es ist die zentrale Messlatte für eigentlich alles im Klimaschutz: Hilft eine bestimmte Entscheidung oder Maßnahme, die CO₂-Emissionen zu senken? Und kann man das beweisen? Ja, sagt jetzt der grüne Klimaminister Robert Habeck, zumindest beim Kohle-Ausstieg. Denn er will alle CO₂-Zertifikate, die dadurch frei werden, in Zukunft stilllegen. Und damit der Kritik begegnen, im europäischen “Wasserbett” bringe CO₂-Reduktion in Deutschland nichts für das Weltklima. Das heißt aber auch: Die Bundesregierung verzichtet auf Milliarden an Einnahmen aus diesen Auktionen. Da sind die nächsten hitzigen Debatten zwischen Habeck und Finanzminister Christian Linder garantiert.
Auch anderswo in diesem Climate.Table geht es darum, wie wirksam und transparent Klimapolitik ist. Obskure Siegel für “Klimaneutralität” stehen heftig in der Kritik und deshalb vor dem Aus. Eine neue Studie durchleuchtet die Netto-Null-Strategien von globalen Unternehmen und findet viel Greenwashing. Der Skiverband FIS wird von seinen eigenen Sportlerinnen und Sportlern für Klima-Ignoranz kritisiert. Und der EU-Rechnungshof stellt der europäischen Klima-Entwicklungspolitik der letzten Jahre ein vernichtendes Zeugnis aus.
Also: Vertrauen ist gut, Kontrolle noch besser. Das ist auch unser Anspruch im Journalismus. Wie jede Woche hoffen wir, Ihnen damit beim Climate.Table ein spannendes Angebot zu machen. Viel Spaß beim Lesen und behalten Sie einen langen Atem!
Die CO₂-Zertifikate für den EU-Emissionshandel (ETS), die durch den geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung frei werden, sollen nach dem Willen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) komplett vom Markt genommen werden. Das erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber Table.Media. Erst mit diesem Vorgehen würde der Kohleausstieg in Deutschland faktisch zu einer Senkung der CO₂-Emissionen beitragen.
Auch nach der neuesten Verschärfung des ETS auf EU-Ebene bliebe durch den Kohleausstieg noch “eine Restmenge” an frei werdenden Zertifikaten. “Und diese Restmenge an Zertifikaten wollen wir löschen lassen“, so der Sprecher.
Das Ministerium reagiert damit auf die Befürchtung, der Kompromiss zum Kohleausstieg durch die “Kohlekommission” und das auf 2030 vorgezogene Ende der Kohleverstromung im rheinischen Revier würden dem Klima nichts nützen. Befürchtet wurde, die frei werdenden Zertifikate könnten anderswo für Emissionen eingesetzt werden (der sogenannte “Wasserbett-Effekt“). Teile der Klimaschutzbewegung und der Wissenschaft hatten der Kohlekommission diesen Vorwurf gemacht.
Vermieden werden die Emissionen nämlich nur, wenn die dafür nötigen Zertifikate vom Markt genommen werden. Dafür muss unter anderem das “Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz” (TEHG) geändert werden. Daran arbeitet das BMWK derzeit. Denn das alte Gesetz passe nicht zur Verschärfung des ETS, den die EU beschlossen hat, heißt es aus dem BMWK.
Die politischen und ökonomischen Bedingungen rund um einen solchen Eingriff in den Emissionshandel sind schwer abzuschätzen:
Vor allem aber entgehen dem Finanzministerium Milliarden-Einnahmen, wenn Deutschland diese Zertifikate nicht mehr wie geplant versteigern kann. Bei Preisen von derzeit knapp unter 100 Euro pro Tonne CO₂ würde schon die Stilllegung der CO₂-Zertifikate für 2021/22 (die im Kompromiss der “Kohle-Kommisssion” vereinbart wurden) Mindereinnahmen von etwa einer Milliarde Euro für den Bundeshaushalt bedeuten. Denn nach Schätzungen von Florian Rothenberg vom Analysehaus ICIS würden in diesem Fall etwa zehn Millionen Tonnen CO₂ nicht emittiert, deren Zertifikate nun auch nicht versteigert werden könnten. Das wären etwa zehn Prozent der jährlich in Deutschland versteigerten Zertifikate.
Diese Summe würde deutlich steigen, wenn die Zertifikate aus dem vorgezogenen Ausstieg im Rheinland tatsächlich vom Markt genommen würden. Nach Angaben des BMWK und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen spart der Kompromiss zum Ausstieg bis 2030 insgesamt Emissionen in Höhe von 280 Millionen Tonnen CO₂. Zu heutigen Marktpreisen wären das etwa 28 Milliarden Euro, auf die der Bundeshaushalt zwischen 2030 und 2038 als Einnahmen verzichten müsste.
Schon bisher ist der Emissionshandel eine gute Einnahmequelle für den Bundeshaushalt. 2021 flossen allein aus dem europäischen Handel mit Zertifikaten 5,3 Milliarden Euro in die Kassen des Bundes. Aus diesen Einnahmen durch den ETS werden bislang Klimaschutzmaßnahmen über den “Energie- und Klimafonds” (EKF) finanziert.
Das Bundesfinanzministerium (BMF), das die möglichen Mindereinnahmen in der Haushaltsplanung berücksichtigen müsste, äußerte sich auf Anfrage vorerst nicht in der Sache zum Vorstoß aus dem Wirtschaftsministerium. Aktuell würden “rechtliche Anpassungen mit Blick auf künftige Emissionsberechtigungen” beim Emissionshandel vorgenommen, hieß es aus dem Haus von FDP-Finanzminister Christian Lindner. Man könne “die diesbezüglichen ressortübergreifenden Beratungen inhaltlich nicht kommentieren“.
Das Versprechen klingt groß, aber die Bilanz ist offenbar mager: Von 24 Konzernen, die sich als globale Vorreiter beim Kampf gegen den Klimawandel verstehen, können nur fünf Firmen ernsthafte Pläne zu echter Dekarbonisierung vorweisen. Das geht aus dem neuen Coperate Responsibility Monitor hervor, der am Montag vom NewClimate Institute veröffentlicht wurde. Die Unternehmen versichern der Öffentlichkeit demnach, in ihrer Unternehmensstrategie nach vielen Öko-Etiketten zu streben: “Netto-Null”-Emissionen, “Klimaneutralität” oder ähnliches. Doch die Pläne von 17 Firmen sind dabei von “niedriger Integrität”, heißt es (siehe “Klima in Zahlen”).
Nicht nur die Ergebnisse der NewClimate Institute Erhebung sieht schwammige Bekenntnisse zur Klimaneutralität kritisch – zuletzt wächst die Kritik an Klimaneutralitätssiegeln von allen Seiten. Die großen Drogerieketten Rossmann und DM verzichten darum nun auf die Siegel – obwohl sie noch in jüngster Vergangenheit vermehrt zum Einsatz kamen. Der Rossmann Chef Raoul Roßmann sagte in einem Interview mit “Die Zeit” zuletzt, Klimaneutralitätssiegel seien “im Grunde tot”.
Anders als bei Siegeln wie “Bio” oder “Fairtrade” gibt es für Klimaneutralität bisher keine verbindlichen Regeln, was sich hinter dem Begriff versteckt. Wie viele dieser Labels vergeben werden, ist ebenso unklar wie die Frage, welche Standards sie erfüllen.
Noch wird dafür gekämpft, den Tod des Siegels aufzuhalten: Verschiedene Stellen arbeiten aktuell daran, Standards für Klimaneutralität festzulegen. Die EU ist dabei, Regeln für sogenannte “Green Claims” zu definieren, darunter fallen auch Klimaneutralitätssiegel. Ein erster Entwurf dafür wurde im Januar veröffentlicht.
Gleichzeitig arbeitet eine internationale Arbeitsgruppe an der ISO-Norm 14068, die Carbon Neutrality definieren soll. Darin wird unter anderem definiert, was “unvermeidbare” Emissionen sind. Larissa Kleiner vom Umweltbundesamt (UBA) ist verhalten optimistisch, dass das einen positiven Effekt hat: “Solche Regeln bringen mehr Transparenz“, sagt sie. Die Anforderungen könnten aber unzureichend bleiben.
Die Kritik an dem Geschäft mit der Klimaneutralität wächst: “Es gibt keine verarbeiteten, klimaneutralen Produkte“, sagt Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Besonders absurd seien Produkte, die das Label “klimapositiv” tragen. Eine Studie der Verbraucherzentrale NRW zeigt auch, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die verschiedenen Nachhaltigkeits- und Klimasiegel nicht verstehen und einordnen können. Außerdem ruhten sich Unternehmen auf den Versprechen der Zertifizierung aus, ohne notwendige Veränderungen voranzutreiben, meint beispielsweise Carsten Warnecke vom NewClimate Institute.
“In dem Bereich gibt es so viel Nichtregulierung, das gibt es eigentlich gar nicht”, sagt Warnecke. Unternehmen, die Siegel vergeben, legten die Standards selbst fest und überprüften die Einhaltung dann auch selbst. Larissa Kleiner vom UBA weist auch darauf hin, dass in der Diskussion immer wieder unterschiedliche Begriffe gleichgesetzt werden. So entspricht das, was als Klimaneutralität bezeichnet wird, eher Treibhaus- oder CO₂-Neutralität.
Weitere Kritik entzündet sich an diesen Punkten:
Carsten Warnecke vom NewClimate Institute sagt: “Die Schritte, die eigentlich hinter eine Zertifizierung stehen, sind natürlich die richtigen”. Bisher würden allerdings die falschen Prioritäten gesetzt.
Welche Schritte sind das? Der erste ist die CO₂-Bilanzierung eines Unternehmens. Oftmals ist die an das Greenhouse Gas Protokoll angelehnt. Das teilt Emissionen in drei Bereiche, sogenannte Scopes, ein.
Nach dem Greenhouse Gas Protokoll ist es für die CO₂-Bilanzierung nur notwendig, Scope 1 und 2 zu berücksichtigen. Im Sinne des Klimas sollten auch Scope 3 mit einbezogen werden, oftmals entsteht hier ein großer Teil der Emissionen.
Im Anschluss sollten Reduktionsziele festgelegt und Pläne zu deren Erreichung erarbeitet werden. Für den Klimaschutz ist dieser Schritt der wichtigste. Erst dann können die übrigen, unvermeidbaren Emissionen mit CO₂-Zertifikaten ausgeglichen werden. Diese Schritte zur Vergabe von Klimaneutralitätssiegeln übernehmen Dienstleister wie ClimatePartner. “Das Label allein ist dabei nur ein Zeichen”, sagt ein Sprecher des Unternehmens. “Viel wichtiger sind die Prozesse, die im Hintergrund ablaufen.” Die meisten Unternehmen, die sich um Siegel bemühen, würden es sich da nicht leicht machen und sorgfältig vorgehen.
Carsten Warnecke beobachtet etwas anderes: “Viele Unternehmen legen überhaupt keine CO₂-Reduktionsziele fest”, sagt er. Und wenn doch, dann wären die vollkommen inkompatibel mit dem Pariser Klimaabkommen. Statt Reduktionszielen von bis zu 50 Prozent bis 2030, lägen die der Unternehmen eher in einer Größenordnung von 15 Prozent. Hier müssten Unternehmen seiner Meinung nach ansetzen und investieren. Außerdem sei es wichtig, dass sie Ziele und den Weg dahin transparent machten.
Seine Kritik geht dabei auch an die Unternehmen wie ClimatePartner: Es finde kaum Beratung zur Reduktion statt, Ziele zur Emissionsminderung seien selten verpflichtend und viel zu oft würde direkt der Kauf von Ausgleichszertifikaten angeboten. ClimatePartner will bei diesem Knackpunkt nachsteuern. “In Zukunft wird Emissionsreduktion ein verpflichtendes Element unseres Zertifizierungsprozesses”, sagt das Unternehmen.
Ob das reicht, um all die Zweifel rund um Klimaneutralität von Produkten auszuräumen, ist unklar. Agnes Sauter von der DUH findet, die Politik solle solche Siegel ganz verbieten. Warnecke sagt, wenn dürfen sie nur in einem “engen Korsett” aus Regeln verwendet werden, das hohe Reduktionsziele vorschreibt.
Europa kann bei der Produktion von Solarprodukten mittelfristig unabhängiger von China werden. Eine solche Kehrtwende brauche aber viel politischen Willen, Milliarden Euro an Anschubfinanzierung und einige Jahre Zeit, sind sich Experten und Wirtschaftsvertreter einig. Die chinesischen Pläne, die Ausfuhr von Solar-Produktionsanlagen in Zukunft zu beschränken, könnten ein Warnschuss zum richtigen Zeitpunkt sein.
China will seine Vormachtstellung im Solarsektor verteidigen. Der Weltmarktführer plant, den Export von Produktionsanlagen für die Solarindustrie einzuschränken. Die Volksrepublik trifft den Westen dabei an einer entscheidenden Schwachstelle, wie Johannes Bernreuter, Experte für solare Lieferketten sagt. Viele westliche Anlagenbauer haben aufgrund der billigen chinesischen Konkurrenz und dem Verfall der heimischen Solarindustrie aufgegeben. Das chinesische Vorgehen gilt als Antwort auf westliche und indische Pläne zum (Wieder-)Aufbau einer eigenen Solarindustrie. Westliche Käufer, die ihre Produktion ausweiten und auf chinesisches Equipment zurückgreifen wollen, müssten komplizierte Genehmigungsverfahren durchlaufen. Am Ende entscheidet der chinesische Staat, ob die Technologie exportiert werden darf, wie Table.Media berichtete.
Ob Chinas geplante Exportbeschränkungen jedoch ihr Ziel erreichen, hängt von der politischen Antwort Europas ab. “Chinas Exportbeschränkungen für Solar-Produktionsanlagen können den Ausbau der Solarindustrie in Europa stark torpedieren“, sagt Andreas Bett, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (Fraunhofer ISE) gegenüber Table.Media. Der Aufbau der industriellen Produktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette würde erschwert.
Doch ein Wiederaufbau einer europäischen Lieferkette wäre durchaus möglich. Das Know-how für die einzelnen Schritte der Solar-Lieferkette “ist in Europa grundsätzlich noch vorhanden – auch im Bereich des Maschinenbaus“, sagt Bett. Das Wissen müsse aber reaktiviert und aktualisiert werden, um die benötigten Mengen der einzelnen Solarkomponenten und Vorprodukte produzieren zu können. Bei den Anlagenbauern könne es “gut zwei bis drei Jahre dauern, bis sie substanzielle Kapazitäten bereitstellen können”, so Bett. Je länger die Politik mit Unterstützung warte, desto mühsamer sei das Wieder-Hochfahren einer europäischen Produktion, warnt der Fraunhofer-Experte.
Auch Gunter Erfurt, Vorstandsvorsitzender von Meyer Burger, ist überzeugt: Europa verfügt noch über die notwendigen Technologien in allen Teilen der komplexen Lieferkette. Der Wiederaufbau einer europäischen Solarindustrie wird “ein großer Kraftakt“, so der Chef des schweizerischen Solarzellen- und -Modulproduzenten. Mit “der richtigen strategischen Industriepolitik wäre dies aber trotz eines chinesischen Exportverbotes für Solar-Produktionsanlagen möglich”, sagt Erfurt gegenüber Table.Media. Einfach wird das jedoch nicht. Denn in einigen Bereichen verfügt nur noch Deutschland außerhalb Chinas über die notwendigen Technologien. Erfurt ist dennoch optimistisch. Es sei durchaus möglich, dass “die europäischen Anlagenbauer ihre Kapazitäten schnell genug hochfahren könnten, um den Ausbau einer europäischen Solarzellen-Fertigung möglich zu machen”.
Derzeit dominiert China alle Glieder der Lieferkette. Durch hohe staatliche Subventionen und das Kopieren westlicher Technologien haben die Hersteller in der Volksrepublik Marktanteile von 75 bis 97 Prozent erreicht. Erfurt beklagt, dass China dafür auch die Marktkräfte ausgehebelt habe. “Chinesische Solarhersteller und Anlagenbauer machen keine Profite”, sagt Erfurt. Das sei quasi staatlich verordnet, um Weltmarktführer zu bleiben. Auch Produktionsanlagen subventioniere der Staat. Die Solar-Abhängigkeit des Westens von China sei mittlerweile größer als es die Abhängigkeit von russischem Gas- und Öl vor dem Ukraine-Krieg war, sagt Erfurt.
Um die Abhängigkeit von China zu überwinden, müsse Europa eine “technologische Souveränität im Solar-Bereich” aufbauen, sagt Bett. Ein Marktanteil von 30-50 Prozent sollte dafür in Europa hergestellt werden, so der Leiter des Fraunhofer ISE. Das wären 50 bis 60 Gigawatt an Produktionskapazität. Zum Vergleich: Meyer Burger will bis 2024 eine jährliche Produktionskapazität von drei Gigawatt erreichen.
Erfurt fordert, die Politik müsse den Photovoltaik-Sektor “zu einem strategischen Industriesektor erklären”. Im ersten Halbjahr 2023 müssten die politischen Weichen gestellt werden, damit der Aufbau einer europäischen Solarindustrie vorangeht, so der CEO von Meyer Burger.
Um den “Kraftakt” zum Aufbau einer europäischen Solarindustrie zu bewerkstelligen und sich gegen die subventionierte chinesische Konkurrenz durchzusetzen, schlägt der Fraunhofer-Chef Bett vor:
Erfurts Forderungen stimmen in vielen Bereichen mit denen Betts überein. Um den Aufbau einer europäischen Solarindustrie zu ermöglichen, fordert der Vorstandsvorsitzende von Meyer Burger:
Die Bundesregierung und EU-Kommission halten sich mit offiziellen Einordnungen der geplanten Exportbeschränkungen Chinas bisher noch zurück. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums erklärte, man könne “mögliche Absichten der chinesischen Regierung nicht kommentieren”. Eine Sprecherin der Kommission sagte, man sei sich den möglichen Exportbeschränkungen bewusst und analysiere sie derzeit.
Öl- und Gaskonzerne setzen derzeit vermehrt auf den Ausbau fossiler Reserven und wenden sich von ihren ursprünglichen Planungen für mehr Klimaschutz ab. Angesichts von Rekordgewinnen durch die internationale Energiekrise in Folge des Ukrainekriegs überdenken Industrie und Politik gerade ihre bislang gefassten Pläne, Reserven an Öl und Gas für den Klimaschutz im Boden zu lassen. Das gefährdet die Einhaltung der Klimapläne aus dem Pariser Abkommen.
Der Trend zeigt sich über die letzten Wochen in mehreren Einzel-Entscheidungen:
Die Ausweitung der Gas- und Ölförderung gefährdet nach einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) allerdings die Erreichung der globalen Klimaziele. Um sie zu halten und 2050 bei Null-Emission zu landen, so die OECD-Behörde in ihrem Fahrplan “Net Zero by 2050”, dürften nach 2021 “keine neuen Öl- und Gasfelder und keine neuen oder erweiterten Kohlegruben zugelassen werden.” Diese Warnung wurde durch einen Überblick über alle relevanten Studien zum Thema im Herbst 2022 bestätigt.
Die Pläne der Unternehmen sehen anders aus. Laut einer Studie des Thinktanks “Carbon Tracker” von Ende 2022 haben die einzelnen Firmen gegenüber 2019 folgende Pläne:
Von den staatlichen Energiekonzernen etwa aus Saudi-Arabien, China oder Russland sind langfristige Pläne zur Drosselung der Produktion nicht bekannt.
Die Öl- und Gaskonzerne haben im letzten Jahr durch die sprunghaft gestiegenen Preise Rekordprofite gemacht. Insgesamt habe die Industrie rund vier Billionen US-Dollar verdient, so die IEA. Die sechs großen privaten Firmen verdoppelten ihren Gewinn gegenüber dem Vorjahr auf 219 Milliarden Dollar. Sie steckten 110 Milliarden in Dividenden oder den Rückkauf eigener Aktien. Einige Firmen schrieben aber auch große Summen durch den Rückzug aus Russland nach dem Überfall auf die Ukraine ab.
Die bisherige Geschäftspolitik vor allem der privaten Ölkonzerne ist allerdings ohnehin kaum an den Pariser Klimazielen ausgerichtet. Laut Carbon Tracker haben Chevron, Eni, Shell und TotalEnergies seit 2021 insgesamt mindestens 58 Milliarden Dollar für neue Projekte freigegeben. Sollten alle diese Vorhaben umgesetzt werden, führe das zu einem Öl- und Gasverbrauch, der die globale Temperatur über 2,5 Grad treibt.
Für 2023, warnt der Bericht, stünden unter anderem bei Eni, ExxonMobil und TotalEnergies Entscheidungen über Investitionen in Höhe von weiteren 23 Milliarden Dollar an. Deren Realisierung treibe die Temperaturen noch jenseits von 2,5 Grad.
Ein Grund für die Vorliebe der Firmen für neue fossilen Projekte könnte auch in der Bezahlung ihres Managements liegen. So zeigt eine weitere Untersuchung, dass mit einer Ausnahme (Eni) alle anderen 34 privaten Energiekonzerne ihre Manager dafür bezahlen, das Geschäft auszuweiten. Diese Prämien für Wachstum machen etwa 41 Prozent des Gehalts bei ExxonMobil aus, 20 Prozent bei Shell und zehn Prozent bei Chevron. Selbst bei den Ölkonzernen, die sich offiziell auf Klimaziele verpflichten, ist ein großer Teil der Gesamtvergütung des Managements vom Wachstum der Produktion abhängig – etwa 30 Prozent bei BP, 18 Prozent bei Eni und 15 Prozent bei TotalEnergies.
16. Februar, 10 Uhr, Berlin
Konferenz Konflikte und Chancen der ökologisch-sozialen Verkehrswende
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft beendet sein Projekt “Ökologisch-Soziale Verkehrswende – Impulse für eine gerechte Transformation” mit einer Abschlusskonferenz. Dort wird mit Vertreterinnen und Vertretern von Verbänden, Politik und Wissenschaft diskutiert, was für eine gerechte Verkehrswende notwendig ist. Infos
16. Februar, 11.30 Uhr, online
Webinar 4C Carbon Outlook Launch
Auf dem Webinar werden die Ergebnisse des “Carbon Outlook 2022” diskutiert. Der Bericht wurde vom EU-finanzierten Projekt 4C (Climate-Carbon Interactions in the Current Century) in Zusammenarbeit mit dem Global Carbon Project erstellt. Infos
17. – 19. Februar, München
Konferenz Münchner Sicherheitskonferenz
Die 59. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) bringt für drei Tage Debatten aus Außen- und Sicherheitspolitik nach München. Fast ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bietet die MSC 2023 auch eine Gelegenheit zur Bestandsaufnahme des Zusammenhaltes innerhalb der Allianz und der politischen Verpflichtung gegenüber der regelbasierten internationalen Ordnung. Infos
18. – 19. Februar, Berlin
Seminar Können wir die Klimakrise rückgängig machen?
Auf dem Workshop der Heinrich-Böll-Stiftung wird diskutiert, inwiefern technische Lösungen (insbesondere Carbon Capture und Storage, CCS) die Klimakrise aufhalten können und welche weiteren Ansätze notwendig sind. Infos
22. Februar, 10 Uhr, Online
Webinar Vor-Ort Systeme – Potenziale für das Energiesystem
Auf dem Webinar von ENIQ Fraunhofer geht es darum, wie Energieversorgungskonzepte vor Ort effizienter und flexibler genutzt werden können. Nach der Vorstellung der Studie “Vor-Ort-Systeme als flexibler Baustein im Energiesystem – Eine cross-sektorale Potenzialanalyse” folgt eine Podiumsdiskussion. Infos
22. Februar, 12.30 Uhr, Paris und online
Workshop Metrics for Climate Transition and Net-Zero GHGs in Finance
Auf diesem Workshop der OECD geht es darum, wie durch Netto-Null-Ziele im Finanzsektor Klimaziele erreicht werden können. Insbesondere wird diskutiert, wie Greenwashing vermieden werden kann. Infos
22. Februar, 19 Uhr, Hannover
Diskussion Schritt für Schritt ins Paradies: Sozial-ökologische Mobilitätswende
Auf der Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung steht im Mittelpunkt, welche Maßnahmen zu einer gerechten Verkehrswende beitragen. Es wird sowohl über Elektrifizierung als auch über eine Reduktion des Verkehrs gesprochen. Infos
23. Februar, 15 Uhr, Berlin
Diskussion Opportunities of the European Green Deal for Africa’s private sector
Das Africa Policy Research Institute (APRI) und die Friedrich-Naumann-Stiftung organisieren diese Veranstaltung zu den Auswirkungen des Europäischen Green Deals auf Afrika. Es geht dabei besonders darum, welche Möglichkeiten für wirtschaftliche Zusammenarbeit sich ergeben. Infos
Selbsternannte Klimaschützer unter Unternehmen gibt es einige. Doch laut einer neuen Studie des New Climate Institutes, dem “Corporate Climate Responsibility Monitor”, lösen diese Unternehmen ihren eigenen Anspruch nicht ein. Denn die 2030er-Klimaziele der untersuchten Firmen bleiben weit hinter den für 1,5 Grad nötigen Emissionsreduktionen zurück.
Insgesamt untersuchte das Institut 24 Unternehmen aus acht treibhausgasintensiven Branchen. Aus jedem Sektor wurden drei Firmen ausgewählt, die sich zu Klimaschutz im Einklang mit der 1,5-Grad-Grenze verpflichtet haben. Das New Climate Institute sieht sie auch als Vorbilder für andere Unternehmen.
Der Studie zufolge reichen nicht einmal die Versprechen der Firmen aus, ihrem Anspruch gerecht zu werden. Zwei der Konzerne, Pepsico und American Airlines, hatten für 2030 kein klares Ziel vorgelegt. Die anderen 22 Firmen versprechen laut Studie im Mittel, ihre Emissionen entlang der Wertschöpfungskette um 15 bis maximal 21 Prozent zu senken – nötig sei aber, die globalen Treibhausgasemissionen um 43 Prozent und die CO₂-Emissionen um 48 Prozent zu senken.
Hinzu kommt: Keine der Firmen erreicht mit ihren Klimazielen und -strategien eine hohe Glaubwürdigkeit. Nur neun Unternehmen wurde in der Studie eine mittlere Glaubwürdigkeit attestiert. Nur vier davon – Apple, die H&M Gruppe, Stellantis und Maersk – versprachen darüber hinaus für 2030 eine Emissionsreduktion, die über dem erforderlichen Wert lag. ae
Finanzielle Mittel der EU, mit denen Länder im globalen Süden bei der Bewältigung von Klimaauswirkungen unterstützt werden sollten, haben die erhoffte Wirkung verfehlt. Es sei weder gemessen worden, ob sich die Situation der Menschen verbessert habe, noch sei der Schwerpunkt ausreichend auf die Bedürfnisse der am stärksten von Klimawandel Betroffenen gelegt worden. Zudem sei die Hilfe bei den schutzbedürftigen Empfängern nicht immer angekommen.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Überprüfung des Europäischen Rechnungshofes, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Insgesamt 729 Millionen Euro wurden für die “Global Climate Change Alliance” (GCCA) von 2007 bereitgestellt. “Wir haben festgestellt, dass die GCCA weniger wirkungsvoll war als erhofft und dass der Übergang von Kapazitätsaufbau hin zu konkreteren Maßnahmen und direkter Hilfe für die Bevölkerung nicht systematisch stattgefunden hat”, kommentiert Hannu Takkula, der verantwortliche Prüfer beim EU-Rechnungshof.
Die Mittel der GCCA waren insbesondere für die vom Klimawandel am stärksten gefährdeten, armen Entwicklungsländern vorgesehen – den sogenannten Least Developed Countries (LDC) und den Small Island Developing States (SIDS). Dort sollten Wissensaustausch und Unterstützung für Anpassung, Klimaschutz und Katastrophenvorsorge durch die EU gefördert werden.
Diese Ziele habe die Initiative “nicht nachweislich” erfüllen können, heißt es von den Prüfern. Zwar hätten die abgeschlossenen Maßnahmen Resultate erzielt, “zum Teil jedoch unter hohem Kostenaufwand”. Ob diese Kosten angemessen waren, sei nicht ausreichend überprüft worden. Auch sei die Organisation ihrer Entwicklungsmaßnahmen ineffizient gewesen. Zudem sei die Initiative sowohl in den Entwicklungsländern als auch in der EU nur wenig bekannt, obwohl ihre Mittel in der 15-jährigen Laufzeit 80 Ländern zugutekamen.
Auch habe die EU-Kommission keine zusätzlichen Mittel aus den Mitgliedstaaten und dem Privatsektor mobilisieren können. Trotz dieser Finanzierungslücke hätte die Kommission ihre Ziele allerdings nicht angepasst. In Zukunft sollte die EU-Kommission den Schwerpunkt “auf die am stärksten vom Klimawandel Betroffenen legen und die bisherigen Erfahrungen in künftige Klimaschutz- wie auch Entwicklungshilfemaßnahmen einfließen lassen”, fordert Takkula.
Die Kommission akzeptiert diese Empfehlungen. Sie betont auf Anfrage jedoch, der Erfolg einer möglichen höheren Klimaresilienz müsse gemeinsam mit anderen EU-finanzierten Instrumenten betrachtet werden. Die GCCA habe “in hohem Maße dazu beigetragen”, dass Länder ihre Vulnerabilität erkennen und Anpassungsstrategien entwerfen können, so die Kommission. Die Initiative habe zudem dazu beigetragen, die Grundlage für eine Klimapolitik in einer Reihe LDC und SIDS zu schaffen.
Eine Zukunft hat die GCCA jedoch ohnehin nicht. Die Kommission beschloss 2020, die Initiative nicht fortzusetzen und die Bewältigung des Klimawandels in Entwicklungsländern durch andere Instrumente und Finanzierungstöpfe zu unterstützen. luk
Große Internetplattformen wie Meta, Twitter oder Google lassen Konzerne unbehelligt Greenwashing-Botschaften auf ihren Plattformen verbreiten. Zu diesem Ergebnis kommen zwei der Berichte der britischen Nichtregierungsorganisationen Stop Funding Heat und Global Witness. Durch Werbeanzeigen, mit denen falsche Nachrichten zum Klima verbreitet werden, profitieren demnach auch die Internetplattformen.
Die Greenwashing-Botschaften von Konzernen auf Social Media seien ein wachsendes Problem. So habe der Mineralölkonzern BP seine Ausgaben für “irreführende Darstellungen des eigenen Umweltbildes” auf Facebook und Instagram im Jahr 2022 verdoppelt. Auch Shell schalte regelmäßig irreführende Werbung auf Social Media. Stop Funding Heat fordert darum ein Werbeverbot für Mineralölkonzerne.
Den Plattformen fehlt es laut dem Bericht bisher an einem Regelwerk, das Greenwashing adressiert und aufdeckt. Laut Sean Buchan, Autor des Stop Funding Heat-Berichts, sollten die großen Techkonzerne in diesem Bereich dringend nachbessern und aufhören, mit der Werbung von fossilen Energiekonzernen Geld zu verdienen. Auch der IPCC stuft Falschinformationen zum Klima als Barriere für mehr Klimaschutz ein und argumentiert, dass Falschdarstellungen negative Auswirkungen auf Klimapolitik haben.
Der Bericht von Stop Funding Heat geht davon aus, dass Meta zwischen Februar und Dezember 2021 allein in den USA mindestens 11,7 Millionen Dollar durch Werbung von Mineralölkonzernen eingenommen hat. Aufgrund von Datenproblemen könnte die Zahl jedoch noch viel höher liegen. Google soll demnach innerhalb von zwei Jahren geschätzt 23,7 Millionen Dollar an großen Öl- und Gaskonzernen verdient haben. kul
Nach dem Willen der EU-Kommission sollen auch die Emissionen von Lastkraftwagen bald stark sinken. Anders als bei den Pkw sieht die Kommission in ihrem Vorschlag, der am Dienstag vorgestellte wurde, aber zunächst kein totales Aus für den Lkw-Verbrennungsmotor vor.
Hersteller von Trucks, Bussen und leichten Lastwagen sollen die Emissionen ihrer Neufahrzeugflotte im Vergleich zum Referenzjahr 2019 in mehreren Schritten reduzieren:
Lkw machen lediglich zwei Prozent des Straßenverkehrs aus, verursachen aber fast 30 Prozent der CO2-Emissionen im EU-Straßenverkehr. Bisher gab es nur Flottenziele für schwere Lkw von minus 15 Prozent bis 2025 und minus 30 Prozent bis 2030 – Busse und leichte Lkw waren davon nicht betroffen.
Laut Kommissionsvorschlag gilt ein Fahrzeug als Nullemissionsfahrzeug, wenn es weniger als fünf Gramm CO₂ je Tonnenkilometer emittiert. Niedrigemissionsfahrzeuge stoßen demnach weniger als die Hälfte des Referenzwerts aus dem Jahr 2019 aus.
Das heißt: Zu den Nullemissionsfahrzeugen könnte der Batterieantrieb, die Brennstoffzelle und auch der Wasserstoff-Verbrennungsmotor zählen. Klimakommissar Frans Timmermans hat bei der Vorstellung des Vorschlags erstmals den Wasserstoff-Verbrennungsmotor als Möglichkeit für einen CO₂-freien Antrieb genannt.
Die Branche reagierte dennoch geschockt auf die Vorschläge der Kommission. Vor allem das 2030er-Ziel wird als “katastrophal” bezeichnet. Durch sparsame Motoren und bessere Aerodynamik sei bis 2030 eine Einsparung von knapp zehn Prozent bei der Dieselflotte zu erreichen, heißt es aus Industriekreisen. Die dann noch fehlende Einsparung von 35 Prozent müssten die Hersteller über Nullemissionsfahrzeuge erzielen.
Je Gramm und Tonnenkilometer, um die ein Hersteller die Zielvorgabe verfehlt, ist ab 2035 eine Strafe von 4250 Euro fällig. Ein großer deutscher Hersteller warnt, eine Verfehlung der Ziele um fünf Prozent würde ihn im Jahr einen Milliardenbetrag kosten.
Der Branchenverband ACEA rechnet vor: Bei minus 45 Prozent im Jahr 2030 müssten 400.000 Nullemissions-Trucks auf der Straße sein und mindestens 100.000 Nullemissionsfahrzeuge jedes Jahr neu zugelassen werden. Dafür müssten binnen sieben Jahren 50.000 öffentlich zugängliche Ladestationen für Lkw geschaffen werden, davon 35.000 High-Performance-Stationen. “Angesichts der Tatsache, dass es derzeit so gut wie gar keine Ladestationen für Lkw im öffentlichen Raum gibt, ist die Herausforderung sehr ehrgeizig”, sagt Sigrid De Vries von ACEA.
Der Verband der Maschinenbauer VDMA begrüßt, dass der Verbrenner nicht komplett verboten wird.
Dem NGO-Dachverband Transport & Environment (T&E) ist der Kommissionsvorschlag hingegen nicht ambitioniert genug. Die EU-Klimaneutralitätsziele bis 2050 würden damit “ins Unerreichbare rücken”. Das 90-prozentige CO₂-Reduktionsziel für Lkw bedeute, dass Diesel-Lkw auch 2050 noch auf den Straßen unterwegs sein werden. Das 45-Prozent-Ziel für 2030 liege gar “hinter den eigenen Plänen der Lkw-Industrie.” Daimler Truck will, dass bis 2030 bis zu 60 Prozent ihrer Neuwagen emissionsfrei sind, Volvo Trucks sogar 70 Prozent. T&E fordert daher, eine Emissionssenkung um 65 Prozent bis 2030 vorzuschreiben. mgr/luk
Die Unsicherheiten über Chinas Emissionsdaten bleiben weiter bestehen. Aufgrund von widersprüchlichen Angaben über die CO₂-Emissionen und den Kohleverbrauch des Landes ist weiter unklar, ob die Emissionen schon ihren Höchststand erreicht haben.
Nach vorläufigen Energiedaten der chinesischen Regierung sind die Kohlenstoffdioxid-Emissionen 2022 voraussichtlich um 1,3 Prozent gestiegen – Analysen des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in Helsinki gehen dagegen von einem Rückgang um ein Prozent aus. Die Diskrepanz geht laut CREA-Analyst Lauri Myllyvirta auf Unsicherheiten über den Kohleverbrauch des Landes zurück.
Nach offiziellen Daten stieg die Nachfrage nach Kohle 2022 um 3,3 Prozent. Die CREA-Experten stellten jedoch im Gegensatz dazu fest, dass die Aktivitäten der wichtigsten Kohle verbrauchenden Sektoren deutlich langsamer zulegten oder sogar sanken. So stieg Chinas Kohleverstromung laut Myllyvirta nur um 0,7 Prozent, die Stahlproduktion ging um zwei Prozent zurück, die Zementproduktion sogar um elf Prozent. Die Analyse dieser Trends deute darauf hin, dass der Kohleverbrauch 2022 nicht gewachsen sei, schreibt der China-Experte. “Gleichzeitig ging im vergangenen Jahr die Nachfrage nach Öl und Gas zurück.” ck
Stickstoff-Dünger sind für etwa fünf Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie aus “Nature Food”. Bei der Produktion und dem Einsatz von Stickstoff-Düngern entstehen demnach die Treibhausgase CO₂, Distickstoffmonoxid (Lachgas) und Methan. Bei der Produktion der Dünger werden häufig Erdgas, Kohle und Erdöl als Roh- und Brennstoffe verwendet. Die Nutzung von Stickstoff-Düngern verursacht somit einen ähnlich hohen Treibhausgas-Ausstoß wie die Zement- und Plastikindustrie mit sechs beziehungsweise vier Prozent der globalen Emissionen.
Laut Studienautoren könnten die Emissionen bei der Produktion und dem Einsatz von Stickstoff-Düngern jedoch bis 2050 um gut 80 Prozent gesenkt werden. Die Autoren schlagen beispielsweise vor:
Alle Maßnahmen können laut Studie maßgeblich zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen beitragen. Den größten Einzeleffekt hätte eine Reduktion der Dünger-Nutzung. nib
Der Klimawandel war nicht die Hauptursache der außergewöhnlich geringen Regenfälle, die im vergangenen Jahr in weiten Teilen Argentiniens und Uruguays zu einer Dürre führten. Zu dem Ergebnis kommt eine neue Studie der World Weather Attribution (WWA) Initiative.
Doch obwohl der Klimawandel nicht direkt hinter den geringen Niederschlägen steckt, hat er die Trockenheit indirekt über eine Kette von Ereignissen verstärkt. Der WWA zufolge führte er zu höheren Temperaturen in der Region. Dadurch sei wahrscheinlich mehr Wasser verdampft und die Auswirkungen der Trockenheit seien verschärft worden – um wie viel, konnte die Forschungsgruppe allerdings nicht quantifizieren. Für ihre Analyse untersuchte sie die Regenfälle von Oktober bis Dezember 2022 in großen Teilen Argentiniens, ganz Uruguay und einem kleinen Teil Südbrasiliens.
Die Chance, dass der Regen in einem beliebigen Jahr so spärlich ausfällt wie im Untersuchungszeitraum gemessen, bezifferten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit nur fünf Prozent. Sie fanden keinen Hinweis darauf, dass der Klimawandel für die geringen Regenfälle verantwortlich sei. Ein wichtiger Faktor sei aber vermutlich La Niña, ein Klima-Phänomen im tropischen Pazifik, das in der Region oft mit hohen Temperaturen und geringen Regenfällen einhergeht.
In der Region halten Dürre und Hitze derzeit an. In den kommenden Monaten wird allerdings erwartet, dass La Niña zunächst von einer neutralen Phase und dann von El Niño abgelöst wird, dem gegenläufigen Phänomen, das in dieser Region üblicherweise stärkere Regenfälle mit sich bringt. Klimawissenschaftlichen Modellen zufolge werden die Niederschläge in der Region künftig durch La Niña und die Gegenbewegung El Niño noch stärker schwanken.
Auch die Entwaldung, insbesondere in der Amazonasregion, kann die Regenfälle beeinflussen. Sie war aber nicht Gegenstand der aktuellen Studie.
In Zentralargentinien war 2022 das trockenste Jahr seit 1960, und von September bis Dezember hat es nur halb so viel geregnet wie sonst im Durchschnitt. Das hat Folgen auch für die weltweiten Agrarmärkte. Argentinien ist ein wichtiger Exporteur von landwirtschaftlichen Gütern und Nahrungsmitteln.
Hohe Temperaturen und Trockenheit führten zu weitreichenden Ernteausfällen, vor allem bei Weizen und Soja. Der Gütertransport über die Flüsse wurde durch die niedrigen Wasserpegel erschwert, ebenfalls die Stromerzeugung durch Wasserkraft. Projektionen besagen, dass die argentinischen Agrarexporte im laufenden Jahr um 28 Prozent unter das Niveau von 2022 fallen könnten. Auch Uruguay hat den landwirtschaftlichen Notstand ausgerufen.
Die mehrjährige Dürre habe die “Gesellschaften, Landwirte und Entscheidungsträger in einem großen Teil Südamerikas in Sorge versetzt”, sagte Juan Rivera, Forscher am Argentinischen Institut für Schneeforschung, Glaziologie und Umweltwissenschaften. Er erwartet, dass die Auswirkungen der Hitzewellen noch zunehmen.
In einer früheren Attributionsstudie hatte die WWA Initiative schon im vergangenen Dezember festgestellt, dass die Rekordhitze in Argentinien und im Nachbarland Paraguay durch den Klimawandel etwa 60-mal wahrscheinlicher geworden sei. ae
Laut einer neuen Studie von Lobbycontrol verfügt die Gasindustrie noch immer über großen Einfluss auf die deutsche Politik. Bei wichtigen energiepolitischen Entscheidungen, beispielsweise zum Thema LNG-Importe und Wasserstoff, verteidige die Gaslobby weiterhin ihre Interessen, so die NGO. Deutsch-russische Lobbynetzwerke hätten in der Vergangenheit zur hohen Abhängigkeit von Erdgas aus Russland sowie zu “hohen Gaspreisen und milliardenschweren Fehlinvestitionen” geführt.
Der Einfluss der Gasindustrie wurde erstmals anhand von Lobbyausgaben ausgewertet:
Lobbycontrol kritisiert zudem “privilegierte Zugänge” der Gasindustrie zu politischen Entscheidungsträgern. Zwischen Amtsantritt und September 2022 gab es demnach 260 Kontakte zwischen Spitzenpolitikern und Spitzenpolitikerinnen der Bundesregierung und Vertretern der Gasindustrie. “Deutlich mehr Treffen als mit der Vorgängerregierung”, so Lobbycontrol. Die NGO fordert, die Kontakte “auf das Nötigste zu beschränken” und transparent zu machen. nib
Der Weltskiverband FIS bezeichnet sich selbst nicht nur als klimaneutral, sondern sogar als klimapositiv. Was vorbildlich klingt, birgt ein gewaltiges Problem. Denn niemand weiß, was eine positive Klimabilanz für die FIS bedeutet und wie der Verband sie erreicht. Falls es der Verband selbst weiß, geht er nicht transparent damit um. Über 300 Ski-Profis fordern deshalb in einem offenen Brief mehr Transparenz von ihrem Verband. Aus Deutschland hat nur Freestyle-Skifahrerin Sabrina Cakmakli den Brief unterzeichnet.
Die Skiprofis fordern:
Besonders fehlende Transparenz sorgt für viel Unmut unter den Wintersportlerinnen und -sportlern. Wie viel CO₂ der Verband mit all seinen Wettbewerben verursacht, darüber gibt die FIS zumindest öffentlich keine Auskunft – auch ihren Athletinnen und Athleten nicht. Zwar hat die FIS eine CO₂-Bilanz erstellt, einsehbar ist sie jedoch nicht, trotz der Ankündigung, die Daten öffentlich zu machen.
Der schwedische FIS-Präsident und Multimilliardär Johan Eliasch behauptet dennoch, sein Verband sei seit vergangenem Jahr “klimapositiv”. Hintergrund der Behauptung ist die Kooperation mit einer Regenwaldinitiative, die sich dafür einsetzt, Abholzung zu verhindern und damit Emissionen einzusparen. Die dadurch verhinderte Abholzung entspreche dem Vielfachen der eigenen Emissionen, heißt es von der FIS. Doch Informationen über die Zertifizierung des Projekts und die CO₂-Zertifikate, die es dafür ausgibt, sind nicht öffentlich. Ebenso ist unbekannt, welche Mengen an Treibhausgasen durch die FIS tatsächlich verhindert werden. Es gibt auch keine Informationen darüber, wie viel Geld der Verband für die Zertifikate bezahlt, die er mithilfe der NGO “Cool Earth” einkauft.
Auf der Website von Cool Earth heißt es: “Wir würden gerne detaillierte Angaben zu jedem einzelnen Baum in jedem Wald, in jedem Gebiet und wie er durch unsere Arbeit geschützt wurde, machen. Aber in Wirklichkeit ist die Welt nicht so einfach.” Das bedeutet, dass es selbst für die FIS schwer sein dürfte, ihre eigene positive Klimabilanz zu belegen. Dazu kommt, dass Eliasch selbst Gründer von “Cool Earth” ist, was den Verdacht auf Greenwashing noch vergrößert.
Dass der Skisport ein Klimaproblem hat, ist keineswegs neu. Untersuchungen legen nahe, dass fast alle der bisherigen Austragungsorte von Olympischen Winterspielen schon 2080 aufgrund von Schneemangel nicht mehr infrage kämen. Einzig in Sapporo auf der japanischen Nordinsel Hokkaido würde noch genug Schnee fallen.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat den Entscheidungsprozess für die Winterspiele 2030 bereits verschoben, da man die Auswirkungen des Klimawandels auf die potenziellen Gastgeber der Winterspiele genauer untersuchen möchte. Unter den Kandidaten ist übrigens auch Sapporo. luk
Das Militär benötigt viel Energie. Die Bundeswehr ist da keine Ausnahme: Pro Jahr verbraucht sie 7,5 Terawattstunden, das entspricht etwa 15 Prozent des gesamten Energiebedarfs der öffentlichen Hand. Der Betrieb der Fahrzeuge verbraucht davon etwa die Hälfte; die andere Hälfte geht in die Heizung und den Betrieb der militärischen Liegenschaften – also vor allem der Kasernen. Dabei geben die offiziellen Zahlen des Verteidigungsministeriums nur wider, was im Inland verbraucht wird. Die Auslandseinsätze fehlen.
Doch auch bei der Bundeswehr steht die Energiewende an. Die Streitkräfte der USA sind führend darin, sich auf das nicht-fossile Zeitalter einzustellen, die NATO drängt. Die Bundeswehr verfügt bereits über ausgearbeitete, sinnvolle Konzepte. Jetzt kommt es darauf an, sie umzusetzen. Und dafür braucht es Geld.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat erklärt, dass die 100 Milliarden Euro extra aus dem Sondervermögen nicht reichen werden. Und der Mehr-Investitionsaufwand für die Energiewende ist darin noch gar nicht mit einberechnet. Wenn es um die Verteilung der knappen Mittel geht, stellt sich deshalb die Frage: Sind Energien aus erneuerbaren Quellen nur ein “nice to have” oder ein Gewinn für die Sicherheit?
Eine Antwort findet man, wenn man die Bedingungen der Auslandseinsätze näher betrachtet. Der Verbrauch zu Hause, unter Friedensbedingungen, wäre eine irreführende Größe, denn das Militär ist fürs Kämpfen da. Deshalb ist der Einsatz im Feld der richtige Maßstab. Dort kommt es vor allem darauf an, die sogenannten Einsatzliegenschaften – also die Basis der Soldatinnen und Soldaten – stabil und verlässlich mit Energie zu versorgen.
Bisher war die Stromproduktion und Heizung durch Diesel-Generatoren üblich. Doch der Diesel wird fernab produziert und muss – teils per Flugzeug und dann über Hunderte von Kilometern auf schlechten Pisten – ins Feldlager transportiert werden. Das verbraucht üblicherweise schon die Hälfte der Energie, die der Diesel dem Feldlager dann bringt – die Ineffizienz ist hoch. Hinzu kommt: Der Treibstofftransport ist die bei weitem riskanteste logistische Tätigkeit – solche Transporte sind ein häufiges Anschlagsziel. Was liegt also näher, als so weit wie möglich auf die dezentrale Nutzung von Sonnenenergie und Windkraft, zum Beispiel durch Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung, zu setzen?
Bei den Fahrzeugen sieht es übrigens anders aus. Natürlich gibt es auch militärisch genutzte Kraftwagen, die wie ihre zivilen Pendants Batterie-elektrisch unterwegs sein werden. Für den Energieverbrauch des Militärs sind aber die Fahrzeuge für den Kampf am Boden, im Wasser und in der Luft weit wichtiger. Sie brauchen Energieträger höchster Energiedichte – und das werden auch weiterhin flüssige Kraftstoffe sein, nur dass sie in Zukunft nicht mehr aus fossilen Quellen kommen werden, sondern synthetisiert aus erneuerbaren Energien. Solche E-Fuels sind unersetzbar für den Antrieb von Kampfmaschinen, die ihren Treibstoff an Bord haben müssen.
Doch was die Liegenschaften im Auslandseinsatz angeht, so gilt: Hier ist die dezentrale Versorgung mit erneuerbaren Energien nicht nur wichtig für den Klimaschutz, sondern vor allem auch ein Sicherheitsgewinn. Sie vermindert das Risiko von Ausfällen aufgrund von Anschlägen.
Erste Schritte in die richtige Richtung sind bereits getan. Beim MINUSMA-Einsatz betreibt die Bundeswehr an den Standorten Mali und Niger Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Daraus erzeugte sie dort in den Jahren 2020 und 2021 jeweils rund 1.400 Megawattstunden elektrische Energie und sparte etwa 450.000 Liter Diesel pro Jahr ein. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Versorgung der dortigen Einsatzliegenschaften der Bundeswehr lag im Jahre 2021 bei etwa zehn Prozent. Er muss in die Nähe von hundert Prozent kommen.
Dasselbe steht zu Hause an. Die Bundeswehr nutzt in Deutschland 1.500 Liegenschaften, vulgo Kasernen, mit rund 33.000 Gebäuden. Sie sind energetisch auf keinem besseren Stand als andere Gebäude der öffentlichen Hand. Das bedeutet aber auch: Durch ihre Sanierung kann man wirtschaftlich viel gewinnen. Nicht umsonst hat das International Institute of Applied System Analysis (IIASA) schon 2012 in seinem Global Energy Assessment (GEA) Regierungsgebäude als “Goldmine” bezeichnet.
Nun kann nicht alles abgerissen und neu errichtet werden. Ganz autark werden militärische Gebäude in Deutschland nicht funktionieren. Das heißt, sie bleiben von kritischer Infrastruktur abhängig. Doch auch hier kann eine zumindest teilweise dezentrale Energieversorgung die Sicherheit erhöhen. Die Bundeswehrliegenschaften sind selten verdichtet gebaut. Sie bieten Platz für Wind- oder Photovoltaik-Kleinanlagen, die Bedarfsspitzen in Krisenzeiten abzudecken vermögen.
Die erneuerbaren Energien schützen das Klima – doch weil sie durch kleine, modulare und dezentrale Anlagen erzeugt werden können, bringen sie dem Militär zusätzlich einen beachtlichen Gewinn an Sicherheit. Bei der Verteilung knapper Investitionsmittel aus dem Verteidigungshaushalt muss das eine Rolle spielen.
Hans-Jochen Luhmann ist Mitglied im Beirat der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und in der VDW-Studiengruppe zur Sicherheitspolitik. Er ist Emeritus am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, an dem er 20 Jahre lang insbesondere zu umweltsteuerlichen Fragen gearbeitet hat. Zuvor war er zehn Jahre lang Chefökonom eines Ingenieurunternehmens mit Einsätzen im Jemen, Äthiopien und Brasilien.
Mia Mottley hat große Pläne und will in diesem Jahr den Durchbruch bei der internationalen Klimafinanzierung erreichen. Die Premierministerin von Barbados will das internationale Finanzsystem mit ihrer Bridgetown-Initiative umkrempeln. Dabei handelt es sich um ein Bündel von Maßnahmen, um das Finanzsystem für die Klimakrise fit zu machen. Dabei denkt Mottley groß: Sie will tausende Milliarden Dollar in den Ausbau der Erneuerbaren, die Anpassung an den Klimawandel und die Behebung von Verlusten und Schäden investieren – ohne dass die Steuerzahler in den Industriestaaten immer mehr Geld in die Entwicklungsländer überweisen müssen.
Schon auf der COP27 in Sharm el-Sheikh warb Mottley für das Vorhaben. Ihr nächster wichtiger Termin ist die Münchener Sicherheitskonferenz, die vom 17. bis zum 19. Februar stattfindet. Dort wird Mottley für ihr Vorhaben werben. Avinash Persaud, Mottleys Sondergesandter für Klimafinanzierung, sagt über die Initiative: “Der Charakter der Bridgetown-Initiative besteht darin, dass sie sehr konkrete Ideen enthält, die alle innerhalb von 18 Monaten umsetzbar sind. Sie sind einzeln umsetzbar, aber gemeinsam würden sie das System verändern.”
Dass sie große Ziele erreichen kann, hat Mottley auf Barbados bewiesen. Sie war die erste Vorsitzende der Arbeiterpartei von Barbados, die erste Premierministerin und die Erste, die alle Sitze im 30-köpfigen Parlament des Inselstaats für ihre Partei gewonnen hat – zweimal. Mit ihrer Parlaments-Mehrheit hat sie gleichgeschlechtliche Partnerschaften legalisiert, das Wahlalter gesenkt und die Monarchie abgeschafft. Mit der Bridgetown-Initiative will Mottley auf internationaler Ebene ähnlich erfolgreich sein.
Das nächste große Zwischenziel ihres 18-Monate-Programms ist die Frühjahrstagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) im April. Eine Studie der G20-Staaten zeigt, dass die multilateralen Entwicklungsbanken deutlich mehr Kredite vergeben könnten, wenn sie ihr Kapital besser nutzen würden. Damit könnten sie die Länder insbesondere bei der Anpassung an die Klimaerwärmung unterstützen, für die sich kaum private Geldgeber finden lassen.
Das nächste Zwischenziel folgt bereits im Juni. Mottley und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollen dann eine Konferenz zur Finanzierung eines massiven Ausbaus der Erneuerbaren organisieren. Dazu soll der IWF Sonderziehungsrechte (SDRs) im Wert von 650 Milliarden Dollar schaffen. SDRs sind eine Art Währung, die vom IWF aus dem Nichts geschaffen wird, wie zuletzt im Jahr 2021. Damals verteilte der IWF SDRs im Wert von 650 Milliarden Dollar an seine Mitgliedsländer, um die Coronapandemie zu bekämpfen.
Die Klima-SDRs sollen aber nicht einfach verteilt werden, sondern einen Fonds kapitalisieren. Dieser hätte dadurch die bestmögliche Bonität, eine AAA-Bewertung der Ratingagenturen. Damit könnte sich der Fonds günstig Geld leihen und dann auch wieder günstig an die Entwickler von Solar- und Windparks verleihen. Anschließend kann der Fonds die Schuldscheine als Sicherheit hinterlegen und sich noch mehr Geld leihen, um es zu verleihen. Auf diese Weise würde ein Teil die Ersparnisse der Welt für den Kampf gegen die Klimakrise mobilisiert.
Mottley und Persaud hoffen auf diese Weise 2,5 bis fünf Billionen der insgesamt 463 Billionen Dollar an globalen Ersparnissen, in den Ausbau der Erneuerbaren umlenken zu können. Entscheidend ist dabei, dass der Fonds zinsgünstige Kredite vergibt. Denn in vielen Ländern mit hervorragenden Voraussetzungen für Solar- und Windkraft lohnt sich deren Ausbau nicht, da die Finanzierungskosten zu hoch sind.
Das dritte Element, die finanzielle Unterstützung von Ländern im Fall klimabedingter Verluste und Schäden, steht schließlich bei der nächsten UN-Klimakonferenz im Dezember wieder auf der Tagesordnung: Die Bridgetown-Initiative sieht hier die Schaffung eines Fonds vor, in den die Verursacher der Klimakrise, also die großen Öl- und Gaskonzerne, einzahlen.
Damit wären dann alle drei Dimensionen der Klimakrise finanziert: die Reduktion der Emissionen, die Anpassung an die Erwärmung und schließlich die Bewältigung von Verlusten und Schäden. Spätestens dann hätte Mottley bewiesen, dass auch Kleinstaaten eine entscheidende Rolle spielen können: “Die Größe ist nicht der einzige Faktor, der zählt. In vielen Fällen haben wir die Möglichkeit, einen unverhältnismäßig großen Einfluss auszuüben”, sagt Mottley. Und sie selbst könnte dann einmal mehr die erste Frau in einem Spitzenamt sein: Mottley hat gute Chancen, im Jahr 2027 die Nachfolge von UN-Generalsekretär António Guterres anzutreten. Christian Mihatsch
es ist die zentrale Messlatte für eigentlich alles im Klimaschutz: Hilft eine bestimmte Entscheidung oder Maßnahme, die CO₂-Emissionen zu senken? Und kann man das beweisen? Ja, sagt jetzt der grüne Klimaminister Robert Habeck, zumindest beim Kohle-Ausstieg. Denn er will alle CO₂-Zertifikate, die dadurch frei werden, in Zukunft stilllegen. Und damit der Kritik begegnen, im europäischen “Wasserbett” bringe CO₂-Reduktion in Deutschland nichts für das Weltklima. Das heißt aber auch: Die Bundesregierung verzichtet auf Milliarden an Einnahmen aus diesen Auktionen. Da sind die nächsten hitzigen Debatten zwischen Habeck und Finanzminister Christian Linder garantiert.
Auch anderswo in diesem Climate.Table geht es darum, wie wirksam und transparent Klimapolitik ist. Obskure Siegel für “Klimaneutralität” stehen heftig in der Kritik und deshalb vor dem Aus. Eine neue Studie durchleuchtet die Netto-Null-Strategien von globalen Unternehmen und findet viel Greenwashing. Der Skiverband FIS wird von seinen eigenen Sportlerinnen und Sportlern für Klima-Ignoranz kritisiert. Und der EU-Rechnungshof stellt der europäischen Klima-Entwicklungspolitik der letzten Jahre ein vernichtendes Zeugnis aus.
Also: Vertrauen ist gut, Kontrolle noch besser. Das ist auch unser Anspruch im Journalismus. Wie jede Woche hoffen wir, Ihnen damit beim Climate.Table ein spannendes Angebot zu machen. Viel Spaß beim Lesen und behalten Sie einen langen Atem!
Die CO₂-Zertifikate für den EU-Emissionshandel (ETS), die durch den geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung frei werden, sollen nach dem Willen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) komplett vom Markt genommen werden. Das erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber Table.Media. Erst mit diesem Vorgehen würde der Kohleausstieg in Deutschland faktisch zu einer Senkung der CO₂-Emissionen beitragen.
Auch nach der neuesten Verschärfung des ETS auf EU-Ebene bliebe durch den Kohleausstieg noch “eine Restmenge” an frei werdenden Zertifikaten. “Und diese Restmenge an Zertifikaten wollen wir löschen lassen“, so der Sprecher.
Das Ministerium reagiert damit auf die Befürchtung, der Kompromiss zum Kohleausstieg durch die “Kohlekommission” und das auf 2030 vorgezogene Ende der Kohleverstromung im rheinischen Revier würden dem Klima nichts nützen. Befürchtet wurde, die frei werdenden Zertifikate könnten anderswo für Emissionen eingesetzt werden (der sogenannte “Wasserbett-Effekt“). Teile der Klimaschutzbewegung und der Wissenschaft hatten der Kohlekommission diesen Vorwurf gemacht.
Vermieden werden die Emissionen nämlich nur, wenn die dafür nötigen Zertifikate vom Markt genommen werden. Dafür muss unter anderem das “Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz” (TEHG) geändert werden. Daran arbeitet das BMWK derzeit. Denn das alte Gesetz passe nicht zur Verschärfung des ETS, den die EU beschlossen hat, heißt es aus dem BMWK.
Die politischen und ökonomischen Bedingungen rund um einen solchen Eingriff in den Emissionshandel sind schwer abzuschätzen:
Vor allem aber entgehen dem Finanzministerium Milliarden-Einnahmen, wenn Deutschland diese Zertifikate nicht mehr wie geplant versteigern kann. Bei Preisen von derzeit knapp unter 100 Euro pro Tonne CO₂ würde schon die Stilllegung der CO₂-Zertifikate für 2021/22 (die im Kompromiss der “Kohle-Kommisssion” vereinbart wurden) Mindereinnahmen von etwa einer Milliarde Euro für den Bundeshaushalt bedeuten. Denn nach Schätzungen von Florian Rothenberg vom Analysehaus ICIS würden in diesem Fall etwa zehn Millionen Tonnen CO₂ nicht emittiert, deren Zertifikate nun auch nicht versteigert werden könnten. Das wären etwa zehn Prozent der jährlich in Deutschland versteigerten Zertifikate.
Diese Summe würde deutlich steigen, wenn die Zertifikate aus dem vorgezogenen Ausstieg im Rheinland tatsächlich vom Markt genommen würden. Nach Angaben des BMWK und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen spart der Kompromiss zum Ausstieg bis 2030 insgesamt Emissionen in Höhe von 280 Millionen Tonnen CO₂. Zu heutigen Marktpreisen wären das etwa 28 Milliarden Euro, auf die der Bundeshaushalt zwischen 2030 und 2038 als Einnahmen verzichten müsste.
Schon bisher ist der Emissionshandel eine gute Einnahmequelle für den Bundeshaushalt. 2021 flossen allein aus dem europäischen Handel mit Zertifikaten 5,3 Milliarden Euro in die Kassen des Bundes. Aus diesen Einnahmen durch den ETS werden bislang Klimaschutzmaßnahmen über den “Energie- und Klimafonds” (EKF) finanziert.
Das Bundesfinanzministerium (BMF), das die möglichen Mindereinnahmen in der Haushaltsplanung berücksichtigen müsste, äußerte sich auf Anfrage vorerst nicht in der Sache zum Vorstoß aus dem Wirtschaftsministerium. Aktuell würden “rechtliche Anpassungen mit Blick auf künftige Emissionsberechtigungen” beim Emissionshandel vorgenommen, hieß es aus dem Haus von FDP-Finanzminister Christian Lindner. Man könne “die diesbezüglichen ressortübergreifenden Beratungen inhaltlich nicht kommentieren“.
Das Versprechen klingt groß, aber die Bilanz ist offenbar mager: Von 24 Konzernen, die sich als globale Vorreiter beim Kampf gegen den Klimawandel verstehen, können nur fünf Firmen ernsthafte Pläne zu echter Dekarbonisierung vorweisen. Das geht aus dem neuen Coperate Responsibility Monitor hervor, der am Montag vom NewClimate Institute veröffentlicht wurde. Die Unternehmen versichern der Öffentlichkeit demnach, in ihrer Unternehmensstrategie nach vielen Öko-Etiketten zu streben: “Netto-Null”-Emissionen, “Klimaneutralität” oder ähnliches. Doch die Pläne von 17 Firmen sind dabei von “niedriger Integrität”, heißt es (siehe “Klima in Zahlen”).
Nicht nur die Ergebnisse der NewClimate Institute Erhebung sieht schwammige Bekenntnisse zur Klimaneutralität kritisch – zuletzt wächst die Kritik an Klimaneutralitätssiegeln von allen Seiten. Die großen Drogerieketten Rossmann und DM verzichten darum nun auf die Siegel – obwohl sie noch in jüngster Vergangenheit vermehrt zum Einsatz kamen. Der Rossmann Chef Raoul Roßmann sagte in einem Interview mit “Die Zeit” zuletzt, Klimaneutralitätssiegel seien “im Grunde tot”.
Anders als bei Siegeln wie “Bio” oder “Fairtrade” gibt es für Klimaneutralität bisher keine verbindlichen Regeln, was sich hinter dem Begriff versteckt. Wie viele dieser Labels vergeben werden, ist ebenso unklar wie die Frage, welche Standards sie erfüllen.
Noch wird dafür gekämpft, den Tod des Siegels aufzuhalten: Verschiedene Stellen arbeiten aktuell daran, Standards für Klimaneutralität festzulegen. Die EU ist dabei, Regeln für sogenannte “Green Claims” zu definieren, darunter fallen auch Klimaneutralitätssiegel. Ein erster Entwurf dafür wurde im Januar veröffentlicht.
Gleichzeitig arbeitet eine internationale Arbeitsgruppe an der ISO-Norm 14068, die Carbon Neutrality definieren soll. Darin wird unter anderem definiert, was “unvermeidbare” Emissionen sind. Larissa Kleiner vom Umweltbundesamt (UBA) ist verhalten optimistisch, dass das einen positiven Effekt hat: “Solche Regeln bringen mehr Transparenz“, sagt sie. Die Anforderungen könnten aber unzureichend bleiben.
Die Kritik an dem Geschäft mit der Klimaneutralität wächst: “Es gibt keine verarbeiteten, klimaneutralen Produkte“, sagt Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Besonders absurd seien Produkte, die das Label “klimapositiv” tragen. Eine Studie der Verbraucherzentrale NRW zeigt auch, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die verschiedenen Nachhaltigkeits- und Klimasiegel nicht verstehen und einordnen können. Außerdem ruhten sich Unternehmen auf den Versprechen der Zertifizierung aus, ohne notwendige Veränderungen voranzutreiben, meint beispielsweise Carsten Warnecke vom NewClimate Institute.
“In dem Bereich gibt es so viel Nichtregulierung, das gibt es eigentlich gar nicht”, sagt Warnecke. Unternehmen, die Siegel vergeben, legten die Standards selbst fest und überprüften die Einhaltung dann auch selbst. Larissa Kleiner vom UBA weist auch darauf hin, dass in der Diskussion immer wieder unterschiedliche Begriffe gleichgesetzt werden. So entspricht das, was als Klimaneutralität bezeichnet wird, eher Treibhaus- oder CO₂-Neutralität.
Weitere Kritik entzündet sich an diesen Punkten:
Carsten Warnecke vom NewClimate Institute sagt: “Die Schritte, die eigentlich hinter eine Zertifizierung stehen, sind natürlich die richtigen”. Bisher würden allerdings die falschen Prioritäten gesetzt.
Welche Schritte sind das? Der erste ist die CO₂-Bilanzierung eines Unternehmens. Oftmals ist die an das Greenhouse Gas Protokoll angelehnt. Das teilt Emissionen in drei Bereiche, sogenannte Scopes, ein.
Nach dem Greenhouse Gas Protokoll ist es für die CO₂-Bilanzierung nur notwendig, Scope 1 und 2 zu berücksichtigen. Im Sinne des Klimas sollten auch Scope 3 mit einbezogen werden, oftmals entsteht hier ein großer Teil der Emissionen.
Im Anschluss sollten Reduktionsziele festgelegt und Pläne zu deren Erreichung erarbeitet werden. Für den Klimaschutz ist dieser Schritt der wichtigste. Erst dann können die übrigen, unvermeidbaren Emissionen mit CO₂-Zertifikaten ausgeglichen werden. Diese Schritte zur Vergabe von Klimaneutralitätssiegeln übernehmen Dienstleister wie ClimatePartner. “Das Label allein ist dabei nur ein Zeichen”, sagt ein Sprecher des Unternehmens. “Viel wichtiger sind die Prozesse, die im Hintergrund ablaufen.” Die meisten Unternehmen, die sich um Siegel bemühen, würden es sich da nicht leicht machen und sorgfältig vorgehen.
Carsten Warnecke beobachtet etwas anderes: “Viele Unternehmen legen überhaupt keine CO₂-Reduktionsziele fest”, sagt er. Und wenn doch, dann wären die vollkommen inkompatibel mit dem Pariser Klimaabkommen. Statt Reduktionszielen von bis zu 50 Prozent bis 2030, lägen die der Unternehmen eher in einer Größenordnung von 15 Prozent. Hier müssten Unternehmen seiner Meinung nach ansetzen und investieren. Außerdem sei es wichtig, dass sie Ziele und den Weg dahin transparent machten.
Seine Kritik geht dabei auch an die Unternehmen wie ClimatePartner: Es finde kaum Beratung zur Reduktion statt, Ziele zur Emissionsminderung seien selten verpflichtend und viel zu oft würde direkt der Kauf von Ausgleichszertifikaten angeboten. ClimatePartner will bei diesem Knackpunkt nachsteuern. “In Zukunft wird Emissionsreduktion ein verpflichtendes Element unseres Zertifizierungsprozesses”, sagt das Unternehmen.
Ob das reicht, um all die Zweifel rund um Klimaneutralität von Produkten auszuräumen, ist unklar. Agnes Sauter von der DUH findet, die Politik solle solche Siegel ganz verbieten. Warnecke sagt, wenn dürfen sie nur in einem “engen Korsett” aus Regeln verwendet werden, das hohe Reduktionsziele vorschreibt.
Europa kann bei der Produktion von Solarprodukten mittelfristig unabhängiger von China werden. Eine solche Kehrtwende brauche aber viel politischen Willen, Milliarden Euro an Anschubfinanzierung und einige Jahre Zeit, sind sich Experten und Wirtschaftsvertreter einig. Die chinesischen Pläne, die Ausfuhr von Solar-Produktionsanlagen in Zukunft zu beschränken, könnten ein Warnschuss zum richtigen Zeitpunkt sein.
China will seine Vormachtstellung im Solarsektor verteidigen. Der Weltmarktführer plant, den Export von Produktionsanlagen für die Solarindustrie einzuschränken. Die Volksrepublik trifft den Westen dabei an einer entscheidenden Schwachstelle, wie Johannes Bernreuter, Experte für solare Lieferketten sagt. Viele westliche Anlagenbauer haben aufgrund der billigen chinesischen Konkurrenz und dem Verfall der heimischen Solarindustrie aufgegeben. Das chinesische Vorgehen gilt als Antwort auf westliche und indische Pläne zum (Wieder-)Aufbau einer eigenen Solarindustrie. Westliche Käufer, die ihre Produktion ausweiten und auf chinesisches Equipment zurückgreifen wollen, müssten komplizierte Genehmigungsverfahren durchlaufen. Am Ende entscheidet der chinesische Staat, ob die Technologie exportiert werden darf, wie Table.Media berichtete.
Ob Chinas geplante Exportbeschränkungen jedoch ihr Ziel erreichen, hängt von der politischen Antwort Europas ab. “Chinas Exportbeschränkungen für Solar-Produktionsanlagen können den Ausbau der Solarindustrie in Europa stark torpedieren“, sagt Andreas Bett, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (Fraunhofer ISE) gegenüber Table.Media. Der Aufbau der industriellen Produktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette würde erschwert.
Doch ein Wiederaufbau einer europäischen Lieferkette wäre durchaus möglich. Das Know-how für die einzelnen Schritte der Solar-Lieferkette “ist in Europa grundsätzlich noch vorhanden – auch im Bereich des Maschinenbaus“, sagt Bett. Das Wissen müsse aber reaktiviert und aktualisiert werden, um die benötigten Mengen der einzelnen Solarkomponenten und Vorprodukte produzieren zu können. Bei den Anlagenbauern könne es “gut zwei bis drei Jahre dauern, bis sie substanzielle Kapazitäten bereitstellen können”, so Bett. Je länger die Politik mit Unterstützung warte, desto mühsamer sei das Wieder-Hochfahren einer europäischen Produktion, warnt der Fraunhofer-Experte.
Auch Gunter Erfurt, Vorstandsvorsitzender von Meyer Burger, ist überzeugt: Europa verfügt noch über die notwendigen Technologien in allen Teilen der komplexen Lieferkette. Der Wiederaufbau einer europäischen Solarindustrie wird “ein großer Kraftakt“, so der Chef des schweizerischen Solarzellen- und -Modulproduzenten. Mit “der richtigen strategischen Industriepolitik wäre dies aber trotz eines chinesischen Exportverbotes für Solar-Produktionsanlagen möglich”, sagt Erfurt gegenüber Table.Media. Einfach wird das jedoch nicht. Denn in einigen Bereichen verfügt nur noch Deutschland außerhalb Chinas über die notwendigen Technologien. Erfurt ist dennoch optimistisch. Es sei durchaus möglich, dass “die europäischen Anlagenbauer ihre Kapazitäten schnell genug hochfahren könnten, um den Ausbau einer europäischen Solarzellen-Fertigung möglich zu machen”.
Derzeit dominiert China alle Glieder der Lieferkette. Durch hohe staatliche Subventionen und das Kopieren westlicher Technologien haben die Hersteller in der Volksrepublik Marktanteile von 75 bis 97 Prozent erreicht. Erfurt beklagt, dass China dafür auch die Marktkräfte ausgehebelt habe. “Chinesische Solarhersteller und Anlagenbauer machen keine Profite”, sagt Erfurt. Das sei quasi staatlich verordnet, um Weltmarktführer zu bleiben. Auch Produktionsanlagen subventioniere der Staat. Die Solar-Abhängigkeit des Westens von China sei mittlerweile größer als es die Abhängigkeit von russischem Gas- und Öl vor dem Ukraine-Krieg war, sagt Erfurt.
Um die Abhängigkeit von China zu überwinden, müsse Europa eine “technologische Souveränität im Solar-Bereich” aufbauen, sagt Bett. Ein Marktanteil von 30-50 Prozent sollte dafür in Europa hergestellt werden, so der Leiter des Fraunhofer ISE. Das wären 50 bis 60 Gigawatt an Produktionskapazität. Zum Vergleich: Meyer Burger will bis 2024 eine jährliche Produktionskapazität von drei Gigawatt erreichen.
Erfurt fordert, die Politik müsse den Photovoltaik-Sektor “zu einem strategischen Industriesektor erklären”. Im ersten Halbjahr 2023 müssten die politischen Weichen gestellt werden, damit der Aufbau einer europäischen Solarindustrie vorangeht, so der CEO von Meyer Burger.
Um den “Kraftakt” zum Aufbau einer europäischen Solarindustrie zu bewerkstelligen und sich gegen die subventionierte chinesische Konkurrenz durchzusetzen, schlägt der Fraunhofer-Chef Bett vor:
Erfurts Forderungen stimmen in vielen Bereichen mit denen Betts überein. Um den Aufbau einer europäischen Solarindustrie zu ermöglichen, fordert der Vorstandsvorsitzende von Meyer Burger:
Die Bundesregierung und EU-Kommission halten sich mit offiziellen Einordnungen der geplanten Exportbeschränkungen Chinas bisher noch zurück. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums erklärte, man könne “mögliche Absichten der chinesischen Regierung nicht kommentieren”. Eine Sprecherin der Kommission sagte, man sei sich den möglichen Exportbeschränkungen bewusst und analysiere sie derzeit.
Öl- und Gaskonzerne setzen derzeit vermehrt auf den Ausbau fossiler Reserven und wenden sich von ihren ursprünglichen Planungen für mehr Klimaschutz ab. Angesichts von Rekordgewinnen durch die internationale Energiekrise in Folge des Ukrainekriegs überdenken Industrie und Politik gerade ihre bislang gefassten Pläne, Reserven an Öl und Gas für den Klimaschutz im Boden zu lassen. Das gefährdet die Einhaltung der Klimapläne aus dem Pariser Abkommen.
Der Trend zeigt sich über die letzten Wochen in mehreren Einzel-Entscheidungen:
Die Ausweitung der Gas- und Ölförderung gefährdet nach einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) allerdings die Erreichung der globalen Klimaziele. Um sie zu halten und 2050 bei Null-Emission zu landen, so die OECD-Behörde in ihrem Fahrplan “Net Zero by 2050”, dürften nach 2021 “keine neuen Öl- und Gasfelder und keine neuen oder erweiterten Kohlegruben zugelassen werden.” Diese Warnung wurde durch einen Überblick über alle relevanten Studien zum Thema im Herbst 2022 bestätigt.
Die Pläne der Unternehmen sehen anders aus. Laut einer Studie des Thinktanks “Carbon Tracker” von Ende 2022 haben die einzelnen Firmen gegenüber 2019 folgende Pläne:
Von den staatlichen Energiekonzernen etwa aus Saudi-Arabien, China oder Russland sind langfristige Pläne zur Drosselung der Produktion nicht bekannt.
Die Öl- und Gaskonzerne haben im letzten Jahr durch die sprunghaft gestiegenen Preise Rekordprofite gemacht. Insgesamt habe die Industrie rund vier Billionen US-Dollar verdient, so die IEA. Die sechs großen privaten Firmen verdoppelten ihren Gewinn gegenüber dem Vorjahr auf 219 Milliarden Dollar. Sie steckten 110 Milliarden in Dividenden oder den Rückkauf eigener Aktien. Einige Firmen schrieben aber auch große Summen durch den Rückzug aus Russland nach dem Überfall auf die Ukraine ab.
Die bisherige Geschäftspolitik vor allem der privaten Ölkonzerne ist allerdings ohnehin kaum an den Pariser Klimazielen ausgerichtet. Laut Carbon Tracker haben Chevron, Eni, Shell und TotalEnergies seit 2021 insgesamt mindestens 58 Milliarden Dollar für neue Projekte freigegeben. Sollten alle diese Vorhaben umgesetzt werden, führe das zu einem Öl- und Gasverbrauch, der die globale Temperatur über 2,5 Grad treibt.
Für 2023, warnt der Bericht, stünden unter anderem bei Eni, ExxonMobil und TotalEnergies Entscheidungen über Investitionen in Höhe von weiteren 23 Milliarden Dollar an. Deren Realisierung treibe die Temperaturen noch jenseits von 2,5 Grad.
Ein Grund für die Vorliebe der Firmen für neue fossilen Projekte könnte auch in der Bezahlung ihres Managements liegen. So zeigt eine weitere Untersuchung, dass mit einer Ausnahme (Eni) alle anderen 34 privaten Energiekonzerne ihre Manager dafür bezahlen, das Geschäft auszuweiten. Diese Prämien für Wachstum machen etwa 41 Prozent des Gehalts bei ExxonMobil aus, 20 Prozent bei Shell und zehn Prozent bei Chevron. Selbst bei den Ölkonzernen, die sich offiziell auf Klimaziele verpflichten, ist ein großer Teil der Gesamtvergütung des Managements vom Wachstum der Produktion abhängig – etwa 30 Prozent bei BP, 18 Prozent bei Eni und 15 Prozent bei TotalEnergies.
16. Februar, 10 Uhr, Berlin
Konferenz Konflikte und Chancen der ökologisch-sozialen Verkehrswende
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft beendet sein Projekt “Ökologisch-Soziale Verkehrswende – Impulse für eine gerechte Transformation” mit einer Abschlusskonferenz. Dort wird mit Vertreterinnen und Vertretern von Verbänden, Politik und Wissenschaft diskutiert, was für eine gerechte Verkehrswende notwendig ist. Infos
16. Februar, 11.30 Uhr, online
Webinar 4C Carbon Outlook Launch
Auf dem Webinar werden die Ergebnisse des “Carbon Outlook 2022” diskutiert. Der Bericht wurde vom EU-finanzierten Projekt 4C (Climate-Carbon Interactions in the Current Century) in Zusammenarbeit mit dem Global Carbon Project erstellt. Infos
17. – 19. Februar, München
Konferenz Münchner Sicherheitskonferenz
Die 59. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) bringt für drei Tage Debatten aus Außen- und Sicherheitspolitik nach München. Fast ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bietet die MSC 2023 auch eine Gelegenheit zur Bestandsaufnahme des Zusammenhaltes innerhalb der Allianz und der politischen Verpflichtung gegenüber der regelbasierten internationalen Ordnung. Infos
18. – 19. Februar, Berlin
Seminar Können wir die Klimakrise rückgängig machen?
Auf dem Workshop der Heinrich-Böll-Stiftung wird diskutiert, inwiefern technische Lösungen (insbesondere Carbon Capture und Storage, CCS) die Klimakrise aufhalten können und welche weiteren Ansätze notwendig sind. Infos
22. Februar, 10 Uhr, Online
Webinar Vor-Ort Systeme – Potenziale für das Energiesystem
Auf dem Webinar von ENIQ Fraunhofer geht es darum, wie Energieversorgungskonzepte vor Ort effizienter und flexibler genutzt werden können. Nach der Vorstellung der Studie “Vor-Ort-Systeme als flexibler Baustein im Energiesystem – Eine cross-sektorale Potenzialanalyse” folgt eine Podiumsdiskussion. Infos
22. Februar, 12.30 Uhr, Paris und online
Workshop Metrics for Climate Transition and Net-Zero GHGs in Finance
Auf diesem Workshop der OECD geht es darum, wie durch Netto-Null-Ziele im Finanzsektor Klimaziele erreicht werden können. Insbesondere wird diskutiert, wie Greenwashing vermieden werden kann. Infos
22. Februar, 19 Uhr, Hannover
Diskussion Schritt für Schritt ins Paradies: Sozial-ökologische Mobilitätswende
Auf der Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung steht im Mittelpunkt, welche Maßnahmen zu einer gerechten Verkehrswende beitragen. Es wird sowohl über Elektrifizierung als auch über eine Reduktion des Verkehrs gesprochen. Infos
23. Februar, 15 Uhr, Berlin
Diskussion Opportunities of the European Green Deal for Africa’s private sector
Das Africa Policy Research Institute (APRI) und die Friedrich-Naumann-Stiftung organisieren diese Veranstaltung zu den Auswirkungen des Europäischen Green Deals auf Afrika. Es geht dabei besonders darum, welche Möglichkeiten für wirtschaftliche Zusammenarbeit sich ergeben. Infos
Selbsternannte Klimaschützer unter Unternehmen gibt es einige. Doch laut einer neuen Studie des New Climate Institutes, dem “Corporate Climate Responsibility Monitor”, lösen diese Unternehmen ihren eigenen Anspruch nicht ein. Denn die 2030er-Klimaziele der untersuchten Firmen bleiben weit hinter den für 1,5 Grad nötigen Emissionsreduktionen zurück.
Insgesamt untersuchte das Institut 24 Unternehmen aus acht treibhausgasintensiven Branchen. Aus jedem Sektor wurden drei Firmen ausgewählt, die sich zu Klimaschutz im Einklang mit der 1,5-Grad-Grenze verpflichtet haben. Das New Climate Institute sieht sie auch als Vorbilder für andere Unternehmen.
Der Studie zufolge reichen nicht einmal die Versprechen der Firmen aus, ihrem Anspruch gerecht zu werden. Zwei der Konzerne, Pepsico und American Airlines, hatten für 2030 kein klares Ziel vorgelegt. Die anderen 22 Firmen versprechen laut Studie im Mittel, ihre Emissionen entlang der Wertschöpfungskette um 15 bis maximal 21 Prozent zu senken – nötig sei aber, die globalen Treibhausgasemissionen um 43 Prozent und die CO₂-Emissionen um 48 Prozent zu senken.
Hinzu kommt: Keine der Firmen erreicht mit ihren Klimazielen und -strategien eine hohe Glaubwürdigkeit. Nur neun Unternehmen wurde in der Studie eine mittlere Glaubwürdigkeit attestiert. Nur vier davon – Apple, die H&M Gruppe, Stellantis und Maersk – versprachen darüber hinaus für 2030 eine Emissionsreduktion, die über dem erforderlichen Wert lag. ae
Finanzielle Mittel der EU, mit denen Länder im globalen Süden bei der Bewältigung von Klimaauswirkungen unterstützt werden sollten, haben die erhoffte Wirkung verfehlt. Es sei weder gemessen worden, ob sich die Situation der Menschen verbessert habe, noch sei der Schwerpunkt ausreichend auf die Bedürfnisse der am stärksten von Klimawandel Betroffenen gelegt worden. Zudem sei die Hilfe bei den schutzbedürftigen Empfängern nicht immer angekommen.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Überprüfung des Europäischen Rechnungshofes, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Insgesamt 729 Millionen Euro wurden für die “Global Climate Change Alliance” (GCCA) von 2007 bereitgestellt. “Wir haben festgestellt, dass die GCCA weniger wirkungsvoll war als erhofft und dass der Übergang von Kapazitätsaufbau hin zu konkreteren Maßnahmen und direkter Hilfe für die Bevölkerung nicht systematisch stattgefunden hat”, kommentiert Hannu Takkula, der verantwortliche Prüfer beim EU-Rechnungshof.
Die Mittel der GCCA waren insbesondere für die vom Klimawandel am stärksten gefährdeten, armen Entwicklungsländern vorgesehen – den sogenannten Least Developed Countries (LDC) und den Small Island Developing States (SIDS). Dort sollten Wissensaustausch und Unterstützung für Anpassung, Klimaschutz und Katastrophenvorsorge durch die EU gefördert werden.
Diese Ziele habe die Initiative “nicht nachweislich” erfüllen können, heißt es von den Prüfern. Zwar hätten die abgeschlossenen Maßnahmen Resultate erzielt, “zum Teil jedoch unter hohem Kostenaufwand”. Ob diese Kosten angemessen waren, sei nicht ausreichend überprüft worden. Auch sei die Organisation ihrer Entwicklungsmaßnahmen ineffizient gewesen. Zudem sei die Initiative sowohl in den Entwicklungsländern als auch in der EU nur wenig bekannt, obwohl ihre Mittel in der 15-jährigen Laufzeit 80 Ländern zugutekamen.
Auch habe die EU-Kommission keine zusätzlichen Mittel aus den Mitgliedstaaten und dem Privatsektor mobilisieren können. Trotz dieser Finanzierungslücke hätte die Kommission ihre Ziele allerdings nicht angepasst. In Zukunft sollte die EU-Kommission den Schwerpunkt “auf die am stärksten vom Klimawandel Betroffenen legen und die bisherigen Erfahrungen in künftige Klimaschutz- wie auch Entwicklungshilfemaßnahmen einfließen lassen”, fordert Takkula.
Die Kommission akzeptiert diese Empfehlungen. Sie betont auf Anfrage jedoch, der Erfolg einer möglichen höheren Klimaresilienz müsse gemeinsam mit anderen EU-finanzierten Instrumenten betrachtet werden. Die GCCA habe “in hohem Maße dazu beigetragen”, dass Länder ihre Vulnerabilität erkennen und Anpassungsstrategien entwerfen können, so die Kommission. Die Initiative habe zudem dazu beigetragen, die Grundlage für eine Klimapolitik in einer Reihe LDC und SIDS zu schaffen.
Eine Zukunft hat die GCCA jedoch ohnehin nicht. Die Kommission beschloss 2020, die Initiative nicht fortzusetzen und die Bewältigung des Klimawandels in Entwicklungsländern durch andere Instrumente und Finanzierungstöpfe zu unterstützen. luk
Große Internetplattformen wie Meta, Twitter oder Google lassen Konzerne unbehelligt Greenwashing-Botschaften auf ihren Plattformen verbreiten. Zu diesem Ergebnis kommen zwei der Berichte der britischen Nichtregierungsorganisationen Stop Funding Heat und Global Witness. Durch Werbeanzeigen, mit denen falsche Nachrichten zum Klima verbreitet werden, profitieren demnach auch die Internetplattformen.
Die Greenwashing-Botschaften von Konzernen auf Social Media seien ein wachsendes Problem. So habe der Mineralölkonzern BP seine Ausgaben für “irreführende Darstellungen des eigenen Umweltbildes” auf Facebook und Instagram im Jahr 2022 verdoppelt. Auch Shell schalte regelmäßig irreführende Werbung auf Social Media. Stop Funding Heat fordert darum ein Werbeverbot für Mineralölkonzerne.
Den Plattformen fehlt es laut dem Bericht bisher an einem Regelwerk, das Greenwashing adressiert und aufdeckt. Laut Sean Buchan, Autor des Stop Funding Heat-Berichts, sollten die großen Techkonzerne in diesem Bereich dringend nachbessern und aufhören, mit der Werbung von fossilen Energiekonzernen Geld zu verdienen. Auch der IPCC stuft Falschinformationen zum Klima als Barriere für mehr Klimaschutz ein und argumentiert, dass Falschdarstellungen negative Auswirkungen auf Klimapolitik haben.
Der Bericht von Stop Funding Heat geht davon aus, dass Meta zwischen Februar und Dezember 2021 allein in den USA mindestens 11,7 Millionen Dollar durch Werbung von Mineralölkonzernen eingenommen hat. Aufgrund von Datenproblemen könnte die Zahl jedoch noch viel höher liegen. Google soll demnach innerhalb von zwei Jahren geschätzt 23,7 Millionen Dollar an großen Öl- und Gaskonzernen verdient haben. kul
Nach dem Willen der EU-Kommission sollen auch die Emissionen von Lastkraftwagen bald stark sinken. Anders als bei den Pkw sieht die Kommission in ihrem Vorschlag, der am Dienstag vorgestellte wurde, aber zunächst kein totales Aus für den Lkw-Verbrennungsmotor vor.
Hersteller von Trucks, Bussen und leichten Lastwagen sollen die Emissionen ihrer Neufahrzeugflotte im Vergleich zum Referenzjahr 2019 in mehreren Schritten reduzieren:
Lkw machen lediglich zwei Prozent des Straßenverkehrs aus, verursachen aber fast 30 Prozent der CO2-Emissionen im EU-Straßenverkehr. Bisher gab es nur Flottenziele für schwere Lkw von minus 15 Prozent bis 2025 und minus 30 Prozent bis 2030 – Busse und leichte Lkw waren davon nicht betroffen.
Laut Kommissionsvorschlag gilt ein Fahrzeug als Nullemissionsfahrzeug, wenn es weniger als fünf Gramm CO₂ je Tonnenkilometer emittiert. Niedrigemissionsfahrzeuge stoßen demnach weniger als die Hälfte des Referenzwerts aus dem Jahr 2019 aus.
Das heißt: Zu den Nullemissionsfahrzeugen könnte der Batterieantrieb, die Brennstoffzelle und auch der Wasserstoff-Verbrennungsmotor zählen. Klimakommissar Frans Timmermans hat bei der Vorstellung des Vorschlags erstmals den Wasserstoff-Verbrennungsmotor als Möglichkeit für einen CO₂-freien Antrieb genannt.
Die Branche reagierte dennoch geschockt auf die Vorschläge der Kommission. Vor allem das 2030er-Ziel wird als “katastrophal” bezeichnet. Durch sparsame Motoren und bessere Aerodynamik sei bis 2030 eine Einsparung von knapp zehn Prozent bei der Dieselflotte zu erreichen, heißt es aus Industriekreisen. Die dann noch fehlende Einsparung von 35 Prozent müssten die Hersteller über Nullemissionsfahrzeuge erzielen.
Je Gramm und Tonnenkilometer, um die ein Hersteller die Zielvorgabe verfehlt, ist ab 2035 eine Strafe von 4250 Euro fällig. Ein großer deutscher Hersteller warnt, eine Verfehlung der Ziele um fünf Prozent würde ihn im Jahr einen Milliardenbetrag kosten.
Der Branchenverband ACEA rechnet vor: Bei minus 45 Prozent im Jahr 2030 müssten 400.000 Nullemissions-Trucks auf der Straße sein und mindestens 100.000 Nullemissionsfahrzeuge jedes Jahr neu zugelassen werden. Dafür müssten binnen sieben Jahren 50.000 öffentlich zugängliche Ladestationen für Lkw geschaffen werden, davon 35.000 High-Performance-Stationen. “Angesichts der Tatsache, dass es derzeit so gut wie gar keine Ladestationen für Lkw im öffentlichen Raum gibt, ist die Herausforderung sehr ehrgeizig”, sagt Sigrid De Vries von ACEA.
Der Verband der Maschinenbauer VDMA begrüßt, dass der Verbrenner nicht komplett verboten wird.
Dem NGO-Dachverband Transport & Environment (T&E) ist der Kommissionsvorschlag hingegen nicht ambitioniert genug. Die EU-Klimaneutralitätsziele bis 2050 würden damit “ins Unerreichbare rücken”. Das 90-prozentige CO₂-Reduktionsziel für Lkw bedeute, dass Diesel-Lkw auch 2050 noch auf den Straßen unterwegs sein werden. Das 45-Prozent-Ziel für 2030 liege gar “hinter den eigenen Plänen der Lkw-Industrie.” Daimler Truck will, dass bis 2030 bis zu 60 Prozent ihrer Neuwagen emissionsfrei sind, Volvo Trucks sogar 70 Prozent. T&E fordert daher, eine Emissionssenkung um 65 Prozent bis 2030 vorzuschreiben. mgr/luk
Die Unsicherheiten über Chinas Emissionsdaten bleiben weiter bestehen. Aufgrund von widersprüchlichen Angaben über die CO₂-Emissionen und den Kohleverbrauch des Landes ist weiter unklar, ob die Emissionen schon ihren Höchststand erreicht haben.
Nach vorläufigen Energiedaten der chinesischen Regierung sind die Kohlenstoffdioxid-Emissionen 2022 voraussichtlich um 1,3 Prozent gestiegen – Analysen des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in Helsinki gehen dagegen von einem Rückgang um ein Prozent aus. Die Diskrepanz geht laut CREA-Analyst Lauri Myllyvirta auf Unsicherheiten über den Kohleverbrauch des Landes zurück.
Nach offiziellen Daten stieg die Nachfrage nach Kohle 2022 um 3,3 Prozent. Die CREA-Experten stellten jedoch im Gegensatz dazu fest, dass die Aktivitäten der wichtigsten Kohle verbrauchenden Sektoren deutlich langsamer zulegten oder sogar sanken. So stieg Chinas Kohleverstromung laut Myllyvirta nur um 0,7 Prozent, die Stahlproduktion ging um zwei Prozent zurück, die Zementproduktion sogar um elf Prozent. Die Analyse dieser Trends deute darauf hin, dass der Kohleverbrauch 2022 nicht gewachsen sei, schreibt der China-Experte. “Gleichzeitig ging im vergangenen Jahr die Nachfrage nach Öl und Gas zurück.” ck
Stickstoff-Dünger sind für etwa fünf Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie aus “Nature Food”. Bei der Produktion und dem Einsatz von Stickstoff-Düngern entstehen demnach die Treibhausgase CO₂, Distickstoffmonoxid (Lachgas) und Methan. Bei der Produktion der Dünger werden häufig Erdgas, Kohle und Erdöl als Roh- und Brennstoffe verwendet. Die Nutzung von Stickstoff-Düngern verursacht somit einen ähnlich hohen Treibhausgas-Ausstoß wie die Zement- und Plastikindustrie mit sechs beziehungsweise vier Prozent der globalen Emissionen.
Laut Studienautoren könnten die Emissionen bei der Produktion und dem Einsatz von Stickstoff-Düngern jedoch bis 2050 um gut 80 Prozent gesenkt werden. Die Autoren schlagen beispielsweise vor:
Alle Maßnahmen können laut Studie maßgeblich zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen beitragen. Den größten Einzeleffekt hätte eine Reduktion der Dünger-Nutzung. nib
Der Klimawandel war nicht die Hauptursache der außergewöhnlich geringen Regenfälle, die im vergangenen Jahr in weiten Teilen Argentiniens und Uruguays zu einer Dürre führten. Zu dem Ergebnis kommt eine neue Studie der World Weather Attribution (WWA) Initiative.
Doch obwohl der Klimawandel nicht direkt hinter den geringen Niederschlägen steckt, hat er die Trockenheit indirekt über eine Kette von Ereignissen verstärkt. Der WWA zufolge führte er zu höheren Temperaturen in der Region. Dadurch sei wahrscheinlich mehr Wasser verdampft und die Auswirkungen der Trockenheit seien verschärft worden – um wie viel, konnte die Forschungsgruppe allerdings nicht quantifizieren. Für ihre Analyse untersuchte sie die Regenfälle von Oktober bis Dezember 2022 in großen Teilen Argentiniens, ganz Uruguay und einem kleinen Teil Südbrasiliens.
Die Chance, dass der Regen in einem beliebigen Jahr so spärlich ausfällt wie im Untersuchungszeitraum gemessen, bezifferten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit nur fünf Prozent. Sie fanden keinen Hinweis darauf, dass der Klimawandel für die geringen Regenfälle verantwortlich sei. Ein wichtiger Faktor sei aber vermutlich La Niña, ein Klima-Phänomen im tropischen Pazifik, das in der Region oft mit hohen Temperaturen und geringen Regenfällen einhergeht.
In der Region halten Dürre und Hitze derzeit an. In den kommenden Monaten wird allerdings erwartet, dass La Niña zunächst von einer neutralen Phase und dann von El Niño abgelöst wird, dem gegenläufigen Phänomen, das in dieser Region üblicherweise stärkere Regenfälle mit sich bringt. Klimawissenschaftlichen Modellen zufolge werden die Niederschläge in der Region künftig durch La Niña und die Gegenbewegung El Niño noch stärker schwanken.
Auch die Entwaldung, insbesondere in der Amazonasregion, kann die Regenfälle beeinflussen. Sie war aber nicht Gegenstand der aktuellen Studie.
In Zentralargentinien war 2022 das trockenste Jahr seit 1960, und von September bis Dezember hat es nur halb so viel geregnet wie sonst im Durchschnitt. Das hat Folgen auch für die weltweiten Agrarmärkte. Argentinien ist ein wichtiger Exporteur von landwirtschaftlichen Gütern und Nahrungsmitteln.
Hohe Temperaturen und Trockenheit führten zu weitreichenden Ernteausfällen, vor allem bei Weizen und Soja. Der Gütertransport über die Flüsse wurde durch die niedrigen Wasserpegel erschwert, ebenfalls die Stromerzeugung durch Wasserkraft. Projektionen besagen, dass die argentinischen Agrarexporte im laufenden Jahr um 28 Prozent unter das Niveau von 2022 fallen könnten. Auch Uruguay hat den landwirtschaftlichen Notstand ausgerufen.
Die mehrjährige Dürre habe die “Gesellschaften, Landwirte und Entscheidungsträger in einem großen Teil Südamerikas in Sorge versetzt”, sagte Juan Rivera, Forscher am Argentinischen Institut für Schneeforschung, Glaziologie und Umweltwissenschaften. Er erwartet, dass die Auswirkungen der Hitzewellen noch zunehmen.
In einer früheren Attributionsstudie hatte die WWA Initiative schon im vergangenen Dezember festgestellt, dass die Rekordhitze in Argentinien und im Nachbarland Paraguay durch den Klimawandel etwa 60-mal wahrscheinlicher geworden sei. ae
Laut einer neuen Studie von Lobbycontrol verfügt die Gasindustrie noch immer über großen Einfluss auf die deutsche Politik. Bei wichtigen energiepolitischen Entscheidungen, beispielsweise zum Thema LNG-Importe und Wasserstoff, verteidige die Gaslobby weiterhin ihre Interessen, so die NGO. Deutsch-russische Lobbynetzwerke hätten in der Vergangenheit zur hohen Abhängigkeit von Erdgas aus Russland sowie zu “hohen Gaspreisen und milliardenschweren Fehlinvestitionen” geführt.
Der Einfluss der Gasindustrie wurde erstmals anhand von Lobbyausgaben ausgewertet:
Lobbycontrol kritisiert zudem “privilegierte Zugänge” der Gasindustrie zu politischen Entscheidungsträgern. Zwischen Amtsantritt und September 2022 gab es demnach 260 Kontakte zwischen Spitzenpolitikern und Spitzenpolitikerinnen der Bundesregierung und Vertretern der Gasindustrie. “Deutlich mehr Treffen als mit der Vorgängerregierung”, so Lobbycontrol. Die NGO fordert, die Kontakte “auf das Nötigste zu beschränken” und transparent zu machen. nib
Der Weltskiverband FIS bezeichnet sich selbst nicht nur als klimaneutral, sondern sogar als klimapositiv. Was vorbildlich klingt, birgt ein gewaltiges Problem. Denn niemand weiß, was eine positive Klimabilanz für die FIS bedeutet und wie der Verband sie erreicht. Falls es der Verband selbst weiß, geht er nicht transparent damit um. Über 300 Ski-Profis fordern deshalb in einem offenen Brief mehr Transparenz von ihrem Verband. Aus Deutschland hat nur Freestyle-Skifahrerin Sabrina Cakmakli den Brief unterzeichnet.
Die Skiprofis fordern:
Besonders fehlende Transparenz sorgt für viel Unmut unter den Wintersportlerinnen und -sportlern. Wie viel CO₂ der Verband mit all seinen Wettbewerben verursacht, darüber gibt die FIS zumindest öffentlich keine Auskunft – auch ihren Athletinnen und Athleten nicht. Zwar hat die FIS eine CO₂-Bilanz erstellt, einsehbar ist sie jedoch nicht, trotz der Ankündigung, die Daten öffentlich zu machen.
Der schwedische FIS-Präsident und Multimilliardär Johan Eliasch behauptet dennoch, sein Verband sei seit vergangenem Jahr “klimapositiv”. Hintergrund der Behauptung ist die Kooperation mit einer Regenwaldinitiative, die sich dafür einsetzt, Abholzung zu verhindern und damit Emissionen einzusparen. Die dadurch verhinderte Abholzung entspreche dem Vielfachen der eigenen Emissionen, heißt es von der FIS. Doch Informationen über die Zertifizierung des Projekts und die CO₂-Zertifikate, die es dafür ausgibt, sind nicht öffentlich. Ebenso ist unbekannt, welche Mengen an Treibhausgasen durch die FIS tatsächlich verhindert werden. Es gibt auch keine Informationen darüber, wie viel Geld der Verband für die Zertifikate bezahlt, die er mithilfe der NGO “Cool Earth” einkauft.
Auf der Website von Cool Earth heißt es: “Wir würden gerne detaillierte Angaben zu jedem einzelnen Baum in jedem Wald, in jedem Gebiet und wie er durch unsere Arbeit geschützt wurde, machen. Aber in Wirklichkeit ist die Welt nicht so einfach.” Das bedeutet, dass es selbst für die FIS schwer sein dürfte, ihre eigene positive Klimabilanz zu belegen. Dazu kommt, dass Eliasch selbst Gründer von “Cool Earth” ist, was den Verdacht auf Greenwashing noch vergrößert.
Dass der Skisport ein Klimaproblem hat, ist keineswegs neu. Untersuchungen legen nahe, dass fast alle der bisherigen Austragungsorte von Olympischen Winterspielen schon 2080 aufgrund von Schneemangel nicht mehr infrage kämen. Einzig in Sapporo auf der japanischen Nordinsel Hokkaido würde noch genug Schnee fallen.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat den Entscheidungsprozess für die Winterspiele 2030 bereits verschoben, da man die Auswirkungen des Klimawandels auf die potenziellen Gastgeber der Winterspiele genauer untersuchen möchte. Unter den Kandidaten ist übrigens auch Sapporo. luk
Das Militär benötigt viel Energie. Die Bundeswehr ist da keine Ausnahme: Pro Jahr verbraucht sie 7,5 Terawattstunden, das entspricht etwa 15 Prozent des gesamten Energiebedarfs der öffentlichen Hand. Der Betrieb der Fahrzeuge verbraucht davon etwa die Hälfte; die andere Hälfte geht in die Heizung und den Betrieb der militärischen Liegenschaften – also vor allem der Kasernen. Dabei geben die offiziellen Zahlen des Verteidigungsministeriums nur wider, was im Inland verbraucht wird. Die Auslandseinsätze fehlen.
Doch auch bei der Bundeswehr steht die Energiewende an. Die Streitkräfte der USA sind führend darin, sich auf das nicht-fossile Zeitalter einzustellen, die NATO drängt. Die Bundeswehr verfügt bereits über ausgearbeitete, sinnvolle Konzepte. Jetzt kommt es darauf an, sie umzusetzen. Und dafür braucht es Geld.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat erklärt, dass die 100 Milliarden Euro extra aus dem Sondervermögen nicht reichen werden. Und der Mehr-Investitionsaufwand für die Energiewende ist darin noch gar nicht mit einberechnet. Wenn es um die Verteilung der knappen Mittel geht, stellt sich deshalb die Frage: Sind Energien aus erneuerbaren Quellen nur ein “nice to have” oder ein Gewinn für die Sicherheit?
Eine Antwort findet man, wenn man die Bedingungen der Auslandseinsätze näher betrachtet. Der Verbrauch zu Hause, unter Friedensbedingungen, wäre eine irreführende Größe, denn das Militär ist fürs Kämpfen da. Deshalb ist der Einsatz im Feld der richtige Maßstab. Dort kommt es vor allem darauf an, die sogenannten Einsatzliegenschaften – also die Basis der Soldatinnen und Soldaten – stabil und verlässlich mit Energie zu versorgen.
Bisher war die Stromproduktion und Heizung durch Diesel-Generatoren üblich. Doch der Diesel wird fernab produziert und muss – teils per Flugzeug und dann über Hunderte von Kilometern auf schlechten Pisten – ins Feldlager transportiert werden. Das verbraucht üblicherweise schon die Hälfte der Energie, die der Diesel dem Feldlager dann bringt – die Ineffizienz ist hoch. Hinzu kommt: Der Treibstofftransport ist die bei weitem riskanteste logistische Tätigkeit – solche Transporte sind ein häufiges Anschlagsziel. Was liegt also näher, als so weit wie möglich auf die dezentrale Nutzung von Sonnenenergie und Windkraft, zum Beispiel durch Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung, zu setzen?
Bei den Fahrzeugen sieht es übrigens anders aus. Natürlich gibt es auch militärisch genutzte Kraftwagen, die wie ihre zivilen Pendants Batterie-elektrisch unterwegs sein werden. Für den Energieverbrauch des Militärs sind aber die Fahrzeuge für den Kampf am Boden, im Wasser und in der Luft weit wichtiger. Sie brauchen Energieträger höchster Energiedichte – und das werden auch weiterhin flüssige Kraftstoffe sein, nur dass sie in Zukunft nicht mehr aus fossilen Quellen kommen werden, sondern synthetisiert aus erneuerbaren Energien. Solche E-Fuels sind unersetzbar für den Antrieb von Kampfmaschinen, die ihren Treibstoff an Bord haben müssen.
Doch was die Liegenschaften im Auslandseinsatz angeht, so gilt: Hier ist die dezentrale Versorgung mit erneuerbaren Energien nicht nur wichtig für den Klimaschutz, sondern vor allem auch ein Sicherheitsgewinn. Sie vermindert das Risiko von Ausfällen aufgrund von Anschlägen.
Erste Schritte in die richtige Richtung sind bereits getan. Beim MINUSMA-Einsatz betreibt die Bundeswehr an den Standorten Mali und Niger Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Daraus erzeugte sie dort in den Jahren 2020 und 2021 jeweils rund 1.400 Megawattstunden elektrische Energie und sparte etwa 450.000 Liter Diesel pro Jahr ein. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Versorgung der dortigen Einsatzliegenschaften der Bundeswehr lag im Jahre 2021 bei etwa zehn Prozent. Er muss in die Nähe von hundert Prozent kommen.
Dasselbe steht zu Hause an. Die Bundeswehr nutzt in Deutschland 1.500 Liegenschaften, vulgo Kasernen, mit rund 33.000 Gebäuden. Sie sind energetisch auf keinem besseren Stand als andere Gebäude der öffentlichen Hand. Das bedeutet aber auch: Durch ihre Sanierung kann man wirtschaftlich viel gewinnen. Nicht umsonst hat das International Institute of Applied System Analysis (IIASA) schon 2012 in seinem Global Energy Assessment (GEA) Regierungsgebäude als “Goldmine” bezeichnet.
Nun kann nicht alles abgerissen und neu errichtet werden. Ganz autark werden militärische Gebäude in Deutschland nicht funktionieren. Das heißt, sie bleiben von kritischer Infrastruktur abhängig. Doch auch hier kann eine zumindest teilweise dezentrale Energieversorgung die Sicherheit erhöhen. Die Bundeswehrliegenschaften sind selten verdichtet gebaut. Sie bieten Platz für Wind- oder Photovoltaik-Kleinanlagen, die Bedarfsspitzen in Krisenzeiten abzudecken vermögen.
Die erneuerbaren Energien schützen das Klima – doch weil sie durch kleine, modulare und dezentrale Anlagen erzeugt werden können, bringen sie dem Militär zusätzlich einen beachtlichen Gewinn an Sicherheit. Bei der Verteilung knapper Investitionsmittel aus dem Verteidigungshaushalt muss das eine Rolle spielen.
Hans-Jochen Luhmann ist Mitglied im Beirat der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und in der VDW-Studiengruppe zur Sicherheitspolitik. Er ist Emeritus am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, an dem er 20 Jahre lang insbesondere zu umweltsteuerlichen Fragen gearbeitet hat. Zuvor war er zehn Jahre lang Chefökonom eines Ingenieurunternehmens mit Einsätzen im Jemen, Äthiopien und Brasilien.
Mia Mottley hat große Pläne und will in diesem Jahr den Durchbruch bei der internationalen Klimafinanzierung erreichen. Die Premierministerin von Barbados will das internationale Finanzsystem mit ihrer Bridgetown-Initiative umkrempeln. Dabei handelt es sich um ein Bündel von Maßnahmen, um das Finanzsystem für die Klimakrise fit zu machen. Dabei denkt Mottley groß: Sie will tausende Milliarden Dollar in den Ausbau der Erneuerbaren, die Anpassung an den Klimawandel und die Behebung von Verlusten und Schäden investieren – ohne dass die Steuerzahler in den Industriestaaten immer mehr Geld in die Entwicklungsländer überweisen müssen.
Schon auf der COP27 in Sharm el-Sheikh warb Mottley für das Vorhaben. Ihr nächster wichtiger Termin ist die Münchener Sicherheitskonferenz, die vom 17. bis zum 19. Februar stattfindet. Dort wird Mottley für ihr Vorhaben werben. Avinash Persaud, Mottleys Sondergesandter für Klimafinanzierung, sagt über die Initiative: “Der Charakter der Bridgetown-Initiative besteht darin, dass sie sehr konkrete Ideen enthält, die alle innerhalb von 18 Monaten umsetzbar sind. Sie sind einzeln umsetzbar, aber gemeinsam würden sie das System verändern.”
Dass sie große Ziele erreichen kann, hat Mottley auf Barbados bewiesen. Sie war die erste Vorsitzende der Arbeiterpartei von Barbados, die erste Premierministerin und die Erste, die alle Sitze im 30-köpfigen Parlament des Inselstaats für ihre Partei gewonnen hat – zweimal. Mit ihrer Parlaments-Mehrheit hat sie gleichgeschlechtliche Partnerschaften legalisiert, das Wahlalter gesenkt und die Monarchie abgeschafft. Mit der Bridgetown-Initiative will Mottley auf internationaler Ebene ähnlich erfolgreich sein.
Das nächste große Zwischenziel ihres 18-Monate-Programms ist die Frühjahrstagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) im April. Eine Studie der G20-Staaten zeigt, dass die multilateralen Entwicklungsbanken deutlich mehr Kredite vergeben könnten, wenn sie ihr Kapital besser nutzen würden. Damit könnten sie die Länder insbesondere bei der Anpassung an die Klimaerwärmung unterstützen, für die sich kaum private Geldgeber finden lassen.
Das nächste Zwischenziel folgt bereits im Juni. Mottley und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollen dann eine Konferenz zur Finanzierung eines massiven Ausbaus der Erneuerbaren organisieren. Dazu soll der IWF Sonderziehungsrechte (SDRs) im Wert von 650 Milliarden Dollar schaffen. SDRs sind eine Art Währung, die vom IWF aus dem Nichts geschaffen wird, wie zuletzt im Jahr 2021. Damals verteilte der IWF SDRs im Wert von 650 Milliarden Dollar an seine Mitgliedsländer, um die Coronapandemie zu bekämpfen.
Die Klima-SDRs sollen aber nicht einfach verteilt werden, sondern einen Fonds kapitalisieren. Dieser hätte dadurch die bestmögliche Bonität, eine AAA-Bewertung der Ratingagenturen. Damit könnte sich der Fonds günstig Geld leihen und dann auch wieder günstig an die Entwickler von Solar- und Windparks verleihen. Anschließend kann der Fonds die Schuldscheine als Sicherheit hinterlegen und sich noch mehr Geld leihen, um es zu verleihen. Auf diese Weise würde ein Teil die Ersparnisse der Welt für den Kampf gegen die Klimakrise mobilisiert.
Mottley und Persaud hoffen auf diese Weise 2,5 bis fünf Billionen der insgesamt 463 Billionen Dollar an globalen Ersparnissen, in den Ausbau der Erneuerbaren umlenken zu können. Entscheidend ist dabei, dass der Fonds zinsgünstige Kredite vergibt. Denn in vielen Ländern mit hervorragenden Voraussetzungen für Solar- und Windkraft lohnt sich deren Ausbau nicht, da die Finanzierungskosten zu hoch sind.
Das dritte Element, die finanzielle Unterstützung von Ländern im Fall klimabedingter Verluste und Schäden, steht schließlich bei der nächsten UN-Klimakonferenz im Dezember wieder auf der Tagesordnung: Die Bridgetown-Initiative sieht hier die Schaffung eines Fonds vor, in den die Verursacher der Klimakrise, also die großen Öl- und Gaskonzerne, einzahlen.
Damit wären dann alle drei Dimensionen der Klimakrise finanziert: die Reduktion der Emissionen, die Anpassung an die Erwärmung und schließlich die Bewältigung von Verlusten und Schäden. Spätestens dann hätte Mottley bewiesen, dass auch Kleinstaaten eine entscheidende Rolle spielen können: “Die Größe ist nicht der einzige Faktor, der zählt. In vielen Fällen haben wir die Möglichkeit, einen unverhältnismäßig großen Einfluss auszuüben”, sagt Mottley. Und sie selbst könnte dann einmal mehr die erste Frau in einem Spitzenamt sein: Mottley hat gute Chancen, im Jahr 2027 die Nachfolge von UN-Generalsekretär António Guterres anzutreten. Christian Mihatsch