Table.Briefing: Climate

Klima: Vier Lehren für Biodiversität + EU: China und Indien sollen zahlen + Klimaclub für alle

  • Von COP zu COP: Vier Klima-Lehren für Biodiversität
  • EU: Auch China und Indien sollen bei Loss and Damage zahlen
  • Klimaclub von Scholz wird all inclusive
  • Ausgaben: 30-mal mehr für Militär als für Klimahilfen
  • Westafrika: Klimawandel macht Starkregen viel wahrscheinlicher
  • Intensiver Fischfang schädigt das Klima
  • Portrait: Maisa Rojas – Vermittlerin mit klarem Kompass
Liebe Leserin, lieber Leser,

großer Jubel auf der COP: Brasiliens künftiger Präsident Lula da Silva wurde gestern in Sharm el-Sheikh von einer begeisterten Menschenmenge mit Sprechchören begrüßt. Auf dem Gipfel kündigte Lula an, seine Regierung werde dem Klimaschutz und dem Kampf gegen die Entwaldung Priorität einräumen. Um Brasilien dabei zu unterstützen, wollen Deutschland und Norwegen den Amazonienfonds wiederbeleben, der unter dem bisherigen Präsidenten Jair Bolsonaro eingefroren worden war.

Naturschutz und Klimaschutz gehören zusammen, das konnte man am gestrigen “Tag der Biodiversität” auf vielen Veranstaltungen des Gipfels hören. Wälder speichern CO₂. Artenreiche Ökosysteme können der Erderwärmung besser widerstehen. Damit sie in Zukunft noch besser dazu in der Lage sind, soll im Dezember im kanadischen Montreal ein globales Abkommen für den Naturschutz beschlossen werden. Welche Lehren die Verhandler dort aus dem Pariser Klimavertrag ziehen sollten, analysiert Lukas Scheid.

In den offiziellen COP-Verhandlungen steigt der Druck unterdessen spürbar. Eine der umstrittensten Fragen, die in den verbleibenden Tagen verhandelt werden, ist die, wie ein finanzieller Ausgleich für Loss and Damage in Zukunft aussehen soll. Sollen Indien und China zahlen? Welche Form soll der Finanzierungsmechanismus haben?

Gemeinsam mit der deutschen Staatssekretärin Jennifer Morgan koordiniert die chilenische Umweltministerin Maisa Rojas die Gespräche über Loss and Damage. Als Politikerin ist sie noch nicht lange dabei, als Klimaforscherin aber umso erfahrener. Sie weiß, worum es in diesen Verhandlungen geht und sie hat klare Vorstellungen davon, wie sich Chile verändern muss. Wir stellen Ihnen die Vorkämpferin eines neuen Entwicklungsmodells vor.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Ihre
Alexandra Endres
Bild von Alexandra  Endres

Analyse

Biodiversitäts-COP in Montreal: Vier Lehren aus Paris

Dass ein ganzer Thementag im Zeichen der Biodiversität steht, ist bislang einzigartig in der Geschichte der UN-Klimakonferenzen. Der Natur- und Artenschutz haben eine eigene von den Klimakonferenzen abgekoppelte COP, die bislang meist unter dem Radar flog und in diesem Jahr in Montreal stattfindet. Spätestens mit den Erkenntnissen aus dem sechsten IPCC-Sachstandsbericht (AR6) ist jedoch klar, dass Klimaschutz und Naturschutz zwei Seiten einer Medaille sind.

Am Mittwoch wurde mit dem Thementag in Sharm el-Sheikh die Brücke zu dieser “kleinen” COP15 geschlagen. Ein wichtiges Zeichen, denn in Montreal soll Historisches entstehen: ein globaler Rahmen für den Schutz der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt. Auch wenn es in Kanada kein völkerrechtlich bindendes Vertragswerk geben wird, soll dieser globale Rahmen dieselbe politische Schlagkraft für die Biodiversität bekommen, wie sie das Pariser-Abkommen beim Klimaschutz hat.

Der Vergleich weckt Erwartungen, doch stellen die Klimakonferenzen auch ein Vorbild dar, von dem man aus vier Gründen lernen kann:

1. Ein Ziel formulieren

Vor 2015 war in den politischen Debatten nicht eindeutig, welcher Temperaturanstieg für den Planeten noch vertretbar ist. Seit Paris ist unumstritten und von allen Ländern der UN bestätigt, dass 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau das ultimative Ziel ist. Ein solches Ziel braucht es auch für die Biodiversität. Und es ist in Aussicht.

Das 30×30-Ziel – 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Naturschutz – wird schon jetzt von über 100 Ländern unterstützt. “30×30 ist das 1,5-Grad-Ziel”, erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Mittwoch auf der COP27. Auch wenn das 1,5 Grad-Ziel in Sharm el-Sheikh wieder unter Beschuss ist, hat die Formulierung des Ziels durchaus zu einer neuen Dynamik in der internationalen Klimapolitik beigetragen.

Zwar weiß auch die Ministerin, dass 30 Prozent geschützte Flächen nicht ausreichen, um das Artensterben und die Entwaldung zu verhindern. Doch es sei nun einmal das Ziel, dass am ehesten konsensfähig ist, erklärte sie.

2. Maßnahmen formulieren

Neben einem Ziel ist es unabdinglich, bereits so früh wie möglich konkrete Maßnahmen festzulegen. Wie das Pariser Ziel erreicht werden soll, ist auch sieben Jahre später noch immer eines der prägenden Themen auf den Klimakonferenzen. Das soll beim Naturschutz anders werden, fordert Lemke: “Wir müssen jetzt mit der Implementierung beginnen.”

Dafür wird es nicht reichen, den Ländern fünf Jahre Zeit zu lassen, um eigene Ziele wie die NDCs zu formulieren und weitere zwei für deren Implementierung. Die EU verfügt bereits über Wald-, Renaturierungs- und Wasserstrategien. Solche konkreten Maßnahmen könnten ein Vorbild für den globalen Rahmen sein.

Außerdem muss bereits von Beginn an das Monitoring der Umsetzung festgelegt werden. Wie sollen die Fortschritte bemessen werden? Wie wird sichergestellt, dass die unternommenen Maßnahmen auch tatsächlich zum Naturschutz beitragen und keine Flächen schützen, die ohnehin nicht bedroht sind? Für die Überprüfung der Ziele müssen schon in Montreal konkrete Schritte unternommen werden.

3. Finanzen frühestmöglich regeln

Wie auch im Paris-Abkommen müssen langfristig alle Finanzströme mit dem globalen Naturschutzziel vereinbar werden. Wie schwer das ist, zeigt die COP27. Die Umsetzung des Artikels 2.1C, der selbiges fürs Klima schaffen soll, ist in Sharm el-Sheikh ein rotes Tuch für viele Nationen. Denn die Auswirkungen eines solchen Schrittes für die Finanzwirtschaft sind immens. Daher muss diese frühzeitig mit ins Boot geholt werden. Wie das geschehen soll, müsste bereits im globalen Rahmen vereinbart werden.

Woher schließlich das Geld für die Maßnahmen kommen soll, dürfte zu den kniffligsten Aufgaben der Verhandler werden. Aus der Erfahrung beim Klimaschutz wissen wir, dass hier die Freundschaft aufhört. Streit zwischen Nehmer- und Geberländern ist vorprogrammiert. Die Unterstützerländer sollten sich schon frühzeitig um Möglichkeiten bemühen, die Gegner des globalen Rahmens einzubeziehen.

4. Menschen einbeziehen

Indigene Völker und lokale Gemeinschaften sind aktuell für den Schutz von 80 Prozent der Natur weltweit verantwortlich. Anders als beim Klima ist der Einfluss der Indigenen Völker beim Naturschutz riesig – im positiven Sinne. Von ihrem Überleben hängt in vielen Fällen auch das Überleben der geschützten Länder ab. Menschenrechte spielen hierbei also eine entscheidende Rolle.

Deshalb muss die Perspektive derer, die jetzt schon einen Großteil dieser Arbeit erledigen, unbedingt berücksichtigt werden und in den globalen Rahmen für Naturschutz einfließen.

Doch nicht nur indigene Völker müssen einbezogen werden, auch andere Menschen gilt es mitzunehmen. Wie es falsch laufen kann, zeigt sich auch in Deutschland: Wenn Windparks gebaut werden, entsteht Widerstand oft aus dem Gefühl heraus, in den Entscheidungen übergangen zu werden. Partizipation sorgt für mehr Akzeptanz.

  • Biodiversität

News

Loss and Damage: Indien und China unter Druck

Frans Timmermans hat China aufgerufen, sich an der Finanzierung eines Loss-and-Damage-Mechanismus zu beteiligen. Der EU-Klimazar (Portrait) sagte am Mittwoch auf der COP: “China ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Warum sollten sie nicht für die Finanzierung von Verlusten und Schäden mitverantwortlich sein?” Zu einem Vorschlag der G77-Gruppe und China sagte er: “Laut dem Vorschlag der G77 sollen alle Entwicklungsländer unterstützt werden. Wir sind der Meinung, dass wir uns auf die vulnerabelsten Länder konzentrieren müssen.”

Die EU sei zudem bereit, schneller zu einer Einigung über Verluste und Schäden zu gelangen. Statt in zwei Jahren könne man sich darauf einlassen, schon im kommenden Jahr eine Regelung für die Finanzierung zu finden, so Timmermans. Man müsse schnell mit der Finanzierung anfangen und dürfe deshalb nicht auf eine Fazilität warten. Timmermans kündigte einen Alternativ-Vorschlag zum G77-Vorschlag an. Zudem hat die EU angekündigt, im Rahmen der EU-Africa Global Gateway Initiative 60 Millionen Euro für Loss and Damage bereitzustellen.

Auch Mauritius, Jamaika und Ghana fordern, dass nicht nur die westlichen Industrieländer in einen Fonds zur Finanzierung des Wiederaufbaus nach Klimakatastrophen einzahlen. “Diejenigen, die CO₂ emittieren, sollten einen Beitrag leisten”, sagte Matthew Samuda, Leiter der COP27-Delegation Jamaikas. Der mauritische Umweltminister Kavydass Ramano will, dass “alle großen Emittenten” Mittel zur Verfügung stellen, berichtet Bloomberg. Vertreter Südafrikas und Malis auf der COP sagten demnach, China und Indien sollten sich freiwillig beteiligen. Ein Sprecher der indischen Delegation lehnte einen Pflicht-Beitrag ab.

Kein Freifahrtschein

Schon zu Beginn COP hatte Gaston Browne, Premierminister von Antigua und Barbuda, im Namen der Inselstaaten (AOSIS) gesagt, China und Indien hätten als größter und drittgrößter CO2-Emittent eine Verpflichtung, in einen Fonds für Verluste und Schäden einzuzahlen. “Ich glaube nicht, dass es einen Freifahrtschein für irgendein Land gibt, und ich sage das nicht mit Bitterkeit”, hatte Browne gesagt.

Chinas Chefverhandler Xie Zhenhua hatte Unterstützung für einen solchen Fonds geäußert und eine Beteiligung an einem Loss-and-Damage-Mechanismus angekündigt. Allerdings hatte er einen finanziellen Beitrag vorerst ausgeschlossen. nib/luk

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  • Klimafinanzierung
  • Loss and Damage

“Klimaclub” von Olaf Scholz wird “all-inclusive”

Der “Klimaclub” von Klima-Vorreiterstaaten, mit denen Bundeskanzler Olaf Scholz die internationalen Verhandlungen in exklusivem Rahmen vorantreiben wollte, wird zu einer “inklusiven” Gruppe. Mit dem Projekt solle vor allem die Dekarbonisierung der Industrie in möglichst vielen Staaten der Welt vorangebracht werden, erklärte Stefan Wenzel, parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, am Mittwoch auf der COP27.

Damit hat sich die ursprüngliche Idee des “Klimaclubs” verändert. Mit dem neuen Konzept begegnet die Bundesregierung auch der Kritik, sie schließe wichtige potenzielle Partner aus.

“Die Resonanz ist sehr positiv”, sagte Wenzel. Es sei eine “Dynamik entstanden, die sehr gut sein kann”. Bisher hätten auf die deutsche G7-Initiative vom Juni schon viele Staaten Interesse gezeigt. Darunter seien neben den G7-Ländern auch industriepolitische Schwergewichte wie Indien, Indonesien, Südafrika und Südkorea.

2022: Allianz zur Dekarbonisierung der Industrie

Dem “Klimaclub” können demnach jetzt Länder beitreten, wenn sie:

  • eine ehrgeizige Klimaschutzpolitik verfolgen
  • die Dekarbonisierung ihrer Industrie vorantreiben
  • und dazu internationale Partnerschaften nutzen wollen.

Mit dieser Ausrichtung “hat sich die Idee des Klubs weiterentwickelt”, hieß es. Ursprünglich hatte Scholz von einem “Klimaclub” gesprochen, der Vorreiter-Länder beim Klimaschutz vor Nachteilen im globalen Wettbewerb wegen Klimaschutzmaßnahmen schützen sollte. Auch sollte die Abwanderung von CO₂-intensiven Industrien in andere Länder mit geringeren Standards (“Carbon leakage”) verhindert werden.

2021: Klimaneutrale Vorreiter mit CO2-Preis

Um das zu erreichen, sah das Konzept, das Scholz 2021 als SPD-Kanzlerkandidat vorlegte, unter anderem weitreichende Maßnahmen bei der Dekarbonisierung von Industrie und Politik vor. Das Konzept hatte Kritik hervorgerufen, weil es auch die geplante CO₂-Steuer an den EU-Außengrenzen (CBAM) betroffen hätte. Damals sollte die Mitgliedschaft im Club an hohe Hürden gebunden werden:

  • die Teilnehmer verpflichten sich auf Klimaneutralität 2050 und setzen ehrgeizige Minderungsziele für 2030.
  • die Staaten arbeiten an gemeinsamen Strategien zur Transformation der energieintensiven Industrie und dem Aufbau der grünen Wasserstofftechnik
  • die Teilnehmer erfassen einheitlich ihre CO₂-Emissionen vor allem in energieintensiven Branchen und
  • geben CO₂-Emissionen in diesen Branchen “zumindest im Energie- und Industriesektor einen mittelfristig einheitlichen (Mindest-)Preis. Mitglieder verpflichten sich dazu, einen gemeinsam festgelegten Mindestpreis nicht mehr zu unterschreiten und verständigen sich auf einen Pfad für den CO₂-Mindestpreis im Zeitablauf.”

Von den meisten dieser Forderungen ist der “Klima-Club”, der jetzt entstehen soll, inzwischen abgerückt. bpo

  • COP27
  • Klimaclub
  • Olaf Scholz

30 Mal mehr für Militär als für Klima

Die reichsten Staaten geben 30 Mal mehr für ihr Militär aus, als sie an Mittel im Bereich Klimaschutz an die anfälligsten Länder zahlen. Das zeigt eine Studie der NGO Transnational Institute (TNI).

Viele Militärs würden hervorheben, dass sie grüner werden wollen. Doch laut TNI sei das schwer möglich:

  • Das Militär habe noch keine geeigneten Kraftstoffalternativen gefunden, vor allem Alternativen für Flugzeuge und Kampfjets seien zu teuer
  • Die meisten der erklärten “Netto-Null-Ziele” basieren laut TNI auf falschen Annahmen und basieren auf der Annahme, dass in Zukunft Carbon Capture Technologien verfügbar seien
  • neue Waffensysteme würden mehr Treibstoff verbrauchen als Vorgänger-Versionen.

Laut den Autoren könnten die jährlichen Militärausgaben der zehn Staaten mit den größten Ausgaben die versprochene internationale Klimafinanzierung für 15 Jahre – 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr – finanzieren.

Militär verursacht 5,5 Prozent der weltweiten Emissionen

Weltweit ist das Militär für schätzungsweise 5,5 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Circa ein Fünftel davon geht auf “betriebliche Emissionen”, beispielsweise auf Militärbasen, zurück. Der Großteil stammt aus Lieferketten (Scope 3-Emissionen), wie eine neue Studie der Scientists for Global Responsibility und des Conflict and Environment Observatory zeigt. Wäre das globale Militär ein Land, hätte es demnach den viertgrößten CO₂-Fußabdruck der Welt.

Die Autoren konnten nur auf einen kleinen Ausschnitt offizieller Daten zurückgreifen. Emissionsdaten für das Militär sind oft unvollständig, in zivilen Kategorien versteckt oder werden gar nicht erhoben, so die Studie. Das Pariser Klimaabkommen schreibt die Berichterstattung über militärische Emissionen nicht vor und überlässt es den Staaten, freiwillig Daten zu veröffentlichen. “Dass die Länder nicht dazu verpflichtet sind, die Emissionen ihres Militärs und der Rüstungsindustrie offenzulegen, ist inakzeptabel”, betont Angelika Claußen, Vorsitzende der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs. nib

  • Militär

Westafrika: Klimawandel macht Starkregen viel wahrscheinlicher

Starke Regenfälle, die zwischen Juni und Oktober dieses Jahres in Nigeria, Niger, Tschad und den Nachbarländern zu Überschwemmungen mit mehr als 800 Todesopfern geführt haben, wurden durch den Klimawandel um das 80-fache wahrscheinlicher: Das ist das Ergebnis einer Analyse der World Weather Attribution Group. Für die Untersuchung hatte ein internationales Team von Klimawissenschaftlern zu den jüngsten Extremereignissen in Westafrika geforscht.

Die Überschwemmungen in Nigeria, Niger, Tschad und den Nachbarländern gehörten zu den tödlichsten, die je in der Region verzeichnet wurden. Allein in Nigeria kamen 612 Menschen ums Leben, 1,5 Millionen Menschen wurden vertrieben und rund 570.000 Hektar Ackerland wurden beschädigt. Auch Kamerun und Benin waren betroffen. Die Überschwemmungen folgten auf eine Regenzeit, die feuchter als gewöhnlich war und kurze Perioden mit sehr starkem Regen beinhaltete.

Das internationale Team analysierte zusätzlich die Dürre im Jahr 2021, die die Ernteerträge in Mali, Burkina Faso, Niger, Nigeria und Tschad verringerte und im darauffolgenden Jahr zu einer Nahrungsmittelkrise führte. Hier konnten die Wissenschaftler den Einfluss des Klimawandels nicht abschätzen, da es keine zuverlässigen Daten von Wetterstationen gibt.

Starke Regenfälle kein seltenes Ereignis mehr

Um die Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels zu quantifizieren, hatten Forscher Wetterdaten und Computersimulationen aus den Ländern genutzt und das heutige Klima, das sich seit Ende des 19. Jahrhunderts um etwa 1,2 Grad erwärmt hat, mit dem Klima der Vergangenheit verglichen. Die Analyse konzentrierte sich auf zwei Regionen: das Tschadseebecken, in dem in der Regenzeit überdurchschnittlich viele Niederschläge fielen, und das untere Nigerbecken, in dem es kürzere, intensive Regenfälle gab.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass:

  • der vom Menschen verursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit, dass die Regenzeit im Tschadseebecken so nass ist wie in diesem Jahr, um das 80-fache erhöht hat.
  • die diesjährige Regenzeit um 20 Prozent nasser war, als sie es ohne den Einfluss des Klimawandels gewesen wäre.
  • kürzeren Perioden intensiver Regenfälle im unteren Nigerbecken, die die Überschwemmungen verschlimmerten, jetzt in etwa doppelt so wahrscheinlich sind.

Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass das genaue Ausmaß des Einflusses des Klimawandels ungewiss ist, da die Niederschläge in der Region sehr unterschiedlich sind.

Der Einfluss des Klimawandels bedeute, dass die langanhaltenden Regenfälle, die zu den Überschwemmungen geführt haben, nicht länger ein seltenes Ereignis sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass der überdurchschnittlich starke Regen während der Regenzeit auftritt, liegt jetzt bei etwa eins zu zehn pro Jahr; ohne menschliche Aktivitäten wäre dies ein extrem seltenes Ereignis gewesen.

Die Auswirkungen der Überschwemmungen wurden durch die Nähe von Häusern, Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen zu den Überschwemmungsgebieten in Verbindung mit Armut, Konflikten und politischer Instabilität noch verschlimmert.

Die Forscher kritisieren den Mangel wichtiger Wetterstationen und fordern verstärkte Investitionen in eine bessere Infrastruktur, damit die Menschen in der Region die Wetterschwankungen besser verstehen und sich auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten können. nik

  • Dürre
  • Extremwetter

Überfischung schädigt Klima

Intensiver Fischfang wirkt sich massiv auf das Klima aus. Ein Grund dafür ist die Fischerei mit Grundschleppnetzen. “Die meisten Grundschleppnetze bestehen aus einem trichterförmigen Netz, das von einem oder mehreren Schiffen gezogen wird. Dabei werden Scherbretter, so groß wie Scheunentore, über den Boden gezogen, um das Netz offenzuhalten”, erklärt der Meeresbiologe Rainer Froese vom Geomar Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Die Kette, die zwischen diesen Scherbrettern gespannt ist, wird über den Meeresboden geschleift. Dabei wird das dort abgelagerte CO2 wieder aufgewirbelt – und das Meer kann weniger zusätzliches CO2 aufnehmen.

Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen werden laut einer US-amerikanischen Studie von 2021 weltweit jährlich rund 1,5 Milliarden Tonnen CO2 unter Wasser freigesetzt. Das ist mehr als die doppelte Menge an Treibhausgasen, die Deutschland 2021 verursacht hat. Allerdings ist noch nicht bekannt, wie viel Prozent des aufgewirbelten CO2 im Wasser tatsächlich auch in die Atmosphäre gelangt. Der CO2-Anstieg im Wasser kann aber weitreichende und komplexe Auswirkungen auf den Kohlenstoffkreislauf haben, schreiben die Forscher.

Eine gesunde Ostsee nimmt dreimal mehr CO2 auf

Ein weiteres Problem ist die Überfischung der Meere. Durch das Absinken von organischen Substanzen, beispielsweise tote Fische, werden große Mengen Kohlenstoffdioxid in die Tiefe transportiert und für mehrere Jahrhunderte dem Kreislauf entzogen. Durch intensive Fischerei wird der CO2-Gehalt der Fische an Land freigesetzt und nicht am Meeresboden gespeichert. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team von der University of California in Los Angeles. “Es wird geschätzt, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ohne diese biologische Pumpe 150 bis 200 ppm höher wäre, als sie tatsächlich ist”, so das Science Media Center Germany über die Studie.

In einem kürzlich auf der COP27 veröffentlichten Paper macht die NGO “Our Fish” auf den Zusammenhang zwischen Fischfang und Klimaschutz aufmerksam. Durch die jährliche Entnahme von rund 80 Millionen Tonnen Fisch weltweit wurden bereits erhebliche Mengen CO2 dem Ozean entnommen und in die Atmosphäre entlassen. Das hätte den positiven Einfluss der Fische auf das Klima im letzten Jahrhundert fast um die Hälfte reduziert. Hinzu kommen Emissionen von Schiffen und Booten: Allein die EU-Fischereiflotte verursacht fast 7,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Die NGO fordert daher eine Abschaffung der Subventionen für Schiffsdiesel in der Fischerei.

Klimaschützer setzen sich schon länger dafür ein, die Fischerei mit Grundschleppnetzen in EU-Meeresschutzgebieten zu verbieten und stattdessen nur nachhaltige, schonende Fangmethoden zu erlauben – wie zum Beispiel Reusen, Fallen oder Ringwaden. Diese sind zwar zunächst weniger effizient. “Aber zum Aufbau gesunder Bestände müssen vorübergehend weniger Fische gefangen werden”, sagt Rainer Froese. “Dann wachsen die Bestände wieder und wir haben in drei bis fünf Jahren deutlich höhere Fänge.” Laut der im Oktober veröffentlichten Studie des Geomar Helmholtz-Zentrums könnte eine gesunde westliche Ostsee mit höherem Fischbestand dreimal mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen als heute. Sarah Kröger

  • Biodiversität
  • CO2-Senken
  • COP27
  • Wirtschaft

Heads

Maisa Rojas – Vermittlerin mit klarem Kompass

Chiles Umweltministerin Maisa Rojas

Sie hat eine der schwierigsten Aufgaben dieser COP übernommen: Chiles Umweltministerin Maisa Rojas vermittelt gemeinsam mit der deutschen Staatssekretärin Jennifer Morgan in den Verhandlungen über Loss and Damage, dem vielleicht am härtesten umkämpften Thema dieses Gipfels. Dabei hat Rojas noch nicht viel Erfahrung in der Politik, denn sie ist erst seit März 2022 im Ministeramt.

Von Haus aus ist die 50-jährige Rojas Klimawissenschaftlerin – und zwar eine renommierte. Im vergangenen Jahr war sie Autorin der IPCC-Arbeitsgruppe 1 für den sechsten Sachstandsbericht über die physikalischen Grundlagen des Klimawandels. Auch am fünften Sachstandsbericht und am IPCC-Sonderbericht zu 1,5 Grad war sie beteiligt. Bevor sie ihr Ministeramt antrat, lehrte sie an der Universidad de Chile und leitete ein in der Hauptstadt Santiago ansässiges Klimaforschungszentrum. Zu ihrer Berufung als Ministerin gratulierte der IPCC ihr auf Twitter.

Hartnäckig und global denkend

Als Forscherin weiß Rojas sehr genau, was es heißt, wenn auf dem Gipfel über Emissionsreduktion, Anpassung oder Loss and Damage verhandelt wird. Ihr wissenschaftlicher Hintergrund verleihe ihr einen Kompass, auf den sie sich fokussiere, sagte sie in Sharm el-Sheikh im Gespräch mit Climate.Table. Das verleihe ihrem Bestreben, “die Länder zu bewegen, der Herausforderung zu begegnen”, eine gewisse Hartnäckigkeit.

Rojas behalte die großen Fragen im Blick, sagt die Klimawissenschaftlerin Friederike Otto. Die beiden sind befreundet, seit sie vor drei Jahren in Oxford einen Sommer lang viel Zeit miteinander verbrachten. “Sie vergisst nicht, worum es geht, und verliert sich nicht im technischen Klein-Klein. Das beschreibt ihre ganze Art und ihre ganze Arbeit.”

Nicht nur aufgrund ihrer wissenschaftlichen Expertise sei Rojas die Richtige, um die Loss-and-Damage-Verhandlungen auf dem Gipfel zu leiten, sagt Otto. “Sie kennt die Realität der Menschen im Globalen Süden. Dadurch, dass sie in Deutschland aufgewachsen ist und in Oxford ihren PhD gemacht hat, hat sie auch eine globale Perspektive. Das hilft ihr, zu verstehen, wo die Verhandlungsparteien herkommen, nicht nur intellektuell, sondern von der Erfahrung her.

Eine natürliche Autorität

María Heolísa (Maisa) Juana Rojas Corradi wurde am 10. August 1972 in der Stadt Temuco im Süden Chiles geboren, aber sie wuchs in Deutschland auf. Offenbar hatte das einen Einfluss auf ihr Engagement für die Umwelt. Der chilenischen Zeitschrift Ya sagte Rojas, dass sie “die Ökologie und der Niedergang der Umwelt, begleiten, seit ich mich erinnern kann, schon seit der Wiege.” Kulturell hält sie sich für “ziemlich deutsch: Ich habe nicht viel Sinn für Humor, kann stur sein, bin pünktlich und schematisch.”

Otto beschreibt Rojas als “eine der coolsten Menschen, die ich kenne. Sie ist sehr warmherzig, clever, und sie hat eine natürliche Autorität, einfach durch ihre Persönlichkeit“. Im persönlichen Gespräch ist die Ministerin zugewandt, unprätentiös und klar.

Übers Klima in die Politik

Als die COP25 in Santiago de Chile stattfinden sollte – sie wurde dann aufgrund von Unruhen in der chilenischen Hauptstadt nach Madrid verlegt -, koordinierte Rojas das wissenschaftliche Begleitgremium des Gipfels. Dem britischen Guardian sagte sie, die Arbeit sei wie “ein Weckruf” gewesen, der ihr geholfen habe, die Dynamik der Spitzenpolitik zu verstehen.

Einen weiteren Weckruf erlebte sie durch die chilenische Präsidentschaftswahl 2021, als in der ersten Runde der rechte Kandidat José Antonio Kast um zwei Prozentpunkte vor seinem Gegner Gabriel Boric lag. Kast hatte die Gefahren der Klimakrise heruntergespielt. Rojas war geschockt.

Sie beschloss, ihre akademische Komfortzone zu verlassen und sich einzumischen. Gemeinsam mit anderen Forschenden schrieb sie einen Brief an die Zeitschrift Nature, in dem sie vor Kasts Wahlsieg warnten. Bald danach nahm Boric sie in sein Wahlkampfteam auf – und berief sie als Ministerin, kurz nachdem er die Stichwahl im Dezember haushoch gewann.  

Ihr Ziel ist eine robuste Gesellschaft

Als Forscherin war es Rojas immer ein Anliegen, die Naturwissenschaften mit anderen Disziplinen zu verbinden. Das verbindet sie mit Friederike Otto, die “den einseitigen Fokus auf (naturwissenschaftliche) Modelle” ebenfalls falsch findet. Das Wissenschaftszentrum für Klima und Resilienz (Centro de Ciencia del Clima y la Resiliencia), dem Rojas bis vor kurzem noch als Direktorin vorstand, erforscht den Klimawandel und die Möglichkeit, ihm zu begegnen, deshalb aus der natur- und der sozialwissenschaftlichen Perspektive.

Auch als Politikerin will Rojas Ökologie und Soziales zusammenbringen. Das Chile der Zukunft stellt sie sich als CO2-neutrales Land vor, in dem die bisherigen Klimaschäden so weit wie möglich eingedämmt sind, und dessen Gesellschaft robust genug ist, dem unausweichlichen Klimawandel zu begegnen. Chile müsse sich verändern, sagt sie: von einem Land in der Klimakrise, mit vielen Umweltproblemen und sozialen Ungleichheiten hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. “Der Wandel muss ökologisch sein, aber er muss auch sozial sein. Er muss den Stempel der Gerechtigkeit tragen”, sagt sie gegenüber Climate.Table.

Ein neuer Entwicklungsweg für Chile

Erste Entscheidungen und neue Gesetze zeigen, wie die Regierung sich das vorstellt. Seit Juni verfügt das Land über ein Klimaschutzgesetz. Es schreibt vor, dass Chile bis 2050 klimaneutral werden soll. Ebenfalls im Juni ordnete Präsident Boric an, eine Kupferschmelze zu schließen, die mit Vergiftungsfällen unter der örtlichen Bevölkerung in Verbindung gebracht worden war. Die spanische Zeitung El País bewertete das als umweltpolitische Wende. Denn Chile lebt von seinen natürlichen Ressourcen, vor allem vom Kupfer.

Rojas kommentierte die Entscheidung laut El País so: “Die politische Botschaft ist sehr klar: Dass Chile einen Entwicklungsweg einschlägt, der nicht wie bisher auf Kosten der Natur funktionieren kann, die wir für unser Wohlergehen brauchen.” Keine Entwicklung kann auf Kosten der Natur gelingen: In Sharm el Sheikh versucht Maisa Rojas nun, das allen Delegationen noch näherzubringen. Alexandra Endres

  • Chile
  • COP27
  • Dekarbonisierung
  • Klimapolitik

Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

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    • Intensiver Fischfang schädigt das Klima
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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    großer Jubel auf der COP: Brasiliens künftiger Präsident Lula da Silva wurde gestern in Sharm el-Sheikh von einer begeisterten Menschenmenge mit Sprechchören begrüßt. Auf dem Gipfel kündigte Lula an, seine Regierung werde dem Klimaschutz und dem Kampf gegen die Entwaldung Priorität einräumen. Um Brasilien dabei zu unterstützen, wollen Deutschland und Norwegen den Amazonienfonds wiederbeleben, der unter dem bisherigen Präsidenten Jair Bolsonaro eingefroren worden war.

    Naturschutz und Klimaschutz gehören zusammen, das konnte man am gestrigen “Tag der Biodiversität” auf vielen Veranstaltungen des Gipfels hören. Wälder speichern CO₂. Artenreiche Ökosysteme können der Erderwärmung besser widerstehen. Damit sie in Zukunft noch besser dazu in der Lage sind, soll im Dezember im kanadischen Montreal ein globales Abkommen für den Naturschutz beschlossen werden. Welche Lehren die Verhandler dort aus dem Pariser Klimavertrag ziehen sollten, analysiert Lukas Scheid.

    In den offiziellen COP-Verhandlungen steigt der Druck unterdessen spürbar. Eine der umstrittensten Fragen, die in den verbleibenden Tagen verhandelt werden, ist die, wie ein finanzieller Ausgleich für Loss and Damage in Zukunft aussehen soll. Sollen Indien und China zahlen? Welche Form soll der Finanzierungsmechanismus haben?

    Gemeinsam mit der deutschen Staatssekretärin Jennifer Morgan koordiniert die chilenische Umweltministerin Maisa Rojas die Gespräche über Loss and Damage. Als Politikerin ist sie noch nicht lange dabei, als Klimaforscherin aber umso erfahrener. Sie weiß, worum es in diesen Verhandlungen geht und sie hat klare Vorstellungen davon, wie sich Chile verändern muss. Wir stellen Ihnen die Vorkämpferin eines neuen Entwicklungsmodells vor.

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    Alexandra Endres
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    Biodiversitäts-COP in Montreal: Vier Lehren aus Paris

    Dass ein ganzer Thementag im Zeichen der Biodiversität steht, ist bislang einzigartig in der Geschichte der UN-Klimakonferenzen. Der Natur- und Artenschutz haben eine eigene von den Klimakonferenzen abgekoppelte COP, die bislang meist unter dem Radar flog und in diesem Jahr in Montreal stattfindet. Spätestens mit den Erkenntnissen aus dem sechsten IPCC-Sachstandsbericht (AR6) ist jedoch klar, dass Klimaschutz und Naturschutz zwei Seiten einer Medaille sind.

    Am Mittwoch wurde mit dem Thementag in Sharm el-Sheikh die Brücke zu dieser “kleinen” COP15 geschlagen. Ein wichtiges Zeichen, denn in Montreal soll Historisches entstehen: ein globaler Rahmen für den Schutz der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt. Auch wenn es in Kanada kein völkerrechtlich bindendes Vertragswerk geben wird, soll dieser globale Rahmen dieselbe politische Schlagkraft für die Biodiversität bekommen, wie sie das Pariser-Abkommen beim Klimaschutz hat.

    Der Vergleich weckt Erwartungen, doch stellen die Klimakonferenzen auch ein Vorbild dar, von dem man aus vier Gründen lernen kann:

    1. Ein Ziel formulieren

    Vor 2015 war in den politischen Debatten nicht eindeutig, welcher Temperaturanstieg für den Planeten noch vertretbar ist. Seit Paris ist unumstritten und von allen Ländern der UN bestätigt, dass 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau das ultimative Ziel ist. Ein solches Ziel braucht es auch für die Biodiversität. Und es ist in Aussicht.

    Das 30×30-Ziel – 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Naturschutz – wird schon jetzt von über 100 Ländern unterstützt. “30×30 ist das 1,5-Grad-Ziel”, erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Mittwoch auf der COP27. Auch wenn das 1,5 Grad-Ziel in Sharm el-Sheikh wieder unter Beschuss ist, hat die Formulierung des Ziels durchaus zu einer neuen Dynamik in der internationalen Klimapolitik beigetragen.

    Zwar weiß auch die Ministerin, dass 30 Prozent geschützte Flächen nicht ausreichen, um das Artensterben und die Entwaldung zu verhindern. Doch es sei nun einmal das Ziel, dass am ehesten konsensfähig ist, erklärte sie.

    2. Maßnahmen formulieren

    Neben einem Ziel ist es unabdinglich, bereits so früh wie möglich konkrete Maßnahmen festzulegen. Wie das Pariser Ziel erreicht werden soll, ist auch sieben Jahre später noch immer eines der prägenden Themen auf den Klimakonferenzen. Das soll beim Naturschutz anders werden, fordert Lemke: “Wir müssen jetzt mit der Implementierung beginnen.”

    Dafür wird es nicht reichen, den Ländern fünf Jahre Zeit zu lassen, um eigene Ziele wie die NDCs zu formulieren und weitere zwei für deren Implementierung. Die EU verfügt bereits über Wald-, Renaturierungs- und Wasserstrategien. Solche konkreten Maßnahmen könnten ein Vorbild für den globalen Rahmen sein.

    Außerdem muss bereits von Beginn an das Monitoring der Umsetzung festgelegt werden. Wie sollen die Fortschritte bemessen werden? Wie wird sichergestellt, dass die unternommenen Maßnahmen auch tatsächlich zum Naturschutz beitragen und keine Flächen schützen, die ohnehin nicht bedroht sind? Für die Überprüfung der Ziele müssen schon in Montreal konkrete Schritte unternommen werden.

    3. Finanzen frühestmöglich regeln

    Wie auch im Paris-Abkommen müssen langfristig alle Finanzströme mit dem globalen Naturschutzziel vereinbar werden. Wie schwer das ist, zeigt die COP27. Die Umsetzung des Artikels 2.1C, der selbiges fürs Klima schaffen soll, ist in Sharm el-Sheikh ein rotes Tuch für viele Nationen. Denn die Auswirkungen eines solchen Schrittes für die Finanzwirtschaft sind immens. Daher muss diese frühzeitig mit ins Boot geholt werden. Wie das geschehen soll, müsste bereits im globalen Rahmen vereinbart werden.

    Woher schließlich das Geld für die Maßnahmen kommen soll, dürfte zu den kniffligsten Aufgaben der Verhandler werden. Aus der Erfahrung beim Klimaschutz wissen wir, dass hier die Freundschaft aufhört. Streit zwischen Nehmer- und Geberländern ist vorprogrammiert. Die Unterstützerländer sollten sich schon frühzeitig um Möglichkeiten bemühen, die Gegner des globalen Rahmens einzubeziehen.

    4. Menschen einbeziehen

    Indigene Völker und lokale Gemeinschaften sind aktuell für den Schutz von 80 Prozent der Natur weltweit verantwortlich. Anders als beim Klima ist der Einfluss der Indigenen Völker beim Naturschutz riesig – im positiven Sinne. Von ihrem Überleben hängt in vielen Fällen auch das Überleben der geschützten Länder ab. Menschenrechte spielen hierbei also eine entscheidende Rolle.

    Deshalb muss die Perspektive derer, die jetzt schon einen Großteil dieser Arbeit erledigen, unbedingt berücksichtigt werden und in den globalen Rahmen für Naturschutz einfließen.

    Doch nicht nur indigene Völker müssen einbezogen werden, auch andere Menschen gilt es mitzunehmen. Wie es falsch laufen kann, zeigt sich auch in Deutschland: Wenn Windparks gebaut werden, entsteht Widerstand oft aus dem Gefühl heraus, in den Entscheidungen übergangen zu werden. Partizipation sorgt für mehr Akzeptanz.

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    Loss and Damage: Indien und China unter Druck

    Frans Timmermans hat China aufgerufen, sich an der Finanzierung eines Loss-and-Damage-Mechanismus zu beteiligen. Der EU-Klimazar (Portrait) sagte am Mittwoch auf der COP: “China ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Warum sollten sie nicht für die Finanzierung von Verlusten und Schäden mitverantwortlich sein?” Zu einem Vorschlag der G77-Gruppe und China sagte er: “Laut dem Vorschlag der G77 sollen alle Entwicklungsländer unterstützt werden. Wir sind der Meinung, dass wir uns auf die vulnerabelsten Länder konzentrieren müssen.”

    Die EU sei zudem bereit, schneller zu einer Einigung über Verluste und Schäden zu gelangen. Statt in zwei Jahren könne man sich darauf einlassen, schon im kommenden Jahr eine Regelung für die Finanzierung zu finden, so Timmermans. Man müsse schnell mit der Finanzierung anfangen und dürfe deshalb nicht auf eine Fazilität warten. Timmermans kündigte einen Alternativ-Vorschlag zum G77-Vorschlag an. Zudem hat die EU angekündigt, im Rahmen der EU-Africa Global Gateway Initiative 60 Millionen Euro für Loss and Damage bereitzustellen.

    Auch Mauritius, Jamaika und Ghana fordern, dass nicht nur die westlichen Industrieländer in einen Fonds zur Finanzierung des Wiederaufbaus nach Klimakatastrophen einzahlen. “Diejenigen, die CO₂ emittieren, sollten einen Beitrag leisten”, sagte Matthew Samuda, Leiter der COP27-Delegation Jamaikas. Der mauritische Umweltminister Kavydass Ramano will, dass “alle großen Emittenten” Mittel zur Verfügung stellen, berichtet Bloomberg. Vertreter Südafrikas und Malis auf der COP sagten demnach, China und Indien sollten sich freiwillig beteiligen. Ein Sprecher der indischen Delegation lehnte einen Pflicht-Beitrag ab.

    Kein Freifahrtschein

    Schon zu Beginn COP hatte Gaston Browne, Premierminister von Antigua und Barbuda, im Namen der Inselstaaten (AOSIS) gesagt, China und Indien hätten als größter und drittgrößter CO2-Emittent eine Verpflichtung, in einen Fonds für Verluste und Schäden einzuzahlen. “Ich glaube nicht, dass es einen Freifahrtschein für irgendein Land gibt, und ich sage das nicht mit Bitterkeit”, hatte Browne gesagt.

    Chinas Chefverhandler Xie Zhenhua hatte Unterstützung für einen solchen Fonds geäußert und eine Beteiligung an einem Loss-and-Damage-Mechanismus angekündigt. Allerdings hatte er einen finanziellen Beitrag vorerst ausgeschlossen. nib/luk

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    “Klimaclub” von Olaf Scholz wird “all-inclusive”

    Der “Klimaclub” von Klima-Vorreiterstaaten, mit denen Bundeskanzler Olaf Scholz die internationalen Verhandlungen in exklusivem Rahmen vorantreiben wollte, wird zu einer “inklusiven” Gruppe. Mit dem Projekt solle vor allem die Dekarbonisierung der Industrie in möglichst vielen Staaten der Welt vorangebracht werden, erklärte Stefan Wenzel, parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, am Mittwoch auf der COP27.

    Damit hat sich die ursprüngliche Idee des “Klimaclubs” verändert. Mit dem neuen Konzept begegnet die Bundesregierung auch der Kritik, sie schließe wichtige potenzielle Partner aus.

    “Die Resonanz ist sehr positiv”, sagte Wenzel. Es sei eine “Dynamik entstanden, die sehr gut sein kann”. Bisher hätten auf die deutsche G7-Initiative vom Juni schon viele Staaten Interesse gezeigt. Darunter seien neben den G7-Ländern auch industriepolitische Schwergewichte wie Indien, Indonesien, Südafrika und Südkorea.

    2022: Allianz zur Dekarbonisierung der Industrie

    Dem “Klimaclub” können demnach jetzt Länder beitreten, wenn sie:

    • eine ehrgeizige Klimaschutzpolitik verfolgen
    • die Dekarbonisierung ihrer Industrie vorantreiben
    • und dazu internationale Partnerschaften nutzen wollen.

    Mit dieser Ausrichtung “hat sich die Idee des Klubs weiterentwickelt”, hieß es. Ursprünglich hatte Scholz von einem “Klimaclub” gesprochen, der Vorreiter-Länder beim Klimaschutz vor Nachteilen im globalen Wettbewerb wegen Klimaschutzmaßnahmen schützen sollte. Auch sollte die Abwanderung von CO₂-intensiven Industrien in andere Länder mit geringeren Standards (“Carbon leakage”) verhindert werden.

    2021: Klimaneutrale Vorreiter mit CO2-Preis

    Um das zu erreichen, sah das Konzept, das Scholz 2021 als SPD-Kanzlerkandidat vorlegte, unter anderem weitreichende Maßnahmen bei der Dekarbonisierung von Industrie und Politik vor. Das Konzept hatte Kritik hervorgerufen, weil es auch die geplante CO₂-Steuer an den EU-Außengrenzen (CBAM) betroffen hätte. Damals sollte die Mitgliedschaft im Club an hohe Hürden gebunden werden:

    • die Teilnehmer verpflichten sich auf Klimaneutralität 2050 und setzen ehrgeizige Minderungsziele für 2030.
    • die Staaten arbeiten an gemeinsamen Strategien zur Transformation der energieintensiven Industrie und dem Aufbau der grünen Wasserstofftechnik
    • die Teilnehmer erfassen einheitlich ihre CO₂-Emissionen vor allem in energieintensiven Branchen und
    • geben CO₂-Emissionen in diesen Branchen “zumindest im Energie- und Industriesektor einen mittelfristig einheitlichen (Mindest-)Preis. Mitglieder verpflichten sich dazu, einen gemeinsam festgelegten Mindestpreis nicht mehr zu unterschreiten und verständigen sich auf einen Pfad für den CO₂-Mindestpreis im Zeitablauf.”

    Von den meisten dieser Forderungen ist der “Klima-Club”, der jetzt entstehen soll, inzwischen abgerückt. bpo

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    30 Mal mehr für Militär als für Klima

    Die reichsten Staaten geben 30 Mal mehr für ihr Militär aus, als sie an Mittel im Bereich Klimaschutz an die anfälligsten Länder zahlen. Das zeigt eine Studie der NGO Transnational Institute (TNI).

    Viele Militärs würden hervorheben, dass sie grüner werden wollen. Doch laut TNI sei das schwer möglich:

    • Das Militär habe noch keine geeigneten Kraftstoffalternativen gefunden, vor allem Alternativen für Flugzeuge und Kampfjets seien zu teuer
    • Die meisten der erklärten “Netto-Null-Ziele” basieren laut TNI auf falschen Annahmen und basieren auf der Annahme, dass in Zukunft Carbon Capture Technologien verfügbar seien
    • neue Waffensysteme würden mehr Treibstoff verbrauchen als Vorgänger-Versionen.

    Laut den Autoren könnten die jährlichen Militärausgaben der zehn Staaten mit den größten Ausgaben die versprochene internationale Klimafinanzierung für 15 Jahre – 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr – finanzieren.

    Militär verursacht 5,5 Prozent der weltweiten Emissionen

    Weltweit ist das Militär für schätzungsweise 5,5 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Circa ein Fünftel davon geht auf “betriebliche Emissionen”, beispielsweise auf Militärbasen, zurück. Der Großteil stammt aus Lieferketten (Scope 3-Emissionen), wie eine neue Studie der Scientists for Global Responsibility und des Conflict and Environment Observatory zeigt. Wäre das globale Militär ein Land, hätte es demnach den viertgrößten CO₂-Fußabdruck der Welt.

    Die Autoren konnten nur auf einen kleinen Ausschnitt offizieller Daten zurückgreifen. Emissionsdaten für das Militär sind oft unvollständig, in zivilen Kategorien versteckt oder werden gar nicht erhoben, so die Studie. Das Pariser Klimaabkommen schreibt die Berichterstattung über militärische Emissionen nicht vor und überlässt es den Staaten, freiwillig Daten zu veröffentlichen. “Dass die Länder nicht dazu verpflichtet sind, die Emissionen ihres Militärs und der Rüstungsindustrie offenzulegen, ist inakzeptabel”, betont Angelika Claußen, Vorsitzende der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs. nib

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    Westafrika: Klimawandel macht Starkregen viel wahrscheinlicher

    Starke Regenfälle, die zwischen Juni und Oktober dieses Jahres in Nigeria, Niger, Tschad und den Nachbarländern zu Überschwemmungen mit mehr als 800 Todesopfern geführt haben, wurden durch den Klimawandel um das 80-fache wahrscheinlicher: Das ist das Ergebnis einer Analyse der World Weather Attribution Group. Für die Untersuchung hatte ein internationales Team von Klimawissenschaftlern zu den jüngsten Extremereignissen in Westafrika geforscht.

    Die Überschwemmungen in Nigeria, Niger, Tschad und den Nachbarländern gehörten zu den tödlichsten, die je in der Region verzeichnet wurden. Allein in Nigeria kamen 612 Menschen ums Leben, 1,5 Millionen Menschen wurden vertrieben und rund 570.000 Hektar Ackerland wurden beschädigt. Auch Kamerun und Benin waren betroffen. Die Überschwemmungen folgten auf eine Regenzeit, die feuchter als gewöhnlich war und kurze Perioden mit sehr starkem Regen beinhaltete.

    Das internationale Team analysierte zusätzlich die Dürre im Jahr 2021, die die Ernteerträge in Mali, Burkina Faso, Niger, Nigeria und Tschad verringerte und im darauffolgenden Jahr zu einer Nahrungsmittelkrise führte. Hier konnten die Wissenschaftler den Einfluss des Klimawandels nicht abschätzen, da es keine zuverlässigen Daten von Wetterstationen gibt.

    Starke Regenfälle kein seltenes Ereignis mehr

    Um die Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels zu quantifizieren, hatten Forscher Wetterdaten und Computersimulationen aus den Ländern genutzt und das heutige Klima, das sich seit Ende des 19. Jahrhunderts um etwa 1,2 Grad erwärmt hat, mit dem Klima der Vergangenheit verglichen. Die Analyse konzentrierte sich auf zwei Regionen: das Tschadseebecken, in dem in der Regenzeit überdurchschnittlich viele Niederschläge fielen, und das untere Nigerbecken, in dem es kürzere, intensive Regenfälle gab.

    Die Wissenschaftler fanden heraus, dass:

    • der vom Menschen verursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit, dass die Regenzeit im Tschadseebecken so nass ist wie in diesem Jahr, um das 80-fache erhöht hat.
    • die diesjährige Regenzeit um 20 Prozent nasser war, als sie es ohne den Einfluss des Klimawandels gewesen wäre.
    • kürzeren Perioden intensiver Regenfälle im unteren Nigerbecken, die die Überschwemmungen verschlimmerten, jetzt in etwa doppelt so wahrscheinlich sind.

    Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass das genaue Ausmaß des Einflusses des Klimawandels ungewiss ist, da die Niederschläge in der Region sehr unterschiedlich sind.

    Der Einfluss des Klimawandels bedeute, dass die langanhaltenden Regenfälle, die zu den Überschwemmungen geführt haben, nicht länger ein seltenes Ereignis sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass der überdurchschnittlich starke Regen während der Regenzeit auftritt, liegt jetzt bei etwa eins zu zehn pro Jahr; ohne menschliche Aktivitäten wäre dies ein extrem seltenes Ereignis gewesen.

    Die Auswirkungen der Überschwemmungen wurden durch die Nähe von Häusern, Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen zu den Überschwemmungsgebieten in Verbindung mit Armut, Konflikten und politischer Instabilität noch verschlimmert.

    Die Forscher kritisieren den Mangel wichtiger Wetterstationen und fordern verstärkte Investitionen in eine bessere Infrastruktur, damit die Menschen in der Region die Wetterschwankungen besser verstehen und sich auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten können. nik

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    • Extremwetter

    Überfischung schädigt Klima

    Intensiver Fischfang wirkt sich massiv auf das Klima aus. Ein Grund dafür ist die Fischerei mit Grundschleppnetzen. “Die meisten Grundschleppnetze bestehen aus einem trichterförmigen Netz, das von einem oder mehreren Schiffen gezogen wird. Dabei werden Scherbretter, so groß wie Scheunentore, über den Boden gezogen, um das Netz offenzuhalten”, erklärt der Meeresbiologe Rainer Froese vom Geomar Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Die Kette, die zwischen diesen Scherbrettern gespannt ist, wird über den Meeresboden geschleift. Dabei wird das dort abgelagerte CO2 wieder aufgewirbelt – und das Meer kann weniger zusätzliches CO2 aufnehmen.

    Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen werden laut einer US-amerikanischen Studie von 2021 weltweit jährlich rund 1,5 Milliarden Tonnen CO2 unter Wasser freigesetzt. Das ist mehr als die doppelte Menge an Treibhausgasen, die Deutschland 2021 verursacht hat. Allerdings ist noch nicht bekannt, wie viel Prozent des aufgewirbelten CO2 im Wasser tatsächlich auch in die Atmosphäre gelangt. Der CO2-Anstieg im Wasser kann aber weitreichende und komplexe Auswirkungen auf den Kohlenstoffkreislauf haben, schreiben die Forscher.

    Eine gesunde Ostsee nimmt dreimal mehr CO2 auf

    Ein weiteres Problem ist die Überfischung der Meere. Durch das Absinken von organischen Substanzen, beispielsweise tote Fische, werden große Mengen Kohlenstoffdioxid in die Tiefe transportiert und für mehrere Jahrhunderte dem Kreislauf entzogen. Durch intensive Fischerei wird der CO2-Gehalt der Fische an Land freigesetzt und nicht am Meeresboden gespeichert. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team von der University of California in Los Angeles. “Es wird geschätzt, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ohne diese biologische Pumpe 150 bis 200 ppm höher wäre, als sie tatsächlich ist”, so das Science Media Center Germany über die Studie.

    In einem kürzlich auf der COP27 veröffentlichten Paper macht die NGO “Our Fish” auf den Zusammenhang zwischen Fischfang und Klimaschutz aufmerksam. Durch die jährliche Entnahme von rund 80 Millionen Tonnen Fisch weltweit wurden bereits erhebliche Mengen CO2 dem Ozean entnommen und in die Atmosphäre entlassen. Das hätte den positiven Einfluss der Fische auf das Klima im letzten Jahrhundert fast um die Hälfte reduziert. Hinzu kommen Emissionen von Schiffen und Booten: Allein die EU-Fischereiflotte verursacht fast 7,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Die NGO fordert daher eine Abschaffung der Subventionen für Schiffsdiesel in der Fischerei.

    Klimaschützer setzen sich schon länger dafür ein, die Fischerei mit Grundschleppnetzen in EU-Meeresschutzgebieten zu verbieten und stattdessen nur nachhaltige, schonende Fangmethoden zu erlauben – wie zum Beispiel Reusen, Fallen oder Ringwaden. Diese sind zwar zunächst weniger effizient. “Aber zum Aufbau gesunder Bestände müssen vorübergehend weniger Fische gefangen werden”, sagt Rainer Froese. “Dann wachsen die Bestände wieder und wir haben in drei bis fünf Jahren deutlich höhere Fänge.” Laut der im Oktober veröffentlichten Studie des Geomar Helmholtz-Zentrums könnte eine gesunde westliche Ostsee mit höherem Fischbestand dreimal mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen als heute. Sarah Kröger

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    Heads

    Maisa Rojas – Vermittlerin mit klarem Kompass

    Chiles Umweltministerin Maisa Rojas

    Sie hat eine der schwierigsten Aufgaben dieser COP übernommen: Chiles Umweltministerin Maisa Rojas vermittelt gemeinsam mit der deutschen Staatssekretärin Jennifer Morgan in den Verhandlungen über Loss and Damage, dem vielleicht am härtesten umkämpften Thema dieses Gipfels. Dabei hat Rojas noch nicht viel Erfahrung in der Politik, denn sie ist erst seit März 2022 im Ministeramt.

    Von Haus aus ist die 50-jährige Rojas Klimawissenschaftlerin – und zwar eine renommierte. Im vergangenen Jahr war sie Autorin der IPCC-Arbeitsgruppe 1 für den sechsten Sachstandsbericht über die physikalischen Grundlagen des Klimawandels. Auch am fünften Sachstandsbericht und am IPCC-Sonderbericht zu 1,5 Grad war sie beteiligt. Bevor sie ihr Ministeramt antrat, lehrte sie an der Universidad de Chile und leitete ein in der Hauptstadt Santiago ansässiges Klimaforschungszentrum. Zu ihrer Berufung als Ministerin gratulierte der IPCC ihr auf Twitter.

    Hartnäckig und global denkend

    Als Forscherin weiß Rojas sehr genau, was es heißt, wenn auf dem Gipfel über Emissionsreduktion, Anpassung oder Loss and Damage verhandelt wird. Ihr wissenschaftlicher Hintergrund verleihe ihr einen Kompass, auf den sie sich fokussiere, sagte sie in Sharm el-Sheikh im Gespräch mit Climate.Table. Das verleihe ihrem Bestreben, “die Länder zu bewegen, der Herausforderung zu begegnen”, eine gewisse Hartnäckigkeit.

    Rojas behalte die großen Fragen im Blick, sagt die Klimawissenschaftlerin Friederike Otto. Die beiden sind befreundet, seit sie vor drei Jahren in Oxford einen Sommer lang viel Zeit miteinander verbrachten. “Sie vergisst nicht, worum es geht, und verliert sich nicht im technischen Klein-Klein. Das beschreibt ihre ganze Art und ihre ganze Arbeit.”

    Nicht nur aufgrund ihrer wissenschaftlichen Expertise sei Rojas die Richtige, um die Loss-and-Damage-Verhandlungen auf dem Gipfel zu leiten, sagt Otto. “Sie kennt die Realität der Menschen im Globalen Süden. Dadurch, dass sie in Deutschland aufgewachsen ist und in Oxford ihren PhD gemacht hat, hat sie auch eine globale Perspektive. Das hilft ihr, zu verstehen, wo die Verhandlungsparteien herkommen, nicht nur intellektuell, sondern von der Erfahrung her.

    Eine natürliche Autorität

    María Heolísa (Maisa) Juana Rojas Corradi wurde am 10. August 1972 in der Stadt Temuco im Süden Chiles geboren, aber sie wuchs in Deutschland auf. Offenbar hatte das einen Einfluss auf ihr Engagement für die Umwelt. Der chilenischen Zeitschrift Ya sagte Rojas, dass sie “die Ökologie und der Niedergang der Umwelt, begleiten, seit ich mich erinnern kann, schon seit der Wiege.” Kulturell hält sie sich für “ziemlich deutsch: Ich habe nicht viel Sinn für Humor, kann stur sein, bin pünktlich und schematisch.”

    Otto beschreibt Rojas als “eine der coolsten Menschen, die ich kenne. Sie ist sehr warmherzig, clever, und sie hat eine natürliche Autorität, einfach durch ihre Persönlichkeit“. Im persönlichen Gespräch ist die Ministerin zugewandt, unprätentiös und klar.

    Übers Klima in die Politik

    Als die COP25 in Santiago de Chile stattfinden sollte – sie wurde dann aufgrund von Unruhen in der chilenischen Hauptstadt nach Madrid verlegt -, koordinierte Rojas das wissenschaftliche Begleitgremium des Gipfels. Dem britischen Guardian sagte sie, die Arbeit sei wie “ein Weckruf” gewesen, der ihr geholfen habe, die Dynamik der Spitzenpolitik zu verstehen.

    Einen weiteren Weckruf erlebte sie durch die chilenische Präsidentschaftswahl 2021, als in der ersten Runde der rechte Kandidat José Antonio Kast um zwei Prozentpunkte vor seinem Gegner Gabriel Boric lag. Kast hatte die Gefahren der Klimakrise heruntergespielt. Rojas war geschockt.

    Sie beschloss, ihre akademische Komfortzone zu verlassen und sich einzumischen. Gemeinsam mit anderen Forschenden schrieb sie einen Brief an die Zeitschrift Nature, in dem sie vor Kasts Wahlsieg warnten. Bald danach nahm Boric sie in sein Wahlkampfteam auf – und berief sie als Ministerin, kurz nachdem er die Stichwahl im Dezember haushoch gewann.  

    Ihr Ziel ist eine robuste Gesellschaft

    Als Forscherin war es Rojas immer ein Anliegen, die Naturwissenschaften mit anderen Disziplinen zu verbinden. Das verbindet sie mit Friederike Otto, die “den einseitigen Fokus auf (naturwissenschaftliche) Modelle” ebenfalls falsch findet. Das Wissenschaftszentrum für Klima und Resilienz (Centro de Ciencia del Clima y la Resiliencia), dem Rojas bis vor kurzem noch als Direktorin vorstand, erforscht den Klimawandel und die Möglichkeit, ihm zu begegnen, deshalb aus der natur- und der sozialwissenschaftlichen Perspektive.

    Auch als Politikerin will Rojas Ökologie und Soziales zusammenbringen. Das Chile der Zukunft stellt sie sich als CO2-neutrales Land vor, in dem die bisherigen Klimaschäden so weit wie möglich eingedämmt sind, und dessen Gesellschaft robust genug ist, dem unausweichlichen Klimawandel zu begegnen. Chile müsse sich verändern, sagt sie: von einem Land in der Klimakrise, mit vielen Umweltproblemen und sozialen Ungleichheiten hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. “Der Wandel muss ökologisch sein, aber er muss auch sozial sein. Er muss den Stempel der Gerechtigkeit tragen”, sagt sie gegenüber Climate.Table.

    Ein neuer Entwicklungsweg für Chile

    Erste Entscheidungen und neue Gesetze zeigen, wie die Regierung sich das vorstellt. Seit Juni verfügt das Land über ein Klimaschutzgesetz. Es schreibt vor, dass Chile bis 2050 klimaneutral werden soll. Ebenfalls im Juni ordnete Präsident Boric an, eine Kupferschmelze zu schließen, die mit Vergiftungsfällen unter der örtlichen Bevölkerung in Verbindung gebracht worden war. Die spanische Zeitung El País bewertete das als umweltpolitische Wende. Denn Chile lebt von seinen natürlichen Ressourcen, vor allem vom Kupfer.

    Rojas kommentierte die Entscheidung laut El País so: “Die politische Botschaft ist sehr klar: Dass Chile einen Entwicklungsweg einschlägt, der nicht wie bisher auf Kosten der Natur funktionieren kann, die wir für unser Wohlergehen brauchen.” Keine Entwicklung kann auf Kosten der Natur gelingen: In Sharm el Sheikh versucht Maisa Rojas nun, das allen Delegationen noch näherzubringen. Alexandra Endres

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    Climate.Table Redaktion

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