Table.Briefing: Climate

Grüne: “Fridays nötiger denn je” + China: Motive für Kohleboom + USA: Tauziehen um IRA

Liebe Leserin, lieber Leser,

an diesem Freitag rufen die “Fridays for Future” wieder zum Globalen Klimastreik – und sie haben in Deutschland dieses Mal wichtige Verbündete neben sich auf der Straße. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di legt in sechs Bundesländern ihren Warnstreik auf diesen Termin. So wollen Klimaschützer und Gewerkschaft für die Verkehrswende protestieren. Denn der Verkehr ist bisher ein Komplettausfall beim Klimaschutz. Da wird jeder Klimastreik zum Warnstreik.

Dass dabei möglichst großer Druck auf die Ampelregierung und ihre Fraktionen entsteht, wünscht sich Kathrin Henneberger bei uns im Interview. Die junge Klimaaktivistin sitzt seit Oktober 2021 für die Grünen im Bundestag und dort zwischen den Stühlen. Gegen den Frust und für mehr Klimaschutz zählt sie auf den Widerstand gegen die Regierung, die sie selbst stützt.

Was man dabei schnell vergisst: Protest kann viel erreichen. Auch das gigantische Investitionsprogramm in den USA (IRA) hat US-Präsident Joe Biden unter anderem angestoßen, weil es die junge Generation im Wahlkampf massiv eingefordert hat. Wir schauen auf die Widerstände, die sich jetzt in den USA auftun – und auf den Klimaeffekt der knapp 400 Milliarden schweren Finanzspritze. Wir stellen Johan Rockström vor, den Chef des Klima-Forschungsinstituts PIK, auf dessen Daten und Analysen sich die “Fridays” häufig berufen. Und wir lassen Wissenschaftler aus dem Umfeld der “Fridays” zu Wort kommen, die auch eine “energiepolitische Zeitenwende” fordern. Sie wollen die Welt in der aktuellen Kriegsdiskussion mit Erneuerbaren sicherer machen.

Dazu kommen wie immer eine Menge wichtiger Meldungen aus der weiten Welt der Klimapolitik. Schließlich: Wenn Ihnen der Climate.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.

Behalten Sie einen langen Atem!

Ihr
Bernhard Pötter
Bild von Bernhard  Pötter

Analyse

“Auch die Grünen sind gewarnt: Die Bewegung meint es ernst”

Kathrin Henneberger MdB, Buendnis 90/Die Gruenen Bundestagsfraktion

Frau Henneberger, Bundestagsabgeordnete haben kein Streikrecht. Sind Sie trotzdem am Freitag auf der Straße?

Ja, es ist Sitzungswoche und ich werde versuchen, bei der Demo dabei zu sein. Ich hoffe, der parlamentarische Betrieb lässt das zu.

Was hat sich für Sie als Klima-Aktivistin verändert, seit Sie im Bundestag sind?

Ich gehe natürlich weiterhin zu Demos. In meinem Zuhause dem rheinischen Braunkohlerevier ist das mehr wie eine Sprechstunde für Bürgerinnen und Bürger, da kennen mich die Menschen und sprechen mich an. Wenn aber Aktionen des zivilen Ungehorsams oder eine Räumung wie in Lützerath anstehen, dann bin ich als parlamentarische Beobachterin vor Ort, um die Rechte der Aktivistinnen und Aktivisten zu sichern.

Sind Sie eine Aktivistin, die im Bundestag sitzt oder eine Abgeordnete, die auf die Straße geht?

Darüber habe ich in den letzten eineinhalb Jahren auch viel nachgedacht. Anfangs habe ich mich sehr unter Druck gesetzt, jetzt eine Bundestagsabgeordnete zu sein. Aber ich habe mich entschieden: Ich bin Klimaaktivistin, die im Bundestag sitzt und von dort agieren will. Es tut mir nicht gut, mich in erster Linie als MdB zu definieren, wenn ich also in Sprache, Kleidung und Haltung anders sein soll als ich wirklich bin.

“Ich mache keine Lobbyarbeit, im Gegenteil”

Als Abgeordnete sind Sie dem gesamten deutschen Volk verpflichtet. Als Aktivistin nur Ihrer Sache.

Das ist nicht das Problem. Denn die Entscheidungen im Klimabereich treffe ich ja nicht nur für eine bestimmte Interessengruppe, sondern für das Wohl jedes Einzelnen und der Allgemeinheit. Und ich orientiere mich da an wissenschaftlichen Daten, das ist ganz wichtig. Das ist keine Lobbyarbeit, sondern steht oft genau im Widerspruch zu Lobbyinteressen.

Um die Fridays for Future ist es ruhig geworden. Wie stark ist die Klimabewegung noch?

Ich hoffe, dass sie stark ist. Ich bin ja dabei, seit ich mit 13 Jahren bei der Greenpeace- Jugendarbeitsgemeinschaft begonnen habe. Ich habe die Wellen miterlebt: 2015 entstand “Ende Gelände”, dann 2018 die Fridays for Future. Jetzt gibt es mit der “Letzten Generation” einen neuen Akteur. Die Bewegung bleibt lebendig und kann immer wieder reagieren.

“Die Fridays sind wichtiger denn je”

Manche Leute sagen, die Fridays haben ihre historische Rolle erfüllt: das Thema auf die Straße und an die Küchentische zu bringen. Aber jetzt hätten sie sich überlebt.

Nein, die Fridays haben sich nicht überlebt. Wenn ich als Mitglied einer Regierungsfraktion sehe, wie wenig wir an Klimaschutz in der Realität umsetzen können im Vergleich dazu, was wir umsetzen müssten, dann sind die Fridays wichtiger denn je. Was ich mir wünsche, sind riesige Proteste. Wir Grüne in der Regierung brauchen Millionendemos für Klimaschutz auf der Straße.

“Protest ist Wind in unseren Segeln”

Sind die Fridays die Hilfstruppen der Grünen in der Regierung?

Es gibt auch bei uns in der Partei Debatten, ob jetzt diese und jene Demo hilfreich ist. Ich sage immer: Der Protest ist der Wind in unseren Segeln. Wenn wir wirklich Klimaschutz umsetzen wollen, dann müssen wir unpopuläre Entscheidungen fällen. Und wir müssen uns gegenüber einem Gegner durchsetzen, der massiv von der fossilen Lobby beeinflusst wird oder sogar Teil der Lobby ist. Dafür brauchen wir den Druck auf der Straße. Denn wer treibt uns denn an, wenn wir in Verhandlungen anfangen, mürbe zu werden? Je größer der Protest, der auch uns Grüne antreibt, desto besser.

Die Fridays sind sehr stark in Deutschland, anderswo weniger. Fehlt ihnen der internationale Aspekt beim globalen Thema Klima?

Da widerspreche ich. Ich war gerade in Uganda, um die Proteste gegen die Ölpipeline EACOP zu unterstützen. Und viele FFF-Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland unterstützen Freunde aus dem globalen Süden, um etwa zur SBSTA (Anmerkung der Redaktion: die Klima-Halbjahreskonferenz – Subsidiary Body for Scientific and Technological Advice) nach Bonn zu kommen. Wenn die UN-Klimakonferenzen etwas erreicht haben, dann, dass sich die globalen Bewegungen da gut vernetzt haben. In fast jeder Region der Welt finden sich inzwischen FFF-Gruppen, die viel bewegen, weil sie auch in anderen Zusammenhängen involviert sind. Nicht nur in Europa existieren starke Klimabewegungen, sie sind oft nur weniger sichtbar in den europäischen Medien. Im vergangenen Jahr hat man bei den Wahlen in Kolumbien und in Brasilien gesehen, dass der Druck von Bewegungen junger Menschen für Klimagerechtigkeit wirkt. 

“Jetzt die Rahmenbedingungen schaffen. Was passiert, wenn wir nicht mehr regieren?”

Was ist in Deutschland die wichtigste Forderung der Klimabewegung an die Politik?

Wir müssen jetzt die Rahmenbedingungen schaffen, damit Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad kommen kann. Etwa beim Verzicht auf weitere Autobahnen. Wir dürfen nicht die falschen Rahmenbedingungen setzen und damit in sechs oder sieben Jahren noch das fossile System stabilisieren. Es kann ja auch sein, dass wir als Grüne einer nächsten Bundesregierung nicht mehr angehören. Was passiert, wenn wir dann die Weichen nicht gestellt haben?

Und was ist andersherum die zentrale Forderung der Politik an die Klimabewegung?

Nicht lockerlassen, selber aktiv werden und sich einmischen: Wenn noch mehr Aktivistinnen und Aktivisten für Klimapolitik in den Parlamenten säßen, wäre viel mehr möglich.

Wie groß ist seit den Auseinandersetzungen um die Räumung Lützerath der Riss zwischen der Bewegung und den Grünen in der Regierung?

Es war auf jeden Fall ein Vertrauensverlust. Ich habe als Berichterstatterin im Bundestag eine Entschließung mitverhandelt, in der das Parlament gefordert hat, Lützerath zu erhalten. Das war für mich eine Sternstunde der Demokratie. Auch die MdBs von SPD und FDP, mit denen ich um den Text verhandelte, haben ernst genommen, als ich gesagt habe, der Konflikt um Lützerath wird groß und wird Menschen traumatisieren. Allen war klar: Wir brauchen eine politische Lösung, wir wollen einen zweiten Konflikt wie im Hambacher Wald verhindern. Dann habe ich ein paar Monate später festgestellt, dass eine Entschließung des Deutschen Bundestags nicht viel wert ist, wenn es darum geht, was RWE will und dabei die Rechtslage, die die Klimakrise nicht kennt, auf seiner Seite hat.

Sie sagen, der Protest sei Wind in den Segeln der Grünen. Aber hat Lützerath die Grünen in der Ampel nicht geschwächt?

Insgesamt haben die Proteste für Lützerath für eines gesorgt: Auch bei anderen Themen wird jetzt kritischer überprüft, welche Kompromisse wir machen können, wenn Proteste wie bei Lützerath drohen und dabei Menschen verletzt werden. Die Proteste haben Bemühungen für Klimagerechtigkeit – auch von Menschen in der Grünen Partei – damit nicht geschwächt, sondern gestärkt. Auch in der Landesregierung NRW waren manche überrascht, dass die Proteste so stark waren. Aber das hat die Bewegung immer gesagt. Jetzt sind auch die Grünen gewarnt: Wenn die Bewegung ihre roten Linien definiert, dann meint sie das ernst. Nach Lützerath haben viele in der Partei verstanden, dass sie nicht wieder solche ungenügenden Kompromisse schließen können.         

  • Die Grünen
  • Fridays for Future

Die versteckten Interessen hinter Chinas Kohleboom

Kohlekraftwerk in Hefei, China

Es ist ein Bauboom, der für westliche Verhältnisse unvorstellbar ist. China hat 2022 im Durchschnitt jede Woche mit dem Bau eines neuen Kohlekraftwerks begonnen: Der Bau von 50 Gigawatt an neuer Kraftwerkskapazität wurde gestartet. Insgesamt bewilligten die Behörden im letzten Jahr Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 106 Gigawatt, circa 100 große Kohlemeiler. Eine Vervierfachung im Vergleich zum Jahr 2021, wie eine neue Erhebung des Global Energy Monitors (GEM) und des Centres for Research on Energy and Clean Air (CREA) zeigt. Im selben Zeitraum wurden nur 4,1 Gigawatt an Kraftwerkskapazität stillgelegt.

Der Bauboom klingt wie der Todesstoß für Chinas und die internationalen Klimaziele. Chinas Präsident Xi Jinping hatte eine Abnahme des Kohleverbrauchs für den Zeitraum von 2026 bis 2030 versprochen. Auf den ersten Blick scheint das durch einen massiven Ausbau der Kraftwerkskapazität kaum noch möglich. Doch so einfach ist die Situation nicht. “Der massive Zubau neuer Kohlekraftwerke bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Kohleverbrauch oder die CO₂-Emissionen des Stromsektors in China zunehmen werden“, schreiben die Studienautoren.

Was bedeutet der Bauboom für die Klimaziele?

Einige China-spezifische Faktoren sprechen gegen einen starken Anstieg der CO₂-Emissionen:

  • Der Ausbau der Erneuerbaren Energien geht in einem Rekord-Tempo voran. 2022 wurden 125 Gigawatt an Solar- und Windkapazität gebaut. Die Hälfte der zusätzlichen Stromnachfrage wurde durch neue Erneuerbare-Energien-Kraftwerke gedeckt. “China ist auf dem besten Weg, den gesamten Anstieg der Stromnachfrage ab 2024 aus sauberen Quellen zu decken”, schreibt der Energieexperte Lauri Myllyvirta auf Twitter.
  • Es spielt eine große Rolle, wie lange die neuen Kraftwerke laufen. “Die Laufzeiten dieser neuen Kohlekraftwerke werden ganz entscheidend für das Erreichen der Klimaziele sein. Ich bin zuversichtlich, dass sie deutlich weniger als 40 Jahre laufen werden, auch weil ökonomische Gründe in China eine geringere Rolle spielen als in westlichen Staaten. Und wenn die neuen Kraftwerke nur circa 15 Jahre laufen sollten, sind die Klimaziele noch in Reichweite”, sagt Jan Steckel, Leiter der Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) gegenüber Table.Media.
  • Es könnte an Nachfrage nach Kohlestrom fehlen: Chinas Kohlekraftwerke haben eine geringe Auslastung von im Durchschnitt circa 50 Prozent. 2007 lag die Auslastung noch bei 60 Prozent. In vier der sechs regionalen Stromnetze bestehe eine Überkapazität an Kohlestrom, so Myllyvirta. Die Hälfte der neuen Kohleprojekte ist in Provinzen mit Überkapazitäten angesiedelt. Doch Kohle-Experte Jan Steckel vom MCC Berlin ist weniger optimistisch: “Die Auslastung wird in den kommenden Jahren kaum weiter sinken. Und die derzeitige Auslastung ist nicht gering genug, um einen wirklichen Klimanutzen zu haben”.
  • In China gibt es ein anderes ökonomisches Denken im Energiesektor als in westlichen Staaten: Viele Neubauten werden von den Provinzen als Konjunkturprogramm genutzt, um die Wirtschaft nach den schlechten Corona-Jahren wieder anzukurbeln. Zentral- und Provinzregierungen sichern die Finanzierung der Kraftwerke ab, obwohl 40 bis 50 Prozent der Kraftwerke Verluste erwirtschaften. Es gibt also keine finanziellen Anreize, die Kraftwerke jahrelang am Laufen zu halten, sobald Wind- und Solarenergie einen noch größeren Teil des Strombedarfs decken können. Laut Myllyvirta besteht auch die Möglichkeit, dass die “Versorgungsunternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten und die Neubauten nicht fertigstellen”.
  • Hochrangige politische Ziele haben in China eine andere Bedeutung als Wahlkampfversprechen im Westen. China hat sich auf höchster Ebene zu nationalen Klimazielen verpflichtet. Werden sie nicht erreicht, wäre das ein massiver Ansehensverlust für die Kommunistische Partei.

Bauboom mit Klimarisiken

Trotzdem ist der Bauboom nicht ohne Klimarisiken. Über 100 neue Kohlekraftwerke “machen die Erreichung der Klimaziele komplizierter und kostenintensiver”, so das Fazit der GEM-CREA-Studie. Die Kohleindustrie verfügt über großen politischen Einfluss. Sie versorgt zig Millionen Menschen direkt oder über die Kohleminen indirekt mit Arbeitsplätzen und gehört in einigen Provinzen zu den größten Steuerzahlern.

Im schlimmsten Fall führt der Bau neuer Kohlekraftwerke dazu, sie auch auszulasten und den Ausbau der Erneuerbaren zu verlangsamen, so die Studienautoren. Das könnte zu einem starken Anstieg von Chinas CO₂-Emissionen führen. Der politische Spielraum dafür ist teils vorhanden. Zwar hat Xi Jinping versprochen, die Kohlenutzung herunterzufahren und 2030 den Höchststand bei den CO₂-Emissionen zu erreichen. Allerdings wurde nicht definiert, welchen absoluten Level die CO₂-Emissionen erreichen dürfen. Gleichzeitig ist sich die Führung auch bewusst, dass die langfristigen Klimaziele umso schwerer zu erreichen sind, wenn die Emissionen noch bis zum Jahr 2030 stark wachsen.

Warum baut China so viele Kraftwerke?

Die neuen Kohlekraftwerke dienen indessen nicht nur als Konjunkturprogramm, um schnelles Wachstum zu erreichen und die darbende Bauindustrie des Landes zu unterstützen. Auch die Sicherung der Energieversorgung wird als Argument für den Bauboom angeführt:

  • Im Herbst 2021 kam es zu wochenlangen Stromausfällen und -rationierungen. In einigen Provinzen mussten zahlreiche Industrieunternehmen ihre Produktion drosseln. Das soll sich nicht wiederholen und wird von Kohlebefürwortern als Argument genutzt. Allerdings fehlte es damals nicht an Kraftwerkskapazität, sondern die Kohleversorgung war aufgrund hoher Preise und falscher Anreize nicht gesichert.
  • Im Sommer 2022 kam es aufgrund einer Hitzewelle und der hohen Stromnachfrage für Klimaanlagen zu Stromengpässen und -rationierungen. Viele Genehmigungen zum Neubau von Kohlekraftwerken wurden nach dieser Hitzewelle erteilt, so die GEM-CREA-Autoren. Doch “neue Kohlekraftwerke sind eine kostspielige Lösung, um wenige Wochen andauernde Nachfragespitzen zu bedienen”, sagt Mitautor Lauri Myllyvirta.
  • Viele Provinzen bauen neue Kraftwerke, um bei der Stromversorgung nicht in Abhängigkeit von anderen Provinzen zu geraten. Denn ein starres System für den Stromhandel schränkt die Provinzen stark dabei ein, auf aktuelle Krisen angemessen zu reagieren. Langfristige, feste Lieferverträge verpflichten die Energiefirmen dazu, auch bei lokalen Engpässen weiterhin Strom in Nachbarprovinzen zu exportieren. Während der Hitzewelle des Sommers 2022 exportierte beispielsweise Sichuan weiterhin Strom, obwohl die Unternehmen in der Provinz aufgrund der Stromknappheit ihre Produktion drosseln mussten. Seit mehr als zehn Jahren strebt China eine Reform des Energiehandels an, bisher jedoch ohne Erfolg. Auch deswegen setzt China noch immer auf Kohle.
  • China
  • CO2-Emissionen
  • Fossile Brennstoffe
  • Kohlekraft

Bidens Klimaplan im Tauziehen zwischen Washington und Bundesstaaten

Texas setzt auf Öl und Windkraft. Anlagen bei Fort Davis.

In seiner kämpferischen “State of the Union”-Rede vor dem US-Kongress pries Präsident Joe Biden Anfang Februar seinen “Inflation Reduction Act” (IRA) – und versprach, auch die oppositionellen Republikaner würden von dem Geldsegen profitieren. “Und an meine republikanischen Freunde, die gegen den IRA gestimmt haben und mich jetzt bitten, ihre Projekte zu finanzieren”, rief Biden, “keine Sorge! Wir werden diese Projekte finanzieren. Wir sehen uns bei der Grundsteinlegung!”

Denn die Weichen für die Dekarbonisierung der amerikanischen Klima- und Energiepolitik sind gestellt – zumindest vorerst auf nationaler Ebene. Doch während die Umsetzung von Präsident Bidens Klima-Agenda voller Investitionsanreize in diesem Jahr ernsthaft beginnt – ein drei Gesetze umfassendes, milliardenschweres Vorhaben – geht das Tauziehen um den Übergang zu grüner Energie auf der Ebene der Bundesstaaten weiter.

In manchen Bundesstaaten wird gebremst

In den Parlamenten vieler Bundesstaaten werden Vorschläge eingebracht, die fossile Energieträger fördern oder saubere Energien behindern. Eine Schlüsseldebatte sind Investitionen in “Umwelt, Soziales und Unternehmensführung” (ESG). Hier drängen Republikaner vielerorts darauf, staatliche Gelder von Firmen abzuziehen, die auf Investments in fossile Brennstoffe verzichten.

Die meisten dieser Kämpfe spielen sich entlang der rot-blauen Kluft zwischen Republikanern und Demokraten ab. Für die Legislaturperiode 2023 ist das Bild gemischt, der Ausgang ungewiss. Unklar ist auch, wie diese Situation sich auf die US-Treibhausgasemissionen auswirken wird.

“Es gibt ein faszinierendes Wechselspiel zwischen der Energiepolitik des Bundes und der Bundesstaaten”, sagte Daniel Cohan, Experte für Energie- und Klimapolitik an der Rice University in Houston, gegenüber Table.Media. “Mit dem IRA setzt die Bundesregierung nur Zuckerbrot um, keine Peitsche. Das subventioniert jede erdenkliche Form von sauberer Energie. Einige Bundesstaaten nutzen dies, um ihren Zielen für saubere Energie den Weg zu ebnen. Andere versuchen, die Subventionen auszuhebeln und Gas und Kohle zu fördern.”

Texas: Vorreiter bei Fossilen, Erneuerbaren und ESG-Ablehnung

Nirgendwo wird die Bedeutung und die ungewisse Zukunft des Tauziehens der Staaten so deutlich wie in Texas. Der Staat, Nummer Zwei der USA bei Landfläche und Bevölkerung, ist landesweit führend:

  • beim CO2-Ausstoß,
  • der Förderung von Öl- und Gas,
  • und gleichzeitig bei der Windenergie.

Das texanische Parlament und andere Wahlämter im Staat sind seit Jahren unter der Kontrolle der fossilfreundlichen Republikaner. Trotzdem kann die nur alle zwei Jahre zusammentretende Legislative überraschen.

Im Jahr 2021 verabschiedeten die Parlamentarier eines der landesweit ersten Gesetze, das die Anwendung von ESG-Regeln beim Investment einschränkte. Es verbot die Anlage staatlicher Gelder bei Firmen, die fossile Energieunternehmen “boykottieren”. Gleichzeitig lehnten die Gesetzgeber jedoch Vorschläge zur Förderung neuer Gaskraftwerke ab. Ein weiterer Versuch dieser Art wird für dieses Jahr erwartet.

Widersprüchliche Gesetze für und gegen Erneuerbare

In der seit Januar 2023 laufenden Sitzungsperiode wurden mehrere Gesetzesentwürfe eingereicht, die entweder erneuerbare Energien behindern oder sie fördern. Einige Beispiele:

  • einerseits: Vorschläge für neue Grundsteuern, Zulassungsgebühren und Standortbeschränkungen für Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien und ihrer Infrastruktur.
  • andererseits: Ein Gesetzentwurf mit ehrgeizigen Standards für Stromerzeuger, um mehr erneuerbare Energien zu erzeugen.

Am Ende der Gesetzgebungssitzung könnte eine Pattsituation stehen. “Ich denke, dass alle diese Gesetzentwürfe einen schweren Stand haben, sogar die gegen erneuerbare Energien gerichteten”, sagte Colin Leyden, der politische Direktor des Environmental Defense Fund in Texas.

Ein wichtiger Grund dafür sei, dass “viele Republikaner, insbesondere auf dem Land westlich von Austin, unglaubliche wirtschaftliche Vorteile von Wind- und Solarenergie – und jetzt auch von Batterien – in ihren Bezirken gesehen haben.”

Republikaner drängen ESG zurück

Das texanische ESG-Gesetz von 2021 führte dazu, dass die Behörden erklärten, dass zehn Finanzunternehmen und fast 350 Investmentfonds fossile Brennstoffe “boykottieren” und daher keine staatlichen Gelder halten dürfen.

Andere Staaten folgen diesem Vorbild:

  • Im Januar erließ ein Gremium in Florida – zu dem auch der Gouverneur und voraussichtliche republikanische Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis gehört – eine Richtlinie, die vorsieht, dass bei der Anlage staatlicher Gelder nur die Rendite berücksichtigt wird, niemals aber ESG-Standards. DeSantis kündigte außerdem einen Gesetzesvorschlag für weitergehende ESG-Beschränkungen an.
  • Der Finanzminister des Bundesstaates Oklahoma hat erklärt, er wolle eine Liste von Finanzinstitutionen zusammenstellen, mit denen die Behörden des Bundesstaates wegen des ESG-Themas keine Geschäfte machen dürfen.
  • Ein ESG-Desinvestitionsgesetz in Arkansas zielt darauf ab, Investitionen in den Bereichen “Energie, fossile Brennstoffe, Schusswaffen und Munition” zu halten.
  • Und in Texas will eine Gesetzesvorlage Versicherungsunternehmen verbieten, die ESG-Bilanz der Kunden zu berücksichtigen.

In einem landesweiten Überblick sagte die Anwaltskanzlei Morgan Lewis im Februar voraus, dass ESG in diesem Jahr in vielen Bundesstaaten ein “heißes Thema” sein wird. In mindestens 26 Staaten seien dazu bereits Gesetzesentwürfe eingereicht worden.

Demokratische Staaten fördern Erneuerbare

Aber es gibt auch genau die Gegenbewegung: Statt die fossilen Brennstoffe zu stützen, unterstützen andere Staaten Bidens Agenda mit Initiativen für schnellere Emissionssenkungen:

  • Der Gouverneur von Minnesota hat im Februar ein Gesetz unterzeichnet, das bis 2040 eine CO₂-freie Stromversorgung im Staat vorschreibt.
  • Im vergangenen Juni unterzeichnete der Gouverneur von Rhode Island ein Gesetz, das vorschreibt, dass bis 2033 der Strom im Staat entweder erneuerbar erzeugt oder – wenn fossil – rechnerisch durch die gleiche Menge Erneuerbare ausgeglichen werden muss.
  • Der Gouverneur von Massachusetts unterzeichnete im vergangenen August ein Bündel von Maßnahmen, um das Staats-Klimagesetz von 2021 umzusetzen und das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen.

Werden sich in diesem Tauziehen die Staaten, die fossile Brennstoffe bevorzugen, weigern, Gelder aus Bidens umfangreichen Klimagesetzen auszugeben? Wohl nicht. Selbst im benzinbegeisterten Texas sollen mit Bundesmitteln aus dem parteiübergreifenden “Infrastrukturgesetz” 50 neue Ladestationen für Elektroautos gebaut werden. Und in einem Bericht des Guardian heißt es, dass ein “Boom beim Erneuerbaren-Investment in mehreren republikanisch geführten Staaten durch Bidens Klimaagenda beschleunigt wird.” Bill Dawson, Houston

  • Inflation Reduction Act
  • USA

IRA: Großer Schritt Richtung US-Klimaziel

Die US-Regierung nennt das Gesetz die “größte Investition in Energie und Klima in der amerikanischen Geschichte”. Für die Zeitschrift “Economist” ist es ein “epochales politisches Glücksspiel” für die USA und die “ambitionierteste und dirigistischste Industriepolitik seit Jahrzehnten.” Zusammen mit der “Infrastructure Bill” (1,2 Billionen Dollar Investitionen in Straßen, Brücken und Flughäfen) und dem “Chips Act” (280 Milliarden) soll der IRA die US-Wirtschaft modernisieren.

Zuschüsse und Steuererleichterungen – gesetzlich gesichert

Der “Inflation Reduction Act” setzt sich aus “Tax Credits” (Steuererleichterungen) und “Grants” (Zuschüssen) zusammen. Er wurde im August 2022 vom US-Kongress verabschiedet. Die geplanten Ausgaben im Bundeshaushalt sind damit als Haushaltsgesetz festgeschrieben. Der Streit um die Verschuldungsgrenze der US-Regierung (“Debt Ceiling”) könnte zwar die aktuelle Bundesverwaltung lahmlegen – aber nicht die Zusagen aus dem IRA betreffen.

Im Detail sollen die Mittel aus dem IRA über Steuernachlässe vor allem verteilt werden für:

  •  “Saubere Energien“: Produktion und Betrieb von grünem Wasserstoff, Solar, Wind, Batterien, Atomenergie, CO₂-armen Treibstoff
  • Verlängerung der 7.500 Dollar-Kaufprämie für Elektroautos
  • Aufbau von CCS-Infrastruktur und Direct Air Capture
  • Bessere Energieeffizenz und Erneuerbare in privaten Haushalten

Direkte Zuschüsse sieht der IRA zum Beispiel vor für:

  • Hilfsprogramme für die Industrie zur Energieeffizienz
  • Insgesamt etwa 40 Milliarden Dollar für Infrastruktur und Forschung an “sauberen Energien
  • 25 Milliarden für Erneuerbare und Effizienz in ländlichen Gebieten
  • Programme zur CO₂-Speicherung in Wäldern
  • Hilfen zur Luftreinhaltung und erneuerbaren Energien in benachteiligten Regionen
  • Anschaffung von E-Trucks und E-Schulbussen
  • Bessere Planung von Überland-Stromleitungen

Wie viel Geld über die geplanten zehn Jahre fließt und wie genau diese Mittel die CO₂-Emissionen reduzieren, ist kaum genau zu sagen. Anders als beim europäischen Green Deal oder EU-Beihilfen hat das US-System kein Budget, das erschöpft werden kann – wie viel Geld über Steuererleichterungen fließt, kommt auf die Nachfrage an. Die geschätzten 369 Milliarden Dollar des IRA sind daher nur eine Prognose. Es könnten auch deutlich mehr oder weniger Mittel sein.

Der IRA soll in 2030 eine Milliarde Tonnen CO₂ sparen

Deshalb lässt sich auch der Effekt auf die Klimaziele nur annähernd berechnen. Kalkulationen gehen davon aus, dass der IRA dazu führen wird, dass die US-Emissionen bis 2030 je nach Entwicklung der Wirtschaft um 32 bis 42 Prozent gegenüber 2005 sinken werden. Ohne den IRA wäre das nur ein Minus von 24 bis 35 Prozent geworden. Der IRA bringt also eine deutliche Verbesserung, ist aber immer noch nicht ausreichend für das erklärte Ziel der USA, bis 2030 die minus 50 Prozent zu erreichen.

Nach einer Studie des REPEAT-Projekts verringert der IRA die Emissionen bis 2030 um etwa eine Milliarde Tonnen CO₂-Äquivalent. Zum angepeilten Klimaziel fehlen damit noch etwa 500 Millionen Tonnen. Sie sollen durch Programme der US-Bundesstaaten und von Landkreisen und Städten erbracht werden, ist die Expertin des World Resources Institute (WRI), Christina DeConcini, optimistisch. “Das ist ein extrem starkes Gesetz. Die Steuererleichterungen werden noch mehr Dynamik anreizen. Unsere Erwartungen sind immer geringer als das, was wir tatsächlich tun.”

Die Rechnung ist auch deshalb unscharf, weil es in den USA keine feste Emissionsobergrenze gibt. Anders als in der EU, wo der Emissionshandel den CO₂-Ausstoß von Industrie und Stromherstellung deckelt und demnächst auch Haushalte und Gebäude abdecken soll, setzt die US-Politik vor allem auf technischen Fortschritt und Investitionen.

Emissionssenkung bei Strom, CO₂-Speichern, Industrie, Verkehr

Eine direkte CO₂-Regulierung der Kraftwerke (“Clean Power Act”, “Affordable Clean Energy Rule“) ist in den USA seit Jahren politisch heftig umkämpft. Sie wird nicht über Steuern, sondern direkt über Vorgaben zur Luftreinhaltung durch die Umweltbehörde EPA reguliert. Eine neue Vorschrift dazu wird im Frühjahr erwartet.

Im Einzelnen sollen die Investitionen des IRA vor allem Emissionen senken:

  • bei weitem am stärksten in der Stromerzeugung
  • durch mehr Kohlenstoffspeicherung über CCS und DAC
  • in der Industrie
  • im Verkehr

Entscheidend für die Senkung der Treibhausgase durch den IRA ist offenbar ein Detail der Regelungen: Der schnelle Ausbau der zwischenstaatlichen Stromleitungen. Bisher erstrecken sich die Kompetenzen der Regulierungsbehörde FERC (Federal Energy Regulatory Commission) nicht auf das nationale Stromnetz. Ohne einen raschen Ausbau der Leitungen würden von den avisierten eine Milliarde Tonnen CO₂-Einsparungen im Jahr 2030 nur eine Reduktion von 200 Millionen Tonnen verbleiben, warnt eine Studie.

  • Inflation Reduction Act
  • USA

Termine

02. März, 11.30 Uhr, Berlin
Netzwerkkonferenz Kleinstädte im Klimawandel
Das Netzwerk “Kleinstädte im Klimawandel” an der Freien Universität Berlin veranstaltet diese Konferenz in Kooperation mit der Kleinstadtakademie. Es geht um Austausch und praxisnahe Diskussion zur Klimaanpassung in Kleinstädten.  Infos

02. März, 16 Uhr, Online
Seminar Systems Change for People and Planet: What You Need to Know
Auf dem Webinar des World Resources Institute wird vorgestellt, welche transformativen Veränderungen notwendig sind, um dem Klimawandel zu begegnen. Auf dem Event wird erklärt, welche Systemelemente für Klimawandel und Biodiversität wichtig sind und wie sie so angepasst werden können, dass die Folgen dieser Krisen abgeschwächt werden. Infos

03. März, verschiedene Orte
Demonstration Globaler Klimastreik
Am 3. März findet der nächste globale Klimastreik von Fridays for Future statt. In vielen Städten werden dazu Aktionen organisiert. Infos

03. März, Weltweit
Welttag des Artenschutzes
Vor 50 Jahren wurde das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES unterzeichnet. Es regelt den Handel mit wildlebenden Tieren und Pflanzen.

06. März, Online
Webinar Was uns die Folgen des Klimawandels kosten
Die Folgen des Klimawandels sind in Deutschland angekommen. Ein Vorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz hat die gesamtwirtschaftlichen Schadens- und Anpassungskosten erforscht und aufgezeigt, welche Kostendimensionen bislang noch nicht bewertet werden können. Auf dieser Veranstaltung wird über die Ergebnisse diskutiert.  Infos

08. März, 19.30 Uhr, Online
Webinar Women as Key Players in the Decentralised Renewable Energy Sector: Beneficiaries, Leaders, Innovators
Auf der Veranstaltung der International Renewable Energy Agency (IRENA) geht es um die Rolle von Frauen im Erneuerbaren-Sektor. Obwohl Frauen eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielen, stehen sie oft noch vor geschlechtsspezifischen Herausforderungen. Wie können diese abgebaut werden? Infos

09. März, 11 Uhr, Online
Webinar Key findings of the EEA report – Advancing towards climate resilience in Europe
Das Webinar stellt die wichtigsten Punkte des Berichts “Advancing towards climate resilience in Europe”  der European Environment Agency (EEA) vor.  Infos

09. März, 16 Uhr, Augsburg und Online
Seminar Securing Urban Climate Resilience During the Transformation Towards Carbon Neutral Cities
Die Veranstaltung diskutiert, wie Klimaresilienz und Dekarbonisierung von Städten zusammen gedacht werden können. Stephan Barthel hält einen Vortrag. Er forscht zur urbanen Nachhaltigkeit, mit besonderem Fokus darauf, wie urbane Populationen mit der Natur in Verbindung treten können. Dabei nutzt er Methoden und Theorien aus den Natur- und Sozialwissenschaften sowie den Geisteswissenschaften. Infos

News

Klima in Zahlen: Der zwölfte warme Winter

“Der Klimawandel lässt nicht locker“. Das ist das Fazit des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zum Winter 2022/23, der Ende Februar meteorologisch zu Ende gegangen ist. Denn die angeblich kalte Jahreszeit lag diesmal um 2,7 Grad Celsius über dem Schnitt der Jahre 1961-1990. Zum zwölften Mal in Folge war damit der Winter deutlich wärmer als im Mittel, das für die Klima-Veränderungen als Maßstab dient. Verglichen mit der Periode 1990-2020, in der sich schon die globale Erwärmung zeigt, lag der vergangene Winter immer noch 1,5 Grad über dem Schnitt.

Bei den Temperaturen war Bayern das Land der Extreme: Mit minus 19 Grad im Dezember herrschte hier die Rekordkälte und mit 20 Grad plus zu Silvester auch die Rekordwärme dieses Winters. Im Flachland dagegen fiel der Winter diesmal praktisch aus. Und bundesweit war die Jahreszeit ein wenig zu trocken. bpo

  • Klimawandel

Klimapolitik soll feministisch werden

Die vom Auswärtigen Amt (AA) und Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) vorgelegte feministische Außen- und Entwicklungspolitik soll auch die deutsche Klimapolitik im Ausland verändern. Das geht aus den Dokumenten hervor, die Außenministerin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze am Mittwoch veröffentlichten.

Dabei soll feministische Politik mehr sein als bloße Frauenförderung. Beide Ministerien betonen, dass die Gleichberechtigung aller Menschen das Ziel sei. Dazu gehört auch, Frauen und Angehörige verschiedener gesellschaftlicher Gruppen stärker an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. “Bisher wurden Frauen und Mädchen häufig im Rahmen bestehender Strukturen unterstützt”, teilt das BMZ dazu mit. “Mit der Neuausrichtung der Entwicklungspolitik sollen ungerechte Machtstrukturen verändert werden.”

Die Klimakrise verstärke bestehende Ungleichheiten, heißt es in den AA-Leitlinien. Weltweit seien etwa 80 Prozent der Menschen, die aufgrund von klimabedingten Katastrophen fliehen müssten, Frauen. Sexualisierte Gewalt treffe besonders häufig Frauen, und Frauen seien auch besonders oft von Energiearmut betroffen.

Die deutsche Diplomatie soll nun helfen, dem zu begegnen. Konkrete Beispiele aus den AA-Leitlinien:

  • Deutschland setze sich innerhalb der UNFCCC für die stärkere Berücksichtigung einer gendergerechten Perspektive ein und hat beim UN-Klimasekretariat einen National Gender and Climate Change Focal Point eingerichtet. Solche Focal Points sollen die globale Klimadiplomatie im Rahmen der UN begleiten.
  • In der Strategie zur Klimaaußenpolitik der Bundesregierung sollen “die Belange von Frauen und diversen gesellschaftlichen Gruppen fest verankert” werden.
  • Konkrete Projekte, etwa in der Sahelzone, kämen besonders von der Klimakrise betroffenen Frauen und Kindern zugute.

Das BMZ

  • will die feministische Perspektive ebenfalls stärker in die internationale Zusammenarbeit einbringen, etwa in den Gesprächen innerhalb der UN, der Weltbank und der EU
  • kündigt an, dass 93 Prozent aller neu bewilligten Projektmittel bis 2025 auch die Gleichberechtigung fördern werden. Im Jahr 2021 waren es etwa 64 Prozent
  • will den Anteil der Mittel mit dem “Hauptziel der Gleichberechtigung” auf acht Prozent der Förderung verdoppeln.

Die Festlegung der neuen Förderkriterien des BMZ ist relevant, weil Ministerin Svenja Schulze über einen Etat von mehr als zwölf Milliarden Euro verfügt, deutlich mehr als etwa das Außenministerium. ae/rtr

  • Feminismus
  • Klimapolitik

F-Gase: EU-Umweltausschuss will Verbot bis 2050

Der Umweltausschuss des EU-Parlaments hat am Mittwoch über seine Position zur Verringerung der Emissionen fluorierter Gase abgestimmt. Die Abgeordneten wollen die von der Kommission vorgeschlagenen neuen Anforderungen noch verschärfen und Produkte, die sogenannte F-Gase enthalten, bis 2050 vollständig verbieten. In Sektoren, in denen es technologisch und wirtschaftlich machbar ist, soll es zudem verpflichtend sein, auf Alternativen für F-Gase umzusteigen.

Neben CO₂, Methan und Distickstoffoxid (Lachgas) gehören auch F-Gase zur Gruppe der klimaschädlichen Treibhausgase. Eingesetzt werden F-Gase in Sprays oder als Kältemittel in Kühl- und Gefrierschränken, Klimaanlagen und Wärmepumpen. Den Großteil der F-Gas-Emissionen bilden teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW), doch auch Perfluorkohlenwasserstoffe (PFCs), Schwefelhexafluoride (SF6) und Stickstofftrifluoride (NF3) werden in verschiedenen Industrieprozessen eingesetzt, zum Beispiel zur Isolierung von Übertragungsleitungen im Stromnetz.

In den meisten Fällen seien natürliche Alternativen ohne weiteres verfügbar, betont der für den Gesetzesvorschlag zuständige Berichterstatter Bas Eickhout (Grüne). “Deshalb haben wir für eine ehrgeizige Position gestimmt, um F-Gase bis 2050 und in den meisten Sektoren bereits bis zum Ende dieses Jahrzehnts vollständig abzuschaffen.” Viele europäische Unternehmen stünden bereits an der Spitze dieser Entwicklung und würden aufgrund ihrer Marktposition und ihrer Exportmöglichkeiten davon profitieren, so der niederländische EU-Abgeordnete.

Probleme für Wärmepumpen-Industrie

Dennoch äußern manche Industrien auch Kritik an der Parlamentsposition. “Die Auswirkungen, die dies auf Wärmepumpen hätte, kollidieren mit den Dekarbonisierungszielen der EU, die eine Verdopplung des jährlichen Absatzes von Wärmepumpen vorsehen”, schreibt der Europäische Wärmepumpen-Verband. Bis Anfang 2027 sollen 10 Millionen zusätzliche Geräte verkauft werden.

Zwar habe sich der Wärmepumpensektor verpflichtet, die Umstellung von F-Gasen auf natürliche Kältemittel zu unterstützen, wann immer dies möglich ist. Der beschleunigte Ausstieg berücksichtige jedoch nicht die derzeitigen Produktions- und Installationskapazitäten. “Es besteht die Gefahr, dass die Anzahl der verfügbaren Wärmepumpen in bestimmten Marktsegmenten erheblich eingeschränkt wird und die Verbraucher wieder auf fossile Brennstoffe zurückgreifen”, so der Verband.

Der Bericht soll Ende März dem gesamten Plenum zur Abstimmung vorgelegt werden. Anschließend beginnen die Trilog-Verhandlungen mit EU-Kommission und Rat. luk

  • Dekarbonisierung
  • Industriepolitik
  • Treibhausgase

Studie: Klimakrise verschärft Konflikte zwischen Mensch und Tier

Laut einer neuen Studie führt der Klimawandel zu mehr Konflikten zwischen Menschen und Wildtieren. Durch klimabedingte Wasser- und Nahrungsmittelknappheiten überschneiden sich die Lebensräume von Mensch und Tier an vielen Orten immer stärker: Sowohl Menschen als auch Tiere stoßen in neue Lebensräume vor. Dabei kommt es häufiger zu Todesfällen durch Angriffe von Tieren. Auch Wildtiere werden häufiger getötet.

Der Klimawandel verändere auch das Verhalten von Menschen und Tieren, so die Studie. Die Autoren hatten Konflikte auf sechs Kontinenten und in allen fünf Ozeanen anhand von Studien zum Thema aus den letzten 30 Jahren untersucht. Die Zusammenstöße:

  • gefährden Menschen, die von Subsistenz-Landwirtschaft leben, weil Tiere beispielsweise immer häufiger Ernten vernichten
  • gefährden industrialisierte Ökonomien auf direktem Wege, indem beispielsweise Ernten oder die Fischerei betroffen sind. Zudem gibt es indirekte Folgen, beispielsweise durch ein erhöhtes Risiko von Zoonosen wie dem Corona-Virus.
  • können das Tempo des Artensterbens weiter beschleunigen.

Temperatur- und Niederschlagsveränderungen waren laut Studie die häufigste Ursache für Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren. Sie wurden in vier von fünf untersuchten Studien genannt. nib

  • Umweltschutz

Weltweit inzwischen 100 Klima-Bürgerräte

Weltweit haben sich mittlerweile 100 Bürgerräte gegründet, in denen interessierte Menschen über Klimapolitik beraten oder beraten haben. Das ergibt eine Auflistung des Fachverbands “Mehr Demokratie”. In Klima-Bürgerräten kommen zufällig ausgeloste Menschen zusammen, um Politikerinnen und Politikern Vorschläge für mehr Klimaschutz zu unterbreiten. Dabei lassen sie sich von Fachleuten beraten. Ziel ist es auch, die Bürgerinnen und Bürger direkter an politischen Entscheidungsfindungen zu beteiligen.

Auch im Ampel-Koalitionsvertrag sind Bürgerräte als Mittel für eine “lebendige Demokratie” vorgesehen. Bereits im Jahr 2021 gab es für Deutschland einen durch die Zivilgesellschaft initiierten Bürgerrat-Klima, der in zwölf Sitzungen Empfehlungen entwickelt hat. Für die Politik waren diese aber unverbindlich.

In Deutschland gibt es derzeit 15 Klima-Bürgerräte auf lokaler Ebene und im Land Berlin. In Großbritannien ist das Konzept besonders beliebt. Hier gibt es 36 Bürgerräte auf lokaler Ebene und einen, in Schottland, auf Landesebene. Bürgerräte im Globalen Süden gibt es laut den Bürgerrat.de vorliegenden Informationen bisher lediglich in Brasilien und auf den Malediven. nib

  • Großbritannien

Nord-Stream-Explosionen gefährden Ökosystem

Laut einer neuen Studie haben die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee bei Bornholm am 26.September 2022 gravierende Auswirkungen für das angrenzende Ökosystem. Demnach wurden durch die Explosionen 250.000 Tonnen stark kontaminiertes Sediment aufgewirbelt. Dadurch seien Fische und andere Meereslebewesen stark beeinträchtigt worden. Die Meeresumwelt der Ostsee kämpfe bereits um ihr Überleben, wird Hans Sanderson, einer der Autoren der Studie von Euractiv wiedergegeben. Unter anderem sei eine Substanz in höhere Wasserschichten getragen worden, die die Reproduktionsfähigkeit von Fischen schädigt. Bislang ist immer noch ungeklärt, wer drei von vier Erdgas-Röhren am Grund der Ostsee gesprengt hat.

Der durch die Explosionen der Pipelines verursachte Klimaschaden ist hingegen vergleichsweise überschaubar. Es traten zwar gut 150.000 Tonnen Methan aus, wie Satellitenmessungen nahelegen. Damit war die Zerstörung der drei Gasröhren das größte Methan-“Einzelereignis” im Jahr 2022, wie der Global Methane Tracker der IEA zeigt. Doch im Vergleich zu den Lecks während des normalen Betriebs von Öl-, Kohle- und Erdgas-Anlagen ist das Nord-Stream-Event vernachlässigbar. “Beim normalen Öl- und Gasbetrieb wird weltweit jeden Tag die gleiche Menge Methan freigesetzt wie bei der Explosion” der Nord-Stream-Pipelines, sagte der IEA-Vorsitzende Fatih Birol bei der Vorstellung des Global Methane Trackers am 21. Februar. nib

  • IEA
  • Methan

WWF: Finanzindustrie mit schlechter Klimabilanz

Der WWF fordert für den grünen Umbau im Finanzsystem “mehr Führung durch die Politik”. Vorangegangen war eine methodische Analyse der drei größten freiwilligen Klimaschutz-Initiativen im Finanzsektor:

Im Auftrag des WWF hatte die Nachhaltigkeitsberatung Nextra Consulting die drei Ansätze auf ihre Stärken und Schwächen untersucht. Das Ergebnis: Alle drei Ansätze hätten Schwächen bei den Offenlegungs- und Transparenzanforderungen.

Die AOA hat 74 Mitglieder mit einem Anlagevolumen von 10,6 Billionen US-Dollar:

  • Stärken: Mitglieder müssten Zwischenziele formulieren und veröffentlichen sowie jährlich über Aktivitäten zur Reduzierung der Portfolio-Emissionen berichten; die Zielsetzung erfolge nach wissenschaftsbasierten Kriterien; bis 2025 müssten mindestens 70 Prozent der finanzierten Emissionen durch sektorale Ziele abgedeckt werden.
  • Schwächen: Es gebe keinen Zielzeitpunkt für eine 100-prozentige Portfolioabdeckung, und die Anforderungen an bestehende Investitionen in fossile Energien seien weicher als für neue Investitionen. So sollen Mitglieder lediglich den in den 1,5-Grad-Szenarien geforderten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen unterstützen.

Der Science Based Target Initiative for Financial Institutions (SBTI Finance) gehören 55 Finanzinstitute mit einem verwalteten Vermögen von 113 Billionen US-Dollar an.

  • Stärken: Die Initiative unterstütze die Netto-Null-Transformation im Finanzsektor durch “klare und wissenschaftlich fundierte Definitionen von langfristig, ambitionierten Netto-Null-Zielen”. Die Methodik ermögliche “differenzierte, sektorspezifische Ziele für das Kredit- und Investitionsportfolio zu formulieren”. Eine vollständige Portfolioabdeckung ist bis 2040 vorgesehen. Die Teilnehmer verpflichten sich, ihre Scope-1- und Scope-2-Emissionen in Einklang mit einem 2-Grad-Pfad zu bringen.
  • Schwächen: Bei der Zielsetzung gibt es Unterschiede zwischen den Sektoren: Das 1,5-Grad-Ziel gilt nur für den Stromsektor, für alle anderen das 2-Grad-Ziel. Es fehle ein konkretes Ausstiegsdatum für fossile Energien und gebe nur eine Empfehlung, die finanzielle Unterstützung von Kohle “schnellstmöglich und spätestens bis 2030 zu beenden”. Zur Offenlegung und Transparenz gebe es nur Empfehlungen und keine Anforderungen.

Dem Institutional Investor Group und Climate Change (IIGCC) gehören 110 der 350 IIGCC-Mitglieder an, sie verwalten ein Vermögen von 33 Billionen US-Dollar.

  • Stärken: Eine wissenschaftsbasierte Erstellung von Klimazielen für eine Dekarbonisierung des Portfolios spätestens bis 2050, Empfehlung für eine jährliche Berichterstattung über die erzielten Reduktionen von Emissionen aggregiert über Anlageklassen und Fortschritte bei der Zielerreichung auf Portfolioebene.
  • Schwächen: Nicht-verpflichtende Anforderungen, unklarer Spielraum für die Finanzinstitutionen bei der Umsetzung, kaum konkrete Anforderungen an Maßnahmen auf Sektorebene, ob beispielsweise bei fossilen Energien oder im Bereich Immobilien. cd
  • Finanzen
  • WWF

Presseschau

Kommentar: Wie Ökozid als internationales Verbrechen anerkannt werden könnte Reuters

Reportage: Carbon Capture und Storage (CCS) soll zur Begrenzung des Klimawandels beitragen, ein Besuch in Deutschlands einzigem CO₂-Lager Die Zeit

Recherche: Das Aluminium im Elektro-Pickup von Ford macht tausende Menschen im brasilianischen Amazonas krank Bloomberg

Analyse: Erneuerbare Energieprojekte in den USA erzeugen keinen Strom, weil sie nicht an das veraltete Netz geschaltet werden können New York Times

Reportage: “Phase down” von Kohle in Indien führt zum Ausbau von Kohleminen Washington Post

Analyse: Wie können Darlehen für die Klimakrise aussehen? Economist

Recherche: Wie Kobaltabbau für Big Tech im Kongo zu Kinderarbeit beiträgt The Independent

Visual Story: Ski-Resorts und Klimawandel Bloomberg

Analyse: Wie das Auto in Deutschland zum Feindbild wird Der Spiegel

Standpunkt

Eine Energiewende für ein sichereres, friedlicheres Europa

von Heiko Brendel
Heiko Brendel ist Militärhistoriker und Politikwissenschaftler in Mainz und Tübingen. Diesen Standpunkt hat er gemeinsam mit weiteren Ko-Autorinnen und -Autoren der Scientists for Future verfasst.

Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine droht die Klimakrise und die Gestaltung einer klimagerechten Zukunft aus dem Blick zu geraten. Dabei ist eine konsequente Wende der Europäischen Union (EU) zu einer dezentralen, regenerativen Energieversorgung nicht nur aus Klimaschutzgründen geboten, sondern auch sicherheitspolitisch erforderlich. Eine solche “Zeitenwende” kann einen entscheidenden Beitrag zu einer nachhaltigen und resilienten Sicherheits- und Friedensordnung leisten.

Der Krieg hat die Abhängigkeit der EU vom Import fossiler Rohstoffe aus der “Strategischen Ellipse” mehr als deutlich gemacht: einem Gebiet von der Arabischen Halbinsel bis zur Nordpolarmeerküste, in dem sich zwei Drittel der konventionellen Erdöl- und Erdgasreserven befinden. Mit dieser Abhängigkeit geht ein grundsätzliches Erpressungs- und Bedrohungsrisiko einher. Um es zu mindern, ist es unabdingbar, den Primärenergieverbrauch der EU durch Effizienz und Suffizienz möglichst schnell so weit zu senken, dass der verbleibende Energiebedarf durch möglichst regional erzeugte regenerative Energien gedeckt werden kann. Nur so kann die Abhängigkeit von Energieimporten in einigen Jahren beendet werden.

Geringeres Konfliktpotenzial, höhere Resilienz

Durch ein Ende fossiler Energieimporte würde weniger Geld aus der EU in die Staaten der “Strategischen Ellipse” fließen, wodurch die dort bestehenden Machtverhältnisse unter Druck geraten würden. Die Folgen sind kurzfristig wohl schwer vorhersehbar. Aber auf lange Sicht ist von positiven Effekten auszugehen, denn erneuerbare Energien haben ein geringeres Konfliktpotenzial als fossil-nukleare Energiequellen, da sie meist in ausreichender Menge nahe beim Verbraucher erzeugt werden können und somit keine global ungleichmäßige Verteilung wie bei Erdöl und Erdgas besteht.

Damit verbindet sich die Hoffnung auf friedlichere zwischenstaatliche Beziehungen. Unabhängig davon erhöht die Energiewende die strategische wie taktische Resilienz der EU: Eine auf erneuerbare Energien ausgelegte Infrastruktur kann dezentraler und regionalisierter ausgestaltet werden als die vorhandenen fossil-nuklearen Energieinfrastrukturen. Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke, Gas- und Ölpipelines, LNG-Terminals sowie Lagerstätten für nuklearen Abfall sind viel anfälliger für die kaum kalkulierbaren Gefahren von Naturkatastrophen, Sabotageakten sowie terroristischen und militärischen Angriffe.

Sieben Empfehlungen für die Wende

Im Rahmen dieser energiepolitischen “Zeitenwende” ergeben sich sieben Handlungsfelder:

  1. Den Fokus auf globale soziale Gerechtigkeit legen: Die Energiewende sollte so gestaltet werden, dass innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Spannungen verringert werden. Dafür erscheint es sinnvoll, sie gemeinsam mit den 17 UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung anzugehen. Hierzu ist eine Umverteilung von Wohlstand innerhalb der Nationalstaaten und vom globalen Norden in den globalen Süden nötig.
  2. Die Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe sicherstellen: Zum Aufbau regenerativer Energieinfrastrukturen sind mineralische Rohstoffe nötig, die selten sind oder nur von wenigen Staaten der Erde gefördert werden, etwa von der Volksrepublik China. Das Risiko neuer Abhängigkeiten kann durch heimische Rohstoffgewinnung, Importdiversifizierung und eine regionale Kreislaufwirtschaft minimiert werden.
  3. Eigene Produktionskapazitäten aufbauen: Viele für das klimaverträgliche Energiesystem benötigte Komponenten werden derzeit nicht in der EU produziert, sondern importiert, vor allem aus der Volksrepublik China. Der (Wieder-)Aufbau eigener Produktions- und Forschungskapazitäten ist nötig.
  4. Energieimporte so gering wie möglich halten: Europa erfüllt die Voraussetzungen, sich ohne Energieimporte rein regenerativ mit Energie zu versorgen. Um neue Abhängigkeiten zu vermeiden, sollten zukünftige Importe auf ein sicherheitspolitisch akzeptables Ausmaß reduziert und bevorzugt im Rahmen von friedenssichernder und -fördernder Allianzen gestaltet werden.
  5. Die Resilienz des Energiesystems durch Dezentralisierung und Regionalisierung stärken: Zum Erreichen der sicherheitspolitisch wünschenswerten Resilienz erscheint es sinnvoll, Energie europaweit möglichst nahe am Verbraucher zu erzeugen und zu speichern. Dadurch würden im Krisenfall Insellösungen ermöglicht, die die Resilienz des Energiesystems insgesamt deutlich erhöhen.
  6. Für eine hohe Cybersicherheit sorgen: Für eine effiziente und dezentrale regenerative Energieversorgung werden »intelligente Stromnetze« benötigt. Hohe Cybersicherheitsstandards für alle Blackout-relevanten Akteure sind zwingend, um durch »Smart Grids« geschaffenen Sicherheitsprobleme zu vermeiden. Die Stromversorgung und die Kommunikationsnetze sollten möglichst unabhängig voneinander funktionieren.
  7. Eine breite wirtschaftliche Teilhabe an der Energiewende ermöglichen: Um innergesellschaftliche Spannungen zu verringern, sollten die Infrastrukturen für erneuerbare Energien in möglichst großer Selbstbestimmung und Eigenverantwortung von mittleren und kleinen Wirtschaftsbetrieben und Kommunen errichtet werden. Dieses Prinzip sollte auch im Rahmen entsprechender entwicklungspolitischer Maßnahmen gelten.

Heiko Brendel ist Militärhistoriker und Politikwissenschaftler. Er ist Mitarbeiter der Universität Tübingen und Lehrbeauftragter an der Universität Mainz. Der Text ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung eines Diskussionsbeitrags der Scientists for Future, den er gemeinsam mit weiteren Autorinnen und Autoren verfasst hat:

Brendel, H., Bohn, F.J., Crombach, A., Lukas, S., Scheffran, J., Baumann, F., Elverfeldt, K. von, Finckh-Krämer, U., Hagedorn, G., Hardt, J., Kroll, S., Linow, S., Stelzer, V. (2023). Die Energiewende als Beitrag zur Resilienzstärkung und Friedenssicherung in Europa. doi: 10.5281/zenodo.7657957

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Heads

Johan Rockström – Erklärer und Warner zu “planetaren Grenzen”

Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor an der Universität Potsdam und Stockholm University: Johan Rockström

Johan Rockström glaubt, dass Klimafrustration auch positiv sein kann: Das zögerliche Vorgehen von Politikerinnen und Politikern könne deren Kritiker zu Aktionen führen, sagt er. Ein Beispiel dafür ist für ihn die Fridays for Future-Bewegung, die für den 3. März wieder einmal zum globalen Klimastreik aufgerufen hat.

Von Beginn an ist “Listen to the Science” – hört auf die Wissenschaft – einer der zentralen FFF-Schlachtrufe. Und Rockström ist eine der wichtigsten Stimmen der Klimawissenschaft. Er liefert Analysen und Daten; er hat das Modell zu planetaren Grenzen enwickelt und den Klimawandel und andere Bedrohungen damit fassbar gemacht. Um seine Erkenntnisse in die Welt zu tragen, spricht er mit Schülerinnen und Schülern genauso wie mit CEOs und Ministerinnen.

Rockström ist ein ruhiger Mensch. Und wenn er am Weltwirtschaftsforum in Davos teilnimmt, hat er immer seine Cross-Country Skis dabei. Vor dem Start der zahlreichen Treffen und Veranstaltungen genieße er früh am Morgen die “kleinen ruhigen Momente in der Natur”, sagt er. Auch ihretwegen ist er gerne in dem Ort in der Schweiz.

Der schwedische Wissenschaftler ist seit 2018 einer der beiden Direktoren des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Zuvor gründete er das Stockholm Resilience Center und war Executive Director am Stockholm Environment Institute. Sein wissenschaftliches Portfolio reicht von Land- und Wassermanagement bis hin zu globaler Nachhaltigkeit. Neben seiner Forschung unterrichtet er an der Universität Potsdam und der Universität Stockholm. Obwohl er bereits über 200 wissenschaftliche Berichte und Studien veröffentlicht hat, freut er sich jedes Mal über eine neue Publikation, sagt Rockström. “Ich bin ein Wissenschafts-Nerd und mir macht es Spaß, ein Akademiker zu sein.” Das sei ein wichtiger Antrieb seiner Arbeit.

Großer Klima-Kommunikator

Rockströms zweiter Hauptantrieb erwächst aus seinem Verantwortungsgefühl und dem Gefühl, privilegiert zu sein. Durch seine Expertise spricht er regelmäßig mit Entscheidern aus der ganzen Welt. Vor der COP27 habe er beispielsweise mit John Kerry, dem Sondergesandten des US-Präsidenten für das Klima telefoniert.

Rockström ist ein großer Kommunikator. Auf den Klimakonferenzen hält er zahlreiche Vorträge, es gibt drei Ted-Talks von ihm. Auch auf Netflix ist Rockström zu finden. In der Dokumentation “Breaking Boundaries” gibt er neben dem Naturfilmer David Attenborough einen Einblick in die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde und zeigt Lösungen auf, im Rahmen der planetaren Grenzen zu verbleiben. Der Dreh der Dokumentation sei eine positive, aber auch sehr herausfordernde Erfahrung gewesen, erzählt der Wissenschaftler. Um einen Satz im Film zu zeigen, seien bis zu 40 Takes aufgenommen worden. Das gesamte Werk aus dem Jahr 2021 habe er sich erst vor kurzem bei einem Event in Berlin angesehen. “Ich mag es nicht, mich auf dem Bildschirm zu sehen. Ich denke, das ist normal.”

Kipppunkte sorgen Rockström

Laut dem 57-Jährigen ist es eine wichtige Aufgabe von Politikern, die Klimakrise endlich ernst zu nehmen. Dabei müsse auch kommuniziert werden, dass es viele Werkzeuge gibt, um die Klima-Herausforderungen zu bewältigen. Auch Rockström selbst sagt von sich, dass er oft frustriert sei. Vor allem, weil die Forschungen von ihm und seinem Team zeigten, dass die Welt immer näher an sogenannte Kipppunkte komme. Diese Kipppunkte markieren Zustände in der Natur und im Klima, bei deren Überschreitung irreversibler Schaden entsteht. Er sei auch eher ein ungeduldiger Typ. “Ich bleibe nicht passiv sitzen, ich möchte die Dinge angehen und Lösungen finden.” Auch das ist etwas, was ihn antreibt. Kim Fischer

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Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    an diesem Freitag rufen die “Fridays for Future” wieder zum Globalen Klimastreik – und sie haben in Deutschland dieses Mal wichtige Verbündete neben sich auf der Straße. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di legt in sechs Bundesländern ihren Warnstreik auf diesen Termin. So wollen Klimaschützer und Gewerkschaft für die Verkehrswende protestieren. Denn der Verkehr ist bisher ein Komplettausfall beim Klimaschutz. Da wird jeder Klimastreik zum Warnstreik.

    Dass dabei möglichst großer Druck auf die Ampelregierung und ihre Fraktionen entsteht, wünscht sich Kathrin Henneberger bei uns im Interview. Die junge Klimaaktivistin sitzt seit Oktober 2021 für die Grünen im Bundestag und dort zwischen den Stühlen. Gegen den Frust und für mehr Klimaschutz zählt sie auf den Widerstand gegen die Regierung, die sie selbst stützt.

    Was man dabei schnell vergisst: Protest kann viel erreichen. Auch das gigantische Investitionsprogramm in den USA (IRA) hat US-Präsident Joe Biden unter anderem angestoßen, weil es die junge Generation im Wahlkampf massiv eingefordert hat. Wir schauen auf die Widerstände, die sich jetzt in den USA auftun – und auf den Klimaeffekt der knapp 400 Milliarden schweren Finanzspritze. Wir stellen Johan Rockström vor, den Chef des Klima-Forschungsinstituts PIK, auf dessen Daten und Analysen sich die “Fridays” häufig berufen. Und wir lassen Wissenschaftler aus dem Umfeld der “Fridays” zu Wort kommen, die auch eine “energiepolitische Zeitenwende” fordern. Sie wollen die Welt in der aktuellen Kriegsdiskussion mit Erneuerbaren sicherer machen.

    Dazu kommen wie immer eine Menge wichtiger Meldungen aus der weiten Welt der Klimapolitik. Schließlich: Wenn Ihnen der Climate.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.

    Behalten Sie einen langen Atem!

    Ihr
    Bernhard Pötter
    Bild von Bernhard  Pötter

    Analyse

    “Auch die Grünen sind gewarnt: Die Bewegung meint es ernst”

    Kathrin Henneberger MdB, Buendnis 90/Die Gruenen Bundestagsfraktion

    Frau Henneberger, Bundestagsabgeordnete haben kein Streikrecht. Sind Sie trotzdem am Freitag auf der Straße?

    Ja, es ist Sitzungswoche und ich werde versuchen, bei der Demo dabei zu sein. Ich hoffe, der parlamentarische Betrieb lässt das zu.

    Was hat sich für Sie als Klima-Aktivistin verändert, seit Sie im Bundestag sind?

    Ich gehe natürlich weiterhin zu Demos. In meinem Zuhause dem rheinischen Braunkohlerevier ist das mehr wie eine Sprechstunde für Bürgerinnen und Bürger, da kennen mich die Menschen und sprechen mich an. Wenn aber Aktionen des zivilen Ungehorsams oder eine Räumung wie in Lützerath anstehen, dann bin ich als parlamentarische Beobachterin vor Ort, um die Rechte der Aktivistinnen und Aktivisten zu sichern.

    Sind Sie eine Aktivistin, die im Bundestag sitzt oder eine Abgeordnete, die auf die Straße geht?

    Darüber habe ich in den letzten eineinhalb Jahren auch viel nachgedacht. Anfangs habe ich mich sehr unter Druck gesetzt, jetzt eine Bundestagsabgeordnete zu sein. Aber ich habe mich entschieden: Ich bin Klimaaktivistin, die im Bundestag sitzt und von dort agieren will. Es tut mir nicht gut, mich in erster Linie als MdB zu definieren, wenn ich also in Sprache, Kleidung und Haltung anders sein soll als ich wirklich bin.

    “Ich mache keine Lobbyarbeit, im Gegenteil”

    Als Abgeordnete sind Sie dem gesamten deutschen Volk verpflichtet. Als Aktivistin nur Ihrer Sache.

    Das ist nicht das Problem. Denn die Entscheidungen im Klimabereich treffe ich ja nicht nur für eine bestimmte Interessengruppe, sondern für das Wohl jedes Einzelnen und der Allgemeinheit. Und ich orientiere mich da an wissenschaftlichen Daten, das ist ganz wichtig. Das ist keine Lobbyarbeit, sondern steht oft genau im Widerspruch zu Lobbyinteressen.

    Um die Fridays for Future ist es ruhig geworden. Wie stark ist die Klimabewegung noch?

    Ich hoffe, dass sie stark ist. Ich bin ja dabei, seit ich mit 13 Jahren bei der Greenpeace- Jugendarbeitsgemeinschaft begonnen habe. Ich habe die Wellen miterlebt: 2015 entstand “Ende Gelände”, dann 2018 die Fridays for Future. Jetzt gibt es mit der “Letzten Generation” einen neuen Akteur. Die Bewegung bleibt lebendig und kann immer wieder reagieren.

    “Die Fridays sind wichtiger denn je”

    Manche Leute sagen, die Fridays haben ihre historische Rolle erfüllt: das Thema auf die Straße und an die Küchentische zu bringen. Aber jetzt hätten sie sich überlebt.

    Nein, die Fridays haben sich nicht überlebt. Wenn ich als Mitglied einer Regierungsfraktion sehe, wie wenig wir an Klimaschutz in der Realität umsetzen können im Vergleich dazu, was wir umsetzen müssten, dann sind die Fridays wichtiger denn je. Was ich mir wünsche, sind riesige Proteste. Wir Grüne in der Regierung brauchen Millionendemos für Klimaschutz auf der Straße.

    “Protest ist Wind in unseren Segeln”

    Sind die Fridays die Hilfstruppen der Grünen in der Regierung?

    Es gibt auch bei uns in der Partei Debatten, ob jetzt diese und jene Demo hilfreich ist. Ich sage immer: Der Protest ist der Wind in unseren Segeln. Wenn wir wirklich Klimaschutz umsetzen wollen, dann müssen wir unpopuläre Entscheidungen fällen. Und wir müssen uns gegenüber einem Gegner durchsetzen, der massiv von der fossilen Lobby beeinflusst wird oder sogar Teil der Lobby ist. Dafür brauchen wir den Druck auf der Straße. Denn wer treibt uns denn an, wenn wir in Verhandlungen anfangen, mürbe zu werden? Je größer der Protest, der auch uns Grüne antreibt, desto besser.

    Die Fridays sind sehr stark in Deutschland, anderswo weniger. Fehlt ihnen der internationale Aspekt beim globalen Thema Klima?

    Da widerspreche ich. Ich war gerade in Uganda, um die Proteste gegen die Ölpipeline EACOP zu unterstützen. Und viele FFF-Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland unterstützen Freunde aus dem globalen Süden, um etwa zur SBSTA (Anmerkung der Redaktion: die Klima-Halbjahreskonferenz – Subsidiary Body for Scientific and Technological Advice) nach Bonn zu kommen. Wenn die UN-Klimakonferenzen etwas erreicht haben, dann, dass sich die globalen Bewegungen da gut vernetzt haben. In fast jeder Region der Welt finden sich inzwischen FFF-Gruppen, die viel bewegen, weil sie auch in anderen Zusammenhängen involviert sind. Nicht nur in Europa existieren starke Klimabewegungen, sie sind oft nur weniger sichtbar in den europäischen Medien. Im vergangenen Jahr hat man bei den Wahlen in Kolumbien und in Brasilien gesehen, dass der Druck von Bewegungen junger Menschen für Klimagerechtigkeit wirkt. 

    “Jetzt die Rahmenbedingungen schaffen. Was passiert, wenn wir nicht mehr regieren?”

    Was ist in Deutschland die wichtigste Forderung der Klimabewegung an die Politik?

    Wir müssen jetzt die Rahmenbedingungen schaffen, damit Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad kommen kann. Etwa beim Verzicht auf weitere Autobahnen. Wir dürfen nicht die falschen Rahmenbedingungen setzen und damit in sechs oder sieben Jahren noch das fossile System stabilisieren. Es kann ja auch sein, dass wir als Grüne einer nächsten Bundesregierung nicht mehr angehören. Was passiert, wenn wir dann die Weichen nicht gestellt haben?

    Und was ist andersherum die zentrale Forderung der Politik an die Klimabewegung?

    Nicht lockerlassen, selber aktiv werden und sich einmischen: Wenn noch mehr Aktivistinnen und Aktivisten für Klimapolitik in den Parlamenten säßen, wäre viel mehr möglich.

    Wie groß ist seit den Auseinandersetzungen um die Räumung Lützerath der Riss zwischen der Bewegung und den Grünen in der Regierung?

    Es war auf jeden Fall ein Vertrauensverlust. Ich habe als Berichterstatterin im Bundestag eine Entschließung mitverhandelt, in der das Parlament gefordert hat, Lützerath zu erhalten. Das war für mich eine Sternstunde der Demokratie. Auch die MdBs von SPD und FDP, mit denen ich um den Text verhandelte, haben ernst genommen, als ich gesagt habe, der Konflikt um Lützerath wird groß und wird Menschen traumatisieren. Allen war klar: Wir brauchen eine politische Lösung, wir wollen einen zweiten Konflikt wie im Hambacher Wald verhindern. Dann habe ich ein paar Monate später festgestellt, dass eine Entschließung des Deutschen Bundestags nicht viel wert ist, wenn es darum geht, was RWE will und dabei die Rechtslage, die die Klimakrise nicht kennt, auf seiner Seite hat.

    Sie sagen, der Protest sei Wind in den Segeln der Grünen. Aber hat Lützerath die Grünen in der Ampel nicht geschwächt?

    Insgesamt haben die Proteste für Lützerath für eines gesorgt: Auch bei anderen Themen wird jetzt kritischer überprüft, welche Kompromisse wir machen können, wenn Proteste wie bei Lützerath drohen und dabei Menschen verletzt werden. Die Proteste haben Bemühungen für Klimagerechtigkeit – auch von Menschen in der Grünen Partei – damit nicht geschwächt, sondern gestärkt. Auch in der Landesregierung NRW waren manche überrascht, dass die Proteste so stark waren. Aber das hat die Bewegung immer gesagt. Jetzt sind auch die Grünen gewarnt: Wenn die Bewegung ihre roten Linien definiert, dann meint sie das ernst. Nach Lützerath haben viele in der Partei verstanden, dass sie nicht wieder solche ungenügenden Kompromisse schließen können.         

    • Die Grünen
    • Fridays for Future

    Die versteckten Interessen hinter Chinas Kohleboom

    Kohlekraftwerk in Hefei, China

    Es ist ein Bauboom, der für westliche Verhältnisse unvorstellbar ist. China hat 2022 im Durchschnitt jede Woche mit dem Bau eines neuen Kohlekraftwerks begonnen: Der Bau von 50 Gigawatt an neuer Kraftwerkskapazität wurde gestartet. Insgesamt bewilligten die Behörden im letzten Jahr Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 106 Gigawatt, circa 100 große Kohlemeiler. Eine Vervierfachung im Vergleich zum Jahr 2021, wie eine neue Erhebung des Global Energy Monitors (GEM) und des Centres for Research on Energy and Clean Air (CREA) zeigt. Im selben Zeitraum wurden nur 4,1 Gigawatt an Kraftwerkskapazität stillgelegt.

    Der Bauboom klingt wie der Todesstoß für Chinas und die internationalen Klimaziele. Chinas Präsident Xi Jinping hatte eine Abnahme des Kohleverbrauchs für den Zeitraum von 2026 bis 2030 versprochen. Auf den ersten Blick scheint das durch einen massiven Ausbau der Kraftwerkskapazität kaum noch möglich. Doch so einfach ist die Situation nicht. “Der massive Zubau neuer Kohlekraftwerke bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Kohleverbrauch oder die CO₂-Emissionen des Stromsektors in China zunehmen werden“, schreiben die Studienautoren.

    Was bedeutet der Bauboom für die Klimaziele?

    Einige China-spezifische Faktoren sprechen gegen einen starken Anstieg der CO₂-Emissionen:

    • Der Ausbau der Erneuerbaren Energien geht in einem Rekord-Tempo voran. 2022 wurden 125 Gigawatt an Solar- und Windkapazität gebaut. Die Hälfte der zusätzlichen Stromnachfrage wurde durch neue Erneuerbare-Energien-Kraftwerke gedeckt. “China ist auf dem besten Weg, den gesamten Anstieg der Stromnachfrage ab 2024 aus sauberen Quellen zu decken”, schreibt der Energieexperte Lauri Myllyvirta auf Twitter.
    • Es spielt eine große Rolle, wie lange die neuen Kraftwerke laufen. “Die Laufzeiten dieser neuen Kohlekraftwerke werden ganz entscheidend für das Erreichen der Klimaziele sein. Ich bin zuversichtlich, dass sie deutlich weniger als 40 Jahre laufen werden, auch weil ökonomische Gründe in China eine geringere Rolle spielen als in westlichen Staaten. Und wenn die neuen Kraftwerke nur circa 15 Jahre laufen sollten, sind die Klimaziele noch in Reichweite”, sagt Jan Steckel, Leiter der Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) gegenüber Table.Media.
    • Es könnte an Nachfrage nach Kohlestrom fehlen: Chinas Kohlekraftwerke haben eine geringe Auslastung von im Durchschnitt circa 50 Prozent. 2007 lag die Auslastung noch bei 60 Prozent. In vier der sechs regionalen Stromnetze bestehe eine Überkapazität an Kohlestrom, so Myllyvirta. Die Hälfte der neuen Kohleprojekte ist in Provinzen mit Überkapazitäten angesiedelt. Doch Kohle-Experte Jan Steckel vom MCC Berlin ist weniger optimistisch: “Die Auslastung wird in den kommenden Jahren kaum weiter sinken. Und die derzeitige Auslastung ist nicht gering genug, um einen wirklichen Klimanutzen zu haben”.
    • In China gibt es ein anderes ökonomisches Denken im Energiesektor als in westlichen Staaten: Viele Neubauten werden von den Provinzen als Konjunkturprogramm genutzt, um die Wirtschaft nach den schlechten Corona-Jahren wieder anzukurbeln. Zentral- und Provinzregierungen sichern die Finanzierung der Kraftwerke ab, obwohl 40 bis 50 Prozent der Kraftwerke Verluste erwirtschaften. Es gibt also keine finanziellen Anreize, die Kraftwerke jahrelang am Laufen zu halten, sobald Wind- und Solarenergie einen noch größeren Teil des Strombedarfs decken können. Laut Myllyvirta besteht auch die Möglichkeit, dass die “Versorgungsunternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten und die Neubauten nicht fertigstellen”.
    • Hochrangige politische Ziele haben in China eine andere Bedeutung als Wahlkampfversprechen im Westen. China hat sich auf höchster Ebene zu nationalen Klimazielen verpflichtet. Werden sie nicht erreicht, wäre das ein massiver Ansehensverlust für die Kommunistische Partei.

    Bauboom mit Klimarisiken

    Trotzdem ist der Bauboom nicht ohne Klimarisiken. Über 100 neue Kohlekraftwerke “machen die Erreichung der Klimaziele komplizierter und kostenintensiver”, so das Fazit der GEM-CREA-Studie. Die Kohleindustrie verfügt über großen politischen Einfluss. Sie versorgt zig Millionen Menschen direkt oder über die Kohleminen indirekt mit Arbeitsplätzen und gehört in einigen Provinzen zu den größten Steuerzahlern.

    Im schlimmsten Fall führt der Bau neuer Kohlekraftwerke dazu, sie auch auszulasten und den Ausbau der Erneuerbaren zu verlangsamen, so die Studienautoren. Das könnte zu einem starken Anstieg von Chinas CO₂-Emissionen führen. Der politische Spielraum dafür ist teils vorhanden. Zwar hat Xi Jinping versprochen, die Kohlenutzung herunterzufahren und 2030 den Höchststand bei den CO₂-Emissionen zu erreichen. Allerdings wurde nicht definiert, welchen absoluten Level die CO₂-Emissionen erreichen dürfen. Gleichzeitig ist sich die Führung auch bewusst, dass die langfristigen Klimaziele umso schwerer zu erreichen sind, wenn die Emissionen noch bis zum Jahr 2030 stark wachsen.

    Warum baut China so viele Kraftwerke?

    Die neuen Kohlekraftwerke dienen indessen nicht nur als Konjunkturprogramm, um schnelles Wachstum zu erreichen und die darbende Bauindustrie des Landes zu unterstützen. Auch die Sicherung der Energieversorgung wird als Argument für den Bauboom angeführt:

    • Im Herbst 2021 kam es zu wochenlangen Stromausfällen und -rationierungen. In einigen Provinzen mussten zahlreiche Industrieunternehmen ihre Produktion drosseln. Das soll sich nicht wiederholen und wird von Kohlebefürwortern als Argument genutzt. Allerdings fehlte es damals nicht an Kraftwerkskapazität, sondern die Kohleversorgung war aufgrund hoher Preise und falscher Anreize nicht gesichert.
    • Im Sommer 2022 kam es aufgrund einer Hitzewelle und der hohen Stromnachfrage für Klimaanlagen zu Stromengpässen und -rationierungen. Viele Genehmigungen zum Neubau von Kohlekraftwerken wurden nach dieser Hitzewelle erteilt, so die GEM-CREA-Autoren. Doch “neue Kohlekraftwerke sind eine kostspielige Lösung, um wenige Wochen andauernde Nachfragespitzen zu bedienen”, sagt Mitautor Lauri Myllyvirta.
    • Viele Provinzen bauen neue Kraftwerke, um bei der Stromversorgung nicht in Abhängigkeit von anderen Provinzen zu geraten. Denn ein starres System für den Stromhandel schränkt die Provinzen stark dabei ein, auf aktuelle Krisen angemessen zu reagieren. Langfristige, feste Lieferverträge verpflichten die Energiefirmen dazu, auch bei lokalen Engpässen weiterhin Strom in Nachbarprovinzen zu exportieren. Während der Hitzewelle des Sommers 2022 exportierte beispielsweise Sichuan weiterhin Strom, obwohl die Unternehmen in der Provinz aufgrund der Stromknappheit ihre Produktion drosseln mussten. Seit mehr als zehn Jahren strebt China eine Reform des Energiehandels an, bisher jedoch ohne Erfolg. Auch deswegen setzt China noch immer auf Kohle.
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    Bidens Klimaplan im Tauziehen zwischen Washington und Bundesstaaten

    Texas setzt auf Öl und Windkraft. Anlagen bei Fort Davis.

    In seiner kämpferischen “State of the Union”-Rede vor dem US-Kongress pries Präsident Joe Biden Anfang Februar seinen “Inflation Reduction Act” (IRA) – und versprach, auch die oppositionellen Republikaner würden von dem Geldsegen profitieren. “Und an meine republikanischen Freunde, die gegen den IRA gestimmt haben und mich jetzt bitten, ihre Projekte zu finanzieren”, rief Biden, “keine Sorge! Wir werden diese Projekte finanzieren. Wir sehen uns bei der Grundsteinlegung!”

    Denn die Weichen für die Dekarbonisierung der amerikanischen Klima- und Energiepolitik sind gestellt – zumindest vorerst auf nationaler Ebene. Doch während die Umsetzung von Präsident Bidens Klima-Agenda voller Investitionsanreize in diesem Jahr ernsthaft beginnt – ein drei Gesetze umfassendes, milliardenschweres Vorhaben – geht das Tauziehen um den Übergang zu grüner Energie auf der Ebene der Bundesstaaten weiter.

    In manchen Bundesstaaten wird gebremst

    In den Parlamenten vieler Bundesstaaten werden Vorschläge eingebracht, die fossile Energieträger fördern oder saubere Energien behindern. Eine Schlüsseldebatte sind Investitionen in “Umwelt, Soziales und Unternehmensführung” (ESG). Hier drängen Republikaner vielerorts darauf, staatliche Gelder von Firmen abzuziehen, die auf Investments in fossile Brennstoffe verzichten.

    Die meisten dieser Kämpfe spielen sich entlang der rot-blauen Kluft zwischen Republikanern und Demokraten ab. Für die Legislaturperiode 2023 ist das Bild gemischt, der Ausgang ungewiss. Unklar ist auch, wie diese Situation sich auf die US-Treibhausgasemissionen auswirken wird.

    “Es gibt ein faszinierendes Wechselspiel zwischen der Energiepolitik des Bundes und der Bundesstaaten”, sagte Daniel Cohan, Experte für Energie- und Klimapolitik an der Rice University in Houston, gegenüber Table.Media. “Mit dem IRA setzt die Bundesregierung nur Zuckerbrot um, keine Peitsche. Das subventioniert jede erdenkliche Form von sauberer Energie. Einige Bundesstaaten nutzen dies, um ihren Zielen für saubere Energie den Weg zu ebnen. Andere versuchen, die Subventionen auszuhebeln und Gas und Kohle zu fördern.”

    Texas: Vorreiter bei Fossilen, Erneuerbaren und ESG-Ablehnung

    Nirgendwo wird die Bedeutung und die ungewisse Zukunft des Tauziehens der Staaten so deutlich wie in Texas. Der Staat, Nummer Zwei der USA bei Landfläche und Bevölkerung, ist landesweit führend:

    • beim CO2-Ausstoß,
    • der Förderung von Öl- und Gas,
    • und gleichzeitig bei der Windenergie.

    Das texanische Parlament und andere Wahlämter im Staat sind seit Jahren unter der Kontrolle der fossilfreundlichen Republikaner. Trotzdem kann die nur alle zwei Jahre zusammentretende Legislative überraschen.

    Im Jahr 2021 verabschiedeten die Parlamentarier eines der landesweit ersten Gesetze, das die Anwendung von ESG-Regeln beim Investment einschränkte. Es verbot die Anlage staatlicher Gelder bei Firmen, die fossile Energieunternehmen “boykottieren”. Gleichzeitig lehnten die Gesetzgeber jedoch Vorschläge zur Förderung neuer Gaskraftwerke ab. Ein weiterer Versuch dieser Art wird für dieses Jahr erwartet.

    Widersprüchliche Gesetze für und gegen Erneuerbare

    In der seit Januar 2023 laufenden Sitzungsperiode wurden mehrere Gesetzesentwürfe eingereicht, die entweder erneuerbare Energien behindern oder sie fördern. Einige Beispiele:

    • einerseits: Vorschläge für neue Grundsteuern, Zulassungsgebühren und Standortbeschränkungen für Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien und ihrer Infrastruktur.
    • andererseits: Ein Gesetzentwurf mit ehrgeizigen Standards für Stromerzeuger, um mehr erneuerbare Energien zu erzeugen.

    Am Ende der Gesetzgebungssitzung könnte eine Pattsituation stehen. “Ich denke, dass alle diese Gesetzentwürfe einen schweren Stand haben, sogar die gegen erneuerbare Energien gerichteten”, sagte Colin Leyden, der politische Direktor des Environmental Defense Fund in Texas.

    Ein wichtiger Grund dafür sei, dass “viele Republikaner, insbesondere auf dem Land westlich von Austin, unglaubliche wirtschaftliche Vorteile von Wind- und Solarenergie – und jetzt auch von Batterien – in ihren Bezirken gesehen haben.”

    Republikaner drängen ESG zurück

    Das texanische ESG-Gesetz von 2021 führte dazu, dass die Behörden erklärten, dass zehn Finanzunternehmen und fast 350 Investmentfonds fossile Brennstoffe “boykottieren” und daher keine staatlichen Gelder halten dürfen.

    Andere Staaten folgen diesem Vorbild:

    • Im Januar erließ ein Gremium in Florida – zu dem auch der Gouverneur und voraussichtliche republikanische Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis gehört – eine Richtlinie, die vorsieht, dass bei der Anlage staatlicher Gelder nur die Rendite berücksichtigt wird, niemals aber ESG-Standards. DeSantis kündigte außerdem einen Gesetzesvorschlag für weitergehende ESG-Beschränkungen an.
    • Der Finanzminister des Bundesstaates Oklahoma hat erklärt, er wolle eine Liste von Finanzinstitutionen zusammenstellen, mit denen die Behörden des Bundesstaates wegen des ESG-Themas keine Geschäfte machen dürfen.
    • Ein ESG-Desinvestitionsgesetz in Arkansas zielt darauf ab, Investitionen in den Bereichen “Energie, fossile Brennstoffe, Schusswaffen und Munition” zu halten.
    • Und in Texas will eine Gesetzesvorlage Versicherungsunternehmen verbieten, die ESG-Bilanz der Kunden zu berücksichtigen.

    In einem landesweiten Überblick sagte die Anwaltskanzlei Morgan Lewis im Februar voraus, dass ESG in diesem Jahr in vielen Bundesstaaten ein “heißes Thema” sein wird. In mindestens 26 Staaten seien dazu bereits Gesetzesentwürfe eingereicht worden.

    Demokratische Staaten fördern Erneuerbare

    Aber es gibt auch genau die Gegenbewegung: Statt die fossilen Brennstoffe zu stützen, unterstützen andere Staaten Bidens Agenda mit Initiativen für schnellere Emissionssenkungen:

    • Der Gouverneur von Minnesota hat im Februar ein Gesetz unterzeichnet, das bis 2040 eine CO₂-freie Stromversorgung im Staat vorschreibt.
    • Im vergangenen Juni unterzeichnete der Gouverneur von Rhode Island ein Gesetz, das vorschreibt, dass bis 2033 der Strom im Staat entweder erneuerbar erzeugt oder – wenn fossil – rechnerisch durch die gleiche Menge Erneuerbare ausgeglichen werden muss.
    • Der Gouverneur von Massachusetts unterzeichnete im vergangenen August ein Bündel von Maßnahmen, um das Staats-Klimagesetz von 2021 umzusetzen und das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen.

    Werden sich in diesem Tauziehen die Staaten, die fossile Brennstoffe bevorzugen, weigern, Gelder aus Bidens umfangreichen Klimagesetzen auszugeben? Wohl nicht. Selbst im benzinbegeisterten Texas sollen mit Bundesmitteln aus dem parteiübergreifenden “Infrastrukturgesetz” 50 neue Ladestationen für Elektroautos gebaut werden. Und in einem Bericht des Guardian heißt es, dass ein “Boom beim Erneuerbaren-Investment in mehreren republikanisch geführten Staaten durch Bidens Klimaagenda beschleunigt wird.” Bill Dawson, Houston

    • Inflation Reduction Act
    • USA

    IRA: Großer Schritt Richtung US-Klimaziel

    Die US-Regierung nennt das Gesetz die “größte Investition in Energie und Klima in der amerikanischen Geschichte”. Für die Zeitschrift “Economist” ist es ein “epochales politisches Glücksspiel” für die USA und die “ambitionierteste und dirigistischste Industriepolitik seit Jahrzehnten.” Zusammen mit der “Infrastructure Bill” (1,2 Billionen Dollar Investitionen in Straßen, Brücken und Flughäfen) und dem “Chips Act” (280 Milliarden) soll der IRA die US-Wirtschaft modernisieren.

    Zuschüsse und Steuererleichterungen – gesetzlich gesichert

    Der “Inflation Reduction Act” setzt sich aus “Tax Credits” (Steuererleichterungen) und “Grants” (Zuschüssen) zusammen. Er wurde im August 2022 vom US-Kongress verabschiedet. Die geplanten Ausgaben im Bundeshaushalt sind damit als Haushaltsgesetz festgeschrieben. Der Streit um die Verschuldungsgrenze der US-Regierung (“Debt Ceiling”) könnte zwar die aktuelle Bundesverwaltung lahmlegen – aber nicht die Zusagen aus dem IRA betreffen.

    Im Detail sollen die Mittel aus dem IRA über Steuernachlässe vor allem verteilt werden für:

    •  “Saubere Energien“: Produktion und Betrieb von grünem Wasserstoff, Solar, Wind, Batterien, Atomenergie, CO₂-armen Treibstoff
    • Verlängerung der 7.500 Dollar-Kaufprämie für Elektroautos
    • Aufbau von CCS-Infrastruktur und Direct Air Capture
    • Bessere Energieeffizenz und Erneuerbare in privaten Haushalten

    Direkte Zuschüsse sieht der IRA zum Beispiel vor für:

    • Hilfsprogramme für die Industrie zur Energieeffizienz
    • Insgesamt etwa 40 Milliarden Dollar für Infrastruktur und Forschung an “sauberen Energien
    • 25 Milliarden für Erneuerbare und Effizienz in ländlichen Gebieten
    • Programme zur CO₂-Speicherung in Wäldern
    • Hilfen zur Luftreinhaltung und erneuerbaren Energien in benachteiligten Regionen
    • Anschaffung von E-Trucks und E-Schulbussen
    • Bessere Planung von Überland-Stromleitungen

    Wie viel Geld über die geplanten zehn Jahre fließt und wie genau diese Mittel die CO₂-Emissionen reduzieren, ist kaum genau zu sagen. Anders als beim europäischen Green Deal oder EU-Beihilfen hat das US-System kein Budget, das erschöpft werden kann – wie viel Geld über Steuererleichterungen fließt, kommt auf die Nachfrage an. Die geschätzten 369 Milliarden Dollar des IRA sind daher nur eine Prognose. Es könnten auch deutlich mehr oder weniger Mittel sein.

    Der IRA soll in 2030 eine Milliarde Tonnen CO₂ sparen

    Deshalb lässt sich auch der Effekt auf die Klimaziele nur annähernd berechnen. Kalkulationen gehen davon aus, dass der IRA dazu führen wird, dass die US-Emissionen bis 2030 je nach Entwicklung der Wirtschaft um 32 bis 42 Prozent gegenüber 2005 sinken werden. Ohne den IRA wäre das nur ein Minus von 24 bis 35 Prozent geworden. Der IRA bringt also eine deutliche Verbesserung, ist aber immer noch nicht ausreichend für das erklärte Ziel der USA, bis 2030 die minus 50 Prozent zu erreichen.

    Nach einer Studie des REPEAT-Projekts verringert der IRA die Emissionen bis 2030 um etwa eine Milliarde Tonnen CO₂-Äquivalent. Zum angepeilten Klimaziel fehlen damit noch etwa 500 Millionen Tonnen. Sie sollen durch Programme der US-Bundesstaaten und von Landkreisen und Städten erbracht werden, ist die Expertin des World Resources Institute (WRI), Christina DeConcini, optimistisch. “Das ist ein extrem starkes Gesetz. Die Steuererleichterungen werden noch mehr Dynamik anreizen. Unsere Erwartungen sind immer geringer als das, was wir tatsächlich tun.”

    Die Rechnung ist auch deshalb unscharf, weil es in den USA keine feste Emissionsobergrenze gibt. Anders als in der EU, wo der Emissionshandel den CO₂-Ausstoß von Industrie und Stromherstellung deckelt und demnächst auch Haushalte und Gebäude abdecken soll, setzt die US-Politik vor allem auf technischen Fortschritt und Investitionen.

    Emissionssenkung bei Strom, CO₂-Speichern, Industrie, Verkehr

    Eine direkte CO₂-Regulierung der Kraftwerke (“Clean Power Act”, “Affordable Clean Energy Rule“) ist in den USA seit Jahren politisch heftig umkämpft. Sie wird nicht über Steuern, sondern direkt über Vorgaben zur Luftreinhaltung durch die Umweltbehörde EPA reguliert. Eine neue Vorschrift dazu wird im Frühjahr erwartet.

    Im Einzelnen sollen die Investitionen des IRA vor allem Emissionen senken:

    • bei weitem am stärksten in der Stromerzeugung
    • durch mehr Kohlenstoffspeicherung über CCS und DAC
    • in der Industrie
    • im Verkehr

    Entscheidend für die Senkung der Treibhausgase durch den IRA ist offenbar ein Detail der Regelungen: Der schnelle Ausbau der zwischenstaatlichen Stromleitungen. Bisher erstrecken sich die Kompetenzen der Regulierungsbehörde FERC (Federal Energy Regulatory Commission) nicht auf das nationale Stromnetz. Ohne einen raschen Ausbau der Leitungen würden von den avisierten eine Milliarde Tonnen CO₂-Einsparungen im Jahr 2030 nur eine Reduktion von 200 Millionen Tonnen verbleiben, warnt eine Studie.

    • Inflation Reduction Act
    • USA

    Termine

    02. März, 11.30 Uhr, Berlin
    Netzwerkkonferenz Kleinstädte im Klimawandel
    Das Netzwerk “Kleinstädte im Klimawandel” an der Freien Universität Berlin veranstaltet diese Konferenz in Kooperation mit der Kleinstadtakademie. Es geht um Austausch und praxisnahe Diskussion zur Klimaanpassung in Kleinstädten.  Infos

    02. März, 16 Uhr, Online
    Seminar Systems Change for People and Planet: What You Need to Know
    Auf dem Webinar des World Resources Institute wird vorgestellt, welche transformativen Veränderungen notwendig sind, um dem Klimawandel zu begegnen. Auf dem Event wird erklärt, welche Systemelemente für Klimawandel und Biodiversität wichtig sind und wie sie so angepasst werden können, dass die Folgen dieser Krisen abgeschwächt werden. Infos

    03. März, verschiedene Orte
    Demonstration Globaler Klimastreik
    Am 3. März findet der nächste globale Klimastreik von Fridays for Future statt. In vielen Städten werden dazu Aktionen organisiert. Infos

    03. März, Weltweit
    Welttag des Artenschutzes
    Vor 50 Jahren wurde das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES unterzeichnet. Es regelt den Handel mit wildlebenden Tieren und Pflanzen.

    06. März, Online
    Webinar Was uns die Folgen des Klimawandels kosten
    Die Folgen des Klimawandels sind in Deutschland angekommen. Ein Vorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz hat die gesamtwirtschaftlichen Schadens- und Anpassungskosten erforscht und aufgezeigt, welche Kostendimensionen bislang noch nicht bewertet werden können. Auf dieser Veranstaltung wird über die Ergebnisse diskutiert.  Infos

    08. März, 19.30 Uhr, Online
    Webinar Women as Key Players in the Decentralised Renewable Energy Sector: Beneficiaries, Leaders, Innovators
    Auf der Veranstaltung der International Renewable Energy Agency (IRENA) geht es um die Rolle von Frauen im Erneuerbaren-Sektor. Obwohl Frauen eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielen, stehen sie oft noch vor geschlechtsspezifischen Herausforderungen. Wie können diese abgebaut werden? Infos

    09. März, 11 Uhr, Online
    Webinar Key findings of the EEA report – Advancing towards climate resilience in Europe
    Das Webinar stellt die wichtigsten Punkte des Berichts “Advancing towards climate resilience in Europe”  der European Environment Agency (EEA) vor.  Infos

    09. März, 16 Uhr, Augsburg und Online
    Seminar Securing Urban Climate Resilience During the Transformation Towards Carbon Neutral Cities
    Die Veranstaltung diskutiert, wie Klimaresilienz und Dekarbonisierung von Städten zusammen gedacht werden können. Stephan Barthel hält einen Vortrag. Er forscht zur urbanen Nachhaltigkeit, mit besonderem Fokus darauf, wie urbane Populationen mit der Natur in Verbindung treten können. Dabei nutzt er Methoden und Theorien aus den Natur- und Sozialwissenschaften sowie den Geisteswissenschaften. Infos

    News

    Klima in Zahlen: Der zwölfte warme Winter

    “Der Klimawandel lässt nicht locker“. Das ist das Fazit des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zum Winter 2022/23, der Ende Februar meteorologisch zu Ende gegangen ist. Denn die angeblich kalte Jahreszeit lag diesmal um 2,7 Grad Celsius über dem Schnitt der Jahre 1961-1990. Zum zwölften Mal in Folge war damit der Winter deutlich wärmer als im Mittel, das für die Klima-Veränderungen als Maßstab dient. Verglichen mit der Periode 1990-2020, in der sich schon die globale Erwärmung zeigt, lag der vergangene Winter immer noch 1,5 Grad über dem Schnitt.

    Bei den Temperaturen war Bayern das Land der Extreme: Mit minus 19 Grad im Dezember herrschte hier die Rekordkälte und mit 20 Grad plus zu Silvester auch die Rekordwärme dieses Winters. Im Flachland dagegen fiel der Winter diesmal praktisch aus. Und bundesweit war die Jahreszeit ein wenig zu trocken. bpo

    • Klimawandel

    Klimapolitik soll feministisch werden

    Die vom Auswärtigen Amt (AA) und Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) vorgelegte feministische Außen- und Entwicklungspolitik soll auch die deutsche Klimapolitik im Ausland verändern. Das geht aus den Dokumenten hervor, die Außenministerin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze am Mittwoch veröffentlichten.

    Dabei soll feministische Politik mehr sein als bloße Frauenförderung. Beide Ministerien betonen, dass die Gleichberechtigung aller Menschen das Ziel sei. Dazu gehört auch, Frauen und Angehörige verschiedener gesellschaftlicher Gruppen stärker an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. “Bisher wurden Frauen und Mädchen häufig im Rahmen bestehender Strukturen unterstützt”, teilt das BMZ dazu mit. “Mit der Neuausrichtung der Entwicklungspolitik sollen ungerechte Machtstrukturen verändert werden.”

    Die Klimakrise verstärke bestehende Ungleichheiten, heißt es in den AA-Leitlinien. Weltweit seien etwa 80 Prozent der Menschen, die aufgrund von klimabedingten Katastrophen fliehen müssten, Frauen. Sexualisierte Gewalt treffe besonders häufig Frauen, und Frauen seien auch besonders oft von Energiearmut betroffen.

    Die deutsche Diplomatie soll nun helfen, dem zu begegnen. Konkrete Beispiele aus den AA-Leitlinien:

    • Deutschland setze sich innerhalb der UNFCCC für die stärkere Berücksichtigung einer gendergerechten Perspektive ein und hat beim UN-Klimasekretariat einen National Gender and Climate Change Focal Point eingerichtet. Solche Focal Points sollen die globale Klimadiplomatie im Rahmen der UN begleiten.
    • In der Strategie zur Klimaaußenpolitik der Bundesregierung sollen “die Belange von Frauen und diversen gesellschaftlichen Gruppen fest verankert” werden.
    • Konkrete Projekte, etwa in der Sahelzone, kämen besonders von der Klimakrise betroffenen Frauen und Kindern zugute.

    Das BMZ

    • will die feministische Perspektive ebenfalls stärker in die internationale Zusammenarbeit einbringen, etwa in den Gesprächen innerhalb der UN, der Weltbank und der EU
    • kündigt an, dass 93 Prozent aller neu bewilligten Projektmittel bis 2025 auch die Gleichberechtigung fördern werden. Im Jahr 2021 waren es etwa 64 Prozent
    • will den Anteil der Mittel mit dem “Hauptziel der Gleichberechtigung” auf acht Prozent der Förderung verdoppeln.

    Die Festlegung der neuen Förderkriterien des BMZ ist relevant, weil Ministerin Svenja Schulze über einen Etat von mehr als zwölf Milliarden Euro verfügt, deutlich mehr als etwa das Außenministerium. ae/rtr

    • Feminismus
    • Klimapolitik

    F-Gase: EU-Umweltausschuss will Verbot bis 2050

    Der Umweltausschuss des EU-Parlaments hat am Mittwoch über seine Position zur Verringerung der Emissionen fluorierter Gase abgestimmt. Die Abgeordneten wollen die von der Kommission vorgeschlagenen neuen Anforderungen noch verschärfen und Produkte, die sogenannte F-Gase enthalten, bis 2050 vollständig verbieten. In Sektoren, in denen es technologisch und wirtschaftlich machbar ist, soll es zudem verpflichtend sein, auf Alternativen für F-Gase umzusteigen.

    Neben CO₂, Methan und Distickstoffoxid (Lachgas) gehören auch F-Gase zur Gruppe der klimaschädlichen Treibhausgase. Eingesetzt werden F-Gase in Sprays oder als Kältemittel in Kühl- und Gefrierschränken, Klimaanlagen und Wärmepumpen. Den Großteil der F-Gas-Emissionen bilden teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW), doch auch Perfluorkohlenwasserstoffe (PFCs), Schwefelhexafluoride (SF6) und Stickstofftrifluoride (NF3) werden in verschiedenen Industrieprozessen eingesetzt, zum Beispiel zur Isolierung von Übertragungsleitungen im Stromnetz.

    In den meisten Fällen seien natürliche Alternativen ohne weiteres verfügbar, betont der für den Gesetzesvorschlag zuständige Berichterstatter Bas Eickhout (Grüne). “Deshalb haben wir für eine ehrgeizige Position gestimmt, um F-Gase bis 2050 und in den meisten Sektoren bereits bis zum Ende dieses Jahrzehnts vollständig abzuschaffen.” Viele europäische Unternehmen stünden bereits an der Spitze dieser Entwicklung und würden aufgrund ihrer Marktposition und ihrer Exportmöglichkeiten davon profitieren, so der niederländische EU-Abgeordnete.

    Probleme für Wärmepumpen-Industrie

    Dennoch äußern manche Industrien auch Kritik an der Parlamentsposition. “Die Auswirkungen, die dies auf Wärmepumpen hätte, kollidieren mit den Dekarbonisierungszielen der EU, die eine Verdopplung des jährlichen Absatzes von Wärmepumpen vorsehen”, schreibt der Europäische Wärmepumpen-Verband. Bis Anfang 2027 sollen 10 Millionen zusätzliche Geräte verkauft werden.

    Zwar habe sich der Wärmepumpensektor verpflichtet, die Umstellung von F-Gasen auf natürliche Kältemittel zu unterstützen, wann immer dies möglich ist. Der beschleunigte Ausstieg berücksichtige jedoch nicht die derzeitigen Produktions- und Installationskapazitäten. “Es besteht die Gefahr, dass die Anzahl der verfügbaren Wärmepumpen in bestimmten Marktsegmenten erheblich eingeschränkt wird und die Verbraucher wieder auf fossile Brennstoffe zurückgreifen”, so der Verband.

    Der Bericht soll Ende März dem gesamten Plenum zur Abstimmung vorgelegt werden. Anschließend beginnen die Trilog-Verhandlungen mit EU-Kommission und Rat. luk

    • Dekarbonisierung
    • Industriepolitik
    • Treibhausgase

    Studie: Klimakrise verschärft Konflikte zwischen Mensch und Tier

    Laut einer neuen Studie führt der Klimawandel zu mehr Konflikten zwischen Menschen und Wildtieren. Durch klimabedingte Wasser- und Nahrungsmittelknappheiten überschneiden sich die Lebensräume von Mensch und Tier an vielen Orten immer stärker: Sowohl Menschen als auch Tiere stoßen in neue Lebensräume vor. Dabei kommt es häufiger zu Todesfällen durch Angriffe von Tieren. Auch Wildtiere werden häufiger getötet.

    Der Klimawandel verändere auch das Verhalten von Menschen und Tieren, so die Studie. Die Autoren hatten Konflikte auf sechs Kontinenten und in allen fünf Ozeanen anhand von Studien zum Thema aus den letzten 30 Jahren untersucht. Die Zusammenstöße:

    • gefährden Menschen, die von Subsistenz-Landwirtschaft leben, weil Tiere beispielsweise immer häufiger Ernten vernichten
    • gefährden industrialisierte Ökonomien auf direktem Wege, indem beispielsweise Ernten oder die Fischerei betroffen sind. Zudem gibt es indirekte Folgen, beispielsweise durch ein erhöhtes Risiko von Zoonosen wie dem Corona-Virus.
    • können das Tempo des Artensterbens weiter beschleunigen.

    Temperatur- und Niederschlagsveränderungen waren laut Studie die häufigste Ursache für Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren. Sie wurden in vier von fünf untersuchten Studien genannt. nib

    • Umweltschutz

    Weltweit inzwischen 100 Klima-Bürgerräte

    Weltweit haben sich mittlerweile 100 Bürgerräte gegründet, in denen interessierte Menschen über Klimapolitik beraten oder beraten haben. Das ergibt eine Auflistung des Fachverbands “Mehr Demokratie”. In Klima-Bürgerräten kommen zufällig ausgeloste Menschen zusammen, um Politikerinnen und Politikern Vorschläge für mehr Klimaschutz zu unterbreiten. Dabei lassen sie sich von Fachleuten beraten. Ziel ist es auch, die Bürgerinnen und Bürger direkter an politischen Entscheidungsfindungen zu beteiligen.

    Auch im Ampel-Koalitionsvertrag sind Bürgerräte als Mittel für eine “lebendige Demokratie” vorgesehen. Bereits im Jahr 2021 gab es für Deutschland einen durch die Zivilgesellschaft initiierten Bürgerrat-Klima, der in zwölf Sitzungen Empfehlungen entwickelt hat. Für die Politik waren diese aber unverbindlich.

    In Deutschland gibt es derzeit 15 Klima-Bürgerräte auf lokaler Ebene und im Land Berlin. In Großbritannien ist das Konzept besonders beliebt. Hier gibt es 36 Bürgerräte auf lokaler Ebene und einen, in Schottland, auf Landesebene. Bürgerräte im Globalen Süden gibt es laut den Bürgerrat.de vorliegenden Informationen bisher lediglich in Brasilien und auf den Malediven. nib

    • Großbritannien

    Nord-Stream-Explosionen gefährden Ökosystem

    Laut einer neuen Studie haben die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee bei Bornholm am 26.September 2022 gravierende Auswirkungen für das angrenzende Ökosystem. Demnach wurden durch die Explosionen 250.000 Tonnen stark kontaminiertes Sediment aufgewirbelt. Dadurch seien Fische und andere Meereslebewesen stark beeinträchtigt worden. Die Meeresumwelt der Ostsee kämpfe bereits um ihr Überleben, wird Hans Sanderson, einer der Autoren der Studie von Euractiv wiedergegeben. Unter anderem sei eine Substanz in höhere Wasserschichten getragen worden, die die Reproduktionsfähigkeit von Fischen schädigt. Bislang ist immer noch ungeklärt, wer drei von vier Erdgas-Röhren am Grund der Ostsee gesprengt hat.

    Der durch die Explosionen der Pipelines verursachte Klimaschaden ist hingegen vergleichsweise überschaubar. Es traten zwar gut 150.000 Tonnen Methan aus, wie Satellitenmessungen nahelegen. Damit war die Zerstörung der drei Gasröhren das größte Methan-“Einzelereignis” im Jahr 2022, wie der Global Methane Tracker der IEA zeigt. Doch im Vergleich zu den Lecks während des normalen Betriebs von Öl-, Kohle- und Erdgas-Anlagen ist das Nord-Stream-Event vernachlässigbar. “Beim normalen Öl- und Gasbetrieb wird weltweit jeden Tag die gleiche Menge Methan freigesetzt wie bei der Explosion” der Nord-Stream-Pipelines, sagte der IEA-Vorsitzende Fatih Birol bei der Vorstellung des Global Methane Trackers am 21. Februar. nib

    • IEA
    • Methan

    WWF: Finanzindustrie mit schlechter Klimabilanz

    Der WWF fordert für den grünen Umbau im Finanzsystem “mehr Führung durch die Politik”. Vorangegangen war eine methodische Analyse der drei größten freiwilligen Klimaschutz-Initiativen im Finanzsektor:

    Im Auftrag des WWF hatte die Nachhaltigkeitsberatung Nextra Consulting die drei Ansätze auf ihre Stärken und Schwächen untersucht. Das Ergebnis: Alle drei Ansätze hätten Schwächen bei den Offenlegungs- und Transparenzanforderungen.

    Die AOA hat 74 Mitglieder mit einem Anlagevolumen von 10,6 Billionen US-Dollar:

    • Stärken: Mitglieder müssten Zwischenziele formulieren und veröffentlichen sowie jährlich über Aktivitäten zur Reduzierung der Portfolio-Emissionen berichten; die Zielsetzung erfolge nach wissenschaftsbasierten Kriterien; bis 2025 müssten mindestens 70 Prozent der finanzierten Emissionen durch sektorale Ziele abgedeckt werden.
    • Schwächen: Es gebe keinen Zielzeitpunkt für eine 100-prozentige Portfolioabdeckung, und die Anforderungen an bestehende Investitionen in fossile Energien seien weicher als für neue Investitionen. So sollen Mitglieder lediglich den in den 1,5-Grad-Szenarien geforderten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen unterstützen.

    Der Science Based Target Initiative for Financial Institutions (SBTI Finance) gehören 55 Finanzinstitute mit einem verwalteten Vermögen von 113 Billionen US-Dollar an.

    • Stärken: Die Initiative unterstütze die Netto-Null-Transformation im Finanzsektor durch “klare und wissenschaftlich fundierte Definitionen von langfristig, ambitionierten Netto-Null-Zielen”. Die Methodik ermögliche “differenzierte, sektorspezifische Ziele für das Kredit- und Investitionsportfolio zu formulieren”. Eine vollständige Portfolioabdeckung ist bis 2040 vorgesehen. Die Teilnehmer verpflichten sich, ihre Scope-1- und Scope-2-Emissionen in Einklang mit einem 2-Grad-Pfad zu bringen.
    • Schwächen: Bei der Zielsetzung gibt es Unterschiede zwischen den Sektoren: Das 1,5-Grad-Ziel gilt nur für den Stromsektor, für alle anderen das 2-Grad-Ziel. Es fehle ein konkretes Ausstiegsdatum für fossile Energien und gebe nur eine Empfehlung, die finanzielle Unterstützung von Kohle “schnellstmöglich und spätestens bis 2030 zu beenden”. Zur Offenlegung und Transparenz gebe es nur Empfehlungen und keine Anforderungen.

    Dem Institutional Investor Group und Climate Change (IIGCC) gehören 110 der 350 IIGCC-Mitglieder an, sie verwalten ein Vermögen von 33 Billionen US-Dollar.

    • Stärken: Eine wissenschaftsbasierte Erstellung von Klimazielen für eine Dekarbonisierung des Portfolios spätestens bis 2050, Empfehlung für eine jährliche Berichterstattung über die erzielten Reduktionen von Emissionen aggregiert über Anlageklassen und Fortschritte bei der Zielerreichung auf Portfolioebene.
    • Schwächen: Nicht-verpflichtende Anforderungen, unklarer Spielraum für die Finanzinstitutionen bei der Umsetzung, kaum konkrete Anforderungen an Maßnahmen auf Sektorebene, ob beispielsweise bei fossilen Energien oder im Bereich Immobilien. cd
    • Finanzen
    • WWF

    Presseschau

    Kommentar: Wie Ökozid als internationales Verbrechen anerkannt werden könnte Reuters

    Reportage: Carbon Capture und Storage (CCS) soll zur Begrenzung des Klimawandels beitragen, ein Besuch in Deutschlands einzigem CO₂-Lager Die Zeit

    Recherche: Das Aluminium im Elektro-Pickup von Ford macht tausende Menschen im brasilianischen Amazonas krank Bloomberg

    Analyse: Erneuerbare Energieprojekte in den USA erzeugen keinen Strom, weil sie nicht an das veraltete Netz geschaltet werden können New York Times

    Reportage: “Phase down” von Kohle in Indien führt zum Ausbau von Kohleminen Washington Post

    Analyse: Wie können Darlehen für die Klimakrise aussehen? Economist

    Recherche: Wie Kobaltabbau für Big Tech im Kongo zu Kinderarbeit beiträgt The Independent

    Visual Story: Ski-Resorts und Klimawandel Bloomberg

    Analyse: Wie das Auto in Deutschland zum Feindbild wird Der Spiegel

    Standpunkt

    Eine Energiewende für ein sichereres, friedlicheres Europa

    von Heiko Brendel
    Heiko Brendel ist Militärhistoriker und Politikwissenschaftler in Mainz und Tübingen. Diesen Standpunkt hat er gemeinsam mit weiteren Ko-Autorinnen und -Autoren der Scientists for Future verfasst.

    Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine droht die Klimakrise und die Gestaltung einer klimagerechten Zukunft aus dem Blick zu geraten. Dabei ist eine konsequente Wende der Europäischen Union (EU) zu einer dezentralen, regenerativen Energieversorgung nicht nur aus Klimaschutzgründen geboten, sondern auch sicherheitspolitisch erforderlich. Eine solche “Zeitenwende” kann einen entscheidenden Beitrag zu einer nachhaltigen und resilienten Sicherheits- und Friedensordnung leisten.

    Der Krieg hat die Abhängigkeit der EU vom Import fossiler Rohstoffe aus der “Strategischen Ellipse” mehr als deutlich gemacht: einem Gebiet von der Arabischen Halbinsel bis zur Nordpolarmeerküste, in dem sich zwei Drittel der konventionellen Erdöl- und Erdgasreserven befinden. Mit dieser Abhängigkeit geht ein grundsätzliches Erpressungs- und Bedrohungsrisiko einher. Um es zu mindern, ist es unabdingbar, den Primärenergieverbrauch der EU durch Effizienz und Suffizienz möglichst schnell so weit zu senken, dass der verbleibende Energiebedarf durch möglichst regional erzeugte regenerative Energien gedeckt werden kann. Nur so kann die Abhängigkeit von Energieimporten in einigen Jahren beendet werden.

    Geringeres Konfliktpotenzial, höhere Resilienz

    Durch ein Ende fossiler Energieimporte würde weniger Geld aus der EU in die Staaten der “Strategischen Ellipse” fließen, wodurch die dort bestehenden Machtverhältnisse unter Druck geraten würden. Die Folgen sind kurzfristig wohl schwer vorhersehbar. Aber auf lange Sicht ist von positiven Effekten auszugehen, denn erneuerbare Energien haben ein geringeres Konfliktpotenzial als fossil-nukleare Energiequellen, da sie meist in ausreichender Menge nahe beim Verbraucher erzeugt werden können und somit keine global ungleichmäßige Verteilung wie bei Erdöl und Erdgas besteht.

    Damit verbindet sich die Hoffnung auf friedlichere zwischenstaatliche Beziehungen. Unabhängig davon erhöht die Energiewende die strategische wie taktische Resilienz der EU: Eine auf erneuerbare Energien ausgelegte Infrastruktur kann dezentraler und regionalisierter ausgestaltet werden als die vorhandenen fossil-nuklearen Energieinfrastrukturen. Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke, Gas- und Ölpipelines, LNG-Terminals sowie Lagerstätten für nuklearen Abfall sind viel anfälliger für die kaum kalkulierbaren Gefahren von Naturkatastrophen, Sabotageakten sowie terroristischen und militärischen Angriffe.

    Sieben Empfehlungen für die Wende

    Im Rahmen dieser energiepolitischen “Zeitenwende” ergeben sich sieben Handlungsfelder:

    1. Den Fokus auf globale soziale Gerechtigkeit legen: Die Energiewende sollte so gestaltet werden, dass innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Spannungen verringert werden. Dafür erscheint es sinnvoll, sie gemeinsam mit den 17 UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung anzugehen. Hierzu ist eine Umverteilung von Wohlstand innerhalb der Nationalstaaten und vom globalen Norden in den globalen Süden nötig.
    2. Die Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe sicherstellen: Zum Aufbau regenerativer Energieinfrastrukturen sind mineralische Rohstoffe nötig, die selten sind oder nur von wenigen Staaten der Erde gefördert werden, etwa von der Volksrepublik China. Das Risiko neuer Abhängigkeiten kann durch heimische Rohstoffgewinnung, Importdiversifizierung und eine regionale Kreislaufwirtschaft minimiert werden.
    3. Eigene Produktionskapazitäten aufbauen: Viele für das klimaverträgliche Energiesystem benötigte Komponenten werden derzeit nicht in der EU produziert, sondern importiert, vor allem aus der Volksrepublik China. Der (Wieder-)Aufbau eigener Produktions- und Forschungskapazitäten ist nötig.
    4. Energieimporte so gering wie möglich halten: Europa erfüllt die Voraussetzungen, sich ohne Energieimporte rein regenerativ mit Energie zu versorgen. Um neue Abhängigkeiten zu vermeiden, sollten zukünftige Importe auf ein sicherheitspolitisch akzeptables Ausmaß reduziert und bevorzugt im Rahmen von friedenssichernder und -fördernder Allianzen gestaltet werden.
    5. Die Resilienz des Energiesystems durch Dezentralisierung und Regionalisierung stärken: Zum Erreichen der sicherheitspolitisch wünschenswerten Resilienz erscheint es sinnvoll, Energie europaweit möglichst nahe am Verbraucher zu erzeugen und zu speichern. Dadurch würden im Krisenfall Insellösungen ermöglicht, die die Resilienz des Energiesystems insgesamt deutlich erhöhen.
    6. Für eine hohe Cybersicherheit sorgen: Für eine effiziente und dezentrale regenerative Energieversorgung werden »intelligente Stromnetze« benötigt. Hohe Cybersicherheitsstandards für alle Blackout-relevanten Akteure sind zwingend, um durch »Smart Grids« geschaffenen Sicherheitsprobleme zu vermeiden. Die Stromversorgung und die Kommunikationsnetze sollten möglichst unabhängig voneinander funktionieren.
    7. Eine breite wirtschaftliche Teilhabe an der Energiewende ermöglichen: Um innergesellschaftliche Spannungen zu verringern, sollten die Infrastrukturen für erneuerbare Energien in möglichst großer Selbstbestimmung und Eigenverantwortung von mittleren und kleinen Wirtschaftsbetrieben und Kommunen errichtet werden. Dieses Prinzip sollte auch im Rahmen entsprechender entwicklungspolitischer Maßnahmen gelten.

    Heiko Brendel ist Militärhistoriker und Politikwissenschaftler. Er ist Mitarbeiter der Universität Tübingen und Lehrbeauftragter an der Universität Mainz. Der Text ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung eines Diskussionsbeitrags der Scientists for Future, den er gemeinsam mit weiteren Autorinnen und Autoren verfasst hat:

    Brendel, H., Bohn, F.J., Crombach, A., Lukas, S., Scheffran, J., Baumann, F., Elverfeldt, K. von, Finckh-Krämer, U., Hagedorn, G., Hardt, J., Kroll, S., Linow, S., Stelzer, V. (2023). Die Energiewende als Beitrag zur Resilienzstärkung und Friedenssicherung in Europa. doi: 10.5281/zenodo.7657957

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    Heads

    Johan Rockström – Erklärer und Warner zu “planetaren Grenzen”

    Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor an der Universität Potsdam und Stockholm University: Johan Rockström

    Johan Rockström glaubt, dass Klimafrustration auch positiv sein kann: Das zögerliche Vorgehen von Politikerinnen und Politikern könne deren Kritiker zu Aktionen führen, sagt er. Ein Beispiel dafür ist für ihn die Fridays for Future-Bewegung, die für den 3. März wieder einmal zum globalen Klimastreik aufgerufen hat.

    Von Beginn an ist “Listen to the Science” – hört auf die Wissenschaft – einer der zentralen FFF-Schlachtrufe. Und Rockström ist eine der wichtigsten Stimmen der Klimawissenschaft. Er liefert Analysen und Daten; er hat das Modell zu planetaren Grenzen enwickelt und den Klimawandel und andere Bedrohungen damit fassbar gemacht. Um seine Erkenntnisse in die Welt zu tragen, spricht er mit Schülerinnen und Schülern genauso wie mit CEOs und Ministerinnen.

    Rockström ist ein ruhiger Mensch. Und wenn er am Weltwirtschaftsforum in Davos teilnimmt, hat er immer seine Cross-Country Skis dabei. Vor dem Start der zahlreichen Treffen und Veranstaltungen genieße er früh am Morgen die “kleinen ruhigen Momente in der Natur”, sagt er. Auch ihretwegen ist er gerne in dem Ort in der Schweiz.

    Der schwedische Wissenschaftler ist seit 2018 einer der beiden Direktoren des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Zuvor gründete er das Stockholm Resilience Center und war Executive Director am Stockholm Environment Institute. Sein wissenschaftliches Portfolio reicht von Land- und Wassermanagement bis hin zu globaler Nachhaltigkeit. Neben seiner Forschung unterrichtet er an der Universität Potsdam und der Universität Stockholm. Obwohl er bereits über 200 wissenschaftliche Berichte und Studien veröffentlicht hat, freut er sich jedes Mal über eine neue Publikation, sagt Rockström. “Ich bin ein Wissenschafts-Nerd und mir macht es Spaß, ein Akademiker zu sein.” Das sei ein wichtiger Antrieb seiner Arbeit.

    Großer Klima-Kommunikator

    Rockströms zweiter Hauptantrieb erwächst aus seinem Verantwortungsgefühl und dem Gefühl, privilegiert zu sein. Durch seine Expertise spricht er regelmäßig mit Entscheidern aus der ganzen Welt. Vor der COP27 habe er beispielsweise mit John Kerry, dem Sondergesandten des US-Präsidenten für das Klima telefoniert.

    Rockström ist ein großer Kommunikator. Auf den Klimakonferenzen hält er zahlreiche Vorträge, es gibt drei Ted-Talks von ihm. Auch auf Netflix ist Rockström zu finden. In der Dokumentation “Breaking Boundaries” gibt er neben dem Naturfilmer David Attenborough einen Einblick in die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde und zeigt Lösungen auf, im Rahmen der planetaren Grenzen zu verbleiben. Der Dreh der Dokumentation sei eine positive, aber auch sehr herausfordernde Erfahrung gewesen, erzählt der Wissenschaftler. Um einen Satz im Film zu zeigen, seien bis zu 40 Takes aufgenommen worden. Das gesamte Werk aus dem Jahr 2021 habe er sich erst vor kurzem bei einem Event in Berlin angesehen. “Ich mag es nicht, mich auf dem Bildschirm zu sehen. Ich denke, das ist normal.”

    Kipppunkte sorgen Rockström

    Laut dem 57-Jährigen ist es eine wichtige Aufgabe von Politikern, die Klimakrise endlich ernst zu nehmen. Dabei müsse auch kommuniziert werden, dass es viele Werkzeuge gibt, um die Klima-Herausforderungen zu bewältigen. Auch Rockström selbst sagt von sich, dass er oft frustriert sei. Vor allem, weil die Forschungen von ihm und seinem Team zeigten, dass die Welt immer näher an sogenannte Kipppunkte komme. Diese Kipppunkte markieren Zustände in der Natur und im Klima, bei deren Überschreitung irreversibler Schaden entsteht. Er sei auch eher ein ungeduldiger Typ. “Ich bleibe nicht passiv sitzen, ich möchte die Dinge angehen und Lösungen finden.” Auch das ist etwas, was ihn antreibt. Kim Fischer

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    Climate.Table Redaktion

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