António Guterres hat gestern zum “Klima-Ehrgeiz-Gipfel” geladen. Der UN-Generalsekretär hat sich dabei als Türsteher präsentiert. Eigentlich wollten gut 100 Staatslenker und nicht-staatliche Akteure auf dem Gipfel auftreten. Doch Guterres hat nur knapp 40 “Vorreiter und Macher” sprechen lassen. Wichtige Akteure wie die USA und China mussten draußen bleiben. Der UN-Generalsekretär sendet ihnen damit ein deutliches Zeichen, dass sie mehr gegen die Klimakrise unternehmen müssen. Wir haben die Vorschläge und die Strategien der “Vorreiter und Macher” unter den Staaten zusammengefasst. Und schildern außerdem, wie sich der UN-Generalsekretär unter dem Eindruck der Klimakrise verbal radikalisiert hat – und wie er seinen Ärger strategisch einsetzt.
Erst Anfang der Woche fand der UN-SDG-Summit über die Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung statt. Auch hier gibt es zu wenig Fortschritt. Lisa Kuner hat in Honduras recherchiert, wie Armut, Hunger, Korruption und Gewalt den Klimaschutz blockieren. Und Michael Kühn von der Welthungerhilfe schildert, warum der Klimawandel in Failed States umso heftiger wütet und wie humanitäre Hilfe antworten könnte.
Auch am Donnerstag und Freitag geht es am Rande der UN-Vollversammlung mit dem Klimathema noch weiter. Wir schauen wie immer genau hin und werden Ihnen die wichtigsten Ergebnisse und Beobachtungen noch am Freitag in einer Spezial-Ausgabe einordnen.
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70 Tage vor der COP28 zeichnet sich ab, mit welchen Vorstellungen und Strategien diejenigen Länder auftreten wollen, die auf mehr Klimaschutz drängen. Auf dem “Gipfel für Klima-Ehrgeiz”, den UN-Generalsekretär António Guterres am Mittwoch als Teil der UN-Vollversammlung UNGA78 angesetzt hatte, kristallisieren sich die Hauptpunkte heraus. Die progressiven Länder wollen:
Den größten Optimismus bei den eng getakteten Statements der 34 Staats- und Regierungschefs verbreitete der deutsche Bundeskanzler. Olaf Scholz verkündete, 2023 könne zum “entscheidenden Moment” für den internationalen Klimaschutz werden. Es gebe Gründe für Hoffnung, weil “Worte zu Taten werden”: Deutschland habe seine für 2025 versprochene Klimafinanzierung von sechs Milliarden Euro pro Jahr bereits 2022 erfüllt; der Kohleausstieg 2038 sei gesetzlich verankert; die G20 haben die Verdreifachung der erneuerbaren Energien beschlossen; und der “Klimaclub” von Scholz nehme gern mehr als die bisherigen 27 Mitglieder auf.
Diese Zuversicht hatte UN-Generalsekretär António Guterres in seinen Eröffnungsworten nicht geteilt. Im Gegenteil: “Die Menschheit hat die Pforten zu Hölle geöffnet“, sagte Guterres. Die Zukunft sei aber nicht festgelegt – sondern werde von den Vorreitern geformt, die er zum Gipfel eingeladen hatte. Denn mit diesem “Ehrgeiz-Gipfel” versucht Guterres, die Klimaschutz-Gruppe in der UNO zu vergrößern und ihren Einfluss zu stärken.
Der Veranstaltung vorangegangen war ein heftiges Tauziehen hinter den Kulissen. Guterres hatte klargemacht, dass er nur solche Regierungschefs sprechen lassen wollte, die neue und weitreichende Klimaschutzvorschläge vorlegten. Von den über 100 Bewerbungen für die jeweils dreiminütige Redezeit hatte sein Team nach langen internen Beratungen in letzter Minute eine Liste von 34 Staaten und sieben nicht-staatliche Akteure aufgestellt.
Auffallend war auch, wer nicht auf der Liste stand: Weder die großen Verschmutzer wie die USA, China, Russland, Indonesien, Japan noch traditionelle Vorreiterstaaten wie Großbritannien, Norwegen und Schweden. “Es gab viel Redebedarf über die Rednerliste”, hieß es aus der UNO.
Guterres wiederholte seine Forderungen nach einem globalen “Solidaritätspakt” und einer “Beschleunigungsagenda” zum globalen Klimaschutz: Industrieländer sollten bis 2040 klimaneutral werden und mehr Finanzierung aufbringen, um ärmeren Staaten bei der notwendigen Umstellung zu helfen. Konkret heißt das unter anderem: Kohleausstieg bis 2030 in den Industrieländern, Ende der fossilen Subventionen, keine neuen Gas- und Ölprojekte.
Die Pläne der 34 Regierungschefs, Leiter internationaler Organisationen, Mitgliedern der Zivilgesellschaft oder Unternehmenschefs lassen sich in verschiedene Gruppen sortieren:
Bei aller Übereinstimmung zeigte sich aber auch: Geschlossen ist die Front der Vorreiter nicht. Eine Erklärung der “High Ambition Coalition” (HAC), die am Vortag nach einem schnellen Ausstieg aus den fossilen Energien, einen schnellen Ausbau der Erneuerbaren und “Solidarität” bei der Mobilisierung von “Billionen” für die Klimafinanzierung gefordert hatte, fand nur die Zustimmung von 17 Regierungschefs, etwa aus Frankreich, Dänemark, den Niederlanden, Palau und Kenia. Die Unterschrift von Bundeskanzler Olaf Scholz steht nicht unter dem Dokument, obwohl Deutschland bisher die HAC immer maßgeblich unterstützt hat. Eine Erklärung dieses Umstands auf eine Anfrage von Table.Media ließ die Regierung bis Redaktionsschluss am späten Mittwochabend unbeantwortet.
Die Einladung des UN-Chefs war deutlich: Zu seinem “Climate Ambition Summit” am 20. September 2023 in New York erwarte er von Regierungen, Unternehmen, der Finanzwelt, Städten und der Zivilgesellschaft “neues, greifbares und glaubwürdiges Klimaschutz-Handeln, um den Wandel zu beschleunigen”. Dieser “Eintrittspreis ist nicht verhandelbar”, sagte António Guterres, als er den Gipfel ankündigte.
Das Treffen werde ein “Gipfel ohne Unsinn. Ohne Ausnahmen. Ohne Kompromisse“. Es gebe “keinen Raum” für Akteure, die ihre “Versprechen zurückziehen”, für “Greenwasher” oder solche, die ihre “Schuld auf andere abwälzen” oder “Ankündigungen aus den letzten Jahren neu verpacken”.
Undiplomatische Worte für den obersten Diplomaten der Welt. Die klaren Ansagen des UN-Generalsekretärs folgen dabei einer konsequenten Entwicklung. Seit António Guterres 2017 sein Amt antrat, haben sich seine Haltung und seine Sprache zur Klimakrise deutlich radikalisiert. Das ist die Konsequenz aus mangelndem Fortschritt in der Klima-Diplomatie bei gleichzeitig eskalierender Klimakrise. Es ist aber auch eine klare Strategie des UN-Chefs, um seiner bedrängten Organisation Sichtbarkeit und Einfluss zu sichern.
Am Beginn seiner Amtszeit konzentrierte sich der ehemalige portugiesische Ministerpräsident eher auf das Thema “Frieden”. Bei der COP23 in Bonn ermahnte er die Delegierten zwar zu “mehr Ehrgeiz”, sah aber auch “ermutigende Beispiele für Fortschritt”. Und den Verhandlern rief er zu: “Die Welt zählt auf Ihre Weisheit und ihre Voraussicht!”
Auch noch ein Jahr später bei der COP24 im polnischen Kattowitz verlegte sich Guterres aufs Mahnen und Warnen: Klimawandel sei “das eine, wichtigste Thema”, und es sei schwer zu verstehen, warum es so wenig vorangehe. Klimaschutz sei nicht nur das Richtige, sondern “macht auch sozial und wirtschaftlich Sinn”, sagte Guterres bei seiner Ansprache im Plenum. Immerhin gebe es doch “signifikanten globalen Schwung für den Klimaschutz.”
Guterres, befindet Laurence Tubiana, Chefin der “European Climate Foundation” (ECF) gegenüber Table.Media, sei “seit der COP24 in Kattowitz ein wahrer Klima-Anführer, ein wahrer diplomatischer Künstler, der sich dafür einsetzt, das Klima ganz oben auf der internationalen Agenda zu halten.” Das sei “keine leichte Aufgabe”, vor allem, da die “G20 immer noch nicht gehandelt haben, um sich von den fossilen Brennstoffen zu verabschieden. Mehr denn je brauchen wir seine starken, realistischen Worte.”
Bei der nächsten COP25 in Madrid 2019 klang Guterres schon ganz anders: Die Welt stehe kurz davor, “über den Punkt zu schlafwandeln, von dem es kein Zurück gibt” und müsse den “Krieg gegen die Natur beenden”. Zum ersten Mal übernahm er in seiner offiziellen Rede Forderungen der Klimaschutzbewegung – die 2019 mit Greta Thunberg den Klimagipfel von Madrid dominierte. Guterres forderte: “Lasst die fossilen Brennstoffe im Boden!”, und “stoppt die Abhängigkeit von der Kohle!“. Es brauche nicht kleine Schritte, sondern “eine Transformation” und “dringend einen geänderten Lebenswandel.”
Was war passiert? 2018 hatte der IPCC in seinem “1,5-Grad-Sonderbericht” klargemacht, wie dringend schnelle Emissionsschnitte für die Einhaltung der Pariser Klimaziele wären. 2019 hatte das Klimathema die Wahlen zum EU-Parlament beeinflusst. Außerdem hatte Guterres im Frühjahr 2019 vier pazifische Länder besucht, unter ihnen Fidschi, den Gastgeber der COP23. Auf der UN-Vollversammlung in New York hielt Greta Thunberg ihre Wutrede “Wie könnt Ihr es wagen?” an die Staatschefs, nachdem sie im Segelboot den Atlantik überquert hatte.
Der britische Guardian erklärte 2019, er werde nicht mehr von “Klimawandel”, sondern nur noch von “Klimakrise, Klima-Notstand, Klima-Zusammenbruch” schreiben. Und auch in den UN-Gremien wird seit 2019 von “Klimakrise” gesprochen.
Guterres war im Mai 2019 auf dem Titel des US-Magazins Time erschienen – mit grimmigem Gesichtsausdruck und im Anzug bis zu den Knien im Wasser stehend. In einem großen Time-Interview erklärte er, warum er die Klimakrise ganz nach oben auf seine Agenda gesetzt hatte:
Seitdem hat Guterres immer drastischere Formulierungen gewählt. Auf der COP26 in Glasgow forderte er: “Genug davon, dass wir uns selbst mit Kohlenstoff töten, genug davon, dass wir die Natur wie eine Toilette benutzen, wir graben unser eigenes Grab!” Es sei “eine Illusion” zu glauben, dass sich die Trends bei den Emissionen umkehrten. Den vor ihm versammelten Staatsoberhäuptern schrieb er ins Stammbuch: “Selbst wenn die jüngsten Klima-Versprechen klar und glaubwürdig wären – und es gibt bei einige ernste Fragen – rasen wir immer noch auf die Katastrophe zu.”
Im Sommer 2022 warnte Guterres, die fossile Industrie “geht der Menschheit an die Gurgel“. Nichts sei größer als die “Gefahr einer Expansion der fossilen Industrie”. Diese habe nach dem Vorbild der Tabakfirmen “skandalöse Techniken” angewandt, um mit “Pseudowissenschaften ehrgeizige Klimapolitik zu unterminieren.”
Lutz Weischer von Germanwatch meint, für Guterres sei der Kampf gegen die Klimakrise “das prioritäre Thema seiner Amtszeit.” Der Portugiese sehe seine Rolle als “moralische Autorität”. Seine Zugänge in Washington, Peking, Brüssel und anderen Hauptstädten “nutzt er, soweit wir hören, sehr regelmäßig, um auf Fortschritte bei Klimaschutz und Finanzierung zu drängen”.
Wie wichtig ihm das Thema ist, zeige, “wie viele Termine er dabei wahrnimmt.” Das persönliche Erscheinen beim “Africa Climate Summit” Anfang September etwa sei nicht selbstverständlich. Unklar bleibe allerdings, wie effektiv er Unterstützung für seine Vorschläge etwa zu einer Übergewinnsteuer auf Öl und Gas organisiere und ob er seine Rolle im UN-Sicherheitsrat genügend für das Thema Klima nutze. Ein UN-Generalsekretär müsse sich entscheiden, moralische Instanz zu sein oder hinter den Kulissen Kompromisse zu finden. “Er hat sich für ersteres entschieden”, sagt Weischer, “und ich finde das eine sinnvolle Prioritätensetzung.”
Trotz aller Ermahnungen des UN-Generalsekretärs sind die weltweiten Emissionen – mit Ausnahme der Zeit während der Corona-Pandemie – immer weiter gestiegen. Bei der COP27 wählte Guterres dann auch die Beschreibung, die Menschheit sei “im Kampf ihres Lebens. Und wir verlieren ihn.” Er fügte hinzu: “Wir sind auf der Autobahn zur Klimahölle, mit unserem Fuß immer noch auf dem Gaspedal.”
Da hatte die Wissenschaft schon gewarnt, 2023 werde wahrscheinlich wegen des Wetter-Phänomens “El Niño” zu einem der heißesten Jahre. Und genau so kam es dann auch: ein Jahr voller Rekorde bei Temperaturen in der Luft, im Ozean, bei Waldbränden auf der Nordhalbkugel und regionalen Hitze- und Starkregenkatastrophen. Guterres beschreib es im Juli 2023 so: “Die Ära der globalen Erwärmung ist vorbei. Die Ära des globalen Kochens ist angebrochen.”
Anfang der Woche fand bei den Vereinten Nationen in New York der Sustainable Development Goals Summit (SDG-Summit) statt. Dort wurde Halbzeitbilanz gezogen, wie die Nationen bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele vorankommen. Das Fazit: Die Ziele liegen in weiter Ferne. Das ist auch für den Klimaschutz ein Problem, wie das Beispiel Honduras zeigt: Wo Armut, Konflikt, Hunger sowie fehlende Bildung und Gesundheitsversorgung aufeinandertreffen, können kaum effiziente Maßnahmen zum Klimaschutz umgesetzt werden.
Zentralamerika – und Honduras im Besonderen – gelten als besonders vulnerabel gegenüber den Risiken der Klimakrise. Große Teile der Region liegen im sogenannten “Dürrekorridor”, in dem es durch die Erderwärmung zuletzt immer trockener wurde. Besonders in Zusammenspiel mit dem jetzt wieder anbrechendem Wetterphänomen El Niño kommt es in der Region oft zu Ernteausfällen. Gleichzeitig ist Zentralamerika auch Hurrikangebiet. Die Wirbelstürme nehmen durch den Klimawandel an Intensität zu: Ende 2020 zerstören die Hurrikans Iota und Eta kurz hintereinander ganze Landstriche. Der Meeresspiegelanstieg verschluckt schon heute ganze Dörfer. Gleichzeitig hat die Region nur wenig zur Klimakrise beigetragen. Honduras ist beispielsweise nur für rund 0,03 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Das Land und die gesamte Region müssen also dringend in Klimaanpassung investieren – dafür braucht es internationale Finanzmittel.
Potenziell sollen Gelder aus dem Loss and Damage Fund der UN und andere Mittel der Klimafinanzierung nach Zentralamerika fließen, um besonders stark Betroffene zu entlasten. Das ist aber nicht einfach: Die Region ist politisch instabil. “Wir sind nicht nur vielen Klimarisiken ausgesetzt, es gibt gleichzeitig auch keinerlei politische Vorbereitungen auf solche Krisen und Katastrophen”, fasst Mercy Ayala zusammen. Sie arbeitet bei der honduranischen Nichtregierungsorganisation ERIC-SJ zu Menschenrechten und Klima.
Das Land wurde von 2014 bis 2022 von dem autoritären Narco-Präsidenten Juan Orlando Hernández regiert, der inzwischen in den USA im Gefängnis sitzt. Seit dem vergangenen Jahr gibt es mit Xioamara Castro wieder eine demokratische Präsidentin. Doch Castro hat anderes zu tun, als sich auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten: Ein Ausnahmezustand soll die Mordrate im Land senken, außerdem ringt das Land mit den Herausforderungen der Korruption. In den Nachbarländern sieht es ähnlich aus – El Salvador kämpft gegen Bandenkriminalität, Nicaraguas autoritärer Präsident schränkt immer mehr Grundrechte ein.
“Armut, Konflikt, Korruption und die Klimakrise erschaffen dort einen Teufelskreis”, sagt Hector Camilo Morales Munoz mit Blick auf Zentralamerika. Er arbeitet für den Think-Tank Adelphi zu Klimasicherheit und Diplomatie. “Konflikte haben einen negativen Einfluss auf Lebensbedingungen und dadurch wird die Fähigkeit zur Anpassung dann noch weiter herabgesetzt.”
Dem entgegenzuwirken ist mit klassischer Entwicklungs- oder Klimafinanzierung nicht einfach. Ganz Zentralamerika leidet stark unter Korruption und Instabilität. Eine Studie kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die Korruption Honduras im Jahr 2018 rund 12,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung kostete. Ende Juli wurden 117 Millionen Dollar aus dem Green Climate Fund, die eigentlich in Waldprojekte in Nicaragua fließen sollten, aufgrund von Menschenrechtsverletzungen gegen Indigene eingefroren.
“Die lateinamerikanischen Länder waren noch nie politisch stabil, sie waren schon immer unruhige und unbeständige Länder”, fasst eine Expertin für Klimaschutz aus Zentralamerika gegenüber Table.Media zusammen. Aufgrund der bestehenden Repressionen gegen Kritiker und Nichtregierungsorganisationen will sie ihren Namen nicht veröffentlicht sehen. Nachhaltiger Klimaschutz könne in Zentralamerika nur durch die enge Zusammenarbeit von lokalen, sozialen Bewegungen und ausländischer Solidarität funktionieren, so die Expertin. Öffentliche Akteure sowie große Konzerne und Unternehmen müssten als Akteure kritischer betrachtet werden.
“Erfolgversprechende Maßnahmen sollten konflikt-sensitiv sein”, sagt Morales Munoz von Adelphi. Sie sollten also den lokalen Kontext, also beispielsweise die Rolle von organisiertem Verbrechen und Drogenhandel mitdenken. Außerdem sollte man die Auszahlung von Geldern an Bedingungen knüpfen, so Morales Munoz.
Um Klimaschutzmaßnahmen vor Korruption zu schützen, sollten sie die Lokalbevölkerung sowohl in Projekten mit einbeziehen und der Zugang zu Wissen demokratisiert werden. “Das kann ein effektiver Schutz gegen korrupte Akteure sein und gleichzeitig Menschen befähigen”, sagt Morales Munoz. Die Expertin aus Zentralamerika sieht das ähnlich. “Es muss Zugang der Zivilgesellschaft zu Klimafinanzierung geben, nicht nur Gelder für Regierungen”, meint sie. Aktuell sei es beispielsweise für NGOs sehr schwierig, an internationale Klimafinanzierung zu kommen. Dafür müssten neue Mechanismen geschaffen werden und es dürften keine Schulden entstehen.
Inhaltlich sollte Klimapolitik lokale Herausforderungen mit einbeziehen sowie Zielkonflikte zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, Armutsbekämpfung und Klimaschutz anerkennen, sagt Morales Munoz. Klimaprojekte in Zentralamerika hätten eine größere Chance auf Erfolg, wenn sie neben Klimaschutz auch entwicklungspolitische Co-Benefits brächten; wenn sie zum Beispiel Arbeitsplätze schaffen oder die Wirtschaft ankurbeln. Denn während im internationalen Diskurs Klimaschutz immer wichtiger wird, bleiben auf lokaler Ebene vor allem Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung Priorität.
Konkreter heißt das für den Wissenschaftler: In katastrophengefährdeten Gebieten klimaresistente Infrastrukturen wie Wasser-, Energie- und Gesundheitseinrichtungen oder Projekte zur Ernährungssicherheit zu investieren, helfe sowohl im Kampf gegen Armut als auch bei der Adaption an die Klimakrise. Wichtig sei, traditionelles Wissen und naturbasierte Lösungen mit einzubeziehen. Die Expertin aus Zentralamerika nennt speziell Wissen aus indigenen Gemeinschaften und Lebensmodelle wie “Buen Vivir”. Das ist ein lateinamerikanisches Konzept, das soziale und ökologische Aspekte mitdenkt uns oftmals als Gegenentwurf zu westlichen Entwicklungskonzepten gesehen wird. Bisher funktioniert das kaum. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass der Klimawandel neben Ernährungsunsicherheit und Gewalt ein weiterer Treiber für Migration aus Zentralamerika in Richtung USA geworden ist.
Die Recherche in Honduras fand im Rahmen einer durch die Nichtregierungsorganisation Christliche Initiative Romero e.V. und des EU-Projekts Climate Game On finanzierten Recherchereise statt.
Am Montag hat die chinesische Regierung neue Regeln zum Aufbau von Spotmärkten für den Stromhandel veröffentlicht. Die Regeln seien ein “Meilenstein für die Schaffung eines einheitlichen nationalen Strommarktes”, sagt Yan Qin, Energieexpertin bei der Analysefirma Refinitiv. Die Regeln könnte nach Meinung von Experten Kohlestrom aus dem Netz drängen und günstigerem Strom aus Erneuerbaren den Weg ebnen. Mit einer weitgehenden Strommarktreform könnten die chinesischen CO₂-Emissionen bis 2035 um gut ein Drittel sinken, rechnet die Internationale Energieagentur vor.
Trotz 20 Jahren Reformbemühungen gibt es bisher keinen einheitlichen Strommarkt in China. Das begünstigt bisher den Kohlestrom. Die über 20 Provinzen setzen oft eher auf Eigenständigkeit, statt auf den Stromhandel mit Nachbarprovinzen. Die Folge: Statt grünen Strom aus Nachbarprovinzen zu importieren, wurden neue Kohlekraftwerke gebaut.
Bisher basiert der Stromhandel in China auf einem Mix aus langfristigen Verträgen und Regierungsvorgaben, mit denen Preise kontrolliert werden. Zum großen Teil sind das Mittel- und Langfristverträge innerhalb von Provinzen. Der Handel über Provinzgrenzen hinaus ist ebenso wie kurzfristiger Spothandel noch sehr eingeschränkt und findet größtenteils nur in Pilotprojekten statt.
Dabei sind Spotmärkte wichtig, um Strom nahezu in Echtzeit zu handeln. Die jetzt veröffentlichten Pläne sollen den Markt liberalisieren und kurzfristigen Handel vorantreiben, so Experten. “Ein funktionierender Stromhandel könnte den Bedarf an Kohlekraftwerken drastisch reduzieren und die Integration großer Mengen variabler, sauberer Stromerzeugung erleichtern”, schreibt Lauri Myllyvirta, Energie-Experte des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) auf der Plattform X, ehemals Twitter. Denn derzeit entstehen in den Wüsten im Westen Chinas riesige Wind- und Solarparks. Sie sollen Strom für die Industrie an den Küsten im Osten und Süden des Landes liefern. Das aber erfordere einen funktionierenden nationalen Strommarkt, schreiben auch die Analysten der Beratungsfirma Trivium China.
Ein landesweiter Spotmarkt als Ergänzung zum langfristigen Stromhandel hieße: Bei gutem Wind und guter Sonne drängen günstige erneuerbare Energien Kohlestrom aus den Netzen. Bei Flaute oder Bewölkung könnten Erneuerbare aus anderen Provinzen importiert werden. Dann müssten nicht wie derzeit die eigenen Kohlekraftwerke hochgefahren werden. Laut Myllyvirta würde ein funktionierender Stromhandel den Bau von neuen Kohlekraftwerke überflüssig machen. Laut Internationaler Energieagentur könnte eine weitreichende Strommarktreform im Jahr 2035 eine Emissionsminderung von bis zu 38 Prozent bewirken.
Yan Qin schränkt jedoch auch ein, dass die neuen Pläne nur der Anfang sind. “Es ist noch ein langer Weg, bis die Spotmärkte voll funktionsfähig sind. Ich denke, dass es noch bis 2030 dauern wird”, schreibt die Expertin auf X. Zwar erleichtern es die neuen Pläne, erneuerbare Energien in den Stromhandel aufzunehmen. Allerdings brauche es noch genauere Vorgaben und Umsetzungsbeschlüsse, so Qin.
Bisher sind die Provinzen für die Organisation und Reform der Strommärkte verantwortlich. Da stehen manchmal “starke Eigeninteressen” einem effizienten Gesamtsystem im Weg, sagt Myllyvirta. Staatliche Energieunternehmen nutzten für ihre eigenen Kraftwerke lieber Kohle aus der eigenen Provinz. Denn die Provinzen sichern so Arbeitsplätze in den Kohleminen und -kraftwerken und setzen auf Selbstversorgung. “Die chinesischen Provinzen sind hochgradig merkantilistisch und bevorzugen die lokale Produktion, selbst wenn diese bei weitem nicht kostenoptimal ist”, so Myllyvirta.
Ein Stromhandel über Provinzgrenzen ist also im nationalen und internationalen Interesse, nicht aber unbedingt im Interesse der einzelnen Provinz. Auch deswegen schlägt die Internationale Energieagentur in einem Bericht aus dem April 2023 vor, dass nationale Institutionen den Umbau des Stromhandels stärker koordinieren sollten. Dafür allerdings müsste auch das nationale Stromnetz ertüchtigt werden, um die Energieflüsse zu gewährleisten.
Doch ein nationaler Stromhandel bedeute einen kompletten Umbau des bestehenden Systems, schreiben die Analysten von Trivium China: “Chinas Energiewende wird zu seismischen politisch-wirtschaftlichen Umwälzungen führen, die in verschiedenen Provinzen und Branchen neue Gewinner und Verlierer hervorbringen werden”. Außerdem entstehen auf einem freien Strommarkt die Preise nach Angebot und Nachfrage – und entziehen sich dem politischen Einfluss Pekings. Ob die Zentralregierung in wirtschaftlichen schweren Zeiten mit einem steigenden Strompreis leben könnte, ist ungewiss. Aus all diesen Gründen wird die Zentralregierung den Stromhandel weiterhin wohl nur vorsichtig reformieren.
21. bis 22. September, Bremerhaven
Konferenz Envoconnect
Die Envoconnect ist eine Konferenz für alle Nachhaltigkeitsakteure im Bereich Häfen und Logistik im deutschsprachigen Raum. Nachhaltigkeit ist die zentrale Herausforderung für Häfen, Schifffahrt und jedes Unternehmen, das im 21. Jahrhundert wettbewerbsfähig bleiben will. Auf der Konferenz steht die Frage im Mittelpunkt, wie diese Akteure dem Thema Nachhaltigkeit begegnen können? Infos
21. September, 18 Uhr, Berlin
Diskussion Energiewende oder “Power Drain”? Perspektiven auf Wasserkraft und Wasserstoff in Afrika
Die NGO GegenStrömung diskutiert mit Gästen aus der Demokratischen Republik Kongo sowie verschieden deutschen Akteure über die Energiewende in afrikanischen Kontexten. Infos
21. bis 22. September, Berlin
Zukunftswerkstatt Kultur und Klimaschutz
Kultur und Klimaschutz sind zwei riesige Themenkomplexe, die auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind. Doch bisher finden kulturelle Perspektiven in der Klimadebatte zu wenig Gehör. Um einen Anfang zu schaffen, lädt die Klima-Allianz Deutschland gemeinsam mit den Nichtregierungsorganisationen Yeşil Çember und LIFE Bildung Umwelt Chancengleichheit e.V. zu einer Zukunftswerkstatt in Berlin ein. Infos
25. bis 29. September, Bonn
Konferenz International Conference on Chemicals Management (ICCM5)
Die Fünfte Weltchemikalienkonferenz (ICCM5), die vom 25. bis 29. September 2023 in Bonn/Deutschland stattfinden wird, soll einen stärkeren politischen Rahmen für den vernünftigen Umgang mit Chemikalien auf globaler Ebene schaffen. Infos
25. bis 29. September, Triest
Konferenz ICRC-CORDEX 2023 – International Conference on Regional Climate
Die Konferenz bringt die Forschende zum Thema regionales Klima zusammen. Auf ihr werden Instrumente und Berechnungsmethoden für regionale Klimamodelle diskutiert. Sie soll außerdem als Brücke zwischen Forschungsgemeinschaft und der Gesellschaft dienen. Infos
25. bis 26. September, Berlin
Kongress BDI Klimakongress
Der Bundesverband der Deutschen Industrie will auf dem Kongress diskutieren, wie der Wettlauf der Transformation zur klimaneutralen Wertschöpfung aussehen kann. Infos
26. bis 30. September, Berlin
Ausstellung Wald Pfeift – Abholzung in und für Europa
Das Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung widmet der Abholzug eine Ausstellung von Schokofeh Kamiz. Am 26. September wird sie eröffnet, am 29. September findet um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion statt. Infos
27. September, Berlin und Online
Aktionstag 2. Deutscher Klimatag
Auf dem zweiten deutschen Klimatag soll es vor allem um die Umsetzung von Klimaschutz gehen. Dafür lädt die Klima-Allianz Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen ein. Malte Kreuzfeldt von Table.Media moderiert zwei der Diskussionen. Infos
27. bis 29. September, Hamburg
Kongress ExtremWetterKongress
Der ExtremWetterKongress Hamburg (EWK) ist ein Kongress zum Thema Extremwetter im Klimawandel. Zahlreiche Referentinnen und Referenten informieren rund um die Entwicklung von Extremwettereignissen, die Anpassungsstrategien an zukünftige Klimaveränderungen, den Stand der Forschung und die Modellentwicklung von Langfristvorhersagen. Infos
27. und 28. September, Kassel
Forum Zukunftsforum Energie und Klima
Das Zukunftsforum Energie und Klima geht 2023 unter dem Motto “Zusammen Zukunft machen” in die siebte Runde und wird vom Kompetenznetzwerk dezentrale Energietechnologien e.V. und der
Landesenergieagentur Hessen organisiert. Infos
28. September, 11.15 Uhr, Online
Webinar Energieverbände im Dialog: Wie fit sind Deutschland, Österreich und die Schweiz für den zweiten Krisenwinter?
Den ersten Krisenwinter haben die Energieunternehmen – auch dank milder Wetterumstände – sehr gut gemeistert. Die Vorbereitungen auf den zweiten Krisenwinter laufen. Wie gut sind Deutschland, Österreich und in die Schweiz gerüstet? Wie gestalten die drei Länder den Weg von der Krise zur Transformation? Darüber spricht energate in diesem Webtalk mit drei Verbandsvertreterinnen. Infos
28. bis 29. September, Paris
Konferenz Roadmaps to New Nuclear
Das französische Ministerium für Energiewende und die OECD-Agentur für Kernenergie veranstalten eine internationale Konferenz zum Thema Kernenergie. Minister und führende Vertreter der Industrie aus mehr als zwei Dutzend Ländern werden teilnehmen, um zu erkunden, wie neue Kernenergiekapazitäten schnell in Betrieb genommen werden können, um den Regierungen zu helfen, ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Infos
Die Ausdehnung des antarktischen Meereis liegt aktuell auf einem Rekordtief für Wintermonate in der Region. Für Wissenschaftler ist das ein besorgniserregendes Alarmsignal, berichtet die BBC.
Das Eisschild in der Antarktis hat einen großen Einfluss auf das Klima: Es reflektiert Sonnenstrahlung und kühlt das Wasser in der Region. Wenn das Eis schmilzt, könnte es zu einer unaufhaltsamen Eis-Albedo-Rückkopplung kommen: Je mehr das Eis schmilzt, desto mehr Wärme kann die dunkle Oberfläche des Ozeans aufnehmen, anstatt sie zu reflektieren. Der wärmere Ozean führt dann dazu, dass das Eis noch schneller schmilzt. Zusätzlich trägt die Eisschmelze zum Anstieg des Meeresspiegels bei.
Die Antarktis galt lange als besonders resistent gegenüber der Erderwärmung. Bis 2016 nahm die Ausdehnung des Meereises dort sogar zu. Seitdem kommt es immer wieder zu neuen Rekorden beim Rückgang des Eisschildes. kul
Die Energiewende kommt in den wichtigsten Staaten zu langsam voran. Das ist das Ergebnis einer neuen Analyse des Think-Tanks Climate Action Tracker (CAT). Die Organisation hat Pläne zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zum Ausstieg aus Kohle und Gas von 16 Staaten untersucht. Nur wenige Staaten liegen in Teilbereichen der Energiewende auf einem Pfad, der mit einer Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels vereinbar ist, so der CAT. Viele Staaten setzen demnach noch zu sehr auf die Kohle- und Gasverstromung.
China werde auch 2040 noch circa ein Drittel seines Strombedarfs aus Kohle decken. Zwar wolle die Regierung ab 2025 weniger Kohle nutzen, aber es gäbe kein Zieldatum für einen kompletten Ausstieg, kritisiert der CAT. Stattdessen würden neue Kraftwerke gebaut. Zwar baut China seine erneuerbaren Energien im Rekordtempo aus, aber selbst diese Geschwindigkeit sei noch zu langsam, um die Kohle bis 2040 aus dem Strommix zu verdrängen.
Die USA hätten sich laut CAT zwar ein ausreichend hohes Ziel für die Energiewende gesetzt (ein “Kohlenstoff-freies Energiesystem bis 2035”), aber auch hier geht die Umsetzung zu langsam. Im Jahr 2030 werden die USA demnach noch immer acht Prozent ihres Stroms aus Kohle erzeugen. Der Anteil der Erneuerbaren wächst demnach zu langsam und wird laut CAT im Jahr 2050 lediglich bei 62 Prozent liegen.
Der EU stellt der CAT beim Kohleausstieg ein recht gutes Zeugnis aus. Die meisten Mitgliedsstaaten hätten ein Ausstiegsdatum, dass mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar ist. Allerdings gäbe es auch Staaten, die zu langsam sind. Zudem brauche die EU “dringend” einen Plan zum Ausstieg aus der Gasverstromung, mahnt der CAT. Gas macht 20 Prozent des Strommixes der EU-Mitgliedsstaaten aus. 40 Prozent des Stroms stammte 2022 aus Erneuerbaren. Ihr Anteil muss bis 2030 auf 80 Prozent wachsen, um das 1,5-Grad-Ziel erreichbar zu halten. Vor allem der Ausbau der Windenergie müsse beschleunigt werden. Während Deutschland beim Ausbau der Erneuerbaren als vorbildlich gilt, kritisiert der CAT den steigenden Anteil von Gas am Strommix. Hier gehe Deutschland “in die falsche Richtung”.
Positiv hebt der CAT den Kohleausstieg Großbritanniens bis 2024, den Ausbau der Erneuerbaren in Chile und positive Entwicklungen beim Kohleausstieg in Südafrika, Chile und der EU hervor. In den meisten Staaten würden die Erneuerbaren allerdings nicht schnell genug ausgebaut. Japan und Mexiko werden hier als Negativbeispiele genannt.
Um das 1,5-Grad Ziel erreichbar zu halten, müssten:
Im Jahr 2022 machten Kohle und Gas noch 36 beziehungsweise 22 Prozent der weltweiten Stromerzeugung aus – beide Werte sinken seit kurzem, aber bei weitem nicht schnell genug. Der Anteil der Erneuerbaren am Strommix lag 2022 bei 30 Prozent. nib
Die Ölstaaten haben die Internationale Energieagentur (IEA) auf dem World Petroleum Congress am Montag für ihre angebliche Politisierung in Klimafragen kritisiert. In der vergangenen Woche hatte die IEA verkündet, dass die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen noch vor 2030 einen Höchststand erreichen werde.
Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) nannte diese Behauptung in der vergangenen Woche in einem Statement “gefährlich”. Investitionen in Öl und Gas zu stoppen, würde die Welt in ein “Energiechaos” stürzen. Fossile seien weiterhin nötig, um Energiearmut zu bekämpfen und den Zugang zu günstiger Energie zu sichern.
Der aktuelle Konflikt reiht sich in andauernde Spannungen zwischen der OPEC und der IEA ein. Anfang des Jahres hatte die IEA der OPEC vorgeworfen, durch die hohen Ölpreise einen Inflationsschub zu riskieren. Während die IEA in den vergangenen Jahrzehnten häufig zugunsten von Ölförderung argumentierte, spricht sie sich seit gut zwei Jahren verstärkt für einen Ausstieg aus den Fossilen aus und fordert beispielsweise, dass keine neuen Ölfelder mehr erschlossen werden. kul
Welche Haltung zu Klimaschutz und Energiewende jemand in Deutschland vertritt, hängt “bemerkenswert deutlich” mit der Einstellung dieser Person zur Demokratie zusammen. Das ist ein Befund der heute veröffentlichten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Table.Media vorab vorlag. Über die Klimapolitik seien “Personen bis weit in die Mitte offenkundig durch Populismus erreichbar” und ließen sich “bis zum Rechtsextremismus und der Billigung von politischer Gewalt verführen”, heißt es im Kapitel zur Klimapolitik. Die Mehrheit der Bevölkerung vertrete aber eine klimapolitisch progressive Haltung.
“Je eher die Befragten klimapolitisch progressive Positionen teilen, desto demokratischer” seien sie auch eingestellt, so die Studie. “Vor allem aber sind jene, die eher klimapolitisch regressive Positionen teilen, feindlicher gegenüber der Demokratie eingestellt.” Das reiche bis hin zu rechtsextremen Einstellungen und der Billigung politischer Gewalt, um die eigenen Interessen und die eigene Vorrangstellung zu sichern.
Menschen, die Klimapolitik ablehnende Aussagen ganz oder in Teilen zustimmen, neigten “deutlich eher” zu Populismus und Autoritarismus, zu Verschwörungsglauben und Misstrauen gegenüber den etablierten Medien. Auch völkisch-autoritär-rebellische und rechtsextreme Einstellungen seien in diesen Gruppen “ausgeprägter”.
Die klimapolitische Haltung hänge auch “signifikant und linear mit der zum russischen Überfall auf die Ukraine zusammen”, so die Studie weiter. Wer eher meine, dass die Ukraine “unsere europäischen Werte” verteidige, sei klimapolitisch progressiver. Noch deutlicher sei der umgekehrte Zusammenhang: Wer der Aussage zustimme, dass Russland sich gegen eine Bedrohung aus dem Westen wehre, sei “regressiver gegenüber Klimaschutz und Energiewende eingestellt”.
Außerdem spielt die “gefühlte Sorge” vor steigenden Energiepreisen eine Rolle – und zwar unabhängig vom Einkommen. Wichtiger als das tatsächliche Einkommen sei das Gefühl, persönlich von aktuellen Krisen betroffen zu sein. Je größer dieses Gefühl sei, desto eher verträten die Befragten eine klimapolitisch rückwärtsgewandte Haltung. ae
Indonesien hat in den vergangen zehn Jahren die Kapazität von Kohlekraftwerken außerhalb des Stromnetzes fast verachtfacht. Ein Großteil dieser Eigenkraftwerke für Industriezwecke (Captive Power Plants) dient der Verarbeitung von Metallen, die auch für die Energiewende eingesetzt werden. Das geht aus einer neuen Studie des Centre for Research on Energy and Clean Air und des Global Energie Monitors hervor.
Die Autoren kritisieren Schlupflöcher in der indonesischen Klimapolitik. In ihrer Dekarbonisierungsstrategie konzentriere sich die indonesische Regierung auf Kohlekraftwerke für die allgemeine Stromversorgung. Eigenkraftwerke der Industrie seien von den Regierungsplänen bisher nicht erfasst, kritisieren sie: “Die bestehenden Klimaschutzverpflichtungen Indonesiens lassen ein Schlupfloch für die weitere Entwicklung von Kohlekraftwerken für die Eigenproduktion”. Indonesien hat 2022 eine Just Energy Transition Partnership (JETP) mit westlichen Staaten abgeschlossen. Mit Investitionen in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar soll die Energiewende vorangetrieben werden. Allerdings hat sich der JETP-Investitionsplan aufgrund von Differenzen mit den Gebernationen verzögert. Die Studienautoren empfehlen, dass die Eigenkraftwerke bei der Ausgestaltung der JETP berücksichtigt werden müssen.
Die Eigenkraftwerke haben mittlerweile eine Stromerzeugungskapazität von 10,8 Gigawatt. Fast 25 Prozent der indonesischen Kohlekapazität dient der Eigenversorgung der Industrie, so die Studie.
Die Kraftwerke werden häufig für die Metallverarbeitung eingesetzt. Indonesien ist der größte Nickel-Exporteur mit einem Weltmarktanteil von 39 Prozent. Weitere Exportgüter sind Eisen und Stahl, Kupfer, Aluminium sowie Zinn. Laut Studienautoren werden diese Metalle auch für erneuerbare Energien und die Energiewende eingesetzt. Nickel ist ein wichtiges Batteriematerial, Kupfer und Aluminium werden für den Ausbau der Stromnetze benötigt und Stahl kommt beispielsweise beim Ausbau der Windkraft zum Einsatz. Allerdings gilt die Energiewende nicht als Treiber der Rohstoff-Nachfrage. nib
Durch die menschengemachte Erderwärmung ist es wahrscheinlicher geworden, dass heftige Regenfälle wie Anfang September über Griechenland, Bulgarien, der Türkei und Libyen niedergehen. Das ist das Ergebnis einer neuen Analyse der World Weather Attribution Initiative (WWA). Zusätzlich hätten Faktoren wie das “Bauen in überschwemmungsgefährdeten Gebieten, Entwaldung und die Folgen des Konflikts in Libyen” die Zerstörung verschlimmert.
Laut der WWA-Analyse wurde der Extremregen in Libyen durch den Klimawandel bis zu 50-mal wahrscheinlicher. Es fiel dort bis zu 50 Prozent mehr Regen als ohne die Erderwärmung gefallen wäre. Das Ereignis sei “immer noch äußerst ungewöhnlich und dürfte unter den derzeitigen klimatischen Bedingungen nur etwa einmal in 300-600 Jahren auftreten”, teilt die Forschungsgruppe mit. In Griechenland, Bulgarien und der Türkei habe der Klimawandel den Starkregen bis zu zehnmal wahrscheinlicher gemacht und die Regenmengen um bis zu 40 Prozent erhöht. Dort seien solche Extremwetterereignisse “nun relativ häufig und können etwa alle zehn Jahre erwartet werden”.
Die WWA schränkt jedoch ein: Die Ergebnisse der Analyse seien “mit großen mathematischen Unsicherheiten behaftet”. Deshalb habe man keine genauere Schätzung für den Einfluss des Klimawandels abgegeben, sondern “bis zu”-Obergrenzen genannt. Es gebe allerdings mehrere Gründe, die dafür sprächen, dass der Klimawandel tatsächlich eine Rolle für die schweren Regenfälle gespielt habe. So führten beispielsweise höhere Temperaturen generell zu stärkeren Regenfällen, die auch von Studien für die Region prognostiziert und durch regionale Wetterdaten bestätigt würden. Hinweise auf gegenläufige Faktoren, die den Einfluss des Klimawandels möglicherweise hätten ausgleichen können, habe die WWA nicht finden können.
In Libyen brachen aufgrund der extremen Niederschläge zwei Dämme. Wie viele Menschen durch die Überschwemmungen starben, ist unklar. Offiziell sind rund 4.000 Tote bestätigt; mehr als 10.000 Menschen werden noch vermisst. Auch in Griechenland, Bulgarien, Spanien und der Türkei starben Menschen in den Fluten. ae
Wie soll die Welt reagieren, wenn die Erderwärmung die 1,5 Grad Celsius überschreitet? Auf diese Frage hat jetzt das hochrangig besetzte Expertengremium “Overshoot Commission” Antworten vorgelegt. Sie bestehen aus Anleitungen für neue Regeln, Forschungsschwerpunkten und der schnellen Umsetzung dieser Ideen. Die Vorschläge lassen sich laut Kommission unter den Begriffen CARE zusammenfassen: “Cut Emissions, Adapt, Remove, Explore“:
Alle diese Maßnahmen kosteten Geld, erklärt die Kommission. Die Klimafinanzierung aus öffentlichen und privaten Quellen müsse deshalb “massiv ausgebaut” werden. Entwicklungsbanken müssten in dieser Frage mehr Risiken eingehen.
Die “Overshoot Commision” wurde 2022 von den Universitäten Harvard und University of California Los Angeles UCLA und dem Paris Peace Forum gegründet. Sie versammelt 13 ehemalige hochrangige Personen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und NGOs wie den ehemaligen WTO-Chef Pascal Lamy, Muhammad Basri, Ex-Finanzminister Indonesiens, den Ex-Präsidenten von Niger, Mahamadou Issoufou, Xue Lan von der Tshingua Uni in Peking, die Ex-Premierministerin von Kanada, Kim Campbell oder Laurence Tubiana, Chefin der European Climate Foundation ECF. bpo
In einer Tiefe von 50 bis 250 Metern sind Hitzewellen länger und intensiver als an der Oberfläche des Ozeans. Das setzt die biologische Vielfalt thermischem Stress aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie im Fachmagazin Nature Climate Change, für die Temperaturdaten bis 2.000 Meter Tiefe des Copernicus Marine Service ausgewertet wurden.
Hitze im Meer wird durch den Klimawandel demnach häufiger. Zwischen 1982 und 2016 hat sich die Anzahl der Tage mit marinen Hitzewellen verdoppelt. Hitzewellen im Meer können Wochen bis Monate dauern und Millionen Quadratkilometer betreffen. Dass die Hitzewellen in der Tiefe länger anhalten, liegt daran, dass sich das Wasser dort nur langsam mit dem Oberflächenwasser austausche.
Hitzewellen im Meer können weitreichende Folge haben. Planktonblüten verändern sich, toxische Algenblüten treten auf und die Menge an Fisch geht zurück. Wie verheerend die Folgen von Hitzewellen im Meer sein können, zeigte sich beispielsweise von 2013 bis 2016 bei im Pazifischen Ozean. Die damalige Hitzewelle wurde mit einem Massensterben von Seevögeln, einem Rückgang der Lachsbestände und Futterkrisen bei Seelöwen-Populationen in Verbindung gebracht. kul
Die Klimakrise verschlechtert vor allem die Ernährungslage von Menschen, die nicht zu ihren Verursachern gehören – und in “Failed States” ist die humanitäre Hilfe deutlich schwieriger zu leisten als anderswo. Ob Dürren wie am Horn von Afrika oder Überschwemmungen wie in Libyen: Treffen die Folgen der Erderhitzung auf ein Konfliktgebiet, lassen sie komplexe, langanhaltende Krisen entstehen.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass 2023 bereits 339 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesenen sein werden. Das sind so viele wie nie zuvor: ein trauriger Rekord. Um zumindest einen Großteil dieser Menschen zu erreichen, bedarf es zusätzlicher Finanzmittel in Höhe von 51,5 Milliarden US-Dollar.
Es gibt viele Gründe dafür, dass die Zahl von humanitären Krisen und Menschen in Not zunimmt: Krieg und gewaltsame Konflikte wie derzeit im Sudan, Vertreibungen und die massive Verletzung von Menschenrechten wie in Myanmar, schwere Naturkatastrophen wie das Beben in Marokko oder die Überschwemmungen in Libyen. Inzwischen ist jeder 29. Mensch auf Unterstützung durch humanitäre Hilfe angewiesen.
Der menschengemachte Klimawandel trägt ebenfalls dazu bei, dass Hunger und Armut sich ausbreiten. Extremwetterereignisse – ungewöhnliche Hitze, dadurch verstärkte Dürren, Starkregen und daraus resultierende Fluten – bringen neue Katastrophen. So verschärft die Klimakrise bestehende Notlagen.
Gleichzeitig wird das Bewusstsein für längerfristige Entwicklungszusammenarbeit zurückgedrängt, wie Daten des OECD-Entwicklungsausschusses (DAC) zeigen. Von 2013 bis 2022 stiegen die Ausgaben für humanitäre Hilfe um 95 Prozent, für Entwicklungszusammenarbeit aber nur um 37 Prozent. Dennoch wurden im Jahr 2022 nur 56 Prozent des globalen Finanzierungsbedarfs der humanitären Hilfe gedeckt.
Die Welthungerhilfe leistet den größten Teil ihrer Arbeit in fragilen Staaten, etwa in Afghanistan oder dem Sudan. Auch das gerade von verheerenden Überschwemmungen getroffene Libyen ist so ein fragiler Staat. In solchen Ländern ist die Nothilfe besonders schwer, denn die fragile oder gar fehlende Staatlichkeit, und die Übernahme von Regierungsgewalt durch nicht-staatliche Akteure, so wie zum Beispiel im Nordwesten Syriens oder in Teilen von Libyen,
In Afghanistan, in Nordwestsyrien oder in Libyen bleibt Hilfsorganisationen oft nichts anderes übrig, als den Zugang mit lokalen Machthabern auszuhandeln und jeden Tag neu auszuloten, wie und wo am besten geholfen werden kann. Das beansprucht wertvolle Zeit und Ressourcen – zum Schaden der leidenden Bevölkerung.
Steht die Legitimation einer Empfängerregierung infrage oder funktionieren staatliche Strukturen nicht, kann es dazu kommen, dass die bilaterale staatliche Hilfe ausgesetzt wird. NGOs hingegen führen ihre spendenfinanzierte Arbeit oft weiter. Denn die klassische humanitäre Hilfe, der sich auch die Welthungerhilfe verpflichtet sieht, folgt Prinzipien, nicht Interessen. Sie will, sie muss Leben retten. Es liegt an der Politik, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, oder sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass sie geschaffen werden.
Schon jetzt lebt der besonders von der Klimakrise betroffene Teil der Weltbevölkerung vielfach dort, wo Staaten nicht in der Lage sind, ihre Infrastruktur an die Folgen der Erderwärmung anzupassen oder Klimaschäden zu reparieren, wo Frühwarnsysteme fehlen, und der Katastrophenschutz vernachlässigt wird. Zunehmend leiden so auch weniger verwundbare Länder unter den Auswirkungen klimainduzierter Extremwetterereignisse – doch in fragilen Staaten ist die Lage besonders prekär.
In Afghanistan etwa leiden die Menschen immer stärker unter den Folgen der Erderwärmung. Das Klima im Land wird heißer und trockener, Dürreperioden treten häufiger auf. Experten gehen davon aus, dass es künftig auch häufiger zu Phasen extremer Trockenheit kommen wird. Zugleich ist nach der Machtübernahme durch die Taliban zunehmend unklar, wie und in welcher Form noch Hilfe geleistet werden kann. Die Bundesregierung hat ihre Entwicklungszusammenarbeit ausgesetzt; die Machtübernahme hat das Land in eine dramatische sozio-ökonomische Krise gestürzt.
Es ist eine der größten humanitären Krisen überhaupt. Mehr als 30 Millionen Menschen leben in Afghanistan von der Landwirtschaft und sind deshalb unmittelbar von den Folgen der Erderwärmung bedroht. Zusätzlich werden die Menschenrechte von Frauen und Mädchen systematisch verletzt, sie werden aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Dennoch bestehen viele von ihnen darauf, auch weiterhin in den laufenden Hilfsprojekten mitzuarbeiten. Das Risiko tragen sie selbst – ebenso wie die humanitären Organisationen, an deren Arbeit sie beteiligt sind.
Die Lage wird noch verkompliziert dadurch, dass die Geldgeber ein einheitliches, koordiniertes Vorgehen fordern, während die Helfenden im Land selbst unterschiedliche, flexible Vorgehensweisen vorziehen. Verhandlungen mit den Taliban vor Ort sind unabdingbar, um zu gewährleisten, dass Menschen in Not Hilfe erhalten.
Obwohl humanitäre Hilfe weltweit dramatisch unterfinanziert ist, plant die Bundesregierung auch in diesem Bereich drastische Haushaltskürzungen. Der Etat des Bundesentwicklungsministeriums soll im kommenden Jahr – von 12,2 Milliarden Euro im Jahr 2023 – auf 10,7 Milliarden Euro fallen. Für das Auswärtige Amt ist ein Rückgang von 7,5 Milliarden auf 5,2 Milliarden Euro geplant. Das trifft auch die humanitäre Hilfe.
Um auf die zunehmende Anzahl von Krisen reagieren zu können, wäre aber eine verlässliche, mehrjährige, flexible und bedarfsgerechte Finanzierung unerlässlich. Die deutsche Politik muss Krisen – insbesondere Hungerkrisen – ressortabgestimmt bekämpfen.
Vor allem aber muss sie eine ambitionierte und kohärente Klimapolitik auf allen Ebenen verfolgen. Denn nur diese führt mittel- bis langfristig zu einer Reduzierung humanitärer Krisen – und damit zu einer sinkenden Zahl von hungernden Menschen weltweit.
Michael Kühn ist Klimawandel-Referent der Welthungerhilfe. Zuvor leitete er das Büro der Organisation in Haiti.
António Guterres hat gestern zum “Klima-Ehrgeiz-Gipfel” geladen. Der UN-Generalsekretär hat sich dabei als Türsteher präsentiert. Eigentlich wollten gut 100 Staatslenker und nicht-staatliche Akteure auf dem Gipfel auftreten. Doch Guterres hat nur knapp 40 “Vorreiter und Macher” sprechen lassen. Wichtige Akteure wie die USA und China mussten draußen bleiben. Der UN-Generalsekretär sendet ihnen damit ein deutliches Zeichen, dass sie mehr gegen die Klimakrise unternehmen müssen. Wir haben die Vorschläge und die Strategien der “Vorreiter und Macher” unter den Staaten zusammengefasst. Und schildern außerdem, wie sich der UN-Generalsekretär unter dem Eindruck der Klimakrise verbal radikalisiert hat – und wie er seinen Ärger strategisch einsetzt.
Erst Anfang der Woche fand der UN-SDG-Summit über die Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung statt. Auch hier gibt es zu wenig Fortschritt. Lisa Kuner hat in Honduras recherchiert, wie Armut, Hunger, Korruption und Gewalt den Klimaschutz blockieren. Und Michael Kühn von der Welthungerhilfe schildert, warum der Klimawandel in Failed States umso heftiger wütet und wie humanitäre Hilfe antworten könnte.
Auch am Donnerstag und Freitag geht es am Rande der UN-Vollversammlung mit dem Klimathema noch weiter. Wir schauen wie immer genau hin und werden Ihnen die wichtigsten Ergebnisse und Beobachtungen noch am Freitag in einer Spezial-Ausgabe einordnen.
Beste Grüße
70 Tage vor der COP28 zeichnet sich ab, mit welchen Vorstellungen und Strategien diejenigen Länder auftreten wollen, die auf mehr Klimaschutz drängen. Auf dem “Gipfel für Klima-Ehrgeiz”, den UN-Generalsekretär António Guterres am Mittwoch als Teil der UN-Vollversammlung UNGA78 angesetzt hatte, kristallisieren sich die Hauptpunkte heraus. Die progressiven Länder wollen:
Den größten Optimismus bei den eng getakteten Statements der 34 Staats- und Regierungschefs verbreitete der deutsche Bundeskanzler. Olaf Scholz verkündete, 2023 könne zum “entscheidenden Moment” für den internationalen Klimaschutz werden. Es gebe Gründe für Hoffnung, weil “Worte zu Taten werden”: Deutschland habe seine für 2025 versprochene Klimafinanzierung von sechs Milliarden Euro pro Jahr bereits 2022 erfüllt; der Kohleausstieg 2038 sei gesetzlich verankert; die G20 haben die Verdreifachung der erneuerbaren Energien beschlossen; und der “Klimaclub” von Scholz nehme gern mehr als die bisherigen 27 Mitglieder auf.
Diese Zuversicht hatte UN-Generalsekretär António Guterres in seinen Eröffnungsworten nicht geteilt. Im Gegenteil: “Die Menschheit hat die Pforten zu Hölle geöffnet“, sagte Guterres. Die Zukunft sei aber nicht festgelegt – sondern werde von den Vorreitern geformt, die er zum Gipfel eingeladen hatte. Denn mit diesem “Ehrgeiz-Gipfel” versucht Guterres, die Klimaschutz-Gruppe in der UNO zu vergrößern und ihren Einfluss zu stärken.
Der Veranstaltung vorangegangen war ein heftiges Tauziehen hinter den Kulissen. Guterres hatte klargemacht, dass er nur solche Regierungschefs sprechen lassen wollte, die neue und weitreichende Klimaschutzvorschläge vorlegten. Von den über 100 Bewerbungen für die jeweils dreiminütige Redezeit hatte sein Team nach langen internen Beratungen in letzter Minute eine Liste von 34 Staaten und sieben nicht-staatliche Akteure aufgestellt.
Auffallend war auch, wer nicht auf der Liste stand: Weder die großen Verschmutzer wie die USA, China, Russland, Indonesien, Japan noch traditionelle Vorreiterstaaten wie Großbritannien, Norwegen und Schweden. “Es gab viel Redebedarf über die Rednerliste”, hieß es aus der UNO.
Guterres wiederholte seine Forderungen nach einem globalen “Solidaritätspakt” und einer “Beschleunigungsagenda” zum globalen Klimaschutz: Industrieländer sollten bis 2040 klimaneutral werden und mehr Finanzierung aufbringen, um ärmeren Staaten bei der notwendigen Umstellung zu helfen. Konkret heißt das unter anderem: Kohleausstieg bis 2030 in den Industrieländern, Ende der fossilen Subventionen, keine neuen Gas- und Ölprojekte.
Die Pläne der 34 Regierungschefs, Leiter internationaler Organisationen, Mitgliedern der Zivilgesellschaft oder Unternehmenschefs lassen sich in verschiedene Gruppen sortieren:
Bei aller Übereinstimmung zeigte sich aber auch: Geschlossen ist die Front der Vorreiter nicht. Eine Erklärung der “High Ambition Coalition” (HAC), die am Vortag nach einem schnellen Ausstieg aus den fossilen Energien, einen schnellen Ausbau der Erneuerbaren und “Solidarität” bei der Mobilisierung von “Billionen” für die Klimafinanzierung gefordert hatte, fand nur die Zustimmung von 17 Regierungschefs, etwa aus Frankreich, Dänemark, den Niederlanden, Palau und Kenia. Die Unterschrift von Bundeskanzler Olaf Scholz steht nicht unter dem Dokument, obwohl Deutschland bisher die HAC immer maßgeblich unterstützt hat. Eine Erklärung dieses Umstands auf eine Anfrage von Table.Media ließ die Regierung bis Redaktionsschluss am späten Mittwochabend unbeantwortet.
Die Einladung des UN-Chefs war deutlich: Zu seinem “Climate Ambition Summit” am 20. September 2023 in New York erwarte er von Regierungen, Unternehmen, der Finanzwelt, Städten und der Zivilgesellschaft “neues, greifbares und glaubwürdiges Klimaschutz-Handeln, um den Wandel zu beschleunigen”. Dieser “Eintrittspreis ist nicht verhandelbar”, sagte António Guterres, als er den Gipfel ankündigte.
Das Treffen werde ein “Gipfel ohne Unsinn. Ohne Ausnahmen. Ohne Kompromisse“. Es gebe “keinen Raum” für Akteure, die ihre “Versprechen zurückziehen”, für “Greenwasher” oder solche, die ihre “Schuld auf andere abwälzen” oder “Ankündigungen aus den letzten Jahren neu verpacken”.
Undiplomatische Worte für den obersten Diplomaten der Welt. Die klaren Ansagen des UN-Generalsekretärs folgen dabei einer konsequenten Entwicklung. Seit António Guterres 2017 sein Amt antrat, haben sich seine Haltung und seine Sprache zur Klimakrise deutlich radikalisiert. Das ist die Konsequenz aus mangelndem Fortschritt in der Klima-Diplomatie bei gleichzeitig eskalierender Klimakrise. Es ist aber auch eine klare Strategie des UN-Chefs, um seiner bedrängten Organisation Sichtbarkeit und Einfluss zu sichern.
Am Beginn seiner Amtszeit konzentrierte sich der ehemalige portugiesische Ministerpräsident eher auf das Thema “Frieden”. Bei der COP23 in Bonn ermahnte er die Delegierten zwar zu “mehr Ehrgeiz”, sah aber auch “ermutigende Beispiele für Fortschritt”. Und den Verhandlern rief er zu: “Die Welt zählt auf Ihre Weisheit und ihre Voraussicht!”
Auch noch ein Jahr später bei der COP24 im polnischen Kattowitz verlegte sich Guterres aufs Mahnen und Warnen: Klimawandel sei “das eine, wichtigste Thema”, und es sei schwer zu verstehen, warum es so wenig vorangehe. Klimaschutz sei nicht nur das Richtige, sondern “macht auch sozial und wirtschaftlich Sinn”, sagte Guterres bei seiner Ansprache im Plenum. Immerhin gebe es doch “signifikanten globalen Schwung für den Klimaschutz.”
Guterres, befindet Laurence Tubiana, Chefin der “European Climate Foundation” (ECF) gegenüber Table.Media, sei “seit der COP24 in Kattowitz ein wahrer Klima-Anführer, ein wahrer diplomatischer Künstler, der sich dafür einsetzt, das Klima ganz oben auf der internationalen Agenda zu halten.” Das sei “keine leichte Aufgabe”, vor allem, da die “G20 immer noch nicht gehandelt haben, um sich von den fossilen Brennstoffen zu verabschieden. Mehr denn je brauchen wir seine starken, realistischen Worte.”
Bei der nächsten COP25 in Madrid 2019 klang Guterres schon ganz anders: Die Welt stehe kurz davor, “über den Punkt zu schlafwandeln, von dem es kein Zurück gibt” und müsse den “Krieg gegen die Natur beenden”. Zum ersten Mal übernahm er in seiner offiziellen Rede Forderungen der Klimaschutzbewegung – die 2019 mit Greta Thunberg den Klimagipfel von Madrid dominierte. Guterres forderte: “Lasst die fossilen Brennstoffe im Boden!”, und “stoppt die Abhängigkeit von der Kohle!“. Es brauche nicht kleine Schritte, sondern “eine Transformation” und “dringend einen geänderten Lebenswandel.”
Was war passiert? 2018 hatte der IPCC in seinem “1,5-Grad-Sonderbericht” klargemacht, wie dringend schnelle Emissionsschnitte für die Einhaltung der Pariser Klimaziele wären. 2019 hatte das Klimathema die Wahlen zum EU-Parlament beeinflusst. Außerdem hatte Guterres im Frühjahr 2019 vier pazifische Länder besucht, unter ihnen Fidschi, den Gastgeber der COP23. Auf der UN-Vollversammlung in New York hielt Greta Thunberg ihre Wutrede “Wie könnt Ihr es wagen?” an die Staatschefs, nachdem sie im Segelboot den Atlantik überquert hatte.
Der britische Guardian erklärte 2019, er werde nicht mehr von “Klimawandel”, sondern nur noch von “Klimakrise, Klima-Notstand, Klima-Zusammenbruch” schreiben. Und auch in den UN-Gremien wird seit 2019 von “Klimakrise” gesprochen.
Guterres war im Mai 2019 auf dem Titel des US-Magazins Time erschienen – mit grimmigem Gesichtsausdruck und im Anzug bis zu den Knien im Wasser stehend. In einem großen Time-Interview erklärte er, warum er die Klimakrise ganz nach oben auf seine Agenda gesetzt hatte:
Seitdem hat Guterres immer drastischere Formulierungen gewählt. Auf der COP26 in Glasgow forderte er: “Genug davon, dass wir uns selbst mit Kohlenstoff töten, genug davon, dass wir die Natur wie eine Toilette benutzen, wir graben unser eigenes Grab!” Es sei “eine Illusion” zu glauben, dass sich die Trends bei den Emissionen umkehrten. Den vor ihm versammelten Staatsoberhäuptern schrieb er ins Stammbuch: “Selbst wenn die jüngsten Klima-Versprechen klar und glaubwürdig wären – und es gibt bei einige ernste Fragen – rasen wir immer noch auf die Katastrophe zu.”
Im Sommer 2022 warnte Guterres, die fossile Industrie “geht der Menschheit an die Gurgel“. Nichts sei größer als die “Gefahr einer Expansion der fossilen Industrie”. Diese habe nach dem Vorbild der Tabakfirmen “skandalöse Techniken” angewandt, um mit “Pseudowissenschaften ehrgeizige Klimapolitik zu unterminieren.”
Lutz Weischer von Germanwatch meint, für Guterres sei der Kampf gegen die Klimakrise “das prioritäre Thema seiner Amtszeit.” Der Portugiese sehe seine Rolle als “moralische Autorität”. Seine Zugänge in Washington, Peking, Brüssel und anderen Hauptstädten “nutzt er, soweit wir hören, sehr regelmäßig, um auf Fortschritte bei Klimaschutz und Finanzierung zu drängen”.
Wie wichtig ihm das Thema ist, zeige, “wie viele Termine er dabei wahrnimmt.” Das persönliche Erscheinen beim “Africa Climate Summit” Anfang September etwa sei nicht selbstverständlich. Unklar bleibe allerdings, wie effektiv er Unterstützung für seine Vorschläge etwa zu einer Übergewinnsteuer auf Öl und Gas organisiere und ob er seine Rolle im UN-Sicherheitsrat genügend für das Thema Klima nutze. Ein UN-Generalsekretär müsse sich entscheiden, moralische Instanz zu sein oder hinter den Kulissen Kompromisse zu finden. “Er hat sich für ersteres entschieden”, sagt Weischer, “und ich finde das eine sinnvolle Prioritätensetzung.”
Trotz aller Ermahnungen des UN-Generalsekretärs sind die weltweiten Emissionen – mit Ausnahme der Zeit während der Corona-Pandemie – immer weiter gestiegen. Bei der COP27 wählte Guterres dann auch die Beschreibung, die Menschheit sei “im Kampf ihres Lebens. Und wir verlieren ihn.” Er fügte hinzu: “Wir sind auf der Autobahn zur Klimahölle, mit unserem Fuß immer noch auf dem Gaspedal.”
Da hatte die Wissenschaft schon gewarnt, 2023 werde wahrscheinlich wegen des Wetter-Phänomens “El Niño” zu einem der heißesten Jahre. Und genau so kam es dann auch: ein Jahr voller Rekorde bei Temperaturen in der Luft, im Ozean, bei Waldbränden auf der Nordhalbkugel und regionalen Hitze- und Starkregenkatastrophen. Guterres beschreib es im Juli 2023 so: “Die Ära der globalen Erwärmung ist vorbei. Die Ära des globalen Kochens ist angebrochen.”
Anfang der Woche fand bei den Vereinten Nationen in New York der Sustainable Development Goals Summit (SDG-Summit) statt. Dort wurde Halbzeitbilanz gezogen, wie die Nationen bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele vorankommen. Das Fazit: Die Ziele liegen in weiter Ferne. Das ist auch für den Klimaschutz ein Problem, wie das Beispiel Honduras zeigt: Wo Armut, Konflikt, Hunger sowie fehlende Bildung und Gesundheitsversorgung aufeinandertreffen, können kaum effiziente Maßnahmen zum Klimaschutz umgesetzt werden.
Zentralamerika – und Honduras im Besonderen – gelten als besonders vulnerabel gegenüber den Risiken der Klimakrise. Große Teile der Region liegen im sogenannten “Dürrekorridor”, in dem es durch die Erderwärmung zuletzt immer trockener wurde. Besonders in Zusammenspiel mit dem jetzt wieder anbrechendem Wetterphänomen El Niño kommt es in der Region oft zu Ernteausfällen. Gleichzeitig ist Zentralamerika auch Hurrikangebiet. Die Wirbelstürme nehmen durch den Klimawandel an Intensität zu: Ende 2020 zerstören die Hurrikans Iota und Eta kurz hintereinander ganze Landstriche. Der Meeresspiegelanstieg verschluckt schon heute ganze Dörfer. Gleichzeitig hat die Region nur wenig zur Klimakrise beigetragen. Honduras ist beispielsweise nur für rund 0,03 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Das Land und die gesamte Region müssen also dringend in Klimaanpassung investieren – dafür braucht es internationale Finanzmittel.
Potenziell sollen Gelder aus dem Loss and Damage Fund der UN und andere Mittel der Klimafinanzierung nach Zentralamerika fließen, um besonders stark Betroffene zu entlasten. Das ist aber nicht einfach: Die Region ist politisch instabil. “Wir sind nicht nur vielen Klimarisiken ausgesetzt, es gibt gleichzeitig auch keinerlei politische Vorbereitungen auf solche Krisen und Katastrophen”, fasst Mercy Ayala zusammen. Sie arbeitet bei der honduranischen Nichtregierungsorganisation ERIC-SJ zu Menschenrechten und Klima.
Das Land wurde von 2014 bis 2022 von dem autoritären Narco-Präsidenten Juan Orlando Hernández regiert, der inzwischen in den USA im Gefängnis sitzt. Seit dem vergangenen Jahr gibt es mit Xioamara Castro wieder eine demokratische Präsidentin. Doch Castro hat anderes zu tun, als sich auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten: Ein Ausnahmezustand soll die Mordrate im Land senken, außerdem ringt das Land mit den Herausforderungen der Korruption. In den Nachbarländern sieht es ähnlich aus – El Salvador kämpft gegen Bandenkriminalität, Nicaraguas autoritärer Präsident schränkt immer mehr Grundrechte ein.
“Armut, Konflikt, Korruption und die Klimakrise erschaffen dort einen Teufelskreis”, sagt Hector Camilo Morales Munoz mit Blick auf Zentralamerika. Er arbeitet für den Think-Tank Adelphi zu Klimasicherheit und Diplomatie. “Konflikte haben einen negativen Einfluss auf Lebensbedingungen und dadurch wird die Fähigkeit zur Anpassung dann noch weiter herabgesetzt.”
Dem entgegenzuwirken ist mit klassischer Entwicklungs- oder Klimafinanzierung nicht einfach. Ganz Zentralamerika leidet stark unter Korruption und Instabilität. Eine Studie kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die Korruption Honduras im Jahr 2018 rund 12,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung kostete. Ende Juli wurden 117 Millionen Dollar aus dem Green Climate Fund, die eigentlich in Waldprojekte in Nicaragua fließen sollten, aufgrund von Menschenrechtsverletzungen gegen Indigene eingefroren.
“Die lateinamerikanischen Länder waren noch nie politisch stabil, sie waren schon immer unruhige und unbeständige Länder”, fasst eine Expertin für Klimaschutz aus Zentralamerika gegenüber Table.Media zusammen. Aufgrund der bestehenden Repressionen gegen Kritiker und Nichtregierungsorganisationen will sie ihren Namen nicht veröffentlicht sehen. Nachhaltiger Klimaschutz könne in Zentralamerika nur durch die enge Zusammenarbeit von lokalen, sozialen Bewegungen und ausländischer Solidarität funktionieren, so die Expertin. Öffentliche Akteure sowie große Konzerne und Unternehmen müssten als Akteure kritischer betrachtet werden.
“Erfolgversprechende Maßnahmen sollten konflikt-sensitiv sein”, sagt Morales Munoz von Adelphi. Sie sollten also den lokalen Kontext, also beispielsweise die Rolle von organisiertem Verbrechen und Drogenhandel mitdenken. Außerdem sollte man die Auszahlung von Geldern an Bedingungen knüpfen, so Morales Munoz.
Um Klimaschutzmaßnahmen vor Korruption zu schützen, sollten sie die Lokalbevölkerung sowohl in Projekten mit einbeziehen und der Zugang zu Wissen demokratisiert werden. “Das kann ein effektiver Schutz gegen korrupte Akteure sein und gleichzeitig Menschen befähigen”, sagt Morales Munoz. Die Expertin aus Zentralamerika sieht das ähnlich. “Es muss Zugang der Zivilgesellschaft zu Klimafinanzierung geben, nicht nur Gelder für Regierungen”, meint sie. Aktuell sei es beispielsweise für NGOs sehr schwierig, an internationale Klimafinanzierung zu kommen. Dafür müssten neue Mechanismen geschaffen werden und es dürften keine Schulden entstehen.
Inhaltlich sollte Klimapolitik lokale Herausforderungen mit einbeziehen sowie Zielkonflikte zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, Armutsbekämpfung und Klimaschutz anerkennen, sagt Morales Munoz. Klimaprojekte in Zentralamerika hätten eine größere Chance auf Erfolg, wenn sie neben Klimaschutz auch entwicklungspolitische Co-Benefits brächten; wenn sie zum Beispiel Arbeitsplätze schaffen oder die Wirtschaft ankurbeln. Denn während im internationalen Diskurs Klimaschutz immer wichtiger wird, bleiben auf lokaler Ebene vor allem Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung Priorität.
Konkreter heißt das für den Wissenschaftler: In katastrophengefährdeten Gebieten klimaresistente Infrastrukturen wie Wasser-, Energie- und Gesundheitseinrichtungen oder Projekte zur Ernährungssicherheit zu investieren, helfe sowohl im Kampf gegen Armut als auch bei der Adaption an die Klimakrise. Wichtig sei, traditionelles Wissen und naturbasierte Lösungen mit einzubeziehen. Die Expertin aus Zentralamerika nennt speziell Wissen aus indigenen Gemeinschaften und Lebensmodelle wie “Buen Vivir”. Das ist ein lateinamerikanisches Konzept, das soziale und ökologische Aspekte mitdenkt uns oftmals als Gegenentwurf zu westlichen Entwicklungskonzepten gesehen wird. Bisher funktioniert das kaum. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass der Klimawandel neben Ernährungsunsicherheit und Gewalt ein weiterer Treiber für Migration aus Zentralamerika in Richtung USA geworden ist.
Die Recherche in Honduras fand im Rahmen einer durch die Nichtregierungsorganisation Christliche Initiative Romero e.V. und des EU-Projekts Climate Game On finanzierten Recherchereise statt.
Am Montag hat die chinesische Regierung neue Regeln zum Aufbau von Spotmärkten für den Stromhandel veröffentlicht. Die Regeln seien ein “Meilenstein für die Schaffung eines einheitlichen nationalen Strommarktes”, sagt Yan Qin, Energieexpertin bei der Analysefirma Refinitiv. Die Regeln könnte nach Meinung von Experten Kohlestrom aus dem Netz drängen und günstigerem Strom aus Erneuerbaren den Weg ebnen. Mit einer weitgehenden Strommarktreform könnten die chinesischen CO₂-Emissionen bis 2035 um gut ein Drittel sinken, rechnet die Internationale Energieagentur vor.
Trotz 20 Jahren Reformbemühungen gibt es bisher keinen einheitlichen Strommarkt in China. Das begünstigt bisher den Kohlestrom. Die über 20 Provinzen setzen oft eher auf Eigenständigkeit, statt auf den Stromhandel mit Nachbarprovinzen. Die Folge: Statt grünen Strom aus Nachbarprovinzen zu importieren, wurden neue Kohlekraftwerke gebaut.
Bisher basiert der Stromhandel in China auf einem Mix aus langfristigen Verträgen und Regierungsvorgaben, mit denen Preise kontrolliert werden. Zum großen Teil sind das Mittel- und Langfristverträge innerhalb von Provinzen. Der Handel über Provinzgrenzen hinaus ist ebenso wie kurzfristiger Spothandel noch sehr eingeschränkt und findet größtenteils nur in Pilotprojekten statt.
Dabei sind Spotmärkte wichtig, um Strom nahezu in Echtzeit zu handeln. Die jetzt veröffentlichten Pläne sollen den Markt liberalisieren und kurzfristigen Handel vorantreiben, so Experten. “Ein funktionierender Stromhandel könnte den Bedarf an Kohlekraftwerken drastisch reduzieren und die Integration großer Mengen variabler, sauberer Stromerzeugung erleichtern”, schreibt Lauri Myllyvirta, Energie-Experte des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) auf der Plattform X, ehemals Twitter. Denn derzeit entstehen in den Wüsten im Westen Chinas riesige Wind- und Solarparks. Sie sollen Strom für die Industrie an den Küsten im Osten und Süden des Landes liefern. Das aber erfordere einen funktionierenden nationalen Strommarkt, schreiben auch die Analysten der Beratungsfirma Trivium China.
Ein landesweiter Spotmarkt als Ergänzung zum langfristigen Stromhandel hieße: Bei gutem Wind und guter Sonne drängen günstige erneuerbare Energien Kohlestrom aus den Netzen. Bei Flaute oder Bewölkung könnten Erneuerbare aus anderen Provinzen importiert werden. Dann müssten nicht wie derzeit die eigenen Kohlekraftwerke hochgefahren werden. Laut Myllyvirta würde ein funktionierender Stromhandel den Bau von neuen Kohlekraftwerke überflüssig machen. Laut Internationaler Energieagentur könnte eine weitreichende Strommarktreform im Jahr 2035 eine Emissionsminderung von bis zu 38 Prozent bewirken.
Yan Qin schränkt jedoch auch ein, dass die neuen Pläne nur der Anfang sind. “Es ist noch ein langer Weg, bis die Spotmärkte voll funktionsfähig sind. Ich denke, dass es noch bis 2030 dauern wird”, schreibt die Expertin auf X. Zwar erleichtern es die neuen Pläne, erneuerbare Energien in den Stromhandel aufzunehmen. Allerdings brauche es noch genauere Vorgaben und Umsetzungsbeschlüsse, so Qin.
Bisher sind die Provinzen für die Organisation und Reform der Strommärkte verantwortlich. Da stehen manchmal “starke Eigeninteressen” einem effizienten Gesamtsystem im Weg, sagt Myllyvirta. Staatliche Energieunternehmen nutzten für ihre eigenen Kraftwerke lieber Kohle aus der eigenen Provinz. Denn die Provinzen sichern so Arbeitsplätze in den Kohleminen und -kraftwerken und setzen auf Selbstversorgung. “Die chinesischen Provinzen sind hochgradig merkantilistisch und bevorzugen die lokale Produktion, selbst wenn diese bei weitem nicht kostenoptimal ist”, so Myllyvirta.
Ein Stromhandel über Provinzgrenzen ist also im nationalen und internationalen Interesse, nicht aber unbedingt im Interesse der einzelnen Provinz. Auch deswegen schlägt die Internationale Energieagentur in einem Bericht aus dem April 2023 vor, dass nationale Institutionen den Umbau des Stromhandels stärker koordinieren sollten. Dafür allerdings müsste auch das nationale Stromnetz ertüchtigt werden, um die Energieflüsse zu gewährleisten.
Doch ein nationaler Stromhandel bedeute einen kompletten Umbau des bestehenden Systems, schreiben die Analysten von Trivium China: “Chinas Energiewende wird zu seismischen politisch-wirtschaftlichen Umwälzungen führen, die in verschiedenen Provinzen und Branchen neue Gewinner und Verlierer hervorbringen werden”. Außerdem entstehen auf einem freien Strommarkt die Preise nach Angebot und Nachfrage – und entziehen sich dem politischen Einfluss Pekings. Ob die Zentralregierung in wirtschaftlichen schweren Zeiten mit einem steigenden Strompreis leben könnte, ist ungewiss. Aus all diesen Gründen wird die Zentralregierung den Stromhandel weiterhin wohl nur vorsichtig reformieren.
21. bis 22. September, Bremerhaven
Konferenz Envoconnect
Die Envoconnect ist eine Konferenz für alle Nachhaltigkeitsakteure im Bereich Häfen und Logistik im deutschsprachigen Raum. Nachhaltigkeit ist die zentrale Herausforderung für Häfen, Schifffahrt und jedes Unternehmen, das im 21. Jahrhundert wettbewerbsfähig bleiben will. Auf der Konferenz steht die Frage im Mittelpunkt, wie diese Akteure dem Thema Nachhaltigkeit begegnen können? Infos
21. September, 18 Uhr, Berlin
Diskussion Energiewende oder “Power Drain”? Perspektiven auf Wasserkraft und Wasserstoff in Afrika
Die NGO GegenStrömung diskutiert mit Gästen aus der Demokratischen Republik Kongo sowie verschieden deutschen Akteure über die Energiewende in afrikanischen Kontexten. Infos
21. bis 22. September, Berlin
Zukunftswerkstatt Kultur und Klimaschutz
Kultur und Klimaschutz sind zwei riesige Themenkomplexe, die auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind. Doch bisher finden kulturelle Perspektiven in der Klimadebatte zu wenig Gehör. Um einen Anfang zu schaffen, lädt die Klima-Allianz Deutschland gemeinsam mit den Nichtregierungsorganisationen Yeşil Çember und LIFE Bildung Umwelt Chancengleichheit e.V. zu einer Zukunftswerkstatt in Berlin ein. Infos
25. bis 29. September, Bonn
Konferenz International Conference on Chemicals Management (ICCM5)
Die Fünfte Weltchemikalienkonferenz (ICCM5), die vom 25. bis 29. September 2023 in Bonn/Deutschland stattfinden wird, soll einen stärkeren politischen Rahmen für den vernünftigen Umgang mit Chemikalien auf globaler Ebene schaffen. Infos
25. bis 29. September, Triest
Konferenz ICRC-CORDEX 2023 – International Conference on Regional Climate
Die Konferenz bringt die Forschende zum Thema regionales Klima zusammen. Auf ihr werden Instrumente und Berechnungsmethoden für regionale Klimamodelle diskutiert. Sie soll außerdem als Brücke zwischen Forschungsgemeinschaft und der Gesellschaft dienen. Infos
25. bis 26. September, Berlin
Kongress BDI Klimakongress
Der Bundesverband der Deutschen Industrie will auf dem Kongress diskutieren, wie der Wettlauf der Transformation zur klimaneutralen Wertschöpfung aussehen kann. Infos
26. bis 30. September, Berlin
Ausstellung Wald Pfeift – Abholzung in und für Europa
Das Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung widmet der Abholzug eine Ausstellung von Schokofeh Kamiz. Am 26. September wird sie eröffnet, am 29. September findet um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion statt. Infos
27. September, Berlin und Online
Aktionstag 2. Deutscher Klimatag
Auf dem zweiten deutschen Klimatag soll es vor allem um die Umsetzung von Klimaschutz gehen. Dafür lädt die Klima-Allianz Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen ein. Malte Kreuzfeldt von Table.Media moderiert zwei der Diskussionen. Infos
27. bis 29. September, Hamburg
Kongress ExtremWetterKongress
Der ExtremWetterKongress Hamburg (EWK) ist ein Kongress zum Thema Extremwetter im Klimawandel. Zahlreiche Referentinnen und Referenten informieren rund um die Entwicklung von Extremwettereignissen, die Anpassungsstrategien an zukünftige Klimaveränderungen, den Stand der Forschung und die Modellentwicklung von Langfristvorhersagen. Infos
27. und 28. September, Kassel
Forum Zukunftsforum Energie und Klima
Das Zukunftsforum Energie und Klima geht 2023 unter dem Motto “Zusammen Zukunft machen” in die siebte Runde und wird vom Kompetenznetzwerk dezentrale Energietechnologien e.V. und der
Landesenergieagentur Hessen organisiert. Infos
28. September, 11.15 Uhr, Online
Webinar Energieverbände im Dialog: Wie fit sind Deutschland, Österreich und die Schweiz für den zweiten Krisenwinter?
Den ersten Krisenwinter haben die Energieunternehmen – auch dank milder Wetterumstände – sehr gut gemeistert. Die Vorbereitungen auf den zweiten Krisenwinter laufen. Wie gut sind Deutschland, Österreich und in die Schweiz gerüstet? Wie gestalten die drei Länder den Weg von der Krise zur Transformation? Darüber spricht energate in diesem Webtalk mit drei Verbandsvertreterinnen. Infos
28. bis 29. September, Paris
Konferenz Roadmaps to New Nuclear
Das französische Ministerium für Energiewende und die OECD-Agentur für Kernenergie veranstalten eine internationale Konferenz zum Thema Kernenergie. Minister und führende Vertreter der Industrie aus mehr als zwei Dutzend Ländern werden teilnehmen, um zu erkunden, wie neue Kernenergiekapazitäten schnell in Betrieb genommen werden können, um den Regierungen zu helfen, ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Infos
Die Ausdehnung des antarktischen Meereis liegt aktuell auf einem Rekordtief für Wintermonate in der Region. Für Wissenschaftler ist das ein besorgniserregendes Alarmsignal, berichtet die BBC.
Das Eisschild in der Antarktis hat einen großen Einfluss auf das Klima: Es reflektiert Sonnenstrahlung und kühlt das Wasser in der Region. Wenn das Eis schmilzt, könnte es zu einer unaufhaltsamen Eis-Albedo-Rückkopplung kommen: Je mehr das Eis schmilzt, desto mehr Wärme kann die dunkle Oberfläche des Ozeans aufnehmen, anstatt sie zu reflektieren. Der wärmere Ozean führt dann dazu, dass das Eis noch schneller schmilzt. Zusätzlich trägt die Eisschmelze zum Anstieg des Meeresspiegels bei.
Die Antarktis galt lange als besonders resistent gegenüber der Erderwärmung. Bis 2016 nahm die Ausdehnung des Meereises dort sogar zu. Seitdem kommt es immer wieder zu neuen Rekorden beim Rückgang des Eisschildes. kul
Die Energiewende kommt in den wichtigsten Staaten zu langsam voran. Das ist das Ergebnis einer neuen Analyse des Think-Tanks Climate Action Tracker (CAT). Die Organisation hat Pläne zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zum Ausstieg aus Kohle und Gas von 16 Staaten untersucht. Nur wenige Staaten liegen in Teilbereichen der Energiewende auf einem Pfad, der mit einer Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels vereinbar ist, so der CAT. Viele Staaten setzen demnach noch zu sehr auf die Kohle- und Gasverstromung.
China werde auch 2040 noch circa ein Drittel seines Strombedarfs aus Kohle decken. Zwar wolle die Regierung ab 2025 weniger Kohle nutzen, aber es gäbe kein Zieldatum für einen kompletten Ausstieg, kritisiert der CAT. Stattdessen würden neue Kraftwerke gebaut. Zwar baut China seine erneuerbaren Energien im Rekordtempo aus, aber selbst diese Geschwindigkeit sei noch zu langsam, um die Kohle bis 2040 aus dem Strommix zu verdrängen.
Die USA hätten sich laut CAT zwar ein ausreichend hohes Ziel für die Energiewende gesetzt (ein “Kohlenstoff-freies Energiesystem bis 2035”), aber auch hier geht die Umsetzung zu langsam. Im Jahr 2030 werden die USA demnach noch immer acht Prozent ihres Stroms aus Kohle erzeugen. Der Anteil der Erneuerbaren wächst demnach zu langsam und wird laut CAT im Jahr 2050 lediglich bei 62 Prozent liegen.
Der EU stellt der CAT beim Kohleausstieg ein recht gutes Zeugnis aus. Die meisten Mitgliedsstaaten hätten ein Ausstiegsdatum, dass mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar ist. Allerdings gäbe es auch Staaten, die zu langsam sind. Zudem brauche die EU “dringend” einen Plan zum Ausstieg aus der Gasverstromung, mahnt der CAT. Gas macht 20 Prozent des Strommixes der EU-Mitgliedsstaaten aus. 40 Prozent des Stroms stammte 2022 aus Erneuerbaren. Ihr Anteil muss bis 2030 auf 80 Prozent wachsen, um das 1,5-Grad-Ziel erreichbar zu halten. Vor allem der Ausbau der Windenergie müsse beschleunigt werden. Während Deutschland beim Ausbau der Erneuerbaren als vorbildlich gilt, kritisiert der CAT den steigenden Anteil von Gas am Strommix. Hier gehe Deutschland “in die falsche Richtung”.
Positiv hebt der CAT den Kohleausstieg Großbritanniens bis 2024, den Ausbau der Erneuerbaren in Chile und positive Entwicklungen beim Kohleausstieg in Südafrika, Chile und der EU hervor. In den meisten Staaten würden die Erneuerbaren allerdings nicht schnell genug ausgebaut. Japan und Mexiko werden hier als Negativbeispiele genannt.
Um das 1,5-Grad Ziel erreichbar zu halten, müssten:
Im Jahr 2022 machten Kohle und Gas noch 36 beziehungsweise 22 Prozent der weltweiten Stromerzeugung aus – beide Werte sinken seit kurzem, aber bei weitem nicht schnell genug. Der Anteil der Erneuerbaren am Strommix lag 2022 bei 30 Prozent. nib
Die Ölstaaten haben die Internationale Energieagentur (IEA) auf dem World Petroleum Congress am Montag für ihre angebliche Politisierung in Klimafragen kritisiert. In der vergangenen Woche hatte die IEA verkündet, dass die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen noch vor 2030 einen Höchststand erreichen werde.
Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) nannte diese Behauptung in der vergangenen Woche in einem Statement “gefährlich”. Investitionen in Öl und Gas zu stoppen, würde die Welt in ein “Energiechaos” stürzen. Fossile seien weiterhin nötig, um Energiearmut zu bekämpfen und den Zugang zu günstiger Energie zu sichern.
Der aktuelle Konflikt reiht sich in andauernde Spannungen zwischen der OPEC und der IEA ein. Anfang des Jahres hatte die IEA der OPEC vorgeworfen, durch die hohen Ölpreise einen Inflationsschub zu riskieren. Während die IEA in den vergangenen Jahrzehnten häufig zugunsten von Ölförderung argumentierte, spricht sie sich seit gut zwei Jahren verstärkt für einen Ausstieg aus den Fossilen aus und fordert beispielsweise, dass keine neuen Ölfelder mehr erschlossen werden. kul
Welche Haltung zu Klimaschutz und Energiewende jemand in Deutschland vertritt, hängt “bemerkenswert deutlich” mit der Einstellung dieser Person zur Demokratie zusammen. Das ist ein Befund der heute veröffentlichten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Table.Media vorab vorlag. Über die Klimapolitik seien “Personen bis weit in die Mitte offenkundig durch Populismus erreichbar” und ließen sich “bis zum Rechtsextremismus und der Billigung von politischer Gewalt verführen”, heißt es im Kapitel zur Klimapolitik. Die Mehrheit der Bevölkerung vertrete aber eine klimapolitisch progressive Haltung.
“Je eher die Befragten klimapolitisch progressive Positionen teilen, desto demokratischer” seien sie auch eingestellt, so die Studie. “Vor allem aber sind jene, die eher klimapolitisch regressive Positionen teilen, feindlicher gegenüber der Demokratie eingestellt.” Das reiche bis hin zu rechtsextremen Einstellungen und der Billigung politischer Gewalt, um die eigenen Interessen und die eigene Vorrangstellung zu sichern.
Menschen, die Klimapolitik ablehnende Aussagen ganz oder in Teilen zustimmen, neigten “deutlich eher” zu Populismus und Autoritarismus, zu Verschwörungsglauben und Misstrauen gegenüber den etablierten Medien. Auch völkisch-autoritär-rebellische und rechtsextreme Einstellungen seien in diesen Gruppen “ausgeprägter”.
Die klimapolitische Haltung hänge auch “signifikant und linear mit der zum russischen Überfall auf die Ukraine zusammen”, so die Studie weiter. Wer eher meine, dass die Ukraine “unsere europäischen Werte” verteidige, sei klimapolitisch progressiver. Noch deutlicher sei der umgekehrte Zusammenhang: Wer der Aussage zustimme, dass Russland sich gegen eine Bedrohung aus dem Westen wehre, sei “regressiver gegenüber Klimaschutz und Energiewende eingestellt”.
Außerdem spielt die “gefühlte Sorge” vor steigenden Energiepreisen eine Rolle – und zwar unabhängig vom Einkommen. Wichtiger als das tatsächliche Einkommen sei das Gefühl, persönlich von aktuellen Krisen betroffen zu sein. Je größer dieses Gefühl sei, desto eher verträten die Befragten eine klimapolitisch rückwärtsgewandte Haltung. ae
Indonesien hat in den vergangen zehn Jahren die Kapazität von Kohlekraftwerken außerhalb des Stromnetzes fast verachtfacht. Ein Großteil dieser Eigenkraftwerke für Industriezwecke (Captive Power Plants) dient der Verarbeitung von Metallen, die auch für die Energiewende eingesetzt werden. Das geht aus einer neuen Studie des Centre for Research on Energy and Clean Air und des Global Energie Monitors hervor.
Die Autoren kritisieren Schlupflöcher in der indonesischen Klimapolitik. In ihrer Dekarbonisierungsstrategie konzentriere sich die indonesische Regierung auf Kohlekraftwerke für die allgemeine Stromversorgung. Eigenkraftwerke der Industrie seien von den Regierungsplänen bisher nicht erfasst, kritisieren sie: “Die bestehenden Klimaschutzverpflichtungen Indonesiens lassen ein Schlupfloch für die weitere Entwicklung von Kohlekraftwerken für die Eigenproduktion”. Indonesien hat 2022 eine Just Energy Transition Partnership (JETP) mit westlichen Staaten abgeschlossen. Mit Investitionen in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar soll die Energiewende vorangetrieben werden. Allerdings hat sich der JETP-Investitionsplan aufgrund von Differenzen mit den Gebernationen verzögert. Die Studienautoren empfehlen, dass die Eigenkraftwerke bei der Ausgestaltung der JETP berücksichtigt werden müssen.
Die Eigenkraftwerke haben mittlerweile eine Stromerzeugungskapazität von 10,8 Gigawatt. Fast 25 Prozent der indonesischen Kohlekapazität dient der Eigenversorgung der Industrie, so die Studie.
Die Kraftwerke werden häufig für die Metallverarbeitung eingesetzt. Indonesien ist der größte Nickel-Exporteur mit einem Weltmarktanteil von 39 Prozent. Weitere Exportgüter sind Eisen und Stahl, Kupfer, Aluminium sowie Zinn. Laut Studienautoren werden diese Metalle auch für erneuerbare Energien und die Energiewende eingesetzt. Nickel ist ein wichtiges Batteriematerial, Kupfer und Aluminium werden für den Ausbau der Stromnetze benötigt und Stahl kommt beispielsweise beim Ausbau der Windkraft zum Einsatz. Allerdings gilt die Energiewende nicht als Treiber der Rohstoff-Nachfrage. nib
Durch die menschengemachte Erderwärmung ist es wahrscheinlicher geworden, dass heftige Regenfälle wie Anfang September über Griechenland, Bulgarien, der Türkei und Libyen niedergehen. Das ist das Ergebnis einer neuen Analyse der World Weather Attribution Initiative (WWA). Zusätzlich hätten Faktoren wie das “Bauen in überschwemmungsgefährdeten Gebieten, Entwaldung und die Folgen des Konflikts in Libyen” die Zerstörung verschlimmert.
Laut der WWA-Analyse wurde der Extremregen in Libyen durch den Klimawandel bis zu 50-mal wahrscheinlicher. Es fiel dort bis zu 50 Prozent mehr Regen als ohne die Erderwärmung gefallen wäre. Das Ereignis sei “immer noch äußerst ungewöhnlich und dürfte unter den derzeitigen klimatischen Bedingungen nur etwa einmal in 300-600 Jahren auftreten”, teilt die Forschungsgruppe mit. In Griechenland, Bulgarien und der Türkei habe der Klimawandel den Starkregen bis zu zehnmal wahrscheinlicher gemacht und die Regenmengen um bis zu 40 Prozent erhöht. Dort seien solche Extremwetterereignisse “nun relativ häufig und können etwa alle zehn Jahre erwartet werden”.
Die WWA schränkt jedoch ein: Die Ergebnisse der Analyse seien “mit großen mathematischen Unsicherheiten behaftet”. Deshalb habe man keine genauere Schätzung für den Einfluss des Klimawandels abgegeben, sondern “bis zu”-Obergrenzen genannt. Es gebe allerdings mehrere Gründe, die dafür sprächen, dass der Klimawandel tatsächlich eine Rolle für die schweren Regenfälle gespielt habe. So führten beispielsweise höhere Temperaturen generell zu stärkeren Regenfällen, die auch von Studien für die Region prognostiziert und durch regionale Wetterdaten bestätigt würden. Hinweise auf gegenläufige Faktoren, die den Einfluss des Klimawandels möglicherweise hätten ausgleichen können, habe die WWA nicht finden können.
In Libyen brachen aufgrund der extremen Niederschläge zwei Dämme. Wie viele Menschen durch die Überschwemmungen starben, ist unklar. Offiziell sind rund 4.000 Tote bestätigt; mehr als 10.000 Menschen werden noch vermisst. Auch in Griechenland, Bulgarien, Spanien und der Türkei starben Menschen in den Fluten. ae
Wie soll die Welt reagieren, wenn die Erderwärmung die 1,5 Grad Celsius überschreitet? Auf diese Frage hat jetzt das hochrangig besetzte Expertengremium “Overshoot Commission” Antworten vorgelegt. Sie bestehen aus Anleitungen für neue Regeln, Forschungsschwerpunkten und der schnellen Umsetzung dieser Ideen. Die Vorschläge lassen sich laut Kommission unter den Begriffen CARE zusammenfassen: “Cut Emissions, Adapt, Remove, Explore“:
Alle diese Maßnahmen kosteten Geld, erklärt die Kommission. Die Klimafinanzierung aus öffentlichen und privaten Quellen müsse deshalb “massiv ausgebaut” werden. Entwicklungsbanken müssten in dieser Frage mehr Risiken eingehen.
Die “Overshoot Commision” wurde 2022 von den Universitäten Harvard und University of California Los Angeles UCLA und dem Paris Peace Forum gegründet. Sie versammelt 13 ehemalige hochrangige Personen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und NGOs wie den ehemaligen WTO-Chef Pascal Lamy, Muhammad Basri, Ex-Finanzminister Indonesiens, den Ex-Präsidenten von Niger, Mahamadou Issoufou, Xue Lan von der Tshingua Uni in Peking, die Ex-Premierministerin von Kanada, Kim Campbell oder Laurence Tubiana, Chefin der European Climate Foundation ECF. bpo
In einer Tiefe von 50 bis 250 Metern sind Hitzewellen länger und intensiver als an der Oberfläche des Ozeans. Das setzt die biologische Vielfalt thermischem Stress aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie im Fachmagazin Nature Climate Change, für die Temperaturdaten bis 2.000 Meter Tiefe des Copernicus Marine Service ausgewertet wurden.
Hitze im Meer wird durch den Klimawandel demnach häufiger. Zwischen 1982 und 2016 hat sich die Anzahl der Tage mit marinen Hitzewellen verdoppelt. Hitzewellen im Meer können Wochen bis Monate dauern und Millionen Quadratkilometer betreffen. Dass die Hitzewellen in der Tiefe länger anhalten, liegt daran, dass sich das Wasser dort nur langsam mit dem Oberflächenwasser austausche.
Hitzewellen im Meer können weitreichende Folge haben. Planktonblüten verändern sich, toxische Algenblüten treten auf und die Menge an Fisch geht zurück. Wie verheerend die Folgen von Hitzewellen im Meer sein können, zeigte sich beispielsweise von 2013 bis 2016 bei im Pazifischen Ozean. Die damalige Hitzewelle wurde mit einem Massensterben von Seevögeln, einem Rückgang der Lachsbestände und Futterkrisen bei Seelöwen-Populationen in Verbindung gebracht. kul
Die Klimakrise verschlechtert vor allem die Ernährungslage von Menschen, die nicht zu ihren Verursachern gehören – und in “Failed States” ist die humanitäre Hilfe deutlich schwieriger zu leisten als anderswo. Ob Dürren wie am Horn von Afrika oder Überschwemmungen wie in Libyen: Treffen die Folgen der Erderhitzung auf ein Konfliktgebiet, lassen sie komplexe, langanhaltende Krisen entstehen.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass 2023 bereits 339 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesenen sein werden. Das sind so viele wie nie zuvor: ein trauriger Rekord. Um zumindest einen Großteil dieser Menschen zu erreichen, bedarf es zusätzlicher Finanzmittel in Höhe von 51,5 Milliarden US-Dollar.
Es gibt viele Gründe dafür, dass die Zahl von humanitären Krisen und Menschen in Not zunimmt: Krieg und gewaltsame Konflikte wie derzeit im Sudan, Vertreibungen und die massive Verletzung von Menschenrechten wie in Myanmar, schwere Naturkatastrophen wie das Beben in Marokko oder die Überschwemmungen in Libyen. Inzwischen ist jeder 29. Mensch auf Unterstützung durch humanitäre Hilfe angewiesen.
Der menschengemachte Klimawandel trägt ebenfalls dazu bei, dass Hunger und Armut sich ausbreiten. Extremwetterereignisse – ungewöhnliche Hitze, dadurch verstärkte Dürren, Starkregen und daraus resultierende Fluten – bringen neue Katastrophen. So verschärft die Klimakrise bestehende Notlagen.
Gleichzeitig wird das Bewusstsein für längerfristige Entwicklungszusammenarbeit zurückgedrängt, wie Daten des OECD-Entwicklungsausschusses (DAC) zeigen. Von 2013 bis 2022 stiegen die Ausgaben für humanitäre Hilfe um 95 Prozent, für Entwicklungszusammenarbeit aber nur um 37 Prozent. Dennoch wurden im Jahr 2022 nur 56 Prozent des globalen Finanzierungsbedarfs der humanitären Hilfe gedeckt.
Die Welthungerhilfe leistet den größten Teil ihrer Arbeit in fragilen Staaten, etwa in Afghanistan oder dem Sudan. Auch das gerade von verheerenden Überschwemmungen getroffene Libyen ist so ein fragiler Staat. In solchen Ländern ist die Nothilfe besonders schwer, denn die fragile oder gar fehlende Staatlichkeit, und die Übernahme von Regierungsgewalt durch nicht-staatliche Akteure, so wie zum Beispiel im Nordwesten Syriens oder in Teilen von Libyen,
In Afghanistan, in Nordwestsyrien oder in Libyen bleibt Hilfsorganisationen oft nichts anderes übrig, als den Zugang mit lokalen Machthabern auszuhandeln und jeden Tag neu auszuloten, wie und wo am besten geholfen werden kann. Das beansprucht wertvolle Zeit und Ressourcen – zum Schaden der leidenden Bevölkerung.
Steht die Legitimation einer Empfängerregierung infrage oder funktionieren staatliche Strukturen nicht, kann es dazu kommen, dass die bilaterale staatliche Hilfe ausgesetzt wird. NGOs hingegen führen ihre spendenfinanzierte Arbeit oft weiter. Denn die klassische humanitäre Hilfe, der sich auch die Welthungerhilfe verpflichtet sieht, folgt Prinzipien, nicht Interessen. Sie will, sie muss Leben retten. Es liegt an der Politik, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, oder sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass sie geschaffen werden.
Schon jetzt lebt der besonders von der Klimakrise betroffene Teil der Weltbevölkerung vielfach dort, wo Staaten nicht in der Lage sind, ihre Infrastruktur an die Folgen der Erderwärmung anzupassen oder Klimaschäden zu reparieren, wo Frühwarnsysteme fehlen, und der Katastrophenschutz vernachlässigt wird. Zunehmend leiden so auch weniger verwundbare Länder unter den Auswirkungen klimainduzierter Extremwetterereignisse – doch in fragilen Staaten ist die Lage besonders prekär.
In Afghanistan etwa leiden die Menschen immer stärker unter den Folgen der Erderwärmung. Das Klima im Land wird heißer und trockener, Dürreperioden treten häufiger auf. Experten gehen davon aus, dass es künftig auch häufiger zu Phasen extremer Trockenheit kommen wird. Zugleich ist nach der Machtübernahme durch die Taliban zunehmend unklar, wie und in welcher Form noch Hilfe geleistet werden kann. Die Bundesregierung hat ihre Entwicklungszusammenarbeit ausgesetzt; die Machtübernahme hat das Land in eine dramatische sozio-ökonomische Krise gestürzt.
Es ist eine der größten humanitären Krisen überhaupt. Mehr als 30 Millionen Menschen leben in Afghanistan von der Landwirtschaft und sind deshalb unmittelbar von den Folgen der Erderwärmung bedroht. Zusätzlich werden die Menschenrechte von Frauen und Mädchen systematisch verletzt, sie werden aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Dennoch bestehen viele von ihnen darauf, auch weiterhin in den laufenden Hilfsprojekten mitzuarbeiten. Das Risiko tragen sie selbst – ebenso wie die humanitären Organisationen, an deren Arbeit sie beteiligt sind.
Die Lage wird noch verkompliziert dadurch, dass die Geldgeber ein einheitliches, koordiniertes Vorgehen fordern, während die Helfenden im Land selbst unterschiedliche, flexible Vorgehensweisen vorziehen. Verhandlungen mit den Taliban vor Ort sind unabdingbar, um zu gewährleisten, dass Menschen in Not Hilfe erhalten.
Obwohl humanitäre Hilfe weltweit dramatisch unterfinanziert ist, plant die Bundesregierung auch in diesem Bereich drastische Haushaltskürzungen. Der Etat des Bundesentwicklungsministeriums soll im kommenden Jahr – von 12,2 Milliarden Euro im Jahr 2023 – auf 10,7 Milliarden Euro fallen. Für das Auswärtige Amt ist ein Rückgang von 7,5 Milliarden auf 5,2 Milliarden Euro geplant. Das trifft auch die humanitäre Hilfe.
Um auf die zunehmende Anzahl von Krisen reagieren zu können, wäre aber eine verlässliche, mehrjährige, flexible und bedarfsgerechte Finanzierung unerlässlich. Die deutsche Politik muss Krisen – insbesondere Hungerkrisen – ressortabgestimmt bekämpfen.
Vor allem aber muss sie eine ambitionierte und kohärente Klimapolitik auf allen Ebenen verfolgen. Denn nur diese führt mittel- bis langfristig zu einer Reduzierung humanitärer Krisen – und damit zu einer sinkenden Zahl von hungernden Menschen weltweit.
Michael Kühn ist Klimawandel-Referent der Welthungerhilfe. Zuvor leitete er das Büro der Organisation in Haiti.