in Äquivalenten) geführt, wie aus einer Studie hervorgeht. Das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen rechnet mit 150 Millionen Tonnen – mehr als Belgien in einem Jahr verursacht und ein Fünftel der jährlichen Emissionen Deutschlands.

Militär, Aufrüstung und Flucht dominieren die Berichterstattung über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Belastung der Umwelt und die Auswirkungen auf das weltweite Klima finden bisher kaum Beachtung. Lennard de Klerk will das ändern. Er ist Klimaforscher und Hauptautor der halbjährlich erscheinenden Studie “Climate Damage Caused by Russia’s War in Ukraine”. Er und sein Team aus internationalen Forschenden schlüsseln darin Klimaschäden und Treibhausgasemissionen des Krieges auf.

Wiederaufbau, Kampfhandlungen und Feuer an der Front sind Hauptquellen

Die Emissionen gehen sowohl auf die unmittelbare Kriegsführung zurück, als auch auf die Folgen des Krieges. “Panzer, Fahrzeuge und Flieger verursachen zwar Emissionen, aber machen schlussendlich nur ein Viertel des Gesamtausstoßes aus”, erklärt de Klerk im Gespräch mit Table.Briefings. Wesentlich sind zum Beispiel auch Feuer nahe der Frontlinie, die 15 Prozent der Emissionen ausmachen. Der größte Anteil geht aber auch zerstörte Infrastruktur und Gebäude zurück, die nach dem Krieg wieder aufgebaut werden müssen.

Doch auch indirekte, weniger offensichtliche Faktoren haben Einfluss. Da wären zum Beispiel Flugumleitungen, nachdem Russland den sibirischen Luftraum sperrte und auch der ukrainische Luftraum für den kommerziellen Verkehr geschlossen wurde. Diese führen zu längeren Flugrouten und höheren Treibhausgasemissionen, die mit zwölf Prozent des Gesamtausstoßes zu Buche schlagen. De Klerks Team bezog zudem die Sabotage an den Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 im September 2022 in seine Berechnungen mit ein – sie mache zehn Prozent der gesamten Emissionen aus. Fluchtbewegungen verursachen zusätzliche zwei Prozent.

Den größten Anteil der Emissionen – etwa 55 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent – macht aber der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur aus. Häuser, Industrieanlagen, Transportsysteme, Energie- und Landwirtschaftsanlagen müssen nach dem Krieg wieder aufgebaut werden. Hier fallen beispielsweise Emissionen für die Zement- oder Stahlherstellung oder den Transport von Baustoffen an.

Weltweite Aufrüstung sorgt für größeren CO₂-Ausstoß

Neben den direkten verursacht der Krieg auch indirekte Emissionen, die de Klerk und sein Forscherteam nicht beziffert haben. “Konflikte tragen zur Militarisierung anderer Länder und einer weltweiten Aufrüstung bei, die ebenfalls Treibhausgase verursacht. Und sie verhindern, dass ein Land sich auf eine wirkungsvolle Klimapolitik konzentrieren kann”, erläutert de Klerk.

Das bestätigt auch das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen. “Die effektive Umsetzung der staatlichen Klimapolitik wird durch die negativen Folgen des Krieges erschwert”, antwortet das Ministerium auf Anfrage von Table.Briefings. Finanzielle Mittel, die für Umwelt- und Klimaschutz vorgesehen waren, seien anderweitig gebunden.

Der Krieg verursacht zudem verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Er zerstöre ganze Ökosysteme, berichtet das ukrainische Ministerium, was die betroffenen Gebiete und die dort lebenden Menschen anfälliger für Auswirkungen des Klimawandels wie Hitze oder Extremwetterereignisse mache.

4.000 Fälle von Umweltschäden in den vergangenen zwei Jahren

Insgesamt dokumentierte das Ministerium in den vergangenen zwei Jahren 4.000 Fälle von Umweltschäden, deren Kosten sich auf umgerechnet 52 Milliarden Euro belaufen. Den Großteil davon, nämlich 28 Milliarden Euro, macht die Luftverschmutzung durch den Krieg aus, knapp 24 Milliarden die Verunreinigung von Böden. Zudem werden seltene Tier- und Pflanzenarten vernichtet – darunter solche, die im Roten Buch der Ukraine, einer offiziellen Liste gesetzlich geschützter Tiere, Pflanzen und Pilze, aufgeführt sind.

Auch das Center for Environmental Initiatives Ecoaction, eine zivilgesellschaftliche Umweltschutzorganisation, behält durch den Krieg verursachte Umweltschäden im Blick. Die Forschenden registrierten in den vergangenen zwei Jahren mehr als 1.500 Fälle. Die gravierendsten waren die Sprengung des Kachowka-Staudamms im Juni 2023, die Besetzung der Sperrzone von Tschernobyl und des Kernkraftwerks Saporischschja und die Flutungen von Bergwerken im Donbas, die zu Grundwasserverseuchung und Bodenabsenkung führten.

Gesellschaftliches Verständnis für Klimaschutz ist trotz Krieg hoch

Dennoch bleibt die Ukraine gewillt, Klima- und Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen – auch, weil Politiker wissen, dass eine effektive Klimapolitik maßgeblich für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union sein könnte. “Wir haben einen Entwurf für eine Strategie zur Entwicklung und Umsetzung der staatlichen Klimapolitik bis 2035 und einen operativen Aktionsplan mit klar definierten Aufgaben entwickelt”, berichtet das Ministerium. Auch für den Großteil der ukrainischen Gesellschaft (95 Prozent) bleibt Umweltschutz trotz der umfassenden Invasion durch Russland wichtig, betont Ecoaction gegenüber Table.Briefings.

Die Realität bleibt aber, dass Schutzmaßnahmen nicht überall umsetzbar sind. So sind mehr als 800.000 Hektar Wald und 514 Schutzgebiete besetzt. Aktuell okkupiert Russland 18 Prozent der ukrainischen Landfläche, inklusive der Krim.

So detaillierte Daten wie im Fall dieses Krieges liegen selten vor. De Klerk zufolge liege das unter anderem daran, dass seit dem Zweiten Weltkrieg viele Konflikte weit weg vom westlichen Blickpunkt stattfanden. “Auch die Ausklammerung des gesamten militärischen Bereichs aus dem Kyoto-Protokoll spielt mit hinein.” Ein schwerwiegender Fakt, denn Streitkräfte machen insgesamt 5,5 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen aus, wie die Studie von de Klerks Team belegt.

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CO₂-Kompensation: Kocher-Projekte massiv überschätzt

Projekte mit sauberen Kochern, wie hier in Malawi, sind auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt beliebt. Ihr Klimaeffekt wird aber oft überschätzt.

Zertifikate zur Kompensation von CO₂-Emissionen aus Projekten mit effizienten und sauberen Kochern sind oft weit weniger effektiv als behauptet. Denn die Realität in den betroffenen Ländern entspricht oft nicht den Berechnungen der Organisationen, die diese Zertifikate ausstellen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Ende Januar im Fachmagazin “Nature Sustainability” veröffentlicht wurde.

Experten warnen schon länger vor überschätzten Kompensationsprojekten, doch Zertifizierer widersprechen ihnen, kritisieren Methodik und Interessen der neuen Studie. “Kocherprojekte” galten immerhin lange als unproblematisch – im Gegensatz zu CO₂-Zertifikaten aus Waldprojekten. Über diese wird regelmäßig berichtet, dass sie oftmals ihre Versprechen nicht halten und im schlimmsten Fall sogar Schaden anrichten. Projekte mit sauberen Kochern hingegen galten als relativ effizient. Im vergangenen Jahr kam weltweit der größte Teil an CO₂-Zertifikaten auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt aus Projekten, die Kocher oder Öfen austauschen. Auch die meisten neuen Projekte sind aus dieser Sparte.

Das liegt auch daran, dass die Idee dahinter so simpel ist. Saubere Kocher bringen demnach gleich mehrere Vorteile: Rund ein Drittel der Menschen weltweit kocht am offenen Feuer. Einfache, mit Kohle oder Holz befeuerte Kocher werden durch effizientere Modelle ersetzt, in denen die Hitze besser kanalisiert wird und so weniger Brennstoff benötigt wird und auch weniger Rauch austritt. Jährlich sterben bisher rund 3,2 Millionen Menschen durch Krankheiten, die durch Luftverschmutzung und Abgase beim Kochen verursacht werden, so die Weltgesundheitsorganisation. Diese Todesfälle können so reduziert oder verhindert werden. Auch die Abholzung von Wäldern für Feuerholz könnte zurückgehen. Außerdem stoßen die effizienten Öfen weniger CO₂ aus.

Die aktuelle Studie kommt nun aber zu dem Ergebnis, dass der positive Klimaeffekt solcher Projekte stark überschätzt wird. Das habe verschiedene Gründe:

  • Tatsächliche Nutzung der effizienten Kocher: Oftmals werden die Kocher nicht so häufig genutzt, wie in den Projekten angenommen. Manchmal gibt es aber auch einen “Rebound-Effekt”: Familien kochen häufiger oder nutzen plötzlich mehrere Kocher, weil das Kochen weniger beschwerlich geworden ist. Beide Fälle führen dazu, dass die CO₂-Emissionen höher sind als angenommen.
  • Effekte auf umliegende Wälder: Die Projekte für effiziente Kocher gehen davon aus, dass Menschen für das Feuerholz zum Kochen umliegende Wälder abholzen. Ob und in welchem Maß sie das tatsächlich tun, ist in der Realität aber unterschiedlicher als angenommen. Oftmals ist die Holznutzung zum Kochen weniger schädlich für Wälder, als die Projektszenarios vorrechnen.

Im Schnitt werde der Kompensationseffekt dadurch 1.000 Prozent größer eingeschätzt, als er tatsächlich ist, kritisieren die Studienautoren.

Viele minderwertige Kocher auf dem Markt

Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer des Kompensationsanbieters Atmosfair, sagt, dass die Einsparungen vieler Kocherprojekte überschätzt werden. Darum sei es “dringend notwendig, dass der Markt von schlechten Anbietern bereinigt werde”, sagt er zu Table.Briefings. Es gebe viele minderwertige Kocher, die schnell kaputtgehen. Häufig werde zudem mit zu optimistischen Annahmen bei der Vermeidung von Entwaldung gerechnet. Konservativere Annahmen und strengere Überprüfungen seien wichtig.

Für die eigenen Projekte ist Brockhagen aber optimistischer. Atmosfair stelle besonders hochwertige Öfen her, die auch besonders gut an lokale Bedingungen angepasst werden. Auch die Berechnungen der Auswirkungen auf Wälder seien deutlich vertrauenswürdiger, weil Atmosfair die Werte dafür direkt mit den Regierungen vor Ort abgleiche und aktualisiere, anstatt sie einfach nur anzunehmen. Weil die Regierungen die CO₂-Minderungen in ihren Berichten an die UN ausweisen müssen, hätten diese ein Interesse an konservativen Zahlen.

Die Zertifizierer Verra und Goldstandard dagegen ziehen die Glaubhaftigkeit der Nature Sustainability-Studie infrage. Schon im vergangenen September hatte ein offener Brief, den verschiedene Unternehmen des freiwilligen Kohlenstoffmarkts unterzeichnet hatten, vor allem die Finanzierung der Studie infrage gestellt. Die beiden Geldgeber “The Better Cooking Company” und “Carbon Direct” hätten Interessen, die Projekten mit sauberen Öfen entgegenstünden. Der offene Brief wirft der Studie außerdem methodische Schwächen vor.

Große Unsicherheiten bei Berechnungen

Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik am Öko-Institut, kennt die Probleme von Projekten mit Kochherden. Er bestätigt die Tendenz der kritischen Studie: “Die CO₂-Einsparungen daraus werden massiv überschätzt“, so Schneider. Man könne zwar diskutieren, um welchen Faktor dies geschehe, aber es sei wissenschaftlich gut belegt, dass die Projekte aufgrund verschiedener methodischer Schwächen meist deutlich weniger Kohlenstoff kompensieren, als sie angeben.

Manche dieser Schwächen könnten behoben werden: Statt mit Umfragen kann man die Nutzung von effizienten Kochern beispielsweise mit Wärmesensoren nachvollziehen. Aber: “Die Unsicherheiten in den Projekten sind groß”, sagt Schneider. Man müsse von dem Gedanken wegkommen, eine genaue Menge an CO₂ kompensieren zu können.

Auch Benja Faecks von der Nichtregierungsorganisation Carbon Market Watch verurteilt Kocherprojekte nicht grundsätzlich. Denn sie hätten oftmals viele positive soziale und ökologische Nebeneffekte. Neben den methodischen Schwächen kritisiert sie aber auch die Mechanismen des freiwilligen CO₂-Markts. Es gebe ein “Race to the bottom”: Anbieter versuchten möglichst viele Zertifikate zu verkaufen und den Preis für eine Tonne CO₂ dabei so gering wie möglich zu halten.

Weg von der Idee von CO₂-Neutralität

Faecks denkt, dass jeder Projekttyp problematische Aspekte hat. Trotzdem gäbe es viele sehr gute Projekte, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ein großes Problem sei die Kommunikation der Vorhaben: Behauptungen wie Klimaneutralität seien grundsätzlich irreführend. Anbieter sollten transparenter mit ihren Projekten und Anstrengungen umgehen und auch klarmachen, dass nicht genau berechnet werden könne, welche Mengen an CO₂ eingespart werden. Auch Lambert Schneider vom Öko-Institut meint, statt von Kompensation sollte man besser von einem “Klimaschutzbeitrag” sprechen.

Atmosfair Geschäftsführer Brockhagen sieht das anders:  Kompensation setze das Verursacherprinzip um. Wenn Unternehmen für ihre Klimaauswirkungen in vollem Umfang bezahlten, sei das etwas anderes als eine Spende. Außerdem habe der CO₂-Markt eine wichtige Steuerungswirkung und Projekte würden dort realisiert, wo sie besonders viel zum Klimaschutz beitragen können.

Für Brockhagen sind die privaten Milliardensummen aus dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt unbedingt für Klimaschutz nötig. Aktuell fließen dort im Jahr mehr als zwei Milliarden US-Dollar, bis 2030 könnte das Volumen Schätzungen zufolge auf zehn bis 40 Milliarden steigen.

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News

EU-Umweltagentur: Europa ist nicht auf “katastrophale” Klimarisiken vorbereitet

Von Überschwemmungen bis hin zu tödlichen Hitzewellen – jeder Teil der Wirtschaft und Gesellschaft werde innerhalb dieses Jahrhunderts von den “katastrophalen” Auswirkungen des Klimawandels getroffen werden, schreibt die EU-Umweltagentur (EEA) in ihrem am Montag vorgestellten “European Climate Risk Assessment” (EUCRA). Bisher sei Europa auf die Klimakrise und die mit ihr einhergehenden Risiken nicht ausreichend vorbereitet. Die politischen Entscheidungsträger müssen neue Pläne zur Bewältigung der Herausforderungen aufstellen, zum Beispiel:

  • zur Verbesserung des Versicherungsschutzes,
  • zur Neugestaltung der Infrastruktur
  • zur Einführung von Gesetzen zum Schutz von Arbeitnehmenden im Freien vor tödlicher Hitze.
  • für einen besseren Solidaritätsfonds für den Wiederaufbau nach Katastrophen.

Europa sei der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt. Der Kontinent habe sich seit den 1980er Jahren doppelt so stark erwärmt wie der globale Durchschnitt, so die EEA. Ohne schnelle Maßnahmen könnten die Auswirkungen der meisten der 36 analysierten Klimarisiken, mit denen Europa konfrontiert ist, in diesem Jahrhundert ein “kritisches oder katastrophales Ausmaß” erreichen, so die EU-Umweltagentur. Dazu gehören Risiken für die Gesundheit, die Agrar-Produktion und die Infrastruktur. Klimaauswirkungen auf Ökosysteme könnten zudem Konsequenzen haben, die auf viele andere Sektoren wie Gesundheit und Ernährungssicherheit überschwappen.

Risiken regional besonders hoch

Regional verteilen sich die Klimarisiken sehr unterschiedlich: In Südeuropa steigt das Risiko für Dürren und Hitzewellen besonders stark. Das Risiko für Überflutungen nimmt besonders in Küstenregionen zu. Abgelegene Regionen sind besonders verletzlich, weil dort die Infrastruktur schlechter ist und diese Regionen wirtschaftlich vorwiegend weniger entwickelt sind.

Im schlimmsten Szenario ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen würden laut der EEA bis Ende des Jahrhunderts Hunderttausende durch Hitzewellen sterben und “die wirtschaftlichen Verluste allein durch Überschwemmungen an den Küsten könnten 1 Billion Euro pro Jahr übersteigen.” Das wäre weit mehr als die 650 Milliarden Euro an wirtschaftlichen Verlusten, die zwischen 1980 und 2022 durch wetter- und klimabedingte Extremereignisse verursacht wurden. Im Laufe des Dienstags will die Europäische Kommission zu dem Bericht Stellung nehmen. rtr/kul

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Rekord-Investitionen in Erneuerbare in Deutschland

Im vergangenen Jahr ist in Deutschland so viel Geld in die Erzeugung erneuerbaren Energien investiert worden wie nie zuvor: Mit 36,6 Milliarden Euro war der Wert nicht nur 2,5-mal so hoch wie zwei Jahre zuvor, sondern auch 30 Prozent höher als im bisherigen Rekordjahr 2011. Das geht aus einem Bericht hervor, den das Umweltbundesamt am Freitag veröffentlicht hat. Knapp die Hälfte der Investitionen entfiel auf Solaranlagen, bei denen das Ausbauziel deutlich übertroffen wurde. An zweiter Stelle liegt mit 24 Prozent die Umweltwärme, wovon der Großteil auf die Installation von Wärmepumpen entfällt. Auf die Windkraft, bei der der Ausbau hinter den Planungen zurückblieb, entfielen knapp 20 Prozent.

Bei der Nutzung der erneuerbaren Energien gab es ebenfalls neue Rekorde. Ihr Anteil am gesamten Endenergieverbrauch stieg im Vergleich zum Vorjahr um 1,2 Prozentpunkte auf 22 Prozent. Verantwortlich dafür war nicht nur der Strombereich, wo der Erneuerbare-Anteil am Bruttostromverbrauch auf 52 Prozent gestiegen ist. Auch im viel gescholtenen Verkehrssektor gab es Fortschritte: Dort erhöhte sich der Anteil von 6,9 auf 7,3 Prozent.

Der Großteil davon entfällt auf Bio-Diesel und Bio-Ethanol, die dem normalen Kraftstoff beigemischt werden. Dabei gab es aber nur einen minimalen Anstieg. Der Großteil des Wachstums entfällt auf den Ökostrom-Anteil von Elektroautos. Dieser legte im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel zu. Er macht aber trotzdem nur 1,35 Prozent am Endenergieverbrauch im Verkehr aus – wobei diese Zahl nicht sonderlich aussagekräftig ist, weil ein Elektroauto pro gefahrenem Kilometer etwa zwei Drittel weniger Endenergie benötigt als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. mkr

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Wähler unterstützen weiterhin ambitionierte Klimapolitik

In Deutschland, Frankreich und Polen spricht sich die Mehrheit der Wähler für eine ambitionierte Klimapolitik aus. Es gäbe keine “breite Gegenreaktion” gegen den Klimaschutz, wie oftmals behauptet wird. Das ist das Ergebnis einer neuen Umfrage des Jacques Delors Centre für Europaforschung der Hertie School unter jeweils rund 5.000 Befragten in den drei Staaten.

Drei Monate vor der Europawahl gäbe es für die Parteien keinen Grund, sich im Wahlkampf gegen weitere Klimaschutzmaßnahmen zu positionieren, so die Autoren. Die Anzahl der Skeptiker unter den Wählern habe in den vergangenen Jahren nicht zugenommen. Zudem gäbe es keine Belege, dass die Ablehnung von Klimaschutz mit materiellen Bedenken wie der Angst vor Arbeitsplatzverlust einhergehe. Vielmehr seien ideologische Gründe Ursache für eine ablehnende Haltung.

Öffentliche Investitionen für Klimaschutz beliebt

Allerdings lehnen viele Wähler Maßnahmen ab, die ihnen Kosten aufbürden oder zu Verboten führen würden. Ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor oder bestimmten Heizungen sowie höhere Emissionspreise lehnen viele Befragte ab. Die Ablehnung dieser Maßnahmen ist bei konservativen und liberalen Wählern am größten, so die Studienautoren. Beliebter sind öffentliche Investitionen in das Stromnetz oder den öffentlichen Nahverkehr, grüne Industriepolitik und die Unterstützung für “Clean-Tech”-Industrien wie die Solar- und Windenergie-Branche.

Auch höhere Steuern zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen werden mehrheitlich abgelehnt. Höhere Emissionspreise werden eher akzeptiert, wenn sie Industrien treffen statt Individuen. Eine Umverteilung öffentlicher Gelder hin zum Klimaschutz wird bevorzugt. nib

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Presseschau

Analyse: EU verzögert strengere Regeln für Einfuhren aus entwaldeten Gebieten Financial Times
Analyse: Sieben Gründe, warum mehr weibliche Führungskräfte gut für das Klima wären The Conversation
Interview: Bundesrechnungshof kritisiert stockende Energiewende – nun kritisieren Energiemarktexperten das Vorgehen des Gremiums Wirtschaftswoche
Analyse: Fünfte Massenkorallenbleiche in acht Jahren trifft Great Barrier Reef The Guardian
Recherche: Trumps Wahlsieg könnte die US-Emissionen bis 2030 um vier Milliarden Tonnen erhöhen CarbonBrief
Analyse: Der seltsam warme Winter trägt die Handschrift des Klimawandels New York Times
Reportage: Können Erneuerbare dabei helfen, die traditionelle Lebensweise von Dörfern in Grönland zu bewahren? Washington Post
Nachricht: Statt Regen suchen Mega-Feuer die Amazonas-Region heim New York Times
Analyse:  Geologen lehnen es vorerst ab, das “Anthropozän” zum neuen Zeitalter zu erklären. Was bedeutet das? Süddeutsche Zeitung
Porträt: Warum ein Skilangläufer zum Radprofi wurde Die Zeit

Standpunkt

IRC-Chefin fordert Änderung bei deutscher Klimaaußenpolitik

Von Corina Pfitzner
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation IRC.

“In diesem Jahr sind viele Menschen wegen der Dürre von hier weggezogen. Es gab kein Wasser und sie hätten es sich auch nicht leisten können, es zu kaufen”, sagt Abdul Haq. Der 30-Jährige lebt in der Provinz Baghdis in Afghanistan, die durch den Klimawandel zunehmend von Dürren betroffen ist. Er sucht täglich nach Futter und Wasser für seine Schafe. Sein einziges Einkommen ist der Verkauf der Lämmer. Davon muss er seine Frau, seine sechs Kinder und seine Eltern versorgen. “Als es noch keine Dürre gab, bauten wir Getreide und Weizen an. Wenn es regnete, waren unsere Fässer voll Wasser. Wir konnten Dinge kaufen. Aber jetzt ist die Lage nicht gut.”

Bei Afghanistan denkt man hier an politische Instabilität und Konflikte. Bei meiner Reise dorthin Ende letzten Jahres konnte ich sehen, wie der Klimawandel die für die Menschen ohnehin schon schwierige Situation von Konflikt und Armut weiter verschärft.

Und die Geschichte von Abdul ist kein Einzelfall: Ob Südsudan, Somalia oder Syrien – an zahlreichen Orten der Welt greifen Klimakrise, Konflikt und Armut ineinander. Nothilfe allein kann Abdul nur kurzfristig unterstützen. Was er und viele andere Menschen in Krisenregionen angesichts des sich verschärfenden Klimawandels brauchen, sind echte Zukunftsperspektiven. Dafür müssen jedoch Maßnahmen zur Friedenssicherung, zu humanitärer Hilfe und nachhaltiger Entwicklung mit Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel verknüpft werden. Nur so werden lokale Gemeinschaften widerstandsfähiger und können langfristig der Klimakrise aus eigener Kraft begegnen.

Die Ende 2023 veröffentlichte Klimaaußenpolitik-Strategie der Bundesregierung schlägt diese oft übersehene Brücke zwischen Klima und Konflikten. Sie erkennt die Klimakrise als “eines der größten Sicherheitsrisiken des 21. Jahrhunderts”. Wie betroffene Menschen konkret unterstützt werden sollen, bleibt aber offen. Es braucht praktikable Lösungsansätze für Krisenregionen, um die Menschen zu erreichen, die von der Klimakrise am härtesten betroffen sind.

Klimafinanzierung muss gerechter werden

Die Klimafinanzierung für klimagefährdete, konfliktbetroffene Gemeinschaften muss gerechter werden. 90 Prozent der Klimafinanzierung konzentrieren sich auf Länder mit mittlerem Einkommen und hohem Emissionsausstoß. Je fragiler ein Land ist, desto weniger Mittel für die Bewältigung des Klimawandels erhält es nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen. Im Jahr 2020 betrug die Pro-Kopf-Klimafinanzierung für konfliktbetroffene Länder ein Drittel dessen, was andere Länder erhielten. Ein Großteil der Finanzierung fließt in die Klimaeindämmung, also Emissionsbekämpfung, und nicht in den Bereich Anpassung und Widerstandsfähigkeit.

Neben der besseren Ausrichtung existierender Instrumente braucht es neue, so wie den “Loss and Damage Fund“, auf den man sich bei der COP28 geeinigt hat. In den Klimakatastrophenfonds sollen vor allem Länder einzahlen, die für die meisten CO₂-Emissionen verantwortlich sind. Einkommensschwache Staaten sollen dann nach klimabedingten Katastrophen und Schäden Gelder erhalten können, um mit den irreparablen Folgen des Klimawandels umzugehen. Deutschland ist mit 100 Millionen US-Dollar weltweit einer der größten Geber und kann sicherstellen, dass die Gelder auch Menschen in Krisenregionen erreichen. Die Bundesregierung sollte weitere Länder ermutigen, finanzielle Beiträge zum Loss and Damage Fund sowie zu anderen Instrumenten mit Fokus auf Konfliktregionen zu leisten. Schwerpunkt liegt hierbei auf solchen, die Frauen und Mädchen fördern, wie die “Women and Climate Security” Initiative des UN Women’s Peace and Humanitarian Fund.

Instrumente für die Risikoanalyse verbessern

Um sicherzustellen, dass Gemeinschaften in Konfliktregionen mit den Auswirkungen des Klimawandels zielgerichtet unterstützt werden, braucht es einen neuen Ansatz der Risikoanalyse – nicht nur mit Blick auf wirtschaftliche, sondern auch politische und gesellschaftliche Auswirkungen von Klimaschocks: Wie wirken sich solche plötzlich auftretenden Klimaschocks wie Überflutungen oder Dürren aus, welchen langfristigen Trends sind die Menschen ausgesetzt? Welche Wechselwirkungen gibt es mit der lokalen Politik und Wirtschaft sowie mit bestehenden Konfliktdynamiken? Welche Gruppen innerhalb einer Gesellschaft sind besonders betroffen?

In der zentralen Sahelzone beispielsweise sind ländliche Gebiete in der Peripherie deutlich stärker vom Klimawandel betroffen als die Hauptstädte. Und das, obwohl sie ähnliche Veränderungen bei Temperaturen, Niederschlägen und extremen Wetterereignissen erleben.

Das zeigt, wie wichtig bessere Instrumente für die Risikoanalyse sind, nicht nur auf nationaler, sondern auch auf regionaler und kommunaler Ebene. So können Finanzmittel und Programme dorthin gelenkt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden – und nicht nur dorthin, wo sie am einfachsten umzusetzen sind.

Lösungen mit betroffenen Gemeinschaften entwickeln

Ein weiterer Schwerpunkt muss darauf liegen, die Widerstandsfähigkeit der Menschen vor Ort zu stärken. Dazu braucht es innovative Ansätze. Viele Organisationen arbeiten an neuen Ansätzen, zu selten aber mit Fokus auf fragile und konfliktbetroffene Regionen und zu selten in Partnerschaft mit den Menschen vor Ort. Für eine langfristige und nachhaltige Veränderung müssen Lösungen jedoch gemeinsam mit den betroffenen Gemeinschaften entwickelt und so umgesetzt werden, dass sie auch in fragilen Konfliktgebieten funktionieren.

Zwei Beispiele: Klimaschocks wirken sich besonders stark auf die Landwirtschaft und damit die Ernährungssicherheit aus. In Syrien arbeiten wir direkt mit syrischen Bäuerinnen und Bauern zusammen: Gemeinsam testen sie, welches Saatgut auch in extremer Dürre noch sichere Erträge bringt. In Nigeria haben wir mit Behörden sowie Gemeindeleitungen eine digitale Plattform als neues Frühwarnsystem aufgebaut. Diese nutzt lokales Wissen, Daten und Satelliteninformationen, um drohende Überschwemmungen besser vorherzusagen und somit bereits das Risiko zu managen, nicht erst die Krise.

Dieses vorausschauende Handeln hilft Familien dabei, ihre Nahrungsgrundlage zu sichern und weiterhin in der Landwirtschaft tätig zu sein. Zudem sind gefährdete Haushalte nicht dazu gezwungen, auf kurzfristige Lösungen wie den Verkauf von Vieh zurückzugreifen, um ihre unmittelbaren Lebensgrundlagen zu kaufen.

Zeit zu Handeln ist jetzt

2024 wird voraussichtlich ein El-Niño-Jahr werden. Noch mehr Extremwetterphänomene sind zu erwarten, die humanitäre Krisen und weitere Vertreibung auslösen. Die Bundesregierung kann mit ihrer neuen Klimaaußenpolitik-Strategie eine Vorreiterrolle bei der globalen Antwort auf diese Krisen einnehmen. Ob das erfolgreich ist, kann nur daran gemessen werden, ob sie einen echten Unterschied im Leben von all jenen Menschen macht, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Dafür muss die Bundesregierung der Strategie nun konkrete Taten folgen lassen.

Corina Pfitzner ist Geschäftsführerin der Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) in Deutschland. Mit seiner Arbeit unterstützt das 1933 gegründete IRC vor allem Geflüchtete und andere Menschen, die von Krisen und Kriegen betroffen sind.

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Dessert

Billie Eilish und ihr Bruder Finneas haben für in der Kategorie "bester Song" den Oscar in Barbie gewonnen.
Billie Eilish und ihr Bruder Finneas O’Connell erhielten für ihren Titelsong in Barbie einen Oscar – und auch der Klimawandel bekam darin einen kurzen Auftritt.

Was haben die rosarote Komödie Barbie, der Action-Kracher Mission ImpossibleDead Reckoning und die Filmbiografie Nyad gemeinsam? Sie haben als einzige der für die Oscars 2024 nominierten Filme den “Klimatest” des gemeinnützigen Beratungsunternehmens Good Energy bestanden. Nur in diesen drei Werken kommt die Klimakrise in irgendeiner Form vor. In allen anderen Filmen spielt sie nicht einmal eine Nebenrolle. Der Klimawandel kam zwischen 2016 und 2020 überhaupt nur in 2,8 Prozent aller Serien und Filme in den USA vor. Das Wort “Hund” liest man in den Drehbüchern 13 Mal häufiger.

Anders macht es Oscar-Gewinner Adam McKay (Regisseur von Don’t Look Up) mit seinem Yellow Dot Studio. In Kurzfilmen werden Verbrenner parodiert, Ölkonzerne im Stil der Serie The Office über den Tisch gezogen und Game of Thrones wird zur Klimaserie umgeschrieben. Und in Deutschland setzt sich die Initiative Changemakers.film für eine grünere Produktionsweise und ein Storytelling ein, das die Realität der Klimakrise anerkennt. lb

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    der Krieg in der Ukraine verursacht unfassbares menschliches Leid. Die Klimaauswirkungen treten dabei häufig zu Recht in den Hintergrund. Eine aktuelle Studie zeigt: Der Angriffskrieg Russlands auf sein Nachbarland hat zwischen 180 und 200 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen zur Folge, sei es durch die direkte Kriegshandlung, Feuer an der Front oder den Wiederaufbau. Anouk Schlung analysiert die Umweltwirkungen des Krieges und warum er auch an anderer Stelle zu mehr Emissionen führt.

    Wir schauen außerdem auf den Markt für CO₂-Kompensationen. Viele Kompensationsprojekte wollen CO₂ einsparen, indem sie Menschen saubere Kochmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Die dabei zum Einsatz kommenden sauberen Kocher wirken sich positiv auf die Gesundheit der Menschen aus, aber ihre Klimawirkung wird stark überschätzt.

    Unsere News widmen sich der Frage, auf welche Klimarisiken Europa laut der EU-Umweltagentur kaum vorbereitet ist und wie ambitionierte Klimapolitik von Wählern unterstützt wird.

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    Lisa Kuner
    Bild von Lisa  Kuner

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    Russlands Ukraine-Krieg hat gravierende Klimaauswirkungen – zerstörte Infrastruktur und Gebäude haben den größten Anteil an den Emissionen

    Kämpfe im Februar 2024 im Donbas: Feuer an der Frontlinie machen 15 Prozent der CO₂-Emissionen des russischen Angriffskriegs aus.

    Der russische Angriff auf die Ukraine hat in den vergangenen zwei Jahren zu 180 bis 200 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen (in Äquivalenten) geführt, wie aus einer Studie hervorgeht. Das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen rechnet mit 150 Millionen Tonnen – mehr als Belgien in einem Jahr verursacht und ein Fünftel der jährlichen Emissionen Deutschlands.

    Militär, Aufrüstung und Flucht dominieren die Berichterstattung über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Belastung der Umwelt und die Auswirkungen auf das weltweite Klima finden bisher kaum Beachtung. Lennard de Klerk will das ändern. Er ist Klimaforscher und Hauptautor der halbjährlich erscheinenden Studie “Climate Damage Caused by Russia’s War in Ukraine”. Er und sein Team aus internationalen Forschenden schlüsseln darin Klimaschäden und Treibhausgasemissionen des Krieges auf.

    Wiederaufbau, Kampfhandlungen und Feuer an der Front sind Hauptquellen

    Die Emissionen gehen sowohl auf die unmittelbare Kriegsführung zurück, als auch auf die Folgen des Krieges. “Panzer, Fahrzeuge und Flieger verursachen zwar Emissionen, aber machen schlussendlich nur ein Viertel des Gesamtausstoßes aus”, erklärt de Klerk im Gespräch mit Table.Briefings. Wesentlich sind zum Beispiel auch Feuer nahe der Frontlinie, die 15 Prozent der Emissionen ausmachen. Der größte Anteil geht aber auch zerstörte Infrastruktur und Gebäude zurück, die nach dem Krieg wieder aufgebaut werden müssen.

    Doch auch indirekte, weniger offensichtliche Faktoren haben Einfluss. Da wären zum Beispiel Flugumleitungen, nachdem Russland den sibirischen Luftraum sperrte und auch der ukrainische Luftraum für den kommerziellen Verkehr geschlossen wurde. Diese führen zu längeren Flugrouten und höheren Treibhausgasemissionen, die mit zwölf Prozent des Gesamtausstoßes zu Buche schlagen. De Klerks Team bezog zudem die Sabotage an den Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 im September 2022 in seine Berechnungen mit ein – sie mache zehn Prozent der gesamten Emissionen aus. Fluchtbewegungen verursachen zusätzliche zwei Prozent.

    Den größten Anteil der Emissionen – etwa 55 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent – macht aber der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur aus. Häuser, Industrieanlagen, Transportsysteme, Energie- und Landwirtschaftsanlagen müssen nach dem Krieg wieder aufgebaut werden. Hier fallen beispielsweise Emissionen für die Zement- oder Stahlherstellung oder den Transport von Baustoffen an.

    Weltweite Aufrüstung sorgt für größeren CO₂-Ausstoß

    Neben den direkten verursacht der Krieg auch indirekte Emissionen, die de Klerk und sein Forscherteam nicht beziffert haben. “Konflikte tragen zur Militarisierung anderer Länder und einer weltweiten Aufrüstung bei, die ebenfalls Treibhausgase verursacht. Und sie verhindern, dass ein Land sich auf eine wirkungsvolle Klimapolitik konzentrieren kann”, erläutert de Klerk.

    Das bestätigt auch das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen. “Die effektive Umsetzung der staatlichen Klimapolitik wird durch die negativen Folgen des Krieges erschwert”, antwortet das Ministerium auf Anfrage von Table.Briefings. Finanzielle Mittel, die für Umwelt- und Klimaschutz vorgesehen waren, seien anderweitig gebunden.

    Der Krieg verursacht zudem verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Er zerstöre ganze Ökosysteme, berichtet das ukrainische Ministerium, was die betroffenen Gebiete und die dort lebenden Menschen anfälliger für Auswirkungen des Klimawandels wie Hitze oder Extremwetterereignisse mache.

    4.000 Fälle von Umweltschäden in den vergangenen zwei Jahren

    Insgesamt dokumentierte das Ministerium in den vergangenen zwei Jahren 4.000 Fälle von Umweltschäden, deren Kosten sich auf umgerechnet 52 Milliarden Euro belaufen. Den Großteil davon, nämlich 28 Milliarden Euro, macht die Luftverschmutzung durch den Krieg aus, knapp 24 Milliarden die Verunreinigung von Böden. Zudem werden seltene Tier- und Pflanzenarten vernichtet – darunter solche, die im Roten Buch der Ukraine, einer offiziellen Liste gesetzlich geschützter Tiere, Pflanzen und Pilze, aufgeführt sind.

    Auch das Center for Environmental Initiatives Ecoaction, eine zivilgesellschaftliche Umweltschutzorganisation, behält durch den Krieg verursachte Umweltschäden im Blick. Die Forschenden registrierten in den vergangenen zwei Jahren mehr als 1.500 Fälle. Die gravierendsten waren die Sprengung des Kachowka-Staudamms im Juni 2023, die Besetzung der Sperrzone von Tschernobyl und des Kernkraftwerks Saporischschja und die Flutungen von Bergwerken im Donbas, die zu Grundwasserverseuchung und Bodenabsenkung führten.

    Gesellschaftliches Verständnis für Klimaschutz ist trotz Krieg hoch

    Dennoch bleibt die Ukraine gewillt, Klima- und Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen – auch, weil Politiker wissen, dass eine effektive Klimapolitik maßgeblich für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union sein könnte. “Wir haben einen Entwurf für eine Strategie zur Entwicklung und Umsetzung der staatlichen Klimapolitik bis 2035 und einen operativen Aktionsplan mit klar definierten Aufgaben entwickelt”, berichtet das Ministerium. Auch für den Großteil der ukrainischen Gesellschaft (95 Prozent) bleibt Umweltschutz trotz der umfassenden Invasion durch Russland wichtig, betont Ecoaction gegenüber Table.Briefings.

    Die Realität bleibt aber, dass Schutzmaßnahmen nicht überall umsetzbar sind. So sind mehr als 800.000 Hektar Wald und 514 Schutzgebiete besetzt. Aktuell okkupiert Russland 18 Prozent der ukrainischen Landfläche, inklusive der Krim.

    So detaillierte Daten wie im Fall dieses Krieges liegen selten vor. De Klerk zufolge liege das unter anderem daran, dass seit dem Zweiten Weltkrieg viele Konflikte weit weg vom westlichen Blickpunkt stattfanden. “Auch die Ausklammerung des gesamten militärischen Bereichs aus dem Kyoto-Protokoll spielt mit hinein.” Ein schwerwiegender Fakt, denn Streitkräfte machen insgesamt 5,5 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen aus, wie die Studie von de Klerks Team belegt.

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    CO₂-Kompensation: Kocher-Projekte massiv überschätzt

    Projekte mit sauberen Kochern, wie hier in Malawi, sind auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt beliebt. Ihr Klimaeffekt wird aber oft überschätzt.

    Zertifikate zur Kompensation von CO₂-Emissionen aus Projekten mit effizienten und sauberen Kochern sind oft weit weniger effektiv als behauptet. Denn die Realität in den betroffenen Ländern entspricht oft nicht den Berechnungen der Organisationen, die diese Zertifikate ausstellen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Ende Januar im Fachmagazin “Nature Sustainability” veröffentlicht wurde.

    Experten warnen schon länger vor überschätzten Kompensationsprojekten, doch Zertifizierer widersprechen ihnen, kritisieren Methodik und Interessen der neuen Studie. “Kocherprojekte” galten immerhin lange als unproblematisch – im Gegensatz zu CO₂-Zertifikaten aus Waldprojekten. Über diese wird regelmäßig berichtet, dass sie oftmals ihre Versprechen nicht halten und im schlimmsten Fall sogar Schaden anrichten. Projekte mit sauberen Kochern hingegen galten als relativ effizient. Im vergangenen Jahr kam weltweit der größte Teil an CO₂-Zertifikaten auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt aus Projekten, die Kocher oder Öfen austauschen. Auch die meisten neuen Projekte sind aus dieser Sparte.

    Das liegt auch daran, dass die Idee dahinter so simpel ist. Saubere Kocher bringen demnach gleich mehrere Vorteile: Rund ein Drittel der Menschen weltweit kocht am offenen Feuer. Einfache, mit Kohle oder Holz befeuerte Kocher werden durch effizientere Modelle ersetzt, in denen die Hitze besser kanalisiert wird und so weniger Brennstoff benötigt wird und auch weniger Rauch austritt. Jährlich sterben bisher rund 3,2 Millionen Menschen durch Krankheiten, die durch Luftverschmutzung und Abgase beim Kochen verursacht werden, so die Weltgesundheitsorganisation. Diese Todesfälle können so reduziert oder verhindert werden. Auch die Abholzung von Wäldern für Feuerholz könnte zurückgehen. Außerdem stoßen die effizienten Öfen weniger CO₂ aus.

    Die aktuelle Studie kommt nun aber zu dem Ergebnis, dass der positive Klimaeffekt solcher Projekte stark überschätzt wird. Das habe verschiedene Gründe:

    • Tatsächliche Nutzung der effizienten Kocher: Oftmals werden die Kocher nicht so häufig genutzt, wie in den Projekten angenommen. Manchmal gibt es aber auch einen “Rebound-Effekt”: Familien kochen häufiger oder nutzen plötzlich mehrere Kocher, weil das Kochen weniger beschwerlich geworden ist. Beide Fälle führen dazu, dass die CO₂-Emissionen höher sind als angenommen.
    • Effekte auf umliegende Wälder: Die Projekte für effiziente Kocher gehen davon aus, dass Menschen für das Feuerholz zum Kochen umliegende Wälder abholzen. Ob und in welchem Maß sie das tatsächlich tun, ist in der Realität aber unterschiedlicher als angenommen. Oftmals ist die Holznutzung zum Kochen weniger schädlich für Wälder, als die Projektszenarios vorrechnen.

    Im Schnitt werde der Kompensationseffekt dadurch 1.000 Prozent größer eingeschätzt, als er tatsächlich ist, kritisieren die Studienautoren.

    Viele minderwertige Kocher auf dem Markt

    Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer des Kompensationsanbieters Atmosfair, sagt, dass die Einsparungen vieler Kocherprojekte überschätzt werden. Darum sei es “dringend notwendig, dass der Markt von schlechten Anbietern bereinigt werde”, sagt er zu Table.Briefings. Es gebe viele minderwertige Kocher, die schnell kaputtgehen. Häufig werde zudem mit zu optimistischen Annahmen bei der Vermeidung von Entwaldung gerechnet. Konservativere Annahmen und strengere Überprüfungen seien wichtig.

    Für die eigenen Projekte ist Brockhagen aber optimistischer. Atmosfair stelle besonders hochwertige Öfen her, die auch besonders gut an lokale Bedingungen angepasst werden. Auch die Berechnungen der Auswirkungen auf Wälder seien deutlich vertrauenswürdiger, weil Atmosfair die Werte dafür direkt mit den Regierungen vor Ort abgleiche und aktualisiere, anstatt sie einfach nur anzunehmen. Weil die Regierungen die CO₂-Minderungen in ihren Berichten an die UN ausweisen müssen, hätten diese ein Interesse an konservativen Zahlen.

    Die Zertifizierer Verra und Goldstandard dagegen ziehen die Glaubhaftigkeit der Nature Sustainability-Studie infrage. Schon im vergangenen September hatte ein offener Brief, den verschiedene Unternehmen des freiwilligen Kohlenstoffmarkts unterzeichnet hatten, vor allem die Finanzierung der Studie infrage gestellt. Die beiden Geldgeber “The Better Cooking Company” und “Carbon Direct” hätten Interessen, die Projekten mit sauberen Öfen entgegenstünden. Der offene Brief wirft der Studie außerdem methodische Schwächen vor.

    Große Unsicherheiten bei Berechnungen

    Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik am Öko-Institut, kennt die Probleme von Projekten mit Kochherden. Er bestätigt die Tendenz der kritischen Studie: “Die CO₂-Einsparungen daraus werden massiv überschätzt“, so Schneider. Man könne zwar diskutieren, um welchen Faktor dies geschehe, aber es sei wissenschaftlich gut belegt, dass die Projekte aufgrund verschiedener methodischer Schwächen meist deutlich weniger Kohlenstoff kompensieren, als sie angeben.

    Manche dieser Schwächen könnten behoben werden: Statt mit Umfragen kann man die Nutzung von effizienten Kochern beispielsweise mit Wärmesensoren nachvollziehen. Aber: “Die Unsicherheiten in den Projekten sind groß”, sagt Schneider. Man müsse von dem Gedanken wegkommen, eine genaue Menge an CO₂ kompensieren zu können.

    Auch Benja Faecks von der Nichtregierungsorganisation Carbon Market Watch verurteilt Kocherprojekte nicht grundsätzlich. Denn sie hätten oftmals viele positive soziale und ökologische Nebeneffekte. Neben den methodischen Schwächen kritisiert sie aber auch die Mechanismen des freiwilligen CO₂-Markts. Es gebe ein “Race to the bottom”: Anbieter versuchten möglichst viele Zertifikate zu verkaufen und den Preis für eine Tonne CO₂ dabei so gering wie möglich zu halten.

    Weg von der Idee von CO₂-Neutralität

    Faecks denkt, dass jeder Projekttyp problematische Aspekte hat. Trotzdem gäbe es viele sehr gute Projekte, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ein großes Problem sei die Kommunikation der Vorhaben: Behauptungen wie Klimaneutralität seien grundsätzlich irreführend. Anbieter sollten transparenter mit ihren Projekten und Anstrengungen umgehen und auch klarmachen, dass nicht genau berechnet werden könne, welche Mengen an CO₂ eingespart werden. Auch Lambert Schneider vom Öko-Institut meint, statt von Kompensation sollte man besser von einem “Klimaschutzbeitrag” sprechen.

    Atmosfair Geschäftsführer Brockhagen sieht das anders:  Kompensation setze das Verursacherprinzip um. Wenn Unternehmen für ihre Klimaauswirkungen in vollem Umfang bezahlten, sei das etwas anderes als eine Spende. Außerdem habe der CO₂-Markt eine wichtige Steuerungswirkung und Projekte würden dort realisiert, wo sie besonders viel zum Klimaschutz beitragen können.

    Für Brockhagen sind die privaten Milliardensummen aus dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt unbedingt für Klimaschutz nötig. Aktuell fließen dort im Jahr mehr als zwei Milliarden US-Dollar, bis 2030 könnte das Volumen Schätzungen zufolge auf zehn bis 40 Milliarden steigen.

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    EU-Umweltagentur: Europa ist nicht auf “katastrophale” Klimarisiken vorbereitet

    Von Überschwemmungen bis hin zu tödlichen Hitzewellen – jeder Teil der Wirtschaft und Gesellschaft werde innerhalb dieses Jahrhunderts von den “katastrophalen” Auswirkungen des Klimawandels getroffen werden, schreibt die EU-Umweltagentur (EEA) in ihrem am Montag vorgestellten “European Climate Risk Assessment” (EUCRA). Bisher sei Europa auf die Klimakrise und die mit ihr einhergehenden Risiken nicht ausreichend vorbereitet. Die politischen Entscheidungsträger müssen neue Pläne zur Bewältigung der Herausforderungen aufstellen, zum Beispiel:

    • zur Verbesserung des Versicherungsschutzes,
    • zur Neugestaltung der Infrastruktur
    • zur Einführung von Gesetzen zum Schutz von Arbeitnehmenden im Freien vor tödlicher Hitze.
    • für einen besseren Solidaritätsfonds für den Wiederaufbau nach Katastrophen.

    Europa sei der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt. Der Kontinent habe sich seit den 1980er Jahren doppelt so stark erwärmt wie der globale Durchschnitt, so die EEA. Ohne schnelle Maßnahmen könnten die Auswirkungen der meisten der 36 analysierten Klimarisiken, mit denen Europa konfrontiert ist, in diesem Jahrhundert ein “kritisches oder katastrophales Ausmaß” erreichen, so die EU-Umweltagentur. Dazu gehören Risiken für die Gesundheit, die Agrar-Produktion und die Infrastruktur. Klimaauswirkungen auf Ökosysteme könnten zudem Konsequenzen haben, die auf viele andere Sektoren wie Gesundheit und Ernährungssicherheit überschwappen.

    Risiken regional besonders hoch

    Regional verteilen sich die Klimarisiken sehr unterschiedlich: In Südeuropa steigt das Risiko für Dürren und Hitzewellen besonders stark. Das Risiko für Überflutungen nimmt besonders in Küstenregionen zu. Abgelegene Regionen sind besonders verletzlich, weil dort die Infrastruktur schlechter ist und diese Regionen wirtschaftlich vorwiegend weniger entwickelt sind.

    Im schlimmsten Szenario ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen würden laut der EEA bis Ende des Jahrhunderts Hunderttausende durch Hitzewellen sterben und “die wirtschaftlichen Verluste allein durch Überschwemmungen an den Küsten könnten 1 Billion Euro pro Jahr übersteigen.” Das wäre weit mehr als die 650 Milliarden Euro an wirtschaftlichen Verlusten, die zwischen 1980 und 2022 durch wetter- und klimabedingte Extremereignisse verursacht wurden. Im Laufe des Dienstags will die Europäische Kommission zu dem Bericht Stellung nehmen. rtr/kul

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    Rekord-Investitionen in Erneuerbare in Deutschland

    Im vergangenen Jahr ist in Deutschland so viel Geld in die Erzeugung erneuerbaren Energien investiert worden wie nie zuvor: Mit 36,6 Milliarden Euro war der Wert nicht nur 2,5-mal so hoch wie zwei Jahre zuvor, sondern auch 30 Prozent höher als im bisherigen Rekordjahr 2011. Das geht aus einem Bericht hervor, den das Umweltbundesamt am Freitag veröffentlicht hat. Knapp die Hälfte der Investitionen entfiel auf Solaranlagen, bei denen das Ausbauziel deutlich übertroffen wurde. An zweiter Stelle liegt mit 24 Prozent die Umweltwärme, wovon der Großteil auf die Installation von Wärmepumpen entfällt. Auf die Windkraft, bei der der Ausbau hinter den Planungen zurückblieb, entfielen knapp 20 Prozent.

    Bei der Nutzung der erneuerbaren Energien gab es ebenfalls neue Rekorde. Ihr Anteil am gesamten Endenergieverbrauch stieg im Vergleich zum Vorjahr um 1,2 Prozentpunkte auf 22 Prozent. Verantwortlich dafür war nicht nur der Strombereich, wo der Erneuerbare-Anteil am Bruttostromverbrauch auf 52 Prozent gestiegen ist. Auch im viel gescholtenen Verkehrssektor gab es Fortschritte: Dort erhöhte sich der Anteil von 6,9 auf 7,3 Prozent.

    Der Großteil davon entfällt auf Bio-Diesel und Bio-Ethanol, die dem normalen Kraftstoff beigemischt werden. Dabei gab es aber nur einen minimalen Anstieg. Der Großteil des Wachstums entfällt auf den Ökostrom-Anteil von Elektroautos. Dieser legte im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel zu. Er macht aber trotzdem nur 1,35 Prozent am Endenergieverbrauch im Verkehr aus – wobei diese Zahl nicht sonderlich aussagekräftig ist, weil ein Elektroauto pro gefahrenem Kilometer etwa zwei Drittel weniger Endenergie benötigt als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. mkr

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    Wähler unterstützen weiterhin ambitionierte Klimapolitik

    In Deutschland, Frankreich und Polen spricht sich die Mehrheit der Wähler für eine ambitionierte Klimapolitik aus. Es gäbe keine “breite Gegenreaktion” gegen den Klimaschutz, wie oftmals behauptet wird. Das ist das Ergebnis einer neuen Umfrage des Jacques Delors Centre für Europaforschung der Hertie School unter jeweils rund 5.000 Befragten in den drei Staaten.

    Drei Monate vor der Europawahl gäbe es für die Parteien keinen Grund, sich im Wahlkampf gegen weitere Klimaschutzmaßnahmen zu positionieren, so die Autoren. Die Anzahl der Skeptiker unter den Wählern habe in den vergangenen Jahren nicht zugenommen. Zudem gäbe es keine Belege, dass die Ablehnung von Klimaschutz mit materiellen Bedenken wie der Angst vor Arbeitsplatzverlust einhergehe. Vielmehr seien ideologische Gründe Ursache für eine ablehnende Haltung.

    Öffentliche Investitionen für Klimaschutz beliebt

    Allerdings lehnen viele Wähler Maßnahmen ab, die ihnen Kosten aufbürden oder zu Verboten führen würden. Ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor oder bestimmten Heizungen sowie höhere Emissionspreise lehnen viele Befragte ab. Die Ablehnung dieser Maßnahmen ist bei konservativen und liberalen Wählern am größten, so die Studienautoren. Beliebter sind öffentliche Investitionen in das Stromnetz oder den öffentlichen Nahverkehr, grüne Industriepolitik und die Unterstützung für “Clean-Tech”-Industrien wie die Solar- und Windenergie-Branche.

    Auch höhere Steuern zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen werden mehrheitlich abgelehnt. Höhere Emissionspreise werden eher akzeptiert, wenn sie Industrien treffen statt Individuen. Eine Umverteilung öffentlicher Gelder hin zum Klimaschutz wird bevorzugt. nib

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    Presseschau

    Analyse: EU verzögert strengere Regeln für Einfuhren aus entwaldeten Gebieten Financial Times
    Analyse: Sieben Gründe, warum mehr weibliche Führungskräfte gut für das Klima wären The Conversation
    Interview: Bundesrechnungshof kritisiert stockende Energiewende – nun kritisieren Energiemarktexperten das Vorgehen des Gremiums Wirtschaftswoche
    Analyse: Fünfte Massenkorallenbleiche in acht Jahren trifft Great Barrier Reef The Guardian
    Recherche: Trumps Wahlsieg könnte die US-Emissionen bis 2030 um vier Milliarden Tonnen erhöhen CarbonBrief
    Analyse: Der seltsam warme Winter trägt die Handschrift des Klimawandels New York Times
    Reportage: Können Erneuerbare dabei helfen, die traditionelle Lebensweise von Dörfern in Grönland zu bewahren? Washington Post
    Nachricht: Statt Regen suchen Mega-Feuer die Amazonas-Region heim New York Times
    Analyse:  Geologen lehnen es vorerst ab, das “Anthropozän” zum neuen Zeitalter zu erklären. Was bedeutet das? Süddeutsche Zeitung
    Porträt: Warum ein Skilangläufer zum Radprofi wurde Die Zeit

    Standpunkt

    IRC-Chefin fordert Änderung bei deutscher Klimaaußenpolitik

    Von Corina Pfitzner
    Corina Pfitzner, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation IRC.

    “In diesem Jahr sind viele Menschen wegen der Dürre von hier weggezogen. Es gab kein Wasser und sie hätten es sich auch nicht leisten können, es zu kaufen”, sagt Abdul Haq. Der 30-Jährige lebt in der Provinz Baghdis in Afghanistan, die durch den Klimawandel zunehmend von Dürren betroffen ist. Er sucht täglich nach Futter und Wasser für seine Schafe. Sein einziges Einkommen ist der Verkauf der Lämmer. Davon muss er seine Frau, seine sechs Kinder und seine Eltern versorgen. “Als es noch keine Dürre gab, bauten wir Getreide und Weizen an. Wenn es regnete, waren unsere Fässer voll Wasser. Wir konnten Dinge kaufen. Aber jetzt ist die Lage nicht gut.”

    Bei Afghanistan denkt man hier an politische Instabilität und Konflikte. Bei meiner Reise dorthin Ende letzten Jahres konnte ich sehen, wie der Klimawandel die für die Menschen ohnehin schon schwierige Situation von Konflikt und Armut weiter verschärft.

    Und die Geschichte von Abdul ist kein Einzelfall: Ob Südsudan, Somalia oder Syrien – an zahlreichen Orten der Welt greifen Klimakrise, Konflikt und Armut ineinander. Nothilfe allein kann Abdul nur kurzfristig unterstützen. Was er und viele andere Menschen in Krisenregionen angesichts des sich verschärfenden Klimawandels brauchen, sind echte Zukunftsperspektiven. Dafür müssen jedoch Maßnahmen zur Friedenssicherung, zu humanitärer Hilfe und nachhaltiger Entwicklung mit Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel verknüpft werden. Nur so werden lokale Gemeinschaften widerstandsfähiger und können langfristig der Klimakrise aus eigener Kraft begegnen.

    Die Ende 2023 veröffentlichte Klimaaußenpolitik-Strategie der Bundesregierung schlägt diese oft übersehene Brücke zwischen Klima und Konflikten. Sie erkennt die Klimakrise als “eines der größten Sicherheitsrisiken des 21. Jahrhunderts”. Wie betroffene Menschen konkret unterstützt werden sollen, bleibt aber offen. Es braucht praktikable Lösungsansätze für Krisenregionen, um die Menschen zu erreichen, die von der Klimakrise am härtesten betroffen sind.

    Klimafinanzierung muss gerechter werden

    Die Klimafinanzierung für klimagefährdete, konfliktbetroffene Gemeinschaften muss gerechter werden. 90 Prozent der Klimafinanzierung konzentrieren sich auf Länder mit mittlerem Einkommen und hohem Emissionsausstoß. Je fragiler ein Land ist, desto weniger Mittel für die Bewältigung des Klimawandels erhält es nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen. Im Jahr 2020 betrug die Pro-Kopf-Klimafinanzierung für konfliktbetroffene Länder ein Drittel dessen, was andere Länder erhielten. Ein Großteil der Finanzierung fließt in die Klimaeindämmung, also Emissionsbekämpfung, und nicht in den Bereich Anpassung und Widerstandsfähigkeit.

    Neben der besseren Ausrichtung existierender Instrumente braucht es neue, so wie den “Loss and Damage Fund“, auf den man sich bei der COP28 geeinigt hat. In den Klimakatastrophenfonds sollen vor allem Länder einzahlen, die für die meisten CO₂-Emissionen verantwortlich sind. Einkommensschwache Staaten sollen dann nach klimabedingten Katastrophen und Schäden Gelder erhalten können, um mit den irreparablen Folgen des Klimawandels umzugehen. Deutschland ist mit 100 Millionen US-Dollar weltweit einer der größten Geber und kann sicherstellen, dass die Gelder auch Menschen in Krisenregionen erreichen. Die Bundesregierung sollte weitere Länder ermutigen, finanzielle Beiträge zum Loss and Damage Fund sowie zu anderen Instrumenten mit Fokus auf Konfliktregionen zu leisten. Schwerpunkt liegt hierbei auf solchen, die Frauen und Mädchen fördern, wie die “Women and Climate Security” Initiative des UN Women’s Peace and Humanitarian Fund.

    Instrumente für die Risikoanalyse verbessern

    Um sicherzustellen, dass Gemeinschaften in Konfliktregionen mit den Auswirkungen des Klimawandels zielgerichtet unterstützt werden, braucht es einen neuen Ansatz der Risikoanalyse – nicht nur mit Blick auf wirtschaftliche, sondern auch politische und gesellschaftliche Auswirkungen von Klimaschocks: Wie wirken sich solche plötzlich auftretenden Klimaschocks wie Überflutungen oder Dürren aus, welchen langfristigen Trends sind die Menschen ausgesetzt? Welche Wechselwirkungen gibt es mit der lokalen Politik und Wirtschaft sowie mit bestehenden Konfliktdynamiken? Welche Gruppen innerhalb einer Gesellschaft sind besonders betroffen?

    In der zentralen Sahelzone beispielsweise sind ländliche Gebiete in der Peripherie deutlich stärker vom Klimawandel betroffen als die Hauptstädte. Und das, obwohl sie ähnliche Veränderungen bei Temperaturen, Niederschlägen und extremen Wetterereignissen erleben.

    Das zeigt, wie wichtig bessere Instrumente für die Risikoanalyse sind, nicht nur auf nationaler, sondern auch auf regionaler und kommunaler Ebene. So können Finanzmittel und Programme dorthin gelenkt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden – und nicht nur dorthin, wo sie am einfachsten umzusetzen sind.

    Lösungen mit betroffenen Gemeinschaften entwickeln

    Ein weiterer Schwerpunkt muss darauf liegen, die Widerstandsfähigkeit der Menschen vor Ort zu stärken. Dazu braucht es innovative Ansätze. Viele Organisationen arbeiten an neuen Ansätzen, zu selten aber mit Fokus auf fragile und konfliktbetroffene Regionen und zu selten in Partnerschaft mit den Menschen vor Ort. Für eine langfristige und nachhaltige Veränderung müssen Lösungen jedoch gemeinsam mit den betroffenen Gemeinschaften entwickelt und so umgesetzt werden, dass sie auch in fragilen Konfliktgebieten funktionieren.

    Zwei Beispiele: Klimaschocks wirken sich besonders stark auf die Landwirtschaft und damit die Ernährungssicherheit aus. In Syrien arbeiten wir direkt mit syrischen Bäuerinnen und Bauern zusammen: Gemeinsam testen sie, welches Saatgut auch in extremer Dürre noch sichere Erträge bringt. In Nigeria haben wir mit Behörden sowie Gemeindeleitungen eine digitale Plattform als neues Frühwarnsystem aufgebaut. Diese nutzt lokales Wissen, Daten und Satelliteninformationen, um drohende Überschwemmungen besser vorherzusagen und somit bereits das Risiko zu managen, nicht erst die Krise.

    Dieses vorausschauende Handeln hilft Familien dabei, ihre Nahrungsgrundlage zu sichern und weiterhin in der Landwirtschaft tätig zu sein. Zudem sind gefährdete Haushalte nicht dazu gezwungen, auf kurzfristige Lösungen wie den Verkauf von Vieh zurückzugreifen, um ihre unmittelbaren Lebensgrundlagen zu kaufen.

    Zeit zu Handeln ist jetzt

    2024 wird voraussichtlich ein El-Niño-Jahr werden. Noch mehr Extremwetterphänomene sind zu erwarten, die humanitäre Krisen und weitere Vertreibung auslösen. Die Bundesregierung kann mit ihrer neuen Klimaaußenpolitik-Strategie eine Vorreiterrolle bei der globalen Antwort auf diese Krisen einnehmen. Ob das erfolgreich ist, kann nur daran gemessen werden, ob sie einen echten Unterschied im Leben von all jenen Menschen macht, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Dafür muss die Bundesregierung der Strategie nun konkrete Taten folgen lassen.

    Corina Pfitzner ist Geschäftsführerin der Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) in Deutschland. Mit seiner Arbeit unterstützt das 1933 gegründete IRC vor allem Geflüchtete und andere Menschen, die von Krisen und Kriegen betroffen sind.

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    Dessert

    Billie Eilish und ihr Bruder Finneas haben für in der Kategorie "bester Song" den Oscar in Barbie gewonnen.
    Billie Eilish und ihr Bruder Finneas O’Connell erhielten für ihren Titelsong in Barbie einen Oscar – und auch der Klimawandel bekam darin einen kurzen Auftritt.

    Was haben die rosarote Komödie Barbie, der Action-Kracher Mission ImpossibleDead Reckoning und die Filmbiografie Nyad gemeinsam? Sie haben als einzige der für die Oscars 2024 nominierten Filme den “Klimatest” des gemeinnützigen Beratungsunternehmens Good Energy bestanden. Nur in diesen drei Werken kommt die Klimakrise in irgendeiner Form vor. In allen anderen Filmen spielt sie nicht einmal eine Nebenrolle. Der Klimawandel kam zwischen 2016 und 2020 überhaupt nur in 2,8 Prozent aller Serien und Filme in den USA vor. Das Wort “Hund” liest man in den Drehbüchern 13 Mal häufiger.

    Anders macht es Oscar-Gewinner Adam McKay (Regisseur von Don’t Look Up) mit seinem Yellow Dot Studio. In Kurzfilmen werden Verbrenner parodiert, Ölkonzerne im Stil der Serie The Office über den Tisch gezogen und Game of Thrones wird zur Klimaserie umgeschrieben. Und in Deutschland setzt sich die Initiative Changemakers.film für eine grünere Produktionsweise und ein Storytelling ein, das die Realität der Klimakrise anerkennt. lb

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