in einer Woche öffnet die COP28 in Dubai ihre Pforten und die internationalen Klimaverhandlungen steuern auf ihren Jahreshöhepunkt zu. Was wird diese Konferenz bringen? Einen funktionsfähigen Fonds für Loss and Damage? Den Einstieg in den globalen Ausstieg aus den Fossilen? Eine Blockade durch den Krieg in Israel und Gaza?
Wir werden das genau beobachten. Und zwar mit einem umfangreichen Programm: Anfang nächster Woche bringen wir Ihnen eine Extra-Ausgabe zur Vorbereitung auf die COP28. Und dann ab nächstem Donnerstag berichten wir täglich aus Dubai mit einem aktuellen Climate.Table über die Verhandlungen und das Drumherum.
Heute liefern wir Ihnen schon mal viele Informationen für die Vorbereitung: Eine Hintergrundstudie zur neuen Klimadoktrin von Russland, einem der oft vergessenen großen Emittenten und Blockierer; eine exklusive Klima-Halbzeitbilanz der Ampelregierung durch Greenpeace mit einem Blick zur COP; die Warnung davor, dass der Nahost-Krieg die Konferenz nicht dominieren sollte. Und kaum zu glauben, aber wahr: Fünf gut belegte Gründe dafür, dass es in der Klimapolitik Erfolge gibt und man den Mut nicht verlieren sollte.
Wir bleiben für Sie dran!
Eine Woche vor Beginn der COP28 attestiert die Umweltorganisation Greenpeace der Bundesregierung in einer aktuellen Studie in der Klimapolitik eine “enttäuschende erste Koalitionshälfte“, die vor allem von “verfehlten Zielen und Rückschritten” und “Teilerfolgen” geprägt sei. In einer 28-seitigen “Halbzeitbilanz der Ampelkoalition” mit dem Titel “Wenig Fortschritt gewagt” beurteilt die Organisation die Arbeit der wichtigsten Minister im Klimabereich nach einem rot-gelb-grünen Ampelsystem. Die Studie liegt Table.Media exklusiv vor.
Bei der Bewertung räumt Greenpeace ein, dass die Regierung “unerwartet gut” gestartet sei. Und “wohl keine Regierung der vergangenen Jahrzehnte sah sich bei ihrem Start größeren Herausforderungen ausgesetzt”, wie das durch den Ukrainekrieg, Pandemiefolgen, Inflation und Energieknappheit der Fall war. Doch dass der Koalitionsvertrag nur begrenzt umgesetzt werde, sei auch “Folge kompromissloser Parteipolitik, öffentlichen Streits, mangelnder Führung und handwerklicher Schwächen“, heißt es.
In der Regierungsarbeit sieht Greenpeace Licht und Schatten: “Die Ausbauziele für erneuerbare Energien wurden drastisch angehoben, viele Hindernisse aus dem Weg geräumt”, lobt das Konzept. “Zugleich aber wurden an anderen Stellen von der Wohnungswirtschaft über die Agrarindustrie bis zur Verteidigung potenziell umwelt- und klimaschädliche Entscheidungen getroffen, die auch durch die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen nicht zu rechtfertigen sind.” Die versprochenen Fortschritte in der Umwelt- und Klimapolitik müssten “weitgehend in der zweiten Hälfte der Legislatur erreicht werden”, so die Forderung.
Der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, erläuterte Table.Media dazu Details.
Herr Kaiser, Ihre allgemeine Bewertung der Ampelregierung zur Klimapolitik liegt zwischen rot und gelb. Was heißt das?
Die Ampel hat sich auf den Weg gemacht, ist aber bei zentralen Vorhaben stecken geblieben. Umso wichtiger ist es, in der zweiten Halbzeit den Klimaschutz nicht auf die lange Bank zu schieben. Die momentane Haushaltskrise ist der Zeitpunkt, sich von parteipolitischen Ideologien zu befreien und zu fragen: Was brauchen das Land, die Menschen und die Wirtschaft? Wir dürfen nicht Klimaschutz gegen soziale Leistungen ausspielen. Die meisten Wirtschaftsexperten fordern, dass jetzt der Zeitpunkt ist, zu investieren.
Das Geld dafür ist gerade vom Verfassungsgericht gestoppt worden.
Deshalb fordern wir ein Sondervermögen für Klimaschutz und Zukunftsinvestitionen mit 100 Milliarden Euro. Das ist verfassungsrechtlich so abgesichert wie das Sondervermögen für die Bundeswehr. Das sollte finanziert werden durch eine umweltbedingte, zweckgebundene Vermögensabgabe, die progressiv gestaffelt ist. Außerdem sollte der Haushaltsdeckel auch für den Verteidigungshaushalt gelten – denn außerhalb der Ukrainehilfe und des Sondervermögens könnten die Mittel im Verteidigungsressort durchaus effizienter eingesetzt werden. Dazu kommt ein Abbau bei den etwa 65 Milliarden Euro umweltschädlicher Subventionen.
Finanzminister Christian Lindner bekommt die schlechteste Note. Warum?
Lindner will keine Klimapolitik betreiben. Alle diese Themen betrachtet er offenbar als Steckenpferd der Grünen. Das bekämpft er intern und öffentlich. Der politische Schaden, den er durch dieses öffentliche Austragen dieser Gegensätze innerhalb einer Koalition anrichtet, kann er gar nicht ermessen. Die Politikverdrossenheit, die entsteht, weil er aus offensichtlich parteitaktischen Gründen seine Verantwortung für dieses Land nicht wahrnimmt, ist verheerend. Wir müssen zu einer Politik zurück, die den Menschen Vertrauen gibt und die Zukunftsaufgaben sozialer Zusammenhang und Klimaschutz angeht. Und wir brauchen einen Kanzler, der seine Politik besser erklärt.
Die Studie bewertet detailliert die Arbeit von Kanzler Scholz und acht seiner Minister:
Herr Kaiser, vor Beginn der COP28 lobt Greenpeace die Bundesregierung für ihre Klimapolitik und kritisiert gleichzeitig, mit seiner Klimabilanz könne sich Kanzler Scholz nicht auf der Konferenz blicken lassen. Wie passt das zusammen?
Die Ampelregierung hat erkannt, dass wir eine neue Klimaaußenpolitik brauchen. Sie hat die strategische Zusammenarbeit mit anderen Ländern zur Entwicklungs- und Energiepolitik stärker darauf ausgerichtet, multilaterale Prozesse erfolgreich zu machen. Sie hat auch erkannt, dass das Versagen der Industrieländer bei den versprochenen 100 Milliarden Dollar Klimafinanzierung einem Erfolg bei der Emissionsminderung im Weg stand. Deshalb hat Deutschland Mittel bereitgestellt, die nicht ausreichen, aber im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA okay sind. Das ist die eine Seite.
Und die andere?
Das ist wirklich ein krasser Widerspruch: Die gleiche Regierung versäumt es, den Klimaschutz im eigenen Land auf die Erfolgsspur zu bringen. Deutschland hat offiziell verkündet, entgegen seinem Klimaschutzplan 2030 etwa 200 Millionen Tonnen CO2 zu viel auszustoßen und sagt: na und? Und gleichzeitig weicht die Regierung den Maschinenraum des Klimaschutzes auf, das Klimaschutzgesetz, obwohl genau dieses Gesetz zwingend ein Nachjustieren in dieser Zielverfehlung erfordert. So kann Scholz nicht auf die COP28 fahren.
Greenpeace sagt, der Bundeskanzler muss seinen Kurs korrigieren, wenn er nach Dubai kommt. Was bedeutet das?
Olaf Scholz steht für fossile Gasprojekte in anderen Ländern, die er mit deutschem Geld finanzieren will. Das ist ein Bruch der öffentlich gefeierten Vereinbarung der COP26 in Glasgow. Das muss er korrigieren. Wenn sich Deutschland per Gesetz dem Ausstieg aus den fossilen Energien verpflichtet hat, darf es nicht woanders auf Shoppingtour für fossiles Gas gehen und diese Infrastruktur finanzieren. Zusammen mit dem Ausbau der Kapazitäten in Deutschland über das Nötige hinaus ist das kein Ausweis für glaubwürdige Klimapolitik.
Was bedeutet das für Deutschlands Position auf der COP?
Die entscheidende Frage im Klimaschutz ist, ob die Wirtschaft international erkennt, wo investiert und wo das Geld abgezogen werden sollte. Mit dieser Sowohl-als-auch-Politik von Scholz wird das nicht deutlich. Das hindert den Kanzler auch, der “High Ambition Coalition” (HAC) beizutreten, die fordert, aus humanitären und ökonomischen Grünen müssten wir ab jetzt neue Investitionen in Fossile unterlassen und schrittweise daraus aussteigen. Und nur eine solche Koalition des globalen Südens und globalen Nordens kann überhaupt die Machtblöcke auf der COP aufbrechen und die Verhandlungen zum Erfolg führen.
Aber ist dieser Vorwurf an die Regierung gerecht? Ohne den Überfall Russland auf die Ukraine gäbe es ja keine neue Infrastruktur, das fossile Gas würde trotzdem weiter aus Russland fließen.
Putins Angriffskrieg hat die energiepolitische Landkarte völlig verändert. Die Ampel hat die Energiekrise danach gut gemanagt. Aber die neuen Kapazitäten, die zur Hochphase der Krise geschaffen wurden, sind völlig ausreichend. Die schwimmenden LNG-Terminals, so ärgerlich sie sind und so schnell sie durchgedrückt wurden, können noch als notwendig durchgehen. Aber alles andere, vor Rügen, einem Naturschutzjuwel, einen LNG-Terminal zu planen, ist völlig überzogen. Da geht es nicht mehr um die Versorgung der Bevölkerung, sondern um Partikularinteressen der fossilen Lobby, die damit ihr Geschäftsmodell verlängern will.
Viele afrikanischen Länder sagen, wir haben nichts zum Klimawandel beigetragen und konnten unsere fossilen Rohstoffe nicht zur Entwicklung unserer Länder einsetzen. Und sie werfen Umweltschützern wie Ihnen vor, jetzt diese Entwicklungschancen zu verhindern.
Ich halte diese Argumentation dieser Regierenden für völlig unangebracht. Das sind die Länder, die vermutlich am meisten unter den Klimafolgen leiden und am wenigsten die daraus folgenden Kosten stemmen können. Gerade für diese Länder ist es sinnvoll, gleich in erneuerbare Energien zu investieren und dort einen Vorsprung zu haben. Aber es ist eine andere Frage, was Deutschland finanziert. Da hat die Regierung eine Verantwortung, Erneuerbare zu finanzieren und auszuschließen, dass mit unserem Steuergeld das Profitmodell der Öl- und Gasindustrie verlängert wird, was den Menschen dort nicht hilft.
Eine gute Note bekommt nur Steffi Lemke. War die Umweltministerin so viel besser oder hatte sie einfach Glück, bei den Streitthemen am Rand zu stehen?
Steffi Lemke hat vor allem international große Erfolge vorzuweisen, die niemand so erwartet hätte: mit dem Montreal Protokoll zur Artenvielfalt, dem Abkommen zum Hochseeschutz und jetzt beim Anschieben des Plastikabkommens. Natürlich profitiert sie aber auch bei den Bewertungen, weil sie weder bei der kontroversen Gasinvestitionen noch in der Verkehrspolitik eine größere Rolle spielt. Bei der für den notwendigen Antriebswechsel destruktiven E-Fuel-Debatte, die von der FDP auf der europäischen Ebene willkürlich hochgezogen wurde, hat sie gegengehalten, soweit sie konnte, konnte aber gegen diese parteipolitische Debatte in der Regierung nichts ausrichten.
Kurz vor Beginn der COP28 erinnert der Thinktank “New Climate Institute” mit einer neuen Studie an Fortschritte und Erfolge im internationalen Klimaschutz. Vor dem Hintergrund von “vielfältigen Krisen, steigenden geopolitischen Spannungen und zunehmenden Desinformationskampagnen ist es wichtig, nicht nur auf die Lücken hinzuweisen, wo etwas nicht passiert ist, sondern auch, was im letzten Jahrzehnt erreicht wurde”, heißt es in dem Rückblick. Er trägt den Titel: “Fünf größere Veränderungen seit dem Pariser Abkommen, die Hoffnung auf einen gerechten Paris-konformen Übergang machen”. Die Studie liegt Table.Media exklusiv vor.
Der Text weist auf wissenschaftliche Daten zum Fortschritte im Klimaschutz hin – ohne zu verschweigen, dass allgemein die Schritte deutlich zu langsam und zu zaghaft sind, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen. Gemeint ist die Studie als Mutmacher für eine Konferenz, auf der wichtige Weichenstellungen anstehen: “Ein näherer Blick auf den Fortschritt wird wichtige Einblicke in die Dynamik des Wandels gewähren, auf denen wir aufbauen können”, heißt es. Die Informationen könnten auch “die Zielstrebigkeit der Klima-Community fördern, um sich für die nächste und unzweifelhaft schwierige Dekade vorzubereiten.” Der Fokus liege “ausdrücklich auf den positiven Veränderungen”. Der Bericht erkenne an, dass diese “nicht ausreichen, uns dorthin zu bringen, wo wir sein müssen. Aber sie erinnern uns daran, dass noch nicht alles verloren ist.“
Das New Climate Institute begleitet die internationale Klima- und Nachhaltigkeitspolitik mit Datenanalysen und Hintergründen. Die unabhängigen Experten finanzieren ihre Arbeit über Projektaufträge. In Kooperation mit dem Thinktank “Climate Analytics” liefern sie etwa mit dem “Climate Action Tracker” regelmäßige Updates zur globalen und nationalen Klimapolitik.
In ihrem aktuellen Bericht beschreiben die Experten Fortschritte in fünf Bereichen:
Die Forschenden sehen folgende Fortschritte:
Fortschritt 1: Im öffentlichen Bewusstsein habe die Klimakrise anders als vor einigen Jahren inzwischen einen “zentralen” Platz, heißt es. Menschen fühlten sich von der Krise direkt stärker betroffen. Die Berichterstattung der Medien zeige das weltweit – selbst wenn auch Fake News bei diesem Thema zunähmen. Fortschritte bei den Attributionswissenschaften machten Gerichtsprozesse für Klimaschutz möglich. Zusätzlich sei die Klimabewegung gewachsen und mache auch mit zivilem Ungehorsam (Extinction Rebellion, Letzte Generation) Druck. “Zumindest prinzipiell scheinen die Menschen bereit, beim Klimaschutz zu handeln, selbst wenn es sie finanziell belastet“, so das Fazit.
Fortschritt 2: Auch bei politischen Visionen und Zielen sehen die Forscher Fortschritte: Anders als noch vor einigen Jahren würde inzwischen die Vorstellung akzeptiert, dass die gesamte Wirtschaft sich auf Netto-Null-Emissionen zubewegen müsse. “90 Prozent der globalen Wirtschaft unterliegen einem Netto-Null-Ziel”, heißt es. Die Vision einer “voll dekarbonisierten” Welt werde offiziell angestrebt, ein globaler Ausstieg aus den fossilen Energien werde ernsthaft diskutiert – und bei den Berechnungen für das Temperaturziel für 2100 sei die Welt seit 2015 um ein ganzes Grad vorangekommen: Inzwischen führten die Planungen der Welt zu einer Erwärmung von 2,7 Grad, im Vergleich zu den prognostizierten 3,6 bis 3,9 Grad zu Zeiten des Pariser Abkommens. Die optimistischsten Schätzungen gehen sogar davon aus, dass 1,7 Grad möglich wären.
Fortschritt 3: Hoffnung gebe auch die Entwicklung in der Wirtschaft, so der Bericht: Allgemein seien dort Klimawandel und Klimapolitik inzwischen als “Bedrohung für Geschäftsmodelle und Investitionen” anerkannt. Auch die Chancen für grüne Jobs und einen Umbau der Industriestruktur würden viel deutlicher erkannt als noch vor wenigen Jahren. In der Finanzwelt sei das Thema angekommen, weil fossile Infrastrukturen davon bedroht seien, als gestrandete Investments zu enden. “Jeder Investor und jedes Geschäftsfeld fühlt den Druck, beim Klima zu handeln“, heißt es. Außerdem habe die Geschäftswelt erkannt, welche juristischen Risiken durch Klimaprozesse drohten. Viele Unternehmen bereiteten Klimapläne vor – allerdings gäbe es dabei auch viel Greenwashing, so der Bericht.
Fortschritt 4: Bei der Energieversorgung sei es ein gutes Zeichen, dass “erneuerbare Energien der neue Normalfall” seien, die in vielen Teilen der Welt wettbewerbsfähig sind. Der Ausstieg aus den Fossilen – vor wenigen Jahren noch nicht diskutiert – sei inzwischen eine Frage des “wann, nicht des ob“. Hoffnung gebe auch, dass in der Vergangenheit Wachstum und Kostenreduktion bei Erneuerbaren und Batterien häufig stärker gewesen seien als in Prognosen erwartet.
Fortschritt 5: Schließlich sei es ein gutes Signal, wie schnell Verkehr und Industrie auf Elektrifizierung umstellten. Bei Elektroautos und Wärmepumpen gebe es weltweit einen Boom, aber auch in den Industrien, wo CO₂-Reduktionen schwer zu erreichen seien, wie etwa beim Stahl. Anders als zuvor “versteckten” sich diese Branchen mit großem CO₂-Rucksack nicht mehr hinter der Energiebranche, die zuerst dekarbonisieren solle – sondern suchten selbst nach Wegen.
Zusammenfassend heißt es in dem Bericht: “Im letzten Jahrzehnt haben sich viele Dinge in die richtige Richtung bewegt”. Allerdings beschleunige sich auch die Klimakrise immer mehr und bedrohe den erreichten Fortschritt: “Wir müssen uns also schneller bewegen.”
Positiv betrachtet heiße das: “Wandel ist möglich und kann unerwartet passieren – angestoßen durch neue Akteure (die globale Jugend) und neue Strategien (Klimaklagen), die Regierungen und Unternehmen zum Handeln drängen.” All das gebe Hoffnung, dass die Grenze des Pariser Abkommens von 1,5 Grad Erderhitzung “noch erreichbar ist”, so das New Climate Institute. Aber der Wandel müsse “überall passieren, zur gleichen Zeit und sehr schnell, in manchen Bereichen sehr viel schneller als heute realistisch erscheint.” Dafür müsse man “das Unmögliche denken, neue Allianzen finden und die ganze Gesellschaft hinter dieser Aufgabe versammeln.”
Russlands Präsident Wladimir Putin unterzeichnete am 26. Oktober eine neue Klimadoktrin, die den künftigen klimapolitischen Rahmen für das Land beschreibt. Russland ist der fünftgrößte Treibhausgasemittent der Welt. Das Dokument erkennt den vom Menschen verursachten Klimawandel an. Zudem bekräftigt es Russlands Ziel, bis 2060 seine Emissionen auf netto null zu senken.
Ein Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen wird in der Doktrin aber nicht erwähnt. Als wichtigste Maßnahmen zur Dekarbonisierung werden stattdessen Energieeffizienz und die weitere Entwicklung und Nutzung von Erdgas, Wasserkraft und Kernenergie genannt. Ergänzend soll eine bescheidene Entwicklung von erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Solarenergie zum Erreichen des Netto-Null-Ziels beitragen.
Die neue Doktrin enthält viele Hinweise auf Russlands Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung von 2020 bis 2050. Die Strategie beschreibt die russischen Klimaziele in Zahlen. Ihr zufolge sollen in der Stromerzeugung:
Die Veröffentlichung des Dokuments kurz vor der COP28 dürfte zwei Ziele verfolgen: Die Position Russlands zu nationalen und internationalen Klimaschutzmaßnahmen umreißen und zugleich Russlands Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit im Klimaschutz demonstrieren – selbst in Zeiten des Krieges in der Ukraine und internationaler Sanktionen.
Ein Großteil des Papiers basiert auf der ersten Version der russischen Klimadoktrin. Sie wurde im Dezember 2009 vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew während der COP in Kopenhagen unterzeichnet. Von ihr sei in der neuen Doktrin 90 Prozent des Textes übernommen worden, schreibt Igor Makarov, Klimapolitikforscher an der Higher School of Economics in Moskau. Neu hinzugekommen sei etwa das Netto-Null-Ziel für 2060. Es tauchte allerdings schon in der langfristigen Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung Russlands auf, die im Oktober 2021 verabschiedet wurde, kurz vor der COP26.
Schon mit der ersten Doktrin aus dem Jahr 2009 signalisierte die russische Regierung, dass sie den Klimawandel und seine Bedrohungen offiziell anerkennt habe und zur internationalen Zusammenarbeit in der Klimapolitik bereit sei. Sie war die Grundlage für alle weiteren Klimaregulierungen in einem Land, in dem bis heute manche Politiker – und sogar Wissenschaftler – den menschengemachten Klimawandel anzweifeln.
Die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit in der Klimapolitik ist seither geblieben, trotz der Annexion der Krim und den darauf folgenden internationalen Sanktionen. Russische Beamte haben versucht, sie aufrechtzuerhalten und auszubauen, auch im vergangenen Jahr auf der COP27 in Ägypten.
Wladimir Tschuprow, Geschäftsführer der Umwelt-NGO “Earth concerns all” und ehemaliger Leiter des Energieprogramms von Greenpeace, bewertet zwei Dinge an der neuen Doktrin positiv:
Zugleich bestätigt die Doktrin die russischen Pläne, Emissionen vor allem durch die Nutzung von Kernenergie und Erdgas zu reduzieren. Zudem wird in ihr angenommen, dass der Wald in Russland eine steigende Menge von CO₂ aus der Luft abscheiden und binden könne. Diese Hoffnung ist auch ein Teil der russischen Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung. Doch sie wird von vielen Experten als unrealistisch angesehen – auch angesichts der zunehmenden Waldbrände und nicht nachhaltiger Waldbewirtschaftungspraktiken.
In den russischen Klimastrategiedokumenten werde der Energiesektor im Jahr 2050 “als immer noch von fossilen Brennstoffen dominiert angesehen”, sagt Wladimir Tschuprow, “was die grüne Energiewende nicht unterstützt”. Auch in den Klimaverhandlungen der UN spricht sich Russland traditionell dagegen aus, dass ein vollständiger Ausstieg (Phase-out) aus fossilen Brennstoffen in den Abschlussdokumenten erwähnt wird.
Im Text der neuen russischen Klimadoktrin werden fossile Brennstoffe überhaupt nicht genannt, wie Wladimir Tschuprow bemerkt. Anders als in der ersten Doktrin fehle auch der Satz, dass Russland seine Bemühungen auf die Verringerung der anthropogenen Treibhausgasemissionen konzentriere, indem es Marktverzerrungen abbaue und stimulierende finanzielle und steuerliche Maßnahmen umsetze.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der auch auf der COP28 eine große Rolle spielen kann: In offiziellen Dokumenten zur Klimapolitik und öffentlichen Äußerungen erwähnt die russische Regierung immer wieder den Begriff der “Technologieneutralität”. Sie legt also Wert darauf, alle bekannten Technologien nutzen zu können, um Russlands Treibhausgasemissionen zu senken und eine höhere Abscheidung und Speicherung von CO₂ (CCS) aus der Luft zu erreichen. In der Praxis sind ihr hier vor allem die Kernenergie und große Wasserkraftwerke wichtig.
Ein weiterer neuer Satz in der jüngsten Fassung der Doktrin erwähnt die “Unabhängigkeit bei Bewertungen und Schlussfolgerungen zu den laufenden und erwarteten Auswirkungen des Klimawandels”. Igor Makarow von der HSE schreibt, Russland gehe es hier um technologische und ideologische Souveränität in klimapolitischen und umweltpolitischen Fragen – etwas, das Russlands Politiker seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine häufig ansprechen. Russland betont in der Doktrin also, dass es selbst entscheiden möchte, welche klimapolitischen Maßnahmen es ergreift und welche Technologien es nutzt, um seine Emissionen zu verringern.
Schließlich erwähnt die Doktrin, dass eine “unangemessene Diskriminierung bei der Verabschiedung von Klimamaßnahmen, die den internationalen Handel betreffen”, für Russland unannehmbar sei. Das bezieht sich auf den CBAM der EU, der von Russland kritisch gesehen wird. Nach den Sanktionen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine ist der CBAM für die russische Wirtschaft und deren Exporte jedoch viel weniger wichtig als früher.
23. November, 9.15 Uhr, Dresden
Austausch-Veranstaltung Statuskolloquium Klima
Das Statuskolloquium dient zum Erfahrungsaustausch über neueste Kenntnisse zum regionalen Klimawandel in Sachsen. Es findet in der Sächsischen Aufbaubank Dresden statt. Infos
23. November, 9.15 Uhr, Berlin/Online
Konferenz Sustainability Transformation Conference
Die hybride Konferenz wird sich mit der Frage befassen, wie Nachhaltigkeit die Resilienz sozio-ökonomischer Systeme verbessern kann. Sie wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und dem Umweltbundesamt veranstaltet. Infos
23. November, 11 Uhr, Online
Veröffentlichung IEA: The Oil and Gas Industry in Net Zero Transitions Report
Im Vorfeld der COP28-Klimakonferenz wird die Internationale Energieagentur (IEA) einen Bericht veröffentlichen, der einen strategischen Plan für einen fairen, auf null Prozent ausgerichteten Übergangspfad für die Öl- und Gasindustrie enthält. Infos
23. November, 12.30 Uhr, Berlin
Vortrag Great power rivalry and the international politics of climate change
Der Vortrag findet im Hertie School Center for Sustainability statt. Über das Thema spricht Robert Falkner, Professor für Internationale Beziehungen an der London School of Economics and Political Science. Infos
23. bis 24. November, Berlin
Tagung Deutscher Energiesteuertag – Aktuelle Entwicklungen im Energie- und Stromsteuerrecht
Der 14. Deutsche Energiesteuertag findet dieses Jahr vor dem Hintergrund sich verschlechternder Wettbewerbsbedingungen statt und wird vom Bundesverband der Deutschen Industrie organisiert. Infos
23. bis 24. November, Bonn/Online
Kongress Zukunft Bau Kongress
Am 23. und 24. November veranstaltet das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung den “Zukunft Bau Kongress 2023” im World Conference Center Bonn. Es geht auf dem Kongress unter anderem darum, wie klima- und ressourcenschonendes Bauen aussehen kann. Infos
23. bis 24. November, Bonn
Konferenz Climate Security: Peace and Security Consequences of Climate Change
Das Institut der Vereinten Nationen für Ausbildung und Forschung (UNITAR) veranstaltet seine erste internationale Forschungskonferenz. Diese findet im Anschluss an mehrere UN-Klimakonferenzen statt, die darauf abzielen, Auswirkungen des Klimawandels abzumildern und gleichzeitig die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der UN-Agenda 2030 zu erreichen. Infos
28. November, 17 Uhr, Berlin
Workshop Die große Transformation – wie der Wandel gelingen kann
Angesichts der Klimakrise und begrenzter Ressourcen ist eine Veränderung der Lebens- und Wirtschaftsweisen unumgänglich, um ein gutes und sicheres Leben für alle Menschen erreichen und aufrechtzuerhalten. In dem Workshop von Table.Media und dem Netzwerk Weitblick e.V. zum Thema “Transformation” werden die Dynamik des Wandels, Hindernisse und Chancen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Infos
30. November – 1.Dezember, Berlin
Forum Planetary Health Forum ´23
Unter der Schirmherrschaft von Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach laden das Centre for Planetary Health Policy (CPHP) und die Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.) zum Planetary Health Forum ein: der ersten Konferenz für planetare Gesundheit in Deutschland, die Akteur:innen aus den Bereichen Gesundheit, Klima- und Umweltschutz zusammenbringt – aus Politik, Praxis, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Infos
30. November – 12. Dezember, Dubai, Vereinigte Arabische Emirate
Konferenz UN Klimakonferenz COP28
Die UN Klimakonferenz finden unter der Präsidentschaft der Vereinigten Arabischen Emirate in Dubai statt. Climate.Table wird die Verhandlungen mit einem täglichen Newsletter eng begleiten. Infos
Die staatlichen Klimapläne reichen nicht aus, um die Emissionen so weit zu drücken, dass die Klimaziele erreicht werden können. Es besteht eine massive “Emissionslücke”, die dringend geschlossen werden muss, mahnt die UN. Die globale Erwärmung werde drei Grad erreichen, wenn die derzeitige Klimapolitik fortgesetzt und nicht verschärft werde. Die Lücke “sei eher ein Canyon. Ein Canyon übersät mit gebrochenen Versprechen, zerbrochenen Leben und gebrochenen Rekorden”, sagte UN-Generalsekretär António Guterres bei der Vorstellung des jüngsten Emissions Gap Report des UN-Umweltprogramms (UNEP) am Montag. Die Welt müsse von ihrer “Sucht nach fossilen Brennstoffen” wegkommen, forderte der UN-Generalsekretär.
Um das 2-Grad-Ziel erreichbar zu halten, müssten im Jahr 2030 elf bis 14 Gigatonnen mehr CO₂-Äquivalente vermindert werden, als es die Staaten in ihren nationalen Klimaplänen (“Conditional” und “Unconditional NDCs”) versprechen. Die Emissionslücke liegt sogar bei 19 bis 22 Gigatonnen für das 1,5-Grad-Ziel.
Der Bericht ruft dazu auf:
Wenn alle NDCs bis 2030 erfüllt würden, sei die Welt bis zum Ende des Jahrtausends auf einem Pfad zu 2,5 Grad globaler Erwärmung, warnt der Bericht. Werden die Emissionen nicht schneller stärker gesenkt, müsse die Weltgemeinschaft in Zukunft noch stärker auf Carbon Dioxid Removal (CDR) setzen. Allerdings gäbe es bei natürlichen CDR-Verfahren potenziell Landkonflikte – und durch Waldbrände könnten gespeicherte Emissionen wieder in die Atmosphäre gelangen. Technische Verfahren wie Carbon Capture and Storage (CCS) und Direct Air Capture (DAC) seien noch nicht ausgereift. Es brauche politische Unterstützung zur Entwicklung der Technologien, so das UNEP. nib
Laut dem Thinktank Climate Analytics haben die Staaten im Jahr 2023 mit großer Wahrscheinlichkeit weltweit den Emissionspeak erreicht. Die Forscherinnen und Forscher zeigen sich optimistisch, dass die globalen Treibhausgasemissionen im Jahr 2024 mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent fallen werden. Voraussetzung hierfür sei die Beschleunigung der aktuellen Wachstumstrends bei den erneuerbaren Energien und grünen Technologien wie E-Autos, und dass die Staaten ihre Zusagen zur Verminderung der Methan-Emissionen umsetzen.
Das Wachstum bei den Erneuerbaren und E-Autos könne demnach zu:
Die Autorinnen und Autoren haben für ihre Studie ein “Szenario der weiteren Beschleunigung” des Ausbaus der Erneuerbaren und des Verkaufs von E-Autos ausgewählt. Dadurch würden in den kommenden Jahren so viele Erneuerbare zugebaut, dass sie fossile Energien aus den Netzen verdrängen. Doch selbst dieses Szenario würde bis 2030 lediglich zu einer Absenkung der Emissionen um zehn Prozent führen (im Vergleich zum Jahr 2019). Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, bräuchte es eine Absenkung um 43 Prozent bis 2030.
Es bedürfe dementsprechend:
Laut der Climate Analytics-Recherche haben bis 2015 schon 50 Staaten ihren Emissionspeak erreicht und sind in die Phase des langfristigen Rückgangs eingetreten. Dazu gehören die USA, Deutschland, Japan und Australien. China könne im nächsten Jahr (2024) fallende Emissionen erreichen. Indien könne seinen Peak in den frühen 2030er-Jahren erreichen. In der EU könnte der Zubau von Wind- und Solarenergie bis 2030 den gesamten Kohlestrom verdrängen. nib
Geht es nach dem EU-Parlament, sollen direkte Emissionsreduktionen Vorrang haben gegenüber dem CO₂-Abbau durch Umstellung der Landbewirtschaftung oder Tierfütterung (Carbon Farming). Die Abgeordneten haben am Dienstag über ihre Verhandlungsposition für einen Zertifizierungsrahmen für technologische und natürliche CO₂-Entnahmen abgestimmt. Der Gesetzesrahmen soll CO₂-Entnahmen zum Erreichen der Klimaziele fördern, das Vertrauen bei der Industrie erhöhen und Greenwashing verhindern.
Während die EU-Kommission in ihrem Vorschlag noch allgemein von “Carbon Removals” sprach, will das Parlament eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Möglichkeiten der CO₂-Entnahmen. Nur die dauerhafte geologische Speicherung von atmosphärischem oder biogenem CO₂ für mehrere Jahrhunderte (CCS) oder eine dauerhaft gebundene Kohlenstoffmineralisierung sollten als permanente CO₂-Entnahme betrachtet werden.
Carbon Farming zählt nicht dazu und soll daher gesondert zertifiziert werden, sofern das CO₂ für mindestens fünf Jahre der Atmosphäre entzogen wird. CO₂-Speicherung in Produkten (CCU), beispielsweise in Holz oder Baumaterialien, soll nur dann zertifiziert werden, wenn das CO₂ mindestens fünf Jahrzehnte lang gespeichert wird.
Die Mitgliedstaaten haben ihre Position bereits vergangene Woche beschlossen. Die Bundesregierung hat dem Vorschlag trotz einiger Vorbehalte zugestimmt. Sie hat jedoch eine Protokollnotiz eingebracht, die Table.Media vorliegt. Demnach hält Deutschland insbesondere eine Regelung über CO₂-Entnahmen durch Biomasse für problematisch. Sie fordert, dass die Treibhausgas-Bilanzierung von Biomassenutzung auch die Emissionen aus Anbau, Ernte, Verarbeitung und Transport von Biomasse einbezieht. Der derzeitige Ratstext legt lediglich fest, dass Emissionen bei der Verbrennung berücksichtigt werden.
Sollten die Emissionen bei der Verbrennung abgeschieden und gespeichert werden, wäre die Treibhausgas-Bilanz auf dem Papier negativ. Es würde also so aussehen, als sei der Atmosphäre CO₂ entzogen worden. Faktisch wäre durch die Biomassenutzung allerdings keine Mehrentnahme erfolgt. Die Bundesregierung fürchtet dadurch Fehlanreize für die Biomassenutzung und mangelnde Integrität der CO₂-Entnahmezertifikate. Für eine entsprechende Änderung des Ratstexts im Sinne Deutschlands gab es allerdings keine Mehrheit. Die Trilog-Verhandlungen mit Parlament und Kommission sollen noch im November starten. luk
Mindestens 7.200 Vertreter fossiler Interessen haben seit dem Jahr 2003 an den internationalen Klimakonferenzen teilgenommen. Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen oder verkaufen, waren seit der COP9 (2003) mit mindestens 945 Interessenvertretern auf den Klimakonferenzen. Das geht aus einer Erhebung des Aktivisten-Netzwerks “Kick Big Polluters Out” hervor:
Es handelt sich allerdings um konservative Zahlen. Viele Delegierte auf den COPs haben ihre “Zugehörigkeit” lange Zeit nicht angegeben – machten also nicht transparent, für welche Organisation sie arbeiten oder welche Interessen sie vertreten, so Kick Big Polluters Out. Seit Juni fordert das UNFCCC die COP-Teilnehmer jedoch zu mehr Transparenz über ihren Hintergrund auf. nib
Das reichste Prozent der Weltbevölkerung (rund 77 Millionen Menschen) ist für 16 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Das sind so viele Emissionen, wie die ärmsten zwei Drittel verursachen. Die reichsten zehn Prozent verursachen sogar 50 Prozent der globalen Emissionen. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle “Climate Equality” Report der Nichtregierungsorganisation Oxfam. Der Bericht bezieht sich auf Daten des Stockholm Environment Institute. Allerdings handelt es sich bei den zehn Prozent an der Spitze nicht nur um die Superreichen. Es sind alle Menschen, die mehr als rund 40.000 US-Dollar im Jahr verdienen – somit gehören auch viele Menschen aus der Mittelschicht der Industriestaaten zu den reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung.
Laut der Studie könnten allein die Emissionen des reichsten Prozents in den kommen Jahrzehnten zu 1,3 Millionen hitzebedingten Toten führen. Auch die Folgen der Emissionen sind sehr ungleich verteilt. Laut dem Bericht ereigneten sich mehr als 91 Prozent der Todesfälle durch Klimakatastrophen in den vergangenen 50 Jahren in Entwicklungsländern. Als Lösung fordert Oxfam eine Einkommenssteuer von 60 Prozent für das reichste eine Prozent der Bevölkerung. Das würde nicht nur die Emissionen senken, sondern auch rund 6,4 Billionen US-Dollar einbringen, die in den Klimaschutz investiert werden könnten.
Wie ungleich die Emissionen verteilt sind, zeigt auch der “Guardian”. Im Kontext von ungleichen Emissionen wurden Flugdaten von Privatjets ausgewertet: 200 Prominente, CEOs, Milliardäre und Oligarchen haben mit ihren Privatjets demnach seit Beginn des Jahres 2022 über 400.000 Tonnen CO₂ verursacht. Ihre Jets waren in diesem Zeitraum zusammengerechnet insgesamt elf Jahre in der Luft. kul
Kenia und Frankreich haben angekündigt, beim Klimagipfel in Dubai die Debatte über internationale Klimasteuern voranzutreiben. Die Präsidenten der beiden Länder, William Ruto und Emmanuel Macron, planen dazu die Gründung einer “Taskforce”, die innerhalb von zwei Jahren konkrete Vorschläge erarbeiten soll. Wie Climatechangenews.com vergangene Woche berichtete, hoffen die Staatschefs, eine Koalition aus Europa und dem globalen Süden in der Taskforce zu versammeln.
Die Debatte über globale Klimasteuern und Abgaben wird seit dem von Macron anberaumten Finanz-Gipfeltreffen in Paris im Juni lebhafter. Der von Ruto im September in der kenianischen Hauptstadt Nairobi ausgerichtete “Afrikanische Klimagipfel” etwa endete mit der Forderung nach einem globalen System zur Besteuerung von Kohlenstoff, “um zweckgebundene, erschwingliche und zugängliche Finanzmittel für klimaschonende Investitionen in großem Umfang bereitzustellen”.
Auch internationale Organisationen befassen sich mit dem Thema. Ngozi Okonjo-Iweala, Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO), kündigte im Oktober eine eigene Taskforce an, die konsensfähige Vorschläge für “eine Methode für einen globalen Kohlenstoffpreis” entwickeln soll. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wiederum argumentierte in seinem jüngsten “Fiscal Monitor”, dass CO₂-Steuern ein “integraler” Bestandteil aller nationalen Klimapakete sein müssten.
Die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) hatte kürzlich in einer Studie aufgezeigt, welche Summen durch globale Steuern zusammenkommen könnten:
Laut einer am Mittwoch erschienenen Studie von KPMG und dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) berücksichtigen über 50 Prozent der befragten Unternehmen Klimarisiken und Folgeschäden nicht vollumfänglich im eigenen Risikomanagementsystem. Als größte Klimarisiken sehen die Unternehmen eine Veränderung der Nachfrage, knappe Ressourcen und Schäden an der Infrastruktur. Die Auswirkungen von Hitze oder Dürre sowie Risiken durch den Verlust von Artenvielfalt sind für die Mehrheit bisher keine Themen in ihrem Risikomanagement. 22 Prozent berücksichtigen Klimarisiken im Beschaffungsprozess nicht.
Gleichzeitig planen insgesamt 43 Prozent der Unternehmen, ein Zehntel oder mehr ihres Umsatzes in die “grüne Transformation” zu investieren, heißt es in der Studie. Bei Firmen mit weniger als einer Milliarde Euro Umsatz sind es 36 Prozent, bei Unternehmen mit mehr Umsatz 57 Prozent. Darüber hinaus sehen 73 Prozent der Unternehmen zusätzliches Geschäftspotenzial in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen zur Minderung von Klimafolgeschäden. Die Studienautoren gehen davon aus, dass es für den europäischen Maschinen- und Anlagenbau in zehn Jahren ein jährliches Umsatzpotenzial von über 200 Milliarden Euro bei Lösungen zum Schutz vor Klimarisiken und zur Minderung von Klimafolgeschäden gibt.
Für die Studie “Klimarisiken und Folgeschäden des Klimawandels 2023” haben KPMG und der VDMA 235 Entscheider aus Unternehmen in Deutschland befragt. nh
Mit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober an Jüdinnen und Juden und der militärischen Antwort Israels ist weltweit ein Kampf um die moralische Deutungshoheit im Nahost-Konflikt ausgebrochen. Diese Auseinandersetzung hat auch die globale Klimabewegung erreicht und dominiert die Vorbereitungen zur UN-Klimakonferenz (COP28) in Dubai.
Das ist fatal. Nicht nur, weil in diesem Meinungskampf zunehmend antisemitische Stereotype bedient werden, indem Israel als kolonialistische Imperialmacht dargestellt wird, gepaart mit einem Unvermögen, zwischen der israelischen Regierung und den Juden zu unterscheiden. Sondern auch, weil die Auseinandersetzung um das Massaker der Hamas und den dadurch ausgelösten Krieg Israels in Gaza auch die Verhandlungen auf der Weltklimakonferenz zu überlagern drohen.
Die Klimakrise droht so auf der UN-Klimakonferenz in Dubai zur Nebensache zu werden. In den internationalen zivilgesellschaftlichen Netzwerken wird dafür geworben, die COP zu einer “palästinensischen COP” zu machen. Derzeit wird von einigen Netzwerken gezielt darauf hingearbeitet, die klimapolitischen Verhandlungen in Dubai mit undifferenzierter Kritik an Israel und seiner – sicherlich kritikwürdigen – Siedlungspolitik zu vermischen.
Die multiplen Krisen – vom Klima über Armut, Hunger, die Ukraine bis in den Nahen Osten – geraten zu einer unübersichtlichen Melange. Dabei ist klar, dass wir die Gleichzeitigkeit der Krisen anerkennen müssen. Das heißt aber nicht, dass wir sie undifferenziert alle auf den gleichen Wegen lösen können – im Gegenteil. Wer die COP28 in Dubai zusätzlich zu allen klimapolitischen Schwierigkeiten mit der Debatte um den Nahost-Konflikt überfrachtet, erschwert mögliche Fortschritte in der Klimadiplomatie. Das ist kein Plädoyer für ein Abwenden von den übrigen Krisen, sondern eines für eine ehrliche Analyse mit differenzierenden Antworten.
Die eigentliche Herausforderung der COP28 rückt dadurch in den Hintergrund: die Weltgemeinschaft zu einem verbindlichen Ausstieg aus fossilen Energien zu verpflichten und damit eine Verlängerung des fossilen Geschäftsmodells zu verhindern, das Ursache so vieler Krisen und Kriege war.
Das ist nicht nur fatal, weil gerade jetzt weltweit die Öl- und Gasmultis wieder Morgenluft wittern. Es ignoriert auch, dass es die fossilen Einnahmen sind, die weltweit Konflikte und Terror finanzieren. Die Hamas wie auch die Hisbollah werden seit Jahrzehnten vom iranischen Regime mit Öldollars finanziert.
Das Massaker vom 7. Oktober war eine Zäsur. Mit unvorstellbarer Grausamkeit wurden mehr als 1.400 Menschen ermordet und Hunderte entführt. Die Hamas sucht Deckung in Krankenhäusern und Kindergärten und nimmt damit wehrlose Palästinenserinnen und Palästinenser in Geiselhaft. Ihr Zynismus ist grenzenlos.
Israel hat die Pflicht, die eigene Bevölkerung vor diesem Terror zu schützen und sich zu verteidigen. Gleichzeitig muss man anerkennen, dass das Leid der Menschen im Gazastreifen infolge der israelischen Angriffe unerträglich und die humanitäre Situation eine Katastrophe ist. Doch auch das liegt im Interesse der Hamas. Während die Hamas das Völkerrecht – auch der Bevölkerung in Gaza – mit Füßen tritt, indem sie sie an der Flucht hindert, hat sich Israel in seinem Kampf gegen den Terror an das internationale Völkerrecht zu halten und muss alles tun, um die humanitäre Lage der Menschen im Gazastreifen zu verbessern. Gerade Deutschland hat hier eine Verantwortung an der Seite der Jüdinnen und Juden zu stehen und gleichzeitig eventuelle Fehler der israelischen Regierung als solche zu benennen.
Es ist die Aufgabe einer wachen Zivilgesellschaft, den Terror der Hamas und die Fehler der israelischen Regierung zu kritisieren. Wenn nun eine Klimabewegung, die hohe Expertise und Verdienste beim Kampf gegen die Klimakrise erworben hat, mit verkürzenden Antworten auf einen komplexen Konflikt reagiert, wird das weder dem Kampf für ein besseres Klima in der Atmosphäre noch im Nahen Osten gerecht.
In den vergangenen Jahren hat sich in der Klimabewegung ein Zweig entwickelt, der mit dem Ruf nach “system change” nicht nur ein Ende des fossilen Zeitalters, sondern auch des Kapitalismus und der Marktwirtschaft fordert. Es wird zum antikapitalistischen und antiimperialistischen Kampf mit den Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt aufgerufen. Vertreterinnen und Vertreter genau dieses Zweigs ergreifen nun einseitig Partei für die Palästinenser – und werden blind fürs Totalitäre.
Das zeigt: Antisemitismus ist leider kein rein rechtes Phänomen mehr. Er hat auch im linken Spektrum Wurzeln geschlagen. In sich selbst progressiv empfindenden Kreisen wird das zwar stets verneint; der Antisemitismus wird dabei als Israel-Kritik, Antizionismus oder Dekolonialismus bezeichnet. Im Kern ist die israelkritische Argumentation aber oft antisemitisch.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich darf und muss die israelische Politik kritisiert werden. Anders als in der Region üblich, ist das in Israel selbst auch möglich, und viele machen dort von diesem Recht Gebrauch. Ich habe großen Respekt vor den Menschen in Israel, die Opfer durch den Terror zu beklagen haben und sich gleichzeitig für friedliche Lösungen und die Koexistenz von zwei Staaten einsetzen.
Doch gleichzeitig sehen wir in der Komplexität der multiplen Krisen von Klima bis zum Krieg den Wunsch nach einfachen Antworten. Weltweit blüht eine pathetische Solidarität mit der palästinensischen Sache auf, der Slogan “end settler colonialism – end climate colonialism” droht zum Schlachtruf für die COP28 zu werden. Es gibt für viele keine Graustufen mehr, sondern nur den einen Aggressor. Das stellt internationale Zusammenarbeit – auch innerhalb der Klimabewegung – vor eine große Herausforderung.
Der Druck zur einseitigen Positionierung wächst in allen internationalen Netzwerken stündlich an. Und es sind die deutschen Klima- und Umweltorganisationen, sie sich derzeit fassungslos gegen diese Einseitigkeiten stemmen. In der internationalen Klimabewegung stehen sie damit leider ziemlich allein. Neben vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren waren es der Umweltdachverband DNR sowie die Fridays for Future Deutschland, die gemeinsam am 22. Oktober zu einer Großkundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel aufriefen.
In Dubai wird es jetzt darauf ankommen, die Klimakrise ins Zentrum zu stellen und zugleich Haltung zu zeigen gegen populistische Antworten auf komplexe Krisen. Wie auch auf den vergangenen Klimakonferenzen wird sich die deutsche Zivilgesellschaft in Dubai auch für den Schutz von Minderheiten starkmachen – und dabei deutlich machen, dass in der Rettung des Weltklimas kein Platz für Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Rassismus und Einseitigkeiten ist. Weder die planetaren noch die menschlichen Belastungsgrenzen dieses Planeten lassen sich durch Verkürzungen und Populismen einhalten.
Prof. Dr. Kai Niebert forscht und lehrt als Nachhaltigkeitswissenschaftler an der Universität Zürich und ist Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR). Er ist Mitglied des Rates für nachhaltige Entwicklung und wird als Mitglied der deutschen Delegation die Klimaverhandlungen in Dubai begleiten.
in einer Woche öffnet die COP28 in Dubai ihre Pforten und die internationalen Klimaverhandlungen steuern auf ihren Jahreshöhepunkt zu. Was wird diese Konferenz bringen? Einen funktionsfähigen Fonds für Loss and Damage? Den Einstieg in den globalen Ausstieg aus den Fossilen? Eine Blockade durch den Krieg in Israel und Gaza?
Wir werden das genau beobachten. Und zwar mit einem umfangreichen Programm: Anfang nächster Woche bringen wir Ihnen eine Extra-Ausgabe zur Vorbereitung auf die COP28. Und dann ab nächstem Donnerstag berichten wir täglich aus Dubai mit einem aktuellen Climate.Table über die Verhandlungen und das Drumherum.
Heute liefern wir Ihnen schon mal viele Informationen für die Vorbereitung: Eine Hintergrundstudie zur neuen Klimadoktrin von Russland, einem der oft vergessenen großen Emittenten und Blockierer; eine exklusive Klima-Halbzeitbilanz der Ampelregierung durch Greenpeace mit einem Blick zur COP; die Warnung davor, dass der Nahost-Krieg die Konferenz nicht dominieren sollte. Und kaum zu glauben, aber wahr: Fünf gut belegte Gründe dafür, dass es in der Klimapolitik Erfolge gibt und man den Mut nicht verlieren sollte.
Wir bleiben für Sie dran!
Eine Woche vor Beginn der COP28 attestiert die Umweltorganisation Greenpeace der Bundesregierung in einer aktuellen Studie in der Klimapolitik eine “enttäuschende erste Koalitionshälfte“, die vor allem von “verfehlten Zielen und Rückschritten” und “Teilerfolgen” geprägt sei. In einer 28-seitigen “Halbzeitbilanz der Ampelkoalition” mit dem Titel “Wenig Fortschritt gewagt” beurteilt die Organisation die Arbeit der wichtigsten Minister im Klimabereich nach einem rot-gelb-grünen Ampelsystem. Die Studie liegt Table.Media exklusiv vor.
Bei der Bewertung räumt Greenpeace ein, dass die Regierung “unerwartet gut” gestartet sei. Und “wohl keine Regierung der vergangenen Jahrzehnte sah sich bei ihrem Start größeren Herausforderungen ausgesetzt”, wie das durch den Ukrainekrieg, Pandemiefolgen, Inflation und Energieknappheit der Fall war. Doch dass der Koalitionsvertrag nur begrenzt umgesetzt werde, sei auch “Folge kompromissloser Parteipolitik, öffentlichen Streits, mangelnder Führung und handwerklicher Schwächen“, heißt es.
In der Regierungsarbeit sieht Greenpeace Licht und Schatten: “Die Ausbauziele für erneuerbare Energien wurden drastisch angehoben, viele Hindernisse aus dem Weg geräumt”, lobt das Konzept. “Zugleich aber wurden an anderen Stellen von der Wohnungswirtschaft über die Agrarindustrie bis zur Verteidigung potenziell umwelt- und klimaschädliche Entscheidungen getroffen, die auch durch die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen nicht zu rechtfertigen sind.” Die versprochenen Fortschritte in der Umwelt- und Klimapolitik müssten “weitgehend in der zweiten Hälfte der Legislatur erreicht werden”, so die Forderung.
Der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, erläuterte Table.Media dazu Details.
Herr Kaiser, Ihre allgemeine Bewertung der Ampelregierung zur Klimapolitik liegt zwischen rot und gelb. Was heißt das?
Die Ampel hat sich auf den Weg gemacht, ist aber bei zentralen Vorhaben stecken geblieben. Umso wichtiger ist es, in der zweiten Halbzeit den Klimaschutz nicht auf die lange Bank zu schieben. Die momentane Haushaltskrise ist der Zeitpunkt, sich von parteipolitischen Ideologien zu befreien und zu fragen: Was brauchen das Land, die Menschen und die Wirtschaft? Wir dürfen nicht Klimaschutz gegen soziale Leistungen ausspielen. Die meisten Wirtschaftsexperten fordern, dass jetzt der Zeitpunkt ist, zu investieren.
Das Geld dafür ist gerade vom Verfassungsgericht gestoppt worden.
Deshalb fordern wir ein Sondervermögen für Klimaschutz und Zukunftsinvestitionen mit 100 Milliarden Euro. Das ist verfassungsrechtlich so abgesichert wie das Sondervermögen für die Bundeswehr. Das sollte finanziert werden durch eine umweltbedingte, zweckgebundene Vermögensabgabe, die progressiv gestaffelt ist. Außerdem sollte der Haushaltsdeckel auch für den Verteidigungshaushalt gelten – denn außerhalb der Ukrainehilfe und des Sondervermögens könnten die Mittel im Verteidigungsressort durchaus effizienter eingesetzt werden. Dazu kommt ein Abbau bei den etwa 65 Milliarden Euro umweltschädlicher Subventionen.
Finanzminister Christian Lindner bekommt die schlechteste Note. Warum?
Lindner will keine Klimapolitik betreiben. Alle diese Themen betrachtet er offenbar als Steckenpferd der Grünen. Das bekämpft er intern und öffentlich. Der politische Schaden, den er durch dieses öffentliche Austragen dieser Gegensätze innerhalb einer Koalition anrichtet, kann er gar nicht ermessen. Die Politikverdrossenheit, die entsteht, weil er aus offensichtlich parteitaktischen Gründen seine Verantwortung für dieses Land nicht wahrnimmt, ist verheerend. Wir müssen zu einer Politik zurück, die den Menschen Vertrauen gibt und die Zukunftsaufgaben sozialer Zusammenhang und Klimaschutz angeht. Und wir brauchen einen Kanzler, der seine Politik besser erklärt.
Die Studie bewertet detailliert die Arbeit von Kanzler Scholz und acht seiner Minister:
Herr Kaiser, vor Beginn der COP28 lobt Greenpeace die Bundesregierung für ihre Klimapolitik und kritisiert gleichzeitig, mit seiner Klimabilanz könne sich Kanzler Scholz nicht auf der Konferenz blicken lassen. Wie passt das zusammen?
Die Ampelregierung hat erkannt, dass wir eine neue Klimaaußenpolitik brauchen. Sie hat die strategische Zusammenarbeit mit anderen Ländern zur Entwicklungs- und Energiepolitik stärker darauf ausgerichtet, multilaterale Prozesse erfolgreich zu machen. Sie hat auch erkannt, dass das Versagen der Industrieländer bei den versprochenen 100 Milliarden Dollar Klimafinanzierung einem Erfolg bei der Emissionsminderung im Weg stand. Deshalb hat Deutschland Mittel bereitgestellt, die nicht ausreichen, aber im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA okay sind. Das ist die eine Seite.
Und die andere?
Das ist wirklich ein krasser Widerspruch: Die gleiche Regierung versäumt es, den Klimaschutz im eigenen Land auf die Erfolgsspur zu bringen. Deutschland hat offiziell verkündet, entgegen seinem Klimaschutzplan 2030 etwa 200 Millionen Tonnen CO2 zu viel auszustoßen und sagt: na und? Und gleichzeitig weicht die Regierung den Maschinenraum des Klimaschutzes auf, das Klimaschutzgesetz, obwohl genau dieses Gesetz zwingend ein Nachjustieren in dieser Zielverfehlung erfordert. So kann Scholz nicht auf die COP28 fahren.
Greenpeace sagt, der Bundeskanzler muss seinen Kurs korrigieren, wenn er nach Dubai kommt. Was bedeutet das?
Olaf Scholz steht für fossile Gasprojekte in anderen Ländern, die er mit deutschem Geld finanzieren will. Das ist ein Bruch der öffentlich gefeierten Vereinbarung der COP26 in Glasgow. Das muss er korrigieren. Wenn sich Deutschland per Gesetz dem Ausstieg aus den fossilen Energien verpflichtet hat, darf es nicht woanders auf Shoppingtour für fossiles Gas gehen und diese Infrastruktur finanzieren. Zusammen mit dem Ausbau der Kapazitäten in Deutschland über das Nötige hinaus ist das kein Ausweis für glaubwürdige Klimapolitik.
Was bedeutet das für Deutschlands Position auf der COP?
Die entscheidende Frage im Klimaschutz ist, ob die Wirtschaft international erkennt, wo investiert und wo das Geld abgezogen werden sollte. Mit dieser Sowohl-als-auch-Politik von Scholz wird das nicht deutlich. Das hindert den Kanzler auch, der “High Ambition Coalition” (HAC) beizutreten, die fordert, aus humanitären und ökonomischen Grünen müssten wir ab jetzt neue Investitionen in Fossile unterlassen und schrittweise daraus aussteigen. Und nur eine solche Koalition des globalen Südens und globalen Nordens kann überhaupt die Machtblöcke auf der COP aufbrechen und die Verhandlungen zum Erfolg führen.
Aber ist dieser Vorwurf an die Regierung gerecht? Ohne den Überfall Russland auf die Ukraine gäbe es ja keine neue Infrastruktur, das fossile Gas würde trotzdem weiter aus Russland fließen.
Putins Angriffskrieg hat die energiepolitische Landkarte völlig verändert. Die Ampel hat die Energiekrise danach gut gemanagt. Aber die neuen Kapazitäten, die zur Hochphase der Krise geschaffen wurden, sind völlig ausreichend. Die schwimmenden LNG-Terminals, so ärgerlich sie sind und so schnell sie durchgedrückt wurden, können noch als notwendig durchgehen. Aber alles andere, vor Rügen, einem Naturschutzjuwel, einen LNG-Terminal zu planen, ist völlig überzogen. Da geht es nicht mehr um die Versorgung der Bevölkerung, sondern um Partikularinteressen der fossilen Lobby, die damit ihr Geschäftsmodell verlängern will.
Viele afrikanischen Länder sagen, wir haben nichts zum Klimawandel beigetragen und konnten unsere fossilen Rohstoffe nicht zur Entwicklung unserer Länder einsetzen. Und sie werfen Umweltschützern wie Ihnen vor, jetzt diese Entwicklungschancen zu verhindern.
Ich halte diese Argumentation dieser Regierenden für völlig unangebracht. Das sind die Länder, die vermutlich am meisten unter den Klimafolgen leiden und am wenigsten die daraus folgenden Kosten stemmen können. Gerade für diese Länder ist es sinnvoll, gleich in erneuerbare Energien zu investieren und dort einen Vorsprung zu haben. Aber es ist eine andere Frage, was Deutschland finanziert. Da hat die Regierung eine Verantwortung, Erneuerbare zu finanzieren und auszuschließen, dass mit unserem Steuergeld das Profitmodell der Öl- und Gasindustrie verlängert wird, was den Menschen dort nicht hilft.
Eine gute Note bekommt nur Steffi Lemke. War die Umweltministerin so viel besser oder hatte sie einfach Glück, bei den Streitthemen am Rand zu stehen?
Steffi Lemke hat vor allem international große Erfolge vorzuweisen, die niemand so erwartet hätte: mit dem Montreal Protokoll zur Artenvielfalt, dem Abkommen zum Hochseeschutz und jetzt beim Anschieben des Plastikabkommens. Natürlich profitiert sie aber auch bei den Bewertungen, weil sie weder bei der kontroversen Gasinvestitionen noch in der Verkehrspolitik eine größere Rolle spielt. Bei der für den notwendigen Antriebswechsel destruktiven E-Fuel-Debatte, die von der FDP auf der europäischen Ebene willkürlich hochgezogen wurde, hat sie gegengehalten, soweit sie konnte, konnte aber gegen diese parteipolitische Debatte in der Regierung nichts ausrichten.
Kurz vor Beginn der COP28 erinnert der Thinktank “New Climate Institute” mit einer neuen Studie an Fortschritte und Erfolge im internationalen Klimaschutz. Vor dem Hintergrund von “vielfältigen Krisen, steigenden geopolitischen Spannungen und zunehmenden Desinformationskampagnen ist es wichtig, nicht nur auf die Lücken hinzuweisen, wo etwas nicht passiert ist, sondern auch, was im letzten Jahrzehnt erreicht wurde”, heißt es in dem Rückblick. Er trägt den Titel: “Fünf größere Veränderungen seit dem Pariser Abkommen, die Hoffnung auf einen gerechten Paris-konformen Übergang machen”. Die Studie liegt Table.Media exklusiv vor.
Der Text weist auf wissenschaftliche Daten zum Fortschritte im Klimaschutz hin – ohne zu verschweigen, dass allgemein die Schritte deutlich zu langsam und zu zaghaft sind, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen. Gemeint ist die Studie als Mutmacher für eine Konferenz, auf der wichtige Weichenstellungen anstehen: “Ein näherer Blick auf den Fortschritt wird wichtige Einblicke in die Dynamik des Wandels gewähren, auf denen wir aufbauen können”, heißt es. Die Informationen könnten auch “die Zielstrebigkeit der Klima-Community fördern, um sich für die nächste und unzweifelhaft schwierige Dekade vorzubereiten.” Der Fokus liege “ausdrücklich auf den positiven Veränderungen”. Der Bericht erkenne an, dass diese “nicht ausreichen, uns dorthin zu bringen, wo wir sein müssen. Aber sie erinnern uns daran, dass noch nicht alles verloren ist.“
Das New Climate Institute begleitet die internationale Klima- und Nachhaltigkeitspolitik mit Datenanalysen und Hintergründen. Die unabhängigen Experten finanzieren ihre Arbeit über Projektaufträge. In Kooperation mit dem Thinktank “Climate Analytics” liefern sie etwa mit dem “Climate Action Tracker” regelmäßige Updates zur globalen und nationalen Klimapolitik.
In ihrem aktuellen Bericht beschreiben die Experten Fortschritte in fünf Bereichen:
Die Forschenden sehen folgende Fortschritte:
Fortschritt 1: Im öffentlichen Bewusstsein habe die Klimakrise anders als vor einigen Jahren inzwischen einen “zentralen” Platz, heißt es. Menschen fühlten sich von der Krise direkt stärker betroffen. Die Berichterstattung der Medien zeige das weltweit – selbst wenn auch Fake News bei diesem Thema zunähmen. Fortschritte bei den Attributionswissenschaften machten Gerichtsprozesse für Klimaschutz möglich. Zusätzlich sei die Klimabewegung gewachsen und mache auch mit zivilem Ungehorsam (Extinction Rebellion, Letzte Generation) Druck. “Zumindest prinzipiell scheinen die Menschen bereit, beim Klimaschutz zu handeln, selbst wenn es sie finanziell belastet“, so das Fazit.
Fortschritt 2: Auch bei politischen Visionen und Zielen sehen die Forscher Fortschritte: Anders als noch vor einigen Jahren würde inzwischen die Vorstellung akzeptiert, dass die gesamte Wirtschaft sich auf Netto-Null-Emissionen zubewegen müsse. “90 Prozent der globalen Wirtschaft unterliegen einem Netto-Null-Ziel”, heißt es. Die Vision einer “voll dekarbonisierten” Welt werde offiziell angestrebt, ein globaler Ausstieg aus den fossilen Energien werde ernsthaft diskutiert – und bei den Berechnungen für das Temperaturziel für 2100 sei die Welt seit 2015 um ein ganzes Grad vorangekommen: Inzwischen führten die Planungen der Welt zu einer Erwärmung von 2,7 Grad, im Vergleich zu den prognostizierten 3,6 bis 3,9 Grad zu Zeiten des Pariser Abkommens. Die optimistischsten Schätzungen gehen sogar davon aus, dass 1,7 Grad möglich wären.
Fortschritt 3: Hoffnung gebe auch die Entwicklung in der Wirtschaft, so der Bericht: Allgemein seien dort Klimawandel und Klimapolitik inzwischen als “Bedrohung für Geschäftsmodelle und Investitionen” anerkannt. Auch die Chancen für grüne Jobs und einen Umbau der Industriestruktur würden viel deutlicher erkannt als noch vor wenigen Jahren. In der Finanzwelt sei das Thema angekommen, weil fossile Infrastrukturen davon bedroht seien, als gestrandete Investments zu enden. “Jeder Investor und jedes Geschäftsfeld fühlt den Druck, beim Klima zu handeln“, heißt es. Außerdem habe die Geschäftswelt erkannt, welche juristischen Risiken durch Klimaprozesse drohten. Viele Unternehmen bereiteten Klimapläne vor – allerdings gäbe es dabei auch viel Greenwashing, so der Bericht.
Fortschritt 4: Bei der Energieversorgung sei es ein gutes Zeichen, dass “erneuerbare Energien der neue Normalfall” seien, die in vielen Teilen der Welt wettbewerbsfähig sind. Der Ausstieg aus den Fossilen – vor wenigen Jahren noch nicht diskutiert – sei inzwischen eine Frage des “wann, nicht des ob“. Hoffnung gebe auch, dass in der Vergangenheit Wachstum und Kostenreduktion bei Erneuerbaren und Batterien häufig stärker gewesen seien als in Prognosen erwartet.
Fortschritt 5: Schließlich sei es ein gutes Signal, wie schnell Verkehr und Industrie auf Elektrifizierung umstellten. Bei Elektroautos und Wärmepumpen gebe es weltweit einen Boom, aber auch in den Industrien, wo CO₂-Reduktionen schwer zu erreichen seien, wie etwa beim Stahl. Anders als zuvor “versteckten” sich diese Branchen mit großem CO₂-Rucksack nicht mehr hinter der Energiebranche, die zuerst dekarbonisieren solle – sondern suchten selbst nach Wegen.
Zusammenfassend heißt es in dem Bericht: “Im letzten Jahrzehnt haben sich viele Dinge in die richtige Richtung bewegt”. Allerdings beschleunige sich auch die Klimakrise immer mehr und bedrohe den erreichten Fortschritt: “Wir müssen uns also schneller bewegen.”
Positiv betrachtet heiße das: “Wandel ist möglich und kann unerwartet passieren – angestoßen durch neue Akteure (die globale Jugend) und neue Strategien (Klimaklagen), die Regierungen und Unternehmen zum Handeln drängen.” All das gebe Hoffnung, dass die Grenze des Pariser Abkommens von 1,5 Grad Erderhitzung “noch erreichbar ist”, so das New Climate Institute. Aber der Wandel müsse “überall passieren, zur gleichen Zeit und sehr schnell, in manchen Bereichen sehr viel schneller als heute realistisch erscheint.” Dafür müsse man “das Unmögliche denken, neue Allianzen finden und die ganze Gesellschaft hinter dieser Aufgabe versammeln.”
Russlands Präsident Wladimir Putin unterzeichnete am 26. Oktober eine neue Klimadoktrin, die den künftigen klimapolitischen Rahmen für das Land beschreibt. Russland ist der fünftgrößte Treibhausgasemittent der Welt. Das Dokument erkennt den vom Menschen verursachten Klimawandel an. Zudem bekräftigt es Russlands Ziel, bis 2060 seine Emissionen auf netto null zu senken.
Ein Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen wird in der Doktrin aber nicht erwähnt. Als wichtigste Maßnahmen zur Dekarbonisierung werden stattdessen Energieeffizienz und die weitere Entwicklung und Nutzung von Erdgas, Wasserkraft und Kernenergie genannt. Ergänzend soll eine bescheidene Entwicklung von erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Solarenergie zum Erreichen des Netto-Null-Ziels beitragen.
Die neue Doktrin enthält viele Hinweise auf Russlands Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung von 2020 bis 2050. Die Strategie beschreibt die russischen Klimaziele in Zahlen. Ihr zufolge sollen in der Stromerzeugung:
Die Veröffentlichung des Dokuments kurz vor der COP28 dürfte zwei Ziele verfolgen: Die Position Russlands zu nationalen und internationalen Klimaschutzmaßnahmen umreißen und zugleich Russlands Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit im Klimaschutz demonstrieren – selbst in Zeiten des Krieges in der Ukraine und internationaler Sanktionen.
Ein Großteil des Papiers basiert auf der ersten Version der russischen Klimadoktrin. Sie wurde im Dezember 2009 vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew während der COP in Kopenhagen unterzeichnet. Von ihr sei in der neuen Doktrin 90 Prozent des Textes übernommen worden, schreibt Igor Makarov, Klimapolitikforscher an der Higher School of Economics in Moskau. Neu hinzugekommen sei etwa das Netto-Null-Ziel für 2060. Es tauchte allerdings schon in der langfristigen Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung Russlands auf, die im Oktober 2021 verabschiedet wurde, kurz vor der COP26.
Schon mit der ersten Doktrin aus dem Jahr 2009 signalisierte die russische Regierung, dass sie den Klimawandel und seine Bedrohungen offiziell anerkennt habe und zur internationalen Zusammenarbeit in der Klimapolitik bereit sei. Sie war die Grundlage für alle weiteren Klimaregulierungen in einem Land, in dem bis heute manche Politiker – und sogar Wissenschaftler – den menschengemachten Klimawandel anzweifeln.
Die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit in der Klimapolitik ist seither geblieben, trotz der Annexion der Krim und den darauf folgenden internationalen Sanktionen. Russische Beamte haben versucht, sie aufrechtzuerhalten und auszubauen, auch im vergangenen Jahr auf der COP27 in Ägypten.
Wladimir Tschuprow, Geschäftsführer der Umwelt-NGO “Earth concerns all” und ehemaliger Leiter des Energieprogramms von Greenpeace, bewertet zwei Dinge an der neuen Doktrin positiv:
Zugleich bestätigt die Doktrin die russischen Pläne, Emissionen vor allem durch die Nutzung von Kernenergie und Erdgas zu reduzieren. Zudem wird in ihr angenommen, dass der Wald in Russland eine steigende Menge von CO₂ aus der Luft abscheiden und binden könne. Diese Hoffnung ist auch ein Teil der russischen Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung. Doch sie wird von vielen Experten als unrealistisch angesehen – auch angesichts der zunehmenden Waldbrände und nicht nachhaltiger Waldbewirtschaftungspraktiken.
In den russischen Klimastrategiedokumenten werde der Energiesektor im Jahr 2050 “als immer noch von fossilen Brennstoffen dominiert angesehen”, sagt Wladimir Tschuprow, “was die grüne Energiewende nicht unterstützt”. Auch in den Klimaverhandlungen der UN spricht sich Russland traditionell dagegen aus, dass ein vollständiger Ausstieg (Phase-out) aus fossilen Brennstoffen in den Abschlussdokumenten erwähnt wird.
Im Text der neuen russischen Klimadoktrin werden fossile Brennstoffe überhaupt nicht genannt, wie Wladimir Tschuprow bemerkt. Anders als in der ersten Doktrin fehle auch der Satz, dass Russland seine Bemühungen auf die Verringerung der anthropogenen Treibhausgasemissionen konzentriere, indem es Marktverzerrungen abbaue und stimulierende finanzielle und steuerliche Maßnahmen umsetze.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der auch auf der COP28 eine große Rolle spielen kann: In offiziellen Dokumenten zur Klimapolitik und öffentlichen Äußerungen erwähnt die russische Regierung immer wieder den Begriff der “Technologieneutralität”. Sie legt also Wert darauf, alle bekannten Technologien nutzen zu können, um Russlands Treibhausgasemissionen zu senken und eine höhere Abscheidung und Speicherung von CO₂ (CCS) aus der Luft zu erreichen. In der Praxis sind ihr hier vor allem die Kernenergie und große Wasserkraftwerke wichtig.
Ein weiterer neuer Satz in der jüngsten Fassung der Doktrin erwähnt die “Unabhängigkeit bei Bewertungen und Schlussfolgerungen zu den laufenden und erwarteten Auswirkungen des Klimawandels”. Igor Makarow von der HSE schreibt, Russland gehe es hier um technologische und ideologische Souveränität in klimapolitischen und umweltpolitischen Fragen – etwas, das Russlands Politiker seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine häufig ansprechen. Russland betont in der Doktrin also, dass es selbst entscheiden möchte, welche klimapolitischen Maßnahmen es ergreift und welche Technologien es nutzt, um seine Emissionen zu verringern.
Schließlich erwähnt die Doktrin, dass eine “unangemessene Diskriminierung bei der Verabschiedung von Klimamaßnahmen, die den internationalen Handel betreffen”, für Russland unannehmbar sei. Das bezieht sich auf den CBAM der EU, der von Russland kritisch gesehen wird. Nach den Sanktionen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine ist der CBAM für die russische Wirtschaft und deren Exporte jedoch viel weniger wichtig als früher.
23. November, 9.15 Uhr, Dresden
Austausch-Veranstaltung Statuskolloquium Klima
Das Statuskolloquium dient zum Erfahrungsaustausch über neueste Kenntnisse zum regionalen Klimawandel in Sachsen. Es findet in der Sächsischen Aufbaubank Dresden statt. Infos
23. November, 9.15 Uhr, Berlin/Online
Konferenz Sustainability Transformation Conference
Die hybride Konferenz wird sich mit der Frage befassen, wie Nachhaltigkeit die Resilienz sozio-ökonomischer Systeme verbessern kann. Sie wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und dem Umweltbundesamt veranstaltet. Infos
23. November, 11 Uhr, Online
Veröffentlichung IEA: The Oil and Gas Industry in Net Zero Transitions Report
Im Vorfeld der COP28-Klimakonferenz wird die Internationale Energieagentur (IEA) einen Bericht veröffentlichen, der einen strategischen Plan für einen fairen, auf null Prozent ausgerichteten Übergangspfad für die Öl- und Gasindustrie enthält. Infos
23. November, 12.30 Uhr, Berlin
Vortrag Great power rivalry and the international politics of climate change
Der Vortrag findet im Hertie School Center for Sustainability statt. Über das Thema spricht Robert Falkner, Professor für Internationale Beziehungen an der London School of Economics and Political Science. Infos
23. bis 24. November, Berlin
Tagung Deutscher Energiesteuertag – Aktuelle Entwicklungen im Energie- und Stromsteuerrecht
Der 14. Deutsche Energiesteuertag findet dieses Jahr vor dem Hintergrund sich verschlechternder Wettbewerbsbedingungen statt und wird vom Bundesverband der Deutschen Industrie organisiert. Infos
23. bis 24. November, Bonn/Online
Kongress Zukunft Bau Kongress
Am 23. und 24. November veranstaltet das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung den “Zukunft Bau Kongress 2023” im World Conference Center Bonn. Es geht auf dem Kongress unter anderem darum, wie klima- und ressourcenschonendes Bauen aussehen kann. Infos
23. bis 24. November, Bonn
Konferenz Climate Security: Peace and Security Consequences of Climate Change
Das Institut der Vereinten Nationen für Ausbildung und Forschung (UNITAR) veranstaltet seine erste internationale Forschungskonferenz. Diese findet im Anschluss an mehrere UN-Klimakonferenzen statt, die darauf abzielen, Auswirkungen des Klimawandels abzumildern und gleichzeitig die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der UN-Agenda 2030 zu erreichen. Infos
28. November, 17 Uhr, Berlin
Workshop Die große Transformation – wie der Wandel gelingen kann
Angesichts der Klimakrise und begrenzter Ressourcen ist eine Veränderung der Lebens- und Wirtschaftsweisen unumgänglich, um ein gutes und sicheres Leben für alle Menschen erreichen und aufrechtzuerhalten. In dem Workshop von Table.Media und dem Netzwerk Weitblick e.V. zum Thema “Transformation” werden die Dynamik des Wandels, Hindernisse und Chancen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Infos
30. November – 1.Dezember, Berlin
Forum Planetary Health Forum ´23
Unter der Schirmherrschaft von Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach laden das Centre for Planetary Health Policy (CPHP) und die Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.) zum Planetary Health Forum ein: der ersten Konferenz für planetare Gesundheit in Deutschland, die Akteur:innen aus den Bereichen Gesundheit, Klima- und Umweltschutz zusammenbringt – aus Politik, Praxis, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Infos
30. November – 12. Dezember, Dubai, Vereinigte Arabische Emirate
Konferenz UN Klimakonferenz COP28
Die UN Klimakonferenz finden unter der Präsidentschaft der Vereinigten Arabischen Emirate in Dubai statt. Climate.Table wird die Verhandlungen mit einem täglichen Newsletter eng begleiten. Infos
Die staatlichen Klimapläne reichen nicht aus, um die Emissionen so weit zu drücken, dass die Klimaziele erreicht werden können. Es besteht eine massive “Emissionslücke”, die dringend geschlossen werden muss, mahnt die UN. Die globale Erwärmung werde drei Grad erreichen, wenn die derzeitige Klimapolitik fortgesetzt und nicht verschärft werde. Die Lücke “sei eher ein Canyon. Ein Canyon übersät mit gebrochenen Versprechen, zerbrochenen Leben und gebrochenen Rekorden”, sagte UN-Generalsekretär António Guterres bei der Vorstellung des jüngsten Emissions Gap Report des UN-Umweltprogramms (UNEP) am Montag. Die Welt müsse von ihrer “Sucht nach fossilen Brennstoffen” wegkommen, forderte der UN-Generalsekretär.
Um das 2-Grad-Ziel erreichbar zu halten, müssten im Jahr 2030 elf bis 14 Gigatonnen mehr CO₂-Äquivalente vermindert werden, als es die Staaten in ihren nationalen Klimaplänen (“Conditional” und “Unconditional NDCs”) versprechen. Die Emissionslücke liegt sogar bei 19 bis 22 Gigatonnen für das 1,5-Grad-Ziel.
Der Bericht ruft dazu auf:
Wenn alle NDCs bis 2030 erfüllt würden, sei die Welt bis zum Ende des Jahrtausends auf einem Pfad zu 2,5 Grad globaler Erwärmung, warnt der Bericht. Werden die Emissionen nicht schneller stärker gesenkt, müsse die Weltgemeinschaft in Zukunft noch stärker auf Carbon Dioxid Removal (CDR) setzen. Allerdings gäbe es bei natürlichen CDR-Verfahren potenziell Landkonflikte – und durch Waldbrände könnten gespeicherte Emissionen wieder in die Atmosphäre gelangen. Technische Verfahren wie Carbon Capture and Storage (CCS) und Direct Air Capture (DAC) seien noch nicht ausgereift. Es brauche politische Unterstützung zur Entwicklung der Technologien, so das UNEP. nib
Laut dem Thinktank Climate Analytics haben die Staaten im Jahr 2023 mit großer Wahrscheinlichkeit weltweit den Emissionspeak erreicht. Die Forscherinnen und Forscher zeigen sich optimistisch, dass die globalen Treibhausgasemissionen im Jahr 2024 mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent fallen werden. Voraussetzung hierfür sei die Beschleunigung der aktuellen Wachstumstrends bei den erneuerbaren Energien und grünen Technologien wie E-Autos, und dass die Staaten ihre Zusagen zur Verminderung der Methan-Emissionen umsetzen.
Das Wachstum bei den Erneuerbaren und E-Autos könne demnach zu:
Die Autorinnen und Autoren haben für ihre Studie ein “Szenario der weiteren Beschleunigung” des Ausbaus der Erneuerbaren und des Verkaufs von E-Autos ausgewählt. Dadurch würden in den kommenden Jahren so viele Erneuerbare zugebaut, dass sie fossile Energien aus den Netzen verdrängen. Doch selbst dieses Szenario würde bis 2030 lediglich zu einer Absenkung der Emissionen um zehn Prozent führen (im Vergleich zum Jahr 2019). Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, bräuchte es eine Absenkung um 43 Prozent bis 2030.
Es bedürfe dementsprechend:
Laut der Climate Analytics-Recherche haben bis 2015 schon 50 Staaten ihren Emissionspeak erreicht und sind in die Phase des langfristigen Rückgangs eingetreten. Dazu gehören die USA, Deutschland, Japan und Australien. China könne im nächsten Jahr (2024) fallende Emissionen erreichen. Indien könne seinen Peak in den frühen 2030er-Jahren erreichen. In der EU könnte der Zubau von Wind- und Solarenergie bis 2030 den gesamten Kohlestrom verdrängen. nib
Geht es nach dem EU-Parlament, sollen direkte Emissionsreduktionen Vorrang haben gegenüber dem CO₂-Abbau durch Umstellung der Landbewirtschaftung oder Tierfütterung (Carbon Farming). Die Abgeordneten haben am Dienstag über ihre Verhandlungsposition für einen Zertifizierungsrahmen für technologische und natürliche CO₂-Entnahmen abgestimmt. Der Gesetzesrahmen soll CO₂-Entnahmen zum Erreichen der Klimaziele fördern, das Vertrauen bei der Industrie erhöhen und Greenwashing verhindern.
Während die EU-Kommission in ihrem Vorschlag noch allgemein von “Carbon Removals” sprach, will das Parlament eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Möglichkeiten der CO₂-Entnahmen. Nur die dauerhafte geologische Speicherung von atmosphärischem oder biogenem CO₂ für mehrere Jahrhunderte (CCS) oder eine dauerhaft gebundene Kohlenstoffmineralisierung sollten als permanente CO₂-Entnahme betrachtet werden.
Carbon Farming zählt nicht dazu und soll daher gesondert zertifiziert werden, sofern das CO₂ für mindestens fünf Jahre der Atmosphäre entzogen wird. CO₂-Speicherung in Produkten (CCU), beispielsweise in Holz oder Baumaterialien, soll nur dann zertifiziert werden, wenn das CO₂ mindestens fünf Jahrzehnte lang gespeichert wird.
Die Mitgliedstaaten haben ihre Position bereits vergangene Woche beschlossen. Die Bundesregierung hat dem Vorschlag trotz einiger Vorbehalte zugestimmt. Sie hat jedoch eine Protokollnotiz eingebracht, die Table.Media vorliegt. Demnach hält Deutschland insbesondere eine Regelung über CO₂-Entnahmen durch Biomasse für problematisch. Sie fordert, dass die Treibhausgas-Bilanzierung von Biomassenutzung auch die Emissionen aus Anbau, Ernte, Verarbeitung und Transport von Biomasse einbezieht. Der derzeitige Ratstext legt lediglich fest, dass Emissionen bei der Verbrennung berücksichtigt werden.
Sollten die Emissionen bei der Verbrennung abgeschieden und gespeichert werden, wäre die Treibhausgas-Bilanz auf dem Papier negativ. Es würde also so aussehen, als sei der Atmosphäre CO₂ entzogen worden. Faktisch wäre durch die Biomassenutzung allerdings keine Mehrentnahme erfolgt. Die Bundesregierung fürchtet dadurch Fehlanreize für die Biomassenutzung und mangelnde Integrität der CO₂-Entnahmezertifikate. Für eine entsprechende Änderung des Ratstexts im Sinne Deutschlands gab es allerdings keine Mehrheit. Die Trilog-Verhandlungen mit Parlament und Kommission sollen noch im November starten. luk
Mindestens 7.200 Vertreter fossiler Interessen haben seit dem Jahr 2003 an den internationalen Klimakonferenzen teilgenommen. Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen oder verkaufen, waren seit der COP9 (2003) mit mindestens 945 Interessenvertretern auf den Klimakonferenzen. Das geht aus einer Erhebung des Aktivisten-Netzwerks “Kick Big Polluters Out” hervor:
Es handelt sich allerdings um konservative Zahlen. Viele Delegierte auf den COPs haben ihre “Zugehörigkeit” lange Zeit nicht angegeben – machten also nicht transparent, für welche Organisation sie arbeiten oder welche Interessen sie vertreten, so Kick Big Polluters Out. Seit Juni fordert das UNFCCC die COP-Teilnehmer jedoch zu mehr Transparenz über ihren Hintergrund auf. nib
Das reichste Prozent der Weltbevölkerung (rund 77 Millionen Menschen) ist für 16 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Das sind so viele Emissionen, wie die ärmsten zwei Drittel verursachen. Die reichsten zehn Prozent verursachen sogar 50 Prozent der globalen Emissionen. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle “Climate Equality” Report der Nichtregierungsorganisation Oxfam. Der Bericht bezieht sich auf Daten des Stockholm Environment Institute. Allerdings handelt es sich bei den zehn Prozent an der Spitze nicht nur um die Superreichen. Es sind alle Menschen, die mehr als rund 40.000 US-Dollar im Jahr verdienen – somit gehören auch viele Menschen aus der Mittelschicht der Industriestaaten zu den reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung.
Laut der Studie könnten allein die Emissionen des reichsten Prozents in den kommen Jahrzehnten zu 1,3 Millionen hitzebedingten Toten führen. Auch die Folgen der Emissionen sind sehr ungleich verteilt. Laut dem Bericht ereigneten sich mehr als 91 Prozent der Todesfälle durch Klimakatastrophen in den vergangenen 50 Jahren in Entwicklungsländern. Als Lösung fordert Oxfam eine Einkommenssteuer von 60 Prozent für das reichste eine Prozent der Bevölkerung. Das würde nicht nur die Emissionen senken, sondern auch rund 6,4 Billionen US-Dollar einbringen, die in den Klimaschutz investiert werden könnten.
Wie ungleich die Emissionen verteilt sind, zeigt auch der “Guardian”. Im Kontext von ungleichen Emissionen wurden Flugdaten von Privatjets ausgewertet: 200 Prominente, CEOs, Milliardäre und Oligarchen haben mit ihren Privatjets demnach seit Beginn des Jahres 2022 über 400.000 Tonnen CO₂ verursacht. Ihre Jets waren in diesem Zeitraum zusammengerechnet insgesamt elf Jahre in der Luft. kul
Kenia und Frankreich haben angekündigt, beim Klimagipfel in Dubai die Debatte über internationale Klimasteuern voranzutreiben. Die Präsidenten der beiden Länder, William Ruto und Emmanuel Macron, planen dazu die Gründung einer “Taskforce”, die innerhalb von zwei Jahren konkrete Vorschläge erarbeiten soll. Wie Climatechangenews.com vergangene Woche berichtete, hoffen die Staatschefs, eine Koalition aus Europa und dem globalen Süden in der Taskforce zu versammeln.
Die Debatte über globale Klimasteuern und Abgaben wird seit dem von Macron anberaumten Finanz-Gipfeltreffen in Paris im Juni lebhafter. Der von Ruto im September in der kenianischen Hauptstadt Nairobi ausgerichtete “Afrikanische Klimagipfel” etwa endete mit der Forderung nach einem globalen System zur Besteuerung von Kohlenstoff, “um zweckgebundene, erschwingliche und zugängliche Finanzmittel für klimaschonende Investitionen in großem Umfang bereitzustellen”.
Auch internationale Organisationen befassen sich mit dem Thema. Ngozi Okonjo-Iweala, Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO), kündigte im Oktober eine eigene Taskforce an, die konsensfähige Vorschläge für “eine Methode für einen globalen Kohlenstoffpreis” entwickeln soll. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wiederum argumentierte in seinem jüngsten “Fiscal Monitor”, dass CO₂-Steuern ein “integraler” Bestandteil aller nationalen Klimapakete sein müssten.
Die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) hatte kürzlich in einer Studie aufgezeigt, welche Summen durch globale Steuern zusammenkommen könnten:
Laut einer am Mittwoch erschienenen Studie von KPMG und dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) berücksichtigen über 50 Prozent der befragten Unternehmen Klimarisiken und Folgeschäden nicht vollumfänglich im eigenen Risikomanagementsystem. Als größte Klimarisiken sehen die Unternehmen eine Veränderung der Nachfrage, knappe Ressourcen und Schäden an der Infrastruktur. Die Auswirkungen von Hitze oder Dürre sowie Risiken durch den Verlust von Artenvielfalt sind für die Mehrheit bisher keine Themen in ihrem Risikomanagement. 22 Prozent berücksichtigen Klimarisiken im Beschaffungsprozess nicht.
Gleichzeitig planen insgesamt 43 Prozent der Unternehmen, ein Zehntel oder mehr ihres Umsatzes in die “grüne Transformation” zu investieren, heißt es in der Studie. Bei Firmen mit weniger als einer Milliarde Euro Umsatz sind es 36 Prozent, bei Unternehmen mit mehr Umsatz 57 Prozent. Darüber hinaus sehen 73 Prozent der Unternehmen zusätzliches Geschäftspotenzial in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen zur Minderung von Klimafolgeschäden. Die Studienautoren gehen davon aus, dass es für den europäischen Maschinen- und Anlagenbau in zehn Jahren ein jährliches Umsatzpotenzial von über 200 Milliarden Euro bei Lösungen zum Schutz vor Klimarisiken und zur Minderung von Klimafolgeschäden gibt.
Für die Studie “Klimarisiken und Folgeschäden des Klimawandels 2023” haben KPMG und der VDMA 235 Entscheider aus Unternehmen in Deutschland befragt. nh
Mit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober an Jüdinnen und Juden und der militärischen Antwort Israels ist weltweit ein Kampf um die moralische Deutungshoheit im Nahost-Konflikt ausgebrochen. Diese Auseinandersetzung hat auch die globale Klimabewegung erreicht und dominiert die Vorbereitungen zur UN-Klimakonferenz (COP28) in Dubai.
Das ist fatal. Nicht nur, weil in diesem Meinungskampf zunehmend antisemitische Stereotype bedient werden, indem Israel als kolonialistische Imperialmacht dargestellt wird, gepaart mit einem Unvermögen, zwischen der israelischen Regierung und den Juden zu unterscheiden. Sondern auch, weil die Auseinandersetzung um das Massaker der Hamas und den dadurch ausgelösten Krieg Israels in Gaza auch die Verhandlungen auf der Weltklimakonferenz zu überlagern drohen.
Die Klimakrise droht so auf der UN-Klimakonferenz in Dubai zur Nebensache zu werden. In den internationalen zivilgesellschaftlichen Netzwerken wird dafür geworben, die COP zu einer “palästinensischen COP” zu machen. Derzeit wird von einigen Netzwerken gezielt darauf hingearbeitet, die klimapolitischen Verhandlungen in Dubai mit undifferenzierter Kritik an Israel und seiner – sicherlich kritikwürdigen – Siedlungspolitik zu vermischen.
Die multiplen Krisen – vom Klima über Armut, Hunger, die Ukraine bis in den Nahen Osten – geraten zu einer unübersichtlichen Melange. Dabei ist klar, dass wir die Gleichzeitigkeit der Krisen anerkennen müssen. Das heißt aber nicht, dass wir sie undifferenziert alle auf den gleichen Wegen lösen können – im Gegenteil. Wer die COP28 in Dubai zusätzlich zu allen klimapolitischen Schwierigkeiten mit der Debatte um den Nahost-Konflikt überfrachtet, erschwert mögliche Fortschritte in der Klimadiplomatie. Das ist kein Plädoyer für ein Abwenden von den übrigen Krisen, sondern eines für eine ehrliche Analyse mit differenzierenden Antworten.
Die eigentliche Herausforderung der COP28 rückt dadurch in den Hintergrund: die Weltgemeinschaft zu einem verbindlichen Ausstieg aus fossilen Energien zu verpflichten und damit eine Verlängerung des fossilen Geschäftsmodells zu verhindern, das Ursache so vieler Krisen und Kriege war.
Das ist nicht nur fatal, weil gerade jetzt weltweit die Öl- und Gasmultis wieder Morgenluft wittern. Es ignoriert auch, dass es die fossilen Einnahmen sind, die weltweit Konflikte und Terror finanzieren. Die Hamas wie auch die Hisbollah werden seit Jahrzehnten vom iranischen Regime mit Öldollars finanziert.
Das Massaker vom 7. Oktober war eine Zäsur. Mit unvorstellbarer Grausamkeit wurden mehr als 1.400 Menschen ermordet und Hunderte entführt. Die Hamas sucht Deckung in Krankenhäusern und Kindergärten und nimmt damit wehrlose Palästinenserinnen und Palästinenser in Geiselhaft. Ihr Zynismus ist grenzenlos.
Israel hat die Pflicht, die eigene Bevölkerung vor diesem Terror zu schützen und sich zu verteidigen. Gleichzeitig muss man anerkennen, dass das Leid der Menschen im Gazastreifen infolge der israelischen Angriffe unerträglich und die humanitäre Situation eine Katastrophe ist. Doch auch das liegt im Interesse der Hamas. Während die Hamas das Völkerrecht – auch der Bevölkerung in Gaza – mit Füßen tritt, indem sie sie an der Flucht hindert, hat sich Israel in seinem Kampf gegen den Terror an das internationale Völkerrecht zu halten und muss alles tun, um die humanitäre Lage der Menschen im Gazastreifen zu verbessern. Gerade Deutschland hat hier eine Verantwortung an der Seite der Jüdinnen und Juden zu stehen und gleichzeitig eventuelle Fehler der israelischen Regierung als solche zu benennen.
Es ist die Aufgabe einer wachen Zivilgesellschaft, den Terror der Hamas und die Fehler der israelischen Regierung zu kritisieren. Wenn nun eine Klimabewegung, die hohe Expertise und Verdienste beim Kampf gegen die Klimakrise erworben hat, mit verkürzenden Antworten auf einen komplexen Konflikt reagiert, wird das weder dem Kampf für ein besseres Klima in der Atmosphäre noch im Nahen Osten gerecht.
In den vergangenen Jahren hat sich in der Klimabewegung ein Zweig entwickelt, der mit dem Ruf nach “system change” nicht nur ein Ende des fossilen Zeitalters, sondern auch des Kapitalismus und der Marktwirtschaft fordert. Es wird zum antikapitalistischen und antiimperialistischen Kampf mit den Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt aufgerufen. Vertreterinnen und Vertreter genau dieses Zweigs ergreifen nun einseitig Partei für die Palästinenser – und werden blind fürs Totalitäre.
Das zeigt: Antisemitismus ist leider kein rein rechtes Phänomen mehr. Er hat auch im linken Spektrum Wurzeln geschlagen. In sich selbst progressiv empfindenden Kreisen wird das zwar stets verneint; der Antisemitismus wird dabei als Israel-Kritik, Antizionismus oder Dekolonialismus bezeichnet. Im Kern ist die israelkritische Argumentation aber oft antisemitisch.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich darf und muss die israelische Politik kritisiert werden. Anders als in der Region üblich, ist das in Israel selbst auch möglich, und viele machen dort von diesem Recht Gebrauch. Ich habe großen Respekt vor den Menschen in Israel, die Opfer durch den Terror zu beklagen haben und sich gleichzeitig für friedliche Lösungen und die Koexistenz von zwei Staaten einsetzen.
Doch gleichzeitig sehen wir in der Komplexität der multiplen Krisen von Klima bis zum Krieg den Wunsch nach einfachen Antworten. Weltweit blüht eine pathetische Solidarität mit der palästinensischen Sache auf, der Slogan “end settler colonialism – end climate colonialism” droht zum Schlachtruf für die COP28 zu werden. Es gibt für viele keine Graustufen mehr, sondern nur den einen Aggressor. Das stellt internationale Zusammenarbeit – auch innerhalb der Klimabewegung – vor eine große Herausforderung.
Der Druck zur einseitigen Positionierung wächst in allen internationalen Netzwerken stündlich an. Und es sind die deutschen Klima- und Umweltorganisationen, sie sich derzeit fassungslos gegen diese Einseitigkeiten stemmen. In der internationalen Klimabewegung stehen sie damit leider ziemlich allein. Neben vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren waren es der Umweltdachverband DNR sowie die Fridays for Future Deutschland, die gemeinsam am 22. Oktober zu einer Großkundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel aufriefen.
In Dubai wird es jetzt darauf ankommen, die Klimakrise ins Zentrum zu stellen und zugleich Haltung zu zeigen gegen populistische Antworten auf komplexe Krisen. Wie auch auf den vergangenen Klimakonferenzen wird sich die deutsche Zivilgesellschaft in Dubai auch für den Schutz von Minderheiten starkmachen – und dabei deutlich machen, dass in der Rettung des Weltklimas kein Platz für Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Rassismus und Einseitigkeiten ist. Weder die planetaren noch die menschlichen Belastungsgrenzen dieses Planeten lassen sich durch Verkürzungen und Populismen einhalten.
Prof. Dr. Kai Niebert forscht und lehrt als Nachhaltigkeitswissenschaftler an der Universität Zürich und ist Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR). Er ist Mitglied des Rates für nachhaltige Entwicklung und wird als Mitglied der deutschen Delegation die Klimaverhandlungen in Dubai begleiten.