Table.Briefing: Climate

Jochen Flasbarth im Interview + Amazonas-Gipfel + Stahl-Dekarbonisierung + Klimaschädliche KI

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Juli 2023 war global der heißeste jemals gemessene Monat. Erstmals lag die Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad höher als in der vorindustriellen Zeit. Damit ist das 1,5-Grad-Ziel zwar noch nicht gerissen, aber der Rekord zeigt einmal mehr: Es ist drei vor zwölf – Zeit zu handeln!

Jochen Flasbarth zeigt sich im großen Interview recht optimistisch. Beim Klimaschutz sei Europa auf einem guten Weg. Was auf der COP28 besser werden muss als im Vorjahr, was sich Flasbarth in der Klimafinanzierung erhofft und warum Lindners Sparkurs den deutschen Beitrag nicht schmälern wird, erläutert der Staatssekretär im BMZ im Gespräch mit Bernhard Pötter und Horand Knaup.

Zu langsam geht der Wandel bei der Entwaldung und im Stahlsektor voran. Auf dem Amazonas-Gipfel im brasilianischen Belém konnten sich acht Staaten nicht auf einen wirklichen Durchbruch einigen, berichtet Daniela Chiaretti von der Konferenz. Ein Ende der Entwaldung bis 2030, wie von Lula vorgeschlagen, fand keine breite Zustimmung. Im Stahlsektor werden zwar Milliardensubventionen für die Dekarbonisierung zugesagt. Doch China agiert viel zu langsam. Wäre der Stahlsektor der Volksrepublik ein Land, läge er auf Rang fünf der weltweit größten Emittenten – und die Klimapläne der Regierung für den Sektor weisen viele Schlupflöcher auf.

Beste Grüße!

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

Jochen Flasbarth: “Ja, die Lage ist schlimm – aber wir haben die Weichen gestellt”

Jochen Flasbarth, Entwicklungsstaatssekretär: “Es gibt den absoluten Willen, das Ziel Klimaneutralität zu erreichen.”

Im Jahr acht nach dem Pariser Klimaabkommen, das Sie mitverhandelt haben, steigen die Temperaturen weiter, wir haben weltweit Überschwemmungen und Waldbrände wie nie zuvor. Wo stehen wir eigentlich?

Auch wenn es seltsam klingen mag: Wir stehen acht Jahre nach Paris besser da, als ich es damals zu hoffen gewagt habe. Dass die ganze Welt über 2050 als Zielmarke für Treibausgas-Neutralität spricht, hätte ich 2015 nicht für möglich gehalten. Ja, es ist nicht global vereinbart, aber in der G7- oder auch G20-Runde ist das Konsens. Und auch, dass wir nicht über 2 Grad, sondern immer noch über 1,5 Grad als Zielmarke reden, habe ich mir in Paris nicht vorgestellt. 

Die Wirklichkeit fühlt sich anders an, die 1,5 Grad sind nicht mehr zu schaffen.

Dass wir uns in der Umsetzung noch schwer tun, keine Frage. Aber wir haben zum Beispiel mit den Just Energy Transition Partnerships wichtige Anker geworfen, wie wir besonders in wichtigen Schwellenländern die Finanzkräfte der Geber und die Ambitionen der Partner bündeln können – und das finde ich nicht schlecht. Aber klar ist: Die nächsten Schritte müssen folgen.

Überall Rekordtemperaturen, zu Land und zu Wasser. Die Wissenschaft sagt sehr deutlich: Das Tempo reicht nicht aus.

Das sind für mich zwei Ebenen. Ja, die Lage ist schlimm. Aber wir haben in Europa als Industrieland das ambitionierteste Klimaneutralitätsziel bis 2045 gesetzlich festgelegt. Und alle Weichen sind so gestellt, dass wir das auch erreichen können. Wir stehen auch im globalen Vergleich gut da. Im Übrigen lässt der Bundeskanzler nie auch nur eine Sekunde Zweifel daran, dass wir in Deutschland das Ziel 2045 erreichen. Das ganze System ist darauf ausgerichtet, den Industriestandort Deutschland und seinen Wohlstand zu erhalten, bei gleichzeitiger Klimaneutralität. Das ist alles nicht einfach, aber es gibt den absoluten Willen, dieses Ziel zu erreichen. 

Hat das Thema Klima in dieser Regierung den Stellenwert, den es haben sollte?

Natürlich kann man immer noch mehr tun. Aber wir gehen einen sehr, sehr anstrengenden Weg, auch um die Unterstützung der Bevölkerung zu bekommen. Beim Ausbau der Erneuerbaren, für den ich auch lange gekämpft habe, sind die Weichen gestellt. Das hat der Wirtschaftsminister in einer sehr schwierigen Phase fortgeführt. Oder die Wasserstoffstrategie – das sind für mich alles Belege, dass diese Regierung das Thema sehr viel ernster nimmt als die letzte.

“Wir müssen uns ganz sicher nicht verstecken”

Die Absichtserklärungen sind das eine, gleichzeitig entkernt die Regierung das Klimaschutzgesetz. Wie überzeugend ist das?

Entscheidend ist, dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren vorankommen und dass wir für die nicht verstrombaren Prozesse genügend grünen Wasserstoff haben. All das ist auf dem Weg. Im Übrigen: Das Klimaschutzgesetz ist nicht mehr meine Baustelle, dafür habe ich in meiner früheren Funktion gekämpft.

Aber die internationale Klimafinanzierung ist eine Ihrer Baustellen. Der Kanzler hat bis 2025 sechs Milliarden Euro jährlich versprochen, während der Finanzminister alle Ressorts zu einem harten Sparkurs zwingt. Wie will Deutschland seine Zusagen einhalten?

2021 waren wir bei 5,34 Milliarden. Es gibt noch eine Lücke – aber ich bin zuversichtlich, dass die zugesagte Finanzierung erreicht werden kann. Vonseiten des BMZ werden Klimaschutz und -anpassung noch stärker in alle Programme hineingetragen. Und die anderen beteiligten Häuser – Wirtschafts-, Umwelt- und Außenministerium – stufen das Thema auch hoch ein. Ganz sicher müssen wir uns im Herbst beim SDG-Gipfel und auch bei der COP im November nicht verstecken.

Wie sahen die Zahlen 2022 aus?

Belastbare Zahlen gibt es noch nicht. Die Auswertung ist ziemlich aufwendig, vermutlich wissen wir Ende August mehr.

Klar ist aber, dass es zwischen 2024 und 2025 einen ziemlichen Sprung nach oben geben muss, um das Kanzler-Versprechen einzulösen.

Warum? Wir hatten 2021 deutlich über fünf Milliarden erreicht. Die Zahlen für das Folgejahr werden ähnlich sein. Wir haben zum Beispiel Ende 2022 den PtX-Fonds mit insgesamt 270 Millionen Euro auf den Weg gebracht, mit dem wir grünen Wasserstoff unterstützen. Wir haben Klima- und Entwicklungspartnerschaften abgeschlossen, unter anderem mit Südafrika, Vietnam, Indonesien, Kenia und Peru. Das ist mit erheblichen zusätzlichen Mitteln verbunden. Deshalb werden die Zahlen von 2022 sicher über denen von 2021 liegen. Und dann müssen wir schauen, wie wir ein eventuell verbleibendes Delta bis 2025 schließen. 

“Wir helfen beim Wiederaufbau – und das zugleich transformativ”

Dass die Sparoperation des Finanzministers die Lücke wieder vergrößern könnte, befürchten Sie nicht?

Nein, ich sehe das nicht. Denn wir sehen Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz nicht als Alternativen, sondern wir binden beides zusammen. Auch in Krisen, zum Beispiel bei unserer Unterstützung für die Ukraine: wir helfen beim Wiederaufbau und tun das zugleich transformativ. Oder bei der Ernährungssicherung: Wir erhöhen die Bodenfruchtbarkeit und entwickeln neue Landwirtschaftstechniken, um zugleich die Klimaanpassung voranzubringen. Wir wollen eben nicht nur Nahrungsmittel liefern, sondern die Widerstandsfähigkeit der Länder so erhöhen, dass Hungerbekämpfung, landwirtschaftliche Produktion und Klimaanpassung Hand in Hand gehen.

Hungerbekämpfung, Klimaanpassung und Wasserstofftechnologie aufzusummieren – ist das die Formel, um weltweit die 100 Milliarden jährlich zu erreichen, die die Industrieländer dem globalen Süden versprochen haben?

Das klingt so, als ob ich mich dabei schlecht fühlen müsste. Warum? Wir fördern in unserer Entwicklungszusammenarbeit ausschließlich grünen Wasserstoff. Das ist neben dem Ausbau der Erneuerbaren eine der Kerntechnologien im Klimaschutz und deshalb Teil der internationalen Klimafinanzierung für Entwicklungsländer. Außerdem gelten wir als eines der Länder, das die OECD-Kriterien zur Klimafinanzierung streng einhält. Warum also sollte grüne Wasserstoffförderung etwas anderes sein als Klimaschutz?

“Wir werden uns keinen schlanken Fuß machen”

Weil man das Gefühl hat, dass hier etwas schön gerechnet wird. Die Industrieländer wollten 2023 die 100 Milliarden erreichen. Bisher hat niemand bestätigt, dass das eingehalten wird. Überall heißt es, die OECD rechnet noch.

Nichts wird von uns schön gerechnet! Wasserstoff kann nur angerechnet werden, wenn er regenerativ, also mit erneuerbaren Energien hergestellt wird. Und auch Mittel für die Hungerbekämpfung können nur angerechnet werden, wenn sie entweder Anpassungs- oder Minderungsanteile haben. Ein Reissack, der nach Liberia verschifft wird, zählt nicht dazu. Wenn wir helfen, im Niger die Halbmondtechnik mit einer größeren Wasserhaltekapazität des Bodens wieder einzuführen und wir dadurch sechs Tonnen CO₂ pro Hektar und Jahr sparen, erreichen wir gleich mehrere Ziele damit. Und eines kann ich sicher sagen: Wir werden uns keinen schlanken Fuß machen. Deutschland wird mehr als nur rechnerisch einen fairen Anteil zur internationalen Klimafinanzierung beitragen. 

Akzeptieren denn die Partnerländer die Wasserstofftechnologie als Teil des 100-Milliarden-Pakets?

Man muss zu seiner Haltung stehen. Und unsere Haltung ist, dass in Ländern wie Marokko oder Namibia die Wasserstofftechnologie selbstverständlich ein Teil unserer Entwicklungszusammenarbeit ist. Wir setzen uns dafür ein, dass neue Wasserstoff-Lieferketten auch zu guter, nachhaltiger Entwicklung vor Ort führen. Dass gleichzeitig die Energiewende vor Ort vorangetrieben und die lokale Bevölkerung mit Strom versorgt wird. Wenn das nicht akzeptiert wird, müssen wir besprechen, warum nicht. Das heißt ja nicht, dass wir an anderer Stelle weniger machen. 

Haben Sie Beispiele?

In Südafrika sind die Stromabschaltungen die größte ökonomische Bremse. Wenn wir dazu beitragen, dass das Land eine zunehmend sichere Energieversorgung mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien bekommt, ist das der beste Weg, auch zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen unser Geld zielgerichtet ausgeben. Es ist immer Teil der jeweiligen bilateralen Zusammenarbeit. Und dann wird es auch angerechnet.

Hat denn die COP im November in Dubai eine Chance auf Erfolg, wenn wir die 100 Milliarden nicht erreichen?

Es würde die Verhandlungen sicher nicht erleichtern. Aber das Gute an den OECD-Zahlen ist ja, dass sie eben nicht schön gerechnet werden können. Deshalb: Wenn die Zahlen ergeben, dass wir auf einem guten Weg sind, wäre es sicher hilfreich. Wenn sie es nicht belegen, werden die Verhandlungen anstrengender.

“Emissionsminderung – das muss in Dubai besser werden”

Die Klimakonferenz in einem der fossilsten Länder der Erde. Kann da etwas herauskommen?

Unsere Botschaft an die Gastgeber ist, dass wir insbesondere bei der Emissionsminderung etwas erwarten. Das ist die weiße Stelle, die bei der letzten COP hinterlassen wurde. Das muss in Dubai besser werden.

Wäre für die Industrieländer denkbar, dass sie sagen, wir legen nach 2025 noch mal was drauf, wenn auch andere Länder wie China oder Südkorea, die bisher sehr zurückhaltend waren, dabei sind?

Ich würde allen bisherigen Gebern davon abraten, eine zusätzliche finanzielle Zusage zu machen, wenn nicht alle, die in der Lage sind, einen Beitrag zu leisten, mit eingebunden werden. Und natürlich alle die, die das Klimaproblem mit verursachen. Das war der große Makel der letzten COP, dass sich China der Loss-and-Damage-Finanzierung entzogen hat. Ich hätte mir gewünscht, dass wir Länder wie China, die arabischen Staaten, Singapur und andere schon damals mit eingebunden hätten. 

Und das bezieht dann auch das Speichern von CO₂, also CCS, ein?

Darüber gibt es eine Debatte, ja. Aber da bin ich entspannt, weil dieser technische Weg keine Chancen hat, ökonomisch zum Gewinnerthema zu werden.

Kühne Aussage!

Mag sein, so sehe ich es aber. Die dauerhafte Produktion auf fossiler Basis, um die Emissionen aus der Energieerzeugung dann abzuscheiden und einzuspeichern, war immer schon wirtschaftliches Wunschdenken. Es gibt aber natürlich Länder, die werden nicht auf diese Option verzichten wollen. Und wenn diese Länder glauben, sie hätten einen Business Case, dann kann ich nur sagen: Go ahead!

“Alle Weichen sind auf 100 Prozent Erneuerbare gestellt”

Die Frage stellt sich doch grundsätzlicher. Wenn CCS jetzt irgendwo beschlossen wird, ist das eine Frischzellenkur für das gesamte fossile System. Es wäre die Botschaft, wir machen weiter mit Kohle, Öl und Gas. Es würde sich eine neue Hintertür öffnen.

Überhaupt nicht. In Europa sind alle Weichen gestellt auf eine Welt mit 100 Prozent Erneuerbaren. Es wird ein bisschen CCS geben bei den nicht vermeidbaren Industrieemissionen; aber das wird es dann auch sein. Die Realität ist doch, dass es im Moment ohne staatliche Unterstützung keine fossilen Investitionen mehr gibt. Ohne eine staatliche Risikoübernahme investieren die BPs und Shells dieser Welt nicht mehr in Öl oder Gas.

Und trotzdem hat die EU genau das – nämlich CCS – vor kurzem nicht ausgeschlossen. 

Und? Wer macht es? Ich sehe niemanden. Alle EU-Staaten müssen 2050 treibhausgasneutral sein. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist eindeutig, dass die EU ein Vorreiter bleiben wird und dass die Realität im Wesentlichen eine erneuerbare und bei einigen wenigen Mitgliedsstaaten auch eine nukleare sein wird.

Wird es in Dubai nicht so sein, dass wir ein globales Ziel für Erneuerbare bekommen, das keinem weh tut? Einschließlich fossiler Energien, die weiter betrieben werden dürfen, wenn es CCS gibt?

Ich empfinde die CCS-Debatte als nicht so dräuend. Mit allen unseren Partnerländern reden wir ausschließlich über den Ausbau der Erneuerbaren. Auch bei den anderen Geberländern gibt es keine relevanten CCS-Vorhaben, während die Erneuerbaren samt Speicher eine inzwischen weit entwickelte Technologie sind. Kann gut sein, dass sich die klassischen fossilen Länder eine Tür offen halten wollen. Und doch: Als ich kürzlich im Irak war, war deren größte Sorge, sie könnten den Anschluss an die Erneuerbaren inklusive Wasserstoff verpassen, weil gerade die arabischen Staaten hier so massiv vorangehen.

“Unsere Partner werfen uns sehr deutlich Doppelzüngigkeit vor”

Im Senegal unterstützen wir aber erst einmal die Gasförderung. Wie passt das zusammen?

Wir haben mit dem Senegal eine sehr gute Vereinbarung zu einer Just Energy Transition Partnership hinbekommen, im Rahmen derer die Förderung fossiler Energien ausgeschlossen ist. Und ich glaube, das gute Ergebnis, nämlich bis 2030 40 Prozent der Stromerzeugungskapazitäten im Senegal durch Erneuerbare abzudecken, wäre ohne uns nicht zustande gekommen. Nur weil wir überzeugend aufgetreten sind, hat der Staatspräsident am Ende 40 Prozent statt der zunächst angepeilten 35 Prozent zugestimmt. Bei dem Wirtschaftswachstum, das der Senegal anpeilt, ist das sehr bemerkenswert. Die Vereinbarung schreibt dem Senegal aber natürlich nicht vor, auf sein eigenes Gas gänzlich zu verzichten.

Also Gas auch hier als Brückentechnologie?

Wir haben auch in Deutschland Gas als Brückentechnologie. Und dann anderen zu sagen, was wir nutzen, dürft ihr nicht in Anspruch nehmen, ist schwer zu vermitteln. Wir haben derzeit ohnehin ziemliche Diskussionen mit unseren Partnern in Afrika, die uns an vielen Stellen und sehr deutlich Doppelzüngigkeit vorwerfen. Zu sagen, wir fördern die Erneuerbaren, aber nur, wenn du unterschreibst, dein Gas nicht zu benutzen – das fände ich nicht in Ordnung. 

Wie begegnet man als europäisches Geberland dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit?

Nicht Europa hat das Abkommen von Paris unterschrieben, sondern die ganze Welt. Und das nehmen wir als Maßstab. Wir dürfen uns nicht in die Ecke drängen lassen, Klimaschutz sei nur ein Anliegen des Westens oder des Nordens. Allerdings müssen wir dann auch liefern – bei der Zusammenarbeit und bei der Finanzierung. 

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Amazonas-Gipfel: Der Beginn einer Anti-Abholzungs-Allianz

Ecuadors Außeminister Gustavo Manrique, Guayanas Premierminister Mark Phillips, Kolumbiens Präsiden Gustavo Petro, Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silca, Boliviens Präsident Luis Acre, Preus Präsidentin Dina Boluarte, Venezuelas Vize-Präsidentin Delcy Rodriguez und Surinams Außenminister Albert Ramdin
Sie trafen sich in Belém zum Amazonas-Gipfel: Ecuadors Außenminister Manrique, Guayanas Premierminister Phillips, Kolumbiens Präsident Petro, Brasiliens Präsident Lula da Silva, Boliviens Präsident Acre, Perus Präsidentin Boluarte, Venezuelas Vize-Präsidentin Rodriguez und Surinams Außenminister Ramdin

Auf dem von Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva einberufenen Amazonas-Gipfel in Belém ist ein neuer globaler politischer Block entstanden: das Bündnis der Länder mit tropischem Regenwald. Es hat sich um die acht südamerikanischen Staaten gebildet, die zur Organisation des Amazonas-Kooperationsvertrags (OCTA) gehören. Neben Brasilien sind das Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien, Venezuela, Surinam und Guyana. Der Gipfel von Belém war ihr erstes Treffen seit 2009.

Das neue Bündnis geht jedoch über den südamerikanischen Zusammenschluss hinaus: Zusammen mit Indonesien, der Demokratischen Republik Kongo und Republik Kongo wollen die acht OCTA-Mitgliedsstaaten eine neue Kraft in der internationalen Klimaarena bilden. Die soll ihr Debüt auf der nächsten UN-Klimakonferenz (COP 28) im Dezember in den Vereinigten Arabischen Emiraten geben. In der gemeinsamen Erklärung, der sich auch der Karibikstaat St. Vincent und die Grenadinen anschloss, bekräftigten die insgesamt zwölf Staaten unter dem Titel “Vereint für unsere Wälder” ihr gemeinsames Engagement.

Keine Einigung auf Entwaldungsstopp

Die politische Abschlusserklärung der Amazonas-Anrainerstaaten selbst blieb allerdings hinter den Erwartungen zurück. Zwar vereinbarten die OCTA-Staaten in Belém eine Allianz gegen die Abholzung im Amazonasgebiet. Doch sie konnten sich nicht auf das gemeinsame Ziel einigen, die Abholzungen im Regenwald komplett zu stoppen – was vor allem von Brasilien angestrebt wurde. Lula hat sich verpflichtet, die Entwaldung im eigenen Land bis 2030 zu beenden. Aber andere OCTA-Staaten, vor allem die ärmeren Länder der Region, fühlten sich nicht bereit, dieses Ziel zu erreichen. Mit ihnen gab es keinen Konsens.

Brasilien und Kolumbien streiten über Öl

Einen weiteren Konflikt gab es um die Ölexploration in der Region. Auch dieser Streit konnte auf dem Gipfel nicht überwunden werden. Er führte vor allem zu Spannungen zwischen der brasilianischen Regierung und Kolumbiens Präsidenten Gustavo Petro.

Petro übte in seiner Rede scharfe Kritik an der Erdölförderung im Amazonasgebiet. Rechtsgerichtete politische Kräfte hätten “einen einfachen Ausweg”, sagte er, “nämlich die Leugnung, also die Wissenschaft zu leugnen”. Linksgerichtete Kräfte aber folgten “einer anderen Art der Leugnung”, indem sie “die Entscheidungen verschieben”. Wenn das Erdöl das Fortbestehen der Menschheit bedrohe, der Urwald aber das Leben schütze, dann sei es “ein totaler Widerspruch”, die Ausbeutung von Öl und Gas im Regenwald zu erlauben, sagte Petro und fuhr fort: “Wir stehen am Rande der Ausrottung des Lebens. Und in diesem Jahrzehnt müssen wir Politiker Entscheidungen treffen”.

Die kolumbianische Umweltministerin Susana Muhamad hatte sich bereits am Sonntag auf den sogenannten Amazonas-Dialogen – einer Veranstaltung im Vorfeld des Gipfels unter Beteiligung von Gruppen der Zivilgesellschaft, lokalen Regierungen, der Wissenschaft, sozialen Bewegungen und Vertretern indigener Völker – für einen Plan ausgesprochen, um die Erdölförderung in der Region nach und nach zu beenden. Doch Brasilien blockierte. Lulas Regierung beabsichtigt, in der sogenannten Äquatorialmarge nach Öl zu suchen. Das ist ein breiter Streifen, in dem auch Offshore-Bohrungen stattfinden sollen und der sich vom Amazonas bis zum Nordosten des Landes erstreckt.

Am Ende gab es in der Abschlusserklärung nur bescheidene Fortschritte zum Thema Öl. Das Dokument eröffnet einen Dialog zwischen den Amazonasländern über die Nachhaltigkeit des Bergbaus und der Ölexploration.

Abschlusserklärung stärkt Wissenschaft

Was die Abholzung betrifft, betont die Endfassung des Abschlussdokuments nun die “Dringlichkeit, sich auf gemeinsame Ziele zur Bekämpfung der Entwaldung zu einigen” und bezeichnet den kompletten Stopp der Abholzung in der Region als ein “Ideal”. Mit der Erklärung wird auch die Amazonas-Allianz zur Bekämpfung der Entwaldung ins Leben gerufen. Diese basiert zwar auf den nationalen Zielen wie dem brasilianischen Ziel des Abholzungsstopps bis 2030. Doch die nationalen Waldgesetze der einzelnen Amazonasländer unterscheiden sich dabei ebenso wie ihre Interessen.

Einer der wichtigsten Punkte der Abschlusserklärung ist die viermalige Erwähnung der Notwendigkeit, den “Point of no Return” des Amazonasgebiets zu vermeiden. Gemeint ist eine Phase, in der sich der Wald aufgrund des übermäßigen Drucks durch Abholzung und Brände nicht mehr regenerieren kann. Dann würde er zu einem Ökosystem, das einer Savanne ähnelt.

Das ist ein Sieg für die Wissenschaft, insbesondere für den brasilianischen Forscher Carlos Nobre, der den Begriff des “Point of no Return” in Studien mit dem US-Amerikaner Thomas Lovejoy geprägt hat. Der Punkt, an dem es kein Zurück mehr für den Amazonas gibt, wird ihrer Meinung nach erreicht, wenn der Wald um mehr als 20 bis 25 Prozent abgeholzt wird. Nach Angaben von MapBiomas, einem Netzwerk aus Forschenden, Umweltschutzgruppen und Tech-Startups, das den Regenwald vermisst, hat Brasilien bereits 21 Prozent seines Waldes abgeholzt, und die gesamte Amazonas-Region hat bereits 17 Prozent ihres ursprünglichen Bewuchses verloren.

Hinweis an die EU zum Freihandel

Darüber hinaus ist die Erklärung von Belém ein interessanter Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit zwischen den Amazonasländern. Auf mehr als 20 Seiten und in 113 Paragrafen geht sie auf Amazonasstädte, Wissenschaft und Bildung, Wasserressourcen, Klimawandel, den Schutz von Biomen, polizeiliche und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit, Infrastruktur und nachhaltige Entwicklung, Gesundheit, Ernährungssicherheit, Menschenrechte, indigene Völker, kulturelle Anerkennung, diplomatische Zusammenarbeit und Umsetzung ein. 

In einem der ersten Absätze der Erklärung wird zudem die “Verbreitung einseitiger Handelsmaßnahmen, die auf der Grundlage von Umweltanforderungen und -standards zu Handelshemmnissen führen”, verurteilt. Zwar wird die Europäische Union dabei nicht explizit erwähnt. Dennoch dürfte die Passage auf die Verhandlungen zwischen dem Mercosur-Staatenbund und der EU gemünzt sein – die EU drängt auf bestimmte Nachhaltigkeitsregeln im geplanten Handelsabkommen. Das Abschlussdokument, das die Amazonas-Anrainer in Belém beschlossen, beschreibt die sogenannten “Handelshemmnisse” in erster Linie als Belastung für heimische Kleinerzeuger und Hindernisse im “Streben nach nachhaltiger Entwicklung” sowie dem Kampf gegen Armut und Hunger.

Die Erklärung “Vereint für unsere Wälder” enthält eine ähnliche verklausulierte Kritik: In ihr verurteilen die zwölf Unterzeichnerstaaten “einseitige Maßnahmen”, die ein Mittel der “willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung darstellen, oder eine verschleierte Beschränkung des internationalen Handels”.

Kampf gegen organisierte Kriminalität zum Waldschutz

In der Erklärung werden indigene Völker 64 Mal erwähnt. Sie garantiert ihnen und den traditionellen Gemeinschaften das Recht auf die von ihnen bewohnten Gebiete. Der Text sieht die Einrichtung eines zwischenstaatlichen technisch-wissenschaftlichen Gremiums für Amazonien vor, dem Forscher aus der Region angehören und an dem indigene Völker und traditionelle Gemeinschaften ständig beteiligt sind.  

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gründung des Zentrums für internationale Polizeizusammenarbeit im Amazonasgebiet mit Sitz in Manaus – einer Art Interpol des Amazonasgebiets. Das Zentrum soll helfen, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Daneben soll ein Luftverkehrskontrollsystem es ermöglichen, den Drogenhandel und die illegale Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in der Region besser zu bekämpfen. Der Hintergrund: Das organisierte Verbrechen ist im Amazonasgebiet auf dem Vormarsch und fügt dem Regenwald beispielsweise durch Koka-Anbau und illegale Goldminen gravierenden Schaden zu. Wer den Amazonas schützen wolle, müsse unbedingt gegen die organisierte Kriminalität dort vorgehen, sagen deshalb Experten wie Bram Ebus, Berater der International Crisis Group. Nun wollen die Amazonas-Staaten ihre Aktivitäten auch in diesem Bereich koordinieren.

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Stahlsektor startet Dekarbonisierung – China zu langsam

Die Emissionen in Industriesektoren wie der Stahl- und Zementerzeugung zu senken, gilt als eine der größten Herausforderungen der Klimapolitik. Doch es gibt Hoffnung: “Der Stahlsektor bewegt sich aus der Untätigkeit hin zu Fortschritten”, so ein neuer Bericht des Global Energy Monitor. “Das letzte Jahr war entscheidend für die Dekarbonisierung der Schwerindustrie”, so das Fazit. Mittlerweile basieren 43 Prozent der neu geplanten Stahlkapazitäten auf emissionsärmeren Elektrolichtbogenöfen. Zwar arbeiten noch immer 57 Prozent der geplanten Stahlwerke mit kohlebasierten Hochöfen, doch 2022 lag die Zahl noch bei 67 Prozent.

In Europa machten zuletzt drei große Subventionspakete Schlagzeilen:

  • Die EU-Kommission segnete jüngst eine Zwei-Milliarden-Euro-Förderung durch die Bundesregierung und das Land NRW für eine sogenannte Direktreduktionsanlage von Thyssen-Krupp ab. Dort soll mit Wasserstoffeinsatz Eisenerz zu Eisen umgewandelt werden. Mit den Subventionen sollen der Bau (550 Millionen) und anschließend die Mehrkosten des Betriebs (1,45 Milliarden) gefördert werden.
  • Ebenfalls im Juli 2023 gab die Kommission grünes Licht für die Förderung emissionsärmerer Stahlwerke von ArcelorMittal in Frankreich in Höhe von 850 Millionen Euro. Mit den Subventionen soll eine Kombination aus einer Direktreduktionsanlage und zwei Elektrolichtbogenöfen entstehen.
  • Und im Oktober 2022 hatte die Kommission Subventionen an den Stahlproduzenten Salzgitter in Höhe von einer Milliarde Euro zugestimmt. Kohlebasierte Hochöfen sollen schrittweise durch die klimaschonenderen Technologien der Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen ersetzt werden.

Chinas Eisen- und Stahlsektor: Mehr Emissionen als ganz Japan

“Die kohlebasierte Stahlproduktion ist rückläufig, aber nicht schnell genug”, so das Fazit von Global Energy Monitor. Vor allem in China passiert zu wenig. Das Land steht als größter Stahlproduzent vor besonders großen Aufgaben:

  • Die Volksrepublik produziert jährlich mehr als eine Milliarde Tonnen Stahl – mehr als alle anderen Staaten der Welt zusammen. Gut 90 Prozent der Stahlwerke nutzen Kohle als Energieträger, weltweit sind es nur 73 Prozent, in den USA gar nur 30 Prozent (gemessen an Kapazitäten zur Herstellung von Stahl)
  • Der Eisen- und Stahlsektor Chinas ist für fast fünf Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Wenn Chinas Stahlsektor ein Land wäre, läge er auf Rang fünf der größten CO₂-Emittenten der Welt.

Bisher sind die Klimaziele für den chinesischen Stahlsektor nicht sehr ambitioniert. Bis zum Jahr 2030 soll er einen (undefinierten) Emissionshöchststand erreichen. Dabei gehen die Emissionen schon seit zwei Jahren langsam zurück, so Xinyi Shen, Stahlexperte des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) gegenüber Table.Media. Ursache dafür ist allerdings eine geringere Nachfrage des Bau- und Infrastruktursektors, nicht strengere Regulierungen.

Maßnahmen mit Schlupflöchern

Die Regierung hat einige Maßnahmen ergriffen, um die Emissionen des Sektors mittelfristig zu senken:

  • der Bau neuer Stahlwerke ist nur erlaubt, wenn alte Kapazitäten stillgelegt werden,
  • die Stahlerzeuger müssen ein gewisses Maß an Energieeffizienz erreichen,
  • es wurden Quoten für Schrottrecycling und Obergrenzen für die Stahlproduktion eingeführt. Im Jahr 2023 darf beispielsweise nicht mehr produziert werden als 2022,
  • die Exportförderung wurde zurückgefahren.

Bei vielen dieser Maßnahmen gibt es allerdings Schlupflöcher. Caitlin Swalec von Global Energy Monitor kritisiert, einige Unternehmen würden ohnehin brachliegende Stahlwerke durch neue Kapazitäten ersetzen. Zudem gäbe es illegal betriebene, nicht registrierte Stahlwerke, die von solchen “Austauschprogrammen” gar nicht erfasst würden. Ziel der Regierung war es, die Produktionskapazität bis 2020 auf unter eine Milliarde Tonnen zu senken. Allerdings wurden im selben Jahr 1,065 Milliarden Tonnen Stahl produziert, so der Experte Xinyi Shen. Er geht davon aus, dass es circa 200 Millionen Tonnen mehr an Stahlkapazitäten gibt als vorgesehen.

Vereinzelte Investitionen in emissionsärmere Stahlerzeugung

Allerdings gibt es auch Hoffnungszeichen. Laut Shen werde bei dem Austauschprogramm seit 2021 ein besonderes Augenmerk auf emissionsarme Technologien gesetzt. Zwischen 2021 und dem 1. Halbjahr 2023 habe es “vielversprechende Fortschritte” gegeben. Seit 2021 sei der Anteil von emissionsärmeren Elektrolichtbogenöfen (Electric Arc Furnace) an der gesamten neuen Kapazität auf 30 bis 40 Prozent gestiegen, so eine neue Analyse von CREA.

Das weltweit erste Eisenwerk, das Wasserstoff zur Direktreduktion einsetzt, wurde in China gebaut, und ein auf Wasserstoff basierendes Stahlwerk werde derzeit errichtet, mit weiteren in der Pipeline, sagt Kevin Tu von Agora Energiewende China gegenüber Table.Media. Zudem gehen einige Provinzen mit innovativen Ansätzen voran. In Fujian fließen 90 Prozent der staatlichen Einnahmen aus den Stromzahlungen der Eisen- und Stahlhersteller an den Sektor zurück, um Investitionen in Elektrolichtbogenöfen, zur Energieeinsparung oder der Abscheidung von CO₂ zu finanzieren. In Sichuan gebe es Steueranreize für Elektrolichtbogenöfen, die, anders als andere Stahlwerke, auch an Tagen mit hoher Luftverschmutzung weiterproduzieren dürften, so Tu.

Allerdings reichen die Investitionen nicht aus, sagen Kritiker. “Vergleicht man die Größe der chinesischen Stahlindustrie mit dem Umfang der Investitionen in Forschung und Entwicklung und den technologischen Wandel, liegt China weit hinter Europa und den USA zurück”, sagt Caitlin Swalec von Global Energy Monitor. Das wird auch durch Daten untermauert: in den USA und Deutschland sollen ähnlich viele emissionsärmere Stahlkapazitäten entstehen, wie in China, obwohl der Stahlsektor in beiden Staaten viel kleiner ist.

CCS macht nur langsame Fortschritte

Viele chinesische Stahlunternehmen würden sich mit weiteren Investitionen zurückhalten, weil emissionsärmere Technologien noch nicht ausgereift seien. Zudem reiche die Nachfrage nach grünem Stahl nicht aus, um Investitionen anzureizen, so Shen. Tu ergänzt, die CO₂-Abscheidung (CCS) bei kohlebasierten Hochöfen mache nur sehr langsam Fortschritte. Zudem gäbe es neben einigen großen Unternehmen zahlreiche kleine Stahlerzeuger, die durch die Überkapazitäten und geringe Stahlpreise nicht über die notwendigen Mittel für Investitionen verfügen würden, um Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen.

Druck könnte durch schon bestehende Vorgaben zur Energieeffizienz entstehen. Stahlwerke, die vorgeschriebene Effizienzwerte bis 2025 nicht einhalten, sollen abgeschaltet werden. Durch die Vorgaben müssten in den kommenden beiden Jahren 30 Prozent der aktuellen Eisen- und Stahl-Kapazität stillgelegt oder modernisiert werden, sagt Kevin Tu. Allerdings wurde die Stilllegung von Stahlwerken in der Vergangenheit nicht allzu streng durchgeführt, so Bin Yan von der Beratungsfirma Sinolytics.

Schrottrecycling und Exportbeschränkungen

Auch durch das stärkere Recycling von Stahlschrott will China die Emissionen des Sektors senken. Die Regierung will “den Anteil der schrottbasierten Stahlerzeugung von zehn Prozent im Jahr 2022 auf 15 Prozent im Jahr 2025 und weiter auf 20 Prozent im Jahr 2030 erhöhen”, sagt Kevin Tu. Das werde die CO₂-Emissionen des Sektors “erheblich reduzieren”. Durch den Einsatz von Elektrolichtbogenöfen könnten die Emissionen pro Tonne Stahl um 70 Prozent gesenkt werden, so Shen von CREA. Allerdings, so Caitlin Swalec von Global Energy Monitor, fehle es noch an konkreten Maßnahmen zur Umsetzung dieser Zielmarken.

Um die ausländische Nachfrage zu drosseln und dadurch die Emissionen zu senken, habe die chinesische Regierung seit 2021 Exportzölle erhöht und Steuervorteile gesenkt. Allerdings sind Chinas Exporte durch den Schwachen Yuan und die geringen Produktionskosten noch immer sehr wettbewerbsfähig und lagen zuletzt auf einem Sieben-Jahres-Hoch, so Shen.

“Ordnungspolitische Anreize dringend erforderlich”

Um die Emissionen zu senken, sind “entschiedenere ordnungspolitische Anreize dringend erforderlich”, sagt Tu. Die hohen Kosten und fehlende Anreize hielten Unternehmen derzeit von einer freiwilligen Dekarbonisierung ab, so Shen. Die Regierung müsse “Emissionsminderungsziele setzen, finanzielle Unterstützung bereitstellen und Marktanreize schaffen, um die Stahlhersteller dazu zu bewegen, ihre Produktionsmethoden zu ändern”, sagt der CREA-Experte. Letzteres könne durch eine Aufnahme des Stahlsektors in den chinesischen Emissionshandel geschehen. Von außen könne auch der CO₂-Grenzausgleich der EU (Carbon Border Adjustment Mechanism) Druck auf chinesische Produzenten ausüben, so Swalec.

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Der Öko-Fußabdruck von KI wächst

Im Museum of Modern Art (MoMa) in Manhattan hängt in Raum 216 im zweiten Stock eine Infografik. “Anatomy of an AI System” heißt die Arbeit und sie zeigt, was es braucht, um den “smarten” Lautsprecher “Amazon Echo” zum Leben zu erwecken. Es ist eine Landkarte der Inhaltsstoffe einer Künstlichen Intelligenz: Es geht um geologische Erdprozesse und die Gewinnung der Rohstoffe, um die Herstellung von Chips, die Löhne der beteiligten Arbeiter, das Training des Systems mit Daten, die Entsorgung ausrangierter Geräte.

Bis vor ein paar Jahren waren Ökobilanzen, sogenannte “Life Cycle Assessments” (LCA), die ein Produkt von der Wiege bis zur Bahre ausleuchten, nur etwas für Forschungslabore. Das ist nun vorbei. Im Zusammenhang mit den globalen Nachhaltigkeitszielen und der Klimakrise geraten sie immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Selbst in Museen sind sie schon angekommen.

Ökobilanzen zunehmend im öffentlichen Fokus

Während es mittlerweile präzise Daten über die öko-sozialen Folgen einer Jeans oder eines Flugs gibt, sind die Erkenntnisse zu Künstlicher Intelligenz noch gering. Das hat mehrere Gründe: Rechenzentren und Tech-Firmen wie Microsoft, Amazon, Meta und der ChatGPT-Erfinder OpenAI veröffentlichen kaum Zahlen, Unternehmen und Forscher messen mit verschiedenen Methoden, und im globalen Material-, Daten- und Energiestrom fällt es schwer, KI-Anwendungen voneinander abzugrenzen. Zudem entwickelt sich die Technologie dynamisch. Angaben zum Stromverbrauch können bereits nach kurzer Zeit veraltet sein, weil sie Effizienzgewinne neuerer Geräte nicht berücksichtigen.

Das, was bekannt ist, lässt Experten – Stand jetzt – zu einem eher pessimistischen Zwischenfazit kommen. “KI-Systeme können ernsthafte Konsequenzen für die Umwelt haben”, heißt es im AI Index Report 2023, dem alljährlich viel beachteten Trendbericht der Stanford University.

Zwar kann durch das gewählte Design und die Infrastruktur Einfluss auf das Ergebnis genommen werden. Die Trainingsläufe von GPT-3, einem ChatGPT-Vorläufer, wurden beispielsweise mit 175 Milliarden Parametern entwickelt – darunter versteht man die Verbindungen von künstlichen Neuronen untereinander. Sie verursachten 502 Tonnen CO₂. Das Open-Source-Sprachmodell Bloom mit 176 Milliarden Parametern hingegen verursacht nur 25 Tonnen CO₂.

CO₂-Ausstoß durch KI dürfte steigen

Befürchtet wird aber, dass die Zahlen steigen. Beflügelt durch das Interesse an der Ende November 2022 veröffentlichen Plattform ChatGPT ist die Branche im Rausch. Die Zahl der eingesetzten Trainingsdaten und daraus resultierenden Rechenoperationen wachsen exponentiell, immer mehr Unternehmen programmieren KI-Anwendungen für Smartphone-Apps, Computer oder Fahrzeuge – und Unternehmen und Endverbraucher nutzen diese Anwendungen täglich millionen- oder gar milliardenfach.

Rund 700 Millionen Tonnen CO₂ produzierte der globale Informations- und Telekommunikationssektor 2020. Dies entsprach einem Anteil von 1,4 Prozent an den weltweiten Emissionen. Im Vergleich zum Verkehrs- oder Bausektor nimmt sich das bescheiden aus. Durch KI wird es dabei wahrscheinlich aber nicht bleiben. Sasha Luccioni, die bei dem US-Unternehmen Hugging Face an der Schnittstelle von Klimawandel und KI arbeitet, sagt: “Meine Forschung zeigt, dass die neuen Generationen von Sprachmodellen tausende Mal mehr Kohlendioxid verursachen als vorige Generationen.”

Eine weitere Herausforderung, die angesichts steigender Hitze und sinkender Grundwasserspiegel drängend wird, ist der Wasserfußabdruck. Der University of California, Riverside, zufolge verbrauchen 20 bis 50 Anfragen bei ChatGPT etwa einen halben Liter Wasser. Benötigt wird es in zwei miteinander verbundenen Prozessen: Erstens dient es dazu, Kraftwerke zu kühlen, die Strom erzeugen – zweitens muss es eingesetzt werden, um Datenzentren zu kühlen, die mit dem zuvor produzierten Strom ihre Rechner betreiben. 30 Prozent aller Rechenzentren stehen in den USA, allein Googles Einrichtungen verbrauchten 2021 fast 13 Milliarden Liter Frischwasser. Und der Bestand wächst weiter: Zwischen 2017 und 2022 nahm die Zahl der Server weltweit um mehr als 37 Prozent zu, auf 85,6 Milliarden Einheiten.

Ein halber Liter Wasser für 20 bis 50 ChatGPT-Anfragen

Einige Unternehmen rühmen sich, Verantwortung zu übernehmen. Hersteller Nvidia erklärte, selbstlernende KI-Modelle dafür einzusetzen, die Produktion seiner Chips, die essenziell für Künstliche Intelligenz sind, energiesparender zu machen. Google gab an, sein Sprachmodell PaLM über ein Rechenzentrum in Oklahoma trainiert zu haben, das durch erneuerbare Energien zu 89 Prozent CO₂-frei sei. Das ist bislang aber eine Ausnahme. Weltweit betrachtet nutzt die Mehrheit der KI-Entwickler fossile Energienetze.

Die Wissenschaftlerin Kate Crawford sagt, Künstliche Intelligenz sei angesichts der zahlreichen Probleme, die die Technologie aufwirft, weder als künstlich noch als intelligent zu bezeichnen. Die Australierin hat zusammen mit einem Künstler die im New Yorker MoMa ausgestellte Infografik entworfen und die KI-Landschaft auch in ihrem Buch “Atlas of AI” kartografiert. Darin macht sie – neben den Folgen für Natur und Umwelt – auch darauf aufmerksam, dass Menschen ausgebeutet werden. Dies geschieht etwa, indem sie zu Niedriglöhnen in “digital Sweatshops” im Akkord Rohdaten aufbereiten müssen, damit diese für Firmen wie OpenAI und deren Plattform ChatGPT als Trainingsdaten nutzbar werden.

Crawford bestreitet nicht, dass Künstliche Intelligenz die Medizin voranbringen, beim Aufbau “smarter” Energienetze helfen und autonome Fahrzeuge steuern kann. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass KI eine “extraktive Industrie” ist, wie sie schreibt, und das in vielerlei Hinsicht. Nachhaltig ist das bislang kaum.

Die Texte der Table.Media-Serie “Der globale Wettlauf um Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.

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Termine

14. bis 20. August, Großkreutz, Brandenburg
Seminar Decolonizing Climate Justice and Activism
Das Netzwerk European Youth For Action (EYFA) diskutiert auf dem Event das Thema Klimagerechtigkeit aus dekolonialer Perspektive.  Infos und Anmeldung

14. bis 18. August, Bonn
Seminar Klima(un)gerechtigkeit – Die Folgen des Klimawandels im Globalen Süden
Der Klimawandel wurde größtenteils von den Gesellschaften des Globalen Nordens verursacht, doch die Folgen treffen die Länder des Globalen Südens ungleich härter. Auf der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung geht es darum, wie Ansätze für Klimagerechtigkeit aussehen können. Infos

17. August, 10 Uhr, Online
Webinar Klimaanpassungs-Check für Kommunen in NRW
Die Kommunalberatung Klimafolgenanpassung NRW hat im Auftrag des Umweltministeriums NRW eine Orientierungshilfe zur Unterstützung der Kommunen bei der Umsetzung des Berücksichtigungsgebots gemäß § 6 Klimaanpassungsgesetz NRW veröffentlicht. Die Orientierungshilfe “Klimaanpassungs-Check für Kommunen in NRW” skizziert die wesentlichen Prämissen – Zuständigkeit, Frühzeitigkeit, Nachvollziehbarkeit. Der Klimaanpassungs-Check wird auf dem Webinar vorgestellt.   Infos

18. August, 19 Uhr, Bielefeld
Vortrag Klimawandel – Steht die Katastrophe bevor?
Donald Bäcker ist bekannt als Wettermann im “ARD-Morgenmagazin”. Meteorologie ist die Leidenschaft des gebürtigen Brandenburgers.  Bei seinem Vortrag erklärt er, auf welche Wetterphänomene sich Deutschland einstellen muss und welche Rolle der Klimawandel dabei spielt. Die Veranstaltung wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen mit dem katholischen Erwachsenenbildungswerk Bielefeld ausgerichtet. Infos

18. August, 19 Uhr, Hannover
Ausstellungseröffnung Klimaprotest & Kriminalisierung
Die Protestbewegungen gegen die Klimapolitik sind einer Welle von Kriminalisierungen ausgesetzt, die von der Kriminalisierung der “Letzten Generation” durch den §129 (Kriminelle Vereinigung) bis hin zur Beobachtung der Bewegung “Ende Gelände” durch den Verfassungsschutz reicht. Das Kulturzentrum Faust und die Rosa Luxemburg Stiftung nähern sich dem Thema mit einer Fotoausstellung. Die Ausstellung kann bis Ende August besucht werden.  Infos

News

Klima in Zahlen: Wasserstoff braucht “beispiellose” Wachstumsraten

Mit grünem Wasserstoff sind große Hoffnungen verbunden: Er soll zu weniger Emissionen im Stahlsektor beitragen, in Kraftwerken zum Einsatz kommen, die Schifffahrt und – in der Hoffnung einiger – auch den Personenverkehr klimafreundlicher machen. Doch um den künftigen Bedarf zu decken, muss die Elektrolyse-Kapazität schneller wachsen als es die Wind- und Solarindustrie in den Phasen ihres prozentual größten Wachstums vermocht hat. Das zeigt eine in der Fachzeitschrift “Nature Energy” erschienene Studie, an der insbesondere Autoren des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) beteiligt waren.

Die EU will bis 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und ebenso viel aus dem Ausland importieren. Dafür müsste sich die Elektrolyse-Kapazität ab 2024 jedes Jahr verdoppeln, so die Autoren der Studie. Solche Wachstumsraten seien “beispiellos für Energietechnologien”, schreiben sie. Ihnen zufolge wird es erst im Jahr 2038 zu einem “Durchbruch” hin zu hohen Kapazitäten kommen. Es dauere eine gewisse Zeit, bis hohe Wachstumsraten zu einer hohen installierten Kapazität von Elektrolyseuren führten. Die Autoren mahnen: Die Regierungen müssten “dringend Geschäftsmodelle für Investitionen in grünen Wasserstoff” entwickeln, beispielsweise durch finanzielle Anreize oder Quoten für grünen Wasserstoff. Damit Wasserstoff-Angebot- und -Nachfrage und die Infrastruktur für die Wasserstoff-Produktion und -Nutzung gleichzeitig wachsen könnten, brauche es “erhebliche Koordination” vonseiten der Politik.

Derweil rüttelt eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung, die vor wenigen Tagen von der Generaldirektion der EU veröffentlicht wurde, gleich an mehreren Grundüberzeugungen zur neuen Wasserstoffwelt: Laut der Analyse läge die Kapazität der Elektrolyseure, die in Deutschland wirtschaftlich betrieben werden könnten, im Jahr 2050 unter der Annahme eines perfekten Binnenmarkts bei null. Größter Produzent von Wasserstoff wäre Frankreich. Für die EU wäre es am kostengünstigsten, ihren Wasserstoffbedarf komplett selbst zu decken. Importe wären weder nötig noch wirtschaftlich. Würden Zwischenprodukte wie Ammoniak oder Eisenschwamm, die unter Einsatz von Wasserstoff hergestellt werden sollen, importiert und nur die weiteren Verarbeitungsschritte in der EU stattfinden, könnte der Wasserstoffbedarf um ein Drittel sinken. Für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien würde das einen deutlichen Unterschied machen. nib/ber/ae

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Deutschland: 58 Milliarden für grüne Investitionen

Die Bundesregierung hat sich am Mittwoch darauf geeinigt, im nächsten Jahr durch den Klima- und Transformationsfonds gut 58 Milliarden Euro für umweltfreundliche Investitionen bereitzustellen. Das sind 60 Prozent mehr als im Jahr 2023, teilte das Finanzministerium mit.

Die Investitionen entfallen auf folgende Bereiche:

  • 18,9 Milliarden Euro fließen in den Bausektor und sind für Gebäudesanierung und Neubauten vorgesehen.
  • Die Subventionen für erneuerbare Energien belaufen sich auf rund 12,6 Milliarden Euro. Zusätzlich sind gut 2,6 Milliarden für Entlastungen von energieintensiven Unternehmen vorgesehen.
  • Auch die Deutsche Bahn erhält 12,5 Milliarden Euro. Außerdem sind vier Milliarden für den Ausbau der Bahninfrastruktur vorgesehen.
  • 4,7 Milliarden Euro fließen für die Elektromobilität, beispielsweise in den Ausbau der Ladeinfrastruktur.
  • 4,1 Milliarden Euro an Subventionen sollen in den Ausbau lokaler Produktionskapazitäten für Rohstoffe und grüne Technologien wie dem Solarsektor fließen. Das soll auch die Abhängigkeiten von China verringern.
  • Etwa vier Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds sollen in die Halbleiterproduktion fließen.
  • Auch der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft soll mit 3,8 Milliarden Euro gefördert werden.

Die Gesamtinvestitionen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), ein Schattenhaushalt zur Förderung der ökologischen Transformation der Wirtschaft, würden sich zwischen 2024 und 2027 auf 212 Milliarden Euro belaufen, so das Ministerium weiter. Der Fonds wird zum Teil aus steigenden nationalen CO₂-Preisen und den erwarteten Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandel in Höhe von gut elf Milliarden Euro beziehungsweise acht Milliarden Euro finanziert.

Der Bundestag muss den Plan zusätzlich zum Entwurf des Bundeshaushalts 2024 im September beraten, eine endgültige Entscheidung über den Finanzplan wird nicht vor Dezember erwartet. nib/rtr

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Slowenien: EU verspricht Hilfe

Die EU wird Slowenien nach den verheerenden Überschwemmungen mindestens 400 Millionen Euro an Hilfe zur Verfügung stellen. Nach extremen Niederschlägen waren sechs Menschen gestorben und Zehntausende Haushalte in Mitleidenschaft gezogen worden. Die slowenische Umweltagentur erklärte, dass die Überschwemmungen am Montag zurückzugehen begannen, aber einige Gebiete immer noch von der Außenwelt abgeschnitten waren.

“Wir haben ein gutes Paket an sofortiger, mittel- und langfristiger Unterstützung für Slowenien”, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem slowenischen Ministerpräsidenten Robert Golob bei einem Besuch in einem vom Hochwasser betroffenen Gebiet. Laut von der Leyen könne Slowenien auch Hilfen aus dem “Next Generation EU-Fonds” beziehen. Dort stehen dem Land 2,7 Milliarden Euro zu. nib/rtr

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Unicef: Hitzerisiko für Kinder in Südasien besonders hoch

Drei von vier Kindern in Südasien – in absoluten Zahlen 460 Millionen – sind schon heute extremer Hitze ausgesetzt. Im globalen Durchschnitt beträgt der Anteil nur ein Drittel, wie aus einer am Montag veröffentlichten Mitteilung des UN-Kinderhilfswerks Unicef hervorgeht. Die Organisation definiert dabei “extreme Hitze” als eine Situation, in der die Kinder mindestens 83 Tage im Jahr Temperaturen von über 35 Grad ausgesetzt sind. Unicef fordert die Behörden auf, dringend mehr zum Schutz der Kinder vor extremer Hitze zu tun.

Laut Unicef kann sich der Organismus von Kindern nicht schnell an Temperaturschwankungen anpassen. Die Folgen reichen von Krämpfen, Organversagen, Dehydrierung und Ohnmachtsanfällen bis hin zu Entwicklungsstörungen und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Gefährdet seien vor allem Babys, Kleinkinder und unterernährte Kinder, aber auch schwangere Frauen. Sie könnten durch die Hitze beispielsweise Früh- und Fehlgeburten erleiden. Besonders hoch ist das Risiko laut dem 2021 veröffentlichten Unicef-Kinder-Klimarisikoindex in Afghanistan, Bangladesch, Indien, den Malediven und Pakistan.

Das Wohlergehen von Millionen Kindern in Südasien sei “zunehmend durch Hitzewellen und hohe Temperaturen bedroht”, sagte Sanjay Wijesekera, Unicef-Regionaldirektor für Südasien. Das zeigten die Daten deutlich. “Wenn wir jetzt nicht handeln, werden diese Kinder auch in den kommenden Jahren die Hauptlast von häufigeren und schwereren Hitzewellen tragen, ohne dass sie etwas dafür können.” ae

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Studie: Klimakrise erhöht Kosten für Staatsschulden

Der Klimawandel wird die Kosten für Staats- und Unternehmensschulden vergrößern und die Kreditwürdigkeit der Staaten senken. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie von Wissenschaftlern der Universität von East Anglia (UEA) und der Universität von Cambridge. “Frühzeitige Investitionen in den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel” würden die “Tragfähigkeit” der öffentlichen Haushalte verbessern, so das Fazit der Untersuchung, die laut Angaben der Autoren erstmals den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Kreditratings untersucht.

Die Wissenschaftler haben die Effekte des Klimawandels auf die Kreditwürdigkeit von 109 Staaten untersucht. Die Zerstörung von Infrastrukturen, fiskalische Auswirkungen von Extremwetterereignissen, verringerte Produktivität aufgrund von Hitze oder politische Instabilität gehören zu den möglichen negativen Folgen der Erwärmung, die sich auf die Ratings auswirken können. Die Studie hat sich dabei auf physische Risiken beschränkt.

Auch Unternehmen müssten mehr für Zinsen zahlen

Bei der Analyse kam ein KI-Tool zum Einsatz, das mit makroökonomischen Daten gefüttert wurde, die unterschiedliche zukünftige Emissionspfade widerspiegeln. Eine Klimapolitik im Einklang mit dem Pariser Abkommen (RCP 2.6-Szenario) würde demnach nur zu “minimalen Veränderungen der Kreditwürdigkeit der Staaten” führen. Die jährlichen Zinskosten der 109 Staaten würden in diesem Szenario um 45 bis 67 Milliarden US-Dollar steigen. Die zusätzlichen Zinskosten für Unternehmen beliefen sich auf zehn bis 17 Milliarden Dollar.

In einem Klima-Extrem-Szenario mit einem Temperaturanstieg um fünf Grad bis 2100 (RCP 8.5-Szenario) würden die jährlichen Zinszahlungen demnach um 135 bis 203 Milliarden US-Dollar steigen. Außerdem würden 63 Staaten bis 2030 eine Abwertung ihrer Kreditwürdigkeit erleben. Unternehmen sähen sich mit zusätzlichen Zinszahlungen in Höhe von 35 bis 61 Milliarden US-Dollar konfrontiert. Die von den Studienautoren gewählten Klimawandel-Szenarien decken allerdings zwei Extremfälle ab – sowohl die Einhaltung des 2-Grad Ziels als auch eine Erwärmung um fünf Grad gelten nicht als die realistischsten Szenarien. Modelle, die wahrscheinlicher eintreffen, wurden in der Studie nicht herangezogen. nib

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Extremes Wetter gefährdet Ernten in China

Die andauernden heftigen Regenfälle und Überflutungen in Teilen Chinas bedrohen wichtige Getreideanbaugebiete. Der extreme Niederschlag hält seit Ende Juli an. Wegen der Überschwemmungen mussten mehr als eine Million Menschen ihre Heimatorte verlassen; mindestens 62 Menschen starben. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer dürfte höher liegen, da viele Städte nicht oder nicht regelmäßig über Opferzahlen berichten.

Viele Flächen in den wichtigsten Anbaugebieten in den Provinzen Heilongjiang, Jilin and Liaoning wurden überflutet. In den drei Provinzen werden mehr als 20 Prozent des chinesischen Getreides angebaut, wie CNN berichtet. Schon im Mai hätte heftiger Niederschlag einen Teil der Ernten in der Provinz Henan zerstört und zum ersten Rückgang bei der Sommerweizen-Ernte seit sieben Jahren geführt. Die anschließende Hitzewelle habe den neuen Setzlingen zugesetzt und ihr Wachstum beeinträchtigt. Schon im vergangenen Sommer hatten Extremwetterereignisse Chinas Ernten beeinflusst.

Laut Wei Ke von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ist der Klimawandel wahrscheinlich mitverantwortlich für die aktuellen extremen Niederschläge. Die globale Erwärmung beschleunige den Wasserkreislauf und erhöhe die Niederschlagsmenge auf der ganzen Welt, so der stellvertretende Direktor des Forschungszentrums für Monsunsysteme gegenüber der chinesischen Zeitung Caixin. Bisher wurde in China bei Extremwetterereignissen sehr wenig über mögliche Verknüpfungen zum Klimawandel berichtet. Die Kommunistische Partei Chinas wolle ungern einräumen, dass sie gegen Naturgewalten machtlos ist, vermuten einige Beobachter. Auch in Indien, den USA, Kanada und Teilen der EU ist der Klimawandel ein Grund für schlechte Ernten, wie der Agrifood.Table in einer Analyse zeigt. nib

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Trotz Waldbränden: Weniger Feuerwehrleute in Europa

Waldbrände in Griechenland, Überflutungen in Slowenien und Österreich: Durch den Klimawandel werden Extremwetterereignisse häufiger und intensiver, und die zunehmende Hitze und Trockenheit begünstigen die Ausbreitung von Feuern. Überraschend ist, dass viele europäische Feuerwehren Personal abbauen. Die Slowakei (-30 Prozent), Bulgarien (-22 Prozent), Portugal (-21 Prozent) und Belgien (-19 Prozent) verzeichnen den größten Rückgang, wie die European Trade Union Confederation (ETUC) zeigt.

EU-weit gab es zwischen 2021 und 2022 demnach einen Rückgang um fast 5.300 Feuerwehrleute – von 365.000 auf unter 360.000. Die einzigen Länder, die gegen den Trend deutlich mehr Feuerwehrleute eingestellt haben, sind Spanien, Italien und Griechenland – Länder, die zuletzt besonders von Hitzewellen und Waldbränden betroffen waren. Esther Lynch, Generalsekretärin der ETUC, sagt: “Mitten in der Klimakrise die Zahl der Feuerwehrleute zu reduzieren, ist ein Rezept für eine Katastrophe”. Durch den Klimawandel steige das Risiko für Brände, ein Sparkurs gehe darum in die falsche Richtung und die europäischen Staaten müssten verstärkt in Feuerwehren investieren.

Feuerwehren in Europa fordern schon länger mehr Ressourcen für ihre Arbeit. Janez Lenarčič, EU-Kommisar für Katastrophenmanagement, will die Rolle der EU in dem Bereich ausbauen. Ende Mai hatte die EU bereits verkündet, die Luftflotte zur Brandbekämpfung des europäischen Katastrophenschutzprogramms werde deutlich vergrößert. kul

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USA: Mehr Nachhaltigkeit bei öffentlicher Beschaffung

Die US-Regierung hat ein Maßnahmenpaket vorgelegt, nach dem US-Bundesbehörden bei ihrer Beschaffung noch stärker auf den Umwelt- und Klimaschutz achten müssen. Ziel der Biden-Administration ist es, die Ausgaben der öffentlichen Hand auf Bundesebene bis spätestens 2050 klimaneutral zu machen.

Die vor wenigen Tagen vorgelegte Sustainable Products and Services Procurement Rule soll bisherige Entscheidungsspielräume einschränken und Bundesbehörden dazu verpflichten, künftig möglichst nur noch Produkte und Dienstleistungen einzukaufen, die höchsten Nachhaltigkeitsstandards genügen. Die US-Bundesbehörden verfügen über ein jährliches Budget von mehr als 630 Milliarden US-Dollar.

60 Tage für Änderungs- und Ergänzungsvorschläge

Laut US-Regierung enthält bereits ein Drittel ihrer Verträge Nachhaltigkeitsklauseln. Grundlage dafür sind Spezifikationen, Standards und Umweltzeichen der US-Umweltschutzbehörde EPA – etwa der Energy Star für energiesparende Geräte, Baumaterialien und Gebäude, oder das Water Sense Label für wassereffiziente Produkte.

Die USA rühmen sich, schon jetzt weltweit führend im Bereich der nachhaltigen Beschaffung zu sein und als Vorbild zu dienen. So hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) den USA kürzlich als bisher einzigem Land den “höchstmöglichen Status” für nachhaltige Beschaffung zuerkannt.

Über die neuen Beschaffungsregeln wird nach einer Konsultationsphase von 60 Tagen entschieden. In der Zwischenzeit können Zivilgesellschaft und Wirtschaft Änderungs- und Ergänzungsvorschläge machen. ch

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Presseschau

Analyse: Carbon Offsets werden den Amazonas nicht retten – das zeigt das Beispiel Guayana
Climate Home News 
Analyse: Gas Lock-ins und LNG Importe in Ghana Climate Home News
Hintergrund: Die Wissenschaft immer extremeres Wetter vorherzusehen Financial Times
Analyse: Winterhitzewelle in Südamerika New York Times
Interview: Robert Habeck über seine Erfahrungen an der Macht Die Zeit
Nachricht: Harvard-Professorin für Umweltrecht gibt ihre Stelle beim Ölförderer ConocoPhillips auf The Guardian
Analyse: Geringere Abholzungsraten in tropischen Regenwälder macht Hoffnung The Guardian
Nachricht: Slowenien kämpft gegen “größte Naturkatastrophe der Geschichte” Redaktionsnetzwerk Deutschland
Analyse: Der “Klimaplan” für Trumps nächste Amtszeit E&E News
Kolumne: Was heiße Meere für unser Wetter bedeuten ZDF Terra X
Nachricht: Vereinigte Arabische Emirate versprechen Proteste rund um die COP28 zuzulassen Aljazeera

Heads

Alessandra Korap – Ihr Kampf für den Wald ist noch nicht vorbei

Davi Kopenawa und Alessandra Korap.
Alessandra Korap und Davi Kopenawa – zwei indigene Führungspersönlichkeiten, die für den brasilianischen Regenwald kämpfen.

Widerstand von der Lokalbevölkerung gegen große Industriekonzerne hat in Lateinamerika oft etwas von David gegen Goliath. So ist es auch im indigenen Gebiet Sawré Muybu im Amazonas-Regenwald im Norden von Brasilien. Dort lebt das indigene Volk der Munduruku, die sich bereits seit den Achtziger Jahren gegen legalen und illegalen Bergbau in der Region wehren, zuletzt besonders gegen das britische Unternehmen Anglo American. Die 39-jährige Alessandra Korap gehört zu den bekanntesten Umweltaktivistinnen. In diesem Jahr hat sie den renommierten Goldman Environmental Prize gewonnen, der auch als “grüner Nobelpreis” bekannt ist.

“Ich finde es gut, dass unsere Arbeit und unser Kampf dadurch international an Sichtbarkeit gewinnt”, sagt Korap im Gespräch mit Table.Media. “Die vergangenen Jahre mussten wir so viele Rückschläge einstecken”. Vor Korap hatte bereits einmal eine brasilianische Frau den Goldman Prize gewonnen: 1996 wurde Marina Silva ausgezeichnet, heute ist sie Umweltministerin von Brasilien.

Die vergangenen Tage verbrachte Korap beim Amazonas-Gipfel in Belém. Sie ist enttäuscht von dem Ergebnis. Bei wichtigen Entscheidungen über das Leben und die Territorien der Indigenen säßen sie nicht mit am Tisch des Präsidenten, sagte sie. Der Regenwald und die Territorien der Indigenen müssten besser geschützt werden.

Korap fing früh an, sich für Umweltbelange im Amazonas einzusetzen. Schon 2019 machte die energische Frau auf die Quecksilberverseuchung des Bodens und Wassers aufmerksam und führte den Widerstand gegen Anglo American an. Mit Erfolg: Nach zahlreichen Demos, mehreren Rechtsstreiten, aber auch unzähligen Drohungen gegen Korap und ihre Familie gab der britische Konzern seine Vorhaben für 27 Bergbauprojekte in der Region im Jahr 2021 auf.

Indigene als Hüter des Waldes

Die Goldman Stiftung hebt hervor, dass der Sieg gegen Anglo American, besonders unter der damaligen Regierung von Jair Bolsonaro, eine bemerkenswerte Leistung sei. Unter der Regierung des rechtsextremen Ex-Präsidenten waren sowohl der Klimaschutz als auch die Rechte von Minderheiten keine Priorität. Bolsonaro hatte schon in seiner Wahlkampagne gesagt, er würde keinen Zentimeter Land als indigen mehr ausweisen lassen – und Wort gehalten. In seiner Amtszeit standen alle Prozesse für die “Demarkierung”, also zur Anerkennung von indigenem Land, still. Bolsonaro betonte immer wieder, die Indigenen hätten schon “zu viel Land”.

Gleichzeitig nahm die Abholzung in der Amazonas-Region unter Bolsonaro stark zu – auch in ausgewiesenen indigenen Gebieten, dort aber nur halb so schnell wie in anderen Regionen des Landes. Brasiliens Indigene sehen sich darum zurecht als Hüter des Waldes: “Wir kämpfen für unser Land und damit für den Schutz des Klimas”, sagt Alessandra Korap im Video-Call. “Es gibt keinen intakten Wald ohne die Menschen vor Ort”.

Koraps Alltag besteht aus unzähligen Meetings mit verschiedenen Organisationen für Umweltschutz und Indigenen-Rechte. Um daran teilzunehmen, muss sie häufig stundenlang auf Booten durch den Regenwald fahren. Außerdem studiert Korap Jura, um ihre und die Rechte der Indigenen in Zukunft noch besser verteidigen zu können, und sie ist Mutter von zwei Kindern. Viel Zeit zum Durchatmen bleibt da nicht – wenn die Umweltschützerin doch mal Freizeit hat, verbringt sie diese gerne im Wald.

Hoffnung unter neuer Regierung

Anfang des Jahres gab es in Brasilien einen Regierungswechsel. Seitdem regiert der linksgerichtete Luiz Inácio Lula da Silva. In Fragen des Klimaschutzes und der Indigenen-Rechte will sich Lula deutlich von seinem Vorgänger absetzen. Zum ersten Mal gibt es in Brasilien beispielsweise ein Ministerium für indigene Angelegenheiten – geführt von der Indigenen Sônia Guajajara. Ein wichtiger und richtiger Schritt findet Alessandra Korap. Für den Klimaschutz hat sich Lula “Null Abholzung” bis 2030 vorgenommen, Anfang Juni legte er auch einen 150-Punkte Fahrplan dafür vor.

Alessandra Korap ist froh über den Regierungswechsel. Gut sei die Situation für Indigene deswegen aber noch lange nicht. Bolsonaros Fürsprecher, die “Mannschaft des Bösen”, wie Korap sie nennt, säße noch immer in den Parlamenten und arbeite für die Landwirtschaftsindustrie und gegen die Rechte von Indigenen und den Klimaschutz. Aktuell wird sowohl vor Brasiliens oberstem Gerichtshof als auch im Gesetzgebungsprozess über die sogenannte “Marco Temporal” (deutsch: Stichtag) gestritten. Damit soll geregelt werden, dass Indigene in Zukunft nur noch dann ein Recht auf die offizielle Anerkennung ihres Landes haben, wenn sie bei Ausrufung der Verfassung 1988 bereits dort gelebt haben. Aus Sicht der Befürworter würde das Gesetz Landwirte vor Enteignung schützen. Vor allem die mächtige Agrarlobby steht dahinter.

Der Kongress hatte einem Gesetzesvorschlag zur Anwendung des Stichtags für die Ausweisung von indigenem Land Anfang Juni zugestimmt. Wenn die Stichtagsregelung tatsächlich im Gesetz verankert wird, würde sie es in Zukunft erheblich erschweren, Gebiete als indigen auszuweisen, weil viele Völker Schwierigkeiten hätten, zu belegen, dass sie bereits vor 1988 dort lebten. Auch Alessandra Koraps Heimat Sawré Muybu wäre davon womöglich betroffen – die endgültige Auszeichnung als indigenes Gebiet steht hier noch aus. “Wir kämpfen weiter”, sagt Korap. Lisa Kuner

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  • Brasilien

Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Juli 2023 war global der heißeste jemals gemessene Monat. Erstmals lag die Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad höher als in der vorindustriellen Zeit. Damit ist das 1,5-Grad-Ziel zwar noch nicht gerissen, aber der Rekord zeigt einmal mehr: Es ist drei vor zwölf – Zeit zu handeln!

    Jochen Flasbarth zeigt sich im großen Interview recht optimistisch. Beim Klimaschutz sei Europa auf einem guten Weg. Was auf der COP28 besser werden muss als im Vorjahr, was sich Flasbarth in der Klimafinanzierung erhofft und warum Lindners Sparkurs den deutschen Beitrag nicht schmälern wird, erläutert der Staatssekretär im BMZ im Gespräch mit Bernhard Pötter und Horand Knaup.

    Zu langsam geht der Wandel bei der Entwaldung und im Stahlsektor voran. Auf dem Amazonas-Gipfel im brasilianischen Belém konnten sich acht Staaten nicht auf einen wirklichen Durchbruch einigen, berichtet Daniela Chiaretti von der Konferenz. Ein Ende der Entwaldung bis 2030, wie von Lula vorgeschlagen, fand keine breite Zustimmung. Im Stahlsektor werden zwar Milliardensubventionen für die Dekarbonisierung zugesagt. Doch China agiert viel zu langsam. Wäre der Stahlsektor der Volksrepublik ein Land, läge er auf Rang fünf der weltweit größten Emittenten – und die Klimapläne der Regierung für den Sektor weisen viele Schlupflöcher auf.

    Beste Grüße!

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    Jochen Flasbarth: “Ja, die Lage ist schlimm – aber wir haben die Weichen gestellt”

    Jochen Flasbarth, Entwicklungsstaatssekretär: “Es gibt den absoluten Willen, das Ziel Klimaneutralität zu erreichen.”

    Im Jahr acht nach dem Pariser Klimaabkommen, das Sie mitverhandelt haben, steigen die Temperaturen weiter, wir haben weltweit Überschwemmungen und Waldbrände wie nie zuvor. Wo stehen wir eigentlich?

    Auch wenn es seltsam klingen mag: Wir stehen acht Jahre nach Paris besser da, als ich es damals zu hoffen gewagt habe. Dass die ganze Welt über 2050 als Zielmarke für Treibausgas-Neutralität spricht, hätte ich 2015 nicht für möglich gehalten. Ja, es ist nicht global vereinbart, aber in der G7- oder auch G20-Runde ist das Konsens. Und auch, dass wir nicht über 2 Grad, sondern immer noch über 1,5 Grad als Zielmarke reden, habe ich mir in Paris nicht vorgestellt. 

    Die Wirklichkeit fühlt sich anders an, die 1,5 Grad sind nicht mehr zu schaffen.

    Dass wir uns in der Umsetzung noch schwer tun, keine Frage. Aber wir haben zum Beispiel mit den Just Energy Transition Partnerships wichtige Anker geworfen, wie wir besonders in wichtigen Schwellenländern die Finanzkräfte der Geber und die Ambitionen der Partner bündeln können – und das finde ich nicht schlecht. Aber klar ist: Die nächsten Schritte müssen folgen.

    Überall Rekordtemperaturen, zu Land und zu Wasser. Die Wissenschaft sagt sehr deutlich: Das Tempo reicht nicht aus.

    Das sind für mich zwei Ebenen. Ja, die Lage ist schlimm. Aber wir haben in Europa als Industrieland das ambitionierteste Klimaneutralitätsziel bis 2045 gesetzlich festgelegt. Und alle Weichen sind so gestellt, dass wir das auch erreichen können. Wir stehen auch im globalen Vergleich gut da. Im Übrigen lässt der Bundeskanzler nie auch nur eine Sekunde Zweifel daran, dass wir in Deutschland das Ziel 2045 erreichen. Das ganze System ist darauf ausgerichtet, den Industriestandort Deutschland und seinen Wohlstand zu erhalten, bei gleichzeitiger Klimaneutralität. Das ist alles nicht einfach, aber es gibt den absoluten Willen, dieses Ziel zu erreichen. 

    Hat das Thema Klima in dieser Regierung den Stellenwert, den es haben sollte?

    Natürlich kann man immer noch mehr tun. Aber wir gehen einen sehr, sehr anstrengenden Weg, auch um die Unterstützung der Bevölkerung zu bekommen. Beim Ausbau der Erneuerbaren, für den ich auch lange gekämpft habe, sind die Weichen gestellt. Das hat der Wirtschaftsminister in einer sehr schwierigen Phase fortgeführt. Oder die Wasserstoffstrategie – das sind für mich alles Belege, dass diese Regierung das Thema sehr viel ernster nimmt als die letzte.

    “Wir müssen uns ganz sicher nicht verstecken”

    Die Absichtserklärungen sind das eine, gleichzeitig entkernt die Regierung das Klimaschutzgesetz. Wie überzeugend ist das?

    Entscheidend ist, dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren vorankommen und dass wir für die nicht verstrombaren Prozesse genügend grünen Wasserstoff haben. All das ist auf dem Weg. Im Übrigen: Das Klimaschutzgesetz ist nicht mehr meine Baustelle, dafür habe ich in meiner früheren Funktion gekämpft.

    Aber die internationale Klimafinanzierung ist eine Ihrer Baustellen. Der Kanzler hat bis 2025 sechs Milliarden Euro jährlich versprochen, während der Finanzminister alle Ressorts zu einem harten Sparkurs zwingt. Wie will Deutschland seine Zusagen einhalten?

    2021 waren wir bei 5,34 Milliarden. Es gibt noch eine Lücke – aber ich bin zuversichtlich, dass die zugesagte Finanzierung erreicht werden kann. Vonseiten des BMZ werden Klimaschutz und -anpassung noch stärker in alle Programme hineingetragen. Und die anderen beteiligten Häuser – Wirtschafts-, Umwelt- und Außenministerium – stufen das Thema auch hoch ein. Ganz sicher müssen wir uns im Herbst beim SDG-Gipfel und auch bei der COP im November nicht verstecken.

    Wie sahen die Zahlen 2022 aus?

    Belastbare Zahlen gibt es noch nicht. Die Auswertung ist ziemlich aufwendig, vermutlich wissen wir Ende August mehr.

    Klar ist aber, dass es zwischen 2024 und 2025 einen ziemlichen Sprung nach oben geben muss, um das Kanzler-Versprechen einzulösen.

    Warum? Wir hatten 2021 deutlich über fünf Milliarden erreicht. Die Zahlen für das Folgejahr werden ähnlich sein. Wir haben zum Beispiel Ende 2022 den PtX-Fonds mit insgesamt 270 Millionen Euro auf den Weg gebracht, mit dem wir grünen Wasserstoff unterstützen. Wir haben Klima- und Entwicklungspartnerschaften abgeschlossen, unter anderem mit Südafrika, Vietnam, Indonesien, Kenia und Peru. Das ist mit erheblichen zusätzlichen Mitteln verbunden. Deshalb werden die Zahlen von 2022 sicher über denen von 2021 liegen. Und dann müssen wir schauen, wie wir ein eventuell verbleibendes Delta bis 2025 schließen. 

    “Wir helfen beim Wiederaufbau – und das zugleich transformativ”

    Dass die Sparoperation des Finanzministers die Lücke wieder vergrößern könnte, befürchten Sie nicht?

    Nein, ich sehe das nicht. Denn wir sehen Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz nicht als Alternativen, sondern wir binden beides zusammen. Auch in Krisen, zum Beispiel bei unserer Unterstützung für die Ukraine: wir helfen beim Wiederaufbau und tun das zugleich transformativ. Oder bei der Ernährungssicherung: Wir erhöhen die Bodenfruchtbarkeit und entwickeln neue Landwirtschaftstechniken, um zugleich die Klimaanpassung voranzubringen. Wir wollen eben nicht nur Nahrungsmittel liefern, sondern die Widerstandsfähigkeit der Länder so erhöhen, dass Hungerbekämpfung, landwirtschaftliche Produktion und Klimaanpassung Hand in Hand gehen.

    Hungerbekämpfung, Klimaanpassung und Wasserstofftechnologie aufzusummieren – ist das die Formel, um weltweit die 100 Milliarden jährlich zu erreichen, die die Industrieländer dem globalen Süden versprochen haben?

    Das klingt so, als ob ich mich dabei schlecht fühlen müsste. Warum? Wir fördern in unserer Entwicklungszusammenarbeit ausschließlich grünen Wasserstoff. Das ist neben dem Ausbau der Erneuerbaren eine der Kerntechnologien im Klimaschutz und deshalb Teil der internationalen Klimafinanzierung für Entwicklungsländer. Außerdem gelten wir als eines der Länder, das die OECD-Kriterien zur Klimafinanzierung streng einhält. Warum also sollte grüne Wasserstoffförderung etwas anderes sein als Klimaschutz?

    “Wir werden uns keinen schlanken Fuß machen”

    Weil man das Gefühl hat, dass hier etwas schön gerechnet wird. Die Industrieländer wollten 2023 die 100 Milliarden erreichen. Bisher hat niemand bestätigt, dass das eingehalten wird. Überall heißt es, die OECD rechnet noch.

    Nichts wird von uns schön gerechnet! Wasserstoff kann nur angerechnet werden, wenn er regenerativ, also mit erneuerbaren Energien hergestellt wird. Und auch Mittel für die Hungerbekämpfung können nur angerechnet werden, wenn sie entweder Anpassungs- oder Minderungsanteile haben. Ein Reissack, der nach Liberia verschifft wird, zählt nicht dazu. Wenn wir helfen, im Niger die Halbmondtechnik mit einer größeren Wasserhaltekapazität des Bodens wieder einzuführen und wir dadurch sechs Tonnen CO₂ pro Hektar und Jahr sparen, erreichen wir gleich mehrere Ziele damit. Und eines kann ich sicher sagen: Wir werden uns keinen schlanken Fuß machen. Deutschland wird mehr als nur rechnerisch einen fairen Anteil zur internationalen Klimafinanzierung beitragen. 

    Akzeptieren denn die Partnerländer die Wasserstofftechnologie als Teil des 100-Milliarden-Pakets?

    Man muss zu seiner Haltung stehen. Und unsere Haltung ist, dass in Ländern wie Marokko oder Namibia die Wasserstofftechnologie selbstverständlich ein Teil unserer Entwicklungszusammenarbeit ist. Wir setzen uns dafür ein, dass neue Wasserstoff-Lieferketten auch zu guter, nachhaltiger Entwicklung vor Ort führen. Dass gleichzeitig die Energiewende vor Ort vorangetrieben und die lokale Bevölkerung mit Strom versorgt wird. Wenn das nicht akzeptiert wird, müssen wir besprechen, warum nicht. Das heißt ja nicht, dass wir an anderer Stelle weniger machen. 

    Haben Sie Beispiele?

    In Südafrika sind die Stromabschaltungen die größte ökonomische Bremse. Wenn wir dazu beitragen, dass das Land eine zunehmend sichere Energieversorgung mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien bekommt, ist das der beste Weg, auch zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen unser Geld zielgerichtet ausgeben. Es ist immer Teil der jeweiligen bilateralen Zusammenarbeit. Und dann wird es auch angerechnet.

    Hat denn die COP im November in Dubai eine Chance auf Erfolg, wenn wir die 100 Milliarden nicht erreichen?

    Es würde die Verhandlungen sicher nicht erleichtern. Aber das Gute an den OECD-Zahlen ist ja, dass sie eben nicht schön gerechnet werden können. Deshalb: Wenn die Zahlen ergeben, dass wir auf einem guten Weg sind, wäre es sicher hilfreich. Wenn sie es nicht belegen, werden die Verhandlungen anstrengender.

    “Emissionsminderung – das muss in Dubai besser werden”

    Die Klimakonferenz in einem der fossilsten Länder der Erde. Kann da etwas herauskommen?

    Unsere Botschaft an die Gastgeber ist, dass wir insbesondere bei der Emissionsminderung etwas erwarten. Das ist die weiße Stelle, die bei der letzten COP hinterlassen wurde. Das muss in Dubai besser werden.

    Wäre für die Industrieländer denkbar, dass sie sagen, wir legen nach 2025 noch mal was drauf, wenn auch andere Länder wie China oder Südkorea, die bisher sehr zurückhaltend waren, dabei sind?

    Ich würde allen bisherigen Gebern davon abraten, eine zusätzliche finanzielle Zusage zu machen, wenn nicht alle, die in der Lage sind, einen Beitrag zu leisten, mit eingebunden werden. Und natürlich alle die, die das Klimaproblem mit verursachen. Das war der große Makel der letzten COP, dass sich China der Loss-and-Damage-Finanzierung entzogen hat. Ich hätte mir gewünscht, dass wir Länder wie China, die arabischen Staaten, Singapur und andere schon damals mit eingebunden hätten. 

    Und das bezieht dann auch das Speichern von CO₂, also CCS, ein?

    Darüber gibt es eine Debatte, ja. Aber da bin ich entspannt, weil dieser technische Weg keine Chancen hat, ökonomisch zum Gewinnerthema zu werden.

    Kühne Aussage!

    Mag sein, so sehe ich es aber. Die dauerhafte Produktion auf fossiler Basis, um die Emissionen aus der Energieerzeugung dann abzuscheiden und einzuspeichern, war immer schon wirtschaftliches Wunschdenken. Es gibt aber natürlich Länder, die werden nicht auf diese Option verzichten wollen. Und wenn diese Länder glauben, sie hätten einen Business Case, dann kann ich nur sagen: Go ahead!

    “Alle Weichen sind auf 100 Prozent Erneuerbare gestellt”

    Die Frage stellt sich doch grundsätzlicher. Wenn CCS jetzt irgendwo beschlossen wird, ist das eine Frischzellenkur für das gesamte fossile System. Es wäre die Botschaft, wir machen weiter mit Kohle, Öl und Gas. Es würde sich eine neue Hintertür öffnen.

    Überhaupt nicht. In Europa sind alle Weichen gestellt auf eine Welt mit 100 Prozent Erneuerbaren. Es wird ein bisschen CCS geben bei den nicht vermeidbaren Industrieemissionen; aber das wird es dann auch sein. Die Realität ist doch, dass es im Moment ohne staatliche Unterstützung keine fossilen Investitionen mehr gibt. Ohne eine staatliche Risikoübernahme investieren die BPs und Shells dieser Welt nicht mehr in Öl oder Gas.

    Und trotzdem hat die EU genau das – nämlich CCS – vor kurzem nicht ausgeschlossen. 

    Und? Wer macht es? Ich sehe niemanden. Alle EU-Staaten müssen 2050 treibhausgasneutral sein. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist eindeutig, dass die EU ein Vorreiter bleiben wird und dass die Realität im Wesentlichen eine erneuerbare und bei einigen wenigen Mitgliedsstaaten auch eine nukleare sein wird.

    Wird es in Dubai nicht so sein, dass wir ein globales Ziel für Erneuerbare bekommen, das keinem weh tut? Einschließlich fossiler Energien, die weiter betrieben werden dürfen, wenn es CCS gibt?

    Ich empfinde die CCS-Debatte als nicht so dräuend. Mit allen unseren Partnerländern reden wir ausschließlich über den Ausbau der Erneuerbaren. Auch bei den anderen Geberländern gibt es keine relevanten CCS-Vorhaben, während die Erneuerbaren samt Speicher eine inzwischen weit entwickelte Technologie sind. Kann gut sein, dass sich die klassischen fossilen Länder eine Tür offen halten wollen. Und doch: Als ich kürzlich im Irak war, war deren größte Sorge, sie könnten den Anschluss an die Erneuerbaren inklusive Wasserstoff verpassen, weil gerade die arabischen Staaten hier so massiv vorangehen.

    “Unsere Partner werfen uns sehr deutlich Doppelzüngigkeit vor”

    Im Senegal unterstützen wir aber erst einmal die Gasförderung. Wie passt das zusammen?

    Wir haben mit dem Senegal eine sehr gute Vereinbarung zu einer Just Energy Transition Partnership hinbekommen, im Rahmen derer die Förderung fossiler Energien ausgeschlossen ist. Und ich glaube, das gute Ergebnis, nämlich bis 2030 40 Prozent der Stromerzeugungskapazitäten im Senegal durch Erneuerbare abzudecken, wäre ohne uns nicht zustande gekommen. Nur weil wir überzeugend aufgetreten sind, hat der Staatspräsident am Ende 40 Prozent statt der zunächst angepeilten 35 Prozent zugestimmt. Bei dem Wirtschaftswachstum, das der Senegal anpeilt, ist das sehr bemerkenswert. Die Vereinbarung schreibt dem Senegal aber natürlich nicht vor, auf sein eigenes Gas gänzlich zu verzichten.

    Also Gas auch hier als Brückentechnologie?

    Wir haben auch in Deutschland Gas als Brückentechnologie. Und dann anderen zu sagen, was wir nutzen, dürft ihr nicht in Anspruch nehmen, ist schwer zu vermitteln. Wir haben derzeit ohnehin ziemliche Diskussionen mit unseren Partnern in Afrika, die uns an vielen Stellen und sehr deutlich Doppelzüngigkeit vorwerfen. Zu sagen, wir fördern die Erneuerbaren, aber nur, wenn du unterschreibst, dein Gas nicht zu benutzen – das fände ich nicht in Ordnung. 

    Wie begegnet man als europäisches Geberland dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit?

    Nicht Europa hat das Abkommen von Paris unterschrieben, sondern die ganze Welt. Und das nehmen wir als Maßstab. Wir dürfen uns nicht in die Ecke drängen lassen, Klimaschutz sei nur ein Anliegen des Westens oder des Nordens. Allerdings müssen wir dann auch liefern – bei der Zusammenarbeit und bei der Finanzierung. 

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    Amazonas-Gipfel: Der Beginn einer Anti-Abholzungs-Allianz

    Ecuadors Außeminister Gustavo Manrique, Guayanas Premierminister Mark Phillips, Kolumbiens Präsiden Gustavo Petro, Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silca, Boliviens Präsident Luis Acre, Preus Präsidentin Dina Boluarte, Venezuelas Vize-Präsidentin Delcy Rodriguez und Surinams Außenminister Albert Ramdin
    Sie trafen sich in Belém zum Amazonas-Gipfel: Ecuadors Außenminister Manrique, Guayanas Premierminister Phillips, Kolumbiens Präsident Petro, Brasiliens Präsident Lula da Silva, Boliviens Präsident Acre, Perus Präsidentin Boluarte, Venezuelas Vize-Präsidentin Rodriguez und Surinams Außenminister Ramdin

    Auf dem von Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva einberufenen Amazonas-Gipfel in Belém ist ein neuer globaler politischer Block entstanden: das Bündnis der Länder mit tropischem Regenwald. Es hat sich um die acht südamerikanischen Staaten gebildet, die zur Organisation des Amazonas-Kooperationsvertrags (OCTA) gehören. Neben Brasilien sind das Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien, Venezuela, Surinam und Guyana. Der Gipfel von Belém war ihr erstes Treffen seit 2009.

    Das neue Bündnis geht jedoch über den südamerikanischen Zusammenschluss hinaus: Zusammen mit Indonesien, der Demokratischen Republik Kongo und Republik Kongo wollen die acht OCTA-Mitgliedsstaaten eine neue Kraft in der internationalen Klimaarena bilden. Die soll ihr Debüt auf der nächsten UN-Klimakonferenz (COP 28) im Dezember in den Vereinigten Arabischen Emiraten geben. In der gemeinsamen Erklärung, der sich auch der Karibikstaat St. Vincent und die Grenadinen anschloss, bekräftigten die insgesamt zwölf Staaten unter dem Titel “Vereint für unsere Wälder” ihr gemeinsames Engagement.

    Keine Einigung auf Entwaldungsstopp

    Die politische Abschlusserklärung der Amazonas-Anrainerstaaten selbst blieb allerdings hinter den Erwartungen zurück. Zwar vereinbarten die OCTA-Staaten in Belém eine Allianz gegen die Abholzung im Amazonasgebiet. Doch sie konnten sich nicht auf das gemeinsame Ziel einigen, die Abholzungen im Regenwald komplett zu stoppen – was vor allem von Brasilien angestrebt wurde. Lula hat sich verpflichtet, die Entwaldung im eigenen Land bis 2030 zu beenden. Aber andere OCTA-Staaten, vor allem die ärmeren Länder der Region, fühlten sich nicht bereit, dieses Ziel zu erreichen. Mit ihnen gab es keinen Konsens.

    Brasilien und Kolumbien streiten über Öl

    Einen weiteren Konflikt gab es um die Ölexploration in der Region. Auch dieser Streit konnte auf dem Gipfel nicht überwunden werden. Er führte vor allem zu Spannungen zwischen der brasilianischen Regierung und Kolumbiens Präsidenten Gustavo Petro.

    Petro übte in seiner Rede scharfe Kritik an der Erdölförderung im Amazonasgebiet. Rechtsgerichtete politische Kräfte hätten “einen einfachen Ausweg”, sagte er, “nämlich die Leugnung, also die Wissenschaft zu leugnen”. Linksgerichtete Kräfte aber folgten “einer anderen Art der Leugnung”, indem sie “die Entscheidungen verschieben”. Wenn das Erdöl das Fortbestehen der Menschheit bedrohe, der Urwald aber das Leben schütze, dann sei es “ein totaler Widerspruch”, die Ausbeutung von Öl und Gas im Regenwald zu erlauben, sagte Petro und fuhr fort: “Wir stehen am Rande der Ausrottung des Lebens. Und in diesem Jahrzehnt müssen wir Politiker Entscheidungen treffen”.

    Die kolumbianische Umweltministerin Susana Muhamad hatte sich bereits am Sonntag auf den sogenannten Amazonas-Dialogen – einer Veranstaltung im Vorfeld des Gipfels unter Beteiligung von Gruppen der Zivilgesellschaft, lokalen Regierungen, der Wissenschaft, sozialen Bewegungen und Vertretern indigener Völker – für einen Plan ausgesprochen, um die Erdölförderung in der Region nach und nach zu beenden. Doch Brasilien blockierte. Lulas Regierung beabsichtigt, in der sogenannten Äquatorialmarge nach Öl zu suchen. Das ist ein breiter Streifen, in dem auch Offshore-Bohrungen stattfinden sollen und der sich vom Amazonas bis zum Nordosten des Landes erstreckt.

    Am Ende gab es in der Abschlusserklärung nur bescheidene Fortschritte zum Thema Öl. Das Dokument eröffnet einen Dialog zwischen den Amazonasländern über die Nachhaltigkeit des Bergbaus und der Ölexploration.

    Abschlusserklärung stärkt Wissenschaft

    Was die Abholzung betrifft, betont die Endfassung des Abschlussdokuments nun die “Dringlichkeit, sich auf gemeinsame Ziele zur Bekämpfung der Entwaldung zu einigen” und bezeichnet den kompletten Stopp der Abholzung in der Region als ein “Ideal”. Mit der Erklärung wird auch die Amazonas-Allianz zur Bekämpfung der Entwaldung ins Leben gerufen. Diese basiert zwar auf den nationalen Zielen wie dem brasilianischen Ziel des Abholzungsstopps bis 2030. Doch die nationalen Waldgesetze der einzelnen Amazonasländer unterscheiden sich dabei ebenso wie ihre Interessen.

    Einer der wichtigsten Punkte der Abschlusserklärung ist die viermalige Erwähnung der Notwendigkeit, den “Point of no Return” des Amazonasgebiets zu vermeiden. Gemeint ist eine Phase, in der sich der Wald aufgrund des übermäßigen Drucks durch Abholzung und Brände nicht mehr regenerieren kann. Dann würde er zu einem Ökosystem, das einer Savanne ähnelt.

    Das ist ein Sieg für die Wissenschaft, insbesondere für den brasilianischen Forscher Carlos Nobre, der den Begriff des “Point of no Return” in Studien mit dem US-Amerikaner Thomas Lovejoy geprägt hat. Der Punkt, an dem es kein Zurück mehr für den Amazonas gibt, wird ihrer Meinung nach erreicht, wenn der Wald um mehr als 20 bis 25 Prozent abgeholzt wird. Nach Angaben von MapBiomas, einem Netzwerk aus Forschenden, Umweltschutzgruppen und Tech-Startups, das den Regenwald vermisst, hat Brasilien bereits 21 Prozent seines Waldes abgeholzt, und die gesamte Amazonas-Region hat bereits 17 Prozent ihres ursprünglichen Bewuchses verloren.

    Hinweis an die EU zum Freihandel

    Darüber hinaus ist die Erklärung von Belém ein interessanter Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit zwischen den Amazonasländern. Auf mehr als 20 Seiten und in 113 Paragrafen geht sie auf Amazonasstädte, Wissenschaft und Bildung, Wasserressourcen, Klimawandel, den Schutz von Biomen, polizeiliche und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit, Infrastruktur und nachhaltige Entwicklung, Gesundheit, Ernährungssicherheit, Menschenrechte, indigene Völker, kulturelle Anerkennung, diplomatische Zusammenarbeit und Umsetzung ein. 

    In einem der ersten Absätze der Erklärung wird zudem die “Verbreitung einseitiger Handelsmaßnahmen, die auf der Grundlage von Umweltanforderungen und -standards zu Handelshemmnissen führen”, verurteilt. Zwar wird die Europäische Union dabei nicht explizit erwähnt. Dennoch dürfte die Passage auf die Verhandlungen zwischen dem Mercosur-Staatenbund und der EU gemünzt sein – die EU drängt auf bestimmte Nachhaltigkeitsregeln im geplanten Handelsabkommen. Das Abschlussdokument, das die Amazonas-Anrainer in Belém beschlossen, beschreibt die sogenannten “Handelshemmnisse” in erster Linie als Belastung für heimische Kleinerzeuger und Hindernisse im “Streben nach nachhaltiger Entwicklung” sowie dem Kampf gegen Armut und Hunger.

    Die Erklärung “Vereint für unsere Wälder” enthält eine ähnliche verklausulierte Kritik: In ihr verurteilen die zwölf Unterzeichnerstaaten “einseitige Maßnahmen”, die ein Mittel der “willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung darstellen, oder eine verschleierte Beschränkung des internationalen Handels”.

    Kampf gegen organisierte Kriminalität zum Waldschutz

    In der Erklärung werden indigene Völker 64 Mal erwähnt. Sie garantiert ihnen und den traditionellen Gemeinschaften das Recht auf die von ihnen bewohnten Gebiete. Der Text sieht die Einrichtung eines zwischenstaatlichen technisch-wissenschaftlichen Gremiums für Amazonien vor, dem Forscher aus der Region angehören und an dem indigene Völker und traditionelle Gemeinschaften ständig beteiligt sind.  

    Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gründung des Zentrums für internationale Polizeizusammenarbeit im Amazonasgebiet mit Sitz in Manaus – einer Art Interpol des Amazonasgebiets. Das Zentrum soll helfen, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Daneben soll ein Luftverkehrskontrollsystem es ermöglichen, den Drogenhandel und die illegale Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in der Region besser zu bekämpfen. Der Hintergrund: Das organisierte Verbrechen ist im Amazonasgebiet auf dem Vormarsch und fügt dem Regenwald beispielsweise durch Koka-Anbau und illegale Goldminen gravierenden Schaden zu. Wer den Amazonas schützen wolle, müsse unbedingt gegen die organisierte Kriminalität dort vorgehen, sagen deshalb Experten wie Bram Ebus, Berater der International Crisis Group. Nun wollen die Amazonas-Staaten ihre Aktivitäten auch in diesem Bereich koordinieren.

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    Stahlsektor startet Dekarbonisierung – China zu langsam

    Die Emissionen in Industriesektoren wie der Stahl- und Zementerzeugung zu senken, gilt als eine der größten Herausforderungen der Klimapolitik. Doch es gibt Hoffnung: “Der Stahlsektor bewegt sich aus der Untätigkeit hin zu Fortschritten”, so ein neuer Bericht des Global Energy Monitor. “Das letzte Jahr war entscheidend für die Dekarbonisierung der Schwerindustrie”, so das Fazit. Mittlerweile basieren 43 Prozent der neu geplanten Stahlkapazitäten auf emissionsärmeren Elektrolichtbogenöfen. Zwar arbeiten noch immer 57 Prozent der geplanten Stahlwerke mit kohlebasierten Hochöfen, doch 2022 lag die Zahl noch bei 67 Prozent.

    In Europa machten zuletzt drei große Subventionspakete Schlagzeilen:

    • Die EU-Kommission segnete jüngst eine Zwei-Milliarden-Euro-Förderung durch die Bundesregierung und das Land NRW für eine sogenannte Direktreduktionsanlage von Thyssen-Krupp ab. Dort soll mit Wasserstoffeinsatz Eisenerz zu Eisen umgewandelt werden. Mit den Subventionen sollen der Bau (550 Millionen) und anschließend die Mehrkosten des Betriebs (1,45 Milliarden) gefördert werden.
    • Ebenfalls im Juli 2023 gab die Kommission grünes Licht für die Förderung emissionsärmerer Stahlwerke von ArcelorMittal in Frankreich in Höhe von 850 Millionen Euro. Mit den Subventionen soll eine Kombination aus einer Direktreduktionsanlage und zwei Elektrolichtbogenöfen entstehen.
    • Und im Oktober 2022 hatte die Kommission Subventionen an den Stahlproduzenten Salzgitter in Höhe von einer Milliarde Euro zugestimmt. Kohlebasierte Hochöfen sollen schrittweise durch die klimaschonenderen Technologien der Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen ersetzt werden.

    Chinas Eisen- und Stahlsektor: Mehr Emissionen als ganz Japan

    “Die kohlebasierte Stahlproduktion ist rückläufig, aber nicht schnell genug”, so das Fazit von Global Energy Monitor. Vor allem in China passiert zu wenig. Das Land steht als größter Stahlproduzent vor besonders großen Aufgaben:

    • Die Volksrepublik produziert jährlich mehr als eine Milliarde Tonnen Stahl – mehr als alle anderen Staaten der Welt zusammen. Gut 90 Prozent der Stahlwerke nutzen Kohle als Energieträger, weltweit sind es nur 73 Prozent, in den USA gar nur 30 Prozent (gemessen an Kapazitäten zur Herstellung von Stahl)
    • Der Eisen- und Stahlsektor Chinas ist für fast fünf Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Wenn Chinas Stahlsektor ein Land wäre, läge er auf Rang fünf der größten CO₂-Emittenten der Welt.

    Bisher sind die Klimaziele für den chinesischen Stahlsektor nicht sehr ambitioniert. Bis zum Jahr 2030 soll er einen (undefinierten) Emissionshöchststand erreichen. Dabei gehen die Emissionen schon seit zwei Jahren langsam zurück, so Xinyi Shen, Stahlexperte des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) gegenüber Table.Media. Ursache dafür ist allerdings eine geringere Nachfrage des Bau- und Infrastruktursektors, nicht strengere Regulierungen.

    Maßnahmen mit Schlupflöchern

    Die Regierung hat einige Maßnahmen ergriffen, um die Emissionen des Sektors mittelfristig zu senken:

    • der Bau neuer Stahlwerke ist nur erlaubt, wenn alte Kapazitäten stillgelegt werden,
    • die Stahlerzeuger müssen ein gewisses Maß an Energieeffizienz erreichen,
    • es wurden Quoten für Schrottrecycling und Obergrenzen für die Stahlproduktion eingeführt. Im Jahr 2023 darf beispielsweise nicht mehr produziert werden als 2022,
    • die Exportförderung wurde zurückgefahren.

    Bei vielen dieser Maßnahmen gibt es allerdings Schlupflöcher. Caitlin Swalec von Global Energy Monitor kritisiert, einige Unternehmen würden ohnehin brachliegende Stahlwerke durch neue Kapazitäten ersetzen. Zudem gäbe es illegal betriebene, nicht registrierte Stahlwerke, die von solchen “Austauschprogrammen” gar nicht erfasst würden. Ziel der Regierung war es, die Produktionskapazität bis 2020 auf unter eine Milliarde Tonnen zu senken. Allerdings wurden im selben Jahr 1,065 Milliarden Tonnen Stahl produziert, so der Experte Xinyi Shen. Er geht davon aus, dass es circa 200 Millionen Tonnen mehr an Stahlkapazitäten gibt als vorgesehen.

    Vereinzelte Investitionen in emissionsärmere Stahlerzeugung

    Allerdings gibt es auch Hoffnungszeichen. Laut Shen werde bei dem Austauschprogramm seit 2021 ein besonderes Augenmerk auf emissionsarme Technologien gesetzt. Zwischen 2021 und dem 1. Halbjahr 2023 habe es “vielversprechende Fortschritte” gegeben. Seit 2021 sei der Anteil von emissionsärmeren Elektrolichtbogenöfen (Electric Arc Furnace) an der gesamten neuen Kapazität auf 30 bis 40 Prozent gestiegen, so eine neue Analyse von CREA.

    Das weltweit erste Eisenwerk, das Wasserstoff zur Direktreduktion einsetzt, wurde in China gebaut, und ein auf Wasserstoff basierendes Stahlwerk werde derzeit errichtet, mit weiteren in der Pipeline, sagt Kevin Tu von Agora Energiewende China gegenüber Table.Media. Zudem gehen einige Provinzen mit innovativen Ansätzen voran. In Fujian fließen 90 Prozent der staatlichen Einnahmen aus den Stromzahlungen der Eisen- und Stahlhersteller an den Sektor zurück, um Investitionen in Elektrolichtbogenöfen, zur Energieeinsparung oder der Abscheidung von CO₂ zu finanzieren. In Sichuan gebe es Steueranreize für Elektrolichtbogenöfen, die, anders als andere Stahlwerke, auch an Tagen mit hoher Luftverschmutzung weiterproduzieren dürften, so Tu.

    Allerdings reichen die Investitionen nicht aus, sagen Kritiker. “Vergleicht man die Größe der chinesischen Stahlindustrie mit dem Umfang der Investitionen in Forschung und Entwicklung und den technologischen Wandel, liegt China weit hinter Europa und den USA zurück”, sagt Caitlin Swalec von Global Energy Monitor. Das wird auch durch Daten untermauert: in den USA und Deutschland sollen ähnlich viele emissionsärmere Stahlkapazitäten entstehen, wie in China, obwohl der Stahlsektor in beiden Staaten viel kleiner ist.

    CCS macht nur langsame Fortschritte

    Viele chinesische Stahlunternehmen würden sich mit weiteren Investitionen zurückhalten, weil emissionsärmere Technologien noch nicht ausgereift seien. Zudem reiche die Nachfrage nach grünem Stahl nicht aus, um Investitionen anzureizen, so Shen. Tu ergänzt, die CO₂-Abscheidung (CCS) bei kohlebasierten Hochöfen mache nur sehr langsam Fortschritte. Zudem gäbe es neben einigen großen Unternehmen zahlreiche kleine Stahlerzeuger, die durch die Überkapazitäten und geringe Stahlpreise nicht über die notwendigen Mittel für Investitionen verfügen würden, um Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen.

    Druck könnte durch schon bestehende Vorgaben zur Energieeffizienz entstehen. Stahlwerke, die vorgeschriebene Effizienzwerte bis 2025 nicht einhalten, sollen abgeschaltet werden. Durch die Vorgaben müssten in den kommenden beiden Jahren 30 Prozent der aktuellen Eisen- und Stahl-Kapazität stillgelegt oder modernisiert werden, sagt Kevin Tu. Allerdings wurde die Stilllegung von Stahlwerken in der Vergangenheit nicht allzu streng durchgeführt, so Bin Yan von der Beratungsfirma Sinolytics.

    Schrottrecycling und Exportbeschränkungen

    Auch durch das stärkere Recycling von Stahlschrott will China die Emissionen des Sektors senken. Die Regierung will “den Anteil der schrottbasierten Stahlerzeugung von zehn Prozent im Jahr 2022 auf 15 Prozent im Jahr 2025 und weiter auf 20 Prozent im Jahr 2030 erhöhen”, sagt Kevin Tu. Das werde die CO₂-Emissionen des Sektors “erheblich reduzieren”. Durch den Einsatz von Elektrolichtbogenöfen könnten die Emissionen pro Tonne Stahl um 70 Prozent gesenkt werden, so Shen von CREA. Allerdings, so Caitlin Swalec von Global Energy Monitor, fehle es noch an konkreten Maßnahmen zur Umsetzung dieser Zielmarken.

    Um die ausländische Nachfrage zu drosseln und dadurch die Emissionen zu senken, habe die chinesische Regierung seit 2021 Exportzölle erhöht und Steuervorteile gesenkt. Allerdings sind Chinas Exporte durch den Schwachen Yuan und die geringen Produktionskosten noch immer sehr wettbewerbsfähig und lagen zuletzt auf einem Sieben-Jahres-Hoch, so Shen.

    “Ordnungspolitische Anreize dringend erforderlich”

    Um die Emissionen zu senken, sind “entschiedenere ordnungspolitische Anreize dringend erforderlich”, sagt Tu. Die hohen Kosten und fehlende Anreize hielten Unternehmen derzeit von einer freiwilligen Dekarbonisierung ab, so Shen. Die Regierung müsse “Emissionsminderungsziele setzen, finanzielle Unterstützung bereitstellen und Marktanreize schaffen, um die Stahlhersteller dazu zu bewegen, ihre Produktionsmethoden zu ändern”, sagt der CREA-Experte. Letzteres könne durch eine Aufnahme des Stahlsektors in den chinesischen Emissionshandel geschehen. Von außen könne auch der CO₂-Grenzausgleich der EU (Carbon Border Adjustment Mechanism) Druck auf chinesische Produzenten ausüben, so Swalec.

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    Der Öko-Fußabdruck von KI wächst

    Im Museum of Modern Art (MoMa) in Manhattan hängt in Raum 216 im zweiten Stock eine Infografik. “Anatomy of an AI System” heißt die Arbeit und sie zeigt, was es braucht, um den “smarten” Lautsprecher “Amazon Echo” zum Leben zu erwecken. Es ist eine Landkarte der Inhaltsstoffe einer Künstlichen Intelligenz: Es geht um geologische Erdprozesse und die Gewinnung der Rohstoffe, um die Herstellung von Chips, die Löhne der beteiligten Arbeiter, das Training des Systems mit Daten, die Entsorgung ausrangierter Geräte.

    Bis vor ein paar Jahren waren Ökobilanzen, sogenannte “Life Cycle Assessments” (LCA), die ein Produkt von der Wiege bis zur Bahre ausleuchten, nur etwas für Forschungslabore. Das ist nun vorbei. Im Zusammenhang mit den globalen Nachhaltigkeitszielen und der Klimakrise geraten sie immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Selbst in Museen sind sie schon angekommen.

    Ökobilanzen zunehmend im öffentlichen Fokus

    Während es mittlerweile präzise Daten über die öko-sozialen Folgen einer Jeans oder eines Flugs gibt, sind die Erkenntnisse zu Künstlicher Intelligenz noch gering. Das hat mehrere Gründe: Rechenzentren und Tech-Firmen wie Microsoft, Amazon, Meta und der ChatGPT-Erfinder OpenAI veröffentlichen kaum Zahlen, Unternehmen und Forscher messen mit verschiedenen Methoden, und im globalen Material-, Daten- und Energiestrom fällt es schwer, KI-Anwendungen voneinander abzugrenzen. Zudem entwickelt sich die Technologie dynamisch. Angaben zum Stromverbrauch können bereits nach kurzer Zeit veraltet sein, weil sie Effizienzgewinne neuerer Geräte nicht berücksichtigen.

    Das, was bekannt ist, lässt Experten – Stand jetzt – zu einem eher pessimistischen Zwischenfazit kommen. “KI-Systeme können ernsthafte Konsequenzen für die Umwelt haben”, heißt es im AI Index Report 2023, dem alljährlich viel beachteten Trendbericht der Stanford University.

    Zwar kann durch das gewählte Design und die Infrastruktur Einfluss auf das Ergebnis genommen werden. Die Trainingsläufe von GPT-3, einem ChatGPT-Vorläufer, wurden beispielsweise mit 175 Milliarden Parametern entwickelt – darunter versteht man die Verbindungen von künstlichen Neuronen untereinander. Sie verursachten 502 Tonnen CO₂. Das Open-Source-Sprachmodell Bloom mit 176 Milliarden Parametern hingegen verursacht nur 25 Tonnen CO₂.

    CO₂-Ausstoß durch KI dürfte steigen

    Befürchtet wird aber, dass die Zahlen steigen. Beflügelt durch das Interesse an der Ende November 2022 veröffentlichen Plattform ChatGPT ist die Branche im Rausch. Die Zahl der eingesetzten Trainingsdaten und daraus resultierenden Rechenoperationen wachsen exponentiell, immer mehr Unternehmen programmieren KI-Anwendungen für Smartphone-Apps, Computer oder Fahrzeuge – und Unternehmen und Endverbraucher nutzen diese Anwendungen täglich millionen- oder gar milliardenfach.

    Rund 700 Millionen Tonnen CO₂ produzierte der globale Informations- und Telekommunikationssektor 2020. Dies entsprach einem Anteil von 1,4 Prozent an den weltweiten Emissionen. Im Vergleich zum Verkehrs- oder Bausektor nimmt sich das bescheiden aus. Durch KI wird es dabei wahrscheinlich aber nicht bleiben. Sasha Luccioni, die bei dem US-Unternehmen Hugging Face an der Schnittstelle von Klimawandel und KI arbeitet, sagt: “Meine Forschung zeigt, dass die neuen Generationen von Sprachmodellen tausende Mal mehr Kohlendioxid verursachen als vorige Generationen.”

    Eine weitere Herausforderung, die angesichts steigender Hitze und sinkender Grundwasserspiegel drängend wird, ist der Wasserfußabdruck. Der University of California, Riverside, zufolge verbrauchen 20 bis 50 Anfragen bei ChatGPT etwa einen halben Liter Wasser. Benötigt wird es in zwei miteinander verbundenen Prozessen: Erstens dient es dazu, Kraftwerke zu kühlen, die Strom erzeugen – zweitens muss es eingesetzt werden, um Datenzentren zu kühlen, die mit dem zuvor produzierten Strom ihre Rechner betreiben. 30 Prozent aller Rechenzentren stehen in den USA, allein Googles Einrichtungen verbrauchten 2021 fast 13 Milliarden Liter Frischwasser. Und der Bestand wächst weiter: Zwischen 2017 und 2022 nahm die Zahl der Server weltweit um mehr als 37 Prozent zu, auf 85,6 Milliarden Einheiten.

    Ein halber Liter Wasser für 20 bis 50 ChatGPT-Anfragen

    Einige Unternehmen rühmen sich, Verantwortung zu übernehmen. Hersteller Nvidia erklärte, selbstlernende KI-Modelle dafür einzusetzen, die Produktion seiner Chips, die essenziell für Künstliche Intelligenz sind, energiesparender zu machen. Google gab an, sein Sprachmodell PaLM über ein Rechenzentrum in Oklahoma trainiert zu haben, das durch erneuerbare Energien zu 89 Prozent CO₂-frei sei. Das ist bislang aber eine Ausnahme. Weltweit betrachtet nutzt die Mehrheit der KI-Entwickler fossile Energienetze.

    Die Wissenschaftlerin Kate Crawford sagt, Künstliche Intelligenz sei angesichts der zahlreichen Probleme, die die Technologie aufwirft, weder als künstlich noch als intelligent zu bezeichnen. Die Australierin hat zusammen mit einem Künstler die im New Yorker MoMa ausgestellte Infografik entworfen und die KI-Landschaft auch in ihrem Buch “Atlas of AI” kartografiert. Darin macht sie – neben den Folgen für Natur und Umwelt – auch darauf aufmerksam, dass Menschen ausgebeutet werden. Dies geschieht etwa, indem sie zu Niedriglöhnen in “digital Sweatshops” im Akkord Rohdaten aufbereiten müssen, damit diese für Firmen wie OpenAI und deren Plattform ChatGPT als Trainingsdaten nutzbar werden.

    Crawford bestreitet nicht, dass Künstliche Intelligenz die Medizin voranbringen, beim Aufbau “smarter” Energienetze helfen und autonome Fahrzeuge steuern kann. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass KI eine “extraktive Industrie” ist, wie sie schreibt, und das in vielerlei Hinsicht. Nachhaltig ist das bislang kaum.

    Die Texte der Table.Media-Serie “Der globale Wettlauf um Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.

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    Termine

    14. bis 20. August, Großkreutz, Brandenburg
    Seminar Decolonizing Climate Justice and Activism
    Das Netzwerk European Youth For Action (EYFA) diskutiert auf dem Event das Thema Klimagerechtigkeit aus dekolonialer Perspektive.  Infos und Anmeldung

    14. bis 18. August, Bonn
    Seminar Klima(un)gerechtigkeit – Die Folgen des Klimawandels im Globalen Süden
    Der Klimawandel wurde größtenteils von den Gesellschaften des Globalen Nordens verursacht, doch die Folgen treffen die Länder des Globalen Südens ungleich härter. Auf der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung geht es darum, wie Ansätze für Klimagerechtigkeit aussehen können. Infos

    17. August, 10 Uhr, Online
    Webinar Klimaanpassungs-Check für Kommunen in NRW
    Die Kommunalberatung Klimafolgenanpassung NRW hat im Auftrag des Umweltministeriums NRW eine Orientierungshilfe zur Unterstützung der Kommunen bei der Umsetzung des Berücksichtigungsgebots gemäß § 6 Klimaanpassungsgesetz NRW veröffentlicht. Die Orientierungshilfe “Klimaanpassungs-Check für Kommunen in NRW” skizziert die wesentlichen Prämissen – Zuständigkeit, Frühzeitigkeit, Nachvollziehbarkeit. Der Klimaanpassungs-Check wird auf dem Webinar vorgestellt.   Infos

    18. August, 19 Uhr, Bielefeld
    Vortrag Klimawandel – Steht die Katastrophe bevor?
    Donald Bäcker ist bekannt als Wettermann im “ARD-Morgenmagazin”. Meteorologie ist die Leidenschaft des gebürtigen Brandenburgers.  Bei seinem Vortrag erklärt er, auf welche Wetterphänomene sich Deutschland einstellen muss und welche Rolle der Klimawandel dabei spielt. Die Veranstaltung wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen mit dem katholischen Erwachsenenbildungswerk Bielefeld ausgerichtet. Infos

    18. August, 19 Uhr, Hannover
    Ausstellungseröffnung Klimaprotest & Kriminalisierung
    Die Protestbewegungen gegen die Klimapolitik sind einer Welle von Kriminalisierungen ausgesetzt, die von der Kriminalisierung der “Letzten Generation” durch den §129 (Kriminelle Vereinigung) bis hin zur Beobachtung der Bewegung “Ende Gelände” durch den Verfassungsschutz reicht. Das Kulturzentrum Faust und die Rosa Luxemburg Stiftung nähern sich dem Thema mit einer Fotoausstellung. Die Ausstellung kann bis Ende August besucht werden.  Infos

    News

    Klima in Zahlen: Wasserstoff braucht “beispiellose” Wachstumsraten

    Mit grünem Wasserstoff sind große Hoffnungen verbunden: Er soll zu weniger Emissionen im Stahlsektor beitragen, in Kraftwerken zum Einsatz kommen, die Schifffahrt und – in der Hoffnung einiger – auch den Personenverkehr klimafreundlicher machen. Doch um den künftigen Bedarf zu decken, muss die Elektrolyse-Kapazität schneller wachsen als es die Wind- und Solarindustrie in den Phasen ihres prozentual größten Wachstums vermocht hat. Das zeigt eine in der Fachzeitschrift “Nature Energy” erschienene Studie, an der insbesondere Autoren des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) beteiligt waren.

    Die EU will bis 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und ebenso viel aus dem Ausland importieren. Dafür müsste sich die Elektrolyse-Kapazität ab 2024 jedes Jahr verdoppeln, so die Autoren der Studie. Solche Wachstumsraten seien “beispiellos für Energietechnologien”, schreiben sie. Ihnen zufolge wird es erst im Jahr 2038 zu einem “Durchbruch” hin zu hohen Kapazitäten kommen. Es dauere eine gewisse Zeit, bis hohe Wachstumsraten zu einer hohen installierten Kapazität von Elektrolyseuren führten. Die Autoren mahnen: Die Regierungen müssten “dringend Geschäftsmodelle für Investitionen in grünen Wasserstoff” entwickeln, beispielsweise durch finanzielle Anreize oder Quoten für grünen Wasserstoff. Damit Wasserstoff-Angebot- und -Nachfrage und die Infrastruktur für die Wasserstoff-Produktion und -Nutzung gleichzeitig wachsen könnten, brauche es “erhebliche Koordination” vonseiten der Politik.

    Derweil rüttelt eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung, die vor wenigen Tagen von der Generaldirektion der EU veröffentlicht wurde, gleich an mehreren Grundüberzeugungen zur neuen Wasserstoffwelt: Laut der Analyse läge die Kapazität der Elektrolyseure, die in Deutschland wirtschaftlich betrieben werden könnten, im Jahr 2050 unter der Annahme eines perfekten Binnenmarkts bei null. Größter Produzent von Wasserstoff wäre Frankreich. Für die EU wäre es am kostengünstigsten, ihren Wasserstoffbedarf komplett selbst zu decken. Importe wären weder nötig noch wirtschaftlich. Würden Zwischenprodukte wie Ammoniak oder Eisenschwamm, die unter Einsatz von Wasserstoff hergestellt werden sollen, importiert und nur die weiteren Verarbeitungsschritte in der EU stattfinden, könnte der Wasserstoffbedarf um ein Drittel sinken. Für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien würde das einen deutlichen Unterschied machen. nib/ber/ae

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    Deutschland: 58 Milliarden für grüne Investitionen

    Die Bundesregierung hat sich am Mittwoch darauf geeinigt, im nächsten Jahr durch den Klima- und Transformationsfonds gut 58 Milliarden Euro für umweltfreundliche Investitionen bereitzustellen. Das sind 60 Prozent mehr als im Jahr 2023, teilte das Finanzministerium mit.

    Die Investitionen entfallen auf folgende Bereiche:

    • 18,9 Milliarden Euro fließen in den Bausektor und sind für Gebäudesanierung und Neubauten vorgesehen.
    • Die Subventionen für erneuerbare Energien belaufen sich auf rund 12,6 Milliarden Euro. Zusätzlich sind gut 2,6 Milliarden für Entlastungen von energieintensiven Unternehmen vorgesehen.
    • Auch die Deutsche Bahn erhält 12,5 Milliarden Euro. Außerdem sind vier Milliarden für den Ausbau der Bahninfrastruktur vorgesehen.
    • 4,7 Milliarden Euro fließen für die Elektromobilität, beispielsweise in den Ausbau der Ladeinfrastruktur.
    • 4,1 Milliarden Euro an Subventionen sollen in den Ausbau lokaler Produktionskapazitäten für Rohstoffe und grüne Technologien wie dem Solarsektor fließen. Das soll auch die Abhängigkeiten von China verringern.
    • Etwa vier Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds sollen in die Halbleiterproduktion fließen.
    • Auch der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft soll mit 3,8 Milliarden Euro gefördert werden.

    Die Gesamtinvestitionen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), ein Schattenhaushalt zur Förderung der ökologischen Transformation der Wirtschaft, würden sich zwischen 2024 und 2027 auf 212 Milliarden Euro belaufen, so das Ministerium weiter. Der Fonds wird zum Teil aus steigenden nationalen CO₂-Preisen und den erwarteten Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandel in Höhe von gut elf Milliarden Euro beziehungsweise acht Milliarden Euro finanziert.

    Der Bundestag muss den Plan zusätzlich zum Entwurf des Bundeshaushalts 2024 im September beraten, eine endgültige Entscheidung über den Finanzplan wird nicht vor Dezember erwartet. nib/rtr

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    Slowenien: EU verspricht Hilfe

    Die EU wird Slowenien nach den verheerenden Überschwemmungen mindestens 400 Millionen Euro an Hilfe zur Verfügung stellen. Nach extremen Niederschlägen waren sechs Menschen gestorben und Zehntausende Haushalte in Mitleidenschaft gezogen worden. Die slowenische Umweltagentur erklärte, dass die Überschwemmungen am Montag zurückzugehen begannen, aber einige Gebiete immer noch von der Außenwelt abgeschnitten waren.

    “Wir haben ein gutes Paket an sofortiger, mittel- und langfristiger Unterstützung für Slowenien”, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem slowenischen Ministerpräsidenten Robert Golob bei einem Besuch in einem vom Hochwasser betroffenen Gebiet. Laut von der Leyen könne Slowenien auch Hilfen aus dem “Next Generation EU-Fonds” beziehen. Dort stehen dem Land 2,7 Milliarden Euro zu. nib/rtr

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    Unicef: Hitzerisiko für Kinder in Südasien besonders hoch

    Drei von vier Kindern in Südasien – in absoluten Zahlen 460 Millionen – sind schon heute extremer Hitze ausgesetzt. Im globalen Durchschnitt beträgt der Anteil nur ein Drittel, wie aus einer am Montag veröffentlichten Mitteilung des UN-Kinderhilfswerks Unicef hervorgeht. Die Organisation definiert dabei “extreme Hitze” als eine Situation, in der die Kinder mindestens 83 Tage im Jahr Temperaturen von über 35 Grad ausgesetzt sind. Unicef fordert die Behörden auf, dringend mehr zum Schutz der Kinder vor extremer Hitze zu tun.

    Laut Unicef kann sich der Organismus von Kindern nicht schnell an Temperaturschwankungen anpassen. Die Folgen reichen von Krämpfen, Organversagen, Dehydrierung und Ohnmachtsanfällen bis hin zu Entwicklungsstörungen und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Gefährdet seien vor allem Babys, Kleinkinder und unterernährte Kinder, aber auch schwangere Frauen. Sie könnten durch die Hitze beispielsweise Früh- und Fehlgeburten erleiden. Besonders hoch ist das Risiko laut dem 2021 veröffentlichten Unicef-Kinder-Klimarisikoindex in Afghanistan, Bangladesch, Indien, den Malediven und Pakistan.

    Das Wohlergehen von Millionen Kindern in Südasien sei “zunehmend durch Hitzewellen und hohe Temperaturen bedroht”, sagte Sanjay Wijesekera, Unicef-Regionaldirektor für Südasien. Das zeigten die Daten deutlich. “Wenn wir jetzt nicht handeln, werden diese Kinder auch in den kommenden Jahren die Hauptlast von häufigeren und schwereren Hitzewellen tragen, ohne dass sie etwas dafür können.” ae

    • Gesundheit
    • Klimaanpassung
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    Studie: Klimakrise erhöht Kosten für Staatsschulden

    Der Klimawandel wird die Kosten für Staats- und Unternehmensschulden vergrößern und die Kreditwürdigkeit der Staaten senken. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie von Wissenschaftlern der Universität von East Anglia (UEA) und der Universität von Cambridge. “Frühzeitige Investitionen in den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel” würden die “Tragfähigkeit” der öffentlichen Haushalte verbessern, so das Fazit der Untersuchung, die laut Angaben der Autoren erstmals den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Kreditratings untersucht.

    Die Wissenschaftler haben die Effekte des Klimawandels auf die Kreditwürdigkeit von 109 Staaten untersucht. Die Zerstörung von Infrastrukturen, fiskalische Auswirkungen von Extremwetterereignissen, verringerte Produktivität aufgrund von Hitze oder politische Instabilität gehören zu den möglichen negativen Folgen der Erwärmung, die sich auf die Ratings auswirken können. Die Studie hat sich dabei auf physische Risiken beschränkt.

    Auch Unternehmen müssten mehr für Zinsen zahlen

    Bei der Analyse kam ein KI-Tool zum Einsatz, das mit makroökonomischen Daten gefüttert wurde, die unterschiedliche zukünftige Emissionspfade widerspiegeln. Eine Klimapolitik im Einklang mit dem Pariser Abkommen (RCP 2.6-Szenario) würde demnach nur zu “minimalen Veränderungen der Kreditwürdigkeit der Staaten” führen. Die jährlichen Zinskosten der 109 Staaten würden in diesem Szenario um 45 bis 67 Milliarden US-Dollar steigen. Die zusätzlichen Zinskosten für Unternehmen beliefen sich auf zehn bis 17 Milliarden Dollar.

    In einem Klima-Extrem-Szenario mit einem Temperaturanstieg um fünf Grad bis 2100 (RCP 8.5-Szenario) würden die jährlichen Zinszahlungen demnach um 135 bis 203 Milliarden US-Dollar steigen. Außerdem würden 63 Staaten bis 2030 eine Abwertung ihrer Kreditwürdigkeit erleben. Unternehmen sähen sich mit zusätzlichen Zinszahlungen in Höhe von 35 bis 61 Milliarden US-Dollar konfrontiert. Die von den Studienautoren gewählten Klimawandel-Szenarien decken allerdings zwei Extremfälle ab – sowohl die Einhaltung des 2-Grad Ziels als auch eine Erwärmung um fünf Grad gelten nicht als die realistischsten Szenarien. Modelle, die wahrscheinlicher eintreffen, wurden in der Studie nicht herangezogen. nib

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    • Schuldenkrise

    Extremes Wetter gefährdet Ernten in China

    Die andauernden heftigen Regenfälle und Überflutungen in Teilen Chinas bedrohen wichtige Getreideanbaugebiete. Der extreme Niederschlag hält seit Ende Juli an. Wegen der Überschwemmungen mussten mehr als eine Million Menschen ihre Heimatorte verlassen; mindestens 62 Menschen starben. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer dürfte höher liegen, da viele Städte nicht oder nicht regelmäßig über Opferzahlen berichten.

    Viele Flächen in den wichtigsten Anbaugebieten in den Provinzen Heilongjiang, Jilin and Liaoning wurden überflutet. In den drei Provinzen werden mehr als 20 Prozent des chinesischen Getreides angebaut, wie CNN berichtet. Schon im Mai hätte heftiger Niederschlag einen Teil der Ernten in der Provinz Henan zerstört und zum ersten Rückgang bei der Sommerweizen-Ernte seit sieben Jahren geführt. Die anschließende Hitzewelle habe den neuen Setzlingen zugesetzt und ihr Wachstum beeinträchtigt. Schon im vergangenen Sommer hatten Extremwetterereignisse Chinas Ernten beeinflusst.

    Laut Wei Ke von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ist der Klimawandel wahrscheinlich mitverantwortlich für die aktuellen extremen Niederschläge. Die globale Erwärmung beschleunige den Wasserkreislauf und erhöhe die Niederschlagsmenge auf der ganzen Welt, so der stellvertretende Direktor des Forschungszentrums für Monsunsysteme gegenüber der chinesischen Zeitung Caixin. Bisher wurde in China bei Extremwetterereignissen sehr wenig über mögliche Verknüpfungen zum Klimawandel berichtet. Die Kommunistische Partei Chinas wolle ungern einräumen, dass sie gegen Naturgewalten machtlos ist, vermuten einige Beobachter. Auch in Indien, den USA, Kanada und Teilen der EU ist der Klimawandel ein Grund für schlechte Ernten, wie der Agrifood.Table in einer Analyse zeigt. nib

    • China
    • Extremwetter
    • Landwirtschaft

    Trotz Waldbränden: Weniger Feuerwehrleute in Europa

    Waldbrände in Griechenland, Überflutungen in Slowenien und Österreich: Durch den Klimawandel werden Extremwetterereignisse häufiger und intensiver, und die zunehmende Hitze und Trockenheit begünstigen die Ausbreitung von Feuern. Überraschend ist, dass viele europäische Feuerwehren Personal abbauen. Die Slowakei (-30 Prozent), Bulgarien (-22 Prozent), Portugal (-21 Prozent) und Belgien (-19 Prozent) verzeichnen den größten Rückgang, wie die European Trade Union Confederation (ETUC) zeigt.

    EU-weit gab es zwischen 2021 und 2022 demnach einen Rückgang um fast 5.300 Feuerwehrleute – von 365.000 auf unter 360.000. Die einzigen Länder, die gegen den Trend deutlich mehr Feuerwehrleute eingestellt haben, sind Spanien, Italien und Griechenland – Länder, die zuletzt besonders von Hitzewellen und Waldbränden betroffen waren. Esther Lynch, Generalsekretärin der ETUC, sagt: “Mitten in der Klimakrise die Zahl der Feuerwehrleute zu reduzieren, ist ein Rezept für eine Katastrophe”. Durch den Klimawandel steige das Risiko für Brände, ein Sparkurs gehe darum in die falsche Richtung und die europäischen Staaten müssten verstärkt in Feuerwehren investieren.

    Feuerwehren in Europa fordern schon länger mehr Ressourcen für ihre Arbeit. Janez Lenarčič, EU-Kommisar für Katastrophenmanagement, will die Rolle der EU in dem Bereich ausbauen. Ende Mai hatte die EU bereits verkündet, die Luftflotte zur Brandbekämpfung des europäischen Katastrophenschutzprogramms werde deutlich vergrößert. kul

    • EU
    • Extremwetter
    • Waldbrände

    USA: Mehr Nachhaltigkeit bei öffentlicher Beschaffung

    Die US-Regierung hat ein Maßnahmenpaket vorgelegt, nach dem US-Bundesbehörden bei ihrer Beschaffung noch stärker auf den Umwelt- und Klimaschutz achten müssen. Ziel der Biden-Administration ist es, die Ausgaben der öffentlichen Hand auf Bundesebene bis spätestens 2050 klimaneutral zu machen.

    Die vor wenigen Tagen vorgelegte Sustainable Products and Services Procurement Rule soll bisherige Entscheidungsspielräume einschränken und Bundesbehörden dazu verpflichten, künftig möglichst nur noch Produkte und Dienstleistungen einzukaufen, die höchsten Nachhaltigkeitsstandards genügen. Die US-Bundesbehörden verfügen über ein jährliches Budget von mehr als 630 Milliarden US-Dollar.

    60 Tage für Änderungs- und Ergänzungsvorschläge

    Laut US-Regierung enthält bereits ein Drittel ihrer Verträge Nachhaltigkeitsklauseln. Grundlage dafür sind Spezifikationen, Standards und Umweltzeichen der US-Umweltschutzbehörde EPA – etwa der Energy Star für energiesparende Geräte, Baumaterialien und Gebäude, oder das Water Sense Label für wassereffiziente Produkte.

    Die USA rühmen sich, schon jetzt weltweit führend im Bereich der nachhaltigen Beschaffung zu sein und als Vorbild zu dienen. So hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) den USA kürzlich als bisher einzigem Land den “höchstmöglichen Status” für nachhaltige Beschaffung zuerkannt.

    Über die neuen Beschaffungsregeln wird nach einer Konsultationsphase von 60 Tagen entschieden. In der Zwischenzeit können Zivilgesellschaft und Wirtschaft Änderungs- und Ergänzungsvorschläge machen. ch

    • Nachhaltigkeitsstandards
    • Öffentliche Beschaffung
    • USA

    Presseschau

    Analyse: Carbon Offsets werden den Amazonas nicht retten – das zeigt das Beispiel Guayana
    Climate Home News 
    Analyse: Gas Lock-ins und LNG Importe in Ghana Climate Home News
    Hintergrund: Die Wissenschaft immer extremeres Wetter vorherzusehen Financial Times
    Analyse: Winterhitzewelle in Südamerika New York Times
    Interview: Robert Habeck über seine Erfahrungen an der Macht Die Zeit
    Nachricht: Harvard-Professorin für Umweltrecht gibt ihre Stelle beim Ölförderer ConocoPhillips auf The Guardian
    Analyse: Geringere Abholzungsraten in tropischen Regenwälder macht Hoffnung The Guardian
    Nachricht: Slowenien kämpft gegen “größte Naturkatastrophe der Geschichte” Redaktionsnetzwerk Deutschland
    Analyse: Der “Klimaplan” für Trumps nächste Amtszeit E&E News
    Kolumne: Was heiße Meere für unser Wetter bedeuten ZDF Terra X
    Nachricht: Vereinigte Arabische Emirate versprechen Proteste rund um die COP28 zuzulassen Aljazeera

    Heads

    Alessandra Korap – Ihr Kampf für den Wald ist noch nicht vorbei

    Davi Kopenawa und Alessandra Korap.
    Alessandra Korap und Davi Kopenawa – zwei indigene Führungspersönlichkeiten, die für den brasilianischen Regenwald kämpfen.

    Widerstand von der Lokalbevölkerung gegen große Industriekonzerne hat in Lateinamerika oft etwas von David gegen Goliath. So ist es auch im indigenen Gebiet Sawré Muybu im Amazonas-Regenwald im Norden von Brasilien. Dort lebt das indigene Volk der Munduruku, die sich bereits seit den Achtziger Jahren gegen legalen und illegalen Bergbau in der Region wehren, zuletzt besonders gegen das britische Unternehmen Anglo American. Die 39-jährige Alessandra Korap gehört zu den bekanntesten Umweltaktivistinnen. In diesem Jahr hat sie den renommierten Goldman Environmental Prize gewonnen, der auch als “grüner Nobelpreis” bekannt ist.

    “Ich finde es gut, dass unsere Arbeit und unser Kampf dadurch international an Sichtbarkeit gewinnt”, sagt Korap im Gespräch mit Table.Media. “Die vergangenen Jahre mussten wir so viele Rückschläge einstecken”. Vor Korap hatte bereits einmal eine brasilianische Frau den Goldman Prize gewonnen: 1996 wurde Marina Silva ausgezeichnet, heute ist sie Umweltministerin von Brasilien.

    Die vergangenen Tage verbrachte Korap beim Amazonas-Gipfel in Belém. Sie ist enttäuscht von dem Ergebnis. Bei wichtigen Entscheidungen über das Leben und die Territorien der Indigenen säßen sie nicht mit am Tisch des Präsidenten, sagte sie. Der Regenwald und die Territorien der Indigenen müssten besser geschützt werden.

    Korap fing früh an, sich für Umweltbelange im Amazonas einzusetzen. Schon 2019 machte die energische Frau auf die Quecksilberverseuchung des Bodens und Wassers aufmerksam und führte den Widerstand gegen Anglo American an. Mit Erfolg: Nach zahlreichen Demos, mehreren Rechtsstreiten, aber auch unzähligen Drohungen gegen Korap und ihre Familie gab der britische Konzern seine Vorhaben für 27 Bergbauprojekte in der Region im Jahr 2021 auf.

    Indigene als Hüter des Waldes

    Die Goldman Stiftung hebt hervor, dass der Sieg gegen Anglo American, besonders unter der damaligen Regierung von Jair Bolsonaro, eine bemerkenswerte Leistung sei. Unter der Regierung des rechtsextremen Ex-Präsidenten waren sowohl der Klimaschutz als auch die Rechte von Minderheiten keine Priorität. Bolsonaro hatte schon in seiner Wahlkampagne gesagt, er würde keinen Zentimeter Land als indigen mehr ausweisen lassen – und Wort gehalten. In seiner Amtszeit standen alle Prozesse für die “Demarkierung”, also zur Anerkennung von indigenem Land, still. Bolsonaro betonte immer wieder, die Indigenen hätten schon “zu viel Land”.

    Gleichzeitig nahm die Abholzung in der Amazonas-Region unter Bolsonaro stark zu – auch in ausgewiesenen indigenen Gebieten, dort aber nur halb so schnell wie in anderen Regionen des Landes. Brasiliens Indigene sehen sich darum zurecht als Hüter des Waldes: “Wir kämpfen für unser Land und damit für den Schutz des Klimas”, sagt Alessandra Korap im Video-Call. “Es gibt keinen intakten Wald ohne die Menschen vor Ort”.

    Koraps Alltag besteht aus unzähligen Meetings mit verschiedenen Organisationen für Umweltschutz und Indigenen-Rechte. Um daran teilzunehmen, muss sie häufig stundenlang auf Booten durch den Regenwald fahren. Außerdem studiert Korap Jura, um ihre und die Rechte der Indigenen in Zukunft noch besser verteidigen zu können, und sie ist Mutter von zwei Kindern. Viel Zeit zum Durchatmen bleibt da nicht – wenn die Umweltschützerin doch mal Freizeit hat, verbringt sie diese gerne im Wald.

    Hoffnung unter neuer Regierung

    Anfang des Jahres gab es in Brasilien einen Regierungswechsel. Seitdem regiert der linksgerichtete Luiz Inácio Lula da Silva. In Fragen des Klimaschutzes und der Indigenen-Rechte will sich Lula deutlich von seinem Vorgänger absetzen. Zum ersten Mal gibt es in Brasilien beispielsweise ein Ministerium für indigene Angelegenheiten – geführt von der Indigenen Sônia Guajajara. Ein wichtiger und richtiger Schritt findet Alessandra Korap. Für den Klimaschutz hat sich Lula “Null Abholzung” bis 2030 vorgenommen, Anfang Juni legte er auch einen 150-Punkte Fahrplan dafür vor.

    Alessandra Korap ist froh über den Regierungswechsel. Gut sei die Situation für Indigene deswegen aber noch lange nicht. Bolsonaros Fürsprecher, die “Mannschaft des Bösen”, wie Korap sie nennt, säße noch immer in den Parlamenten und arbeite für die Landwirtschaftsindustrie und gegen die Rechte von Indigenen und den Klimaschutz. Aktuell wird sowohl vor Brasiliens oberstem Gerichtshof als auch im Gesetzgebungsprozess über die sogenannte “Marco Temporal” (deutsch: Stichtag) gestritten. Damit soll geregelt werden, dass Indigene in Zukunft nur noch dann ein Recht auf die offizielle Anerkennung ihres Landes haben, wenn sie bei Ausrufung der Verfassung 1988 bereits dort gelebt haben. Aus Sicht der Befürworter würde das Gesetz Landwirte vor Enteignung schützen. Vor allem die mächtige Agrarlobby steht dahinter.

    Der Kongress hatte einem Gesetzesvorschlag zur Anwendung des Stichtags für die Ausweisung von indigenem Land Anfang Juni zugestimmt. Wenn die Stichtagsregelung tatsächlich im Gesetz verankert wird, würde sie es in Zukunft erheblich erschweren, Gebiete als indigen auszuweisen, weil viele Völker Schwierigkeiten hätten, zu belegen, dass sie bereits vor 1988 dort lebten. Auch Alessandra Koraps Heimat Sawré Muybu wäre davon womöglich betroffen – die endgültige Auszeichnung als indigenes Gebiet steht hier noch aus. “Wir kämpfen weiter”, sagt Korap. Lisa Kuner

    • Amazonas
    • Brasilien

    Climate.Table Redaktion

    REDAKTION CLIMATE.TABLE

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