Table.Briefing: Climate

Klimabewegung verliert Rückhalt + Skea neuer IPCC-Chef + Offshore Wind wird lukrativ

Liebe Leserin, lieber Leser,

er ist das klassische Beispiel für den alten weißen (und weißhaarigen) Mann: Jim Skea, der neue IPCC-Chef, hat sich gestern im zweiten Wahlgang des UN-Klimarats gegen seine Mitbewerberin Thelma Krug aus Brasilien durchgesetzt. Dafür gab es viele Glückwünsche. Aber Skea hat nun zwei große Aufgaben: Die Arbeit am nächsten Sachstandsbericht über fünf bis sieben Jahre hinweg zu koordinieren. Und den UN-Klimarat diverser, offener und relevanter aufzustellen.

Beides ist dringend nötig: Die Bedeutung des wissenschaftlichen Sachverstands bei der Einordnung von richtigen und falschen Lösungen in der Klimakrise nimmt mit jedem Zehntelgrad mehr Erwärmung zu. Darüber schreiben wir auch wieder in dieser Aufgabe: Verheerende Brände toben am Mittelmeer, die Debatte über ein Abreißen des “Golfstroms” ist wieder aufgeflammt. Daneben werfen wir einen Blick darauf, wie sehr die Offshore-Windenergie inzwischen zu einem lukrativen Geschäft geworden ist. Und wie wichtig wissenschaftliche Fakten, aber auch ihre Umsetzung in der Politik sind, zeigt eine andere Analyse: Die Zustimmung zur Klimabewegung in Deutschland hat sich in zwei Jahren halbiert. Was das für die deutsche Klimapolitik heißt, ist noch völlig unklar.

Für viele Menschen beginnen jetzt die Sommerferien. Durchatmen ist immer gut. Aber eines lässt sich schon sagen: Der neue IPCC-Chef wird in den nächsten Jahren kaum zur Ruhe kommen. Wir auch nicht.

Behalten Sie einen langen Atem!

Ihr
Bernhard Pötter
Bild von Bernhard  Pötter

Analyse

IPCC wählt Jim Skea zum neuen Vorsitzenden

Der britische Physiker und Experte für erneuerbare Energien James “Jim” Ferguson Skea wird für die nächsten fünf bis sieben Jahre als Vorsitzender den UN-Klimarat IPCC leiten. Am Mittwoch stimmte eine Mehrheit der Delegationsvertreter bei der 59. IPCC-Versammlung im kenianischen Nairobi für den Briten. Er wird als neuer Chef das einflussreiche Gremium an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik leiten.

Skea setzte sich gegen drei Mitbewerber durch, zuletzt im zweiten Wahlgang gegen die Mathematikerin und Klimaforscherin Thelma Krug aus Brasilien mit 90 zu 69 Stimmen. Nach dem ersten Wahlgang waren der Belgier Jean-Pascal von Ypersele und die Südafrikanerin Debra Roberts ausgeschieden. Zum ersten Mal in der Geschichte des Gremiums hatten zwei Frauen für den prestigeträchtigen Posten als IPCC-Vorsitzende kandidiert.

Prioritäten: Inklusion, relevante Wissenschaft, Einbindung der Politik

Jim Skea ist beim IPCC und in der Politik kein Unbekannter: Seit 40 Jahren ist der 69-Jährige, der am Imperial College in London als Professor für nachhaltige Energie lehrt, in der Klimawissenschaft aktiv, seit 30 Jahren beim IPCC. Zuletzt leitete er als Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III (Mitigation of Climate Change) die Arbeit an diesem Teil des 6. IPCC-Sachstandsberichts. Zuvor schrieb er maßgeblich am einflussreichen “1,5-Grad-Bericht” des IPCC von 2018 und am Sondergutachten zur Landnutzung 2019 mit.

Skea erklärte nach seiner Wahl seine Prioritäten für die Arbeit, zu der unter anderem die Erstellung des 7. Sachstandsberichts gehört. Er will:

  • die “inklusive Beteiligung und Zusammenarbeit über alle Regionen hinweg sicherstellen”
  • die Nutzung der “besten und relevantesten Wissenschaft” vorantreiben
  • die Bedeutung und die Wirkung des IPCC durch die Einbindung von Politik-Entscheidern und Betroffenen maximieren.

Skea hatte in seiner Bewerbung seine Erfahrung an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft herausgestellt – an dieser Schnittstelle arbeitet auch der IPCC. Denn die Organisation rekrutiert sich zwar aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vieler Fachrichtungen aus der ganzen Welt, stimmt aber alle ihre Berichte bis ins letzte Detail mit Vertretern der jeweiligen Regierungen ab. Auch die Kandidaten für IPCC-Posten werden offiziell von ihren Herkunftsländern nominiert, Skea also von der britischen Regierung.

Erfahrung im Umgang mit der Politik

Tatsächlich bewegt sich der Brite mit seinem markanten weißen Haarschopf und Bart und seinem höflichen Auftreten sicher auf dem diplomatischen und politischen Parkett. Er ist einer der Gründerväter des britischen Committee on Climate Change” (CCC), eines unabhängigen Expertengremiums, das vom britischen Parlament eingerichtet wurde. Regelmäßig bewertet und ermahnt das CCC die mehr oder weniger erfolgreiche Klimaschutzpolitik der Londoner Regierung – gerade wieder 2023 als zu langsam und zu wenig ambitioniert: London habe seine Rolle als Vorreiter beim Klimaschutz verloren, hieß es.

Jim Skea folgt im Amt auf den Südkoreaner Hoesung Lee. In dessen Amtszeit fielen zwar wichtige Berichte wie 2018 der 1,5-Grad-Bericht, der nach dem Pariser Abkommen von 2015 die untere Schwelle der maximalen Erderwärmung bis 2100 genauer definierte und damit zu einer allgemein anerkannten Zielmarke machte. Der IPCC-Chef selbst wurde aber nicht zu einer prägenden Figur. Er hatte von seinem Vorgänger, dem Inder Rajendra Pachauri, ein Gremium geerbt, das zwar 2007 den Friedens-Nobelpreis bekommen hatte, sich aber durch Angriffe von außen, interne Fehler und den Vorwurf von sexuellen Übergriffen durch Pachauri in eine schwierige Lage gebracht hatte.

Aufgabe: IPCC öffnen und Lösungen bieten

Skeas Aufgaben werden intern im IPCC und extern im nächsten Berichtszyklus liegen. Seine Erklärung lässt darauf schließen, dass er weiß, wie wichtig die Öffnung des Gremiums zu mehr Diversität und Inklusion ist: Mehr Frauen in den Gremien, aber auch mehr indigenes Wissen, das in die Berichterstattung einfließt. Bereits die letzten IPCC-Berichte hatten solche Zeichen gesetzt: Indigenes Wissen etwa wurde ähnlich behandelt wie klassische wissenschaftliche Literatur. Skea wird auch auf Kritik eingehen müssen, die Wissenschaft sei zu sehr vom globalen Norden dominiert, es gebe zu wenig Studien und Messpunkte in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Immer wieder gab es auch laute und leise Kritik an der internen Organisation des IPCC in Genf.

Auf der IPCC-Sitzung, die noch bis Freitag dauert, stehen noch viele weitere Wahlen an: Skeas Stellvertreterinnen oder Stellvertreter, die Redaktionsleitungen für die verschiedenen Kapitel des nächsten, siebten IPCC-Berichts, insgesamt 34 Posten. Dazu kommen noch 12 Mitglieder der Task Force Bureau on National Greenhosue Gas Inventories (TFI)

Dann beginnt der Prozess für den nächsten IPCC-Bericht AR7, der in fünf bis sieben Jahren seinen Abschluss finden soll. Viele Stimmen aus dem Gremium wünschen sich, dass diese Bestandsaufnahme nicht nur die wissenschaftlichen Daten zusammenträgt. Es sollten auch eher Lösungen skizziert werden und geklärt werden, wie sie in den jeweiligen Ländern und Gesellschaften durchgesetzt werden können.

Deutschland: Unterstützung für Klimabewegung drastisch gesunken

Die Klima- und Umweltbewegung genießt in der deutschen Bevölkerung derzeit deutlich weniger Unterstützung als noch vor zwei Jahren. Zu dem Schluss kommt die gemeinnützige Organisation “More in Common” in einer aktuellen Befragung.

Die Kritik der Befragten scheint sich dabei jedoch vor allem gegen konkrete Protestformen zu richten, etwa gegen die Aktionen der Letzten Generation – und (noch) nicht gegen die Notwendigkeit von Klimaschutz an sich. In zusätzlich zur Befragung durchgeführten Interviews hätten viele “die grundsätzliche Notwendigkeit von starken Aktionen für den Klimaschutz durchaus anerkannt” und die Straßenblockaden “auf dieser Ebene teils verteidigt”, schreibt “More in Common”. Daraus zieht die Organisation den Schluss: “Es ist vielen Menschen möglich, die konkreten Proteste in ihrer Machart abzulehnen und dennoch um die Bedeutung von Klimaengagement zu wissen.”

Warnung vor Kulturkampf

Um die Ergebnisse zu diskutieren, lädt “More in Common” Interessierte für den 27. Juli zu einem Webinar. In einer ersten eigenen Interpretation der Daten warnt die Organisation davor, dass die Klimadebatte zum Kulturkampf werden könne, etwa entlang der “vermeintlichen Trennlinie zwischen Aktivistinnen einerseits und pendelnden Arbeitnehmern andererseits”. Das könne das positive Potenzial für den Klimaschutz beschädigen, das es in den Köpfen der Menschen gebe.

Schon jetzt nähmen viele die Klimapolitik als gegen die “einfachen Leute” gerichtete “Verlust- und Sanktionierungspolitik” wahr und sähen nicht die positiven Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Organisation sieht verschiedene Wege, einen Kulturkampf zu vermeiden: zum Beispiel, wenn die Klimapolitik den “Glauben an die kollektive Handlungsfähigkeit” vermittle und daran, dass “wirklich alle ihren fairen Beitrag leisten”. Gerade in Zeiten der Krise und steigender Preise sei es sehr wichtig, dass Klimaschutz positive Vorstellungen von der Zukunft vermitteln könne. “Dabei geht es nicht um Schönfärberei”, denn die meisten Menschen wüssten bereits, “dass sich Dinge an unserer Lebensweise ändern werden”. Gerade deshalb bräuchten sie “positive, Zuversicht stiftende Zielbilder”.

Unterstützung sinkt in allen gesellschaftlichen Gruppen

Die Ergebnisse der Befragung im Detail:

  • Nur noch 34 Prozent der Befragten sagen, dass die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland “grundsätzlich meine Unterstützung hat”. Das ist halb so viel wie vor zwei Jahren.
  • Auffällig ist dabei: Die Unterstützung sinkt recht gleichmäßig über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg – also auch in Bevölkerungsgruppen, die der Bewegung generell eher nahestehen. “More in Common” unterscheidet in seiner Forschung zwischen sechs gesellschaftlichen Typen anhand ihrer Werte und Grundüberzeugungen.
  • Der Aussage “Die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland hat das Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick” stimmen nur noch 25 Prozent zu. Vor zwei Jahren waren es noch 60 Prozent.
  • Offenbar wirkt die Klimabewegung nicht mehr so einladend auf die Menschen wie noch vor zwei Jahren, und ihre Fähigkeit zum Dialog wird stärker angezweifelt. Der Anteil derer, die finden, dass die Klima- und Umweltbewegung “offen dafür ist, dass Leute wie ich bei ihr mitmachen”, ist seit 2021 um mehr als die Hälfte gefallen. Ebenso stark ging der Anteil jener zurück, die der Ansicht sind, dass die Bewegung eine “verständliche Sprache” spreche.
  • Aktuell finden 85 Prozent der Befragten, dass die Klima- und Umweltbewegung “häufig mit ihren Protestaktionen zu weit” gehe. Vor zwei Jahren war es noch rund die Hälfte. Auch hier gibt es, anders als noch 2021, über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg eine breite Mehrheit. Es herrsche “eine neue Einhelligkeit beim Negativurteil“, schreibt “More in Common”.
  • Nur acht Prozent äußerten Verständnis für die Aktionen der Letzten Generation.
  • In den zusätzlich zur Befragung durchgeführten persönlichen Interviews sehen viele besonders kritisch, dass die “Aktionen die Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrem Alltag treffen” sollen.

Weitere Studien bestätigen Befunde

“More in Common” kommt damit zu ähnlichen Ergebnissen wie andere kürzlich vorgelegte Studien. Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) berichtete beispielsweise Ende Juni: Radikale Klimaproteste, also Straßenblockaden oder Angriffe auf Kunstwerke, fänden bei der Mehrheit der Menschen in Deutschland keine Unterstützung. Doch auf die Zustimmung zu klimapolitischen Maßnahmen an sich wirkten sich die radikalen Aktionen “kurzfristig” nicht aus.

Auch im Anfang Juli veröffentlichten Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer sah mit 59 Prozent eine Mehrheit der Befragten die Klimaproteste eher kritisch. Zwei Drittel fürchteten, die Proteste könnten die gesellschaftliche Unterstützung für Klimaschutz gefährden. Fast die Hälfte glaubte eher nicht an ihre politische Wirksamkeit.

“More in Common”: gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern

“More in Common” arbeitet in den USA, dem Vereinigten Königreich und Frankreich. In Deutschland ist die Organisation in Form eines von Stiftungen finanzierten, gemeinnützigen Vereins aktiv. Die Organisation versteht sich als parteipolitisch unabhängig. Ihr Ziel ist es, Polarisierung und Spaltung zu bekämpfen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Dazu führt sie auch eigene Forschung durch.

Für die aktuelle Erhebung befragte “More in Common” gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Kantar Public vom 9. bis 24. Mai 2023 rund zweitausend Menschen ab 18 Jahren in einem Online-Verfahren, das die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppe möglichst zuverlässig abbilden soll, nach ihrem Blick auf die Klimabewegung. Vor zwei Jahren hatte die Organisation ihre erste Studie zum Blick der Deutschen auf den Klimaschutz vorgelegt.

  • Energiewende
  • Klimapolitik
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Wasserstoff-Strategie: Details zu Klima und Entwicklung noch unklar

Die Bundesregierung hat am Mittwoch ihre neue Wasserstoffstrategie vorgestellt. Damit will sie die Versorgung Deutschlands mit diesem Energieträger sicherstellen und gleichzeitig eine nachhaltige Wirtschaft in den Kooperationsländern befördern. Allerdings fehlen noch konkrete Leitplanken, wie diese Ziele in Einklang zu bringen sind.

Die Versorgung mit “nachhaltigem und klimaneutralen Wasserstoff” gilt in der jetzt beschlossenen Überarbeitung der Strategie von 2020 als “unabdingbar” für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045. Gleichzeitig will die Bundesregierung in den Partnerländern “maximale Synergien mit einer lokalen sozial-ökologischen Gesellschafts- und Wirtschaftstransformation und Energiewende sowie den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) sicherstellen”.

Die Kooperation mit Partnerländern ist wichtig: 2030 sollen etwa 50 bis 70 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs importiert werden soll. Den Gesamtbedarf schätzt die Strategie auf 95 bis 130 Terawattstunden (TWh). Um 50 bis 90 Terawattstunden importieren zu können, muss auch in den Exportländern eine Wasserstoffwirtschaft entstehen.

Wasserstoffwirtschaft als “wirklicher Gamechanger” für die SDGs?

Im BMZ zeigt man sich überzeugt von den entwicklungspolitischen Potenzialen. Die Wasserstoffwirtschaft könne “ein wirklicher Gamechanger für die Umsetzung der Agenda 2030 werden”, sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit Blick auf die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs). Man müsse Nachhaltigkeit von Anfang an in den Strategien mitdenken, so Flasbarth. Wasserstoff könne zur Dekarbonisierung und Diversifizierung der Industrien in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern beitragen.

Das BMZ mahnt dann auch an, Risikofaktoren zu beachten, um negative Folgen der Wasserstoffproduktion in den Partnerländern zu vermeiden:

  • Die Wasserstoffproduktion dürfe nicht dazu führen, dass fossile Kraftwerke länger laufen müssten,
  • deshalb müsse man die Energiewende in den Partnerländern voranbringen.
  • Wenn die Nutzung von Wasserstoff in den Herkunftsländern insgesamt mehr Emissionen einspare, müsste diese lokale Wasserstoffnutzung “priorisiert werden”.
  • Eine nachhaltige Wasser- und Flächennutzung müsse sichergestellt werden und Wasserstoff-Projekte dürften nicht zu höheren Energiekosten im Partnerland führen. Davor warnt auch Christoph Heinemann, Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz, beim Öko-Institut. “In Staaten, die bisher kaum Windenergie nutzen, wie beispielsweise in Marrokko, könnte es zu einem Wettlauf um die besten Standorte kommen.” Sichern sich Wasserstoff-Projekte diese Standorte, könne “die Energiewende für das Inland teurer und eventuell verzögert werden”, so der Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz am Öko-Institut.
  • Auch der Nationale Wasserstoffrat hatte schon vor Risiken wie Wasserknappheit, Landnutzungskonflikten, Verschuldung und Energiearmut gewarnt, die bei Projekten in Partnerländern beachtet werden müssten.

Eine Strategie, um diesen Risiken zu begegnen, gibt es bislang noch nicht. Flasbarth räumt ein, man könne den positiven Nutzen einer Wasserstoffwirtschaft nicht “100 Prozent sicherstellen”, aber man müsse die Politik darauf ausrichten. Konkreter solle das in der Wasserstoff-Importstrategie ausgearbeitet werden, die soll bis Ende des Jahres erarbeitet werden.

Zudem will die Bundesregierung auf G7/G20-Ebene für “Good Governance-Standards” werben, um die angestrebten positiven Effekte einer Wasserstoffwirtschaft zu erreichen – allerdings konnten sich die G20-Energieminister am Wochenende nur auf sehr vage gemeinsame Positionen zum Thema grüner Wasserstoff einigen.

Kritiker fürchten “signifikantes Risiko”

“Es besteht ein signifikantes Risiko, dass die Wasserstoffprojekte nicht den versprochenen Nutzen für produzierende Länder bringen”, sagt Leonie Beaucamp, Referentin für erneuerbare Energien und Wasserstoff bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch gegenüber Table.Media. “Der zeitliche und preisliche Druck, der durch den Hochlauf des globalen Wasserstoffhandels aufgebaut wird, kann sich negativ auf die Erfüllung der lokalen Bedürfnisse auswirken. Deshalb sollten in den Importstrategien strenge Nachhaltigkeitsstandards festgeschrieben werden.”

Auch Christoph Heinemann vom Öko-Institut mahnt: “Auf die Wasserstoffstrategie muss nun die Ausarbeitung von konkreten Kriterien folgen, die positive Effekte wie den Ausbau der Erneuerbaren oder die Verbesserung der Wasserversorgung in den Partnerländern anreizen.” Konkret könne die Bundesregierung solche Kriterien bei der Bewilligung von Fördergeldern und der Ausschreibung neuer Projekte vorschreiben.

Grüne Vorgaben seien auf dem Weltmarkt nicht unbedingt ein Wettbewerbsnachteil für Europa. “Bei Pipeline-Distanzen, also beispielsweise Importen aus Staaten in Nordafrika, ist der Kostenvorteil beim Transport so groß, dass die Fokussierung sehr stark auf den Markt Europa sein wird und strengere Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden müssten”, sagt Heinemann.

29 Partnerschaften, Kooperationen und Allianzen

Die Bundesregierung will laut Strategie zum Wasserstoff mit einer Reihe von Ländern “grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten” aufbauen. Derzeit gibt es solche Allianzen mit 29 Partnerstaaten verschiedener Ausrichtung. Ein erster Überblick zeigt die verschiedenen Kategorien:

  • Abkommen zum Import von Wasserstoff oder Derivaten gibt es mit Kanada und Namibia (erste Lieferung ab 2025 bzw. 2026).
  • Vereinbarungen zum Bau von Anlagen: Eine Referenzanlage in Marokko (100 MW Elektrolyseleistung) und PtX-Pilotanlage in Tunesien (10MW). In Chile fördert das BMWK ein Projekt zur Herstellung von eFuels aus Wasserstoff und CO₂ (“Haru Oni”).
  • Abmachungen zum technischen und wissenschaftlichen Austausch über H2-Produktion, -Transport oder Dekarbonisierung der Industrie unter anderem mit Algerien (BMZ-Projekt: 6 Millionen Euro), Israel, Japan, Saudi-Arabien, Türkei, Indien VAE, USA, Australien und Südkorea.
  • Austausch über nationale Wasserstoffstrategien etwa mit Brasilien, Kasachstan, VAE, Algerien oder Mexiko und Südafrika, teilweise gefördert über BMZ-Projekte.
  • Gespräche über Standards zur H2-Produktion mit China, sowie erste Projekte deutscher Unternehmen (Oman).
  • Austausch über mögliche H2-Potenziale mit Jordanien, Neuseeland und Katar.
  • Büros für Wasserstoffdiplomatie, die das Auswärtige Amt in Angola, Nigeria, Russland (Arbeit ausgesetzt), Saudi-Arabien, Ukraine (in Vorbereitung) und Kasachstan eingerichtet hat.

Viele Projekte sind noch in der Planungsphase. Trotzdem gibt es auch bei vermeintlichen Vorzeigeprojekten schon Kritik. “Das HYPHEN Projekt in Namibia wird oft als Vorbildprojekt kommuniziert bezüglich der lokalen Entwicklungsmöglichkeiten. Zugleich werden hier bei genauerem Hinsehen aber auch Schwachstellen sichtbar. So fehlt es beispielsweise an Transparenz und Präsenz der Zivilgesellschaft in der Planung und auf dem Weg zur Implementierung des Projekts“, sagt Beaucamp von Germanwatch.

BMZ: 270 Millionen, um private Investitionen zu hebeln

Das BMZ hat zudem einen mit 270 Millionen Euro ausgestatteten “PtX-Entwicklungsfonds” aufgelegt, der im Herbst 2023 mit ersten Ausschreibungen an den Markt gehen soll. Über den Fonds sollen private Investitionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro “entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette in den Partnerländern” gehebelt werden, so Jochen Flasbarth. Mit dem Förderprogramm H2Uppp unterstützt das BMWK zudem den Markthochlauf von grünem Wasserstoff und Derivaten in 15 Staaten, darunter Brasilien, Südafrika, Türkei, Indien und Nigeria.

  • Dekarbonisierung
  • Deutschland
  • Industrie
  • Nachhaltigkeitsstandards
  • Wasserstoff

Offshore-Wind wird lukratives Geschäftsmodell

Offshore-Windkraftanlage bei Kopenhagen in der Ostsee.

Offshore-Windparks werden inzwischen in einigen Strommärkten ohne staatliche Förderung gebaut. Deshalb haben erste Länder nun angefangen, bei Ausschreibungen von Offshore-Windparks auch “negative Gebote” zuzulassen. Das bedeutet: Die Projektierer verzichten nicht nur auf garantierte Einspeisevergütungen – sie legen sogar noch Geld obendrauf, um den Zuschlag zu bekommen.

In Deutschland (mit rund acht GW installierte Leistung derzeit weltweit auf Platz 3 bei Offshore-Kapazitäten) wurden soeben vier Flächen in Nord- und Ostsee gegen Milliardenzahlungen vergeben. BP darf zwei Parks mit jeweils zwei Gigawatt installierter Leistung rund 120 Kilometer nordwestlich von Helgoland bauen und bezahlt dafür knapp 6,8 Milliarden Euro. Den Zuschlag für einen weiteren Windpark in derselben Nordseeregion sowie einen kleineren in der Ostsee bekam TotalEnergies für gut 5,8 Milliarden Euro. Die Parks sollen ab 2030 Strom produzieren.

Deutschland, Dänemark, Litauen als Vorreiter

Der europäische Branchenverband WindEurope berichtet von zwei weiteren Ländern, in denen bisher Ausschreibungen mit negativen Geboten stattfanden: in Dänemark und kürzlich in Litauen. Zulässig sind negative Gebote inzwischen auch in den Niederlanden. 

Das erste Mal ergaben sich in Dänemark negative Ausschreibungsergebnisse. Nach der Auktion für den Offshore-Windpark Thor im vergangenen Jahr sprach das Dänische Ministerium für Klima, Energie und Versorgung von einem “neuen Kapitel beim Ausbau der dänischen Windenergie”. Der Windpark und seine Anbindung an Land werden nämlich erstmals ohne staatliche Beihilfen gebaut: RWE als erfolgreicher Bieter wird für das Projekt mit einem Gigawatt installierter Leistung rund 375 Millionen Euro an den Staat abführen müssen.

Auch Litauen akzeptiert inzwischen negative Gebote, und hat auch schon ein Projekt auf dieser Basis vergeben, wie WindEurope berichtet. Jüngst bekam dort ein Konsortium einen Zuschlag, das 20 Millionen Euro geboten hatte, um einen Windpark mit 700 Megawatt bauen zu dürfen. Die Gebote in Deutschland zeigen ganz neue Dimensionen: Die Konzerne BP und TotalEnergies geben für ihre sieben Gigawatt in Deutschland 12,6 Milliarden Euro aus – bezogen auf die Leistung also gut das 60-fache des litauischen Betrags.

Nicht anwendbar auf den größten Märkten China und UK

Offshore-Wind als ein so gutes Geschäftsmodell, dass Firmen für die Lizenzen viel Geld auf den Tisch legen: Das funktioniert bisher allerdings nur in ausgewählten Märkten, denn die Rahmenbedingungen sind international unterschiedlich: Im weltgrößten Markt China (Bestand Offshore-Windkraft aktuell: rund 30 GW) geben die Unternehmen Gebote ab für staatliche Vergütungen, die sich an einem Kohlestrom-Index bemessen, wie die Beratungsagentur Trivium China erklärt. Die Zuschläge liegen dabei unterhalb des Preises von Kohlestrom. Ein Vergleich mit der Situation in Europa ist aber kaum sinnvoll, weil in China die Strommärkte noch lange nicht so entwickelt sind, wie hierzulande.

Im größten europäischen Markt, in Großbritannien (aktuell: 14 GW), stoppte Vattenfall soeben sein 1,4-Gigawatt-Projekt Norfolk Boreas, wie das Unternehmen bei der Vorstellung seiner Halbjahreszahlen mitteilte. Die Baukosten seien inzwischen so sehr gestiegen, dass der Investor die einst gewährte Festvergütung von 37,35 Pfund (rund 43 Euro) pro Megawattstunde nunmehr als unzureichend erachtet.

“Negative Gebote” in Deutschland unvermeidbar

In Deutschland kam jetzt das Konzept der “negativen Gebote” erstmals zum Zug. Der Grund: Es war einfach unvermeidbar geworden. In der Vergangenheit erhielten jene Akteure den Zuschlag, die ihren Strom zu den günstigsten Konditionen anboten. Zwischenzeitlich aber wurden Gebote zu 0 Cent fast die Regel – die meisten Unternehmen verzichten also längst auf garantierte Vergütungen. Um zwischen den Null-Cent-Angeboten zu entscheiden, wurde im Windenergie-auf-See-Gesetz unter dem Stichwort “dynamisches Gebotsverfahren” eine zweite Auktionsrunde verankert. In dieser bekommt den Zuschlag, wer – nach seinem ersten Null-Cent-Gebot – die größte Summe obendrauf legt.

Die Milliarden, die der Staat auf diese Weise einnimmt, sind zweckgebunden. 90 Prozent des Geldes werden zur Senkung der Offshore-Netzumlage eingesetzt, mit der die Anbindung der Offshore-Windparks finanziert wird. Sie wird über die Stromrechnung von den Verbrauchern bezahlt. Zehn Prozent der Einnahmen gehen außerdem in den Bundeshaushalt und müssen je zur Hälfte “für Maßnahmen des Meeresnaturschutzes” und “für Maßnahmen zur umweltschonenden Fischerei einschließlich Fischereistrukturmaßnahmen” eingesetzt werden

Gutes Geschäft könnte teuer für Kunden werden

Dass bei der deutschen Ausschreibung ausschließlich “zwei finanz- und eigenkapitalstarke Giganten aus dem Öl- und Gassektor” als Bieter erfolgreich waren, sorgt seitens der Stiftung Offshore-Windenergie für Kritik. Die beiden Unternehmen wollen fast so viel Leistung aufbauen, wie es bisher in deutschen Gewässern insgesamt gibt. Im kommenden Jahr sollen weitere acht bis neun Gigawatt ausgeschrieben werden. Sollte bis dahin das Auktionsdesign nicht überarbeitet werden, bestehe “die Gefahr eines Oligopols im deutschen Offshore-Wind-Markt”, beklagt die Stiftung. Die Politik müsse darauf achten, “die Akteursvielfalt zu erhalten”.

Kritik kommt auch vom Verband WindEurope. Zwar liege die Verlockung, ein Ausschreibungsdesign mit negativen Geboten einzuführen, auf der Hand, weil man keine Fördergelder mehr brauche und sogar Einnahmen für den Staatshaushalt generiere. “Das erscheint auf den ersten Blick günstig, ist aber leider ein Trugschluss”, sagt dessen Sprecher Christoph Zipf. Denn die Projektentwickler müssten diese Kosten weitergeben. Das treibe entweder die Strompreise oder die Investoren müssten “die Kosten an die Wertschöpfungskette weitergeben.” Das geschehe dann “auf Kosten der Hersteller und Zulieferer, die ohnehin schon rote Zahlen schreiben oder nur sehr geringe Margen haben”.

Dass das Thema nun just nach der deutschen Ausschreibung hochkocht, liegt schlicht daran, dass die Gelder, die in den deutschen Seegebieten bezahlt werden, ungewöhnlich üppig sind. Legt man die Milliardenbeträge auf die zu erwartenden Stromerträge um, ergibt sich bei einer angenommenen Betriebszeit der Turbinen von 20 Jahren ein Wert von rund zwei Cent je Kilowattstunde.

Entscheidend: Der Börsen-Strompreis

Die Unternehmen spekulieren also auch langfristig auf ein Preisniveau am Strommarkt, das es ihnen ermöglichen wird, ihren Strom trotz der hohen Prämien gewinnbringend zu verkaufen. In jüngster Zeit waren die Bedingungen in dieser Hinsicht jedenfalls gut: Die monatlich gemittelten Marktwerte für Windstrom auf See lagen im Jahr 2023 bisher zwischen rund acht und elf Cent je Kilowattstunde.

Aber die Marktwerte schwanken stark – und das ist nun das Risiko der Investoren. Sehr attraktiv war der Markt für Stromerzeuger im Jahr 2022, als man mit Offshore-Windstrom an der Börse im Durchschnitt 18,3 Cent je Kilowattstunde erlösen konnte. Im Jahr 2021 waren es ebenfalls noch solide neun Cent gewesen, im Corona-Jahr 2020 hingegen hatte der Marktwert von Offshore-Windstrom bei ruinösen 2,7 Cent gelegen.

Die Unternehmen, die heute ohne staatliche Mindestvergütung und mit satten Zahlungen an den Staat in einen Offshore-Windpark investieren, müssen also vor allem eines haben: Vertrauen in weiterhin hohe Marktpreise an der Strombörse.

  • China
  • Deutschland
  • Windkraft
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Termine

25. bis 28. Juli, Nairobi
Wahlen IPCC Wahlen
Auf seiner 59. Sitzung, die vom 25. bis 28. Juli 2023 in Nairobi, Kenia, stattfindet, wählt der IPCC einen neuen Vorsitzenden und ein neues Team für den 7. Sachstandsbericht, der in den nächsten Jahren erstellt wird. Infos

27. Juli, 10 Uhr, Online
Webinar Wie schaut die deutsche Gesellschaft derzeit auf die Klimabewegung?
Aktuelle Daten zeigen, dass sich das gesellschaftliche Bild der Klimabewegung verändert hat. Die Initiative More in Common stellt ihre Forschungsergebnisse dazu vor. Infos & Anmeldung

27. Juli, 14 Uhr, Online
Webinar Raising public awareness of energy efficiency for a people-centred clean energy transition in Africa
Diese Veranstaltung der Internationalen Energie Agentur (IEA) wird sich auf die Rolle konzentrieren, die Bildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen bei der Verbesserung der Energieeffizienz und Energieverbrauchspraktiken in Afrika spielen können. Infos

27. Juli, 16.45 Uhr, Bonn
Exkursion Nachhaltige Wärme aus Grundwasser
Im Winter warm, im Sommer angenehm kühl: Die geologischen Gegebenheiten am “Bonner Bogen” ermöglichen eine ökologische und innovative Versorgung der Gebäude auf dem Campus – durch das Speichern von Energie in einem sogenannten Aquifer. Die Geothermieanlage ist eine der größten, oberflächennahen Einrichtungen dieser Art in Deutschland. Wie sie funktioniert, wird in dieser Veranstaltung vorgestellt.  Infos

27. Juli, 19.30 Uhr, Leipzig
Vortrag & Diskussion Grüner Kapitalismus? Kritik am Green New Deal und links ökologische Alternativen
Der Referent Peter Bierl gibt auf der Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen kurzen Überblick über linke Positionen zur Umweltkatastrophe und stellt einige Überlegungen für eine sozialistisch-ökologische Perspektive vor. Infos

28. Juli, Chennai, Indien
Treffen Environment and Climate Sustainability Ministers Meeting
Die für Umwelt und Klima zuständigen Minister und Ministerinnen treffen sich im Kontext der G20 in Indien. Infos

1. August, 19 Uhr, Wuppertal
Diskussion Klimagerechte Kreislaufwirtschaft
Die Podiumsdiskussion mit Kathrin Henneberger, MdB (Grüne), und Gregor Kaiser vom Wuppertal Institut widmet sich der Frage, wie Kreislaufwirtschaft und Klimagerechtigkeit zusammenpassen.  Infos & Anmeldung

2. August, 13 Uhr, online
Workshop Green AI im Fokus: Nachhaltigkeitsreporting im Mittelstand
Auch wenn derzeit viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) noch nicht zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen verpflichtet sind, ergeben sich dennoch viele Vorteile, solch relevante Daten zu erfassen. Der Workshop des Bundesumweltministeriums erläutert, wie das ablaufen kann. Infos

2. August, 15 Uhr, Online
Seminar Optionen für den maritimen Klimaschutz – Technologien und Kraftstoffe
Bei dem Webinar von Agora Verkehrswende wird diskutiert, wie die Emissionen im Schiffsverkehr gesenkt werden können. Infos

3. August, 10 Uhr, Online
Webinar Aktueller Stand Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung
Die Komplexität der Nachhaltigkeitszertifizierung von Biogasanlagen führt bei zahlreichen Betreibern immer noch zu Unsicherheiten bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsanforderungen. Diese werden im Rahmen eines einstündigen Webinars des Fachverbands Biogas aufgegriffen. Infos

News

Klima in Zahlen: Europas Waldbrände 2023 unter Zehn-Jahres-Durchschnitt

Die derzeitigen Nachrichten über die Waldbrände in Europa können den Eindruck vermitteln, dass der halbe Kontinent brenne. Gemessen an der verbrannten Fläche waren die Brände 2023 bisher allerdings weniger verheerend als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Der Kurve der kumulierten verbrannten Fläche im Jahr 2023 liegt sogar recht nah am Minimum-Wert, der seit 2012 gemessen wurde. Auch bei der Anzahl der Brände ist das Jahr 2023 unterdurchschnittlich. Bis zum 22. Juli hat es in Europa 16.407 Brände gegeben. Das ist der niedrigste Wert seit 2012.

Betrachtet man allerdings beispielsweise nur Griechenland, liegt das Jahr 2023 deutlich über dem Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2022. Auch in Deutschland liegt die verbrannte Fläche 2023 bislang mit 900 Hektar über dem bisherigen Durchschnitt von 429 Hektar.

Unstrittig ist, dass der menschengemachte Klimawandel für die extreme Hitze verantwortlich ist, die die Waldbrände sowohl in Europa als auch in Teilen Afrikas, Amerikas und Asiens stark begünstigt hat. Die Rekordtemperaturen im Juni und Juli in Südeuropa wären ohne den CO₂-Ausstoß der Menschen “praktisch unmöglich gewesen”, schreibt die World Weather Attribution (WWA), eine akademische Initiative, die untersucht, ob und wie stark Extremwetterereignisse durch den Klimawandel beeinflusst werden.

Demnach wären die kürzlichen Hitzewellen weltweit ohne den Klimawandel deutlich kühler ausgefallen. Die Hitzewellen in Südeuropa seien um 2,5 °C wärmer als sie es ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel wären, so die WWA. luk

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Kritik an Studie zum Golfstrom-Kollaps

Die Nachricht schockierte die Öffentlichkeit: Die Atlantische Umwälzströmung (AMOC), die mit dem Golfstrom verbunden ist, könnte bereits Mitte des Jahrhunderts zusammenbrechen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuell in der Fachzeitschrift “Nature Communications” veröffentlichte Studie. Doch mehrere Forschende äußern Kritik an der methodischen Vorgehensweise.

Die in der Studie “so zuversichtlich vorgetragene Aussage, es werde im 21. Jahrhundert zum Kollaps der AMOC kommen, steht auf tönernen Füßen”, sagt etwa Jochem Marotzke, Direktor der Forschungsabteilung Ozean im Erdsystem am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Er kritisiert: Die Studie arbeite mit vereinfachten Modellen, die das tatsächliche Verhalten der AMOC womöglich nicht korrekt wiedergäben. Zudem gebe es “erhebliche Zweifel” daran, ob die gemessene Oberflächentemperatur, mit der die Studie arbeite, als Basis für derart weitreichende Interpretationen ausreichend sei.

Auch Johanna Baehr, Leiterin Klimamodellierung am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg, sagt: Die Arbeit werde “der Komplexität des Klimasystems in vielerlei Hinsicht nicht gerecht”. Ein abrupter Zusammenbruch der AMOC sei “nach wie vor – wie im 6. IPCC-Sachstandsbericht beschrieben – in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.”

Zentrales Kippelement im Klimasystem

Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hingegen bewertet die Studie positiv. Sie ergänze die Evidenz dafür, dass der Kipppunkt der AMOC “viel näher ist, als wir noch vor ein paar Jahren dachten”, sagt Rahmstorf. Zwar könne eine einzelne Studie nur begrenzte Beweise liefern. “Aber wenn mehrere Ansätze zu ähnlichen Schlussfolgerungen führen, muss dies sehr ernst genommen werden. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt nun, dass wir nicht einmal ausschließen können, dass wir bereits in den nächsten ein oder zwei Jahrzehnten einen Kipppunkt überschreiten.”

Die AMOC gilt als ein zentrales Kippelement im Klimasystem der Erde. Sie besteht aus mehreren Meeresströmungen im Atlantik, die an der Meeresoberfläche warmes, salzhaltiges Wasser nach Norden bringen, während in der Tiefe kaltes, salzärmeres Wasser nach Süden fließt. Der Zusammenbruch dieses Strömungssystems hätte erhebliche Auswirkungen auf das Klima vor allem der Nordhalbkugel.

Angetrieben wird die AMOC insbesondere durch unterschiedliche Temperaturen und Salzgehalte des Wassers in verschiedenen Breitengraden und Tiefen des Ozeans. Doch weil durch die Schmelze des Grönlandeises stetig mehr Süßwasser in den Nordatlantik gelangt, schwächt sich dieser Antrieb ab. Darüber herrscht in der Klimaforschung praktisch Konsens: Der aktuelle Sachstandsbericht des IPCC stuft eine Abschwächung der AMOC im 21. Jahrhundert als “sehr wahrscheinlich” ein.

Die Forschung ist sich allerdings nicht einig darüber, wie groß die Gefahr eines völligen Zusammenbruchs der AMOC in naher Zukunft ist. Auch der IPCC rechnet nicht mit einem Zusammenbruch im 21. Jahrhundert – und warnt dennoch davor, dass ein solcher Kollaps durch unerwartete große Einträge von Schmelzwasser aus Grönland ausgelöst werden könnte. ae

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Exportkredite: BMWK hat Vetorecht bei Gasprojekten

Nach monatelangem Streit hat sich die Bundesregierung auf klimapolitische Leitlinien für die Vergabe von staatlichen Exportkreditgarantien (auch bekannt als Hermes-Bürgschaften) geeinigt. Umstritten war vor allem, ob künftig noch neue Gas-Förderprojekte im Ausland finanziert werden dürfen. Weil Deutschland sich bei der Klimakonferenz in Glasgow zum Ausstieg aus der Finanzierung neuer fossiler Projekte verpflichtet hatte, wollten die Grünen diese ausschließen. Bundeskanzler Olaf Scholz drängte dagegen unter Berufung auf einen G7-Beschluss auf Ausnahmen, um Projekte wie die Erschließung eines neuen Gasfeldes im Senegal zu ermöglichen, für das er sich bei einem Besuch im vergangenen Jahr intensiv eingesetzt hatte.

Ausgegangen ist der Streit mit einem Kompromiss. Scholz kann sich darüber freuen, dass neue Gasprojekte theoretisch weiterhin gefördert werden können. Das BMWK hat aber Bedingungen durchgesetzt, die es zweifelhaft erscheinen lassen, dass das in der Praxis auch passieren wird: Es muss eine Notlage bei der Versorgung vorliegen, das Projekt muss mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel sein, und es dürfen keine Lock-In-Effekte entstehen.

Zwar sind für diese Bedingungen keine klaren Kriterien festgelegt, aber das Ministerium von Robert Habeck ist in einer starken Position. Denn die Entscheidung, ob sie erfüllt sind, fällt im sogenannten Interministeriellen Ausschuss, in dem das BMF, das AA, das BMZ und das BMWK sitzen – und dort müssen Entscheidungen im Konsens fallen. Wenn sich das Klimaschutzministerium an der weit verbreiteten Einschätzung orientiert, dass neue fossile Projekte generell nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel sind, dürfte es also keine Förderung geben. mkr

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Frankreich und OECD werben für Atomkraft als Klimalösung

Frankreich und die OECD wollen kurz vor der COP28 die mögliche Rolle der Atomkraft in der Klimadebatte stärken. Bei einer gemeinsamen Konferenz “Roadmaps to New Nuclear” Ende September am Sitz der OECD in Paris sollen etwa zwei Dutzend Staaten zusammengebracht werden, die neue Nuklearprogramme oder eine Ausweitung ihrer bisherigen Pläne debattieren wollen.

Nach Projektionen der Nuclear Energy Agency, einer Abteilung der OECD, ist es für eine globale Erreichung der Netto-Null-Ziele bis 2050 nötig, “die nukleare Kapazität bis 2050 im Vergleich zu heute wenigstens zu verdoppeln und möglicherweise zu verdreifachen.” Die französische Ministerin für die Energiewende, Agnès Pannier-Runacher, sagte, Atomkraft sei “essenziell, um Klimaneutralität zu erreichen und gegen die Erderwärmung zu kämpfen. Viele Länder sind dazu bereit.” NEA-Generaldirektor William D. Magwood sagte, die Analysen der NEA zeigten, dass “fortgeschrittene Nuklearenergie neben Erneuerbaren und neuen Technologien wie Wasserstoff einen realistischen und praktischen Pfad zu diesem Ziel zeigen, um Energiesicherheit und Wachstum zu sichern.”

Kritiker dagegen sehen in der Atomkraft keine entscheidende Alternative zur Energieerzeugung vor dem Hintergrund der Klimakrise: Die Technik sei im Vergleich zu erneuerbaren Energien zu teuer, zu unflexibel und der Aufbau neuer Strukturen dauere weit länger als der Zubau von Erneuerbaren. Der jährliche Überblick über die Nuklearwirtschaft, der World Nuclear Industry Status Report, zeigt für die Industrie eher Stagnation und einen globalen Abwärtstrend. Außer China und Russland setzten bisher nicht viele Länder auf eine Zukunft für diese Technik. bpo

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Mindestens 34 Tote bei Waldbränden in Algerien

Bei Waldbränden an der Mittelmeerküste von Algerien sind innerhalb von zwei Tagen 34 Menschen getötet worden. Das teilte die algerische Regierung am Dienstag mit. Unter den Toten sind auch zehn Soldaten, die versucht haben, Menschen vor den Flammen zu retten. Auch in Teilen von Italien, Frankreich, Tunesien und Griechenland gibt es zurzeit Feuer. Aus Italien und Griechenland wurden ebenfalls Todesopfer gemeldet. Aktuell herrscht in Nordafrika und Südeuropa eine extreme Hitzewelle. In Algerien wurden dabei Höchsttemperaturen von 57 Grad Celsius gemessen.

Zusätzlich zu Hitze und Feuer müssen die Menschen in Algerien in den vergangenen zwei Wochen Strom- und Wasserausfälle aushalten. Das berichtet die New York Times. Für Ärger sorgen im Land die Gründe für die Feuer: Zwar hat die Hitze wahrscheinlich zu ihrer Ausbreitung beigetragen, es besteht aber der Verdacht, dass viele durch Brandstiftung entstanden sind. Auch in den vergangenen Sommern hatte es in Algerien immer wieder Waldbrände gegeben. kul

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Gericht lehnt Klimaklage von ClientEarth gegen Shell ab

Die Umweltschutzorganisation ClientEarth hat in London in einem Rechtsstreit um die Klimastrategie des Mineralölkonzerns Shell einen Rückschlag erlitten. Das Gericht wies die Klage am Montag erneut ab. Das geht aus Berichten der Nachrichtenagentur Reuters hervor.

ClientEarth hatte argumentiert, dass die aktuelle Transitionsstrategie von Shell nicht ausreiche, um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen und dass der Konzern damit seiner Verantwortung gegenüber seinen Aktionären nicht gerecht werde.

Bereits im Mai hatte das Gericht sich geweigert, die Klage anzunehmen. Der Richter William Tower argumentierte, dass das Management eines Konzerns viele Faktoren abwägen müsse und dass Gerichte nicht in diese Prozesse eingreifen sollten. Am Montag lehnte er Verhandlungen zu der Klage darum erneut ab. Wäre die Klage angenommen worden, hätte sich daraus auch für Investoren anderer Unternehmen die Möglichkeit ergeben können, Konzerne wegen mangelnder Reaktion auf Klimarisiken zu verklagen. kul

  • Klimaklagen

Presseschau

Analyse: So können Städte auf extreme Hitze reagieren The Economist
Analyse: Liefert Big Oil jetzt Big Auto aus? New Republic
Analyse: So berichten Medien über Extremwetterereignisse im Juli CarbonBrief
Analyse: Eine Studie zeigt, dass vegane Ernährung bis zu 75 Prozent weniger Treibhausgase verursacht The New York Times
Analyse: Kann Kunst zur Klimakrise dabei helfen, den Planeten zu retten? The Guardian
Reportage: Wie Babyvögel in Phoenix vor extremer Hitze gerettet werden The Washington Post
Nachricht: Argentinien und die EU einigen sich auf eine Kooperation zu Gas, Wasserstoff und Erneuerbaren Climate Change News
Kommentar: Herr Lindner, wo bleibt mein Klimageld? Die Zeit
Kommentar: Es gibt auch viele Gründe, warum sich der Planet aktuell freuen kann Financial Times
Kommentar: Offener Brief von 14 Ländern an die G20, mit der Forderung eine lebenswürdige Zukunft zu sichern Climate Change News

Heads

Kohle, Korruption, Giftanschlag: Ex-Eskom-CEO André de Ruyter packt aus

André de Ruyter – ehemaliger CEO des südafrikanischen Stromversorgungsunternehmens Eskom.

André de Ruyter hat drei aufsehenerregende Jahre hinter sich: Er wurde vergiftet, war laut eigener Aussage Kopf einer unternehmensinternen Geheimdienstoperation und musste Südafrika schließlich verlassen. Die Geschichte des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Eskom klingt eher nach dem Plot einer Netflix Crime-Serie als nach dem Leben eines CEO. Doch de Ruyters entschlossener Kampf gegen die tief sitzende Korruption bei Eskom und in Südafrika hätten ihn zum Feind der Korrupten und Kriminellen im Umfeld des Unternehmens gemacht: So jedenfalls beschreibt de Ruyter seine Zeit bei Eskom im Buch “Thruth To Power: My Three Years Inside Eskom” (2023, Penguin Random House South Africa). Seine Schilderungen zeigen, in welch schwierigem Umfeld die Energiewende Südafrikas umgesetzt werden muss.

Der 55-jährige Jurist mit jahrelanger Erfahrung als Manager in Südafrika, China und auch Deutschland – er leitete unter anderem die Abteilung für internationalen Kohlehandel bei dem südafrikanischen Unternehmen Sasol – wird im Dezember 2019 zum CEO von Eskom ernannt. Südafrika befand sich damals mitten in der Aufklärung der Korruptionsskandale um Ex-Präsident Jacob Zuma, der Gupta-Familie und ihrer Gefolgsleute. “Eskom war zu einem Futtertrog” für diese Kreise geworden, so de Ruyter. Hatte die Financial Times das Unternehmen noch 2001 zum besten Stromversorger der Welt gekürt, sei Eskom zu seinem Amtsantritt technisch insolvent gewesen. Die Stromausfälle häuften sich. De Ruyters Ziel: Das Unternehmen wieder auf Kurs bringen, die Stromversorgung sicherstellen und die hohe Abhängigkeit von der Kohle reduzieren.

Stromausfälle, Kohleabhängigkeit und überteuertes Klopapier

Doch de Ruyter merkte schnell, dass ihm die Korruption auf allen Ebenen Eskoms im Weg steht. In “Truth to Power” schildert er die Ausbeutung Eskoms bis ins kleinste Detail: Wie Mafia-ähnliche Banden den Kohletransport an sich reißen und LKW-Ladungen voll hochwertiger Kohle gegen Steine und minderwertigen Brennstoff austauschen, der dann die Kraftwerke zerstört; wie Equipment in den Kohlemeilern mutwillig zerstört wird und neue Anlagen bei kriminellen Unternehmern eingekauft werden; und wie selbst Klopapier und Mülltüten zu künstlich überhöhten Preisen über Mittelsmänner eingekauft wurden und ein Teil der Kosten in dunkle Kanäle floss.

Die selbst von Politikern der Regierungspartei ANC eingeräumten Verknüpfungen von hochrangigen ANC-Vertretern mit den Kriminellen bei Eskom und die Untätigkeit der Polizei erschweren den Kampf de Ruyters und seiner Verbündeten gegen die Korruption. Finanziert von Kontakten in der südafrikanischen Unternehmenswelt startet de Ruyter eine unternehmensinterne Geheimdienstoperation, um mehr Informationen zu erlangen und der Staatsanwaltschaft selbst Beweise für die tief verwurzelte Ausbeutung vorzulegen. Dabei habe er sich Feinde innerhalb Eskoms gemacht, bei den staatlichen Sicherheitsdiensten und den Kreisen, die Eskom ausplünderten, so der CEO im Rückblick.

Zyanid im Kaffeebecher

Auch mit sein Bestreben zum Ausbau der Erneuerbaren macht de Ruyter nicht viele Freunde bei ANC, den Gewerkschaften und im Umfeld von Eskom. “Die zahlreichen Möglichkeiten für Korruption, Diebstahl und Betrug” im Kohlesektor verdeutlichen, “dass die grüne Energie ein Ökosystem stören wird, von dem viele Interessengruppen profitieren”, schreibt der ehemalige Konzernchef. Diese Einschätzung verheißt nichts Gutes für die Just Energy Transition Partnership Südafrikas mit westlichen Staaten, die de Ruyter laut eigenen Angaben mitverhandelt hat.

De Ruyters Zeit bei Eskom endet mit einem Knall. Am 12. Dezember 2022 reicht er seinen Rücktritt ein. Einen Tag später wird seine Kaffeetasse mit Zyanid versetzt. De Ruyter hat Glück, dass sein Arzt ihm hoch dosiertes Vitamin-D als Gegenmittel gegen eine Zyanid-Vergiftung verabreicht. Schon vorher hatte er Angst um seine Sicherheit. In “Truth to Power” nennt er zwei Morde an Korruptionskämpfern, die ihn um seine persönliche Sicherheit bangen ließen.

Nach der Vergiftung verlässt de Ruyter fluchtartig das Land. Er werde für eine Weile im Ausland untertauchen, aber habe keine Absicht, Südafrika langfristig zu verlassen, so der ehemalige Eskom-CEO gegenüber der Financial Times: “Ich werde einfach aufpassen, wer mich zum Kaffee einlädt”. Nico Beckert

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Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    er ist das klassische Beispiel für den alten weißen (und weißhaarigen) Mann: Jim Skea, der neue IPCC-Chef, hat sich gestern im zweiten Wahlgang des UN-Klimarats gegen seine Mitbewerberin Thelma Krug aus Brasilien durchgesetzt. Dafür gab es viele Glückwünsche. Aber Skea hat nun zwei große Aufgaben: Die Arbeit am nächsten Sachstandsbericht über fünf bis sieben Jahre hinweg zu koordinieren. Und den UN-Klimarat diverser, offener und relevanter aufzustellen.

    Beides ist dringend nötig: Die Bedeutung des wissenschaftlichen Sachverstands bei der Einordnung von richtigen und falschen Lösungen in der Klimakrise nimmt mit jedem Zehntelgrad mehr Erwärmung zu. Darüber schreiben wir auch wieder in dieser Aufgabe: Verheerende Brände toben am Mittelmeer, die Debatte über ein Abreißen des “Golfstroms” ist wieder aufgeflammt. Daneben werfen wir einen Blick darauf, wie sehr die Offshore-Windenergie inzwischen zu einem lukrativen Geschäft geworden ist. Und wie wichtig wissenschaftliche Fakten, aber auch ihre Umsetzung in der Politik sind, zeigt eine andere Analyse: Die Zustimmung zur Klimabewegung in Deutschland hat sich in zwei Jahren halbiert. Was das für die deutsche Klimapolitik heißt, ist noch völlig unklar.

    Für viele Menschen beginnen jetzt die Sommerferien. Durchatmen ist immer gut. Aber eines lässt sich schon sagen: Der neue IPCC-Chef wird in den nächsten Jahren kaum zur Ruhe kommen. Wir auch nicht.

    Behalten Sie einen langen Atem!

    Ihr
    Bernhard Pötter
    Bild von Bernhard  Pötter

    Analyse

    IPCC wählt Jim Skea zum neuen Vorsitzenden

    Der britische Physiker und Experte für erneuerbare Energien James “Jim” Ferguson Skea wird für die nächsten fünf bis sieben Jahre als Vorsitzender den UN-Klimarat IPCC leiten. Am Mittwoch stimmte eine Mehrheit der Delegationsvertreter bei der 59. IPCC-Versammlung im kenianischen Nairobi für den Briten. Er wird als neuer Chef das einflussreiche Gremium an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik leiten.

    Skea setzte sich gegen drei Mitbewerber durch, zuletzt im zweiten Wahlgang gegen die Mathematikerin und Klimaforscherin Thelma Krug aus Brasilien mit 90 zu 69 Stimmen. Nach dem ersten Wahlgang waren der Belgier Jean-Pascal von Ypersele und die Südafrikanerin Debra Roberts ausgeschieden. Zum ersten Mal in der Geschichte des Gremiums hatten zwei Frauen für den prestigeträchtigen Posten als IPCC-Vorsitzende kandidiert.

    Prioritäten: Inklusion, relevante Wissenschaft, Einbindung der Politik

    Jim Skea ist beim IPCC und in der Politik kein Unbekannter: Seit 40 Jahren ist der 69-Jährige, der am Imperial College in London als Professor für nachhaltige Energie lehrt, in der Klimawissenschaft aktiv, seit 30 Jahren beim IPCC. Zuletzt leitete er als Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III (Mitigation of Climate Change) die Arbeit an diesem Teil des 6. IPCC-Sachstandsberichts. Zuvor schrieb er maßgeblich am einflussreichen “1,5-Grad-Bericht” des IPCC von 2018 und am Sondergutachten zur Landnutzung 2019 mit.

    Skea erklärte nach seiner Wahl seine Prioritäten für die Arbeit, zu der unter anderem die Erstellung des 7. Sachstandsberichts gehört. Er will:

    • die “inklusive Beteiligung und Zusammenarbeit über alle Regionen hinweg sicherstellen”
    • die Nutzung der “besten und relevantesten Wissenschaft” vorantreiben
    • die Bedeutung und die Wirkung des IPCC durch die Einbindung von Politik-Entscheidern und Betroffenen maximieren.

    Skea hatte in seiner Bewerbung seine Erfahrung an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft herausgestellt – an dieser Schnittstelle arbeitet auch der IPCC. Denn die Organisation rekrutiert sich zwar aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vieler Fachrichtungen aus der ganzen Welt, stimmt aber alle ihre Berichte bis ins letzte Detail mit Vertretern der jeweiligen Regierungen ab. Auch die Kandidaten für IPCC-Posten werden offiziell von ihren Herkunftsländern nominiert, Skea also von der britischen Regierung.

    Erfahrung im Umgang mit der Politik

    Tatsächlich bewegt sich der Brite mit seinem markanten weißen Haarschopf und Bart und seinem höflichen Auftreten sicher auf dem diplomatischen und politischen Parkett. Er ist einer der Gründerväter des britischen Committee on Climate Change” (CCC), eines unabhängigen Expertengremiums, das vom britischen Parlament eingerichtet wurde. Regelmäßig bewertet und ermahnt das CCC die mehr oder weniger erfolgreiche Klimaschutzpolitik der Londoner Regierung – gerade wieder 2023 als zu langsam und zu wenig ambitioniert: London habe seine Rolle als Vorreiter beim Klimaschutz verloren, hieß es.

    Jim Skea folgt im Amt auf den Südkoreaner Hoesung Lee. In dessen Amtszeit fielen zwar wichtige Berichte wie 2018 der 1,5-Grad-Bericht, der nach dem Pariser Abkommen von 2015 die untere Schwelle der maximalen Erderwärmung bis 2100 genauer definierte und damit zu einer allgemein anerkannten Zielmarke machte. Der IPCC-Chef selbst wurde aber nicht zu einer prägenden Figur. Er hatte von seinem Vorgänger, dem Inder Rajendra Pachauri, ein Gremium geerbt, das zwar 2007 den Friedens-Nobelpreis bekommen hatte, sich aber durch Angriffe von außen, interne Fehler und den Vorwurf von sexuellen Übergriffen durch Pachauri in eine schwierige Lage gebracht hatte.

    Aufgabe: IPCC öffnen und Lösungen bieten

    Skeas Aufgaben werden intern im IPCC und extern im nächsten Berichtszyklus liegen. Seine Erklärung lässt darauf schließen, dass er weiß, wie wichtig die Öffnung des Gremiums zu mehr Diversität und Inklusion ist: Mehr Frauen in den Gremien, aber auch mehr indigenes Wissen, das in die Berichterstattung einfließt. Bereits die letzten IPCC-Berichte hatten solche Zeichen gesetzt: Indigenes Wissen etwa wurde ähnlich behandelt wie klassische wissenschaftliche Literatur. Skea wird auch auf Kritik eingehen müssen, die Wissenschaft sei zu sehr vom globalen Norden dominiert, es gebe zu wenig Studien und Messpunkte in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Immer wieder gab es auch laute und leise Kritik an der internen Organisation des IPCC in Genf.

    Auf der IPCC-Sitzung, die noch bis Freitag dauert, stehen noch viele weitere Wahlen an: Skeas Stellvertreterinnen oder Stellvertreter, die Redaktionsleitungen für die verschiedenen Kapitel des nächsten, siebten IPCC-Berichts, insgesamt 34 Posten. Dazu kommen noch 12 Mitglieder der Task Force Bureau on National Greenhosue Gas Inventories (TFI)

    Dann beginnt der Prozess für den nächsten IPCC-Bericht AR7, der in fünf bis sieben Jahren seinen Abschluss finden soll. Viele Stimmen aus dem Gremium wünschen sich, dass diese Bestandsaufnahme nicht nur die wissenschaftlichen Daten zusammenträgt. Es sollten auch eher Lösungen skizziert werden und geklärt werden, wie sie in den jeweiligen Ländern und Gesellschaften durchgesetzt werden können.

    Deutschland: Unterstützung für Klimabewegung drastisch gesunken

    Die Klima- und Umweltbewegung genießt in der deutschen Bevölkerung derzeit deutlich weniger Unterstützung als noch vor zwei Jahren. Zu dem Schluss kommt die gemeinnützige Organisation “More in Common” in einer aktuellen Befragung.

    Die Kritik der Befragten scheint sich dabei jedoch vor allem gegen konkrete Protestformen zu richten, etwa gegen die Aktionen der Letzten Generation – und (noch) nicht gegen die Notwendigkeit von Klimaschutz an sich. In zusätzlich zur Befragung durchgeführten Interviews hätten viele “die grundsätzliche Notwendigkeit von starken Aktionen für den Klimaschutz durchaus anerkannt” und die Straßenblockaden “auf dieser Ebene teils verteidigt”, schreibt “More in Common”. Daraus zieht die Organisation den Schluss: “Es ist vielen Menschen möglich, die konkreten Proteste in ihrer Machart abzulehnen und dennoch um die Bedeutung von Klimaengagement zu wissen.”

    Warnung vor Kulturkampf

    Um die Ergebnisse zu diskutieren, lädt “More in Common” Interessierte für den 27. Juli zu einem Webinar. In einer ersten eigenen Interpretation der Daten warnt die Organisation davor, dass die Klimadebatte zum Kulturkampf werden könne, etwa entlang der “vermeintlichen Trennlinie zwischen Aktivistinnen einerseits und pendelnden Arbeitnehmern andererseits”. Das könne das positive Potenzial für den Klimaschutz beschädigen, das es in den Köpfen der Menschen gebe.

    Schon jetzt nähmen viele die Klimapolitik als gegen die “einfachen Leute” gerichtete “Verlust- und Sanktionierungspolitik” wahr und sähen nicht die positiven Gestaltungsmöglichkeiten.

    Die Organisation sieht verschiedene Wege, einen Kulturkampf zu vermeiden: zum Beispiel, wenn die Klimapolitik den “Glauben an die kollektive Handlungsfähigkeit” vermittle und daran, dass “wirklich alle ihren fairen Beitrag leisten”. Gerade in Zeiten der Krise und steigender Preise sei es sehr wichtig, dass Klimaschutz positive Vorstellungen von der Zukunft vermitteln könne. “Dabei geht es nicht um Schönfärberei”, denn die meisten Menschen wüssten bereits, “dass sich Dinge an unserer Lebensweise ändern werden”. Gerade deshalb bräuchten sie “positive, Zuversicht stiftende Zielbilder”.

    Unterstützung sinkt in allen gesellschaftlichen Gruppen

    Die Ergebnisse der Befragung im Detail:

    • Nur noch 34 Prozent der Befragten sagen, dass die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland “grundsätzlich meine Unterstützung hat”. Das ist halb so viel wie vor zwei Jahren.
    • Auffällig ist dabei: Die Unterstützung sinkt recht gleichmäßig über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg – also auch in Bevölkerungsgruppen, die der Bewegung generell eher nahestehen. “More in Common” unterscheidet in seiner Forschung zwischen sechs gesellschaftlichen Typen anhand ihrer Werte und Grundüberzeugungen.
    • Der Aussage “Die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland hat das Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick” stimmen nur noch 25 Prozent zu. Vor zwei Jahren waren es noch 60 Prozent.
    • Offenbar wirkt die Klimabewegung nicht mehr so einladend auf die Menschen wie noch vor zwei Jahren, und ihre Fähigkeit zum Dialog wird stärker angezweifelt. Der Anteil derer, die finden, dass die Klima- und Umweltbewegung “offen dafür ist, dass Leute wie ich bei ihr mitmachen”, ist seit 2021 um mehr als die Hälfte gefallen. Ebenso stark ging der Anteil jener zurück, die der Ansicht sind, dass die Bewegung eine “verständliche Sprache” spreche.
    • Aktuell finden 85 Prozent der Befragten, dass die Klima- und Umweltbewegung “häufig mit ihren Protestaktionen zu weit” gehe. Vor zwei Jahren war es noch rund die Hälfte. Auch hier gibt es, anders als noch 2021, über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg eine breite Mehrheit. Es herrsche “eine neue Einhelligkeit beim Negativurteil“, schreibt “More in Common”.
    • Nur acht Prozent äußerten Verständnis für die Aktionen der Letzten Generation.
    • In den zusätzlich zur Befragung durchgeführten persönlichen Interviews sehen viele besonders kritisch, dass die “Aktionen die Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrem Alltag treffen” sollen.

    Weitere Studien bestätigen Befunde

    “More in Common” kommt damit zu ähnlichen Ergebnissen wie andere kürzlich vorgelegte Studien. Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) berichtete beispielsweise Ende Juni: Radikale Klimaproteste, also Straßenblockaden oder Angriffe auf Kunstwerke, fänden bei der Mehrheit der Menschen in Deutschland keine Unterstützung. Doch auf die Zustimmung zu klimapolitischen Maßnahmen an sich wirkten sich die radikalen Aktionen “kurzfristig” nicht aus.

    Auch im Anfang Juli veröffentlichten Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer sah mit 59 Prozent eine Mehrheit der Befragten die Klimaproteste eher kritisch. Zwei Drittel fürchteten, die Proteste könnten die gesellschaftliche Unterstützung für Klimaschutz gefährden. Fast die Hälfte glaubte eher nicht an ihre politische Wirksamkeit.

    “More in Common”: gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern

    “More in Common” arbeitet in den USA, dem Vereinigten Königreich und Frankreich. In Deutschland ist die Organisation in Form eines von Stiftungen finanzierten, gemeinnützigen Vereins aktiv. Die Organisation versteht sich als parteipolitisch unabhängig. Ihr Ziel ist es, Polarisierung und Spaltung zu bekämpfen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Dazu führt sie auch eigene Forschung durch.

    Für die aktuelle Erhebung befragte “More in Common” gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Kantar Public vom 9. bis 24. Mai 2023 rund zweitausend Menschen ab 18 Jahren in einem Online-Verfahren, das die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppe möglichst zuverlässig abbilden soll, nach ihrem Blick auf die Klimabewegung. Vor zwei Jahren hatte die Organisation ihre erste Studie zum Blick der Deutschen auf den Klimaschutz vorgelegt.

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    Wasserstoff-Strategie: Details zu Klima und Entwicklung noch unklar

    Die Bundesregierung hat am Mittwoch ihre neue Wasserstoffstrategie vorgestellt. Damit will sie die Versorgung Deutschlands mit diesem Energieträger sicherstellen und gleichzeitig eine nachhaltige Wirtschaft in den Kooperationsländern befördern. Allerdings fehlen noch konkrete Leitplanken, wie diese Ziele in Einklang zu bringen sind.

    Die Versorgung mit “nachhaltigem und klimaneutralen Wasserstoff” gilt in der jetzt beschlossenen Überarbeitung der Strategie von 2020 als “unabdingbar” für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045. Gleichzeitig will die Bundesregierung in den Partnerländern “maximale Synergien mit einer lokalen sozial-ökologischen Gesellschafts- und Wirtschaftstransformation und Energiewende sowie den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) sicherstellen”.

    Die Kooperation mit Partnerländern ist wichtig: 2030 sollen etwa 50 bis 70 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs importiert werden soll. Den Gesamtbedarf schätzt die Strategie auf 95 bis 130 Terawattstunden (TWh). Um 50 bis 90 Terawattstunden importieren zu können, muss auch in den Exportländern eine Wasserstoffwirtschaft entstehen.

    Wasserstoffwirtschaft als “wirklicher Gamechanger” für die SDGs?

    Im BMZ zeigt man sich überzeugt von den entwicklungspolitischen Potenzialen. Die Wasserstoffwirtschaft könne “ein wirklicher Gamechanger für die Umsetzung der Agenda 2030 werden”, sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit Blick auf die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs). Man müsse Nachhaltigkeit von Anfang an in den Strategien mitdenken, so Flasbarth. Wasserstoff könne zur Dekarbonisierung und Diversifizierung der Industrien in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern beitragen.

    Das BMZ mahnt dann auch an, Risikofaktoren zu beachten, um negative Folgen der Wasserstoffproduktion in den Partnerländern zu vermeiden:

    • Die Wasserstoffproduktion dürfe nicht dazu führen, dass fossile Kraftwerke länger laufen müssten,
    • deshalb müsse man die Energiewende in den Partnerländern voranbringen.
    • Wenn die Nutzung von Wasserstoff in den Herkunftsländern insgesamt mehr Emissionen einspare, müsste diese lokale Wasserstoffnutzung “priorisiert werden”.
    • Eine nachhaltige Wasser- und Flächennutzung müsse sichergestellt werden und Wasserstoff-Projekte dürften nicht zu höheren Energiekosten im Partnerland führen. Davor warnt auch Christoph Heinemann, Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz, beim Öko-Institut. “In Staaten, die bisher kaum Windenergie nutzen, wie beispielsweise in Marrokko, könnte es zu einem Wettlauf um die besten Standorte kommen.” Sichern sich Wasserstoff-Projekte diese Standorte, könne “die Energiewende für das Inland teurer und eventuell verzögert werden”, so der Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz am Öko-Institut.
    • Auch der Nationale Wasserstoffrat hatte schon vor Risiken wie Wasserknappheit, Landnutzungskonflikten, Verschuldung und Energiearmut gewarnt, die bei Projekten in Partnerländern beachtet werden müssten.

    Eine Strategie, um diesen Risiken zu begegnen, gibt es bislang noch nicht. Flasbarth räumt ein, man könne den positiven Nutzen einer Wasserstoffwirtschaft nicht “100 Prozent sicherstellen”, aber man müsse die Politik darauf ausrichten. Konkreter solle das in der Wasserstoff-Importstrategie ausgearbeitet werden, die soll bis Ende des Jahres erarbeitet werden.

    Zudem will die Bundesregierung auf G7/G20-Ebene für “Good Governance-Standards” werben, um die angestrebten positiven Effekte einer Wasserstoffwirtschaft zu erreichen – allerdings konnten sich die G20-Energieminister am Wochenende nur auf sehr vage gemeinsame Positionen zum Thema grüner Wasserstoff einigen.

    Kritiker fürchten “signifikantes Risiko”

    “Es besteht ein signifikantes Risiko, dass die Wasserstoffprojekte nicht den versprochenen Nutzen für produzierende Länder bringen”, sagt Leonie Beaucamp, Referentin für erneuerbare Energien und Wasserstoff bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch gegenüber Table.Media. “Der zeitliche und preisliche Druck, der durch den Hochlauf des globalen Wasserstoffhandels aufgebaut wird, kann sich negativ auf die Erfüllung der lokalen Bedürfnisse auswirken. Deshalb sollten in den Importstrategien strenge Nachhaltigkeitsstandards festgeschrieben werden.”

    Auch Christoph Heinemann vom Öko-Institut mahnt: “Auf die Wasserstoffstrategie muss nun die Ausarbeitung von konkreten Kriterien folgen, die positive Effekte wie den Ausbau der Erneuerbaren oder die Verbesserung der Wasserversorgung in den Partnerländern anreizen.” Konkret könne die Bundesregierung solche Kriterien bei der Bewilligung von Fördergeldern und der Ausschreibung neuer Projekte vorschreiben.

    Grüne Vorgaben seien auf dem Weltmarkt nicht unbedingt ein Wettbewerbsnachteil für Europa. “Bei Pipeline-Distanzen, also beispielsweise Importen aus Staaten in Nordafrika, ist der Kostenvorteil beim Transport so groß, dass die Fokussierung sehr stark auf den Markt Europa sein wird und strengere Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden müssten”, sagt Heinemann.

    29 Partnerschaften, Kooperationen und Allianzen

    Die Bundesregierung will laut Strategie zum Wasserstoff mit einer Reihe von Ländern “grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten” aufbauen. Derzeit gibt es solche Allianzen mit 29 Partnerstaaten verschiedener Ausrichtung. Ein erster Überblick zeigt die verschiedenen Kategorien:

    • Abkommen zum Import von Wasserstoff oder Derivaten gibt es mit Kanada und Namibia (erste Lieferung ab 2025 bzw. 2026).
    • Vereinbarungen zum Bau von Anlagen: Eine Referenzanlage in Marokko (100 MW Elektrolyseleistung) und PtX-Pilotanlage in Tunesien (10MW). In Chile fördert das BMWK ein Projekt zur Herstellung von eFuels aus Wasserstoff und CO₂ (“Haru Oni”).
    • Abmachungen zum technischen und wissenschaftlichen Austausch über H2-Produktion, -Transport oder Dekarbonisierung der Industrie unter anderem mit Algerien (BMZ-Projekt: 6 Millionen Euro), Israel, Japan, Saudi-Arabien, Türkei, Indien VAE, USA, Australien und Südkorea.
    • Austausch über nationale Wasserstoffstrategien etwa mit Brasilien, Kasachstan, VAE, Algerien oder Mexiko und Südafrika, teilweise gefördert über BMZ-Projekte.
    • Gespräche über Standards zur H2-Produktion mit China, sowie erste Projekte deutscher Unternehmen (Oman).
    • Austausch über mögliche H2-Potenziale mit Jordanien, Neuseeland und Katar.
    • Büros für Wasserstoffdiplomatie, die das Auswärtige Amt in Angola, Nigeria, Russland (Arbeit ausgesetzt), Saudi-Arabien, Ukraine (in Vorbereitung) und Kasachstan eingerichtet hat.

    Viele Projekte sind noch in der Planungsphase. Trotzdem gibt es auch bei vermeintlichen Vorzeigeprojekten schon Kritik. “Das HYPHEN Projekt in Namibia wird oft als Vorbildprojekt kommuniziert bezüglich der lokalen Entwicklungsmöglichkeiten. Zugleich werden hier bei genauerem Hinsehen aber auch Schwachstellen sichtbar. So fehlt es beispielsweise an Transparenz und Präsenz der Zivilgesellschaft in der Planung und auf dem Weg zur Implementierung des Projekts“, sagt Beaucamp von Germanwatch.

    BMZ: 270 Millionen, um private Investitionen zu hebeln

    Das BMZ hat zudem einen mit 270 Millionen Euro ausgestatteten “PtX-Entwicklungsfonds” aufgelegt, der im Herbst 2023 mit ersten Ausschreibungen an den Markt gehen soll. Über den Fonds sollen private Investitionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro “entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette in den Partnerländern” gehebelt werden, so Jochen Flasbarth. Mit dem Förderprogramm H2Uppp unterstützt das BMWK zudem den Markthochlauf von grünem Wasserstoff und Derivaten in 15 Staaten, darunter Brasilien, Südafrika, Türkei, Indien und Nigeria.

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    Offshore-Wind wird lukratives Geschäftsmodell

    Offshore-Windkraftanlage bei Kopenhagen in der Ostsee.

    Offshore-Windparks werden inzwischen in einigen Strommärkten ohne staatliche Förderung gebaut. Deshalb haben erste Länder nun angefangen, bei Ausschreibungen von Offshore-Windparks auch “negative Gebote” zuzulassen. Das bedeutet: Die Projektierer verzichten nicht nur auf garantierte Einspeisevergütungen – sie legen sogar noch Geld obendrauf, um den Zuschlag zu bekommen.

    In Deutschland (mit rund acht GW installierte Leistung derzeit weltweit auf Platz 3 bei Offshore-Kapazitäten) wurden soeben vier Flächen in Nord- und Ostsee gegen Milliardenzahlungen vergeben. BP darf zwei Parks mit jeweils zwei Gigawatt installierter Leistung rund 120 Kilometer nordwestlich von Helgoland bauen und bezahlt dafür knapp 6,8 Milliarden Euro. Den Zuschlag für einen weiteren Windpark in derselben Nordseeregion sowie einen kleineren in der Ostsee bekam TotalEnergies für gut 5,8 Milliarden Euro. Die Parks sollen ab 2030 Strom produzieren.

    Deutschland, Dänemark, Litauen als Vorreiter

    Der europäische Branchenverband WindEurope berichtet von zwei weiteren Ländern, in denen bisher Ausschreibungen mit negativen Geboten stattfanden: in Dänemark und kürzlich in Litauen. Zulässig sind negative Gebote inzwischen auch in den Niederlanden. 

    Das erste Mal ergaben sich in Dänemark negative Ausschreibungsergebnisse. Nach der Auktion für den Offshore-Windpark Thor im vergangenen Jahr sprach das Dänische Ministerium für Klima, Energie und Versorgung von einem “neuen Kapitel beim Ausbau der dänischen Windenergie”. Der Windpark und seine Anbindung an Land werden nämlich erstmals ohne staatliche Beihilfen gebaut: RWE als erfolgreicher Bieter wird für das Projekt mit einem Gigawatt installierter Leistung rund 375 Millionen Euro an den Staat abführen müssen.

    Auch Litauen akzeptiert inzwischen negative Gebote, und hat auch schon ein Projekt auf dieser Basis vergeben, wie WindEurope berichtet. Jüngst bekam dort ein Konsortium einen Zuschlag, das 20 Millionen Euro geboten hatte, um einen Windpark mit 700 Megawatt bauen zu dürfen. Die Gebote in Deutschland zeigen ganz neue Dimensionen: Die Konzerne BP und TotalEnergies geben für ihre sieben Gigawatt in Deutschland 12,6 Milliarden Euro aus – bezogen auf die Leistung also gut das 60-fache des litauischen Betrags.

    Nicht anwendbar auf den größten Märkten China und UK

    Offshore-Wind als ein so gutes Geschäftsmodell, dass Firmen für die Lizenzen viel Geld auf den Tisch legen: Das funktioniert bisher allerdings nur in ausgewählten Märkten, denn die Rahmenbedingungen sind international unterschiedlich: Im weltgrößten Markt China (Bestand Offshore-Windkraft aktuell: rund 30 GW) geben die Unternehmen Gebote ab für staatliche Vergütungen, die sich an einem Kohlestrom-Index bemessen, wie die Beratungsagentur Trivium China erklärt. Die Zuschläge liegen dabei unterhalb des Preises von Kohlestrom. Ein Vergleich mit der Situation in Europa ist aber kaum sinnvoll, weil in China die Strommärkte noch lange nicht so entwickelt sind, wie hierzulande.

    Im größten europäischen Markt, in Großbritannien (aktuell: 14 GW), stoppte Vattenfall soeben sein 1,4-Gigawatt-Projekt Norfolk Boreas, wie das Unternehmen bei der Vorstellung seiner Halbjahreszahlen mitteilte. Die Baukosten seien inzwischen so sehr gestiegen, dass der Investor die einst gewährte Festvergütung von 37,35 Pfund (rund 43 Euro) pro Megawattstunde nunmehr als unzureichend erachtet.

    “Negative Gebote” in Deutschland unvermeidbar

    In Deutschland kam jetzt das Konzept der “negativen Gebote” erstmals zum Zug. Der Grund: Es war einfach unvermeidbar geworden. In der Vergangenheit erhielten jene Akteure den Zuschlag, die ihren Strom zu den günstigsten Konditionen anboten. Zwischenzeitlich aber wurden Gebote zu 0 Cent fast die Regel – die meisten Unternehmen verzichten also längst auf garantierte Vergütungen. Um zwischen den Null-Cent-Angeboten zu entscheiden, wurde im Windenergie-auf-See-Gesetz unter dem Stichwort “dynamisches Gebotsverfahren” eine zweite Auktionsrunde verankert. In dieser bekommt den Zuschlag, wer – nach seinem ersten Null-Cent-Gebot – die größte Summe obendrauf legt.

    Die Milliarden, die der Staat auf diese Weise einnimmt, sind zweckgebunden. 90 Prozent des Geldes werden zur Senkung der Offshore-Netzumlage eingesetzt, mit der die Anbindung der Offshore-Windparks finanziert wird. Sie wird über die Stromrechnung von den Verbrauchern bezahlt. Zehn Prozent der Einnahmen gehen außerdem in den Bundeshaushalt und müssen je zur Hälfte “für Maßnahmen des Meeresnaturschutzes” und “für Maßnahmen zur umweltschonenden Fischerei einschließlich Fischereistrukturmaßnahmen” eingesetzt werden

    Gutes Geschäft könnte teuer für Kunden werden

    Dass bei der deutschen Ausschreibung ausschließlich “zwei finanz- und eigenkapitalstarke Giganten aus dem Öl- und Gassektor” als Bieter erfolgreich waren, sorgt seitens der Stiftung Offshore-Windenergie für Kritik. Die beiden Unternehmen wollen fast so viel Leistung aufbauen, wie es bisher in deutschen Gewässern insgesamt gibt. Im kommenden Jahr sollen weitere acht bis neun Gigawatt ausgeschrieben werden. Sollte bis dahin das Auktionsdesign nicht überarbeitet werden, bestehe “die Gefahr eines Oligopols im deutschen Offshore-Wind-Markt”, beklagt die Stiftung. Die Politik müsse darauf achten, “die Akteursvielfalt zu erhalten”.

    Kritik kommt auch vom Verband WindEurope. Zwar liege die Verlockung, ein Ausschreibungsdesign mit negativen Geboten einzuführen, auf der Hand, weil man keine Fördergelder mehr brauche und sogar Einnahmen für den Staatshaushalt generiere. “Das erscheint auf den ersten Blick günstig, ist aber leider ein Trugschluss”, sagt dessen Sprecher Christoph Zipf. Denn die Projektentwickler müssten diese Kosten weitergeben. Das treibe entweder die Strompreise oder die Investoren müssten “die Kosten an die Wertschöpfungskette weitergeben.” Das geschehe dann “auf Kosten der Hersteller und Zulieferer, die ohnehin schon rote Zahlen schreiben oder nur sehr geringe Margen haben”.

    Dass das Thema nun just nach der deutschen Ausschreibung hochkocht, liegt schlicht daran, dass die Gelder, die in den deutschen Seegebieten bezahlt werden, ungewöhnlich üppig sind. Legt man die Milliardenbeträge auf die zu erwartenden Stromerträge um, ergibt sich bei einer angenommenen Betriebszeit der Turbinen von 20 Jahren ein Wert von rund zwei Cent je Kilowattstunde.

    Entscheidend: Der Börsen-Strompreis

    Die Unternehmen spekulieren also auch langfristig auf ein Preisniveau am Strommarkt, das es ihnen ermöglichen wird, ihren Strom trotz der hohen Prämien gewinnbringend zu verkaufen. In jüngster Zeit waren die Bedingungen in dieser Hinsicht jedenfalls gut: Die monatlich gemittelten Marktwerte für Windstrom auf See lagen im Jahr 2023 bisher zwischen rund acht und elf Cent je Kilowattstunde.

    Aber die Marktwerte schwanken stark – und das ist nun das Risiko der Investoren. Sehr attraktiv war der Markt für Stromerzeuger im Jahr 2022, als man mit Offshore-Windstrom an der Börse im Durchschnitt 18,3 Cent je Kilowattstunde erlösen konnte. Im Jahr 2021 waren es ebenfalls noch solide neun Cent gewesen, im Corona-Jahr 2020 hingegen hatte der Marktwert von Offshore-Windstrom bei ruinösen 2,7 Cent gelegen.

    Die Unternehmen, die heute ohne staatliche Mindestvergütung und mit satten Zahlungen an den Staat in einen Offshore-Windpark investieren, müssen also vor allem eines haben: Vertrauen in weiterhin hohe Marktpreise an der Strombörse.

    • China
    • Deutschland
    • Windkraft
    Translation missing.

    Termine

    25. bis 28. Juli, Nairobi
    Wahlen IPCC Wahlen
    Auf seiner 59. Sitzung, die vom 25. bis 28. Juli 2023 in Nairobi, Kenia, stattfindet, wählt der IPCC einen neuen Vorsitzenden und ein neues Team für den 7. Sachstandsbericht, der in den nächsten Jahren erstellt wird. Infos

    27. Juli, 10 Uhr, Online
    Webinar Wie schaut die deutsche Gesellschaft derzeit auf die Klimabewegung?
    Aktuelle Daten zeigen, dass sich das gesellschaftliche Bild der Klimabewegung verändert hat. Die Initiative More in Common stellt ihre Forschungsergebnisse dazu vor. Infos & Anmeldung

    27. Juli, 14 Uhr, Online
    Webinar Raising public awareness of energy efficiency for a people-centred clean energy transition in Africa
    Diese Veranstaltung der Internationalen Energie Agentur (IEA) wird sich auf die Rolle konzentrieren, die Bildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen bei der Verbesserung der Energieeffizienz und Energieverbrauchspraktiken in Afrika spielen können. Infos

    27. Juli, 16.45 Uhr, Bonn
    Exkursion Nachhaltige Wärme aus Grundwasser
    Im Winter warm, im Sommer angenehm kühl: Die geologischen Gegebenheiten am “Bonner Bogen” ermöglichen eine ökologische und innovative Versorgung der Gebäude auf dem Campus – durch das Speichern von Energie in einem sogenannten Aquifer. Die Geothermieanlage ist eine der größten, oberflächennahen Einrichtungen dieser Art in Deutschland. Wie sie funktioniert, wird in dieser Veranstaltung vorgestellt.  Infos

    27. Juli, 19.30 Uhr, Leipzig
    Vortrag & Diskussion Grüner Kapitalismus? Kritik am Green New Deal und links ökologische Alternativen
    Der Referent Peter Bierl gibt auf der Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen kurzen Überblick über linke Positionen zur Umweltkatastrophe und stellt einige Überlegungen für eine sozialistisch-ökologische Perspektive vor. Infos

    28. Juli, Chennai, Indien
    Treffen Environment and Climate Sustainability Ministers Meeting
    Die für Umwelt und Klima zuständigen Minister und Ministerinnen treffen sich im Kontext der G20 in Indien. Infos

    1. August, 19 Uhr, Wuppertal
    Diskussion Klimagerechte Kreislaufwirtschaft
    Die Podiumsdiskussion mit Kathrin Henneberger, MdB (Grüne), und Gregor Kaiser vom Wuppertal Institut widmet sich der Frage, wie Kreislaufwirtschaft und Klimagerechtigkeit zusammenpassen.  Infos & Anmeldung

    2. August, 13 Uhr, online
    Workshop Green AI im Fokus: Nachhaltigkeitsreporting im Mittelstand
    Auch wenn derzeit viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) noch nicht zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen verpflichtet sind, ergeben sich dennoch viele Vorteile, solch relevante Daten zu erfassen. Der Workshop des Bundesumweltministeriums erläutert, wie das ablaufen kann. Infos

    2. August, 15 Uhr, Online
    Seminar Optionen für den maritimen Klimaschutz – Technologien und Kraftstoffe
    Bei dem Webinar von Agora Verkehrswende wird diskutiert, wie die Emissionen im Schiffsverkehr gesenkt werden können. Infos

    3. August, 10 Uhr, Online
    Webinar Aktueller Stand Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung
    Die Komplexität der Nachhaltigkeitszertifizierung von Biogasanlagen führt bei zahlreichen Betreibern immer noch zu Unsicherheiten bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsanforderungen. Diese werden im Rahmen eines einstündigen Webinars des Fachverbands Biogas aufgegriffen. Infos

    News

    Klima in Zahlen: Europas Waldbrände 2023 unter Zehn-Jahres-Durchschnitt

    Die derzeitigen Nachrichten über die Waldbrände in Europa können den Eindruck vermitteln, dass der halbe Kontinent brenne. Gemessen an der verbrannten Fläche waren die Brände 2023 bisher allerdings weniger verheerend als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Der Kurve der kumulierten verbrannten Fläche im Jahr 2023 liegt sogar recht nah am Minimum-Wert, der seit 2012 gemessen wurde. Auch bei der Anzahl der Brände ist das Jahr 2023 unterdurchschnittlich. Bis zum 22. Juli hat es in Europa 16.407 Brände gegeben. Das ist der niedrigste Wert seit 2012.

    Betrachtet man allerdings beispielsweise nur Griechenland, liegt das Jahr 2023 deutlich über dem Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2022. Auch in Deutschland liegt die verbrannte Fläche 2023 bislang mit 900 Hektar über dem bisherigen Durchschnitt von 429 Hektar.

    Unstrittig ist, dass der menschengemachte Klimawandel für die extreme Hitze verantwortlich ist, die die Waldbrände sowohl in Europa als auch in Teilen Afrikas, Amerikas und Asiens stark begünstigt hat. Die Rekordtemperaturen im Juni und Juli in Südeuropa wären ohne den CO₂-Ausstoß der Menschen “praktisch unmöglich gewesen”, schreibt die World Weather Attribution (WWA), eine akademische Initiative, die untersucht, ob und wie stark Extremwetterereignisse durch den Klimawandel beeinflusst werden.

    Demnach wären die kürzlichen Hitzewellen weltweit ohne den Klimawandel deutlich kühler ausgefallen. Die Hitzewellen in Südeuropa seien um 2,5 °C wärmer als sie es ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel wären, so die WWA. luk

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    Kritik an Studie zum Golfstrom-Kollaps

    Die Nachricht schockierte die Öffentlichkeit: Die Atlantische Umwälzströmung (AMOC), die mit dem Golfstrom verbunden ist, könnte bereits Mitte des Jahrhunderts zusammenbrechen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuell in der Fachzeitschrift “Nature Communications” veröffentlichte Studie. Doch mehrere Forschende äußern Kritik an der methodischen Vorgehensweise.

    Die in der Studie “so zuversichtlich vorgetragene Aussage, es werde im 21. Jahrhundert zum Kollaps der AMOC kommen, steht auf tönernen Füßen”, sagt etwa Jochem Marotzke, Direktor der Forschungsabteilung Ozean im Erdsystem am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Er kritisiert: Die Studie arbeite mit vereinfachten Modellen, die das tatsächliche Verhalten der AMOC womöglich nicht korrekt wiedergäben. Zudem gebe es “erhebliche Zweifel” daran, ob die gemessene Oberflächentemperatur, mit der die Studie arbeite, als Basis für derart weitreichende Interpretationen ausreichend sei.

    Auch Johanna Baehr, Leiterin Klimamodellierung am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg, sagt: Die Arbeit werde “der Komplexität des Klimasystems in vielerlei Hinsicht nicht gerecht”. Ein abrupter Zusammenbruch der AMOC sei “nach wie vor – wie im 6. IPCC-Sachstandsbericht beschrieben – in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.”

    Zentrales Kippelement im Klimasystem

    Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hingegen bewertet die Studie positiv. Sie ergänze die Evidenz dafür, dass der Kipppunkt der AMOC “viel näher ist, als wir noch vor ein paar Jahren dachten”, sagt Rahmstorf. Zwar könne eine einzelne Studie nur begrenzte Beweise liefern. “Aber wenn mehrere Ansätze zu ähnlichen Schlussfolgerungen führen, muss dies sehr ernst genommen werden. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt nun, dass wir nicht einmal ausschließen können, dass wir bereits in den nächsten ein oder zwei Jahrzehnten einen Kipppunkt überschreiten.”

    Die AMOC gilt als ein zentrales Kippelement im Klimasystem der Erde. Sie besteht aus mehreren Meeresströmungen im Atlantik, die an der Meeresoberfläche warmes, salzhaltiges Wasser nach Norden bringen, während in der Tiefe kaltes, salzärmeres Wasser nach Süden fließt. Der Zusammenbruch dieses Strömungssystems hätte erhebliche Auswirkungen auf das Klima vor allem der Nordhalbkugel.

    Angetrieben wird die AMOC insbesondere durch unterschiedliche Temperaturen und Salzgehalte des Wassers in verschiedenen Breitengraden und Tiefen des Ozeans. Doch weil durch die Schmelze des Grönlandeises stetig mehr Süßwasser in den Nordatlantik gelangt, schwächt sich dieser Antrieb ab. Darüber herrscht in der Klimaforschung praktisch Konsens: Der aktuelle Sachstandsbericht des IPCC stuft eine Abschwächung der AMOC im 21. Jahrhundert als “sehr wahrscheinlich” ein.

    Die Forschung ist sich allerdings nicht einig darüber, wie groß die Gefahr eines völligen Zusammenbruchs der AMOC in naher Zukunft ist. Auch der IPCC rechnet nicht mit einem Zusammenbruch im 21. Jahrhundert – und warnt dennoch davor, dass ein solcher Kollaps durch unerwartete große Einträge von Schmelzwasser aus Grönland ausgelöst werden könnte. ae

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    Exportkredite: BMWK hat Vetorecht bei Gasprojekten

    Nach monatelangem Streit hat sich die Bundesregierung auf klimapolitische Leitlinien für die Vergabe von staatlichen Exportkreditgarantien (auch bekannt als Hermes-Bürgschaften) geeinigt. Umstritten war vor allem, ob künftig noch neue Gas-Förderprojekte im Ausland finanziert werden dürfen. Weil Deutschland sich bei der Klimakonferenz in Glasgow zum Ausstieg aus der Finanzierung neuer fossiler Projekte verpflichtet hatte, wollten die Grünen diese ausschließen. Bundeskanzler Olaf Scholz drängte dagegen unter Berufung auf einen G7-Beschluss auf Ausnahmen, um Projekte wie die Erschließung eines neuen Gasfeldes im Senegal zu ermöglichen, für das er sich bei einem Besuch im vergangenen Jahr intensiv eingesetzt hatte.

    Ausgegangen ist der Streit mit einem Kompromiss. Scholz kann sich darüber freuen, dass neue Gasprojekte theoretisch weiterhin gefördert werden können. Das BMWK hat aber Bedingungen durchgesetzt, die es zweifelhaft erscheinen lassen, dass das in der Praxis auch passieren wird: Es muss eine Notlage bei der Versorgung vorliegen, das Projekt muss mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel sein, und es dürfen keine Lock-In-Effekte entstehen.

    Zwar sind für diese Bedingungen keine klaren Kriterien festgelegt, aber das Ministerium von Robert Habeck ist in einer starken Position. Denn die Entscheidung, ob sie erfüllt sind, fällt im sogenannten Interministeriellen Ausschuss, in dem das BMF, das AA, das BMZ und das BMWK sitzen – und dort müssen Entscheidungen im Konsens fallen. Wenn sich das Klimaschutzministerium an der weit verbreiteten Einschätzung orientiert, dass neue fossile Projekte generell nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel sind, dürfte es also keine Förderung geben. mkr

    • Bundesregierung
    • Gas
    • Robert Habeck

    Frankreich und OECD werben für Atomkraft als Klimalösung

    Frankreich und die OECD wollen kurz vor der COP28 die mögliche Rolle der Atomkraft in der Klimadebatte stärken. Bei einer gemeinsamen Konferenz “Roadmaps to New Nuclear” Ende September am Sitz der OECD in Paris sollen etwa zwei Dutzend Staaten zusammengebracht werden, die neue Nuklearprogramme oder eine Ausweitung ihrer bisherigen Pläne debattieren wollen.

    Nach Projektionen der Nuclear Energy Agency, einer Abteilung der OECD, ist es für eine globale Erreichung der Netto-Null-Ziele bis 2050 nötig, “die nukleare Kapazität bis 2050 im Vergleich zu heute wenigstens zu verdoppeln und möglicherweise zu verdreifachen.” Die französische Ministerin für die Energiewende, Agnès Pannier-Runacher, sagte, Atomkraft sei “essenziell, um Klimaneutralität zu erreichen und gegen die Erderwärmung zu kämpfen. Viele Länder sind dazu bereit.” NEA-Generaldirektor William D. Magwood sagte, die Analysen der NEA zeigten, dass “fortgeschrittene Nuklearenergie neben Erneuerbaren und neuen Technologien wie Wasserstoff einen realistischen und praktischen Pfad zu diesem Ziel zeigen, um Energiesicherheit und Wachstum zu sichern.”

    Kritiker dagegen sehen in der Atomkraft keine entscheidende Alternative zur Energieerzeugung vor dem Hintergrund der Klimakrise: Die Technik sei im Vergleich zu erneuerbaren Energien zu teuer, zu unflexibel und der Aufbau neuer Strukturen dauere weit länger als der Zubau von Erneuerbaren. Der jährliche Überblick über die Nuklearwirtschaft, der World Nuclear Industry Status Report, zeigt für die Industrie eher Stagnation und einen globalen Abwärtstrend. Außer China und Russland setzten bisher nicht viele Länder auf eine Zukunft für diese Technik. bpo

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    • Klimaschutz

    Mindestens 34 Tote bei Waldbränden in Algerien

    Bei Waldbränden an der Mittelmeerküste von Algerien sind innerhalb von zwei Tagen 34 Menschen getötet worden. Das teilte die algerische Regierung am Dienstag mit. Unter den Toten sind auch zehn Soldaten, die versucht haben, Menschen vor den Flammen zu retten. Auch in Teilen von Italien, Frankreich, Tunesien und Griechenland gibt es zurzeit Feuer. Aus Italien und Griechenland wurden ebenfalls Todesopfer gemeldet. Aktuell herrscht in Nordafrika und Südeuropa eine extreme Hitzewelle. In Algerien wurden dabei Höchsttemperaturen von 57 Grad Celsius gemessen.

    Zusätzlich zu Hitze und Feuer müssen die Menschen in Algerien in den vergangenen zwei Wochen Strom- und Wasserausfälle aushalten. Das berichtet die New York Times. Für Ärger sorgen im Land die Gründe für die Feuer: Zwar hat die Hitze wahrscheinlich zu ihrer Ausbreitung beigetragen, es besteht aber der Verdacht, dass viele durch Brandstiftung entstanden sind. Auch in den vergangenen Sommern hatte es in Algerien immer wieder Waldbrände gegeben. kul

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    • Frankreich
    • Italien
    • Waldbrände

    Gericht lehnt Klimaklage von ClientEarth gegen Shell ab

    Die Umweltschutzorganisation ClientEarth hat in London in einem Rechtsstreit um die Klimastrategie des Mineralölkonzerns Shell einen Rückschlag erlitten. Das Gericht wies die Klage am Montag erneut ab. Das geht aus Berichten der Nachrichtenagentur Reuters hervor.

    ClientEarth hatte argumentiert, dass die aktuelle Transitionsstrategie von Shell nicht ausreiche, um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen und dass der Konzern damit seiner Verantwortung gegenüber seinen Aktionären nicht gerecht werde.

    Bereits im Mai hatte das Gericht sich geweigert, die Klage anzunehmen. Der Richter William Tower argumentierte, dass das Management eines Konzerns viele Faktoren abwägen müsse und dass Gerichte nicht in diese Prozesse eingreifen sollten. Am Montag lehnte er Verhandlungen zu der Klage darum erneut ab. Wäre die Klage angenommen worden, hätte sich daraus auch für Investoren anderer Unternehmen die Möglichkeit ergeben können, Konzerne wegen mangelnder Reaktion auf Klimarisiken zu verklagen. kul

    • Klimaklagen

    Presseschau

    Analyse: So können Städte auf extreme Hitze reagieren The Economist
    Analyse: Liefert Big Oil jetzt Big Auto aus? New Republic
    Analyse: So berichten Medien über Extremwetterereignisse im Juli CarbonBrief
    Analyse: Eine Studie zeigt, dass vegane Ernährung bis zu 75 Prozent weniger Treibhausgase verursacht The New York Times
    Analyse: Kann Kunst zur Klimakrise dabei helfen, den Planeten zu retten? The Guardian
    Reportage: Wie Babyvögel in Phoenix vor extremer Hitze gerettet werden The Washington Post
    Nachricht: Argentinien und die EU einigen sich auf eine Kooperation zu Gas, Wasserstoff und Erneuerbaren Climate Change News
    Kommentar: Herr Lindner, wo bleibt mein Klimageld? Die Zeit
    Kommentar: Es gibt auch viele Gründe, warum sich der Planet aktuell freuen kann Financial Times
    Kommentar: Offener Brief von 14 Ländern an die G20, mit der Forderung eine lebenswürdige Zukunft zu sichern Climate Change News

    Heads

    Kohle, Korruption, Giftanschlag: Ex-Eskom-CEO André de Ruyter packt aus

    André de Ruyter – ehemaliger CEO des südafrikanischen Stromversorgungsunternehmens Eskom.

    André de Ruyter hat drei aufsehenerregende Jahre hinter sich: Er wurde vergiftet, war laut eigener Aussage Kopf einer unternehmensinternen Geheimdienstoperation und musste Südafrika schließlich verlassen. Die Geschichte des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Eskom klingt eher nach dem Plot einer Netflix Crime-Serie als nach dem Leben eines CEO. Doch de Ruyters entschlossener Kampf gegen die tief sitzende Korruption bei Eskom und in Südafrika hätten ihn zum Feind der Korrupten und Kriminellen im Umfeld des Unternehmens gemacht: So jedenfalls beschreibt de Ruyter seine Zeit bei Eskom im Buch “Thruth To Power: My Three Years Inside Eskom” (2023, Penguin Random House South Africa). Seine Schilderungen zeigen, in welch schwierigem Umfeld die Energiewende Südafrikas umgesetzt werden muss.

    Der 55-jährige Jurist mit jahrelanger Erfahrung als Manager in Südafrika, China und auch Deutschland – er leitete unter anderem die Abteilung für internationalen Kohlehandel bei dem südafrikanischen Unternehmen Sasol – wird im Dezember 2019 zum CEO von Eskom ernannt. Südafrika befand sich damals mitten in der Aufklärung der Korruptionsskandale um Ex-Präsident Jacob Zuma, der Gupta-Familie und ihrer Gefolgsleute. “Eskom war zu einem Futtertrog” für diese Kreise geworden, so de Ruyter. Hatte die Financial Times das Unternehmen noch 2001 zum besten Stromversorger der Welt gekürt, sei Eskom zu seinem Amtsantritt technisch insolvent gewesen. Die Stromausfälle häuften sich. De Ruyters Ziel: Das Unternehmen wieder auf Kurs bringen, die Stromversorgung sicherstellen und die hohe Abhängigkeit von der Kohle reduzieren.

    Stromausfälle, Kohleabhängigkeit und überteuertes Klopapier

    Doch de Ruyter merkte schnell, dass ihm die Korruption auf allen Ebenen Eskoms im Weg steht. In “Truth to Power” schildert er die Ausbeutung Eskoms bis ins kleinste Detail: Wie Mafia-ähnliche Banden den Kohletransport an sich reißen und LKW-Ladungen voll hochwertiger Kohle gegen Steine und minderwertigen Brennstoff austauschen, der dann die Kraftwerke zerstört; wie Equipment in den Kohlemeilern mutwillig zerstört wird und neue Anlagen bei kriminellen Unternehmern eingekauft werden; und wie selbst Klopapier und Mülltüten zu künstlich überhöhten Preisen über Mittelsmänner eingekauft wurden und ein Teil der Kosten in dunkle Kanäle floss.

    Die selbst von Politikern der Regierungspartei ANC eingeräumten Verknüpfungen von hochrangigen ANC-Vertretern mit den Kriminellen bei Eskom und die Untätigkeit der Polizei erschweren den Kampf de Ruyters und seiner Verbündeten gegen die Korruption. Finanziert von Kontakten in der südafrikanischen Unternehmenswelt startet de Ruyter eine unternehmensinterne Geheimdienstoperation, um mehr Informationen zu erlangen und der Staatsanwaltschaft selbst Beweise für die tief verwurzelte Ausbeutung vorzulegen. Dabei habe er sich Feinde innerhalb Eskoms gemacht, bei den staatlichen Sicherheitsdiensten und den Kreisen, die Eskom ausplünderten, so der CEO im Rückblick.

    Zyanid im Kaffeebecher

    Auch mit sein Bestreben zum Ausbau der Erneuerbaren macht de Ruyter nicht viele Freunde bei ANC, den Gewerkschaften und im Umfeld von Eskom. “Die zahlreichen Möglichkeiten für Korruption, Diebstahl und Betrug” im Kohlesektor verdeutlichen, “dass die grüne Energie ein Ökosystem stören wird, von dem viele Interessengruppen profitieren”, schreibt der ehemalige Konzernchef. Diese Einschätzung verheißt nichts Gutes für die Just Energy Transition Partnership Südafrikas mit westlichen Staaten, die de Ruyter laut eigenen Angaben mitverhandelt hat.

    De Ruyters Zeit bei Eskom endet mit einem Knall. Am 12. Dezember 2022 reicht er seinen Rücktritt ein. Einen Tag später wird seine Kaffeetasse mit Zyanid versetzt. De Ruyter hat Glück, dass sein Arzt ihm hoch dosiertes Vitamin-D als Gegenmittel gegen eine Zyanid-Vergiftung verabreicht. Schon vorher hatte er Angst um seine Sicherheit. In “Truth to Power” nennt er zwei Morde an Korruptionskämpfern, die ihn um seine persönliche Sicherheit bangen ließen.

    Nach der Vergiftung verlässt de Ruyter fluchtartig das Land. Er werde für eine Weile im Ausland untertauchen, aber habe keine Absicht, Südafrika langfristig zu verlassen, so der ehemalige Eskom-CEO gegenüber der Financial Times: “Ich werde einfach aufpassen, wer mich zum Kaffee einlädt”. Nico Beckert

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    Climate.Table Redaktion

    REDAKTION CLIMATE.TABLE

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